Julia Herzensbrecher Band 42

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DIE SINNLICHE RACHE DES STOLZEN ITALIENERS von MELANIE MILBURNE

Seit Eliza seine Liebe verriet, sinnt der italienische Millionär Leo Valente auf Rache. Er will die schöne Engländerin in seiner traumhaften Villa an der Amalfiküste ein letztes Mal verführen und sie dann eiskalt fallen lassen. Aber ein Geständnis bringt all seine Pläne ins Wanken …

TAGE DER RACHE, NÄCHTE DER ZÄRTLICHKEIT von CHARLENE SANDS

„Cara." Kevin Novak zwingt sich zu lächeln. Von einem Tag auf den anderen hatte sie ihn vor vier Jahren verlassen. Jetzt will sie, dass er die Scheidungspapiere unterzeichnet? Gut, das kann sie haben. Allerdings nur, wenn sie vorher eine Woche lang das Bett mit ihm teilt! Er will Cara verführen und dann eiskalt fallen lassen. Ein perfekter Racheplan – jedenfalls solange Kevin seine wahren Gefühle im Zaum halten kann!

SPIEL, KUSS UND SIEG von INDIA GREY

Spielt ihr Jugendschwarm Alejandro D’Arienzo nur mit ihr? fragt Tamsin sich verletzt. Die junge Designerin ist mit dem attraktiven Milliardär nach Argentinien gejettet, um Trikots für sein Poloteam zu entwerfen. Doch plötzlich versucht er sie lustvoll zu verführen. Sein Ziel: Rache, weil ein heißer Flirt mit Tamsin ihn vor acht Jahren fast die Sportlerkarriere kostete. Denn so sinnlich er sie berührt, die magischen drei Worte sagt er nicht …


  • Erscheinungstag 23.03.2024
  • Bandnummer 42
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525466
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

MELANIE MILBURNE, CHARLENE SANDS, INDIA GREY

JULIA HERZENSBRECHER BAND 42

1. KAPITEL

Dieser Besprechung sah Eliza schon seit Wochen mit Bangen entgegen. Nachdem sie mit ihren vier Kolleginnen im Lehrerzimmer Platz genommen hatte, versuchte sie sich gegen die erwartete Hiobsbotschaft zu wappnen.

„Wir schließen.“

Die Worte der Schulleiterin sausten wie das Fallbeil einer Guillotine auf die Anwesenden herab. Eliza dachte an ihre Erstklässler, die alle aus ähnlich traurigen und vernachlässigten Verhältnissen stammten wie sie selbst. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, ihren Schülern den Weg in ein besseres Leben zu ebnen. Was sollte aus ihnen werden, wenn ihre kleine selbstverwaltete Schule geschlossen wurde? In dem völlig unterfinanzierten staatlichen Schulsystem würden sie sang- und klanglos untergehen. Unsichtbar werden, genau wie ihre Eltern und Großeltern.

Und fast wie sie selbst.

Dieser deprimierende Kreislauf aus Armut und Vernachlässigung würde nie enden. Das Leben der Kinder würde ruiniert sein, bevor es richtig begonnen hatte, dabei steckte so viel Potenzial in ihnen.

„Gibt es denn wirklich gar nichts, was wir tun könnten, um das scheinbar Unabänderliche wenigstens noch eine Weile hinauszuschieben?“, meldete sich Georgie Brant, die die Drittklässler unterrichtete, zu Wort. „Wie wär’s, wenn wir es wieder mal mit einem Kuchenverkauf oder einer Tombola versuchen?“

Marcia Gordon, die Schulleiterin, schüttelte betrübt den Kopf. „Ich fürchte, dafür ist es zu spät. Das Einzige, was uns jetzt noch retten könnte, wäre eine Großspende … und zwar noch vor Ende des Schuljahres.“

„Aber die Sommerferien beginnen doch schon nächste Woche!“, warf Eliza ein.

Marcia seufzte. „Tja. Tut mir wirklich leid, aber so ist nun mal die Lage. Alle unsere Bemühungen, die Kosten niedrig zu halten, haben am Ende leider nichts genutzt.“

„Was ist, wenn einige von uns vorübergehend für weniger Geld arbeiten oder vielleicht sogar ganz auf Gehalt verzichten?“, schlug Eliza vor. „Ich könnte mich für einen, notfalls auch zwei Monate über Wasser halten.“ Länger allerdings nicht, sonst würde sie ernsthafte Probleme bekommen. Aber irgendetwas musste man doch tun können! Bestimmt gab es da draußen irgendwen, der bereit war zu helfen. Sie mussten sich an die Öffentlichkeit wenden!

Bevor Eliza dazu kam, ihre Gedanken zu artikulieren, meldete sich Georgie zu Wort: „Wie wär’s, wenn wir uns mit einem Spendenaufruf an die Zeitungen wenden? Könnten wir nicht die Presse mal wieder daran erinnern, was für gute Arbeit wir hier für unterprivilegierte Kinder leisten? Vielleicht hört ja jemand unseren Hilferuf und alles wird gut.“ Sie verdrehte die Augen und ließ sich frustriert in ihren Stuhl zurücksinken. „Noch besser wäre natürlich, wenn jemand von uns einen von den Superreichen persönlich kennen würde!“

Eliza saß plötzlich ganz still da, ihr Nacken fing an zu kribbeln. Dann rieselte ihr ein Schauer über den Rücken, ihr Herz schlug schneller.

Leo Valente.

Leo war in der Tat sehr reich gewesen … war es immer noch.

„Was ist mit dir, kennst du nicht jemanden, Lizzie?“ Georgie hatte sich nach ihr umgedreht.

„Äh … nein“, gab Eliza zurück. „Wer verkehrt schon in solchen Kreisen?“ Es ist schon so lange her …

Marcia klickte ein paarmal mit ihrem Kugelschreiber und machte dabei ein nachdenkliches Gesicht. „Also gut, versuchen kann man’s ja. Ich werde die Medien über unsere Situation unterrichten, und bestimmt bringen sie dann auch einen Spendenaufruf. Wenn wir so viel sammeln könnten, dass wir wenigstens bis Weihnachten durchhalten, wäre das besser als nichts.“ Sie erhob sich und suchte ihre Unterlagen zusammen. „Ein entsprechender Brief an die Eltern geht morgen raus.“

In dem Moment, in dem Eliza in ihre Straße einbog, erblickte sie den glänzenden Sportwagen. Er sah aus wie ein schwarzer Panther auf der Jagd – die Halogen-Scheinwerfer kamen ihr vor wie scharfe Augen, denen nichts entging. Der Innenraum war so dunkel, dass man den Fahrer nicht erkennen konnte, aber Eliza spürte instinktiv, dass es jemand war, der zu ihr wollte. Und als er direkt vor ihrem Haus einparkte, lief ihr ein Schauer über den Rücken.

Beim Anblick der hochgewachsenen dunkelhaarigen Gestalt, die sich wenig später aus dem Innern schälte, stockte ihr der Atem. Ihr Herz streikte für einen Moment, bevor es anfing, wie verrückt zu hämmern. Leo! Das war Leo Valente, den sie seit über vier Jahren nicht gesehen hatte. Sie war wie betäubt, ihre Knie zitterten.

Was wollte er hier? Wie hatte er sie gefunden?

Er kam auf sie zu. Sie rang immer noch um Fassung, als er vor ihr stehen blieb. „Leo …“Ihre Stimme klang erstickt.

Er neigte grüßend den dunklen Kopf. „Eliza“, sagte er steif.

Sie schluckte krampfhaft. So eine sexy Stimme gehörte verboten … und so eine megaattraktive Erscheinung auch! Leo war hochgewachsen, dunkel und schlank, mit fast schwarzen Augen. Das kantige Kinn und die kompromisslose Mundpartie kündeten von Eigenwilligkeit. Allerdings hatten die vergangenen vier Jahre ihre Spuren in Leos Gesicht hinterlassen. Seine tiefschwarzen Haare waren an den Schläfen leicht ergraut, und die Linien, die sich von den Nasenflügeln zu seinen Mundwinkeln zogen, kamen bestimmt nicht vom vielen Lachen.

„Hi …“ Sofort wünschte sie sich, eine förmlichere Anrede gewählt zu haben. Immerhin waren sie nicht gerade freundschaftlich auseinandergegangen.

„Ich will mit dir reden.“ Er deutete mit dem Kopf auf die Fenster ihrer Parterrewohnung. „Können wir reingehen?“

Sie holte verunsichert Atem. „Ähm … ich bin etwas in Eile …“

In seine Augen trat ein harter Glanz. „Fünf oder zehn Minuten reichen mir.“

Eliza versuchte seinem Blick standzuhalten, aber sie schaffte es nicht. „Also gut.“ Sie atmete hörbar aus. „Fünf Minuten.“

Mit zitternden Fingern schloss sie ihre Wohnungstür auf und winkte ihn herein. Im Flur hatte sie das Gefühl, dass seine breiten Schultern den Raum fast ausfüllten. Er schaute sich argwöhnisch um. Befürchtete er, dass ihm gleich die Decke auf den Kopf fallen könnte?

„Wie lange wohnst du schon hier?“

Sie reckte das Kinn. „Seit vier Jahren.“

„Zur Miete?“

Eliza biss die Zähne zusammen. Wollte er sie demütigen? „Ich muss noch eine Weile sparen, bevor ich mir was Eigenes leisten kann“, sagte sie, während sie ihre Tasche auf dem Tischchen im Flur abstellte.

„Vielleicht könnte ich dir ja dabei helfen.“

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die plötzlich trockenen Lippen. „Ich verstehe nicht …“, sagte sie zögernd. „Aber trotzdem – nein danke.“

„Können wir uns nicht irgendwo setzen?“

Eliza zögerte. Sie war immer noch total verwirrt, ihn nach so langer Zeit plötzlich wiederzusehen. „Ähm … ja … na klar“, stammelte sie. „Komm rein.“

Ihr Wohnzimmer war so winzig, dass es mit Leo in der Mitte fast wie eine Puppenstube wirkte. Eliza verzog das Gesicht, als sein Kopf haarscharf an ihrer Hängelampe vorbeischrammte. „Setz dich.“ Sie deutete auf die Couch.

„Und du?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Äh … ich hole mir einen Stuhl aus der Küche …“

„Ich gehe. Setz dich.“

Eigentlich wollte Eliza darauf bestehen, den Stuhl selbst zu holen, aber ihr zitterten die Knie. Deshalb ließ sie sich erleichtert auf die Couch sinken und legte ihre Hände auf die Oberschenkel, um ihre Beine ruhig zu halten.

Leo kehrte mit einem Stuhl zurück, den er auf den einzig dafür infrage kommenden freien Platz vor dem Sofa stellte, und setzte sich lässig mit weit gespreizten Beinen hin. Eliza beschloss zu warten, bis er das Wort ergriff. Das Schweigen dehnte sich, während er reglos dasaß und sie aus unergründlichen dunklen Augen musterte.

„Du trägst keinen Ehering“, stellte er schließlich fest.

„Nein …“ Sie verflocht ihre Hände in ihrem Schoß und spürte, dass ihre Wangen glühten.

„Aber du bist noch verlobt?“

Eliza fuhr mit dem Zeigefinger leicht über den Brillantring an ihrer Hand. „Ja … ja, ich bin …“

Der Blick, der sie traf, war vernichtend. „Das ist aber eine verdammt lange Verlobungszeit. Dein Zukünftiger muss ja eine Engelsgeduld haben.“

Sie dachte an den armen Ewan, der da, festgezurrt in seinem Spezialstuhl, tagein, tagaus in totaler Abhängigkeit mit leerem Blick vor sich hinstarrte. Ja, geduldig war genau das, was Ewan jetzt war. „Er scheint zufrieden, so wie es ist“, sagte sie.

In seinem Unterkiefer zuckte ein winziger Muskel. „Und du?“ Er musterte sie eindringlich. „Bist du zufrieden?“

Eliza zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Konnte er ihr ansehen, wie einsam und unglücklich sie war? Dass sie in der Falle saß? „Ja, sicher“, gab sie, ohne mit der Wimper zu zucken, zurück.

„Wohnt er auch hier?“

„Nein, er hat ein Haus.“

„Und warum lebt ihr nicht zusammen?“

Eliza schaute auf ihre Hände. Dabei entdeckte sie unter einem Fingernagel blaue Plakatfarbe und einen gelben Fleck auf einem Fingerknöchel. Gedankenverloren versuchte sie, mit dem Daumen den Fleck abzureiben. „Ich hätte es zu weit bis in die Schule“, erklärte sie. „Aber an den Wochenenden sind wir so oft wie möglich zusammen.“

Ein brodelndes Schweigen machte sich breit.

Als Eliza ein Geräusch hörte, schaute sie auf. Leo war aufgestanden und tigerte unruhig auf dem engen Raum hin und her, mit zu Fäusten geballten Händen, die er rhythmisch öffnete und wieder schloss. Plötzlich blieb er stehen und erdolchte sie fast mit einem erbitterten Blick. „Warum?“

Eliza stellte sich dumm. „Wie … warum?“

„Was hat er, was ich nicht habe?“

„Er war vor dir da, und er liebt mich.“ Sie hatte sich oft gefragt, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie Ewan nie kennengelernt hätte.

Er zog finster die Augenbrauen zusammen. „Und ich? Glaubst du, ich hätte dich nicht geliebt?“

Eliza schnaubte. „Du hast mich nicht geliebt, Leo. Du hast eine Zuflucht gesucht, nachdem du eben erst deinen Vater verloren hattest. Da war dir die erstbeste Gelegenheit gerade recht …“

„Ich wollte dir die Welt zu Füßen legen.“ Er presste die Lippen aufeinander. „Aber du ziehst es vor, in äußerst bescheidenen Verhältnissen zu leben, verlobt mit einem Mann, der offenbar gar nicht ernsthaft den Wunsch hat, sein Leben mit dir zu teilen. Woher weißt du, dass er dich nicht betrügt, wenn du nicht da bist?“

„Ich weiß es eben“, sagte Eliza, traurig über so viel bittere Ironie. Es gab wahrscheinlich nichts, worüber sie besser Bescheid wusste als über das, was Ewan vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche trieb.

„Dann betrügst also du ihn?“, fragte er mit zynischem Blick.

Sie presste nur stumm die Lippen zusammen.

Sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Warum hast du es mir damals nicht gleich gesagt? Warum hast du mich so auflaufen lassen?“

Eliza dachte an diese drei Wochen reinster Glückseligkeit in Italien zurück. Es war ihr erster Urlaub seit Ewans Unfall achtzehn Monate zuvor gewesen. Seine Mutter Samantha hatte darauf beharrt, dass sie sich eine Auszeit gönnte.

Leo Valente kennenzulernen war so bittersüß gewesen. Natürlich hatte sie tief drin die ganze Zeit über gewusst, dass ihr Urlaubsabenteuer kein Happy End haben würde, trotzdem hatte sie jeden einzelnen Tag bis zur Neige ausgekostet. Sie hatte sich von der romantischen Stimmung mitreißen lassen und sich eingeredet, dass sie ja niemandem schadete.

„Im Nachhinein gesehen hast du recht“, stimmte Eliza zu. „Aber für mich war es einfach nicht mehr als ein Urlaubsflirt, ich bin nie davon ausgegangen, dass wir uns jemals wiedersehen. Das mit dem Heiratsantrag hat mich völlig überrascht. Wir waren ja noch nicht mal einen Monat zusammen.“

Wieder spiegelte sich Bitterkeit auf seinem Gesicht. „Da hattest du zu Hause wenigstens was zu lachen. Welcher Mann macht sich schon freiwillig so zum Idioten?“

Eliza stand auf und schlang ihre Arme um ihren Oberkörper. Sie trat ans Fenster und schaute auf den Rosenstrauch, der einsam und zerzaust im Vorgarten stand. Er hatte nur noch eine einzige, aus drei Blütenblättern bestehende Blüte. „Ich habe niemandem von dir erzählt“, sagte sie. „Nach meiner Rückkehr erschien mir das alles wie ein Traum.“

„Auch deinem Verlobten nicht?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

Sie drehte sich zu ihm um. „Weil er es nicht verstanden hätte.“

„Das kann ich mir denken.“ Leo schnaubte verächtlich. „Seine Verlobte sucht sich gleich an ihrem ersten Abend im Urlaub einen anderen Mann fürs Bett. Kein Wunder, dass er das nicht verstanden hätte.“

Eliza streifte ihn mit einem eisigen Blick. „Zeit zu gehen, Leo. Deine fünf Minuten sind um.“

Mit einem einzigen langen Schritt war er bei ihr. Eliza stockte der Atem, als er so unerwartet und viel zu dicht vor ihr aufragte. Sie sah, dass seine Nasenflügel bebten … als würde er ihre Witterung aufnehmen.

Und auch sie selbst nahm plötzlich seinen Duft wahr: Ein würziger Zitronenduft mit einer feinen Holznote, der ihre Sinne peinigte und eine Flut von Erinnerungen an die Oberfläche spülte. Eliza spürte, wie sich ihr Blut erhitzte. Wie sich ihre Haut straffte und zu prickeln begann. Wie ihr Inneres anfing zu pulsieren, wie ihre Lust erwachte. Ihre Körper erkannten einander, ihre Antennen nahmen Verbindung auf.

„Ich möchte dir einen Vorschlag machen“, verkündete er.

Eliza schluckte schwer. „Hoffentlich keinen Heiratsantrag“, sagte sie unangebracht flapsig.

Er lachte, aber es war kein schöner Klang. „Nein, keine Angst. Es handelt sich um ein Angebot, ein sehr lukratives, um genau zu sein.“

Ein Angebot? Eliza versuchte in seinem Gesicht zu lesen. In seinen dunklen Augen schwelte etwas Bedrohliches. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. „Ich brauche dein Geld nicht“, sagte sie in einem Anfall von trotzigem Stolz.

Er verzog süffisant den Mund. „Du vielleicht nicht, aber deine Schule offenbar schon.“

Sie gab sich größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Woher um alles in der Welt wusste er das? Die Pressekonferenz war doch erst vor zwei Stunden gewesen, Artikel waren noch keine erschienen. Hatte er eigene Nachforschungen angestellt? Und was mochte er sonst noch über sie in Erfahrung gebracht haben? Sie warf ihm einen wachsamen Blick zu. „Worum geht’s?“

„Um fünfhunderttausend Pfund.“

Sie schnappte nach Luft. „Und?“, brachte sie schließlich mühsam heraus.

Seine Augen glitzerten gefährlich. „Ich möchte, dass du den nächsten Monat mit mir in Italien verbringst.“

Eliza wurde es für einen Moment schwarz vor Augen. Sie leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen und versuchte trotz des Orkans, der in ihrem Innern tobte, die Fassung zu wahren. „In … in welcher Funktion?“

„Ich brauche eine Vertretung für mein Kindermädchen.“

Es war wie ein Dolchstoß mitten ins Herz. „Du … du bist verheiratet?“

Seine Augen glitzerten immer noch kalt und hart, der Mund war nur ein dünner Strich. „Ich war verheiratet“, präzisierte er. „Ich bin Witwer und habe eine Tochter. Sie ist drei.“

Eliza rechnete schnell nach. Er musste seine Frau kurz nach ihrer Abreise aus Italien kennengelernt haben. Das schmerzte mehr, als wenn er erst kürzlich geheiratet hätte. Leo hatte sich damals also sehr schnell getröstet, ganz anders als sie selbst. Aber was war mit seiner Frau passiert? Konnte sie es wagen zu fragen?

Eliza schaute auf seine linke Hand. „Du trägst keinen Ehering.“

„Nein.“

„Was … was ist passiert?“

Seine Augen quälten sie weiterhin mit dieser dunklen Intensität. „Mit meiner Frau?“

Eliza nickte. Wie weh das tat, diese Worte aus seinem Mund zu hören … Meine Frau. Eine Bezeichnung, die eigentlich für sie bestimmt gewesen war. Allein der Gedanke, dass er mit einer anderen Frau zusammengelebt, mit ihr Liebe gemacht hatte, war unerträglich. Dass er eine andere Frau geliebt hatte. Sie hatte gelernt, nicht daran zu denken. Es tat einfach zu weh, sich das Leben vorzustellen, das sie mit ihm hätte führen können, wenn alles anders gewesen wäre.

Wenn sie frei gewesen wäre …

„Giulia hat sich das Leben genommen.“ Sein Gesicht blieb undurchdringlich, nur in seinen Augen war ein kurzes Aufflackern von Schmerz, eine Gefühlsaufwallung, die er jedoch sofort wieder unter Kontrolle hatte.

„Oh, mein Gott! Das muss schrecklich für dich gewesen sein … muss es immer noch sein …“

„Vor allem für meine Tochter war es traumatisch“, sagte er. „Auf einmal war ihre Mutter weg, und sie verstand nicht, warum.“

Eliza konnte die tiefe Verzweiflung des Kindes sehr gut nachfühlen. Sie selbst war sieben gewesen, als ihre Mutter sie bei entfernten Verwandten abgegeben hatte, weil sie dabei war, in einer Hölle aus Alkohol und Drogen zu versinken. Erst Monate später hatte ihre Großtante ihr eröffnet, dass ihre Mutter sie nie mehr abholen würde. Man hatte sie nicht einmal mit ans Grab ihrer Mutter genommen, damit sie sich verabschieden konnte. „Weiß deine Tochter, dass ihre Mutter tot ist?“

„Alessandra ist erst drei.“

„Auch mit einer Dreijährigen kann man reden“, wandte sie ein. „Es ist sehr wichtig, ihr die Wahrheit zu sagen. Kleine Kinder verstehen mehr, als Erwachsene oft glauben.“

Er trat ans Fenster und schaute hinaus auf die Straße. Es dauerte lange, bis er wieder sprach. „Alessandra ist anders als andere Kinder.“

Eliza befeuchtete sich wieder die Lippen, die mittlerweile trocken waren wie Pergament. „Also, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ausgerechnet ich geeignet bin, dir zu helfen. Ich bin beruflich voll ausgelastet, außerdem habe ich private Verpflichtungen. Ich kann nicht einfach für vier Wochen wegfahren.“

Er drehte sich um und fixierte sie mit seinem Blick. „Wenn du dich weigerst, wirst du sehr bald keinen Job mehr haben.“

„Wie kannst du das wissen? Bis jetzt ist noch nichts davon nach außen gedrungen.“

„Ich habe meine Verbindungen.“

Er hat definitiv Nachforschungen angestellt, dachte Eliza. Mit wem hatte er gesprochen? Der Gedanke, dass er so viel über ihre Lebenssituation in Erfahrung gebracht hatte, verunsicherte sie mächtig. Was wusste er sonst noch?

„Am kommenden Wochenende beginnen die Sommerferien“, sagte er. „Du hast sechs Wochen Zeit, über die du frei verfügen kannst.“

„Ich habe schon Urlaubspläne, die will und kann ich nicht in letzter Sekunde umstoßen.“

Er hob eine dunkle Augenbraue. „Nicht mal für eine halbe Million Pfund?“

Eliza versuchte, sich so viel Geld auf einem Haufen vorzustellen, und schaffte es nicht. Geld, das ihren kleinen Schützlingen den so verzweifelt benötigten Bildungsschub bringen könnte. Trotzdem war ihr die Sache alles andere als geheuer. Was führte Leo im Schilde? Wollte er sich womöglich irgendwie an ihr rächen?

„Warum ausgerechnet ich?“

Seine Augen gaben nichts preis. „Weil du die erforderliche Qualifikation hast.“

„Ach so!“ Eliza lachte spöttisch. „Jung und weiblich, richtig?“

In seinen Augen blitzte etwas Dunkles auf. „Das ist ein großes Missverständnis, Eliza. Ich suche keine Geliebte, sondern ein Kindermädchen.“

Warum fühlte sie sich verletzt? Was für eine törichte Vorstellung, dass er nach all den Jahren zu ihr zurückgekehrt sein könnte, weil sie eine nicht zu füllende Leerstelle in seinem Herzen hinterlassen hatte!

„Schön. Aber ich sage trotzdem Nein, auch wenn dein Angebot noch so verlockend ist.“ Sie hob leicht das Kinn. Sein Blick weigerte sich, ihren loszulassen. Es war äußerst unangenehm, einer so intensiven Musterung unterzogen zu werden.

„Das meinst du nicht wirklich, ich sehe es dir an“, erwiderte er nachdenklich.

„Du irrst“, widersprach sie schneidend.

Aber er ließ sich nicht beirren und fragte: „Also, ja oder nein? Was sagst du, Eliza?“

Eliza nagte an ihrer Unterlippe. Was sollte sie tun? Das Schicksal der Schule lag in ihren Händen. Wenn sie auf seinen Vorschlag einging, würden alle Schüler – und Lehrer – davon profitieren. Vielleicht könnte sie sogar das Förderprogramm für alleinerziehende Mütter in Angriff nehmen, von dem sie schon lange träumte, ein Programm, mit dem man damals auch ihre Mutter vielleicht hätte retten können …

„Würden dir zusätzliche fünfhunderttausend Pfund bei deiner Entscheidungsfindung helfen?“

Jetzt blieb Eliza aber doch die Spucke weg. Konnte das wirklich sein, dass er ihr für einen vierwöchigen Aushilfsjob insgesamt eine Million Pfund anbot? Wer machte denn so etwas?

„Ist das … dein … Ernst?“, fragte sie stockend.

Er nickte. „Ja. Das Angebot gilt allerdings nur, wenn du hier und jetzt unterschreibst.“

Sie runzelte die Stirn. „Was denn unterschreiben?“

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, zog er ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche seines Sakkos. „Eine Verschwiegenheitsvereinbarung. Das heißt, du verpflichtest dich, mit niemandem über deine Tätigkeit bei mir zu reden, vor allem nicht mit der Presse.“

Eliza nahm das Blatt entgegen und überflog den Text, der sie gegenüber Dritten zu absolutem Stillschweigen verdonnerte unter der Androhung, andernfalls die erhaltene Summe in vollem Umfang und mit zwanzigprozentiger Verzinsung zurückzubezahlen. Sie schaute ihn wieder an. „Deine Privatsphäre scheint dir ja wirklich heilig zu sein.“

Er schwieg.

Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens straffte sie die Schultern und streckte die Hand aus. „Hast du einen Stift?“

2. KAPITEL

Leo beobachtete, wie Eliza ihre Unterschrift unter die Vereinbarung setzte. Sie hatte eine hübsche Handschrift, zierlich und geschwungen, wunderbar weiblich. Die Erinnerung daran, wie sich diese kleinen weichen Hände auf seinem Körper angefühlt hatten, elektrisierte ihn …

Als ihm bewusst wurde, dass seine Gedanken auf Abwege geraten waren, rief er sich zur Ordnung. Er würde nicht auf diese Weise an sie denken. Er brauchte dringend eine Kinderfrau. Es ging hier um eine rein geschäftliche Angelegenheit, um sonst gar nichts.

Obwohl inzwischen vier Jahre vergangen waren, war sein Groll auf sie immer noch so frisch wie am ersten Tag. Noch mehr haderte er allerdings mit sich selbst, weil er sich damals so hoffnungslos in sie verliebt hatte. Er hatte ihr seine Welt zu Füßen legen wollen, die Welt, die er sich aus eigener Kraft erschaffen hatte. Aber geblieben war am Ende nur Scham, weil er sich zum Idioten gemacht hatte.

Die Faszination war vom ersten Moment an da gewesen, als sie sich am Abend nach dem Begräbnis seines Vaters neben ihn an die Bar gesetzt hatte. Er hatte trübsinnig in sein Glas gestarrt, während von ihr eine Art rastloser Energie ausgegangen war. Als ihr Arm zufällig seinen gestreift hatte, war er sofort elektrisiert gewesen. Sie war kess und offen gewesen, unglaublich anregend und köstlich prickelnd wie Champagner. Alles Weitere auf seinem Hotelzimmer war Leidenschaft pur gewesen, eine Explosion der Sinne. Er hatte alles von ihr genommen, was er bekommen konnte … und hatte es genossen, dass sie es umgekehrt genauso hielt. Sie schienen einander an Unersättlichkeit in nichts nachzustehen.

Und dann war aus diesem One-Night-Stand eine leidenschaftliche dreiwöchige Affäre geworden, an deren Ende sein unseliger Heiratsantrag gestanden hatte. Und ihre Unaufrichtigkeit …

Leo schaute auf ihre linke Hand. Ihr Verlobungsring glitzerte ihn spöttisch an. Plötzlich waberte ein roter Nebel vor seinen Augen. Er war für sie nur ein Urlaubsabenteuer gewesen, mehr nicht. Eine Witzfigur. Und dafür hasste er sie.

Sie war schuld daran, wie sich sein Leben seither entwickelt hatte. Dieses Leben, das durch ihren Verrat völlig aus der Bahn geraten war. Es hatte einen Domino-Effekt gegeben. Ohne sie und ihre Niedertracht wäre er der armen, einsamen Giulia nie begegnet. Die Schuldgefühle, die ihn wegen Giulias Tod plagten, brachten ihn fast um. Er war der falsche Mann für sie gewesen. Und sie für ihn die falsche Frau. Zwei von der Liebe enttäuschte Verlierer … Aber das war keine Basis für eine Ehe gewesen, sondern für eine traurige Schicksalsgemeinschaft, geradezu prädestiniert dafür, tragisch zu enden.

Giulia hatte eigentlich gar kein Kind von ihm gewollt, sondern von ihrem Ex.

Er war nur ein unzureichender Ersatz gewesen, trotzdem war er fest entschlossen, seiner kleinen Tochter der beste Vater der Welt zu sein.

Die Idee, Eliza jetzt noch einmal für eine kurze Zeit in sein Leben zu holen, war der Versuch, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, und alte Gespenster zur Ruhe zu betten. Und mit diesem Teil seines Lebens endgültig abzuschließen.

Aber diesmal würde er es sein, der alle Fäden in der Hand hielt. Natürlich auf einer rein geschäftlichen Basis.

Gefühle waren tabu.

Eliza gab ihm seinen Stift zurück. „Ich kann aber erst Ende der Woche anfangen.“

Leo verstaute den Stift wieder, wobei er entschlossen ignorierte, wie warm dieser von ihren Fingern geworden war. Ebenso wie er die Begierde zu ignorieren versuchte, die ihn aus dem Hinterhalt anfiel wie eine aus einem langen Winterschlaf erwachte hungrige Bestie.

„Kein Problem“, sagte er. „Ich schicke dir am Freitag einen Wagen, der dich zum Flughafen bringt. Der Flug ist gebucht.“

Ihre blaugrünen Augen weiteten sich. „Du warst dir deiner Sache wohl sehr sicher, was?“

„Ich bekomme immer, was ich will. Kleine Hindernisse können mich nicht aufhalten.“

Sie reckte leicht das Kinn, ihre Augen glitzerten herausfordernd. „Und was ist, wenn ich mich als ein größeres Hindernis entpuppe als gedacht?“

Leo hatte bereits eine Risikoabschätzung vorgenommen. Natürlich war sein Plan nicht ganz ungefährlich, das war ihm bewusst. Aber perverserweise wollte er das sogar. Weil er sein eintöniges Leben satt hatte. Eliza repräsentierte in seinen Augen alles, woran es seinem Leben mangelte: Farbenpracht, Lebendigkeit, Leidenschaft.

Und pulsierende Energie.

Er konnte spüren, wie diese Energie jetzt wie ein Funke auf ihn übersprang. Endlich fühlte er sich wieder lebendig. Genau so war es damals gewesen. Sie sprach ihn auf einer intuitiv körperlichen Ebene an wie keine andere Frau. Er spürte die Verbindung in seinem Fleisch, in jeder Zelle. Sobald sie in seiner Nähe war, erwachte sein Körper. Das Blut pochte in seinen Adern, während sich in seinem Schritt bereits drängendes Verlangen bemerkbar machte.

Spürte sie dasselbe?

Auf den ersten Blick wirkte Eliza kühl und gelassen, aber er ertappte sie immer wieder dabei, wie sie sich auf die Unterlippe biss und seinem Blick auswich. Erinnerte sie sich daran, wie lüstern sie sich in seinen Armen gewunden hatte? An ihre Lustschreie, wenn sie in seinen Armen wieder und wieder gekommen war? Sein Fleisch kribbelte beim Gedanken an ihren kleinen heißen Körper. Bei ihren Mehrfach-Orgasmen hatte er jede Muskelkontraktion in ihrem Schoß spüren können. Ob sie auf ihren Verlobten auch so reagierte? Allein bei der Vorstellung wurde er von Wut überschwemmt. „Keine Angst, mit dir werde ich schon fertig“, knurrte er.

„Aber warum willst du ausgerechnet mich als Kindermädchen für deine Tochter?“

„Weil du kompetent bist“, gab Leo zurück. „Ungefähr vor einem Jahr bin ich zufällig auf einen Artikel über dich gestoßen. Es ging um irgendeinen Preis, den du erhalten hattest, für deine erfolgreiche Arbeit mit Kindern.“

Plötzlich wirkte sie auf der Hut. „Ich verstehe trotzdem nicht, warum ausgerechnet ich … ich meine, unsere Vorgeschichte ist nicht gerade …“

„Ich bin in einer Notlage“, fiel er ihr schroff ins Wort. „Ende August kommt mein Kindermädchen zurück. Du wirst also pünktlich zu Schuljahresbeginn wieder hier sein.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Warum ausgerechnet ich?“

Leo zuckte scheinbar beiläufig die Schultern. „Weil ich bei dir weiß, worauf ich mich einlasse“, sagte er. „Da gibt es wenigstens keine unliebsamen Überraschungen!“

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und ließ den Blick schweifen. „Wo werde ich wohnen?“

„Mit uns in meiner Villa in Positano. Aber ich werde in nächster Zeit beruflich öfter unterwegs sein, da ich im Moment an zwei Projekten gleichzeitig arbeite.“

Er reichte ihr seine Visitenkarte. „Da steht alles drauf, falls du mich erreichen willst. Ich schicke dir einen Wagen, der dich in Neapel vom Flughafen abholt.“ Nach einem Blick auf die Uhr fuhr er fort: „Ich muss los. Ich habe noch ein Meeting, bevor ich heute Abend zurückfliege.“

Sie folgte ihm zur Tür. „Verrätst du mir noch die Lieblingsfarbe deiner Tochter?“

Leo, bereits mit der Hand auf der Türklinke, erstarrte. Sehr langsam drehte er sich um. „Warum fragst du?“

„Ich wollte ihr eine Kleinigkeit mitbringen. Ich stricke für meine Schüler so kleine Schmusetiere aus Wolle. Sie freuen sich, weil ich sie extra für sie mache und immer in ihrer Lieblingsfarbe. Was hätte sie denn gern, einen Hund oder einen Bären oder vielleicht lieber ein Häschen, was meinst du? Und in welcher Farbe?“

Leo dachte an seine kleine Tochter, die zu Hause in ihrem Kinderzimmer in einem Meer aus Spielzeug aller Art fast ertrank. „Das bleibt ganz dir überlassen.“ Er atmete hörbar aus. „Sie ist nicht wählerisch.“

Eliza schaute ihm nach, wie er, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Weg hinunter zu seinem Wagen ging. Dann fiel ihr Blick auf die Visitenkarte in ihrer Hand. Es war ein anderes Design als vor vier Jahren. Diese neue Visitenkarte wirkte viel perfekter, makelloser, härter.

Genau wie der Mann selbst.

Sie hatte ihm nie gesagt, dass sie ihn liebte. Auch sonst war sie damals recht sparsam gewesen mit Informationen über sich. Ihre Leidenschaft hatte ihnen wenig Raum für Gespräche gelassen. Was ihr nur recht gewesen war. Die Körperlichkeit ihrer Beziehung war so anders gewesen als alles, was sie bisher kennengelernt hatte. Obwohl ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht ziemlich begrenzt waren, da sie außer mit Ewan noch nie mit einem Mann zusammen gewesen war. Erst Leo hatte ihre Sinnlichkeit geweckt. Noch Stunden nachdem sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte ihr Körper gesummt und geprickelt.

Was heute wahrscheinlich nicht anders wäre.

Sie holte verunsichert Atem, während sie daran dachte, wie unnachgiebig diese dunklen Augen ihren Blick festgehalten hatten. Wusste er, dass er sie immer noch ganz genauso verwirren konnte wie damals? Er hatte sie nicht berührt. Sie hatte darauf geachtet, seine Hand nicht zu streifen, als er ihr Dokument, Stift und Visitenkarte gereicht hatte. Aber sie hatte die Wärme gespürt, die seine Finger auf den Sachen hinterlassen hatten. Dabei war vor ihrem geistigen Auge ein Film abgelaufen, während sich ihr Körper an jede einzelne erregende Berührung erinnert hatte.

Von Anfang an war Leo sehr fordernd gewesen, aber sie auch.

Er hatte allein an der Bar ihres Hotels in Rom gesessen und die ganze Zeit nur trübsinnig in sein Glas gestarrt. Nachdem sie ihn eine Weile vom hinteren Teil des Raumes aus beobachtet hatte, war sie aus irgendeinem Grund übermütig geworden, vielleicht, weil es nach so langer Zeit ihr erster unbeschwerter Abend gewesen war. Außerdem war sie von dem sündhaft teuren Cocktail, den sie sich zur Feier des Tages genehmigt hatte, leicht beschwipst gewesen. Sie hatte noch nie in einer Bar einen Mann angemacht. Sie hatte überhaupt noch nie einen Mann angemacht.

Aber an diesem Abend war alles anders gewesen.

Eliza hatte sich von dem Fremden magisch angezogen gefühlt. Total fasziniert war sie gewesen. Warum war er allein? Warum hockte er eine halbe Ewigkeit vor einem einzigen Drink? Er wirkte nicht wie jemand, der unfreiwillig allein war und Gesellschaft suchte. Dafür sah er viel zu gut aus. Und zu reich. Eliza war nicht geübt darin, Designerkleidung auf Anhieb zu erkennen, doch dieser Anzug war nicht von der Stange, das war selbst für sie offensichtlich.

Als sie sich neben ihn gesetzt hatte, hatte ihr nackter Arm zufällig die feine Baumwolle seines Designerhemds gestreift. Das war gewesen, als ob sie einen Stromschlag erhalten hätte. Er hatte den Kopf gewandt und ihr in die Augen geschaut. Und schon war der nächste Stromschlag fällig gewesen. Sie hatte ihm schamlos auf den Mund geschaut, der so schön geformt war, so aufregend. Der schwarze Bartschatten auf Kinn und Wangen hatte sie so fasziniert, dass sie prompt Herzklopfen bekommen hatte. Dann war ihr Blick auf seine Hand gefallen, die neben ihrer auf der Theke lag. Sie war groß und braungebrannt, leicht behaart – eine Männerhand, stark, zupackend und kompetent. Ihre Hand hingegen war so hell und weich, die Finger im Vergleich fast zerbrechlich.

Bis heute hätte sie nicht sagen können, wer wen zuerst berührte …

Allein der Gedanke an diese erste Nacht in seinem Hotelbett jagte ihr noch heute einen köstlichen Schauer über den Rücken. Ihr Körper hatte sofort Feuer gefangen. Sie war in seinen Armen wieder und wieder gekommen. Es war die aufregendste, berauschendste Nacht ihres Lebens gewesen, eine Nacht, von der sie sich gewünscht hatte, dass sie nie enden möge. Eliza war davon ausgegangen, dass das alles war, der erste und einzige One-Night-Stand ihres Lebens, eine Erinnerung, die sie nach ihrer Rückkehr in ihr normales Leben ab und zu hervorkramen konnte. Aber dann war aus dieser einen Nacht eine dreiwöchige Liebesaffäre geworden, die sie in die denkbar größte Verwirrung gestürzt hatte. Sie wusste, dass es falsch war, ihm nichts von den tragischen Umständen ihres Lebens zu erzählen, doch mit jedem Tag war es ihr unmöglicher erschienen, ihr Schweigen zu brechen. Sie hatte die kurze Zeit, die ihnen blieb, nicht aufs Spiel setzen wollen. Deshalb hatte sie es einfach verdrängt.

Am Tag vor ihrer Abreise hatte Leo sie in ein sehr vornehmes Restaurant eingeladen. Er hatte ein Separee gebucht und ein Meer roter Rosen kommen lassen. Überall leuchteten Kerzen, es gab eisgekühlten Champagner und im Hintergrund erklang romantische Musik …

Eliza beendete ihre Zeitreise abrupt. Sie hasste es, an jenen Abend zu denken, als sie versucht hatte sich einzureden, dass Leo ihr einfach nur einen schönen Abschied bereiten wollte, als Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit. Doch dann hatte er irgendwann beim Essen einen atemberaubenden Brillantring herausgeholt. Sie war wie betäubt gewesen. Er hatte ihr ganz tief in die Augen geschaut und sie gefragt, ob sie ihn heiraten wollte.

Und sie hatte Nein gesagt.

3. KAPITEL

Als Eliza am Freitag in Neapel landete, wurde sie nicht von einem Chauffeur erwartet, sondern von Leo höchstpersönlich, der sie mit größtmöglicher Förmlichkeit begrüßte.

„Wie war dein Flug?“ Er streckte die Hand nach ihrem Koffer aus.

„Gut, danke.“ Sie schaute sich um. „Wo ist deine Tochter? Hast du sie nicht mitgebracht?“

Sein verschlossenes Gesicht verschloss sich noch mehr. „Sie fährt nicht gern Auto. Und wenn wir zurück sind, schläft sie wahrscheinlich schon. Du wirst sie morgen kennenlernen.“

Eliza folgte ihm zu seinem Wagen. Die Luft war so warm, dass es ihr vorkam, als hätte man eine dicke Decke über sie geworfen. Bei ihrer Abreise in London war es kalt und regnerisch gewesen, was ihr den Abschied definitiv erleichtert hatte.

Weil die Zeit zu knapp gewesen war, hatte sie Ewans Mutter nur telefonisch informieren können, dass sich ihre Pläne geändert hatten. Und natürlich war Samantha im ersten Moment hörbar enttäuscht gewesen.

Samantha wusste bis heute nicht, dass Eliza in der Unfallnacht die Verlobung mit ihrem Sohn gelöst und Ewan ihr Apartment in einem völlig desolaten Zustand verlassen hatte. Aber wie hätte Eliza das Samantha gegenüber auch zugeben können? Laut Unfallbericht war der Fahrer „abgelenkt“ gewesen und hatte die Kontrolle über den Wagen verloren. Eliza war ihre Schuldgefühle nie losgeworden und kam sich gegenüber Samantha wie eine Verräterin vor.

Sie war schuld, dass Ewans Leben zerstört war.

Eliza drehte an ihrem Verlobungsring, der ihr im Lauf der Jahre etwas zu weit geworden war. Es war ursprünglich Samanthas Ring gewesen, der Ring, den Ewans Vater ihr geschenkt hatte. Ewan war erst fünf gewesen, als Geoff gestorben war, und danach hatte Samantha nur noch für ihren Sohn gelebt. Eliza bewunderte ihre Loyalität und Hingabe …

Der Verkehr stadtauswärts war mörderisch. Kein Mensch schien sich an die Verkehrsregeln zu halten, falls es überhaupt welche gab. Touristenbusse, Taxis, Fahrradfahrer und Leute auf lärmenden Mofas fuhren wild hupend durcheinander, und dazwischen stürzte sich immer wieder einmal ein todesmutiger Fußgänger ins Getümmel.

Eliza schnappte entsetzt nach Luft, als direkt vor ihnen ein Moped ein Taxi schnitt. „Himmel, das war knapp!“

Leo zuckte nur ungerührt die Schultern und wechselte die Spur. „Alles Gewohnheitssache. Während der Saison ist ganz schön was los hier. Dafür ist es im Herbst und im Winter umso ruhiger.“

Anschließend machte sich ein lastendes Schweigen zwischen ihnen breit.

„Lebt deine Mutter eigentlich noch?“, erkundigte sich Eliza schließlich, nur um irgendetwas zu sagen.

„Ja.“

„Siehst du sie manchmal?“

„Eher selten.“

„Dann steht ihr euch also nicht besonders nah?“

„Nein.“

Dieses eine schroffe Wort verriet eine ganze Menge. „Das tut mir leid“, sagte sie. „Es ist traurig, wenn Eltern und Kinder so gar nichts miteinander anfangen können.“

„Es ist, wie es ist. Meine Mutter hat mich verlassen, als ich noch ganz klein war, nur weil sie sich mit ihrem neuen Lover ein schönes Leben machen wollte. Aber was ist das für eine Mutter, die ihrem kleinen Kind so etwas antut?“

Vielleicht eine verwirrte oder verletzte Mutter, eine körperlich und seelisch misshandelte oder sexuell missbrauchte Mutter, vielleicht eine drogenabhängige, überforderte Mutter, dachte Eliza traurig. Sie hatte selbst so eine Mutter gehabt. Sie hatte diese Mütter alle irgendwann kennengelernt. Sie unterrichtete ihre Kinder. Und liebte sie stellvertretend, weil diese Mütter oft nicht einmal sich selbst lieben konnten. „Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht immer leicht ist, eine Mutter zu sein. Und manchen Frauen fällt es schwerer als anderen.“

„Was ist mit dir?“ Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Willst du Kinder?“

Eliza schaute auf ihre Hände. Der Brillant auf ihrem Verlobungsring glitzerte verschwörerisch. „Ewan kann keine Kinder bekommen.“

Das nachfolgende Schweigen dröhnte in ihren Ohren.

„Puh! Das muss hart für dich sein“, meinte er schließlich. „Du liebst ja offensichtlich Kinder.“

„Tja, so ist eben das Leben“, gab sie mit einem resignierten Schulterzucken zurück.

„Wollt ihr es nicht vielleicht mit künstlicher Befruchtung versuchen? Schon mal drüber nachgedacht?“

„Das ist keine Option.“

„Warum bleibst du bei ihm, wenn er dir nicht geben kann, wonach du dich sehnst?“

„Ich fühle mich an ihn gebunden.“ Sie verflocht ihre Finger so fest miteinander, dass ihr der Brillant tief ins Fleisch schnitt. „Ich kann nicht einfach weglaufen, nur weil irgendetwas nicht so ist, wie ich es mir wünsche. Im Leben klappt eben nicht immer alles. Man muss lernen, das Beste daraus zu machen.“

Er schaute sie wieder an. „Du wirkst aber nicht unbedingt so, als ob dir das gut gelingen würde.“

„Wie kommst du darauf? Du weißt doch gar nichts von mir.“

„Auf jeden Fall weiß ich, dass du nicht verliebt bist.“

Eliza warf ihm einen abwehrenden Blick zu. „Hast du deine Frau geliebt?“

Sein Mundwinkel zuckte ganz leicht, und sie sah, dass seine Hände das Lenkrad fester umschlossen. „Nein. Aber sie mich auch nicht.“

„Und warum habt ihr dann geheiratet?“

„Weil Giulia schwanger war.“

„Und du hast Verantwortung übernommen“, vermutete Eliza. „Das machen heutzutage nicht viele Männer.“

Leos Fingerknöchel waren ganz weiß geworden. Als er es sah, zwang er sich, seinen Griff um das Lenkrad zu lockern. „Es ist passiert, obwohl ich ein Kondom benutzt habe. Und zwar nicht ganz zufällig, wie Giulia mir später gestand. Ich habe mich meiner Verantwortung trotzdem gestellt und sie geheiratet, um sicherzustellen, dass meine Tochter in geordneten Verhältnissen aufwächst.“

„Das muss für dich eine problematische Beziehung gewesen sein.“

Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Ich liebe meine Tochter über alles. Natürlich war ich nicht glücklich darüber, dass Giulia mich so hintergangen hat, aber das heißt nicht, dass ich Alessandra deswegen weniger liebe.“

„Das habe ich auch nicht behauptet …“

„Ich hätte Giulia auch geheiratet, wenn Alessandra nicht von mir gewesen wäre.“

„Tatsächlich? Warum denn das?“, fragte sie entgeistert. „Du sagst doch, dass du sie nicht geliebt hast.“

„Wir standen beide an einem entscheidenden Punkt in unserem Leben. Der Mann, den sie heiraten wollte, wollte sie nicht.“ Er verzog humorlos den Mund. „Man könnte sagen, dass wir einige wichtige Gemeinsamkeiten hatten.“

Eliza runzelte die Stirn. „So eine Art Notgemeinschaft?“

Er warf ihr aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte. „Eine Vernunftehe kann auch funktionieren, manchmal funktioniert sie sogar besser. Und bei uns hätte es ja vielleicht auch geklappt, wenn Giulia nicht nach der Geburt eine Kindbett-Depression bekommen hätte.“

Eliza hatte eine ganze Reihe von Müttern kennengelernt, die unfähig waren, eine Verbindung zu ihren Kindern herzustellen. Daraus entsprangen oft quälende Schuldgefühle und Versagensängste. Es war ein grausamer Kreislauf, aus dem es manchmal kein Entkommen gab. „Das tut mir leid … es muss für dich eine sehr schwierige Situation gewesen sein.“

Der bittere Zug um Leos Mund zeigte sich jetzt noch deutlicher. „Ja, das stimmt.“

Anschließend verfiel er wieder in brütendes Schweigen. Eliza lehnte sich zurück und schaute auf die malerische Landschaft, während sie an der Amalfiküste entlang in Richtung Positano fuhren. Aber sie musste immer wieder an seine Vernunftehe denken, die Gründe dafür und an das tragische Ende. Und jetzt war er mit einem kleinen Kind allein. Würde er sich nach einer anderen Frau umsehen, die seinem kleinen Mädchen eine gute Mutter sein konnte? Bestimmt. Und mit seinem vielen Geld hatte er die freie Auswahl …

Erst als das Auto anhielt, merkte Eliza, dass sie eingenickt war. Sie riss die Augen auf und setzte sich aufrecht hin. Der Wagen stand auf dem Vorplatz einer großen Villa, die gefährlich nah am Rand einer steilen Klippe balancierte, unter der sich das klare aquamarinblaue Meer ausbreitete. „Dann bist du also umgezogen. Dieses Anwesen hier ist bestimmt dreimal so groß wie das alte“, bemerkte sie.

Leo öffnete ihr die Wagentür. „Ich brauchte Veränderung.“

Sie fragte sich, ob in seinem alten Haus vielleicht zu viele Erinnerungen an die gemeinsamen Wochen mit ihr gelauert hatten. Sie hatten sich praktisch in jedem Raum geliebt, sogar im Swimmingpool. War er der Erinnerung daran nicht entkommen? Es war eine kleine, entzückend altmodische, sonnendflutete Villa gewesen, die sich an einen Berghang schmiegte, so abgeschieden gelegen, dass sie fast immer allein gewesen waren. Selbst die Haushälterin war nur einmal in der Woche da gewesen.

Ein Anwesen wie dieses hier benötigte Heerscharen von Angestellten, die es in Schuss hielten. Auf ihrem Weg zum Vordereingang erhaschte Eliza einen flüchtigen Blick auf einen riesigen Swimmingpool inmitten einer blühenden Parklandschaft mit sattgrünem Rasen. An einer Steinmauer rankte sich scharlachrote Bougainvillea empor, und es duftete nach Zitronenblüten und sonnenwarmem Rosmarin. Auf dem Kopfsteinpflaster im Hof standen überall große Zinkwannen mit herrlich bunt blühenden Blumen.

Noch bevor sie am Haus angelangt waren, kam ihnen eine Frau entgegen und begrüßte sie auf Italienisch.

„Auf Englisch, bitte, Marella“, sagte Leo. „Miss Lincoln spricht kein Italienisch.“

„Nur ein paar Brocken“, warf Eliza ein. „Vor zwei Jahren hatte ich mal einen Schüler mit italienischen Wurzeln. Da hat sich das so ergeben.“

„Es ist mir sogar lieber, wenn du mit meiner Tochter Englisch sprichst“, erklärte er. „So kann sie ihre Sprachkenntnisse verbessern. Aber jetzt wird dir Marella erst mal dein Zimmer zeigen. Wir sehen uns später beim Abendessen.“

Eliza schaute ihm mit gerunzelter Stirn nach, wie er eilig die Eingangshalle durchquerte.

„Der arme Mann. Er hat es wirklich nicht leicht“, sagte Marella leise aufseufzend. „Er arbeitet zu viel, und dann muss er sich immer noch Sorgen um seine kleine Tochter machen. Er kommt nie zur Ruhe. Seine Frau …“ Sie warf die Hände in die Luft. „Mamma mia! Was für eine Tragödie.“

„Es muss eine sehr schwierige Zeit für ihn sein“, sagte Eliza.

„Allerdings“, bestätigte Marella. „Die Kleine braucht dringend eine Mutter, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Signor Valente noch einmal heiratet.“

„Oh, wenn er die richtige Frau findet, bestimmt.“

Marella schüttelte wieder den Kopf. „Und wie sollte die sein? Das mit Alessandra ist nicht so leicht, glauben Sie mir. Es gibt einfach zu viele Probleme.“

„Ich bin mir sicher, dass Alessandra nur Zeit braucht, um den Verlust ihrer Mutter zu verkraften“, wandte Eliza ein. „Das ist ein grausamer Schlag für ein kleines Kind, aber sie wird darüber hinwegkommen. Sie benötigt jetzt einfach nur viel Geduld und Verständnis.“

„Das arme kleine Mädchen!“ Marella betupfte sich mit einem Schürzenzipfel die Augen. „Aber kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer. Giuseppe kümmert sich um das Gepäck.“

Als Eliza der Haushälterin nach oben folgte, sah sie überall wertvolle Kunstwerke, nicht nur in Gestalt von Gemälden. Auf allen Ebenen der vierstöckigen Villa waren Skulpturen und andere künstlerische Gebilde verteilt wie in einem Museum. Der glänzende Marmorboden war mit wertvollen Perserteppichen geschmückt, und durch die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster fielen lange Säulen aus Licht ins Innere der Villa.

„So, da wären wir“, sagte Marella, nachdem sie eine Tür geöffnet hatte. „Soll ich Ihre Sachen auspacken?“

„Nein danke, das mache ich selbst.“

„Gut, dann lasse ich Sie jetzt allein. Abendessen ist um halb neun.“

„Wo ist das Kinderzimmer?“, erkundigte sich Eliza.

Marella deutete auf eine Tür, ein Stück weiter den Flur hinunter. „Da hinten. Alessandra schläft jetzt bestimmt schon, sonst würde ich Sie zu ihr bringen. Die Vertretung, Laura, ist bis morgen im Dienst, Sie brauchen sich heute also um nichts mehr zu kümmern.“

Nachdem sich die Haushälterin zum Gehen gewandt hatte, betrat Eliza ihr Zimmer. Der Teppich war so dick, dass sie fast bis zu den Knöcheln darin versank. An der hohen Decke hing ein kunstvoll verzierter Kronleuchter, der von passenden Wandleuchten ergänzt wurde. Die Wände waren taubenblau, mit einer zart goldenen Umrandung. Die Möbel waren alle antik, einige schienen fast älter als die Villa selbst. Es gab ein breites Doppelbett mit einem Kopfteil aus dunkelblauem Samt, an dem taubenblau bezogene Kopfkissen lehnten. Die hohen Fenster, die sich zum Garten und zu den Zitronen- und Olivenhainen in der Ferne hin öffneten, waren mit dunkelblauen Samtportieren drapiert.

Nachdem Eliza sich geduscht und umgezogen hatte, blieb ihr bis zum Abendessen immer noch eine halbe Stunde, die sie nutzen wollte, um etwas mehr über Alessandras Alltag in Erfahrung zu bringen. Als sie sich auf die Suche nach dem Kindermädchen machte, sah sie, dass die Tür zum Kinderzimmer nur angelehnt war, während im Bad gegenüber das Wasser rauschte. Kurzentschlossen betrat Eliza das Kinderzimmer.

Die Kleine schlief tief und fest in ihrem Gitterbett, ein schwarzhaariger Engel mit Alabasterhaut und langen schwarzen Wimpern, die wie winzige Fächer auf ihren Wangenknochen ruhten. Ihr Rosenknospen-Mund war leicht geöffnet, während sie ruhig ein- und ausatmete. Sie wirkte klein und zart für ihr Alter, fast zerbrechlich. Eliza streckte die Hand aus, um ihr mit einem Finger behutsam eine Locke aus der Stirn zu streichen. Dabei wurde sie von einer Welle mütterlicher Sehnsucht überschwemmt.

Das hätte ihr Kind sein können.

Der niederschmetternde Gedanke, dass sie nie ein eigenes Kind haben würde, verfolgte sie seit Jahren. Dabei hatte sie sich zeitlebens nach nichts mehr gesehnt als nach einer Familie.

Jetzt regte sich die Kleine und fragte ängstlich: „Mamma?“

Der klagende Tonfall ging Eliza zu Herzen. „Schsch, Alessandra, alles ist gut“, flüsterte sie und strich dem Kind über den seidigen Kopf. „Schlaf schön weiter.“

Alessandra tastete, immer noch mit geschlossenen Augen, nach Elizas Hand und umklammerte zwei Finger. Nach und nach wurde sie ruhiger, und schließlich entspannte sie sich mit einem Aufseufzen.

Als Eliza an der Tür ein Geräusch hörte, wandte sie den Kopf. Ihr Blick fiel auf Leo, der sie mit versteinertem Gesicht beobachtete. „Wo ist Laura?“, fragte er.

„Ich glaube im Bad. Ich bin nur zufällig vorbeigekommen …“

„Du übernimmst erst morgen.“

Eliza war es gleichgültig, für etwas getadelt zu werden, das ihr wie das Normalste von der Welt erschien. Sie hob das Kinn. „Deine Tochter hat nach ihrer Mutter gerufen. Ich habe sie nur beruhigt.“

In seinen Augen blitzte ein schmerzlicher Ausdruck auf. „Es gibt Abendessen.“ Er hielt ihr die Tür auf.

„Sie sieht dir sehr ähnlich.“ Die Worte waren ihr ungewollt entschlüpft.

„Ja.“ Sein Gesicht verriet nichts, aber seine innere Anspannung war deutlich zu spüren.

Eliza schluckte verzweifelt gegen die Reue an, die sie plötzlich fast zu überwältigen drohte. Warum musste das Leben so sein?

„Mamma?“

Eliza schaute wieder in das Kinderbett, wo sich Alessandra jetzt halb aufgerichtet hatte und mit ihren kleinen Händen die Gitterstäbe umklammerte. „Ich will zu meiner mamma“, wimmerte sie herzzerreißend, während sie sich mit einer kleinen Faust ein Auge rieb.

Eliza ging zurück, hob die Kleine aus ihrem Bett und drückte sie an ihre Brust. „Ich bin nicht deine Mutter, aber ich bin gekommen, um mich eine Weile um dich zu kümmern“, sagte sie, während sie dem Kind beruhigend den Rücken streichelte.

Alessandra wand sich in ihren Armen. „Ich will aber Kathleen.“

„Kathleen musste zu ihrer Familie fahren, sie kommt bald wieder“, erklärte Eliza.

„Wo ist mein papà?“, fragte Alessandra.

„Ich bin hier, Süße“, sagte Leo sanft, während er seiner Tochter fürsorglich die Hand auf den Kopf legte.

Eliza erschauerte, so nah stand er bei ihr. Sie konnte sein nach Zitrone duftendes Aftershave riechen und sogar den Duft des Weichspülers, der in den Fasern seines Hemds haftete. Prompt gerieten ihre Sinne in Aufruhr. Mit der linken Schulter streifte sie die harte Wand seines Brustkorbs. Plötzlich verspürte sie den heftigen Wunsch, sich gegen seinen starken Körper zu lehnen. Es war so lange her, seit jemand sie gehalten hatte …

„Mein Bett ist nass“, flüsterte Alessandra zutiefst beschämt.

Eliza konnte die Feuchtigkeit spüren, die durch den Schlafanzug des Kindes sickerte. Sie schaute auf Leo, der ihr einen bedauernden Blick zuwarf. „Sie weigert sich, nachts Windeln zu tragen“, erklärte er.

„Ich will keine Windeln“, nuschelte Alessandra, immer noch mit geschlossenen Augen und zog einen Schmollmund. „Ich bin schon groß.“

„Ganz bestimmt“, bestätigte Eliza. „Aber auch ein großes Mädchen braucht manchmal eine kleine Hilfe, vor allem nachts. Was hältst du denn von Pull-ups? Vielleicht kannst du die ja noch eine Weile tragen, sie sind auf jeden Fall viel erwachsener. Ich habe kürzlich welche mit süßen rosa Kätzchen drauf gesehen. Wenn du welche willst, sag mir einfach Bescheid, dann besorge ich sie dir.“

Statt einer Antwort begann Alessandra am Daumen zu nuckeln.

„Bevor du wieder einschläfst, ziehen wir dich aber schnell noch um, ja?“, sagte Eliza, während sie das kleine Mädchen zum Wickeltisch trug. „Was möchtest du anziehen, einen rosa Schlafanzug oder einen blauen?“

„Ich kenne keine Farben“, gab Alessandra, immer noch mit dem Daumen im Mund, zurück.

„Nun, das können wir ja vielleicht ändern, solange ich hier bin“, schlug Eliza vor.

„Das wäre nur Zeitverschwendung“, mischte sich Leo ein.

Eliza warf ihm einen unwilligen Blick zu. Wusste er nicht, was für verheerende Folgen es haben konnte, wenn man Kinder entmutigte? „Pardon?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Meine Tochter wird nie etwas über Farben lernen.“

„Was ist denn das für ein Unsinn“, gab sie aufrichtig empört zurück. „Wie kannst du so etwas sagen?“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Weil sie blind ist.“

4. KAPITEL

Eliza stockte vor Entsetzen der Atem.

Blind?

Ihr Herz begann zu hämmern.

Alessandra war blind?

Ihre Gefühle wirbelten wild durcheinander. Was für ein unvorstellbar tragisches Schicksal für ein Kind, nicht nur die Mutter verloren zu haben, sondern auch noch blind zu sein. Es war so grausam, völlig unerträglich, sich vorzustellen, dass Leos kleines Mädchen die Welt um sich herum nicht sehen konnte, nicht einmal die Gesichter der Menschen, die sie liebte.

Und wie niederschmetternd für ihn als Vater! Allein die Vorstellung, mit was für Hürden seine Tochter im Lauf ihres Lebens konfrontiert sein würde. Sie würde nie wie ihre sehenden Altersgenossen sein, und die Schönheit der Welt würde ihr verborgen bleiben. Es war so traurig, so tragisch, dass es Eliza das Herz zerriss, wenn sie an Leo dachte. Und an Alessandra, für die nie die Sonne aufging. „Es tut mir leid … ich wusste nicht …“

„Erzählst du mir eine Geschichte?“, meldete sich Alessandra vom Wickeltisch aus.

„Mit größtem Vergnügen“, sagte Eliza. „Aber danach musst du weiterschlafen.“ Du lieber Himmel, woher wusste die Kleine überhaupt, welche Tageszeit war, wenn sie ständig nur von Dunkelheit umgeben war?

In diesem Moment kam Laura herein, das Mädchen von der Agentur. „Oh, tut mir leid“, sagte sie verlegen. „Ist Alessandra aufgewacht? Ich dachte, sie hat alles für die Nacht.“

„Sie hat das Bett nass gemacht, es muss frisch bezogen werden“, sagte Leo schroff.

„Ja, sofort.“ Laura machte sich gleich ans Werk.

Eliza steckte Alessandra derweil in einen frischen Schlafanzug und nahm sie dann wieder auf den Arm. „So, und jetzt noch die Geschichte. Ich glaube, ich habe genau das Richtige für dich.“ Das Bett war inzwischen frisch bezogen, und Eliza legte die Kleine hinein. „Magst du Hunde?“

„Au ja! Ich wünsche mir schon so lange einen Hund, aber papà erlaubt es nicht“, beklagte sich Alessandra. „Er sagt, ich muss warten, bis ich größer bin, aber ich will nicht warten. Ich will jetzt einen Hund.“

„Ich bin mir sicher, dass dein papà nur dein Bestes möchte“, sagte Eliza. „Aber jetzt sei still, damit ich meine Geschichte erzählen kann.“

„Wo ist Kathleen? Warum ist sie nicht da? Ich will Kathleen! Sie soll sofort herkommen!“, jammerte Alessandra. Dabei sprang sie wieder auf und stampfte zornig mit einem kleinen Fuß auf.

„Ich habe dir gesagt, dass sie nach Hause zu ihrer Familie fahren musste“, warf Leo ein.

„Aber ich will, dass sie hier bei mir ist!“ Jetzt begann Alessandra zu weinen.

„Kathleen wird den ganzen Monat weg sein“, erklärte Eliza geduldig. „Vielleicht kann sie dich ja ab und zu mal anrufen. Ich könnte mir vorstellen, dass das eine gute Idee ist. Dein papà kann sie bitten.“

„Vermisst sie mich?“

„Ich denke schon“, sagte Eliza. „Aber jetzt leg dich endlich hin, sonst wird das heute nichts mehr mit unserer Gesichte.“

„Wie lange bleibst du hier?“, wollte Alessandra wissen.

Eliza schaute auf Leo, dessen Gesicht wie versteinert wirkte. „Das ist im Moment nicht so wichtig“, sagte sie. „Jetzt wollen wir erst mal zusehen, dass du wieder einschläfst. Also: Es war einmal ein kleiner Hund, der wollte immer nur jagen …“

„Schläft sie?“, fragte Leo, als Eliza eine Weile später nach unten kam.

„Ja.“ Sie gesellte sich zu ihm ans Fenster und schaute ihn fragend an. „Warum um alles in der Welt hast du es mir nicht erzählt?“

„Ich habe es dir erzählt.“

„Ich meine von Anfang an.“

„Mein Fehler, ich weiß.“ Er zuckte die breiten Schultern, bevor er einen Schluck aus seinem Glas trank.

Eliza warf ihm einen finsteren Blick zu. „Du hättest es mir gleich erzählen müssen.“

„Wärst du dann jetzt nicht hier?“

„Doch, aber ich weiß ganz gern, was auf mich zukommt. Ich hätte mich besser darauf einstellen können.“

„Nun, man bekommt eben im Leben nicht immer die Chance, sich auf alles einzustellen.“

Was du nicht sagst, dachte Eliza. „Alessandra ist ein reizendes Kind, aber offenbar auch ganz schön dickköpfig.“

Er lächelte spröde. „Heißt das, dass ich ein schlechter Vater bin?“

„Natürlich nicht. Es ist offensichtlich, dass du sie liebst. Es scheint nur, als ob sie ständig versucht, alle Menschen in ihrem Umfeld zu kontrollieren. Das ist schrecklich anstrengend für ein Kind. Sie muss wissen, wer im Zweifel das letzte Wort hat. Und das gilt für ein behindertes Kind umso mehr. Wie lange ist sie schon …“

„Seit ihrer Geburt.“

Eliza spürte, wie sich erneut ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. „Das muss für dich und deine Frau ein entsetzlicher Schlag gewesen sein.“ Wie sie es hasste, diese Worte zu sagen … deine Frau.

„Ja, das war es. Giulia hat sich nie davon erholt. Sie war zerfressen von Schuldgefühlen.“

„Offenbar macht sich jede Mutter Vorwürfe, ganz egal, warum.“

„Giulia war fest überzeugt, dass sie bestraft wurde, weil sie absichtlich schwanger geworden war.“

„Hast du ihr Vorwürfe gemacht?“, fragte Eliza.

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Natürlich nicht. Niemand ist schuld. Alessandra kam zu früh. Solche Kinder leiden manchmal an einer Störung der Gefäßentwicklung der Augen.“

„Und es ist unheilbar? In der Medizin gibt es ständig Fortschritte. Es muss doch irgendetwas geben, was man für sie tun kann.“

„Nein, in Alessandras speziellem Fall kann man leider gar nichts tun. Sie kann leidlich zwischen Hell und Dunkel unterscheiden. Aber sie wird nie sehen können.“

Eliza hörte den Schmerz, der in seiner Stimme mitschwang. Kein Wunder, dass seine Schläfen grau geworden waren und sich um seinen Mund ein bitterer Zug eingegraben hatte. Derartige Schicksalsschläge überlebte niemand, ohne an Leib und Seele Schaden zu nehmen.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut. Es muss hart für dich sein.“

„Ich will nur das Beste für meine Tochter.“ Seine Miene war starr vor Entschlossenheit. „Ich würde alles, aber auch wirklich alles dafür geben, dass sie ein glückliches, erfülltes Leben führen kann.“

„Was erhoffst du dir von mir? Was glaubst du, was ich für sie tun kann?“ Ziemlich wenig, antwortete sie sich selbst in Gedanken. Weil das, was Alessandra am dringendsten brauchte, eine Mutter war.

„Du bist eine gute Lehrerin und hast Erfahrung mit kleinen Kindern.“

„Ich habe noch nie mit einem blinden Kind gearbeitet“, gab Eliza zu bedenken.

„Ich bin sicher, dass du aus deiner Zeit mit ihr das Beste machst“, beharrte er. „Du bekommst nicht umsonst ein Spitzengehalt.“

Sie runzelte die Stirn. „Es geht mir nicht um Geld.“

Er hob spöttisch eine Augenbraue. „Ach was.“

„Natürlich...

Autor

Melanie Milburne
<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
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Charlene Sands
<p>Alles begann damit, dass der Vater von Charlene Sands, ihr als Kind die schönsten, brillantesten und fantastischsten Geschichten erzählte. Er erfand Geschichten von plündernden Piraten, mächtigen Königen und Sagen von Helden und Rittern. In diesen Erzählungen war Charlene immer die Prinzessin, Königin oder Heldin um die gekämpft oder die gerettet...
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India Grey
<p>India Grey liebte schon als kleines Mädchen romantische Liebesgeschichten. Mit 13 Jahren schrieb sie deshalb das erste Mal an den englischen Verlag Mills &amp; Boon, um die Writer's Guidelines anzufordern. Wie einen Schatz hütete sie diese in den nächsten zehn Jahren, begann zu studieren … und nahm sich jedes Jahr...
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