Julia Jubiläum Band 9

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SÜSSER ZAUBER DES ORIENTS von ANNE MATHER
Eine hinreißende Blondine in seinem Männercamp? Das gibt Probleme, fürchtet Jason, der Ölbohrungen in der Wüste von Al Shamar leitet. Als sie gemeinsam in einer paradiesischen Oase stranden, kostet es ihn seine ganze Beherrschung, der Versuchung unter dem samtblauen Nachthimmel zu widerstehen!

AN EINEM HEISSEN SOMMERTAG von CAROLE MORTIMER
Einfach atemberaubend, dieser italienische Graf – Suzanne verliebt sich Hals über Kopf in Cesare Martino. Er verkörpert alles, was sie sich von einem Mann erträumt. Aber Cesare hat sich geschworen, niemals eine Engländerin zu heiraten …

ICH MACHE DEINE TRÄUME WAHR von BETTY NEELS
Silbernes Mondlicht spiegelt sich in malerischen Grachten. Sanft küsst sie der umwerfende Vincent. Nächte in Amsterdam können so romantisch sein. Immer stärker fühlt sich Cressida zu Vincent hingezogen – obwohl er bald heiraten wird. Bleibt das Glück für Cressida ein Traum?


  • Erscheinungstag 07.02.2023
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520034
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Mather, Carole Mortimer, Betty Neels

JULIA JUBILÄUM BAND 9

1. KAPITEL

Scheich Abi Ben Abdul Mohammed hatte es sich auf den dicken, mit Seide bezogenen Polsterkissen bequem gemacht und nahm sich eine Handvoll Weintrauben. Er schien nicht zu spüren, wie stickig die Luft war, jedenfalls machte er keine Anstalten, die Klimaanlage einschalten zu lassen. In dem Empfangsraum mit den edlen Wandteppichen und der reich verzierten Decke war es unerträglich heiß, wie Jason Wilde fand. Die Säulen waren mit Lapislazuli verziert, und den Fußboden schmückten leuchtend blaue Mosaiken. Doch das alles konnte ihn nicht beeindrucken; zu sehr litt er unter den schweren exotischen Düften, denen er sich ausgesetzt fühlte. Sein krampfhaftes Bemühen, die Beherrschung nicht zu verlieren, machte alles noch schlimmer und verstärkte sein Unbehagen. Er glaubte zu ersticken, seine Haut war ganz feucht, und das Hemd klebte ihm am Rücken.

„Hören Sie, Scheich Mohammed“, erklärte er angespannt, „wir müssen endlich zu einem Ergebnis kommen, das wissen Sie genauso gut wie ich.“

Der Scheich warf ihm einen beinah mitleidigen Blick zu, ehe er kühl antwortete: „Es liegt nur an Ihnen, Mr. Wilde. Dass die Arbeiten ins Stocken geraten sind, haben letztlich Sie zu verantworten. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie auf unsere Forderungen eingehen oder nicht. Immerhin haben Sie und Ihre Gesellschaft mehr zu verlieren als wir“, bemerkte er leicht abfällig.

Jason hätte ihn am liebsten aus den Kissen hochgezogen und ihn geschüttelt. Was wäre das für ein Spaß! Der Mann kam ihm vor wie eine falsche Schlange. Immer wieder stiftete er Unruhe unter den einheimischen Arbeitern, sodass sie völlig verunsichert waren. Sie wussten nicht mehr, was sie denken und wem sie glauben sollten.

Aber er durfte den Scheich natürlich nicht noch mehr erzürnen. Egal, wie sehr er sich wünschte, seinem Ärger Luft zu machen, Jason hatte nicht vergessen, dass er der Repräsentant der Inter-Anglia Oil war und Scheich Mohammed der Herrscher des kleinen Landes Al Shamar.

Deshalb entgegnete Jason genauso kühl: „Trotzdem wäre es geradezu lächerlich, wenn ich eine Entscheidung treffen würde, ohne genau zu wissen, was Sie wirklich wollen.“

Der Scheich nahm sich viel Zeit mit der Antwort, und Jason war klar, dass er ihn ärgern wollte.

„Mr. Wilde, Sie wissen sehr gut, was ich will. Meine Leute sollen fair behandelt und nicht schlechter bezahlt werden als Ihre. Momentan merke ich davon leider nichts. Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass Sie und Ihr Team Gäste in meinem Land und nur so lange willkommen sind, wie Sie sich uns gegenüber anständig verhalten und zu einer guten Zusammenarbeit bereit sind.“

Jason schob die Hände in die Taschen seiner Baumwollhose und hielt seinen Zorn nur mit Mühe unter Kontrolle. „Ohne unser Know-how und unsere Erfahrung könnten Sie ein so ehrgeiziges Projekt gar nicht so schnell verwirklichen“, stellte er ausdruckslos fest.

„Da stimme ich Ihnen zu, es würde nicht so schnell gehen wie unter Ihrer Leitung“, gab der Scheich ihm schulterzuckend recht. „Aber Sie sind auf unseren guten Willen angewiesen, denn die Erdölvorkommen, die Sie fördern und an denen Sie gut verdienen wollen, befinden sich auf unserem Territorium. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass es noch andere internationale Unternehmen gibt, die größtes Interesse an der Förderung signalisiert haben.“

Jason seufzte. Der Scheich war durch keine Argumente zu beeindrucken und brachte die Verhandlungen durch solche Bemerkungen ins Stocken. Es blieb Jason nichts anderes übrig, als zu warten, bis sein Gesprächspartner bereit war, seine Forderungen zu präzisieren.

Die unnötige Verzögerung stellte jedoch seine Geduld auf eine harte Probe. Es fiel ihm immer schwerer, die Hitze und die schlechte Luft in dem prunkvollen Palast des Scheichs zu ertragen. Er wünschte, dieser eigensinnige, selbstherrliche Mann wäre etwas flexibler und berechenbarer. Er legte ihnen immer wieder Steine in den Weg, so als hätten sie nicht schon mit genug Schwierigkeiten zu kämpfen.

„Mr. Wilde, verraten Sie mir doch, was einen Mann wie Sie dazu bringt, hier zu arbeiten“, wechselte der Scheich unvermittelt das Thema. „Sie scheinen mir nicht der Mensch zu sein, der die eigene Bequemlichkeit und den gewohnten Lebensstil ohne zwingende Gründe aufgibt.“

Wieder konnte Jason seinen Ärger nur mühsam im Zaum halten. Eigentlich war es typisch für den Scheich, solche Fragen zu stellen. Er hatte ein geradezu unheilvolles Interesse daran, die Menschen, mit denen er es zu tun hatte, genau unter die Lupe zu nehmen. Er fragte sie nach Strich und Faden aus und gab nicht eher Ruhe, bis seine Neugier befriedigt war.

„Sie irren sich, Scheich Mohammed, das ist nicht mein erster Einsatz in einem Land des Mittleren Ostens“, erwiderte Jason. „Als Mitarbeiter einer internationalen Mineralölgesellschaft muss man flexibel und bereit sein, überall in der Welt zurechtzukommen.“

„Ja, das stimmt natürlich. Aber aus zuverlässiger Quelle habe ich erfahren, dass man Ihnen einen Sitz im Aufsichtsrat angeboten hat, den Sie jedoch abgelehnt haben.“

Woher der Mann seine Informationen hatte, war Jason rätselhaft. Dass er den Aufsichtsratsposten ausgeschlagen hatte, war in seinem Freundes- und Bekanntenkreis auf Unverständnis gestoßen. Aus persönlichen Gründen hatte er jedoch England eine Zeit lang den Rücken kehren wollen. Außerdem hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Sir Harold Mannering, der sein direkter Vorgesetzter und zugleich sein Freund und Gönner war, ihm versichert, er könne es sich in Ruhe überlegen, der Posten würde vorerst für ihn frei gehalten.

„Sie sind wirklich gut unterrichtet.“ Jason wanderte betont langsam und so gelassen im Raum umher, als wäre es ihm völlig gleichgültig, dass er seine kostbare Zeit mit solchen Lappalien verschwenden musste. Schließlich nahm er eine kleine Bronzestatue in die Hand und betrachtete sie interessiert.

Nachdenklich beobachtete der Scheich ihn. Es störte ihn, dass sich dieser Mann so ungeniert benahm, als wäre er hier zu Hause.

„Okay, um auf das Thema zurückzukommen“, begann er schließlich und gab einem seiner Mitarbeiter mit einer Handbewegung zu verstehen, ihm noch etwas zu trinken zu bringen. „Auch wenn Sie mich für unhöflich halten, muss ich noch einmal betonen, dass meine Leute nicht anständig bezahlt werden und Sklavenarbeit leisten müssen.“

Jason wirbelte herum. Die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hielt er jedoch zurück, als er merkte, dass der Scheich ihn nur provozieren wollte. „Reden Sie weiter“, forderte er ihn ruhig auf.

„Eine Lohnerhöhung würde Ihre Gesellschaft bestimmt nicht in den Ruin treiben. Die amerikanischen und britischen Ölmultis haben an der Erdölförderung in den ärmeren Ländern unserer Erde schon so viel verdient, dass man es als skrupellose Ausbeutung bezeichnen kann. Die Menschen in meinem Land haben einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard als die Amerikaner oder Europäer.“

Dagegen gab es alles Mögliche einzuwenden. Immerhin würde sich dank der geplanten Ölförderung die Infrastruktur des Landes verbessern, und es würden Arbeitsplätze geschaffen, was automatisch einen höheren Lebensstandard mit sich brachte. Die Modernisierung würde fortschreiten, und neue Straßen würden gebaut werden. Das alles behielt Jason jedoch für sich. Mit dem Scheich zu diskutieren brachte sowieso nichts als Ärger und schadete letztlich der Sache.

„Was sagen Sie dazu, Mr. Wilde?“, fragte der Mann sichtlich verärgert, als Jason beharrlich schwieg. „Können wir uns darüber nicht wie vernünftige Menschen unterhalten?“

„Mit mir kann man sich immer vernünftig unterhalten“, entgegnete Jason spöttisch. „Okay, ich habe mit London geredet, und man ist bereit, die Löhne um drei Prozent zu erhöhen.“

Der Scheich verzog die Lippen. „Unter fünf Prozent geht gar nichts“, gab er scharf zurück.

Jason zuckte mit den Schultern. „Drei Prozent, mehr ist nicht drin.“

Während der Scheich sich die Nase rieb, glitzerten und funkelten die kostbaren Ringe an seiner Hand. Dann winkte er einen seiner Angestellten herbei und forderte ihn auf, den zuständigen Minister herbeizuzitieren, um die Vereinbarung schriftlich festzulegen.

Meine Güte, wie lange soll sich das Ganze noch hinziehen?, überlegte Jason ungeduldig und warf einen Blick auf seine Uhr. Es war später Nachmittag, und bei seiner Rückkehr ins Camp würden seine Leute schon zu Abend essen. Mit anderen Worten, er hatte einen ganzen Tag verloren.

Der Gedanke an seinen komfortabel ausgestatteten Bungalow mit der Klimaanlage besserte seine Laune augenblicklich. Es war nicht seine Schuld, dass es Verzögerungen gab, und die indirekt geäußerten Vorwürfe seitens des Londoner Managements konnte er leicht entkräften.

Nachdem sich Krashki, der engste Vertraute des Scheichs, zu ihnen gesellt hatte, dauerte es noch einmal eine halbe Ewigkeit, bis die zusätzliche Vereinbarung aufgesetzt und unterschrieben war.

„Gut, Mr. Wilde, das wäre erledigt.“ Der Scheich erhob sich schließlich, und wieder einmal gestand Jason sich ein, dass der Mann in dem traditionellen Gewand sehr viel Würde ausstrahlte. „Wir haben Ihren Vorschlag natürlich nur unter der Bedingung akzeptiert, dass ich die ganze Sache noch einmal mit Sir Harold Mannering persönlich bei seinem nächsten Besuch besprechen kann.“ Als Jason etwas erwidern wollte, schnitt der Scheich ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und rauschte an ihm vorbei zur Tür hinaus, gefolgt von seinem Minister.

Sekundenlang blickte Jason hinter ihm her, ehe er ärgerlich den Kopf schüttelte und den Raum verließ. Nachdem er das Innere des Palastes durchquert hatte, trat er hinaus auf den Vorhof. Sekundenlang blinzelte er geblendet in die grell scheinende Sonne. Dann setzte er die Sonnenbrille auf, eilte zu seinem Geländewagen und stieg ein. Erleichtert darüber, nach zwei Stunden Untätigkeit wieder aktiv werden zu können, entspannte er sich und atmete tief durch. Alles war besser als die stickige Luft und die Hitze in dem Empfangsraum des Scheichs.

Er ließ den Motor an und fuhr durch das große Tor, ohne die Männer der Palastwache zu beachten, die ihn aufmerksam beobachteten. Per Knopfdruck öffnete er die Fenster und bog auf die Straße ab, die durch die Wüste zu dem Ölfeld führte. Die Landschaft von Al Shamar war ausgesprochen karg und unwirtlich. Außer dem großen Hafen am Mittelmeer hatte das Land nicht viel zu bieten.

Während der Fahrt von Abyrra zu dem Camp in Castanya, das aus zahlreichen Bungalows bestand, überlegte er, warum er sich keinen anderen Arbeitsplatz ausgesucht hatte. In seiner Position hatte er schon lange die Wahl. Aber er kannte das Team von früheren Einsätzen und wusste, dass er sich auf die Ingenieure und die übrigen Experten verlassen konnte. Dass es hier außer der endlosen Sandwüste nicht viel gab, störte ihn wenig. Er legte keinen gesteigerten Wert auf gesellschaftlichen Umgang, und wenn es ihm wirklich einmal zu langweilig wurde, konnte er in die Hafenstadt Gitana fahren, wo man jede Art von Abwechslung fand.

Vier Tage hatten sie vergeudet, nur weil man mit dem Scheich nicht vernünftig reden konnte. Der Mann war wetterwendisch und unzuverlässig, er machte seinen Einfluss nach Belieben geltend und war nur dann bereit, mit einem Verantwortlichen der Mineralölgesellschaft zu verhandeln, wenn es ihm passte und er sich Vorteile davon versprach. Keine Sekunde bezweifelte Jason, dass die jetzt erreichte Vereinbarung jederzeit von dem Scheich widerrufen werden konnte. Es waren Gerüchte im Umlauf, dass es unter der Bevölkerung gärte und mehrere Stämme einen Aufstand planten. Jason glaubte jedoch nicht so recht daran. Aber was auch immer geschah, für die Mineralölgesellschaft würde sich nichts ändern. Es handelte sich um ein Wirtschaftsunternehmen, das mit Politik nichts zu tun hatte, und es würden ihnen durch einen möglichen Umsturz weder Vorteile noch Nachteile entstehen. Das Land war auf die Ölförderung angewiesen, davon hing sein Wohlstand ab. Nur die Höhe der Gewinnbeteiligung und vielleicht die Fördermenge würden auf dem Prüfstand stehen.

Als er über die Passstraße fuhr, ging die Sonne schon unter. Trotz der spärlichen Vegetation fand er die Landschaft hier wunderschön. Die Wüste wirkte in ihrer endlosen Einsamkeit erhaben und zeitlos, und die kahlen Felsen reflektierten das faszinierende Farbenspiel der untergehenden Sonne. Sie schimmerten in Orange und allen möglichen Rotschattierungen. Die Gipfel der Gebirgskette färbten sich hellviolett, und schon waren die ersten funkelnden Sterne am immer dunkler werdenden Himmel zu erkennen. Schließlich ließ er das Gebirge hinter sich und lenkte den Wagen durch die Wüste auf das Camp zu. Die Männer brauchten auf keine Annehmlichkeit zu verzichten. Die Ölgesellschaft hatte sogar zwei Tennisplätze und einen Swimmingpool für die Mitarbeiter anlegen lassen, dessen Wasser zwar nie ganz kalt war, der aber dennoch gern zur Erfrischung und Abkühlung benutzt wurde. Natürlich gab es auch eine Kantine, doch einige Mitarbeiter zogen es genau wie er vor, sich selbst zu verpflegen. Sein Koch Ali hatte ihn in alle möglichen Länder begleitet, kehrte jedoch immer wieder gern in seine Heimat zurück.

Als er auf das Bürogebäude zusteuerte, kam sein Vertreter Graham Wilson herausgestürzt und wedelte mit den Armen. Jason hielt an. „Hallo“, begrüßte er den Mann. „Was gibt es?“

Graham Wilson öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Dann blickte er Jason fragend an. „Wie ist es gelaufen?“

„Es hätte schlimmer ausgehen können“, antwortete er stirnrunzelnd. „Gibt es Neuigkeiten?“

„Schau dir das da drüben an.“ Graham wies auf die über und über mit feinem Staub bedeckte schwarze Limousine.

„Haben wir Besuch bekommen?“, erkundigte sich Jason und seufzte resigniert. Nachdem er sich stundenlang mit dem Scheich herumgeärgert hatte, war er nicht in der Stimmung, Gäste zu empfangen.

„Ja, Mannering ist da“, verkündete Graham.

„Mannering?“, wiederholte Jason verblüfft. „Was, zum Teufel, will er hier? Es war doch vereinbart, dass ich die Sache allein regle.“

„Nicht unser Seniorchef, sondern sein Sohn Paul ist gekommen, und auch nicht allein, er hat seine Sekretärin mitgebracht“, klärte Graham ihn auf.

„Meine Güte!“ Jason blickte ihn fassungslos an. „Was will der Kerl denn hier?“

„Ich hatte mir schon gedacht, dass du dich freust, Jason. Aber warte, bis du die Frau gesehen hast“, antwortete der andere Mann und lächelte vielsagend.

„Damit das klar ist, ich will überhaupt niemanden sehen!“, fuhr Jason ihn an. „Du liebe Zeit, Mannering muss den Verstand verloren haben, uns seinen Sohn zu schicken. Warum macht er so etwas?“

Graham zuckte mit den Schultern. „Man munkelt, Mannering sei der Geduldsfaden gerissen und er sei nicht bereit, Pauls Eskapaden noch länger hinzunehmen. Du weißt, was ich meine, oder? Kurz nach deiner Abfahrt erhielten wir per E-Mail die Nachricht, Paul Mannering würde heute eintreffen und solle hier arbeiten, um endlich einmal etwas Vernünftiges zu tun. Sein Vater wird sich noch mit dir in Verbindung setzen und alle Einzelheiten mit dir besprechen.“

„Wie nett von ihm“, erwiderte Jason gereizt. „Und wie passt die Sekretärin ins Bild? Weiß sein Vater, dass sie Paul begleitet?“

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht, vermute ich. Ehrlich gesagt, es ist eine interessante Abwechslung, wieder einmal eine attraktive Frau zu sehen.“

„Reiß dich zusammen, Graham! Erstens bist du verheiratet, deine Frau wartet in England treu und brav auf dich, und zweitens bist du erst drei Monate hier.“

„Aber deshalb muss ich ja kein Kostverächter sein“, wehrte sich Graham lächelnd, ehe er ernst hinzufügte: „Jedenfalls ist es nicht mein Problem, sondern deins.“

„Okay. Wo sind die beiden?“

„Ich habe sie in dein Büro geführt, weil ich nicht wusste, was ich mit ihnen machen sollte. Kommst du mit?“

Jason stieg aus. „Habe ich eine Wahl? Lieber würde ich erst duschen und mich umziehen, das könnte ich jetzt viel eher gebrauchen als diesen unerwarteten Besuch.“

Graham ging ihm voraus in das klimatisierte Bürogebäude und öffnete die erste Tür auf dem langen Flur. Der große Raum mit dem Laminatboden wurde von dem riesigen modernen Schreibtisch dominiert, auf dessen Kante eine blonde Frau saß. Sie blätterte ziemlich gelangweilt in einem Magazin. Am anderen Ende stand ein junger Mann und blickte zum Fenster hinaus. Er drehte sich langsam um und musterte Jason mit abschätzigen Blicken. „Sieh mal einer an“, stellte er sarkastisch fest. „Jason Wilde persönlich! Was für eine Überraschung!“

Die junge Frau stand auf und sah Jason mit unergründlicher Miene an. Sie hat wunderschöne grüne Augen und regelmäßige Gesichtszüge, schoss es ihm durch den Kopf. Auch dass sie Wärme, Lebendigkeit und Lebensfreude ausstrahlte, entging ihm nicht. Das lange goldblonde Haar wurde von einem breiten Seidenschal zusammengehalten. In den perfekt sitzenden Jeans und der hellen Bluse wirkte sie sehr weiblich, und Jason konnte nachvollziehen, warum Graham so begeistert über ihre Ankunft war.

„Hat es dir die Sprache verschlagen, Jason?“, fragte der andere Mann. „Wilson hat mir schon berichtet, dass man euch zu spät über meine Ankunft informiert hat.“

„Das stimmt.“ Jason verschränkte die Arme und musterte die beiden kühl. „Als Erstes erwarte ich eine Erklärung, was deine Begleiterin hier will. Über dich reden wir später.“ Die Schärfe, die in seiner Stimme schwang, war nicht zu überhören.

In Paul Mannerings Augen blitzte es zornig auf. Die junge Frau hingegen blickte Jason nur herausfordernd an. Wie konnte Harold Mannering es wagen, ihm seinen Sohn ohne Vorankündigung hierherzuschicken? Und warum sollte ausgerechnet er aus diesem Faulenzer einen ordentlichen Menschen machen? Und dass der junge Mann seine derzeitige Freundin zu seiner Unterhaltung mitbrachte, war der Gipfel der Dreistigkeit. Ihm musste klar sein, dass sein Vater das nicht billigte.

„Das ist Nicola King“, stellte Paul die Frau endlich vor. „Du irrst dich jedoch, wenn du glaubst, ich hätte sie zu meinem eigenen Vergnügen mitgebracht. Mein Vater ist dafür verantwortlich.“

„Was soll das heißen, dein Vater sei dafür verantwortlich?“ Jason zog die Brauen zusammen.

„Das heißt, Mr. Wilde“, mischte die Frau sich mit einem angedeuteten Lächeln ein, „ich bin Sekretärin, wie ich Mr. Wilson schon erklärt habe.“

Jason warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Ja und, was wollen Sie damit sagen? Auf unserem Ölfeld mitten in der Wüste brauchen wir keine Sekretärin. Oder hat Pauls Vater den Verstand verloren?“

„Sei vorsichtig mit deinen Äußerungen!“, warnte Paul Mannering ihn ärgerlich.

„Ich lasse mir von niemandem den Mund verbieten, schon gar nicht von dir“, entgegnete Jason scharf und fügte an die junge Frau gewandt hinzu: „Verraten Sie mir, was Sie hier wollen.“

Nicola King reckte sich und lenkte dadurch die Aufmerksamkeit auf ihren schlanken und beachtlich perfekt wirkenden Körper. „Mr. Wilde, wir sind seit heute Morgen unterwegs, ich bin müde und erschöpft. Nachdem wir beinah zwei Stunden hier herumgesessen und auf Sie gewartet haben, möchte ich erst einmal duschen, mich umziehen und etwas essen, ehe ich Ihre Fragen beantworte. Dafür haben Sie sicher Verständnis. Aber Sie können mir glauben, ich bin nicht auf ein Abenteuer oder dergleichen aus. Dazu würde ich mir bestimmt kein Ölfeld mitten in der Wüste und fernab jeder Zivilisation aussuchen, wo die Hitze unerträglich ist.“

Jason kniff die Augen zusammen. Die Frau hatte Mut, das musste man ihr lassen. Sie war wesentlich selbstbewusster als Paul Mannering, obwohl er die beste Erziehung genossen hatte. Doch das machte sie Jason nicht sympathischer. Sie schien sehr arrogant und zielstrebig zu sein, und ihre Beziehung zu den Mannerings war seiner Meinung nach zumindest fragwürdig. Wenn sie nicht Pauls Freundin war, hatte sie vermutlich Harold Mannering mit irgendwelchen Tricks dazu gebracht, sie nach Al Shamar reisen zu lassen.

„Graham, begleite bitte Miss King zu Caxtons Bungalow“, bat Jason ihn. „Und sorg dafür, dass sie alles hat, was sie braucht. Sobald sie sich frisch gemacht hat und dann vielleicht auch besserer Laune ist, kannst du sie zu mir bringen.“

Wohl oder übel musste Nicola King dieser Aufforderung Folge leisten. Aber ehe sie zur Tür hinausging, warf sie Jason einen verächtlichen, anmaßenden Blick zu. Als die beiden verschwunden waren, lehnte sich Jason an die Tür und betrachtete den Sohn des Aufsichtsratsvorsitzenden mit regloser Miene.

„Also, was steckt dahinter?“

Paul Mannering sah ihn erstaunt an. „Wie bitte? Willst du wissen, warum ich hier bin? Oder warum Nicola mitgekommen ist?“

„Beides.“

„Wie gesagt, es war nicht meine Idee. Glaubst du wirklich, ich sei freiwillig hier? Du liebe Zeit, ich hätte alles dafür getan, um es zu verhindern. Doch solange ich finanziell von meinem Vater abhängig bin …“ Er zuckte mit den Schultern. „Egal, es kann kein Dauerzustand sein.“

„Was?“

„Mein Aufenthalt in dieser Einöde. Mein Vater wird dir sowieso alles erzählen und nicht die kleinste Einzelheit auslassen, also kann ich es auch selbst tun. Da war eine junge Frau …“

„Bei dir geht es immer um irgendwelche jungen Frauen“, unterbrach Jason ihn lakonisch.

„Ja, ich weiß, in welchem Ruf ich stehe. Aber die Frau war verrückt nach mir, und ich bin auch nur ein Mann. Dass sie es ernst meinte, konnte ich nicht ahnen. Es stellte sich heraus, dass ihr Vater ein ehemaliger Ringer oder Boxer ist. Nachdem ich mit ihr Schluss gemacht hatte, hat er mich eines Abends einfach in sein Auto gezerrt und ist wütend auf mich losgegangen.“ Bei der Erinnerung daran verfinsterte sich Pauls Miene. „Um es kurz zu machen, die Polizei wurde eingeschaltet, die Medien bekamen Wind von der Sache, und es wurde lang und breit darüber berichtet. Die junge Frau hat behauptet, sie sei schwanger, was sich jedoch glücklicherweise als Lüge herausstellte. Nach dem ganzen Theater war mein Vater der Meinung, ich müsse das Land für einige Zeit verlassen. Ich war einverstanden. Er hatte mir jedoch verschwiegen, dass er mich in diese gottverlassene Gegend schicken wollte.“

„So etwas in der Art habe ich mir gedacht. Wie alt bist du jetzt, Paul? Zwanzig oder einundzwanzig? Dass ich auch einmal in dem Alter war, kann ich mir kaum noch vorstellen.“

„Ich bin zweiundzwanzig“, erklärte Paul mürrisch. „Tu doch nicht so, als wärst du doppelt oder dreimal so alt wie ich. Was ist eigentlich aus dieser Frau geworden?“, wechselte er das Thema. „Wie hieß sie noch gleich? Ellison oder so ähnlich, stimmt’s?“

Jason ignorierte die Frage. „Ich bin um einiges älter als du, Paul. Doch das spielt jetzt keine Rolle. Ich habe dich am Hals und muss das Beste aus der Sache machen. Eins kann ich dir versprechen, du wirst hart arbeiten müssen. Glaub ja nicht, du könntest auf der faulen Haut liegen. Dann lernst du mich von einer ganz anderen Seite kennen.“

In Pauls Augen blitzte es zornig auf. „Mein Vater wusste genau, was er tat, als er mich zu dir geschickt hat“, stellte er dann sarkastisch fest.

„Nimm es nicht so tragisch, mein Junge. Früher oder später hat er vielleicht Mitleid mit dir und lässt dich nach Hause zurückkehren. Aber was die junge Frau hier machen soll, ist mir immer noch rätselhaft. Wenn sie nicht deine Freundin ist, wer ist sie dann?“

„Das besprichst du am besten mit meinem Vater“, erwiderte Paul ausweichend. „Kannst du mir freundlicherweise verraten, wo ich untergebracht werde?“

Jason richtete sich auf und öffnete die Tür. „Du kannst dir einen Bungalow mit Collins teilen. Er ist in deinem Alter.“

„Ich hätte lieber einen Bungalow für mich allein“, beschwerte Paul sich gereizt.

„Das kann ich mir vorstellen. Doch solchen Luxus können wir uns hier nicht erlauben, dazu haben wir keinen Platz. Miss King konnte ich in Caxtons Bungalow unterbringen, weil er momentan Urlaub hat; seine Frau hat gerade ein Kind bekommen. Ob es dir passt oder nicht, du musst dir den Bungalow mit Collins teilen, es sei denn, du kannst deine Begleiterin überreden, morgen nach England zurückzufliegen. Ich verzichte gern auf ihre Anwesenheit. In dem Fall kannst du vorübergehend Caxtons Bungalow bewohnen.“

„Hast du es immer noch nicht begriffen?“, fragte Paul ärgerlich. „Ich habe mit Nicola nichts zu tun und bin nicht für sie verantwortlich.“

Sekundenlang sah Jason ihn prüfend an. „Okay, komm mit. Ich zeige dir deine Unterkunft und stelle dich Collins vor. Er kann dich mitnehmen in die Kantine. Bis morgen habe ich mir überlegt, wo ich dich einsetzen werde.“

Nachdem er die beiden Männer miteinander bekannt gemacht hatte, fuhr er weiter zu seinem Bungalow, parkte den Wagen und ging müde und erschöpft die Stufen hinauf. In der Eingangshalle kam Ali ihm entgegen.

„Endlich sind Sie da“, begrüßte er ihn vorwurfsvoll. „Das Essen ist schon eine halbe Stunde fertig.“

„Tut mir leid, Ali“, entschuldigte Jason sich lächelnd, „ich befürchte, du musst es noch etwas länger warm halten, ich möchte erst duschen und mich umziehen.“

Ali setzte eine Leidensmiene auf, während Jason ihm freundlich auf die Schulter klopfte und dann in sein Schlafzimmer ging. Nach dem Duschen fühlte er sich erfrischt und zog eine Leinenhose und ein T-Shirt aus dem Schrank, ehe er sich die Haare kämmte. Schließlich durchquerte er die Eingangshalle und betrat den großen Raum, der als kombiniertes Wohn- und Esszimmer diente. Die klimatisierten Häuser in Fertigbauweise glichen sich wie ein Ei dem anderen und wurden auf allen Ölfeldern des Unternehmens aufgestellt, um überall in der Welt eine angemessene Unterbringung der Mitarbeiter zu gewährleisten. Die Küche und Alis Zimmer befanden sich auf der Rückseite des Bungalows. Die vordere Front des Hauses zierte eine Veranda, wo man abends die nach der Hitze des Tages rasch kühler werdende Luft genießen konnte. Manchmal war es aber auch zu kalt, um draußen zu sitzen.

Dankbar griff Jason nach dem eisgekühlten Getränk, das Ali ihm servierte. In dem Moment läutete das Telefon, und er meldete sich mit einem Seufzer.

„Jason? Bist du es?“, rief eine ihm vertraute männliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ja, Harold, ich bin es höchstpersönlich“, erwiderte Jason trocken.

„Du scheinst nicht die beste Laune zu haben“, stellte Sir Harold Mannering fest und lachte in sich hinein. „Daraus schließe ich, dass Paul und Nicola eingetroffen sind. Habe ich recht?“

Jason trank einen Schluck. „Ja, du hast verdammt recht. Was hast du dir dabei gedacht? Willst du deine Probleme bei mir abladen?“

„Ach, Jason, du kommst doch damit zurecht. Hat er dir erzählt, was passiert ist?“

„Jedenfalls hat er mir seine Version erzählt. Paul zu beschäftigen dürfte jedoch nicht allzu schwierig sein. Aber was soll die junge Frau hier?“

Sir Harold lachte. „Du warst über ihr Auftauchen sicher angenehm überrascht, oder?“, fragte er belustigt.

Jason zog die Augenbrauen zusammen. „Nein. Ich halte es für eine verrückte Idee, so eine attraktive junge Frau zu uns in das Camp zu schicken, das aus lauter Männern besteht. Als hätten wir nicht schon genug Schwierigkeiten.“

„Vorsicht, Jason! Du sitzt noch nicht im Aufsichtsrat.“ Sir Harolds Ton war merklich abgekühlt.

„Harold“, entgegnete Jason angespannt und atmete tief durch, „ich bestehe darauf, dass Nicola King umgehend nach England zurückkehrt.“

Sir Harold räusperte sich. „Willst du mir Anweisungen erteilen?“

„Keineswegs.“ Jason seufzte. „Versetz dich doch einmal in meine Lage. Wenn Paul die Schulter einer Frau zum Ausweinen braucht, kann er genau wie alle anderen Mitarbeiter nach Gitana fahren. Weshalb muss er seine Freundin mitbringen? Ich warne dich, es wird den anderen Männern nicht gefallen.“

„Ach so, es sollte nur ein Scherz sein“, lenkte Sir Harold ein, und sein Ton wurde wieder freundlicher. „Du weißt doch genau, dass Nicola sich nicht für Paul interessiert.“

Jason war müde und sehnte sich danach, endlich etwas essen und sich dann hinlegen zu können. Sir Harolds seltsame Bemerkungen machten einfach keinen Sinn. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. War er etwa heute Abend besonders begriffsstutzig oder was?

„Okay, Harold, warum ist sie dann hier?“, versuchte er noch einmal, Licht in die Sache zu bringen.

„Sie ist eine sehr gute Sekretärin“, antwortete Sir Harold nach kurzem Zögern. „Fast ein Jahr war sie meine persönliche Assistentin. Am Ende bist du froh, dass dir jetzt jemand die Berichte schreibt, E-Mails beantwortet und alle anderen Büroarbeiten erledigt. Dann brauchst du dich nicht mehr selbst darum zu kümmern. Sie hatte den Wunsch geäußert, Paul auf das Ölfeld zu begleiten, und ich war einverstanden. Natürlich waren wir bisher strikt dagegen, weibliche Angestellte auf unsere Förderanlagen zu entsenden, aber ich bin sicher, du kommst damit zurecht.“

Jason schüttelte den Kopf und bat Ali mit einer Handbewegung, ihm noch einen Drink zu bringen. „Wie lange muss ich mich mit der Frau herumschlagen?“, erkundigte er sich angespannt. „Für die Probleme, die vielleicht durch ihre Anwesenheit entstehen, übernehme ich keine Verantwortung, nur damit das klar ist.“

„Du bist verdammt undankbar, Jason“, entgegnete Sir Harold. „Okay, es steckt noch etwas anderes dahinter. Nicola hat den Auftrag, ein Auge auf Paul zu haben, ich traue meinem Sohn nicht.“

„Hier kann er sowieso kein Unheil anrichten“, bemerkte Jason spöttisch. „Da du schon am Apparat bist, kann ich dir auch etwas Erfreuliches berichten. Unsere Leute können die Arbeiten morgen wieder aufnehmen.“

„Demnach waren deine Verhandlungen mit dem Scheich erfolgreich. Wie viel Prozent hast du ihm zugestanden?“

„Drei.“

„Großartig.“ Sir Harold war hocherfreut. „Das hast du gut gemacht, Jason. Das Management wird sich auch freuen.“

Jason verzog das Gesicht. „Das schreit geradezu nach einer Belohnung, findest du nicht?“, fragte er trocken.

„Auf jeden Fall. Ich werde dir fast jeden Wunsch erfüllen“, stimmte Sir Harold ihm belustigt zu.

„Gut, dann schaff mir die junge Frau vom Hals“, forderte Jason ihn ruhig auf.

„Sei nicht so stur, und gib ihr eine Chance. Sie ist doch gerade erst angekommen.“

„Ich soll ihr eine Chance geben?“, wiederholte Jason und schüttelte verständnislos den Kopf. „Du sprichst in Rätseln, Harold. Aber okay, lass uns das Thema für heute beenden. Wahrscheinlich bin ich zu müde, um zu begreifen, worauf du hinauswillst.“

Nach dem Gespräch blickte Jason eine Zeit lang ins Leere und überlegte, was Sir Harold wirklich bezweckte. Hoffte er, ihn überzeugen zu können, das Singledasein aufzugeben, indem er ihm eine seiner Meinung nach geeignete Kandidatin präsentierte? Schon lange bemühte sich sein Vorgesetzter, ihn zu verheiraten. Vielleicht soll das so etwas wie ein letzter verzweifelter Versuch sein, dachte Jason, obwohl es ihm ziemlich unwahrscheinlich vorkam. Ihm fiel jedoch keine andere Erklärung ein.

2. KAPITEL

Nachdem Nicola King sich mit Caxtons Bungalow vertraut gemacht hatte, stellte sie sich unter die Dusche und genoss das Gefühl, das Wasser über ihren erhitzten Körper rieseln zu lassen. Sie war mit sich und der Welt zufrieden. Den ersten Schritt hatte sie getan, sie war in Castanya, ob es Jason Wilde passte oder nicht.

Lächelnd erinnerte sie sich an seine ärgerliche Miene, als er mit ihrer Anwesenheit konfrontiert worden war. Vielleicht hatte er vorerst genug von Frauen, aber das würde sich ändern, dafür würde sie sorgen. Und dann …

Ihre Gesichtszüge wurden hart. Dieser arrogante und ungemein selbstbewusste Mann würde schon bald merken, dass er sich nicht alles erlauben konnte. Sie hatte sich noch nicht endgültig entschieden, was sie als Nächstes tun würde, aber ihr würde rechtzeitig etwas einfallen, dessen war sie sich sicher. Bis jetzt war die Sache nach Plan verlaufen. Sie war hier, obwohl alles dagegen gesprochen hatte, dass sie es schaffen würde. Sir Harold zu überzeugen war nicht leicht gewesen, doch sie wusste, wie sie mit ihm umgehen musste und wie sie auf Männer wirkte. Irgendwie hatte sie es sogar genossen, eine gewisse Macht über einen Mann wie ihren Chef zu haben.

Schließlich stellte sie die Dusche ab, griff nach dem weichen Frotteetuch und wickelte es sich um den Körper. Dann verließ sie das Badezimmer und setzte sich auf das Bett. Nachdem sie sich die Haare gebürstet hatte, betrachtete sie sich im Spiegel. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen überlegte sie, ob sie wirklich fest entschlossen war, einem Menschen Schaden zuzufügen. Wo waren ihre Wärme und Herzlichkeit geblieben? Und was war aus der jungen, selbstbewussten Frau voller Lebensfreude geworden, die sie einmal gewesen war?

Die ist für immer verschwunden, und das habe ich dem Mann zu verdanken, dem ich vor einer halben Stunde zum ersten Mal in meinem Leben begegnet bin, dachte sie und wandte sich ab. Jason Wilde ahnte nicht, wie sehr er ihr Leben verändert hatte. Wahrscheinlich war ihm noch nicht einmal bewusst, dass er die Ehe ihrer Schwester zerstört hatte. Doch früher oder später würde er sich damit auseinandersetzen müssen, was er angerichtet hatte.

Sie zog die perfekt sitzende weiße Leinenhose und ein aprikosenfarbenes T-Shirt an, ließ das Haar offen über die Schultern fallen und trug etwas Lidschatten und Lipgloss auf. Mehr Make-up war bei der Hitze nicht angebracht.

Nicola war gerade fertig, als es an der Bungalowtür klopfte. „Kommen Sie herein, es ist nicht abgeschlossen“, rief sie, ohne zu wissen, wer da etwas von ihr wollte.

Mit einem breiten Lächeln trat Graham Wilson ein. „Haben Sie alles, was Sie brauchen?“, erkundigte er sich freundlich.

„Ja, vielen Dank“, erwiderte sie und lächelte auch. „Setzen Sie sich ins Wohnzimmer. Wir finden bestimmt etwas zu trinken.“

„Nein, lieber nicht“, lehnte er ab. „Jason möchte mit Ihnen reden, wir sollten ihn nicht warten lassen.“

Sie nickte verständnisvoll. „Ah ja. Er ist wohl ein schwieriger, strenger Vorgesetzter, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, oder?“

„Nein, ganz im Gegenteil!“, widersprach Graham. „Man kann gut mit ihm zusammenarbeiten, wir alle halten große Stücke auf ihn. Aber er wird leicht ungeduldig und mag es nicht, wenn man ihn warten lässt. Er hat mich gebeten, Sie abzuholen.“

Nicola beschloss, sich nicht noch weiter vorzuwagen. Es war der falsche Zeitpunkt, Graham Wilson die Illusionen über seinen Chef zu rauben. „Okay, ich hole rasch meine Tasche“, verkündete sie deshalb nur, und kurz darauf verließen sie den Bungalow.

Auf dem Weg zu Jasons Unterkunft sah Nicola sich die Umgebung genauer an. Zu beiden Seiten der mit Staub bedeckten Straße reihte sich ein Bungalow an den anderen, und aus dem lang gestreckten, hell erleuchteten Gebäude am anderen Ende des Camps drang Musik. Das müssen die Gemeinschaftsräume sein, vermutete sie.

Graham folgte ihrem Blick und erklärte: „Das ist unser Klubhaus. Ganz besonders der Swimmingpool wird von den Männern gern benutzt, und morgens und abends, wenn es noch nicht so heiß ist, sind auch die Tennisplätze besetzt. Da wir in drei Schichten arbeiten, ist das Haus Tag und Nacht geöffnet. Wir haben eigentlich alles, was wir brauchen, mehrere Fernsehzimmer, wir können Billard und Darts spielen und vieles andere mehr. Auch ein Restaurant fehlt nicht, wir nennen es Kantine“, fügte er lächelnd hinzu. „Das Essen ist recht gut. Jeder Mitarbeiter arbeitet vier Tage hintereinander und hat die nächsten drei Tage frei. Auch am Wochenende wird gearbeitet. Alle drei Wochen bekommen die Leute eine Woche Urlaub, den die meisten am Meer in Gitana verbringen, wo es jede Art von Abwechslung gibt, die man sich nur wünschen kann.“

„Als wir vom Flughafen durch die Stadt gefahren sind, ist mir schon aufgefallen, was für eine große, lebendige und moderne Stadt Gitana ist. Es erinnert mich an Port of Spain.“

„Sie waren auf Trinidad?“, fragte Graham überrascht.

„Ja, vor einigen Monaten mit Sir Harold.“

„Ah, ich verstehe. Ich wusste nicht, dass …“ Graham verstummte. „Wie haben Sie unseren Aufsichtsratsvorsitzenden dazu gebracht, Sie zu uns zu schicken?“

„Das ist mein Geheimnis. Sie sind ganz schön neugierig, finde ich“, antwortete Nicola lächelnd. „Reden wir lieber von Ihnen. Wie lange bleiben Sie hier?“

„Bis zur Fertigstellung der Pipeline. Momentan kommen wir gar nicht gut voran, weil der Scheich uns immer wieder Hindernisse in den Weg legt. Für Jason ist das ein großes Problem.“

Nicola nickte verständnisvoll. „Für welche Arbeiten wird er Paul einteilen?“

Graham zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Jason wird schon etwas für ihn finden. Fällt ihm körperliche Arbeit schwer?“

„Das kann ich nicht beurteilen“, erwiderte sie kurz angebunden.

Und dann waren sie auch schon vor Jasons Bungalow angekommen. Graham ging ihr voraus die Stufen hinauf und führte sie ins Wohnzimmer.

Mit einem Drink in der Hand saß Jason im Sessel und sah auf. „Leider kommen Sie zu spät zum Essen, Miss King“, begrüßte er sie spöttisch.

Dieser gemeine Kerl, ihm muss klar sein, dass ich schrecklich hungrig bin, schoss es Nicola durch den Kopf. Wahrscheinlich hatte er absichtlich mit dem Essen nicht gewartet, um sie zu zwingen, nachher mit seinen Leuten in der Kantine zu essen.

Sie hatte sich jedoch perfekt unter Kontrolle und ließ sich nicht anmerken, wie zornig sie war. „Das macht nichts, Mr. Wilde. Vielleicht kann Mr. Wilson mir das Essen später in den Bungalow bringen lassen.“

Graham wollte ihr versichern, es sei kein Problem, doch Jason sprang ärgerlich auf und kam ihm zuvor. „Meine Männer sind keine Kellner“, stieß er hart hervor. „Danke, Graham, du kannst uns jetzt allein lassen“, fügte er an seinen Mitarbeiter gewandt hinzu.

„Okay.“ Graham warf Nicola einen Blick zu, der leichtes Bedauern ausdrückte, und verschwand.

Obwohl sie insgeheim vor Wut kochte, blieb ihre Miene völlig reglos. Offenbar hatte sie sich die ganze Sache viel zu leicht vorgestellt. Zu Hause in ihrer Wohnung in London war sie bei der Planung ihres Rachefeldzugs davon ausgegangen, dass Jason Wilde sich nach anfänglicher Verärgerung über ihre Anwesenheit freuen würde. Sie hatte ihn jedoch unterschätzt, er war viel scharfsinniger und misstrauischer als von ihr angenommen. Nach allem, was sie von Louise über ihn wusste, hätte sie nie geglaubt, dass er so unzugänglich war und sich einer Frau gegenüber so abweisend verhalten würde. Sie war jedoch fest entschlossen, sich nicht abschrecken zu lassen und nicht aufzugeben; das war sie Louise schuldig.

Aber es war einfach unmöglich, von diesem Mann nicht beeindruckt zu sein. Sie konnte leicht nachvollziehen, warum ihre Schwester von ihm so fasziniert gewesen war. Mit deren Mann George oder dessen Bruder Michael, ihrem eigenen Exverlobten, war er nicht zu vergleichen. Gegen ihren Willen konnte sie sich seiner Ausstrahlung nicht entziehen. Leicht würde es nicht werden, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, wie sie sich eingestand. Allein wegen seiner beeindruckenden Körpergröße fühlte sie sich ihm unterlegen. Seine harten, kompromisslosen Züge, seine breiten Schultern und die muskulösen Arme sprachen von Kraft und Stärke. Irgendwie wirkte er einschüchternd. Nicola erbebte insgeheim und hoffte, ihr würde die Kontrolle über die Situation nicht entgleiten.

Rasch verdrängte sie die Gedanken. Sie war kein Feigling und würde nicht aufgeben, nur weil Schwierigkeiten auftraten, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen.

„Was finden Sie so lustig, Miss King?“, fragte Jason prompt, und sie sah es in seinen Augen ärgerlich aufblitzen. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Aussicht, wochenlang an so einem langweiligen Ort zu leben, für ein Partygirl wie Sie erfreulich ist.“

„Ich bin kein Partygirl!“, protestierte sie empört. „Ich nehme meine Arbeit ernst und verdiene mir meinen Lebensunterhalt selbst!“

„Ach ja? Dann verraten Sie mir doch, wie gut Sie Sir Harold Mannering kennen“, forderte er sie verächtlich auf.

Nicola versteifte sich. „So gut, wie man als Sekretärin und persönliche Assistentin seinen Chef eben kennt“, erwiderte sie.

„Es kann nicht leicht gewesen sein, ihn zu überreden, eine Zeit lang auf Sie zu verzichten. Aber Sie wissen sicher genau, wie Sie mit ihm umgehen müssen, nicht wahr?“

„Es gefällt mir nicht, was Sie mir da indirekt unterstellen, Mr. Wilde.“

„Das tut mir leid“, spottete er. „Aber was hätten Sie auch sonst sagen sollen?“

Das war zu viel, sie verlor die Beherrschung. Ohne nachzudenken, machte sie einige Schritte auf ihn zu, hob die Hand und versetzte ihm eine Ohrfeige.

„Wagen Sie es nie wieder!“, forderte er sie wütend auf und umklammerte ihr Handgelenk. „Sonst vergesse ich meine Manieren und zahle es Ihnen mit gleicher Münze heim, egal, wer Sie protegiert oder wessen Liebling Sie sind.“

Immer noch zornig, zog sie die Hand zurück. „Dann unterlassen Sie in Zukunft diese dummen Bemerkungen, die Sie nicht beweisen können“, entgegnete sie scharf.

„Da bin ich anderer Meinung. Ich habe doch Augen im Kopf. Eine Frau wie Sie kommt nicht ohne Grund hierher.“

„Natürlich habe ich einen Grund. Ich soll Ihnen Arbeit abnehmen und … auf Paul aufpassen.“

„Wie schön.“ Er drehte sich um, durchquerte den Raum und schenkte sich an der Getränkebar noch einen Drink ein. „Aber lassen Sie uns nicht länger über Ihre Beziehung zu Harold reden. Die Wahrheit herauszufinden wird mir wahrscheinlich heute Abend sowieso nicht gelingen. Dass ich mir Gedanken mache und mir eine eigene Meinung bilde, gestehen Sie mir doch zu, oder?“

Sie ärgerte sich über sich selbst. Es hätte nicht passieren dürfen, dass sie die Beherrschung verlor. Wenn Jason Wilde glaubte, sie sei leicht zu haben, würde ihr Plan niemals funktionieren. Obwohl er ein rücksichtsloser und skrupelloser Mensch war, ließ er sich vermutlich grundsätzlich nicht auf eine Beziehung mit einer Frau ein, die er für unmoralisch hielt. Sie musste sich eine andere Taktik einfallen lassen und weniger aggressiv auftreten. Doch wie sollte sie das schaffen?

Sekundenlang überlegte sie, zu der ältesten Waffe der Frau zu greifen und in Tränen auszubrechen, entschied sich jedoch dagegen. Darauf würde Jason Wilde bestimmt nicht hereinfallen.

„Möchten Sie auch etwas trinken?“, fragte er.

„Ja, einen Orangensaft bitte“, antwortete sie ruhig. Sie ignorierte den verächtlichen Blick, den er ihr zuwarf, ehe er ihr den Saft einschenkte und ihr das Glas reichte.

In dem Moment erschien Ali an der Tür und musterte sie überrascht.

„Brauchen Sie etwas, Sir?“, erkundigte er sich.

Jason schüttelte nur den Kopf.

Doch so leicht ließ Ali sich nicht abwimmeln. Er war offenbar neugierig geworden, denn er fügte hinzu: „Vielleicht kann ich der jungen Dame einen Snack bringen, Sir? Oder hat sie schon gegessen?“

„Das finde ich sehr nett von Ihrem Mitarbeiter, Mr. Wilde. Ich würde gern eine Kleinigkeit essen“, mischte Nicola sich ein. „Es tat Ihnen ja leid, dass Sie schon gegessen und nicht auf mich gewartet haben.“

„Ich werde der jungen Dame rasch etwas warm machen“, verkündete Ali. „Und nachher bekommt sie einen starken Kaffee. Ist das okay, Sir?“

Mürrisch antwortete Jason: „Tu, was du nicht lassen kannst.“

Endlich habe ich ihm eins ausgewischt, dachte Nicola triumphierend und musste sich das Lächeln verbeißen. „Darf ich mich setzen?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, ließ sie sich in einen Sessel sinken. „Die Bungalows sind sehr komfortabel ausgestattet, mit Klimaanlage und anderen Extras. Das erwartet man eigentlich gar nicht mitten in der Wüste.“

Jason betrachtete sie prüfend. „Was haben Sie denn erwartet, Miss King?“

Seufzend lehnte sie sich zurück. „Sie haben wirklich etwas gegen mich, stimmt’s? Sind Sie viel herumgekommen, Mr. Wilde?“, wechselte sie das Thema.

„Sie würden es sicher so nennen“, erwiderte er mit finsterer Miene und setzte sich ihr gegenüber. „Und Sie? Sind Sie viel gereist?“

„Seit ich für Sir Harold arbeite, ja. Im März waren wir in Südamerika, im August auf Trinidad. Im Mittleren Osten bin ich jetzt zum ersten Mal.“

„Und wie gefällt es Ihnen hier?“

„Ich habe noch nicht viel von dem Land gesehen, deshalb kann ich es nicht sagen“, erklärte sie.

Jason schüttelte den Kopf. „Wie alt sind Sie, Miss King?“

„Vierundzwanzig. Und Sie?“

Er war sprachlos vor Verblüffung, hatte sich jedoch schnell wieder im Griff. „Siebenunddreißig“, gab er bereitwillig Auskunft.

„Sind Sie verheiratet?“

Ein seltsamer Ausdruck huschte nun über sein Gesicht. „Nein. Und Sie?“

„Auch nicht, aber ich war verlobt. Vor fast einem Jahr haben mein Verlobter und ich uns getrennt.“

„Wie interessant. Ungefähr zur selben Zeit haben Sie angefangen, für Sir Harold zu arbeiten“, stellte er fest.

„Er hat mit der geplatzten Verlobung nichts zu tun“, versicherte sie ihm, rechnete jedoch nicht damit, dass er ihr glaubte.

Als in dem Augenblick Ali mit dem köstlich duftenden Essen hereinkam, hellte sich ihre Miene auf. Auch eine Kanne Kaffee fehlte nicht, und Nicola lächelte ihn dankbar an.

„Wie heißt Ihr Mitarbeiter, Mr. Wilde? Ich möchte mich bei ihm bedanken.“

„Ich bin Ali“, beantwortete er die Frage mit einer höflichen Verbeugung selbst. „Es ist mir ein Vergnügen, einer so schönen jungen Dame einen Gefallen zu tun.“

Nicola bedankte sich freundlich und bemühte sich, Jason zu ignorieren, während sie Messer und Gabel in die Hand nahm und den ersten Bissen in den Mund schob.

„Ich warne Sie, Ali liebt es, scharf zu würzen“, sagte Jason spöttisch.

„Das merke ich.“ Es schmeckte ihr trotz der ungewohnten Gewürze ausgezeichnet, und sie ließ nichts übrig. Anschließend aß sie auch noch eine Orange und die Weintrauben, die Ali ihr hingestellt hatte, und trank eine Tasse Kaffee.

„Wo genau auf dem Ölfeld soll Paul arbeiten?“, wollte sie schließlich wissen.

„Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden. Aber er muss von morgens bis abends beschäftigt sein, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt.“

„Warum mögen Sie ihn nicht, Mr. Wilde?“

„Ich habe nichts gegen ihn, bin aber auch nicht begeistert von ihm. Für mich ist er nur ein junger Mann, der nicht weiß, was er mit seiner überschüssigen Energie machen soll.“

„Waren Sie nie jung?“

„In seinem Alter musste ich schon Verantwortung übernehmen, doch das gehört nicht hierher. Harold ist der Meinung, wir könnten eine so perfekte Sekretärin wie Sie gut gebrauchen.“

„Ja, ich weiß. Ich freue mich auf die Arbeit.“

„Ach, wirklich? Wo waren Sie vorher beschäftigt?“

„In einer Werbeagentur.“

„Ah ja. Ich muss Sie warnen, wir sind hier nicht in England, und man erwartet von uns, dass wir uns in gewisser Weise den Sitten und Gebräuchen des Landes anpassen.“

„Was heißt das?“ Nicola sah ihn fragend an.

„Nun, auf der Förderanlage arbeiten auch viele Einheimische, vor allem Beduinen, die in ihren Zelten nicht weit von hier mit ihren Frauen und Kindern leben. Die Stellung der Frau in diesem Land ist eine andere als bei uns, deshalb wird man Sie genau beobachten. Auch der Scheich wird Sie kennenlernen wollen.“

Nicola konnte seine Bedenken nicht ernst nehmen. „Der Scheich?“, wiederholte sie lachend. „Wie romantisch.“

„Meine Güte, seien Sie doch nicht so naiv!“, fuhr Jason sie ärgerlich an. „Der Scheich ist kein Held aus einem romantischen Film des vorigen Jahrhunderts, sondern ein normaler Mann. Übrigens halten arabische Männer europäische Frauen für unmoralisch und leichtfertig.“

„Sie malen ein düsteres Bild von diesem Land, Mr. Wilde“, bemerkte sie trocken. „Aber keine Sorge, ich kann gut auf mich aufpassen.“

„Ob Sie es glauben oder nicht, um Sie mache ich mir bestimmt keine Sorgen, sondern nur um die Förderanlage und die Pipeline. Was Sie tun und lassen, interessiert mich nur dann, wenn Sie meinen Zeitplan durcheinanderbringen, Unruhe stiften oder dergleichen.“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich mich jetzt verabschieden und mich hinlegen“, erklärte sie mit mühsam unterdrücktem Zorn und stand auf. Noch nie zuvor war sie von einem Mann so verächtlich und gleichgültig behandelt worden.

Jason blickte sie belustigt und spöttisch zugleich an und erhob sich auch. „Ja, tun Sie das. Sie haben morgen einen langen Tag vor sich. Wir stehen um halb sechs auf und fangen um halb sieben an zu arbeiten. Schaffen Sie es, so früh fertig zu sein?“ Seine Stimme klang ironisch.

Nicola versteifte sich. „Damit habe ich kein Problem, Mr. Wilde“, antwortete sie angespannt.

„Fein. Ali wird Sie zu Caxtons Bungalow begleiten, damit Sir Harold mir nicht vorwerfen kann, ich hätte Sie nachts mutterseelenallein im Camp umherirren lassen.“

„Ich komme allein zurecht.“ Vor lauter Wut konnte sie sich kaum noch beherrschen. Sie gestand sich jedoch ein, dass sie einen Bungalow nicht vom anderen unterscheiden konnte.

„Wirklich?“ Jason verzog die Lippen. „Das freut mich. Dann gute Nacht, Miss King. Schlafen Sie gut.“

Sie hätte sich denken können, dass er sich keine Gelegenheit entgehen lassen würde, sie zu demütigen. Ärgerlich griff sie nach ihrer Tasche und eilte zur Tür.

„Warten Sie! Ich begleite Sie“, rief Jason plötzlich hinter ihr her.

Nicola drehte sich zu ihm um und bedachte ihn mit einem kühlen Blick. Unter anderen Umständen würde ich ihn sogar attraktiv finden, schoss es ihr durch den Kopf. Seine tiefe raue Stimme und seine geschmeidigen Bewegungen hatten etwas Faszinierendes.

„Vielen Dank“, erwiderte sie nur und eilte ihm voraus die Stufen hinunter.

Schweigend wanderten sie nebeneinanderher über die staubige Straße. Vor ihrem Bungalow wünschte er ihr noch einmal eine gute Nacht und kehrte zu seiner Unterkunft zurück.

Sie blieb noch einige Sekunden stehen und beobachtete ihn. Er hatte den Kopf gesenkt, so als wäre er in Gedanken versunken, und die Hände in die Taschen seiner perfekt sitzenden hellen Hose geschoben. Schließlich wandte sie sich ab und betrat den Bungalow.

Ihr kamen erste Zweifel am Gelingen ihres Planes, sie schüttelte jedoch den Anflug von Besorgnis rasch wieder ab. Es musste an der ihr fremden Umgebung, der einsamen dunklen Nacht und diesem Mann liegen, dass sie auf einmal so verunsichert war.

Das Kofferauspacken hatte sie auf den nächsten Tag verschoben. Sie nahm nur ihr Seidennachthemd heraus, zog sich um und putzte die Zähne, ehe sie sich müde und erschöpft in das Bett legte, das überraschend bequem war. Nach der unerträglichen Hitze, die tagsüber geherrscht hatte, war die Nacht überraschend kühl. Nicola schlüpfte unter die warme Decke und schloss die Augen. An Einschlafen war jedoch nicht zu denken. Zu viel war geschehen an diesem Tag, und sie versuchte, Ordnung in die Gedanken zu bringen, die seltsamerweise immer wieder um Jason Wilde kreisten.

Schließlich fragte sie sich, wie ihre Schwester Louise ohne sie zurechtkam. Mit ihren Kindern Jane und Tony wohnte sie seit der Trennung von ihrem Mann George bei ihr. Außerdem hatte sie ihr einen Teilzeitjob besorgt. Obwohl Louise sechs Jahre älter war als sie, fühlte Nicola sich für sie verantwortlich. Louise erweckte den Eindruck, völlig hilflos zu sein und nicht allein zurechtzukommen. Und genau deshalb war Nicola auch so wütend auf Jason Wilde. Er musste gemerkt haben, wie schwach und wehrlos Louise war. Er hatte sie nur benutzt, doch sie hatte sich in ihn verliebt. Sie war völlig zusammengebrochen, als er sie einfach sitzen ließ, nachdem er seinen Spaß mit ihr gehabt hatte. Warum hatte er sich keine weltgewandte, erfahrene Frau genommen, die ihm ebenbürtig war und die Spielregeln kannte?

Jason Wilde ist für vieles verantwortlich, auch dafür, dass meine Träume vom Glück zerbrochen sind, dachte sie. Aber darüber wollte sie nicht mehr nachdenken, das war Vergangenheit. Zu viele Nächte hatte sie wach gelegen und gegrübelt.

Als ein unheimlich klingendes Brüllen die Stille durchbrach, richtete sie sich erschrocken auf und blickte in die Dunkelheit. Was war das? Auf einmal erinnerte sie sich daran, dass Jason erwähnt hatte, die Beduinen hätten ganz in der Nähe ihre Zeltstadt errichtet. Wahrscheinlich hatten ihre Kamele gerade so laut gebrüllt.

Auch danach gelang es ihr nicht, die störenden Gedanken zu verdrängen. Wie viel Zeit hatte sie, um ihre Pläne zu verwirklichen? Wie lange würde sie hierbleiben können? Sir Harold hatte erklärt, er würde zu einem späteren Zeitpunkt nach Al Shamar kommen, um sich zu vergewissern, dass Paul sich ordentlich benahm, und um mit dem Scheich zu verhandeln. Das musste der Mann sein, den Jason Wilde erwähnt hatte. Würde es ihr gelingen, ihn fertigzumachen und es ihm heimzuzahlen, was er ihrer Schwester angetan hatte?

Natürlich konnte sie erst handeln, nachdem sie sich einen genauen Überblick über die Situation verschafft hatte. Fürs Erste würde sie sich auf die Büroarbeit konzentrieren, und später … Sie seufzte. Es konnte so viel Unvorhergesehenes geschehen. Das Leben inmitten der Wüste und fernab jeder Zivilisation war sicher sehr aufregend und abenteuerlich, und das machte die ganze Sache so spannend.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen wurde Nicola durch lautes Klopfen an ihrem Fenster aus dem Schlaf gerissen. Hastig sprang sie auf, schob die Vorhänge ein wenig auseinander, öffnete einen Flügel einen Spalt und blickte in Graham Wilsons freundliches Gesicht.

„Es ist sechs Uhr“, verkündete er lächelnd. „Jason meint, Sie würden jetzt aufstehen wollen.“

„Das passt zu ihm.“ Nicola konnte sich die Bemerkung nicht verbeißen. „Aber vielen Dank, Mr. Wilson, dass Sie mich geweckt haben. Wie komme ich zu einem Frühstück?“

Er stützte die Hände in die Hüften. „Jason hat mir aufgetragen, Sie in die Kantine mitzunehmen, damit die Männer Sie kennenlernen.“

„Was für eine glänzende Idee“, entgegnete sie spöttisch. „Okay, in fünf Minuten bin ich fertig.“

Zehn Minuten später verließ sie den Bungalow. Die Jeans und die weiße Baumwollbluse verliehen ihr ein geschäftsmäßiges Aussehen. Das lange Haar hatte sie hochgesteckt.

Graham betrachtete sie bewundernd. „Erst jetzt wird mit bewusst, wie sehr uns der Anblick einer attraktiven jungen Frau gefehlt hat.“

Nicola quittierte das Kompliment mit einem freundlichen Lächeln. Sie fand Graham Wilson ausgesprochen sympathisch, er wirkte natürlich, nett und schien ein durch und durch anständiger Mensch zu sein. Er war nicht viel größer als sie, hatte gelocktes rötliches Haar, breite Schultern und eine gedrungene Gestalt. Mit ihm würde sie gut auskommen, und das war ihr auch wichtig.

An diesem wunderschönen klaren Morgen mit dem unglaublich strahlenden blauen Himmel kam ihr das Camp angesichts der endlosen Weite rings um sie her klein und unbedeutend vor. Als sie gestern mit Paul von Gitana nach Castanya gefahren war, hatte sie vor lauter Anspannung nicht auf die Umgebung geachtet. Doch die Sanddünen, die sich bis zum Horizont erstreckten, und die blassviolett gefärbte Bergkette in der Ferne erfüllten sie mit Ehrfurcht. Der Sand war von einem intensiven Gelb und schimmerte und glitzerte in der Sonne. Solchen Sand hatte sie noch nie gesehen, aber sie befanden sich hier ja auch nicht an der Küste, sondern in der weitgehend unberührten, unwirtlichen Wüste, die sogar gefährlich sein konnte, wenn man sich mit ihren sich ständig verändernden Formationen nicht auskannte.

Schließlich konzentrierte sie sich auf ihre unmittelbare Umgebung, die in geraden Reihen aufgestellten Bungalows, das Klubhaus, den Supermarkt und den Generator. Das waren alltägliche Dinge und nichts Besonderes. Irgendwie fand sie es seltsam, dass es so gut wie keine Vegetation gab. Außer etwas Gestrüpp, das im Schatten der Gebäude überlebt hatte, wuchsen nirgendwo Bäume oder Pflanzen. Woher das Leitungswasser kam, war ihr rätselhaft, und sie nahm sich vor, es herauszufinden.

Die Männer, die in kleinen Gruppen zu der Kantine wanderten, musterten sie ungeniert. Wahrscheinlich fragten sie sich, wieso und warum sie plötzlich hier aufgetaucht war. Einige sprachen Graham in ihrem Beisein offen darauf an, und er erklärte, das Management habe sie hergeschickt, damit sie Jason entlastete und die Büroarbeiten übernahm. Das schien die Leute jedoch nicht zu überzeugen, wie ihre skeptischen Mienen verrieten. Dennoch behandelten die Männer sie höflich und freundlich. Nach dem anfänglichen Gefühl, hier so etwas wie ein Fremdkörper zu sein, gewöhnte sie sich an die neugierigen Blicke.

Die Kantine war ein riesiger Raum, an dessen einem Ende sich die Bar befand, während das Essen am anderen Ende ausgegeben wurde. Das reichhaltige Frühstücksbüfett überraschte Nicola. Als Graham ihr jedoch Müsli, Toast, Schinken, Speck, Eier und Kaffee auf das Tablett stellen wollte, lehnte sie dankend ab. So früh am Morgen brachte sie nur eine Scheibe Toast und eine Tasse Kaffee hinunter.

Sie setzten sich an einen freien Tisch, und Graham sagte: „Unsere Mitarbeiter kommen aus allen möglichen Ländern, nicht nur aus England, wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist. Wir sind ein internationales Team, das können Sie auch an den vielen fremdsprachigen Tageszeitungen erkennen.“

„Erhalten Sie die Zeitungen pünktlich, oder sind sie schon einen Tag alt, wenn sie hier ankommen?“, erkundigte sie sich interessiert.

„Sie treffen immer am selben Tag bei uns ein und werden in aller Frühe am Flughafen abgeholt. Ich finde es gut, auf dem Laufenden zu sein und genau zu wissen, was daheim und in der Welt geschieht.“

„Wo sind Sie zu Hause?“, erkundigte sich Nicola, während sie den Toast mit Butter bestrich.

„In Birmingham. Kann man das nicht hören? Jason behauptet, mein Akzent würde mich verraten.“

„Nein, das ist mir nicht aufgefallen“, erwiderte sie lächelnd. „Aber jetzt, nachdem Sie es erwähnt haben …“ Sie mussten beide so laut lachen, dass sie allgemeines Aufsehen erregten. Die Gespräche verstummten, und man blickte zu ihnen herüber. Zu ihrer eigenen Überraschung errötete Nicola, obwohl sie geglaubt hatte, so etwas längst überwunden zu haben.

Dann erklärte Graham ihr, wie die Arbeit und das Zusammenleben organisiert waren. Jason Wilde war der Hauptverantwortliche hier und konnte dank seiner großen Erfahrung alle Probleme, vor die sie sich oft genug gestellt sahen, rasch lösen.

„Jason kann nicht überall gleichzeitig sein. Wenn er beispielsweise die Arbeiten an der Pipeline überwacht, die durch die Wüste bis zum Meer führen soll, muss Ian Mackenzie für den reibungslosen Arbeitsablauf auf der Förderanlage sorgen“, berichtete Graham.

„Wie weit sind die Arbeiten fortgeschritten? Dauert es noch lange, bis die Pipeline fertig ist?“

„Schätzungsweise neun oder zehn Monate, wenn keine unvorhergesehenen Probleme auftreten. Von Castanya bis nach Gitana sind es immerhin fast vierhundert Kilometer. Bis jetzt haben wir erst ungefähr hundert Kilometer verlegt.“

„Warum dauert das alles so lange?“

„Na ja, die Rohre unterschiedlicher Länge müssen zusammengeschweißt werden. Das hält auf. Außerdem dürfen Sie die Sandstürme und die schwierigen Arbeitsbedingungen nicht vergessen.“

„Werden die Pipelines unterirdisch verlegt?“

„Nein, das wäre unsinnig. Der Sand ist immer in Bewegung, ein einziger Sturm kann ihn tonnenweise von einer Stelle zur anderen bewegen, sodass eine Pipeline, die unterirdisch verläuft, vielleicht innerhalb eines Tages freigelegt sein würde. Die Rohre müssen also gut gegen Korrosion geschützt sein. Außerdem brauchen wir mehrere Pumpanlagen. Die Anlage in Castanya schafft es nicht allein, das Öl über eine so große Entfernung zu transportieren.“

„Ah ja.“ Nicola war beeindruckt. „Ich fange an zu begreifen, wie viel Mr. Wilde zu tun hat. Er ist sicher vom frühen Morgen bis in die Nacht beschäftigt.“

„Ja, das ist er. Wenn er dann auch noch mit den Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die der Scheich uns macht, merkt man ihm zuweilen die Belastung an. Der Scheich vertrat die Meinung, seine Landsleute würden von uns nicht anständig bezahlt. Deshalb musste Jason erneut verhandeln und schließlich einer Lohnerhöhung zustimmen.“

„Mir war nicht bewusst, wie kompliziert das Ganze ist.“ Nicola trank den Kaffee, ehe sie fortfuhr: „Wird schon Öl gefördert?“

„Ja. Der größte Teil wird hier gelagert, ein kleinerer Teil wird durch die fertige Pipeline bis nach Isthali geleitet und dort gelagert.“

„Wird es Ihnen nie langweilig? In Ihrer Freizeit, meine ich.“

„Es gibt genug Abwechslung. Wir spielen Karten, lesen, benutzen den Swimmingpool; auch die Tennisplätze sind begehrt. Wir haben sogar ein Kino und können uns alle möglichen Filme anschauen. Jedenfalls sind wir ziemlich unabhängig. Einige von uns fahren manchmal nach Gitana, doch viele verbringen ihre Freizeit hier. Schwimmen ist der beliebteste Zeitvertreib.“

„Woher kommt eigentlich das Wasser?“, fragte sie interessiert.

„Aus der nur wenige Kilometer entfernten Oase. Wir haben eine Leitung gelegt und eine Kläranlage gebaut mit allem, was dazugehört“, antwortete Graham.

„Haben Sie Mr. Wilde heute schon gesehen?“, erkundigte sie sich schließlich.

„Ja, ehe Sie aufgestanden sind. Jetzt ist er schon draußen in der Wüste bei der Pipeline.“

„Ach, er ist gar nicht mehr hier?“

„Nein. Er hat mich beauftragt, Sie herumzuführen und den Mitarbeitern vorzustellen“, erwiderte er lächelnd. „Ich soll Ihnen alles erklären, was Sie wissen müssen, und Ihnen das Büro zeigen.“

„Und wo ist Paul?“ Nicola blickte ihn beunruhigt an.

„Jason hat ihn mitgenommen.“ Graham schob den Stuhl zurück. „Keine Angst, Ihr Freund Paul wird es überleben.“

„Ich habe keine Angst um ihn“, protestierte sie. Aber sie ärgerte sich darüber, dass Jason Wilde sie einfach an seinen Mitarbeiter weitergereicht hatte. Deutlicher konnte er ihr nicht zu verstehen geben, was er von ihr und ihrer Anwesenheit hielt.

Während der nächsten Tage sah sie Jason nur flüchtig und aus der Entfernung, wenn er irgendwohin unterwegs war. Tagsüber überwachte er die Arbeiten an der Pipeline, und abends nach dem Essen war Nicola so erschöpft, dass sie sich für nichts mehr interessierte und nur noch schlafen wollte. Die ungewohnte Hitze machte ihr zu schaffen.

Hinzu kam, dass es für sie im Büro sehr viel zu tun gab. Meist hatte sie den großen Raum für sich allein, sie nahm die Anrufe entgegen, bearbeitete die E-Mails und wusste schon bald, was wichtig und was unwichtig war. Da sie Jason Wilde viele Routinearbeiten abnahm, hätte er sich eigentlich über ihre Hilfe freuen können. Aber er schwieg und schien ihr aus dem Weg zu gehen; jedenfalls kam er nur selten in das Büro, wenn sie da war.

Mittags um zwei, wenn die Sonne unerträglich heiß vom Himmel brannte, beendete sie die Arbeit und erledigte private Dinge. Da sie sich zweimal oder dreimal täglich umzog, war sie ständig mit Waschen und Bügeln beschäftigt.

Als sie es sich eines Abends im Sessel bequem gemacht hatte und einen der Thriller las, die sie in dem Bücherregal entdeckt hatte, kam Paul herein. Er schien erschöpft zu sein und hatte offenbar auch abgenommen.

„Hallo“, begrüßte er sie und setzte sich ihr gegenüber.

„Du siehst so aus, als würdest du jeden Moment umfallen“, stellte sie fest. „Lässt Jason Wilde dich so hart arbeiten?“

Paul verzog das Gesicht. „Hast du etwas anderes erwartet? Natürlich behauptet er, er mute mir nicht mehr zu als allen anderen. Vielleicht stimmt das ja, aber ich bin an körperliche Arbeit nicht gewöhnt und komme damit nicht zurecht. Irgendwie habe ich keine Kraft und keine Energie mehr.“

„Das liegt sicher an der Hitze“, erwiderte Nicola mitfühlend. „Mir macht sie auch zu schaffen. Geht es dir ansonsten gut? Hattest du keine Magenbeschwerden?“

„Gestern war mir etwas übel, heute merke ich nichts.“

Sie stand auf und nahm Tabletten aus ihrer Tasche. „Hier, zwei davon nimmst du heute Abend, ehe du ins Bett gehst. Ich habe gestern auch zwei genommen, und seitdem ist alles in Ordnung. An das Essen muss man sich erst gewöhnen, finde ich.“

Paul nickte. „Stimmt genau. Und was machst du so? Hast du viel zu tun?“

Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. „Ja, ziemlich viel. Ich werde auch leicht müde, da bist du nicht der Einzige. Sobald ich mich akklimatisiert habe, ist das überwunden, denke ich.“

„Hat mein Vater dir gegenüber erwähnt, wie lange ich hier ausharren muss?“, fragte Paul gespannt.

„Nein. Aber du müsstest nicht hier sein“, erinnerte sie ihn.

„Hatte ich denn eine Wahl? Ohne seine finanzielle Unterstützung hätte ich mir in England einen Job suchen müssen, was natürlich nicht infrage kam. Wenn ich schon arbeiten muss, dann im Ausland, wo mich niemand kennt.“

„Du hättest dir selbst eine Stelle im Ausland suchen können, statt dich auf deinen Vater zu verlassen.“

„Nein, das ist völlig unmöglich.“ Er schüttelte den Kopf. „Falls du es noch nicht weißt: Ich bin ein willensschwacher Mensch und zu nichts nütze“, erklärte er ironisch.

„Mach dich nicht selbst schlecht“, entgegnete sie. „Dein Vater ist wirklich nicht so schlimm, wie du denkst.“ Sie ging in Richtung Küche. „Möchtest du einen Kaffee?“

„Ja, gern.“

„Ich auch“, ertönte eine tiefe raue Stimme hinter ihr. Nicola wirbelte herum und erblickte Jason Wilde an der Tür zum Wohnzimmer. Wie lange stand er schon da? Hatte er ihre Unterhaltung mitbekommen?

Den aufsteigenden Zorn schluckte sie hinunter. „Okay“, antwortete sie und betrat die Küche. Sie war sich seiner Gegenwart allzu sehr bewusst und hoffte, er würde es nicht merken. Egal, wie sehr sie sich wünschte, ihr Plan würde gelingen, Jason musste sich um sie bemühen, nicht umgekehrt. Ob er das jemals tun würde, war mehr als fraglich.

Als sie die Kaffeemaschine anstellte, hörte sie, dass die beiden Männer sich unterhielten, und hätte zu gern gewusst, worüber. Ungeduldig wartete sie darauf, dass der Kaffee fertig war.

Paul war jedoch weg, als sie das Tablett mit drei Tassen und der Kaffeekanne ins Wohnzimmer brachte. Überrascht sah sie sich um.

„Stellen Sie alles hin, sonst fällt es Ihnen noch aus der Hand“, forderte Jason sie leicht belustigt auf. „Paul hat es sich anders überlegt. Er meinte, wenn er jetzt noch einen Kaffee trinken würde, könne er nicht schlafen.“

Mit einem leichten Knall stellte sie das Tablett auf den niedrigen Tisch und konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich ärgern oder froh sein sollte, dass Paul gegangen war. Der Grund, warum Jason Wilde noch da war, war bestimmt wenig schmeichelhaft, und deshalb kam bei ihr keine rechte Freude auf.

„Trinken Sie den Kaffee mit Milch und Zucker?“, fragte sie angespannt, ehe sie sich setzte.

„Haben Sie etwas dagegen, dass ich auf den Kaffee verzichte und mir stattdessen einen Drink einschenke?“

Sie spürte seine innere Unruhe und wünschte, er würde sich endlich hinsetzen. „Bedienen Sie sich“, forderte sie ihn betont gleichgültig auf. Dann schenkte sie sich den Kaffee ein und trank einen Schluck.

Jason fand, was er suchte, und nahm schließlich mit einem Glas Whisky in der Hand ihr gegenüber Platz. Als er sie betrachtete, wurde ihr bewusst, dass sie nach dem Mittagessen nicht geduscht hatte. Plötzlich fühlte sie sich unbehaglich und kam sich schrecklich unattraktiv vor. Sie trug immer noch dieselben Jeans wie im Büro und hatte das Haar hochgesteckt. Unsicher strich sie die Strähnen, die sich gelöst hatten, aus dem Gesicht.

„Sind Sie aus einem besonderen Grund hier?“, erkundigte sie sich.

Gedankenverloren betrachtete er das Glas in seiner Hand, sodass Nicola ihn unbemerkt mustern konnte. In der dunklen Leinenhose und dem hellen, fast bis zur Taille offenen Baumwollhemd sah er umwerfend männlich aus. Plötzlich war sie entsetzt über die Richtung, die ihre Gedanken nahmen, und wandte sich ab.

„Ich möchte nicht, dass Paul Mannering Sie hier besucht“, antwortete er nach längerem Schweigen.

„Wie bitte? Was soll das heißen?“ Empört blickte sie ihn an.

„Genau das, was ich gesagt habe. Ich möchte nicht, dass er Sie besucht, wenn Sie allein sind.“

„In welchem Jahrhundert leben Sie?“, fuhr sie ihn zornig an und holte tief Luft. „Sie haben mir gar nichts zu befehlen! Ich entscheide selbst, wer mich in meinem Bungalow besuchen darf und wer nicht.“

„O nein, so funktioniert das nicht“, entgegnete er gefährlich ruhig. „Ich bin Ihr Vorgesetzter und dulde nicht, dass gewisse ungeschriebene Regeln verletzt werden. Sie haben den Bungalow nicht gemietet, er ist Ihnen nur zum vorübergehenden Gebrauch überlassen worden. Außerdem werde ich nicht zulassen, dass Sie sich hier wie … ein Flittchen aufführen.“

„Wie können Sie es wagen, mir so etwas zu unterstellen!“ Vor lauter Zorn hätte sie sich beinah verschluckt.

„Nun, einige meiner Mitarbeiter könnten auf die Idee kommen, was für einen gilt, gilt für alle. Was würde wohl geschehen, wenn alle wüssten, dass Paul Mannering bei Ihnen ein und aus geht? Wie würden die Männer reagieren? Vielleicht glauben die Leute, Sie seien leicht zu haben. Oder sie bestehen darauf, auch ihre Frauen und Freundinnen mitzubringen.“

Sekundenlang schwieg sie und ärgerte sich über seine kühle Logik. „Paul ist nur ein guter Freund“, wandte sie dann ein.

„Und Graham Wilson?“

„Was wollen Sie damit andeuten?“

„Nur dass Wilson seine Arbeit vernachlässigt, um in Ihrer Nähe zu sein. Man redet schon darüber, dass er mit Ihnen essen geht.“

„Das ist doch völlig harmlos. Außerdem bin ich dafür nicht verantwortlich“, fuhr sie ihn an.

„O doch. Sie könnten hier in Ihrem Bungalow essen oder sich allein an einen Tisch setzen.“

„Meine Güte, was für ein absurder Vorschlag! Das wird ja immer verrückter!“, rief sie entsetzt aus.

„Benehmen Sie sich korrekt, dann gibt es auch keinen Grund, Sie zu kritisieren“, forderte Jason sie ruhig auf. „Für eine Frau wie Sie ist das natürlich ziemlich schwierig, aber Sie könnten es wenigstens versuchen.“

Nicola errötete vor Wut und stand auf. „Sie tun mir leid. Männer wie Sie kann man eigentlich nur verachten.“ Alle guten Vorsätze, ruhig zu bleiben und sich zu beherrschen, waren vergessen. „Sie können nicht einfach hier hereinkommen und mir vorschreiben wollen, wie ich mich zu benehmen habe! Wofür halten Sie sich? Damit Sie es wissen, Sie sind nichts Besonderes, sondern auch nur ein ganz normaler Mensch und können weder Paul noch mich wie Leibeigene behandeln.“

Jason erhob sich auch. „Sieht Paul es auch so?“ In seinen Augen blitzte es gefährlich auf.

„Ja … Nein … Das heißt … Ach, ich weiß es nicht mehr. Sie bringen mich völlig durcheinander“, beschwerte sie sich und wandte sich ab.

„Sind Sie der Meinung, ich würde Sie wie eine Leibeigene behandeln?“ Seine Stimme klang unbeteiligt.

Nicola zuckte mit den Schultern. Sie kam sich vor wie bei einem Verhör und senkte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht“, gab sie widerstrebend zu.

„Ihre erste Arbeitswoche im Camp haben Sie jedenfalls gesund und munter überstanden“, stellte er spöttisch fest und ging zur Tür. „Vielen Dank, dass ich mich zu Ihnen setzen durfte. Für den Drink brauche ich mich nicht zu bedanken, den habe ich mir selbst genehmigt. Übrigens, ich fahre morgen nach Umbyra. Wollen Sie mitkommen?“

„Umbyra?“, wiederholte sie. „Wo liegt das?“

„Etwa vierzig Kilometer von hier im Landesinneren. Ich mache einem der Stammesführer einen Höflichkeitsbesuch. Vielleicht haben Sie Lust, mich zu begleiten.“

Nachdenklich sah sie ihn an. So entspannt, wie er dastand, war es nur schwer vorstellbar, dass er ihr vor fünf Minuten noch heftige Vorhaltungen wegen vermeintlicher Männerbesuche gemacht hatte.

„Sie müssen doch Angst haben, dass man dann über uns redet und irgendwelche Gerüchte in die Welt setzt. Es tut mir leid, aber Sie kommen mir ziemlich verklemmt vor.“ Diese Spitze konnte sie sich nicht verbeißen.

Jason lächelte betont nachsichtig. „Glauben Sie, was Sie wollen. Jedenfalls kennen meine Mitarbeiter mich gut genug und würden mir niemals ein Interesse an Ihnen unterstellen. Außerdem möchte ich unterwegs einige Messungen vornehmen. Vielleicht können Sie sich nützlich machen.“

„Ah ja, ich wusste gleich, dass die Sache einen Haken hat“, bemerkte sie kühl.

Er ignorierte die Bemerkung. „Entscheiden Sie sich, kommen Sie mit oder nicht?“

„Wer erledigt in der Zeit die Büroarbeit?“

„Graham wird sich darum kümmern. Also, was ist?“

„Okay, ich fahre mit.“

„Gut. Wir brechen um sechs Uhr auf. Ich lasse uns Sandwiches einpacken, dann können wir uns das Frühstück sparen und gewinnen etwas Zeit.“

Nicola sah auf die Uhr. Es war schon nach zehn. Im besten Fall würde sie sechs bis sieben Stunden Schlaf bekommen, was keineswegs genug war. Dennoch nickte sie. Jason schien zu spüren, dass sie müde war, denn er wünschte ihr noch eine gute Nacht und verschwand.

Nachdem sie geduscht hatte, schlüpfte sie unter die Bettdecke. Vor lauter Aufregung über die Aussicht, am nächsten Tag mit Jason Wilde allein zu sein, schienen ihre Nerven bis in die Fingerspitzen zu vibrieren. Irgendwie musste sie ihren Zorn und ihren Hass auf ihn unterdrücken und ihm den Eindruck vermitteln, sie sei nichts anderes als eine junge attraktive Frau, die gern flirtete. Immerhin war er auch nur ein Mann, und es konnte doch nicht so schwer sein, sein Interesse zu wecken.

Um fünf Uhr am nächsten Morgen, als die ersten schwachen Lichtstreifen am dunklen Himmel die Morgendämmerung ankündigten, wurde Nicola wach und stand sogleich auf. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, setzte sie sich auf die Veranda und wartete auf Jason. Nur wenige Minuten später erblickte sie den Geländewagen, der auf ihren Bungalow zukam und eine Staubwolke hinter sich aufwirbelte. Sie war nervös und fragte sich, warum dieser Mann sie so sehr aus dem seelischen Gleichgewicht brachte. Vermutlich lag es nur daran, dass sie einen bestimmten Plan verfolgte und ihm etwas vorspielen musste. Andererseits reizten seine Arroganz und seine verächtlichen Bemerkungen sie immer wieder dazu, ihn zu verletzen.

Jason hielt vor ihrem Bungalow an und öffnete die Beifahrertür, ohne auszusteigen. Nicola ging die Stufen hinunter, ließ sich auf den Sitz sinken und schlug die Tür zu. Noch war nicht viel los im Camp; die wenigen Leute, die auf dem Weg zu ihren Unterkünften oder zur Kantine waren, nahmen keine Notiz von ihr und ihrem Begleiter.

Sie fuhren auf die endlose Sandwüste zu und in südlicher Richtung weiter. Nicola warf Jason immer wieder einen verstohlenen Blick zu und wunderte sich über seine Gleichgültigkeit angesichts der Einsamkeit und der Leere dieser Landschaft. Hatte er keine Angst, dass ein plötzlich aufkommender Sandsturm die gut sichtbaren Spuren der vielen Fahrzeuge, die vor ihnen die Wüste durchquert hatten, verwischte? Aber wahrscheinlich hatte er sein Handy mitgenommen. Allerdings hatte sie keine Ahnung, ob es hier überhaupt funktionierte. Ihr eigenes hatte sie jedenfalls vergessen.

Als sie an den Unterkünften der einheimischen Arbeiter vorbeifuhren, fielen ihr die neugierigen Blicke der Menschen und die Pferde und Kamele auf, die im spärlichen Schatten der Zelte lagen. Die Sonne brannte immer unbarmherziger vom Himmel, und Nicola war froh, dass die Klimaanlage in dem Wagen etwas Kühlung brachte.

„Verstehen Sie jetzt, warum ich so früh unterwegs sein wollte?“, brach Jason schließlich sein Schweigen. „Um die Mittagszeit herum wird die Hitze unerträglich.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen.“ Sie strich sich das Haar hinter die Ohren. Sie hatte sich entschieden, es offen zu tragen, bereute es jedoch, denn es war bei der Hitze ausgesprochen lästig. Manchmal ist es besser, vernünftig zu sein und praktisch zu denken, statt unter allen Umständen schön aussehen zu wollen, sagte sie sich selbstironisch.

„In diesem Klima ist langes Haar ziemlich unpraktisch“, bemerkte er in dem Moment zu ihrer Verblüffung, so als hätte er ihre Gedanken erraten.

Sie verbiss sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, und antwortete ruhig: „Es gefällt mir, es offen zu tragen.“ 

„Das ist mir klar. Es war nur eine Feststellung.“

Sekundenlang schwieg sie und betrachtete seine kräftigen Hände, die dunklen Härchen auf seinen Armen, die moderne sportliche Uhr an seinem Handgelenk und den Siegelring an seinem kleinen Finger.

„Aus welchem Teil Englands kommen Sie?“, fragte sie dann.

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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