Julia Kiss Band 16

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

1, 2, 3, WER KRIEGT DIE BRAUT? von KRISTIN GABRIEL

Mit Männern hat Annie nur Pech: Ihr erster Verlobter entpuppt sich als Gangster, der zweite verschwindet spurlos. Zusammen mit sexy Privatdetektiv Cole Rafferty macht sie sich auf die Suche und merkt: Er ist ihr Mr. Right! Doch plötzlich stehen Nummer 1 und Nummer 2 vor der Tür …

WER KÜSST HIER WEN? von JULIE KISTLER

Michael will es wissen: Die tolle Frau, die er gerade zärtlich küsst, kann unmöglich Cassie sein, denn die will doch seinen Bruder heiraten. Ist es ihre Zwillingsschwester Polly, die damals spurlos aus seinem Leben verschwand? Doch die Traumfrau schweigt - und genießt …

SÜSS WIE SCHOKOLADE von DAWN ATKINS

Weil Nathan seinen Job hinschmeißen will, soll Mariah kommen und ihn zur Vernunft bringen! Leider ist er immer noch so gefährlich attraktiv wie damals, als sie ihn beinahe geheiratet hätte … An die Ehe glaubt Mariah bis heute nicht, aber an Nathans heiße Küsse erinnert sie sich nur zu gut.


  • Erscheinungstag 12.06.2020
  • Bandnummer 16
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715472
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kristin Gabriel, Julie Kistler, Dawn Atkins

JULIA KISS BAND 16

PROLOG

Annie Bonacci war sich nicht mehr sicher, wie es um ihr Nervenkostüm bestellt war. Aber sie war überzeugt, dass sie von der Panik noch ein ganzes Stückchen entfernt war. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem sie feststellte, dass sie sich gerade auf der falschen Seite des Fensters ihrer Wohnung im vierten Stock eines Newarker Apartmenthauses befand.

„Ich muss mir dringend einen neuen Job suchen“, murmelte sie, während sie sich an der bröckelnden Fensterbank festhielt. „Ich brauche einen Ortswechsel, einen Neuanfang und eine zwölf Meter lange Leiter.“

Sie spähte vorsichtig in die dunklen Schatten der schmalen Gasse unter ihr. Die zwölf Meter erwiesen sich als äußerst zuversichtliche Schätzung. Doch Annie war schließlich nicht nur eine geborene Optimistin, sondern auch eine 31-jährige Frau, die ihr Leben fest im Griff zu haben glaubte.

Und genau das hatte sie in diese Bredouille gebracht. Ihr kurzes rotes Kleid rutschte ihr über die Hüften und gab der kühlen Septemberbrise noch mehr von ihrem Körper preis. Was sie aber wirklich zum Zittern brachte, war der Tornado, der durch ihr Apartment tobte. Der Schrei einer streunenden Katze, die unter ihr durch die Gasse streunte, klang geradezu zahm im Vergleich zu den lauten Flüchen, die sie durch ihr Fenster hören konnte.

Annies Finger schlossen sich so fest um den spröden Beton, dass ihre Knöchel im Mondlicht weiß leuchteten. Mit ihren bloßen Zehen krallte sie sich in die kleinen Spalten in der kalten Backsteinmauer. Springen kam nicht infrage. Genauso wenig wie auf Hilfe zu warten. Die einzige Person, die ihr Dilemma kannte, lag im Augenblick mit einem komplizierten Beinbruch, mehreren gebrochenen Rippen und einer schweren Gehirnerschütterung im St.-James-Krankenhaus. Und an all dem waren nur ihre ungebetenen Gäste schuld.

Sie konnte hören, wie sie ihr Apartment verwüsteten: eine Horde von Auftragsschlägern, die erst aufgeben würden, wenn sie Annie gefunden hatten. Zwei Tage lang hatte sie es geschafft, ihnen aus dem Weg zu gehen, aber nun hatten die Typen sie gefunden. Es war an der Zeit, sich ein neues Versteck zu suchen.

Doch zunächst musste sie irgendwie von dieser Hauswand herunterkommen.

Die Schlafzimmertür wurde aufgerissen, und ein Knall peitschte durch das offene Fenster wie ein Gewehrschuss. Annies Nackenhaare richteten sich auf, und ihre Handflächen wurden feucht vor Angst.

Weg hier! Schnell!

Sie blickte vorsichtig nach rechts zu der rostigen Regenrinne. Selbst der verkümmerte Efeu, der sich daran emporrankte, schien zu schwer für das alte Ding zu sein. Von Annies 65 Kilo Lebendgewicht ganz zu schweigen. Sie atmete tief durch und schloss die Augen.

Denk dich dünn!

Sie streckte eine Hand aus und schloss sie um das dicke Rohr. Dann hob sie einen Fuß und stellte ihn auf der metallenen Wandhalterung ab. Leise stöhnte sie auf, als ihr das scharfe Metall in die Zehen schnitt. Die Regenrinne ächzte, als Annie auch ihre zweite Hand darum legte und schließlich ihren anderen Fuß nachzog.

Und dann rutschte sie auch schon nach unten.

Das marode Metall riss ihre Handflächen auf, als sie das Rohr hinuntersauste. Sie atmete das scharfe Aroma des Rostes und den schweren Kohlduft ein, der aus dem Fenster von Mrs. Moynihan im dritten Stock strömte, und umschlang das Rohr mit ihren bloßen Oberschenkeln, um das Tempo zu verringern. Die Reibung verbrannte ihr die Haut.

Das Rohr endete einen Meter über dem Boden, und Annie fiel wie ein Stein auf den hastig gepackten Seesack, den sie aus dem Fenster geworfen hatte, ehe sie hinausgeklettert war.

Sie atmete tief durch. „Nur ein weiterer Tag im Leben einer Enthüllungsjournalistin.“ Sie stand langsam und mit wackeligen Knien auf und untersuchte ihre geschundene Haut. Mitten in der Nacht eine Regenrinne herunterzuschlittern war um einiges schmerzhafter, als sie gedacht hätte.

Doch es war nun einmal nötig gewesen, so wie es jetzt nötig war, Jersey zu verlassen. Sie hatte ein One-Way-Ticket nach Denver, Colorado, und genug Adrenalin im Blut, um die ganze Strecke bis zum Newark International Airport zu joggen. Allerdings ging ihr Flug schon in einer Stunde, also würde sie es wohl besser mit einem Taxi versuchen.

Annie zog ihren zerknitterten Regenmantel aus der Tasche und begutachtete dann stirnrunzelnd die Schuhe mit den 7,5-cm-Absätzen, die sie eilig dazugestopft hatte. Die Dinger eigneten sich wohl eher für eine kleine Tangoeinlage als für eine Flucht vor dem sicheren Tod.

Aber zumindest waren sie nicht aus Zement.

Annie zog sie über ihre schmerzenden Füße und suchte Trost in dem einzigen Gedanken, der in ihrem Kopf noch Platz hatte: Schlimmer konnte es nicht werden.

1. KAPITEL

Jetzt kam es drauf an.

Cole Rafferty schloss für einen kurzen Moment die Augen und zwang sich, alle seine Probleme zu vergessen. Er musste sich konzentrieren, denn es ging um alles oder nichts. Diesen Punkt würde er nach Hause bringen.

Seine Schultermuskulatur spannte sich, als er sorgfältig zielte. Dann hob er den Arm und warf.

Die zusammengeknüllte Papierkugel flog in einem perfekten Bogen auf den Plastik-Basketballkorb zu, der über der Bürotür hing. Wenn er diesen Punkt machte, würde sein Team die regionale … die nationale … nein, die Weltmeisterschaft gewinnen. Er hob gerade siegessicher die Faust, als die Tür aufging und den Ball von seiner Bahn abbrachte. Geräuschlos fiel er weit vom Korb entfernt auf den beigefarbenen Plüschteppich.

„Foul!“, schrie er die matronenhafte Frau an, die im Türrahmen stand.

Ethel Markowitz bückte sich, um den Papierball vom Boden aufzuheben, und strapazierte dabei die Nähte ihres senfgelben Polyester-Hosenanzugs. „Für mich sieht es eher nach Müll aus.“

„Geben Sie mir meinen Ball zurück, Ethel. Es geht um den Weltmeistertitel.“

Ethel knüllte die Kugel in ihrer Hand zusammen und versenkte sie gekonnt im Mülleimer. „Dieses Netzdings da über der Tür sieht ziemlich unprofessionell aus. Außerdem ist es ein Staubfänger. Vielleicht sollte ich es mal abmontieren, um es gründlich zu putzen.“

„Legen Sie sich bloß nicht mit meinem Korb an, Ethel“, warnte Cole und ließ sich in den gepolsterten Ledersessel hinter dem Schreibtisch fallen. „Wir haben das doch schon ausdiskutiert. Meine Arbeit als Privatermittler ist außerordentlich aufreibend, um nicht zu sagen stressig.“ Er lehnte sich zurück, legte seine nur in Strümpfen steckenden Füße auf den Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. „Körbewerfen hilft mir, mich zu entspannen.“

„Wenn Sie sich noch ein bisschen mehr entspannen, endet das im Herzstillstand.“

Er lächelte. „Sie reden wie die geborene Sekretärin.“ Ethel musterte ihn über ihre Zweistärkenbrille hinweg missbilligend. „Ihr Vater sah das jedenfalls so. Ich habe 35 wunderbare Jahre lang für ihn gearbeitet, und er hat kein einziges Mal seine Füße auf den Tisch gelegt.“

„Aber doch nur, weil er in ständiger Angst vor Ihnen gelebt hat, Ethel. Ich dagegen weiß, dass Sie eigentlich eine niedliche kleine Puppe sind.“

Sie schnaubte. „Barbie ist eine Puppe. Ich bin eine 62-jährige alte Jungfer, die orthopädische Einlagen trägt. War das deutlich, Mr. Rafferty?“

„Das war es … Puppe.“ Ethel konterte, indem sie einen pinkfarbenen Memoblock aus ihrer Tasche zog.

Cole stöhnte auf. „Sagen Sie nicht, dass es noch mehr Reaktionen gibt.“

Ihre olivfarbenen Augen glommen schadenfroh auf. „Nur drei heute.“

Er rutschte tiefer in das Polster seines Sessels hinein. „Ich will nichts davon wissen.“

Ethel ignorierte seinen Wunsch kurzerhand und las die Nachrichten laut vor. „Miss Abigail Collins sammelt essbare Unterwäsche und wüsste gerne Ihre bevorzugte Geschmacksrichtung. Penny Biggs möchte gerne, dass Sie ihre Eltern kennenlernen – sobald sie den Schlüssel zum Dachboden gefunden hat. Und eine Dame namens Rita plant, ich zitiere hier wörtlich, ‚echt mal hammergeile Flitterwochen, die Sie nie vergessen werden‘, angeregt durch Vorschläge ihrer Freundinnen aus Gefängnisblock D.“

„Diesmal hat Dad sich wirklich selbst übertroffen“, murmelte Cole. An Ethels sachliche Art war er schon gewöhnt. Diese Frau war einfach unerschütterlich.

Und ebenso unerschütterlich war ihre Bereitschaft, Rex Rafferty bis aufs Messer zu verteidigen. „Aber nur, weil er ein liebender Vater ist, dem Ihr Wohlergehen ehrlich am Herzen liegt. Wissen Sie eigentlich, wie lange er an dieser Anzeige gearbeitet hat? Und wie sehr er sich wünscht, dass Sie nun endlich sesshaft werden und ihm ein Enkelkind schenken?“

„Denken Sie, er wäre auch zufrieden, wenn ich mir einen Hamster zulegen würde?“

Ihre bleichen Lippen zogen sich zu einer schmalen Linie zusammen.

„Das war nur ein Witz, Ethel“, sagte Cole und stellte seine Füße wieder auf den Boden.

„Ich werde nicht dafür bezahlt, während meiner Arbeitszeit zu scherzen, Mr. Rafferty.“

„Sie werden auch nicht dafür bezahlt, Kontaktanzeigen aufzugeben.“

Sie wurde nicht direkt rot, doch das kurze Flackern in ihren Augen verriet ihm, dass er sie erwischt hatte: Sie steckte mit seinem Vater unter einer Decke.

Seit er sich vor einem Jahr zur Ruhe gesetzt hatte, verbrachte Rex Rafferty seine Zeit damit, im Leben seines Sohnes herumzupfuschen. Er hatte Cole beim „Töpfern für Singles“ angemeldet, ihm zum Geburtstag Bücher mit Flirttipps geschenkt, und letzte Woche hatte er zu allem Überfluss auch noch eine Kontaktanzeige in der Denver Post aufgegeben, laut der sein Sohn verzweifelt nach der großen Liebe suchte. Bislang hatte Cole 132 Antworten erhalten, von denen eine weniger verlockend klang als die nächste. Und sie waren noch nicht einmal alle von Frauen.

Cole massierte sich den Nasenrücken. Würde er den alten Mann nicht so lieben, er hätte ihn längst umgebracht.

Dann fixierte er Ethel. „War es unbedingt nötig, dass Sie meinen Namen und meine Telefonnummer veröffentlichen?“

„Sie sind jetzt 34 Jahre alt, Mr. Rafferty, und ich denke nicht, dass es zu viel verlangt ist, dass Sie sich endlich ein nettes, anständiges junges Mädchen suchen. Ich habe da übrigens eine Nichte …“

Cole räusperte sich, ehe sie den Satz beenden konnte. Ein Ehestifter in seinem Leben war mehr als genug. Außerdem hatte er Besseres zu tun, als seinen Familienstand zu diskutieren – zum Beispiel sein Basketballspiel beenden.

Er sammelte einige Dokumente zusammen, die auf seinem Schreibtisch herumlagen, und stapelte sie. „Ich würde ja gerne mehr über sie hören, aber ich habe Arbeit zu erledigen.“ Er griff sich einen Kugelschreiber und beugte sich eifrig über die Papiere. „Fünf waagrecht ist RÄTSEL“, informierte Ethel ihn. „Soll ich der Frau, die draußen auf Sie wartet, sagen, dass Sie zu beschäftigt sind, um sie zu sehen?“

Er sah von dem Kreuzworträtsel auf. „Eine Frau? Was für eine Frau? Doch nicht etwa eine von diesen Spinnerinnen, die die Kontaktanzeige gelesen haben?“

„Nein, ich glaube, sie ist eine potenzielle Klientin.“

„Eine Klientin? Eine echte Klientin?“ Cole begann hastig, seinen chaotischen Schreibtisch aufzuräumen. „Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?“ Ein ganzes Geschwader Papierflieger in der Hand, sah er sie an. „Sie machen sich doch nicht etwa über mich lustig, Ethel?“

„So groß ist mein Bedürfnis nach Unterhaltung dann auch wieder nicht.“

Er stopfte die Papierflieger in eine Schublade und wischte mit der Hand die Kekskrümel von seiner Schreibtischoberfläche. „Schicken Sie die Dame rein. Nein, warten Sie noch einen Moment. Ich muss mir erst die Schuhe wieder anziehen.“

„Sie haben sich zum Arbeiten heute Schuhe angezogen?“

„Sie müssen wirklich an Ihrem Sarkasmus-Problem arbeiten, Ethel. Sie verhalten sich äußerst unprofessionell.“ Er grinste, als sie sich würdevoll auf ihren Gummisohlen umdrehte und durch die Tür davonstolzierte.

Ein Fall. Ein echter Fall! Vielleicht … Er durfte sich nicht zu viel erhoffen. Rafferty Investigations zog nicht gerade aufregende Fälle an. Sein Vater hatte ihm das Geschäft nur unter der Bedingung übergeben, dass Cole das hohe Niveau hielt. Was bedeutete: keine Scheidungsfälle, keine verdeckten Überwachungen, keine marktschreierische Werbung. Nur eine diskrete Anzeige in den Gelben Seiten und ein Stundensatz, der so hoch war, dass sich nur wohlhabende, anspruchsvolle Kunden in die heiligen Hallen von Rafferty Investigations wagten.

Als Cole klar geworden war, worauf er sich da eingelassen hatte, war es schon zu spät gewesen. Und nun führte er eines der erfolgreichsten, solidesten und langweiligsten Detektivbüros in Denver. Zu den wichtigsten Stammkunden zählten Unternehmen, die monatlich große Beträge für die Sicherheitsberatung überwiesen, und hin und wieder untersuchte Cole Fälle von möglichem Versicherungsbetrug oder führte im Auftrag einer Firma eine Hintergrundüberprüfung durch.

Die meiste Zeit aber saß er in seinem Büro, langweilte sich zu Tode und träumte davon, Rafferty Investigations zu verlassen und sich einen etwas aufregenderen Job zu suchen, ohne seinem Vater das Herz zu brechen.

Und dann war da noch Ethel, die ebenso unausweichlich zu Rafferty Investigations gehörte wie der Privatermittlerausweis an der Wand.

Sie bewachte sein Büro wie einen Hochsicherheitstrakt und sorgte dafür, dass keine unwürdigen oder gar aufregenden Fälle über seine Türschwelle spazierten. Selbst wenn er seinen Vater hätte überreden können, seine Leitlinien ein wenig aufzulockern und auch etwas spannendere Fälle anzunehmen – Ethel kannte keine Gnade.

Cole seufzte und durchforstete seine Schubladen nach einer Krawatte. Da die Frau an Ethel vorbeigekommen war, konnte ihr Fall nicht sonderlich interessant sein. Vermutlich eine weitere Dame aus der feinen Gesellschaft, die ihr Hausmädchen beschuldigte, das Tafelsilber verhökert zu haben. Im Juli hatte er zwei Wochen damit verbracht, eine verschwundene Schöpfkelle zu suchen, die schließlich in einer Pfandleihe auftauchte – versetzt vom jüngsten Spross der Familie, der mit dem Geld seine Spielschulden bezahlt hatte. Aber immerhin: Der Fall hatte ihm eine nicht zu verachtende Summe und mehrere reizvolle Verabredungen mit dem alles andere als unschuldigen Zimmermädchen eingebracht.

Ein paar Vorteile hatte der Job also.

Er bot nur einfach keine Herausforderungen. Und Cole mochte Herausforderungen, um nicht zu sagen: Er lebte für sie. Aus diesem Grund hatte er sich bei der Polizei von Westview, Ohio, bis zum Detective hochgearbeitet, bevor er gekündigt hatte, um das Familienunternehmen weiterzuführen.

Und jetzt war die einzige Herausforderung in seinem Leben die Erhaltung seines Junggesellentums. Schließlich musste zu seinem langweiligen Job ja nicht eine noch langweiligere Ehe hinzukommen.

Die Tür öffnete sich leise, und Ethel geleitete die potenzielle neue Klientin, die erstaunlicherweise gar nicht so langweilig aussah, in sein Büro.

Die Frau trug einen langen schwarzen Regenmantel und eine schwarze Baskenmütze, unter der eine Flut aus schwarz glänzenden Locken hervorquoll. Sie zog ihre große dunkle Sonnenbrille ein Stückchen nach unten, um ihn über den Rand hinweg mit veilchenblauen Augen verwirrt zu mustern.

Ihre vollen Lippen verzogen sich missbilligend. „Und wer zur Hölle sind Sie?“

„Jedenfalls nicht der Teufel in Person. Einfach nur Cole Rafferty“, antwortete er mit schiefem Lächeln.

Wer hätte das gedacht? Es kann doch noch schlimmer werden.

Annie hatte nicht nur Newark verlassen müssen, zu allem Überfluss hatte man ihr am Denver Airport auch noch ihr Portemonnaie gestohlen, in dem sich ihr ganzes Bargeld und ihre Kreditkarten befanden. Und jetzt das hier …

Selbst durch ihre dunklen Brillengläser konnte sie erkennen, dass dieser junge, groß gewachsene und breit gebaute Mann hier nichts mit dem vornehmen, silberhaarigen älteren Herren gemein hatte, dessen Porträt im Empfangszimmer hing.

Verdammt! Sie wollte die andere Version, die väterlich-vertraueneinflößende mit weißem Haar und Falten! Jemand, der ihr den Kopf tätschelte und ihr glaubwürdig versicherte, dass alles gut werden würde. Nicht diesen Typen hier mit den beeindruckenden Muskeln und dem dunklen Schlafzimmerblick. Dieser Cole war genau die Art Mann, in die sie sich immer wieder verliebte und die sie wieder und wieder in Schwierigkeiten brachte.

Er erhob sich aus seinem Stuhl. „Und Sie?“

„Ich habe einen echt miesen Tag.“ Sie seufzte. „Ich wollte den anderen.“

„Welchen anderen?“

Sie wies mit dem Kopf in Richtung des Empfangszimmers. „Den auf dem Bild. Steht er auch zur Verfügung?“

Cole schüttelte den Kopf. „Er ist im Ruhestand. Scheint, als müssten Sie mit mir vorliebnehmen, Miss … tut mir leid, ich habe Ihren Namen nicht ganz mitbekommen.“

„Ich bin Annie …“, platzte es aus ihr heraus. Halt die Klappe! Halt einfach mal die Klappe! Wie sollte das nur weitergehen, wenn sie schon in den ersten fünf Minuten alle ihre guten Vorsätze vergaß und ihre Identität preisgab?

„Einfach nur Annie?“, fragte er.

„Annie … Jones“, fügte sie hinzu und setzte sich in einen Ledersessel. Annie Jones: ein perfekter Deckname mit einem netten, gewöhnlichen Klang.

„Annie Jones also“, wiederholte er und setzte sich ebenfalls. „Ihren Akzent kann ich nicht so recht einordnen.“

Na toll. Die zweihundert Dollar für die Sprecherausbildung hätte sie ebenso gut für ein Paar Schuhe ausgeben können. Man konnte Jersey zwar verlassen, aber los wurde man es nicht.

„Eine leichte Sprachbehinderung“, improvisierte sie. „Ich möchte nicht darüber reden.“

„Selbstverständlich“, mischte sich Ethel, die den Raum noch nicht verlassen hatte, von der Tür her ein und warf Cole einen kritischen Blick zu. „Ich bin mir sicher, dass Mr. Rafferty Sie nicht kränken wollte. Normalerweise ist er sensibler.“

„Danke, Ethel“, sagte er trocken. „Sie können jetzt zu Ihrem Hexenkessel zurückkehren und eine von Ihren Abrechnungen brauen. Ich komme hier sehr gut allein zurecht.“

Seine Sekretärin verließ schnaubend das Büro und schloss die Tür hinter sich.

Annie blickte auf und sah direkt in Coles Augen, mit denen er sie eindringlich musterte. Sie waren von einem warmen, tiefen Braun, wie geschmolzene Schokolade. Ein Braun, in dem sie sich hätte verlieren können. Annie schüttelte den Gedanken ab. Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte!

Weil sie sich gestern auf dem Weg vom Flughafen zum Regency Hotel verlaufen hatte, war zu allem Überfluss auch noch ihre Verabredung geplatzt. Vielleicht war diese ganze Reise nach Colorado ja nichts weiter als ein schlechter Traum! Vielleicht würde sie gleich aufwachen und sich sicher und behütet in ihrem Appartement in Newark wiederfinden …

Annie widerstand dem Drang, sich selbst zu kneifen. Ihr Leben war im Augenblick tatsächlich ein Albtraum, doch er war mehr als real, und Newark war für sie einfach nicht mehr sicher.

Nicht, seit sie doppeltes Spiel mit Quinn Vega gespielt hatte.

Vielleicht gibt es überhaupt keinen sicheren Ort mehr für mich. Nein, sie musste sich zusammenreißen. Vielleicht waren 2000 Meilen nicht genug, um jemandem wie Vega zu entkommen, aber sie waren ein guter Anfang. Sie musste einfach nur an ihrem Plan festhalten und hoffen, dass das Pech sie nicht bis nach Colorado verfolgt hatte.

Cole Rafferty beobachtete sie, das markante Kinn auf seine kräftigen, schön geformten Hände gestützt, noch immer. Der schlanke Bogen seiner Nase und sein kantiger Kiefer machten ihn noch attraktiver. Wenn er so klug wie gutaussehend war, dann hatte sie ein ernsthaftes Problem. Denn es war wichtig, dass er ihr die Geschichte glaubte, die sie sich für ihn zurechtgelegt hatte.

Annie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Bei den anderen war sie nicht einmal über die Türschwelle des Büros gelassen worden, und jetzt, wo sie so weit gekommen war, hatte sie Angst, den Plan zu vermasseln.

„Ich übernehme Ihren Fall“, verkündete Cole, bevor sie ein Wort sagen konnte.

Hinter ihrer Sonnenbrille blinzelte sie verwirrt. „Was?“

„Ihren Fall. Deswegen sind Sie ja wohl hier, oder?“

Das ging viel zu leicht! „Ja, aber ich … Sie wissen doch noch gar nicht, worum es geht! Vielleicht haben Sie ja gar kein Interesse!“

Er beugte sich vor. „Ich habe definitiv Interesse, Miss Jones. Großes sogar. Warum der Regenmantel und die Sonnenbrille? Werden Sie verfolgt oder bedroht? Haben Sie einen Stalker?“

Er wirkte so enthusiastisch, dass Annie den Gedanken hasste, ihn enttäuschen zu müssen. Sie nahm die Sonnenbrille ab und legte sie in ihren Schoß. „Sie nehmen meinen Fall wirklich an?“

„Wenn ich einige Termine hin- und herschiebe, schaffe ich es sicher, Sie in meinem Kalender unterzubringen.“ Er lehnte sich zurück. „Und jetzt erzählen Sie mir alles. Ihre Informationen werden selbstverständlich vertraulich behandelt.“

Er wirkte aufrichtig, doch sie war nicht bereit, auch nur das kleinste Risiko einzugehen. Je weniger er wusste, desto besser.

„Sie wissen ja nicht, wie viel mir das bedeutet, Mr. Rafferty. Ich habe solche Angst gehabt …“

„Nennen Sie mich Cole.“

„Cole.“ Sein Name kam ihr leicht über die Lippen, und er belohnte sie mit einem umwerfenden Lächeln. Annie sah einen Augenblick lang weg, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin. Ich dachte schon, ich würde niemals jemanden finden, der mir zur Seite steht. Sie sind schon der sechste Privatdetektiv, an den ich mich heute wende.“

Sein Lächeln verblasste. „Der Sechste?“

„Sie sind der letzte Name auf meiner Liste. Meine letzte Hoffnung.“

„Und alle haben Ihren Fall abgelehnt?“

„Abgelehnt ist noch eine freundliche Umschreibung. Die meisten haben mich nicht einmal zu Ende angehört. Bis ich hierher kam.“

„Vielleicht sollten Sie mir doch ein wenig mehr darüber erzählen, worauf ich mich hier einlasse“, sagte Cole nach kurzem Zögern.

„Eigentlich ist es gar nicht so kompliziert“, begann sie, „auch wenn es vielleicht ein wenig merkwürdig klingt.“

„Ich mag Merkwürdigkeiten.“

Dann wirst du das hier lieben! Annie umklammerte ihre Sonnenbrille. „Ich suche einen Bräutigam.“

Coles Stift, den er in den Händen gehalten hatte, fiel mit einem klappernden Geräusch zu Boden. Cole schloss die Augen, ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und murmelte einen Fluch vor sich hin, während er sich die Schläfen massierte. „Mein Vater hat Sie geschickt, oder?“

„Was?“

„Das hier ist ein abgekartetes Spiel“, rief er und sah sie anklagend an. „Und Ethel steckt mit Ihnen unter einer Decke. Ich hätte ahnen müssen, dass das hier zu schön ist, um wahr zu sein.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

Cole lächelte schmallippig. „Sie verschwenden Ihre Zeit, Miss Jones. Ich bin ein glücklicher Single. Also raus hier. Und Ihre großen blauen Augen, Ihr schönes Lächeln und die ganze Mata-Hari-Nummer können Sie gleich mitnehmen. Suchen Sie sich einen anderen armen, nichts ahnenden Junggesellen.“

Annie beobachtete vollkommen verwirrt, wie er den Kopf schüttelte und leise anerkennend pfiff.

„Eine Weile hatten Sie mich echt am Wickel“, sagte Cole. „Sie können meinem Dad ausrichten, dass ich fast auf Ihre Show reingefallen wäre.“

„Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?“

Er seufzte. „Noch nicht. Aber langsam glaube ich, dass sich mein Vater und Ethel verschworen haben, um mich in den Wahnsinn zu treiben.“ Er sah sie an. „Nicht, dass ich paranoid wäre oder so. Ich bin einfach nur ein ganz normaler Typ mit einem Job, der in die Sackgasse führt, einer dreistöckigen viktorianischen Goldgrube von Villa und der verzweifelten Hoffnung, heiratswütigen Frauen aus dem Weg gehen zu können.“

„Ich denke, dass Sie mich vielleicht missverstanden …“

Er hob eine Hand, um ihre Erklärung zu unterbrechen. „Es tut mir leid, aber ich habe kein Interesse. Danke, dass Sie vorbeigekommen sind.“

Na toll. Erst verlor sie ihr Portemonnaie, dann ihren Bräutigam und jetzt auch noch den einzigen Privatermittler in ganz Denver, der bereit gewesen war, sich ihre Geschichte anzuhören.

Annie schien so auszusehen, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde, jedenfalls beugte sich Cole über den Tisch, um ihr ein Taschentuch zu reichen. „Nehmen Sie es nicht so schwer. Es gibt viele konventionelle Wege, sich einen Mann zu angeln. Haben Sie es schon mal mit Kontaktanzeigen versucht?“

„Ich habe bereits einen Bräutigam, und nun muss ich ihn suchen!“

„Sie haben bereits …?“ Coles Stimme verebbte.

Kein Wunder, dass er so viel Zeit übrig hatte. Für einen Privatdetektiv war er offenbar nicht hell genug. Aber wenigstens war er wieder bei klarem Verstand.

„So ist es.“

Er brauchte einen Moment, um ihre Worte zu verarbeiten. „Das bedeutet, Sie wollen mich gar nicht heiraten?“

Sicher war Cole Rafferty auf eine markante, männliche Weise attraktiv. Er war toll gebaut, und seine warmen braunen, von dichten schwarzen Wimpern umrandeten Augen wirkten sehr anziehend. Aber so groß, wie sein Ego war, hatte bestimmt schon so manche Frau schreiend das Weite gesucht.

„Richtig“, antwortete sie knapp. „Mich würde mal interessieren, wie Sie auf diesen abwegigen Gedanken gekommen sind!“

Er fuhr sich mit den Fingern durch sein kurz geschorenes schwarzes Haar. „Das ist eine lange Geschichte. Mein Leben ist in letzter Zeit ein bisschen verrückt gewesen.“

„Das Gefühl kenne ich.“

„Also, lassen Sie uns noch mal von vorn anfangen“, sagte er und angelte den Stift vom Fußboden. „Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.“

„Finden Sie meinen Bräutigam. Wir hätten uns letzte Nacht im Regency Hotel treffen sollen. Aber erst hatte mein Flugzeug Verspätung, dann wurde mein Portemonnaie gestohlen …“

„Augenblick mal“, unterbrach er sie. „Jemand hat Ihr Portemonnaie gestohlen?“

Sie nickte. „Am Terminal. Ich hatte also kein Geld mehr fürs Taxi und musste per Anhalter zum Hotel fahren.“

Er richtete sich auf. „Sie sind per Anhalter gefahren? Mitten in der Nacht? In Denver?“

„Ich hatte doch keine Wahl!“ Annie zuckte mit den Schultern. „Und abgesehen davon ist trampen nur halb so gefährlich, wie die Leute meinen.“

„Sagt wer?“

„Sage ich“, rutschte ihr heraus, ehe sie sich erneut auf die Zunge beißen konnte. Dass sie Journalistin war, war eindeutig eine Information mehr, als sie preisgeben wollte. „Ich meine, ich habe das in einem Magazin gelesen. Der Artikel war sehr gut recherchiert.“ Annie hatte ihn geschrieben, nachdem sie einen Mann gedated hatte, der fünfmal quer durch die USA getrampt war. Leider hatte er sich seine Reisen dadurch finanziert, dass er Schecks fälschte. Er schickte ihr noch immer gelegentlich Geburtstagskarten aus dem Staatsgefängnis Sing-Sing.

„Okay“, sagte Cole und warf ihr einen langen, fragenden Blick zu. „Ich wiederhole: Nachdem Ihre Brieftasche gestohlen wurde, sind Sie zum Regency Hotel getrampt. Und was ist dann geschehen?“

„Nichts!“, rief sie. „Das ist ja das Problem! Mein Verlobter ist nicht aufgetaucht! Er ist verschwunden!“

Cole begann, Notizen auf seinen Block zu kritzeln. „Also eine vermisste Person. Das ist gut. Wie lautet der Name Ihres Verlobten?“

Sie beugte sich vor. Sie machten Fortschritte. „Roy. Roy Halsey.“

„Alter?“

„37.“

„Beruf?“

„Er ist Viehzüchter.“

Cole schrieb eifrig mit. „Können Sie ihn beschreiben?“

„Nicht wirklich. Das Foto war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme.“

Das Gekritzel verebbte, und Cole starrte sie an. „Das Foto?“

„Ich habe ihn noch nicht persönlich kennengelernt.“

„Sie machen Scherze.“

„Roy und ich haben uns die letzten vier Monate geschrieben und dabei festgestellt, dass wir sehr viel gemeinsam haben. Und ich bin mir sicher, dass wir sehr glücklich miteinander werden.“

Er starrte sie noch immer an. „Sie wollen damit sagen, dass Sie diesem Mann noch nie zuvor begegnet sind? Dass er Sie versetzt hat und Sie ihn noch immer heiraten wollen? Sind Sie übergeschnappt?“

„Nein, ganz sicher nicht. Ich bin eine Katalogbraut.“

Cole wusste nicht, ob er lachen oder sie aus seinem Büro werfen sollte. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Eine Hochzeit war selbst dann eine riesige Herausforderung, wenn das Paar vorher bereits jahrelang zusammen war. Mit was für einem Totalschaden sollte das Ganze dann erst enden, wenn Braut und Bräutigam Namensschilder tragen mussten, um einander zu erkennen?

Aber sie sah ganz und gar nicht so aus, als ob sie Witze machte. Eigentlich sah sie eher umwerfend aus. Immer wieder verfing sich Coles Blick in ihren veilchenblauen Augen. Und wenn er es doch schaffte, woanders hinzusehen, ertappte er sich dabei, wie er an die Kurven unter ihrem Regenmantel dachte. Oder wie er ihre vollen rosigen Lippen beobachtete. Warum ließ sich eine so tolle Frau wie Annie Jones auf eine Blindehe ein?

Andererseits, wieso antworteten 132 Leute auf eine Kontaktanzeige, die mit den Sätzen begann: „Alternder Junggeselle sucht fruchtbare Gefährtin. Auch nicht übler als so mancher, mit dem Sie schon ausgegangen sind.“

Die Verzweiflung trug eben manchmal seltsame Früchte.

„Sie wollen also wirklich, dass ich diesen Typen aufspüre?“, fragte er.

„Ja. Ich glaube, ohne ihn wird die Trauung nur ein halb so großer Erfolg.“

„Und was, wenn er es sich anders überlegt hat?“

„Das ist unmöglich. Ich glaube, dass er denkt, dass ich ihn versetzt habe. Und jetzt weiß ich nicht, wie ich Kontakt zu ihm aufnehmen kann. Ich sitze hier fest, in einer fremden Stadt, ohne Geld, ohne Kreditkarten …“ Sie verstummte und biss sich fest auf die Unterlippe.

Cole reichte ihr noch ein Taschentuch. „Miss Jones, ich bin mir sicher, Sie haben den Gedanken bereits in Erwägung gezogen, dass Mr. Halsey kalte Füße bekommen hat.“

„Wie bitte?“

„Eine Hochzeit ist ein großer Schritt. Vielleicht hat er eine andere kennengelernt.“

Annie schüttelte den Kopf. „Er hat mich extra hergebeten. Er meint es ernst, und ich muss ihn finden. Und zwar heute noch.“

„Warum bloß die Eile? Ich denke, Sie sollten sich etwas Zeit nehmen und sichergehen, dass er ein anständiger Kerl ist.“

Sie blickte Cole ernst an. „Dafür habe ich keine Zeit. Ich bin so weit gereist …“

„Sie sind also nicht von hier?“

Sie zögerte. „Ich komme aus New … England.“

„Sie sind also beinahe 2000 Meilen weit gereist, um einen wildfremden Mann zu heiraten? Wenn Sie meine Meinung hören wollen, Miss Jones, das klingt nicht einfach nur nach einer Verzweiflungstat, das klingt geradezu … wahnsinnig.“

„Ich will Ihre Meinung nicht hören.“

„Aber das sollten Sie. Oder Sie wenden sich einfach an einen guten Therapeuten. Vielleicht kennt dieser Halsey ja einen. Möglicherweise sitzt er nämlich in irgendeiner Psychiatrie ein. Oder im Staatsgefängnis. Was erklären könnte, weshalb er Sie versetzt hat.“

Annie winkte ab. „Das ist doch Unsinn. Er ist hier … irgendwo. Wir müssen ihn einfach nur finden.“

„Wir?“

„Nun, falls Sie sich erinnern, haben Sie versprochen, mir zu helfen, Mr. Rafferty.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, dass es zu Ihrem Besten ist, diesen Kerl aufzuspüren. Vielleicht sind Sie ohne ihn besser dran.“

Jetzt war es an Annie, den Kopf zu schütteln. „Wenn ich Roy nicht finde, dann werde ich nie …“

„Was werden Sie dann nie?“

Sie begegnete seinem Blick, und er sah die Unentschlossenheit in ihren Augen flackern. „Dann werde ich nie eine Braut sein. Ich habe so lange von diesem Moment geträumt.“

Sie klang wie sein schlimmster Albtraum. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis sein Vater mit Katalogen ankam, die Bräute zum Mitnehmen oder Ehefrauen ohne Grenzen hießen? Eines Abends würde Cole nichts ahnend nach Hause kommen, und auf seiner Türschwelle würde seine eigene Katalogbraut sitzen, ganz in Weiß, mit Schleier und Rosensträußchen.

„Cole?“ Annies Stimme beendete seine Furcht einflößende Vision und holte ihn schlagartig in die Realität zurück. Zurück zu dieser attraktiven Frau, die sich angezogen hatte wie ein Spion in einem schlechten Film und die Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um einen Fremden aufzuspüren, den sie per Post kennengelernt hatte. Irgendetwas stimmt hier nicht.

„Haben Sie also Interesse oder nicht?“, fragte sie nervös.

Er betrachtete ihre langen schlanken Finger, die angespannt mit der Sonnenbrille in ihrem Schoß herumspielten. Sie knabberte an ihrer Unterlippe herum, und Schatten umwölkten ihren strahlend blauen Blick.

Schließlich gaben seine eingerosteten Instinkte den Ausschlag. Sie log ihn an. Oder erzählte ihm wenigstens nicht die ganze Wahrheit. Aber warum? Was auch immer der Grund war, er hätte seine Privatermittler-Lizenz darauf verwettet, dass sie irgendetwas von Roy Halsey wollte. Und dieses Etwas war ganz bestimmt kein Ehering.

„Ich werde Ihnen helfen“, antwortete er und konnte dabei kaum das Lächeln verbergen, das um seine Mundwinkel spielte. Nach all dem Chaos, das sein Vater in den letzten Monaten in seinem Leben angerichtet hatte, war Annie Jones – falls das überhaupt ihr richtiger Name war – genau das, was er brauchte: eine Herausforderung.

2. KAPITEL

Er hat es geschluckt!

Annie ließ sich für die kurze Fahrt bis zum Regency Hotel erleichtert in den grauen vinylbezogenen Beifahrersitz von Coles Chevy zurücksinken.

Als sie vor sechs Monaten mit ihrer Recherche für einen Artikel über Katalogbräute begonnen hatte, war sie von der Post mit Antworten auf Kontaktanzeigen geradezu überflutet worden. Als freiberufliche Reporterin suchte sie stets nach einer neuen Story, einem ungewohnten Blickwinkel, einem Schicksalsfaden, der sich zu einer profitablen Reportage weben ließ.

Ihr eigener Schicksalsfaden war der plötzliche Heiratsantrag von einem ihrer Brieffreunde gewesen, Roy Halsey, einem Typen mit dem rührseligen Schreibstil eines Cowboys und dem Timing eines Ritters auf dem weißen Pferd. Seinem Angebot, ihn vor der Hochzeit auf seiner tief in den Rocky Mountains liegenden Ranch zu besuchen, hatte sie nicht widerstehen können. Denn sie war das perfekte Versteck.

Quinn Vega und seine Söldnertruppe würden sie an einem derart verlassenen Ort niemals aufspüren. Besonders nicht, solange sie ihr Apartment nach Vegas Terminkalender durchforsteten. Fünf lange Monate hatte sie seine unangenehme Gesellschaft ertragen, bis sie es in die Hände bekam. Der Terminkalender enthielt detaillierte Aufführungen seiner Geldwäschergeschäfte, die ausreichen würden, um ihn für lange, lange Zeit wegzusperren. Sie hatte alle Fakten überprüft und genügend Beweise gefunden, um die Story des Jahrhunderts zu schreiben. Leider hatte sie aber auch alles über das unglückliche Schicksal der Frauen in Vegas Leben erfahren. Alle seine Exfreundinnen waren früher oder später mit dem Gesicht nach unten im Hudson River geschwommen.

Annie seufzte. Sie besaß wirklich das Talent, sich die richtigen Typen auszusuchen. Das war schon mit ihrem allerersten Date in der Highschool so gewesen. Der Star-Quarterback hatte vergessen, dass sie die Herausgeberin der Schülerzeitung war, als er sie auf eine Pizza einlud und den ganzen Abend über mit dem Glücksspielring seines Teams angab. Im College hatte sie sich dann mit einem Professor eingelassen, der Noten gegen Geld vergab, und danach kamen Julio, ein zwanghafter Ladendieb, und Eugene, der auf illegale Sturmfeuerwaffen stand. Und das war nur der Anfang … Sie alle waren zwar eine tolle Story wert gewesen, hatten ihr privat aber alles andere als Glück gebracht.

Als sie Quinn bei einem Basketballspiel der New Jersey Nets buchstäblich in den Schoß gefallen war, als sie versuchte, einen Schnappschuss zu machen, hätte sie es besser wissen müssen. Stattdessen hatte sie gehofft, ihren Traummann gefunden zu haben. Er sah wirklich gut aus, und er war echt charmant gewesen. Allerdings stellte Annie schnell fest, dass er eher ein Albtraum war. Sie kannten sich einen Monat lang, als sie herausfand, wie gefährlich er wirklich war und dass er Verbindungen zum organisierten Verbrechen hatte. Und als ob das nicht schlimm genug gewesen wäre, wurde es immer deutlicher, dass er vermutlich in mehrere Fälle schwerer Körperverletzung und auf mysteriöse Weise verschwundener Personen involviert war. Aber anstatt um ihr Leben zu rennen, hatte sie beschlossen, weiterhin mit ihm zusammenzubleiben, weil sie eine große Story witterte.

Annie starrte aus dem Fenster auf die majestätischen Rocky Mountains, deren Spitzen selbst um diese Jahreszeit schneebedeckt waren. Wie hatte sie nur hier enden können? Colorado war auf jeden Fall etwas ganz anderes als Jersey.

Vielleicht wäre auch Roy mal was anderes. Sie hatte noch nie ein Date mit einem Cowboy gehabt, schließlich gab es davon in Newark nicht gerade viele. Doch auf der anderen Seite war sie in ihrem Leben schon genug herumgekommen, um zu wissen, dass die Männer überall gleich waren. Jedenfalls die, denen sie begegnete.

Was war nur los mit ihr, dass sie solche Typen magisch anzog? Hatte sie eine Art unsichtbare Aura, die sie zum perfekten Opfer für jeden Idioten machte, der da draußen herumlief? Sie musste dringend lernen, Männer nach anderen Aspekten zu beurteilen als ihrem Gesicht, wie gutaussehend es auch sein mochte.

Von jetzt an würde sie einem neuen Motto folgen: immer das Schlimmste erwarten.

Sie warf Cole einen Blick zu und fragte sich, was für Abgründe wohl hinter seinem attraktiven Äußeren lauerten. Verkaufte er Drogen? Trug er Damenunterwäsche? Oder noch schlimmer: Stand er womöglich auf Heimatfilme?

„Und wie genau haben Roy und Sie einander kennengelernt?“, fragte Cole und legte seinen Arm lässig auf dem Lenkrad ab.

Sie beobachtete das Muskelspiel seines Unterarms, während er den Wagen durch eine scharfe Kurve manövrierte. „Wie gesagt, wir sind einander noch nie begegnet, jedenfalls bislang nicht.“

„Das habe ich schon verstanden, aber wie hat Ihr Briefkontakt begonnen? Hat Halsey Sie im Internet aufgestöbert?“

„Eigentlich habe eher ich ihn aufgestöbert, und zwar in einem Single-Magazin namens Mountain Men. Er sah süß aus.“

Cole verdrehte die Augen. „Eindeutig eine ausreichende Basis für eine langfristige Beziehung. Kennen Sie das Sprichwort ‚Es ist nicht alles Gold, was glänzt‘?“

„Wenn ich Gold bräuchte, würde ich mich an einen Juwelier wenden“, stichelte Annie. „Und abgesehen davon sind mein Verlobter und ich uns unserer Entscheidung sicher.“

Er schnaubte. „Ihr Verlobter! Sie kennen den Typen doch noch nicht mal! Vielleicht ist er ein Serienmörder, der auf seiner abgelegenen Ranch ahnungslosen Frauen auflauert. Oder ein Perverser! Oder ein … Discofan!“

„Also, Letzteres wäre wirklich gruselig!“ Annie musste zum ersten Mal seit zwei Tagen lachen.

„Hey, ich meine das schon ein wenig ernst! Nur um einer Heiratsurkunde willen könnten Sie in den Fängen eines Irren enden! Das ist einfach purer Wahnsinn! Und das alles nur, weil Ihre biologische Uhr tickt!“

Annie schnappte empört nach Luft. „Ich bin gerade mal 31!“

„Genau das meine ich. Ist das nicht das typische Alter für eine gewisse Sehnsucht?“

Annie widerstand dem dringenden Bedürfnis, die Tür zu öffnen und aus dem fahrenden Wagen zu springen.

„Hören Sie fremde Stimmen in Ihrem Kopf? Kleiner Tipp: Das passiert schon mal, wenn Leute wie Sie zu angestrengt nachdenken.“

Aber Cole ließ sich nicht provozieren, sondern lächelte nur und sagte: „Ich weiß schon Bescheid. Sie wollen diesen Cowboy heiraten, weil Sie ein Baby wollen. Geben Sie’s einfach zu.“

Annie hob die Hände. „Okay, Sie haben mich erwischt. Meine Eierstöcke haben mich als Geisel genommen. Wenn ich nicht binnen einer Frist von 48 Stunden frisches Sperma besorge, bin ich tot.“

„Sehr witzig. Aber ich habe recht, oder?“

Diesmal war es Annie, die die Augen verdrehte. „Wenn das ein Beweis Ihrer detektivischen Fähigkeiten sein sollte, dann stecke ich in echten Schwierigkeiten.“

„Man nennt das schlussfolgerndes Denken. Und Sie sind gerade einfach nur wütend, weil ich Ihnen auf die Schliche gekommen bin.“

Sie verschränkte die Arme. „Und was, wenn ich Ihnen mitteile, Sherlock, dass ich eine Gangsterbraut bin, die vor ihren alten Komplizen flüchten muss, weil sie zur Polizei gegangen ist und ausgepackt hat?“

„Was Besseres fällt Ihnen nicht ein?“

Sie atmete tief durch. War sie eigentlich wahnsinnig geworden, dass sie die Wahrheit ausspuckte, nur um ihn zu provozieren? Wann würde sie endlich dazulernen? Sie hätte schon vor drei Tagen lieber den Mund halten sollen, als sich diesem Cop anzuvertrauen, der, wie sich später herausstellte, auf Vegas Gehaltsliste stand.

„Sie haben recht“, sagte sie leichthin. „Ich kann sogar noch viel kreativer werden. Eigentlich bin ich eine Außerirdische vom Planeten Borca, die auf die Erde geschickt wurde, um intelligentes Leben zu suchen. Allerdings habe ich bislang keines finden können.“

Mit einem winzigen Lächeln warf Cole einen langen Blick auf ihren Körper. „Ich muss schon sagen, für eine Außerirdische sehen Sie wirklich gut aus!“

„Süßholzraspeln, Mr. Rafferty“, schoss sie mit errötenden Wangen zurück, „ist auf Borca ein ernst zu nehmendes Vergehen. Dafür muss ich Sie leider in eine unserer Hochsicherheitskapseln beamen lassen.“

Die Fahrt zum Regency Hotel brachte Cole auch nicht mehr Informationen als ihre seltsame erste Begegnung in seinem Büro. Annie Jones ließ mehr Fragen offen, als sie Antworten gab. Sie war ihm ein Rätsel. In einem Moment temperamentvoll und mysteriös, plante sie im nächsten sachlich und mit beunruhigender Effizienz, einen Fremden zu heiraten.

Roy Halsey. Der Name klang harmlos. Aber was für eine Art von Mann war das? Und warum suchte er sich eine Frau, die 2000 Kilometer entfernt wohnte? Colorado, und niemand wusste das besser als Cole, hatte haufenweise verzweifelte Frauen zu bieten.

Er fuhr auf den Hotelparkplatz und bog in die erste freie Bucht ein. Wegen der warmen Nachmittagssonne zog er seine Jacke aus, bevor er aus dem Wagen stieg. Er warf den Autoschlüssel der Hotelpagin zu, einer schlanken Blondine mit einem Nasenring und violettem Lippenstift.

„Trinkgelder und andere Nebenausgaben werde ich erstmal übernehmen, bis dieser Fall abgeschlossen ist“, teilte er Annie mit, als sie zum Eingang des Hotels gingen. „Aber all das hat Ethel Ihnen sicher schon mitgeteilt, als sie Ihre Anzahlung in Empfang genommen hat.“

Annie schüttelte den Kopf. „Um ehrlich zu sein, ist sie gar nicht dazu gekommen, nach der Anzahlung zu fragen.“ Sie lächelte dem Portier zu und betrat mit Cole das Hotel.

Cole verlangsamte sein Tempo, um in Ruhe ihre schlanken Fesseln bewundern zu können, die unter dem Regenmantel hervorlugten. Roy Halsey war ein echter Glückspilz. Oder ein Pechvogel, je nach Blickwinkel. Verdammt zu einem Leben mit einer Frau, der er noch nie begegnet war.

Cole hätte eigentlich den Portier verhören sollen, doch seine Neugier machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Was soll das heißen? Sie hat keinen Vorschuss verlangt?“, fragte er Annie, nachdem er sie in der geräumigen, geschmackvoll möblierten Lobby eingeholt hatte. Rosafarbener Marmorfußboden und mit elfenbeinfarbenem Wildleder gepolsterte Sessel symbolisierten deutlich, dass es sich beim Regency um ein Hotel für eine gehobene Klientel handelte. „Warum nicht?“

„Falls Sie sich erinnern: Mein Geldbeutel wurde gestohlen. Und abgesehen davon war Ethel viel zu sehr damit beschäftigt, über Sie zu reden.“

„Und was hat sie erzählt?“

Annie drehte sich zu ihm um. „Dass Sie der sturste Mensch sind, der ihr jemals begegnet ist. Und dass Sie, wenn Sie sich einmal für einen Fall entschieden haben, alles dafür tun, um ihn zu lösen.“

„Also, ‚stur‘ finde ich ein wenig übertrieben.“

„Ich bin mir sicher, dass das als Kompliment gemeint war. Sie hat nämlich auch gesagt, dass Sie großzügig, aufopfernd und loyal sind.“

„Klingt ja geradezu, als wäre ich ein Heiliger!“

„Ich bin sehr froh, dass ich Ihnen begegnet bin, Cole. Die anderen Privatermittler haben sich einzig und allein für ihren Lohn interessiert.“

Er blinzelte. „Wie bitte?“

„Keine Sorge. Ich werde Sie selbstverständlich bezahlen“, versicherte sie. „Irgendwann. Aber im Augenblick habe ich weder Bargeld noch Kreditkarten. Ich habe Ethel alles erklärt. Sie war sehr verständnisvoll.“

Und sehr hinterlistig. Ethel hätte niemals einen Klienten über seine Türschwelle gelassen, der seine Solvenz nicht beweisen konnte. Diese orthopädische Einlagen tragende Hyäne! Doch damit würde er sich später beschäftigen. Zuerst einmal musste er Annies Verlobten finden. „Über mein Honorar können wir ein andermal sprechen. Jetzt ist es am wichtigsten, diesen Fall zu lösen.“

„Gut. Ich denke, wir sollten damit anfangen, zu …“

Er schnitt ihr mitten im Satz das Wort ab. „Ich werde zunächst das Hauspersonal befragen und herausfinden, ob Halsey überhaupt aufgetaucht ist.“

„Aber ich habe schon …“

„Bitte“, unterbrach er sie mit einem nachsichtigen Lächeln. „Was das betrifft, bin ich hier der Profi. Also lassen Sie mich das bitte machen.“

Cole ließ sie neben einer riesigen Topfpflanze stehen und ging auf den Empfang zu. Noch ärgerte sie sich vielleicht darüber, dass er der Boss war, aber früher oder später würde sie es ihm danken. Er hatte immer wieder Klienten gehabt, die unbedingt zu der Lösung des Falles beitragen wollten. Ganz gleich, ob sie nur ein Abenteuer suchten oder einfach ihrem Kontrollwahn erlagen: Sie machten ihm die Arbeit nicht gerade leichter. Eigentlich hätte er Annie überhaupt nicht mitnehmen sollen.

Er stellte sich in die Schlange und warf seiner Auftraggeberin einen Blick zu, um sicherzugehen, dass sie sich nicht einmischte.

Stirnrunzelnd beobachtete er, wie sie erst ihre Sonnenbrille abnahm und dann ihren Regenmantel auszog. Darunter kam ein atemberaubend kurzes rotes Cocktailkleid zum Vorschein, das ihre Kurven umschmeichelte und den Blick auf ihre langen schlanken Beine freigab.

„Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?“, fragte der Rezeptionist. „Sir?“

Cole konnte seine Augen nur schwer von dem Anblick losreißen. „Äh, ja … Ich suche einen Mann namens Halsey.“

„Der Vorname, Sir?“

Cole räusperte sich. „Wie bitte?“

„Sein Vorname, Sir.“

Cole beobachtete, wie Annie ihre Baskenmütze abnahm und sich dann mit den Fingern durch die langen dichten Locken fuhr, die auf ihre Schultern herabfielen. „Äh, Roy. Roy Halsey.“

„Ist er Gast hier, Sir?“

Cole ignorierte den Rezeptionisten, fluchte unterdrückt und lief zu Annie hinüber. „Was glauben Sie eigentlich, was Sie hier machen?“

Sie stand inzwischen neben einem gläsernen Couchtisch, die Zehen auf die Tischplatte gestützt, und massierte die Sohle ihres zierlichen Fußes. „Ich trage diese Sachen jetzt schon seit über 18 Stunden. Mir ist heiß, ich bin verschwitzt, und diese Schuhe sind eine einzige Qual.“

Er verschränkte die Arme. „Ich denke, dass Sie gehofft haben, dass der gute Mr. Halsey sein Päckchen eher abholen würde, wenn er einen kleinen Blick auf den Inhalt werfen durfte!“

Wütend schnappte Annie nach Luft. „Jetzt hören Sie mal! Natürlich nicht!“

„Dann gehe ich mal davon aus, dass das, was Sie da anhaben, bei Ihnen zu Hause als sportliches Outfit durchgehen würde?“

Bestürzt sah sie ihn an. „Was ist denn falsch an meinem Kleid?“

„Nichts, gesetzt den Fall, man arbeitet an einer Straßenecke.“

„Mir ist durchaus klar, dass das nicht gerade ein übliches Reise-Outfit ist. Ich musste in großer Eile aufbrechen, und deswegen hatte ich keine Zeit mehr, mich umzuziehen.“ Sie reckte rechthaberisch ihr Kinn vor. „Und außerdem ist Rot meine Lieblingsfarbe.“

Er nahm sie bei den Schultern und schob sie drei Schritte weit nach hinten. „Seien Sie eine brave kleine Klientin und warten Sie hier, bis ich wieder da bin.“ Cole ließ seinen beunruhigten Blick durch die Lobby schweifen. „Und bitte ziehen Sie sich nicht noch weiter aus. Die Leute gucken schon.“

Annie sah den pickligen Teenager an, der neben ihr in einem Ohrensessel lungerte. Sein langes, strähniges braunes Haar bewegte sich im Rhythmus der Musik, die aus seinen Kopfhörern drang. Er wackelte enthusiastisch mit den Augenbrauen, während er Annie mit erhobenem Daumen signalisierte, dass wenigstens ihm ihre kleine Strip-Einlage gefallen hatte.

„Wie konnte ich nur in dieses Chaos geraten?“, seufzte sie leise.

„Indem Sie dem falschen Mann vertraut haben. Regel Nummer eins für Katalogbräute: Trauen Sie niemandem.“ Er lächelte. „Außer mir natürlich.“

Sie trat etwas näher. „Kann ich Ihnen wirklich trauen, Cole?“

Er sah in ihre hellblauen Augen, die von dichten, dunklen Wimpern umrandet waren, und war so verzaubert, dass er ihre Frage überhörte. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, wie die Blütenblätter einer rosafarbenen Rose.

„Kann ich, Cole?“

Er blinzelte. „Was?“

„Ihnen trauen.“

„Natürlich“, antwortete er. „Ich bin ein Heiliger, schon vergessen?“ Warum in Gottes Namen hatte er diesen Fall angenommen? Er war auf der Suche nach einer Herausforderung gewesen, nicht nach einer Frau, die seine Aufmerksamkeit vom Fall ablenkte. Einer Frau voller Widersprüche, deren Worten er nicht allzu viel Glauben schenken sollte, wie gut sie in diesem knappen Kleid auch aussehen mochte. Er drehte sich auf dem Absatz herum und ging zum Tresen zurück.

„Sie hatten Fragen zu einem Mr. Halsey, wenn ich mich recht erinnere“, sagte der Rezeptionist.

„Das ist richtig“, antwortete Cole und zwang seine Gedanken zurück zum Thema. „Meine Klientin sollte ihn hier treffen.“

Der Rezeptionist starrte auf den Bildschirm des Computers vor ihm. „Wir haben keinen Gast dieses Namens.“

So etwas wie Erleichterung durchströmte Cole.

„Ich sehe mal nach, ob er vielleicht eine Nachricht für Ihre Klientin hinterlassen hat.“ Der junge Mann gab erneut etwas in den Computer ein und lächelte dann befriedigt. „Ah, das hier könnte was sein. Eine Nachricht von einem Roy Halsey an eine Annie B., die erst vor Kurzem aufgegeben wurde. Ich gehe davon aus, dass diese Annie B. ihre Klientin ist?“

Annie B.? Entweder log seine neue Klientin ihn an oder ihren Verlobten. Nun ja, wohl eher ihn selbst, immerhin wollte sie diesen Halsey heiraten! „Ja, das ist sie. Wenn Sie die Nachricht bitte ausdrucken würden. Ich werde sie ihr überbringen.“

Die Nachricht war kurz und einfach. Roy entschuldigte sich dafür, dass er ihre Verabredung nicht hatte einhalten können, und bat sie, sich an diesem Abend um acht erneut mit ihm in der Lobby zu treffen. Cole faltete das Papier zusammen und steckte es in seine Brusttasche.

Fall gelöst.

Nur, dass er noch immer mehr Fragen als Antworten hatte. Als er von der Befragung der Hotelangestellten zurückkehrte, von denen sich keiner erinnern konnte, Halseys Nachricht in Empfang genommen zu haben, war Annie zu allem Überfluss auch noch verschwunden.

„Wo ist sie?“

Der haarige Teenager im Ohrensessel hörte noch immer Musik und nahm seine Umwelt offenbar nicht wirklich wahr.

Cole nahm ihm die Kopfhörer ab und wiederholte: „Ich habe gefragt, wo sie ist!“

Der Teenager sah verschüchtert zu ihm auf. „Wer?“

„Die Frau, die die letzten zehn Minuten lang neben dir gesessen hat. Dunkle Haare, blaue Augen, rotes Kleid.“

„Dicke Möpse?“

Cole verzog angewidert das Gesicht. „Ja. Genau die.“

Der Junge nickte. „Geile Schnitte.“

„Und wo ist sie hin?“

„Sie ist weg, Mann.“

Cole versuchte, ruhig zu bleiben. „Du meinst, sie ist einfach aufgestanden und aus dem Hotel spaziert?“

„Nö. Vor etwa zehn Minuten hat irgend so ’n Typ sie weggezerrt. Seitdem hab ich sie nicht mehr gesehen.“

Offenbar waren Diamanten doch keine gute Wertanlage, jedenfalls nicht, wenn sie in einem Verlobungsring von Quinn Vega steckten. Annie blickte auf den breiten Platinring an ihrem Finger, in dem ein lupenreiner, dreikarätiger Diamant steckte. Den Kerben nach zu urteilen war er gebraucht. Wahrscheinlich hatte Quinn ihn einer seiner Exfreundinnen vom Finger geschnitten, um ihn zurückzubekommen. Sie hatte den Ring immer gehasst, aber sie hätte niemals versucht, ihn zu verkaufen, wenn ihr klar gewesen wäre, in was für Schwierigkeiten sie dadurch geraten würde.

Sie rutschte auf dem harten Metall-Klappstuhl hin und her und suchte krampfhaft eine Fluchtmöglichkeit. Ihre hohen Absätze machten das Ganze nicht unbedingt leichter. Genauso wenig wie die Pistole, die an der Hüfte des Sicherheitsbeamten baumelte, der an der Tür stand. Er war es auch gewesen, der sie von der Hotellobby in das Büro der Hotelmanagerin geschleift hatte. Seine Boxernase und sein hervorstehendes Stirnbein verliehen ihm das Aussehen einer Bulldogge.

Das Büro war klein und vollgestopft mit Schachteln und Topfpflanzen. Durch das Fenster blickte man auf den dreistufigen Fontänenbrunnen vor dem Haupteingang des Hotels. Klassische Musik kam aus den Lautsprechern an der Zimmerdecke, und in der Luft vermischten sich die widersprüchlichen Aromen von Knoblauch und Chanel No. 5. Da der Knoblauchgeruch von dem Sicherheitsbeamten stammte, folgerte Annie, dass der Parfümgeruch zu dem blonden Gift hinter dem Schreibtisch gehörte.

Das blonde Gift hieß, wie das Namensschild an seiner Brust verriet, Ingrid Tate, und war, wenn man dem gerahmten Cover einer Männerzeitschrift an der Wand vertrauen durfte, ehemalige Miss August.

Sie war von einem Playboy-Bunny in Haft genommen worden, und Cole schien sich nicht bequemen zu wollen, sie zu retten. Doch sie hatte einen Plan, und zwar einen guten: Sie würde Roy finden, sich von ihm auf seiner abgelegenen Ranch aufpäppeln lassen, bis Vega im Kittchen saß, und dann ihr normales, geregeltes Leben wieder aufnehmen. Und wenn es sein musste, müsste sie ihn eben ohne fremde Hilfe verwirklichen. Und kein Playboy-Bunny der Welt würde sich ihr in den Weg stellen!

„Ich befürchte, dass Sie einen großen Fehler machen“, setzte Annie an.

„Das ist aber lustig“, antwortete Ingrid Tate ohne den leisesten Hauch von Humor in der Stimme. „Denn genau dasselbe wollte ich Ihnen gerade auch sagen. Das Regency Hotel duldet derartige Flausen nicht.“ Ingrids grüne Augen wurden schmal. „Sie haben den ganzen Tag über in der Lobby herumgelungert. Bruno fand von Anfang an, dass Sie verdächtig aussehen.“

Der Wächter an der Tür grunzte zustimmend.

Zumindest war Annie nicht hier, weil sie die Nacht auf der Chaiselongue in der Damentoilette verbracht hatte. Ingrid Tate hatte vielleicht eine voluminöse Föhnfrisur und noch voluminösere Brüste, aber sie war nicht dumm. In ihren grünen Augen leuchtete Intelligenz, und vor lauter Ungeduld presste sie ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

Annie reckte ihr Kinn vor. „Ich habe nichts Falsches getan.“

Ingrid hob eine ihrer sauber gezupften Brauen. „Wollen Sie leugnen, dass Sie unseren Rezeptionisten dazu nötigen wollten, Ihren Diamantring für Sie zu verkaufen?“

„Er hat es mir doch selbst angeboten. Ich habe ihn gefragt, wo ich die nächste Pfandleihe finde, und dann sagte er, dass sein Bruder in diesem Geschäft tätig sei und gerne vorbeikommen würde, um mir ein Angebot zu machen.“

„Also geben Sie es wenigstens zu. Ich kann nur für Sie hoffen, dass Sie den Ring nicht einem unserer Gäste gestohlen haben.“

„Ich habe gar nichts zugegeben. Und ich habe den Ring auch nicht gestohlen. Ich habe ihn von …“ Sie hielt sich gerade noch zurück, ehe sie Quinns Namen aussprechen konnte und damit ihr Leben aufs Spiel setzte. „… meinem Exverlobten. Er ist sauer, weil ich die Verlobung habe platzen lassen, und hat den Ring vermutlich als gestohlen gemeldet, um sich zu rächen.“

Bruno schnaubte. „Geben Sie’s auf, Lady. Die Ware an Ihrem Finger ist so heiß, dass ich mir die Hand dran verbrannt hab.“

Wütend auf sich selbst biss sich Annie auf die Lippe. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Hehlerei war eine von Quinns wichtigsten Einnahmequellen. „Das hier ist einfach ein Missverständnis. Wenn Sie auch nur ahnen könnten, was für eine miese Woche ich hinter mir habe …“

Ingrid rollte mit den Augen. „Ersparen Sie mir Ihre Geschichten. Ich bin hier diejenige, die einen ganzen Vorstand im Nacken sitzen hat.“ Sie wies mit dem Kopf auf die Papierstapel, die ihren Schreibtisch bedeckten. „Glauben Sie, dass es leicht ist, dieses Hotel zu führen? Ich habe keine Freizeit mehr, kein soziales Leben …“

„… und keinen Grund, Sie nicht der Polizei zu übergeben“, beendete Bruno den Satz für sie. Ingrid griff zum Telefonhörer.

„Warten Sie!“, schrie Annie auf.

Ingrid hatte bereits einen ihrer manikürten Finger erhoben, um zu wählen. „Können Sie mir einen Grund dafür nennen, warum ich Sie nicht anzeigen sollte?“

Annie fielen sogar eine ganze Menge ein. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein Polizeiverhör, eine Hintergrundüberprüfung oder ihr Name in einer Zeitung. Vega hatte überall Kontakte.

In diesem Moment klingelte das Telefon und ließ beide Frauen erschrocken zusammenfahren. Ingrid nahm den Hörer ab. „Aha. Gut. Dann schicken Sie ihn wohl besser herein.“

Als sich die Tür öffnete, hielt Annie den Atem an und bereitete sich auf die Flucht vor. Aber dann überlegte sie es sich anders.

Ihr Held war doch noch aufgetaucht.

Cole traute seinen Augen kaum.

Er hatte sich vorgestellt, wie Roy Halsey Annie an den Haaren aus dem Hotel zerrte, ein brutaler Neandertaler, der gekommen war, um sein Weib in seine Höhle zu schleppen. Cole war in jedem Winkel des Hotels gewesen, um sie zu finden, und hatte sie schon in den Fängen eines Sittenstrolches oder eines Psychopathen gewähnt.

Und nun saß sie hier im Büro der Hotelmanagerin, ohne dass man ihr auch nur ein Haar gekrümmt hatte, schoss veilchenfarbene tödliche Blicke auf ihn ab und fiel beinahe aus diesem verdammten Kleid heraus.

Direkt vor ihrem Stuhl legte Cole eine Vollbremsung ein, ohne den bewaffneten Sicherheitsbeamten an der Tür oder die aufgetakelte Blondine hinter dem Schreibtisch auch nur eines Blickes zu würdigen. „Was zur Hölle sollte das denn bitte?“

Annie sprang auf und schlang ihre Arme um seinen Nacken. „Mein Schatz! Endlich bist du gekommen! Ich dachte schon, ich würde dich niemals wiedersehen!“

Cole wurde einen kurzen Moment lang von den Kurven, die er genau spüren konnte, abgelenkt. Hatte sie ihn gerade „Schatz“ genannt?

Die Blondine runzelte die Stirn. „Ich gehe davon aus, dass Sie diesen Mann kennen?“

Annie löste sich wieder von ihm. „Das ist Cole Rafferty, mein Verlobter. Der, von dem ich Ihnen erzählt habe. Mein Schatz, das hier ist Ingrid Tate.“

Ingrid starrte ihn an. „Ich dachte, er wäre Ihr Exverlobter.“

Cole versuchte, zu begreifen, was hier vorging, und wandte sich an Annie. „Ex-was?“

„Mein Verlobter“, sagte sie und trat ihm fest auf den Fuß. „Bitte sei mir nicht böse. Ich habe meine Lektion gelernt. Du bist der Einzige für mich. Ich muss einfach verrückt gewesen sein, unsere Verlobung aufzulösen.“

„Ich denke, ein guter Therapeut könnte da Wunder bewirken“, murmelte er.

Sie umfasste seine Hände. „Vielleicht bin ich ja auch einfach nur verrückt vor Liebe.“

Bruno schnaubte erneut, diesmal verächtlich. „Das ist ja alles schrecklich anrührend, aber was machen wir mit der Polizei?“

Cole drehte sich verblüfft um. „Der Polizei?“

Bruno trat einen Schritt zur Seite, um die Tür zu blockieren. „Wir haben die Kollegen vorhin schon angerufen und ihnen von dem Ring erzählt, den Ihr Täubchen da verhökern wollte. Die Polizisten sagten, dass sie sie festnehmen würden, wenn sie zurückkommt, um das Geld abzuholen.“

Er schob den Kiefer vor. „Sie haben uns sogar eine Belohnung versprochen.“

„Ich glaube, eine Erklärung wäre angebracht.“

Annie drückte Coles Hand. „Ich weiß genau, was du jetzt denkst.“

„Das bezweifle ich.“

„Weißt du, Cole, der Ring bedeutet mir doch so viel. Das ist alles ein riesengroßes Missverständnis. Warum gibst du diesen Leuten denn nicht einfach ihre Belohnung, und dann gehen wir.“

Er traute seinen Ohren nicht. „Ich soll sie bezahlen?“

„Ich denke, einhundert Dollar sind angemessen, dann pfeifen wir auch die Polizei zurück“, mischte Ingrid sich ein und stützte ihr Kinn in die Hände. „Was denken Sie, Bruno?“

Bruno grunzte zustimmend.

„Einhundert Dollar?“, rief Cole ungläubig aus.

„Für jeden natürlich“, fügte Bruno hinzu.

„Aber so viel habe ich nicht dabei. Ich habe einen Fünfziger und etwas Kleingeld.“

Bruno starrte ihn finster an. „Dann übergeben wir die Dame eben der Polizei.“

„Nicht so hastig“, sagte Ingrid, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und musterte Cole mit funkelnden Augen. „Ich bin mir sicher, dass Mr. Rafferty und ich eine Lösung finden, die uns beide zufriedenstellt.“

„Dann nehmen wir die fünfzig und den Ring als Pfand“, schlug Bruno vor.

„Eine sehr gute Idee.“ Ingrid beugte sich vor, wobei ihre verführerische Seidenbluse verrutschte und ein Stückchen von ihrer schwarzen Spitzenunterwäsche preisgab. „Mr. Rafferty kann den Rest des Geldes heute Abend vorbeibringen. Wir treffen uns in der Hotelhalle. Sagen wir, gegen sieben?“

Er hatte zwei Möglichkeiten. Er konnte Annie auffliegen lassen und sie der Polizei übergeben. Oder er zahlte die erste Bestechungsrate und bekam endlich ein paar Antworten.

Er griff nach seinem Geldbeutel.

„Sie schulden mir einen Riesengefallen, Lady“, knurrte Cole, der Annie am Arm gepackt und durch die Lobby gezerrt hatte, ehe Ingrid und ihr bösartiger Helfer es sich anders überlegen konnten.

„Sie sagten, Sie würden alle Nebenausgaben übernehmen“, antwortete Annie trotzig, als sie nach draußen traten.

Cole drehte sich ruckartig zu ihr um. „Bestechungsgelder sind keine Nebenausgaben! Und Sie schulden mir jetzt ein paar Antworten! Antworten im Wert von 200 Dollar!“

Sie verschränkte die Arme. „Ich habe Sie engagiert, Freundchen. Ich bin hier also diejenige mit den Ansprüchen.“

„Sie können niemanden engagieren, ohne ihn zu bezahlen. Und bislang bin ich hier derjenige, der mit Geld um sich werfen muss.“

Annie schob ihr Kinn vor. „Ethel hat gesagt, dass Geld Ihnen vollkommen gleichgültig ist.“

„Ethel zu zitieren ist keine geeignete Taktik, um mich zu besänftigen!“

„Ich finde sie sehr nett.“

Er baute sich vor ihr auf und verschränkte ebenfalls die Arme. „Es geht hier aber gerade nicht um Ethel. Es geht um Sie und Ihre Marotte, nicht für Dinge zu zahlen, die Sie haben wollen. Wie meine Dienste oder diesen Diamantring.“

„Ich habe diesen Ring nicht gestohlen.“ Sie blickte ihm offen in die Augen. „Ehrlich.“

Er wollte und sollte ihr nicht glauben. Nicht, nachdem sie gerade im Büro dieser blonden Schlange ihr schauspielerisches Talent unter Beweis gestellt hatte. Doch er konnte nicht verhindern, dass er es dennoch tat. Und das machte ihn nur noch neugieriger auf sie und ihre Lügengeschichte.

„Dann ist wohl der gute Roy der Dieb. Einen tollen Typen haben Sie sich da geangelt, Annie. Vielleicht können Sie anstatt in die Flitterwochen zu fahren ja gemeinsam nach Mexiko fliehen.“

„Der Ring stammt nicht von Roy“, setzte Annie zu einer Erklärung an, bis ihr die Stimme versagte. „Meine Flitterwochen? Bedeutet das, dass Sie ihn gefunden haben?“

Cole zögerte. Das war seine Chance. Er konnte ihr Roys Nachricht überreichen und den Fall als abgeschlossen betrachten. Aber dann würde er niemals Antworten auf seine Fragen bekommen.

„Noch nicht“, entgegnete er nach einer langen Pause.

„Noch nicht?“ Annie schloss die Augen und stöhnte auf. „Und was soll ich jetzt machen? Ich hatte gehofft, dass ich von dem Pfandgeld für den Ring leben könnte, bis ich Roy finde.“ Sie öffnete die Augen und starrte ihn finster an. „Was haben Sie eigentlich die ganze Zeit über getan?“

Er sah sie ungläubig an. „Ihren Hintern gerettet! Was wäre aus Ihnen geworden, wenn ich nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre, um meine Rolle als Verlobter zu spielen?“

„Ich denke, der Punkt geht an Sie.“

„Ganz genau. Sie sind mir was schuldig. Und ich weiß auch schon was.“ Er verstummte, als er bemerkte, dass Annie über seine Schulter hinweg überrascht auf irgendetwas starrte. Er drehte sich um und sah seinen glänzenden schwarzen Chevy-Geländewagen vorfahren.

„Was ist das?“, fragte sie und zeigte auf die Windschutzscheibe.

„Steigen Sie einfach ein.“ Er unterdrückte ein verärgertes Stöhnen und schob sie zur Beifahrertür hinüber. Er machte einen großen Bogen um die Hotelpagin und warf ihr ein kleines Trinkgeld zu, bevor er sich auf den Fahrersitz schwang. Man konnte kaum durch die Windschutzscheibe sehen, denn sie war von oben bis unten mit lilafarbenen Kussabdrücken übersät.

„Ich bezweifle, dass Sie sie in dieser Form hätten ermutigen sollen“, sagte Annie, während sich die junge Frau die Dollarnoten an die Brust drückte und Cole eine Kusshand nachwarf.

„Ich habe ihr ein Trinkgeld gegeben, nicht meine Telefonnummer“, erwiderte er grimmig.

„Dafür hat sie Ihnen ihre hinterlassen.“ Annie griff nach dem Zettel, der hinter dem Blendschutz klemmte.

„Werfen Sie sie aus dem Fenster!“

„Oha! Sie hat einige recht anschauliche Vorschläge für Ihr erstes Date dazugemalt.“ Sie hielt den Zettel mit den Zeichnungen in die Höhe, damit Cole sie begutachten konnte. „Ist das nicht niedlich? Lauter kleine Herzchen anstelle von i-Punkten!“

„Das ist nicht witzig“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Die Frau musste seinen Namen auf den Zulassungspapieren erkannt haben.

„So kann das nicht weitergehen“, murmelte er und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Dann schaltete er den Scheibenwischer an und beobachtete resigniert, wie der Lippenstift in dicken Schlieren über seine Windschutzscheibe verteilt wurde. Er musste handeln, und zwar schnell, ehe sein Vater noch weiter ging. Cole atmete tief durch und drehte sich abrupt zu Annie. „Ich habe einen Vorschlag.“

3. KAPITEL

„Sie wollen, dass ich Sie heirate?!“ Annie legte sich die Hand auf die Stirn. Vielleicht hatte sie ja Fieber und halluzinierte! Doch ihre Haut fühlte sich kühl an. Also hatte Cole ihr gerade tatsächlich einen Antrag gemacht.

„Ich kapier das einfach nicht. Haben Sie mir nicht vor gerade mal zwei Stunden erzählt, dass Sie ein glücklicher Single sind, der heiratswütigen Frauen aus dem Weg geht?“

„Das stimmt schon, aber …“

„Und jetzt machen Sie mir einen Antrag?“ Sie schüttelte den Kopf. „Und ich dachte immer, ich sei impulsiv.“

„Ich habe keine andere Wahl.“ Cole rieb sich über das Kinn. „Ich will Sie eigentlich gar nicht heiraten. Ich will niemanden heiraten. Und genau das ist das Problem.“

„Und aus einem Grund, der mir bislang entgangen ist, bin ich die Lösung?“

Er nickte. „Ich bin ein eingefleischter Junggeselle, aber mein Vater hat es sich in den Kopf gesetzt, eine Frau für mich zu finden. Und sein neuester Plan treibt mich langsam, aber sicher in den Wahnsinn.“

„Was genau hat er denn getan?“

Cole seufzte. „Er hat eine Kontaktanzeige in einer Zeitung aufgegeben.“

„Oh-oh.“ Annie hatte lange genug über Kontaktanzeigen recherchiert, um sich denken zu können, dass er vermutlich mit Antworten überflutet worden war.

„Ich denke, dass ich ihn nur so überzeugen kann. Und hier kommen Sie ins Spiel.“

„Als Ihre Verlobte?“

„Nicht einfach so als irgendeine Verlobte. Als eine teuflische Verlobte, meine Höllenbraut, sozusagen. Als eine Frau, die so wenig zu mir passt, dass er sich weigern wird, sie in seine Familie aufzunehmen. Ich hoffe, dass er all seine überschüssigen Energien darauf verwenden wird, Sie wieder loszuwerden.“

Annie verdrehte die Augen. „Klingt, als ob das richtig lustig für mich wird.“

„Und wenn wir uns trennen, werde ich natürlich am Boden zerstört sein.“ Cole grinste. „Ich werde eine Ewigkeit brauchen, um über Sie hinwegzukommen. So lange, bis mein Dad vergisst, mich zu verkuppeln, und sich ein neues Hobby sucht.“

„Und was springt dabei für mich raus?“

„Abgesehen von dem Vergnügen meiner Gesellschaft können Sie bei mir wohnen, bis ich Roy gefunden habe. Ich werde Ihnen Kost und Logis, Kleidung und alles, was Sie sonst noch brauchen, zur Verfügung stellen. Und ich werde Ihren Fall kostenlos betreuen.“

Annie wusste nicht, was sie sagen sollte. All ihre Probleme hatten sich binnen eines Augenblicks in Luft aufgelöst. Nun ja, nicht alle Probleme, immerhin gab es immer noch Quinn, der sie umbringen wollte. Und sie musste sich irgendwo verstecken, bis Roy sie mit auf seine Ranch nahm. „Haben Sie vergessen, dass ich bereits verlobt bin? Was, wenn mein echter Verlobter auftaucht, ehe Ihr Plan aufgegangen ist?“

Cole zuckte mit den Schultern und wich ihrem Blick aus. „Das Risiko muss ich eingehen. Betrachten Sie mich einfach als Ihren Verlobten zweiter Wahl. Ein Übungsobjekt, sozusagen.“

Tatsächlich wäre er sogar ihr Verlobter dritter Wahl. Aber wen interessierte das schon? „Es könnte funktionieren“, grübelte sie.

„Die Idee ist perfekt!“

„Und was genau soll ich tun?“

„In erster Linie dafür sorgen, dass mein Leben die Hölle wird. Na ja, tun Sie einfach so, als wären wir verheiratet. Mein Vater ist ziemlich altmodisch. Je liberaler und verrückter Sie sich geben, desto besser.“

Sie verschränkte die Arme. „Nur für den Fall, dass ich Ihr Angebot annehme – seien Sie gewarnt: Ich bin selber ein bisschen altmodisch.“

Er hob eine Braue. „Und das soll heißen?“

„Dass das Ganze nach meinen Bedingungen abläuft. Und dass es keine Nebenleistungen gibt.“ Gebieterisch hob sie ihr Kinn. „Ich halte nichts von Sex vor der Ehe.“

Fast dasselbe hatte sie zu Vega gesagt, als er ihr den Heiratsantrag machte. Entgegen ihren Hoffnungen war ihm das egal gewesen, doch immerhin hatte sie ihr Bett nicht mit ihm teilen müssen.

„Für heutige Verhältnisse ist das wirklich ziemlich altmodisch.“

Sie zuckte mit den Schultern. „So wurde ich nun mal erzogen. Ich bin Katholikin und habe italienisches Blut. Also bin ich gleich doppelt belastet.“

Er sah sie misstrauisch an. „Italienisch? Das ist aber seltsam. Annie Jones klingt gar nicht italienisch.“

Jedenfalls nicht so sehr wie mein echter Name Antonia Bonacci, Freundchen.

„Die italienische Linie stammt von meiner mütterlichen Seite“, improvisierte sie schnell. „Ihre Großeltern sind aus Mailand nach Amerika immigriert. Sie verbringt gerade ihre Flitterwochen mit Ehemann Nummer sechs in ihrer alten Heimat.“ Zumindest das war wahr, und es tat gut, zu wissen, dass sich ihre Mutter außerhalb von Vegas Reichweite befand.

Cole pfiff anerkennend. „Sechs Mal zum Altar und wieder zurück? Wow, sie muss alle Gelübde auswendig kennen!“

„Sie hat sich mittlerweile ihre eigenen ausgedacht, damit es nicht so langweilig wird“, sagte Annie leichthin. In Wahrheit befürchtete sie, dass das Pech mit Männern erblich war.

Cole schwieg lange und musterte sie dabei aufmerksam. „Gibt es sonst noch was, das ich wissen sollte?“

Er wusste jetzt schon mehr, als ihr lieb war. Und sie wollte ihm keinesfalls die Möglichkeit geben, noch mehr Ungereimtheiten in ihrer Geschichte zu entdecken. „Nein. Wieso besprechen wir den Rest nicht, während wir weiterfahren?“

„Dann ist die Sache also geritzt?“, fragte er und streckte die Hand aus.

Annie spürte, wie sich seine große warme Hand um ihre kühlen Finger schloss. Sie musste in Zukunft verhindern, dass er sie berührte, denn früher oder später würde er sie damit in große Schwierigkeiten bringen.

„Abgemacht“, antwortete sie.

„Da wir jetzt verlobt sind, sollten wir uns von nun an wohl duzen, altmodisch hin oder her“, sagte Cole und grinste.

„Dann mach dich mal gefasst auf eine unvergleichliche Höllenbraut-Vorstellung!“

„Da steht eine fremde Frau unter deiner Dusche“, verkündete Rex Rafferty, als er in die Küche kam.

Cole hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen. „Dad! Wo kommst du denn so plötzlich her?!“

Rex zeigte auf die Zimmerdecke. „Von oben. Ich habe gerade den Mauerriss im südlichen Schlafzimmer gekittet, da habe ich das Wasser rauschen hören. Wann bist du nach Hause gekommen?“

Cole stellte einen Kochtopf auf den Herd und fragte sich, was ihn geritten hatte, als er seinem Vater einen Ersatzschlüssel gab. „Vor etwa zehn Minuten.“ Rex setzte sich an den Küchentisch. „Und wer ist diese Frau? Und vor allem: Warum ist sie nackt?“

Cole nahm eine Dosensuppe aus dem Regal. „Gegenfrage: Woher weißt du überhaupt, dass es sich um eine Frau handelt? Und, noch wichtiger: Wie kommst du darauf, dass sie nackt ist?“

Rex schnaubte. „Vielleicht ist es schon zehn Jahre her, dass ich deine Mutter verloren habe, aber eine nackte Frau erkenne ich noch immer, wenn ich sie sehe. Selbst durch eine beschlagene Duschkabine.“

„Dad, hör auf so zu tun, als wäre Mom tot. Sie lebt frisch und munter in New Mexico.“ In diesem Moment wurde ihm die Bedeutung von Rex’ Worten klar. „Warte mal. Du warst im Badezimmer, während Annie unter der Dusche stand?“

„Ich habe ein verdächtiges Geräusch gehört und wollte dem auf den Grund gehen“, rechtfertigte sich Rex. „Es hätte ein Einbrecher sein können. Dass ich in Ruhestand gegangen bin, heißt noch lange nicht, dass ich die Hände in den Schoß lege.“

„Ein Einbrecher?“, rief Cole wütend. „Und was hätte der bitte stehlen sollen? Heißes Wasser?“

„Da das Schloss kaputt war, habe ich einen schnellen Blick hineingeworfen, und als ich gesehen habe, dass es kein Einbrecher ist, bin ich sofort wieder rausgegangen. Es war doch nichts dabei!“

Cole biss die Zähne zusammen. Er war wütend, dass sein Vater Annie nackt gesehen hatte. Und, wenn er ehrlich war, neidisch, dass sein Vater Annie nackt gesehen hatte. Nun ja, vielleicht nicht ganz nackt, aber immerhin durch eine Duschwand, und das war mehr, als Cole wohl jemals zu Gesicht bekommen würde. Er schob den Drang, nach Details zu fragen, beiseite und konzentrierte sich auf seine Wut. „Dad, das ist Verletzung der Privatsphäre. Wenn du heimlich nackte Frauen beobachten willst, dann such dir deine eigenen.“

Rex schüttelte den Kopf und nahm sich einen Cracker. „In meinem Alter? Da sollte ich mich doch wohl lieber darauf konzentrieren, eine Frau für dich zu finden. Vielleicht bekomme ich dann ja endlich mal ein paar Enkelkinder, die ich verwöhnen kann.“

„Ich habe bereits selbst eine Frau gefunden.“

Das Licht der Hoffnung, das plötzlich in Rex’ Augen aufleuchtete, machte Cole beinahe ein schlechtes Gewissen. Aber er zwang sich, nicht klein beizugeben. Rex war unkontrollierbar geworden. Die Kontaktanzeige war ja nicht seine einzige Wahnsinnstat gewesen. Vor zwei Wochen hatte er einer Pfadfinderin 15 Schachteln Kekse abgekauft, um sie dann zu fragen, ob sie vielleicht eine ältere Schwester habe, die Interesse an seinem Sohn haben könnte. Und in der Woche davor hatte er beim Holzhändler hochwertige Weißeiche bestellt, um eine Wiege daraus zu zimmern.

Der Mann musste aufgehalten werden.

„Du hast dir ganz alleine ein Mädchen gesucht?“, fragte Rex mit breitem Grinsen. „Du hast dich also endlich verliebt?“

„Ihr Name ist Annie“, wich Cole der Frage aus. „Annie Jones.“

„Und wie alt ist sie? Ich konnte durch die Scheibe nicht viel erkennen. Aber das, was ich gesehen habe, sah vielversprechend aus.“

Cole schenkte sich ein Glas Wasser ein. Dieses Gespräch war nicht gerade hilfreich, wenn er ein sachliches Verhältnis zu seiner Klientin bewahren wollte. „Sie ist 31. Dunkles Haar, große veilchenblaue Augen. Sie kommt aus dem Osten.“

„31“, murmelte Rex. „Etwas älter, als ich gehofft hatte. Aber vermutlich tickt ihre biologische Uhr mittlerweile so laut, dass sie es gar nicht abwarten kann, mir ein paar Enkelkinder zu schenken.“

„Ich würde diese Uhrengeschichte ihr gegenüber besser nicht erwähnen. Das ist einer ihrer wunden Punkte.“

„Annie“, sagte Rex verträumt. „Annie Rafferty. Das hat eine schöne Melodie.“

Cole bekam Gänsehaut. „Ihr Name ist Annie Jones.“

Rex’ Lächeln verblasste. „Sie ist doch nicht etwa eine von denen, die unbedingt ihren Mädchennamen behalten wollen!?“

Autor

Julie Kistler
<p>Julie Kistler kommt bei Komödien, alten Filmen, Musicals, Katzen und großen, dunkelhaarigen und gut aussehenden Männer wie ihrem eigenen Ehemann, mit dem sie seit 20 Jahren verheiratet ist, ins Schwärmen. Früher war sie Rechtsanwältin, hat sich dann aber für eine Karriere als Romance-Autorin entschieden und sich durch ihre humorvollen Liebesromane...
Mehr erfahren
Kristin Gabriel
Mehr erfahren
Dawn Atkins
Obwohl es immer Dawn Atkins’ größter Traum war, Autorin zu werden, war sie nicht sicher, ob sie wirklich den Funken Genialität besaß, den es dazu braucht. So wurde sie zunächst Grundschullehrerin und fing dann allmählich an, für Zeitungen und Zeitschriften Artikel zu verfassen. Schließlich gab sie ihre Arbeit an der...
Mehr erfahren