Julia Platin Band 9

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ENTSCHEIDUNG AUF DEN BAHAMAS von JENNIFER TAYLOR

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  • Erscheinungstag 15.05.2020
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715281
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Taylor, Tracy Sinclair, Amanda Browning

JULIA PLATIN BAND 9

1. KAPITEL

Das ganze Haus war hell erleuchtet. Jacob Hunt gab eine seiner berühmten Dinnerpartys.

Helen konnte sich das Fest vorstellen, das große Esszimmer mit den schweren Eichenmöbeln, das funkelnde Kristall und das glänzende Silber auf dem langen Tisch. Die Gäste, eine Mischung aus Reichen und Berühmten, Intellektuellen und Geistreichen, würden zu den Spitzen der Gesellschaft gehören, und deshalb hatte Helen beschlossen, heute Abend zu kommen.

Ohne zu zögern, drückte sie auf den Klingelknopf. Sie hatte alles sorgfältig geplant. Jetzt war sie froh, hier zu sein und ihr Vorhaben in die Tat umsetzen zu können.

„Guten Abend … Miss Helen!“

Helen war über das Wiedersehen genauso überrascht. Sie hatte nicht gewusst, dass Baxter noch hier war. Doch eigentlich hätte sie es sich denken können. Jacob hatte alles haben wollen, und jetzt hatte er alles, sogar ihren alten Butler.

„Guten Abend, Baxter. Wie geht es Ihnen?“

„Sehr gut, danke, Miss Helen.“ Unsicher blickte er sich um. „Mr. Hunt ist bei seinen Gästen. Ich werde ihm sagen, dass Sie hier sind. Darf ich Sie inzwischen ins Wohnzimmer führen?“

„Nein, danke, Baxter. Das ist nicht nötig.“ Sie schob sich an ihm vorbei, ging durch die Eingangshalle und stieß die Esszimmertür auf.

Alle waren da, genau wie Helen es sich vorgestellt hatte. Die meisten Gesichter, die sich ihr zuwandten, kannte sie, doch sie interessierte sich nur für einen Menschen.

Er saß am Kopfende des Tisches und hielt ein Glas Wein in der schlanken Hand. Sein Haar schimmerte blauschwarz im funkelnden Licht der Kronleuchter, das Gesicht war sonnengebräunt. Er war jetzt achtundzwanzig, sah aber älter aus, denn seine scharfgeschnittenen Gesichtszüge und tiefblauen Augen verrieten Lebenserfahrung. Jacob Hunt hatte alle Mittel eingesetzt, um zu bekommen, was er wollte, und das hatte seine Spuren hinterlassen.

Angst stieg in Helen auf, und sie zögerte einen Moment. Sie wusste, wessen Jacob fähig war und was für ein harter Gegner er sein würde. Hätte sie besser nicht kommen sollen? Wie konnte sie hoffen, einem Mann wie ihm eine Quittung erteilen zu können?

„Helen! Was für eine reizende Überraschung! Komm, setz dich zu uns.“

Seine tiefe Stimme klang leicht belustigt, und das gab Helen mehr als alles andere die Kraft, weiterzumachen und ihr Vorhaben durchzuführen.

Sie schloss die Tür und ging langsam auf Jacob zu. Ein Raunen ging durch die Runde, und Helen lächelte. Niemand, der hier am Tisch saß, würde diesen Abend je vergessen.

„Ich glaube nicht, dass du überrascht bist, Jacob. Du hast gewusst, dass ich kommen würde.“

Die Gespräche verstummten. Jetzt hatte Helen jedermanns Aufmerksamkeit, genau wie sie es geplant hatte. Bald würden Jacobs Freunde erkennen, wie er wirklich war.

Jacob hob sein Glas an die Lippen und trank. Ruhig beobachtete er Helen über den Rand des Glases hinweg. Nervös senkte sie den Blick und ärgerte sich gleich darauf über sich selbst. Jacob war zu clever. Ihm entging nicht das geringste Anzeichen von Schwäche.

„Vielleicht, aber ich hätte nicht gedacht, dich schon so bald zu sehen.“ Er schaute auf seine Uhr. „Du musst direkt vom Flughafen gekommen sein.“

Helen ging nicht darauf ein. „Du hältst dich für sehr schlau, stimmt’s? Und jetzt hast du alles: die Firma, das Haus, sogar …“

„Sogar Richard?“ Jacob lachte laut auf. „Na hör mal, Helen. Du willst mir doch nicht erzählen, dass du wahnsinnig in ihn verliebt bist, oder?“ Er zuckte die Schultern, und der Stoff seines eleganten Dinnerjackets spannte sich. Jacob hatte einen herrlichen Körper – schlank, muskulös und durch jahrelanges Training gestählt. Er hielt sich immer noch fit, obwohl er nichts weiter zu tun hatte, als Befehle zu erteilen. Das war ein Grund mehr, warum Helen ihn hasste.

„Ich will dir überhaupt nichts erzählen, Jacob. Warum auch? Du kennst ja alle Antworten. Du weißt, was du willst, und hast deine Pläne gemacht. Nun hast du alles – bis auf das, was ich am Leib trage. Aber wahrscheinlich hast du sogar darauf ein Anrecht.“ Sie lachte leise. Ihr Gesicht war sehr blass im Kontrast zu den leuchtend roten Locken, die ihr über die Schultern fielen. Ihre grünen Augen glänzten wie im Fieber. „Eines wird man mir nie nachsagen können, Jacob: dass ich meine Schulden nicht bezahle.“

Helen streifte ihre Lederhandschuhe ab und warf sie auf den Tisch. Den Blick unverwandt auf Jacob gerichtet, knöpfte sie ihre schwarze Kaschmirjacke auf und ließ sie vor ihm auf den Boden fallen. Dann begann sie, ihr schwarzes Seidenkleid langsam aufzuknöpfen, und stellte zufrieden fest, dass eine Frau erschrocken aufschrie. Morgen würde es in der ganzen Stadt bekannt sein. All die Leute hier, um die Jacob sich so sehr bemüht hatte, würden reden, und das würde ihm gar nicht gefallen.

„Ich denke, das genügt“, durchbrach Jacobs Stimme die Stille.

Helen hatte erwartet, dass er ihrem Tun Einhalt gebieten würde. Doch dass sie diesen belustigten Unterton in seiner Stimme hören würde, hatte sie nicht erwartet.

Sie war wie gelähmt. Die Finger immer noch an den Knöpfen, sah sie Jacob an, der jetzt aufstand und lächelnd in die Runde blickte.

„So enttäuscht ihr alle auch sein müsst, werdet ihr sicher Verständnis dafür haben, wenn ich die Dinnerparty für beendet erkläre. Helen hat sich große Mühe gegeben, meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erlangen, und deshalb möchte ich sie ihr nicht versagen. Ich muss gestehen, dass es nicht schwer sein wird, ihrem Wunsch nachzukommen“, fügte er mit einem vielsagenden Blick auf ihre schlanke Figur hinzu.

Einen Moment lang herrschte betroffenes Schweigen. Dann erhoben sich die Gäste, und einige von ihnen lachten. Als sie gingen, blickte Helen ihnen nach, ohne die amüsierten Bemerkungen und Jacobs gewandte Antworten richtig wahrzunehmen.

Plötzlich bekam sie Angst. Das hatte nicht passieren sollen. Sie hatte Jacob vor den Augen seiner Gäste demütigen wollen, aber er hatte den Spieß umgedreht, sodass sie sich jetzt gedemütigt fühlte.

Verzweifelt bückte sie sich nach ihrer Jacke. Doch Jacob war schneller und zog sie hoch, die Finger schmerzhaft um ihr Handgelenk geschlossen.

„Du willst doch noch nicht gehen, Helen? Schließlich habe ich gerade dafür gesorgt, dass wir ungestört miteinander reden können.“

Sie versuchte, sich freizumachen, aber er verstärkte nur den Druck seiner Finger.

„Lass mich los, Jacob! Du hast kein Recht, so grob zu sein.“

Jacob lachte und drückte sie an sich. „Hast du nicht selbst gesagt, ich hätte sogar ein Recht auf das, was du am Leib trägst? Das ist eine Untertreibung, Helen. Ich finde, ich habe noch sehr viel mehr Rechte.“

Nein!“ In plötzlicher Panik stieß sie ihn zurück und lief zur Tür.

Er war allerdings vor ihr dort und verstellte ihr den Weg. Langsam drehte er den Schlüssel um und steckte ihn in die Jackentasche. Dann ging er zum Tisch und schenkte sich ein Glas Wein ein.

„Auf dich, Helen.“ Spöttisch hob er das Glas. „Endlich ist es mir gelungen, deine stets zur Schau getragene kühle Fassade zu durchbrechen.“

In einem Zug leerte er das Glas und stellte es ab. „Willst du meinen Toast denn nicht erwidern? Die alte Helen wäre weitaus entgegenkommender gewesen und hätte sich an ihre guten Manieren erinnert.“

„Fahr zur Hölle, Jacob Hunt!“

Jacob lachte laut auf. „Zur Hölle hast du mich wahrscheinlich schon vor vielen Jahren gewünscht. Das kannst du dir also sparen, mein Schatz.“

„Ich bin nicht dein Schatz. Ich hasse dich, Jacob. Ich hasse dich für alles, was du meiner Familie angetan hast. Du hast meinen Vater in den Bankrott getrieben und ihn gezwungen, dir alles zu verkaufen – die Firma, das Haus, das Land. Du wolltest alles, was wir hatten, und hast nichts unversucht gelassen, es zu bekommen. Und dafür hasse ich dich!“

„Bist du deswegen heute Abend gekommen? Ist dein Hass so groß, dass er die kalte Verachtung, mit der du mich die ganzen Jahre behandelt hast, verdrängt hat? Das erfüllt mich mit einer gewissen Genugtuung, Helen.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, erwiderte sie. „Bitte schließ die Tür auf. Ich möchte gehen.“

„Du bist immer noch die alte Helen – zumindest in einer Hinsicht: Du hast nicht vergessen, ‚bitte‘ zu sagen. Wahrscheinlich würdest du dich sogar bei mir bedanken, wenn ich dich jetzt gehen ließe. Aber ich bitte dich, etwas länger zu bleiben. Schließlich hast du mir noch nicht gesagt, warum du wirklich gekommen bist.“

Sein Blick fiel auf die weichen Rundungen ihres Körpers unter dem engen Seidenkleid. Helen fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, und wandte sich rasch ab. Als Jacob leise lachte, verspürte sie ein erregendes Prickeln.

„Es ist immer noch da, stimmt’s?“, erkundigte er sich. „In den vergangenen Jahren hast du dein Bestes getan, so zu tun, als würde es nicht existieren, doch wir beide wissen es besser. Beunruhigt es dich, dass ich dir nicht gleichgültig bin? Bist du deshalb so auf Distanz bedacht? Versuchst du dir einzureden, du könntest vielleicht mit Richard glücklich werden? Machen dir die leidenschaftlichen Gefühle Angst?“

„Nein! Bilde dir nur nichts ein, Jacob Hunt. Für dich empfinde ich nur Verachtung.“ Sie warf den Kopf in den Nacken. „Es bringt mich zum Lachen, wenn ich lese, was über dich in den Zeitungen steht – all die Artikel, die voll des Lobes darüber sind, was du in so kurzer Zeit alles erreicht hast. Man betrachtet dich als Musterbeispiel eines Selfmademans. Wie groß ist dein Vermögen jetzt, Jacob? Eine Million? Zehn? Vermutlich weißt du es selbst nicht, weil du zu sehr damit beschäftigt bist, noch mehr Geld anzuhäufen.“

„Das klingt, als wäre das ein Verbrechen, Helen.“ Jacob ging zum Fenster und blickte in die dunkle Nacht hinaus.

Helen wusste, was er sah. Sie hatte selbst oft dort gestanden, hatte auf den weitläufigen Rasen hinausgeblickt, auf den See, der sich dahinter erstreckte, und auf den Wald in der Ferne.

„Es ist ein Verbrechen! Die Methode, die du angewendet hast, um dein Ziel zu ereichen, war verbrecherisch.“ Sie folgte ihm zum Fenster. „Du hast dir vorgenommen, meine Familie zu zerstören. Dir war jedes Mittel recht, uns alles, was wir hatten, zu nehmen. Und warum? Weil du neidisch auf uns warst.“

„Glaubst du wirklich, ich hätte mein Leben lang Krieg gegen deine Familie geführt?“

„Ja, das glaube ich!“, fuhr Helen ihn an. „Du hast uns von dem Augenblick an gehasst, als du mit siebzehn in unsere Gegend gezogen bist.“

„Wundert dich das?“ Mit einem Mal wurde Jacob wütend. „Du, deine Familie und deine Freunde habt alles getan, um mich zu demütigen. Ihr habt euch über mich lustig gemacht, mich wegen meines Akzents, meiner Kleidung und meiner Herkunft aufgezogen. Ich hatte tatsächlich geglaubt, einer von euch werden zu können, aber nein, das durfte nicht sein. Ich war zu ungehobelt und zu arm, um mit den Sinclairs verkehren zu dürfen.“

Er umfasste ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Doch ich habe rechtzeitig gemerkt, was vor sich ging, stimmt’s? Bevor ich mich weiter zum Narren habe halten lassen und dir und deinen Freunden noch mehr Grund zum Lachen gegeben habe.“

„Ich …“ Unter seinem grimmigen Blick brachte Helen kein Wort über die Lippen. Sie schloss die Augen. Nein, sie wollte nicht an den Tag am See denken, der so viele Jahre zurücklag. Doch die Erinnerung war zu lebendig und ließ sich nicht verdrängen.

Es war ein heißer Sommertag im Juli gewesen. Helen und ihre Freunde hatten sich am See gesonnt und gefaulenzt. Alle waren da gewesen, nur Jacob nicht. Er hatte einen Job in einer Autowerkstatt gefunden und war nur noch selten mit ihnen zusammen gewesen.

Helen konnte sich nicht mehr erinnern, wer von den Jungen damit angefangen hatte, Jacobs Akzent nachzuahmen. Doch im Nu taten es alle und machten abfällige Bemerkungen über seine Kleidung und das kleine gemietete Haus, in dem er mit seiner Mutter wohnte.

Helen wollte ihre Freunde dazu bringen aufzuhören, aber sie hatte Angst, selbst Zielscheibe des Spotts zu werden, wenn sie für Jacob eintrat. Jacob Hunt brachte sie durcheinander, denn er weckte Empfindungen in ihr, die sie nicht verstand und mit denen sie nicht umzugehen wusste. Manchmal, wenn er sie mit seinen blauen Augen anschaute, hatte sie das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das machte ihr Angst und veranlasste sie, Jacob auf Distanz zu halten.

Eines der Mädchen fragte sie plötzlich, ob sie Jacob anziehend finden würde. Gespielt verächtlich erklärte Helen, er wäre ihr viel zu ungehobelt und zu arm, und alle lachten. Doch Helen hatte sich furchtbar geschämt, als sie Jacob auf einmal im Schatten der Bäume entdeckt hatte. Niemand sonst hatte ihn gesehen. Er hatte sich abgewandt und war ohne ein Wort gegangen. Obwohl sie den Vorfall bis zum heutigen Tag nie erwähnt hatten, war er die Ursache all dessen gewesen, was danach geschehen war.

„Es war nur törichtes Geschwätz, Jacob“, versicherte Helen jetzt ruhig. „Wenn sie gemerkt hätten, dass du in der Nähe warst, hätte keiner etwas gesagt.“

Unvermittelt ließ Jacob sie los. „Davon bin ich überzeugt, Helen.“ Er lächelte grimmig. „So dumm waren sie nicht.“

Helen wusste, was er meinte. Jacob war größer und stärker als die anderen Jungen in seinem Alter gewesen. Er hatte eine Kraft ausgestrahlt, die die Mädchen fasziniert und die Jungen eifersüchtig und misstrauisch gemacht hatte. Wenn er an jenem Tag beschlossen hätte, seinem Unmut Luft zu machen, hätte niemand es mit ihm aufnehmen können. Dennoch hatte er die Kränkungen nicht vergessen – im Gegenteil. Sie hatten ihn in seinem Entschluss bestärkt, sie, Helen, und ihre Familie dafür bezahlen zu lassen.

„Wer zuletzt lacht, lacht am besten, stimmt’s?“, bemerkte Helen bitter. „Du bist wohlhabend und einflussreich und hast alles erreicht, was du wolltest.“

„Nein, nicht alles.“ Die Augen zusammengekniffen, band Jacob seine schwarze Fliege ab, warf sie auf den Tisch und öffnete dann den obersten Knopf seines Frackhemds, sodass der Ansatz seiner sonnengebräunten Brust zu sehen war. Er war erst vor einer Woche aus dem Urlaub zurückgekehrt, den er in seinem Haus in Nassau verbracht hatte.

Der Anblick seiner glatten gebräunten Haut versetzte Helen einen schmerzhaften Stich. Entschlossen ging sie zum Tisch und schenkte sich ein Glas des hervorragenden Weins ein. Die Flasche stammte aus dem Weinkeller ihres Vaters. Jetzt gehörte der Weinkeller Jacob – wie alles in diesem Haus, in dem sie, Helen, aufgewachsen war. Nie würde sie ihm verzeihen können, was er getan hatte!

„Bist du denn gar nicht neugierig, Helen?“

Sie trank einen Schluck, bevor sie das Glas wieder auf den Tisch stellte.

„Neugierig? Entschuldige, Jacob, aber anscheinend ist mir etwas entgangen.“

Jacob betrachtete sie prüfend. „Du hast gesagt, ich hätte alles, was ich mir gewünscht habe. Das stimmt nicht. Eine Sache wünsche ich mir immer noch.“

Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton. Forschend blickte Helen ihm ins Gesicht, aber sie fand nichts, was hätte erklären können, warum ihr auf einmal so beklommen zumute war.

Gespielt gleichmütig nahm sie wieder ihr Glas und hob es an die Lippen. „Tatsächlich? Wie faszinierend!“

Er lachte leise, als wüsste er genau, was in ihr vorging. „Willst du denn nicht wissen, was es ist? Oder ärgert es dich, wenn du zugeben musst, dass du neugierig bist?“

Sie seufzte. „Na schön, wenn wir die Scharade damit beenden können. Also, Jacob, was ist es? Was wünschst du dir noch, um dein Glück vollkommen zu machen?“

„Dich.“

Das Wort schien in der darauf folgenden Stille widerzuhallen und dabei immer lauter zu werden, bis Helen es schließlich nicht mehr aushielt. Wie aus weiter Ferne sah sie, wie ihr das Glas aus der Hand fiel und der Wein über die Damasttischdecke spritzte. Dann hörte sie Glas splittern, war aber unfähig, sich zu rühren.

Sie war heute Abend gekommen, um Jacob zu demütigen. Er sollte für alles bezahlen, was er getan hatte. Wie hatte sie nur so dumm sein können, zu glauben, es würde ihr gelingen! Jacob Hunt war unverwundbar. Das hatte er auf seinem Weg nach oben immer wieder bewiesen.

Sie war in die Höhle des Löwen gegangen, um es ihm zu zeigen, und jetzt saß sie selbst in der Falle.

Es klopfte an der Tür. Helen hörte es kaum, denn sie stand noch immer wie gelähmt da.

„Alles in Ordnung, Mr. Hunt?“, erkundigte sich Baxter unsicher, als Jacob ihm die Tür öffnete.

„Miss Sinclair ist ein kleines Missgeschick passiert. Sie hat ein Glas zerbrochen. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Scherben schnell beseitigt werden.“

Jacob blickte über die Schulter zurück auf Helens unbewegliche Gestalt. „Und bringen Sie den Verbandskasten ins Arbeitszimmer. Miss Sinclair scheint sich an der Hand verletzt zu haben.“

Helen sah auf ihre Hand und merkte erst jetzt, dass sie sich geschnitten hatte und blutete. Sie wollte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche nehmen, aber plötzlich stand Jacob neben ihr und nahm ihr die Tasche aus der Hand.

„Lass nur. Ich werde die Wunde gleich verbinden. Komm mit ins Arbeitszimmer, dann kann Baxter hier aufräumen.“ Er umfasste ihren Ellbogen, doch sie entzog sich sofort seinem Griff.

„Mit dir gehe ich nirgendwohin. Ich möchte nach Hause.“

Jacob musterte ihr blasses Gesicht. „Im Moment bist du nicht in der Verfassung, irgendwohin zu gehen. Ich lasse nicht zu, dass du davonläufst und einen Unfall hast.“

„Du lässt es nicht zu? Verdammt, Jacob, wofür hältst du dich eigentlich? Glaubst du, du könntest mir Befehle erteilen? Ich bin nicht dein Eigentum!“

„Nein?“ Seine Augen funkelten spöttisch. „Ich dachte, deswegen wärst du heute Abend gekommen. Weil dir auf einmal klargeworden ist, dass du mir tatsächlich gehörst. Mir gehört alles, was du hast, von der Wohnung, in der du lebst, bis zu den Kleidern, die du trägst.“

Er musterte ihre Rundungen unter dem schwarzen Seidenkleid. „Du bist die beste Investition, die ich je gemacht habe. Und jetzt hoffe ich, den Lohn dafür zu bekommen.“

„Du bist widerlich, Jacob! Du hast meinen Vater in die Enge getrieben. Deshalb konnte er deine Hilfe nicht ausschlagen.“

„Hat er dir das erzählt? Hat er so zu erklären versucht, warum er das Angebot, mietfrei zu wohnen und das Geld für seinen Lebensunterhalt zu bekommen, angenommen hat?“ Jacob lachte bitter. Helen wich zurück, doch er packte sie am Arm und zwang sie, ihn anzusehen. „Dein Vater hat mir vor Dankbarkeit fast die Hand abgerissen, als ich ihm sagte, was ich für ihn zu tun bereit wäre. Vielleicht solltest du dir ein Beispiel an ihm nehmen. Stolz ist ein Luxus, den du dir jetzt nicht mehr leisten kannst, Helen.“

Unwillkürlich holte sie aus, aber erst nachdem sie ihm die Ohrfeige verabreicht hatte, wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. Einen Moment lang war sie wie gelähmt. Dann drehte sie sich um und floh durch die Halle. Sie kam jedoch nicht weit, denn Jacob umfasste ihre Taille und zog sie mit sich ins Arbeitszimmer. Helen wehrte sich verzweifelt und holte erneut zum Schlag aus.

„Tu das nicht noch einmal!“, rief er drohend, wobei seine Augen vor Zorn funkelten. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen und Helen losgelassen, wich sie erschrocken zurück.

Jacob verzog den Mund zu einem Lächeln, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Genau, Helen. Sei besser vorsichtig. Ich bin nicht einer deiner Milchbubis. Vergiss das nicht.“

„Ich hasse dich, Jacob Hunt. Jetzt noch mehr, da ich weiß, was du getan hast.“

„Wenn dein Vater Manns genug gewesen wäre, hättest du es schon viel eher wissen können, mein Schatz. Wenn er auch nur ein bisschen Stolz gehabt hätte, hätte er mein Angebot überhaupt nicht angenommen.“

„Und warum hast du es ihm gemacht? Ich weiß, wie du über mich und meine Familie denkst. Plötzliche Gewissensbisse können also nicht der Grund gewesen sein. Es muss schon etwas anderes dahinterstecken.“

„Richtig. Und hast du es noch nicht herausgefunden? Komm schon, Helen, du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff.“ Jacob ging zu den Getränken, die auf einem Tisch standen, und schenkte sich einen Brandy ein. Während er das Glas zwischen den Händen wärmte, beobachtete er Helen aufmerksam.

„Ich fürchte, ich habe Probleme, zu verstehen, was einen Menschen wie dich bewegt, Jacob.“ Um ihre Angst zu verbergen, zuckte sie herablassend die Schultern.

Als ihr Vater ihr am Vorabend erzählt hatte, dass Jacob alle Rechnungen für sie bezahlte, war sie entsetzt gewesen. Stundenlang hatte sie darüber nachgegrübelt und zu verstehen versucht, warum er das tat, aber selbst jetzt konnte sie seine Motive noch nicht ganz begreifen. Er hatte immer mehr in ihr Leben eingegriffen, indem er die Firma, das Haus, ja sogar Richard übernommen hatte.

Richard hatte ihr vor einigen Wochen erklärt, er hätte das Angebot von Hunt Electronics angenommen und würde zu einer Schulung nach New York fliegen, bevor er den Führungsposten in der Firma übernahm. Da Richard von der Fehde mit Jacob nichts wusste, hatte er dessen Angebot als großartige Chance betrachtet. Helen hingegen hatte sofort geargwöhnt, dass Jacob ihm den Posten nur ihretwegen angeboten hatte.

Richard und sie waren seit knapp einem Jahr miteinander befreundet. In letzter Zeit hatte er zwar öfter von Heirat gesprochen, doch sie hatte gezögert, eine so feste Verbindung einzugehen. Sie mochte Richard gern, aber eine Heirat kam für sie noch nicht in Betracht.

Jacob Hunt wollte Richard aus ihrem Leben verbannen und ihr die Chance nehmen, glücklich zu werden. Wie sehr Jacob sich in ihr Leben einmischte, war ihr erneut klargeworden, als sie am Vorabend die von ihm unterzeichneten Schecks gefunden und ihr Vater ihr endlich die Wahrheit gesagt hatte. Maßlose Wut hatte sie gepackt und ihren Verstand ausgeschaltet – ein Fehler, den man sich bei Jacob nicht leisten durfte, wie Helen an diesem Abend erkannt hatte.

„Wieso habe ich das Gefühl, dass es kein Kompliment ist?“, kam Jacob auf ihre Bemerkung zurück.

„Weil du wahrscheinlich weißt, dass ich dir nie ein Kompliment machen würde. Aber lassen wir die Wortgefechte. Sag mir endlich, worauf du aus bist, Jacob.“

„Na schön, Helen. Du willst die ungeschminkte Wahrheit, dann sollst du sie auch hören. Alles, was ich tue, hat nur einen Zweck: dich zu bekommen. Ich habe dir vorhin schon gesagt, dass du das Einzige bist, was ich mir noch wünsche. Es kann also kaum eine Überraschung für dich sein.“

„Glaubst du wirklich, ich würde mich dir verpflichtet fühlen, weil du unsere Rechnungen bezahlst und uns eine Bleibe zur Verfügung stellst?“ Sie lachte bitter. „Du hast dein Geld verschwendet, Jacob. Nichts könnte mich dazu bringen, mit dir eine Beziehung einzugehen.“

„Auch nicht, wenn ich dir drohe, dich und deinen Vater sofort vor die Tür zu setzen? Da ihr mietfrei wohnt, hätte ich das Recht dazu.“

Helen lächelte. „Nur zu. Wenn du uns hinauswirfst, müssen wir uns nach etwas anderem umsehen, doch das wäre keine gute Reklame für dich, Jacob. Stell dir vor, was die Zeitungen daraus machen würden, wenn ich ihnen meine Geschichte erzählen, oder besser gesagt, verkaufen würde. Das Geld könnte ich bestimmt gut gebrauchen, denn als Nächstes würdest du damit drohen, uns keinen Unterhalt mehr zu zahlen. Habe ich recht?“

Jacob schmunzelte, trank seinen Brandy aus und stellte das Glas auf den Schreibtisch. „Sollte ich dich vielleicht unterschätzt haben, süße Helen? Du scheinst auf jeden Zug, den ich mache, mit einem Gegenzug zu reagieren.“

„Mal gewinnst du, mal verlierst du. Das musst du doch wissen, Jacob.“

„Oh ja, durchaus.“ Gleichmütig zuckte er die Schultern, sah Helen jedoch unverwandt an.

Nervös verlagerte sie das Gewicht von einem Bein auf das andere. Irgendetwas war ihr an der Sache nicht ganz geheuer. Es passte nicht zu Jacob, so schnell nachzugeben. Was würde er tun, nun, da er wusste, dass sie sich nicht erpressen ließ? Hatte er wirklich geglaubt, sie würde sich seinen Plänen fügen, nur um ein Dach über dem Kopf und ein bisschen Geld auf dem Konto zu haben?

Um der unerquicklichen Situation ein Ende zu machen, wandte Helen sich ab. In diesem Moment sagte Jacob: „Willst du denn gar nicht wissen, an was für eine Beziehung ich gedacht habe?“

Obwohl sie sich zunehmend unwohler fühlte, antwortete sie kühl: „Nein, eigentlich nicht. Doch die Höflichkeit gebietet wohl, dass ich wenigstens so tue, als sei ich interessiert. Also, Jacob, woran hast du gedacht?“

Er lächelte und maß sie mit sinnlichen Blicken von Kopf bis Fuß, sodass ihr ganz heiß wurde. „Ich dachte an Heirat, Helen. Wie könnte ich dir weniger bieten?“

Heirat? Bestürzt sah sie ihn an.

„Ich … Nein!“ Sie holte tief Luft, doch das Gefühl der Enge in ihrer Brust blieb. „Nie und nimmer würde ich dich heiraten, Jacob Hunt, egal, womit du mir drohst.“

„Warum bist du dann so außer dir, Helen? Hast du mir nicht gerade unmissverständlich klargemacht, dass du dich nicht erpressen lässt? Wovor hast du dann Angst? Es macht dir nichts aus, ohne einen Penny auf der Straße zu stehen. Du bist bereit, für deine Grundsätze zu leiden und sogar deinen Vater dafür leiden zu lassen.“ Nachdenklich schaute er sie an.

„Vergiss nicht, dass ich bereit bin, mich an die Presse zu wenden“, entgegnete sie trotzig und hob stolz das Kinn.

„Sehr mutig von dir. Wenn ich in deiner Lage wäre, würde ich das bestimmt nicht tun.“

„Was soll das heißen: ‚In meiner Lage‘? Ich stoße doch keine Drohungen aus!“

„Oh doch, das tust du, Helen. Du drohst mir damit, mich als eine Art Monster hinzustellen. Aber ruf dir einmal die Fakten ins Gedächtnis. Ich habe dich und deinen Vater in all den Wochen mietfrei in dem Apartment wohnen lassen und bin obendrein für eure Lebenshaltungskosten aufgekommen.“

Jacob zuckte die Schultern. „Natürlich sollte es nur eine vorübergehende Lösung sein. Das hat dein Vater dir bestimmt gesagt. Schließlich hat er ein entsprechendes Schriftstück unterzeichnet.“

„Was für ein Schriftstück?“, fragte Helen mit bebender Stimme.

„Ach, nur eine kleine Formalität. Ich wollte mir die Möglichkeit offenhalten, die Wohnung einmal selbst zu nutzen. Deshalb habe ich deinen Vater gebeten, mir zu bestätigen, dass er sie nach drei Monaten räumen würde. In gut einer Woche läuft die Frist ab. Wenn ich den Zeitungen, mit denen du Kontakt aufnimmst, die Fakten mitteile, werden sie sie bestimmt berücksichtigen. Die Presse einzuschalten könnte sogar vorteilhaft für mich sein. Es gibt bestimmt nicht viele Leute, die sich so menschenfreundlich verhalten, stimmt’s?“

„Es gibt schon ein Wort, das auf dich passt, aber ‚menschenfreundlich‘ ist es gewiss nicht, Jacob. Du bist ein Bast…“

„Schon gut, Helen“, unterbrach er sie. „Das Wort ist mir im Laufe der Jahre öfter an den Kopf geworfen worden, als ich zählen kann – in jeder nur möglichen Bedeutung.“

Helen errötete, denn plötzlich war sie tief beschämt.

Als Jacob mit seiner Mutter in das kleine Haus eingezogen war, hatte es Gerüchte gegeben, denen zufolge Mrs. Hunt verwitwet war. Doch das hatte kaum jemand geglaubt. Jacob hatte nie über seinen Vater gesprochen und alle neugierigen Fragen im Keim erstickt.

Jacob lachte, denn er hatte Helens Verlegenheit bemerkt. „Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung.“

Als Helen ihn fragend ansah, sagte er sanft: „Es macht dich betroffen, wenn du merkst, dass du vielleicht ein bisschen zu hart zugeschlagen hast.“

Sie richtete sich auf. Er sollte nicht glauben, irgendwelche Anzeichen von Schwäche bei ihr entdeckt zu haben. „Mach dir nichts vor, Jacob. Deine Gefühle sind mir völlig egal.“

„Dann hast du eine merkwürdige Art, das zu zeigen. Macht nichts. In Zukunft werden wir bestimmt noch oft Gelegenheit haben, darüber zu reden.“

„Solche Gelegenheiten wird es nicht geben. Dein Plan wird nicht funktionieren, denn deine Drohungen lassen mich kalt. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst – ich möchte gehen.“

Ohne sich von ihm zu verabschieden, verließ sie das Zimmer und eilte an dem überraschten Baxter vorbei, der gerade mit dem Verbandskasten in der Hand durch die Halle ging.

Nur schnell weg von hier, war Helens einziger Gedanke. Dass Jacob wirklich glaubte, er hätte sie so weit gebracht, dass sie ihn heiraten würde, war unfassbar.

Erst später, als sie allein in ihrem Zimmer war, verspürte sie Angst. Jacob Hunt hatte stets das erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Und jetzt hatte er anscheinend ein Auge auf sie geworfen.

2. KAPITEL

„Wirst du rechtzeitig wieder zurück sein, Vater? Der Mann von der Umzugsfirma wollte um elf kommen, sich alles ansehen und uns dann einen Kostenvoranschlag machen.“ Seufzend blickte Helen sich in dem eleganten Zimmer um. „Lange wird er dafür nicht brauchen. Die meisten Möbel gehören hierher. Deshalb werden wir uns nach einer möblierten Bleibe umsehen müssen. Was meinst du?“

„Ganz wie du willst, Helen. Ich überlasse dir alle Entscheidungen.“ Edward Sinclair erhob sich langsam. „Ich gehe mir jetzt die Zeitung holen, Liebes.“

Besorgt blickte Helen ihm nach. Ihr Vater schien um Jahre gealtert, seit sie ihm nach ihrem Besuch bei Jacob vor fast einer Woche erklärt hatte, dass sie auf keinen Fall in der Wohnung bleiben könnten. Dass Jacob sie heiraten wollte, hatte Helen ihm allerdings nicht gesagt. Darüber wollte sie mit niemandem reden, nicht einmal mit ihrem Vater.

Sie hörte, wie die Haustür hinter ihm zufiel, und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Es gab viel zu tun. Sie, Helen, musste sich nicht nur nach einer Wohnung umsehen, sondern auch einen Job finden, von dem sie und ihr Vater leben konnten.

Die Stellenangebote in den Zeitungen hatte sie gründlich studiert, doch das Problem war, dass sie keine Berufserfahrung hatte. Als ihre Mutter erkrankt war, hatte Helen sie versorgt und den Haushalt geführt, statt sich um einen Ausbildungsplatz zu kümmern. Jetzt wünschte sie, nicht so kurzsichtig gewesen zu sein. Doch die Sinclairs hatten immer Geld gehabt. Es war ein schwerer Schock für Helen gewesen, zu erfahren, dass sie alles an Jacob verloren hatten.

Ihr Vater hatte ihr erzählt, ein alter Freund hätte ihnen die Wohnung zur Verfügung gestellt und sie hätten immer noch genug Geld, um die Rechnungen bezahlen zu können. Helen hatte ihm geglaubt. Hätte er ihr doch die Wahrheit gesagt! Es war ein großer Fehler gewesen, dass er Jacob erlaubt hatte, sie zu unterstützen.

Der bloße Gedanke an Jacob Hunt machte Helen wütend. Rasch stand sie auf und holte ihren Mantel aus dem Schlafzimmer. An diesem Morgen wollte sie sich bei einer Zeitarbeitsfirma vorstellen. Vielleicht hatte sie dort Glück. Keinen Penny wollte sie von diesem Mann mehr annehmen!

Helen stand im Flur und knöpfte gerade ihren Mantel zu, als es an der Tür klingelte. Sie nahm an, dass ihr Vater die Schlüssel vergessen hatte, und öffnete, bevor sie nach ihrem Schal suchte. Es war September und oft schon recht kalt in den Morgenstunden.

„Ich bleibe nicht lange, Vater. Denk an die Umzugsfirma, sonst …“

„Sonst wirst du meine Gastfreundschaft noch etwas länger in Anspruch nehmen müssen?“ Jacob schloss die Tür hinter sich und schmunzelte über Helens erschrockenen Gesichtsausdruck.

„Was willst du?“, fuhr sie ihn an.

„Was glaubst du wohl?“ Er ging an ihr vorbei in das geräumige Wohnzimmer. „Ich will natürlich wissen, wie es um mein Eigentum bestellt ist.“

Die leichte Betonung auf dem Wort „Eigentum“ trieb Helen das Blut in die Wangen. Entschlossen griff sie zum Telefonhörer. „Ich rufe jetzt die Polizei an, Jacob. Ich werde ihnen sagen, dass ein Mann in meine Wohnung eingedrungen ist. Geh also besser, bevor die Beamten hier eintreffen.“

„Deine Wohnung?“ Jacob setzte sich aufs Sofa. „Hast du da nicht etwas vergessen? Das Apartment gehört mir, Helen. Ich habe das Recht, zu kommen und zu gehen, wann immer ich will.“

Zögernd legte sie den Hörer auf. „Keine Angst, bald hast du die Wohnung wieder für dich. Vater und ich ziehen aus, sowie ich etwas anderes für uns gefunden habe.“

„So lange werde ich aber nicht warten können. Ich habe jetzt oft geschäftlich in der Stadt zu tun und erwarte deshalb, dass ihr die Wohnung bis zum Ende der Woche geräumt habt.“

„Ende der …“ Ihr versagte die Stimme. „Das ist unmöglich, Jacob.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Tut mir leid, aber unter den gegebenen Umständen kann ich nicht mehr so großzügig sein wie bisher. Ich bin Geschäftsmann, und meine Investitionen müssen sich lohnen. Tun sie das nicht, ziehe ich mein Geld natürlich ab und investiere es in andere, profitablere Projekte.“

„Da ich nicht die Absicht habe, deine Frau zu werden, soll das wohl heißen, dass du keinen Grund mehr siehst, dich jetzt noch als Menschenfreund aufzuspielen.“ Die Verachtung in Helens Stimme war unüberhörbar.

Jacob presste die Lippen zusammen. „So ungefähr. Es ist ein Jammer, dass du so unvernünftig bist, Helen. Wenn nur du leiden müsstest, könnte ich es vielleicht noch verstehen. Dass du aber bereit bist, Menschen leiden zu lassen, die du liebst …“ Kopfschüttelnd erhob er sich vom Sofa und wandte sich zur Tür.

„Falls du meinen Vater meinst, brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, entgegnete Helen hitzig. „Ich werde mich schon um ihn kümmern.“

Er blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie die feinen Linien um seine Augenwinkel sah und den frischen Duft seines Aftershaves wahrnahm. Jedes Mal, wenn Jacob ihr nahe war, spürte sie, wie eine prickelnde Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete. Um sich nichts anmerken zu lassen, senkte Helen schnell den Blick.

„Sicher wirst du alles tun, was du kannst. Du bist eine erfinderische Frau, das ist mir nicht entgangen. Einfallsreichtum wirst du auch nötig haben.“ Jacob umfasste ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Da ist zum Beispiel die Operation, die dein Vater braucht.“

„Was für eine Operation?“, fragte sie erschrocken. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“

„Wirklich nicht? Na ja, vielleicht wollte dein Vater dich nicht beunruhigen. Allerdings müsste dir aufgefallen sein, welche Schwierigkeiten er beim Gehen hat.“

„Du brauchst mir nicht zu sagen, was mit meinem Vater ist!“, brauste sie auf.

„Mag sein, aber was du nicht weißt, ist, dass ich bereit war, eine Operation in einer Privatklinik zu bezahlen. Die Wartelisten der Krankenkasse sind nämlich lang. Wenn du jedoch in Kauf nehmen willst, dass sein Gesundheitszustand sich verschlechtert, ist es natürlich deine Entscheidung.“

„Wie kannst du es wagen! Verschwinde, Jacob! Sofort! Deine Lügen und Anspielungen höre ich mir keine Minute länger an.“

„Es wird Zeit, dass du mir einmal zuhörst, Helen.“ Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. „Du musst endlich begreifen, was du tust.“

„Ich werde überhaupt nichts tun. Versuch also nicht, deine abscheulichen Taten zu vertuschen. Wenn Vater eine Operation braucht, bekommt er eine. Er hat schließlich jahrelang Krankenversicherungsbeiträge gezahlt.“

„Hat er das?“ Jacob lockerte seinen Griff um ihre Schultern, sodass seine Berührung nun fast zärtlich war. „Das solltest du besser überprüfen. Es könnte sein, dass die Mitgliedschaft nicht mehr besteht – genauso wie es das Haus, die Firma und all die anderen Dinge nicht mehr gibt, die früher zu deinem Lebensstil gehörten.“

Um seinen Worten die gewünschte Wirkung zu verleihen, schwieg er kurz, bevor er fortfuhr: „Und dann ist da natürlich noch Richard. Hast du deinen Bewunderer schon vergessen?“

Sein Tonfall ließ Helen das Blut in den Adern gefrieren. Früher hatte Jacob einen Akzent gehabt. Irgendwann hatte er ihn abgelegt, doch gelegentlich war noch eine Spur davon zu hören. So auch jetzt.

Es löste ein eigentümliches Gefühl in ihr aus. Sie fühlte sich wieder an jenen Sommertag im Juli zurückversetzt, als sie Jacob zwischen den Bäumen entdeckt und er den grausamen und spöttischen Bemerkungen gelauscht hatte, die über ihn gemacht worden waren. Ein wilder, gefährlicher Ausdruck war damals auf seinem Gesicht erschienen. Helen erschauerte, als sie daran dachte.

„Was hast du mit Richard gemacht?“, erkundigte sie sich mit bebender Stimme.

„Nichts – noch nichts. Doch ich bezweifle, dass er seine gegenwärtige Position noch länger behalten kann. Nicht, wenn er sich dir eng verbunden fühlt.“

„Soll das heißen, dass du ihn feuern willst?“ Forschend blickte sie ihm ins Gesicht. Als sie die Antwort darin las, entzog sie sich seinem Griff und ging zum Fenster. Tränen der Ohnmacht traten ihr in die Augen.

„Die Frage muss ich wohl nicht beantworten, oder? Siehst du ein, in was für eine unerfreuliche Lage du mich gebracht hast? Es ist schade um Richard, denn er ist ein vielversprechender junger Mann. Doch ich glaube kaum, dass er etwas anderes finden wird. Einem Bewerber, der die Karriereleiter hinunterklettert, bietet niemand gern eine Stelle an.“ Jacob seufzte. „So ist das nun mal im Leben.“

„Ich hasse dich, Jacob“, flüsterte sie und drehte sich zu ihm um. Sie war sehr blass, und das Licht, das durchs Fenster fiel, ließ ihr rotes Haar wie Feuer leuchten. „Ich hasse und verabscheue alles an dir.“

„Wirklich, Helen? Oh, ich bezweifle nicht, dass du glaubst, mich zu hassen. Allerdings bin ich nicht so ganz überzeugt davon, dass Hass alles ist, was du für mich empfindest.“

„So ist es aber. Ich empfinde nur Hass für dich, Jacob.“

Er lächelte und hielt ihren Blick noch einen Moment fest, bevor er auf seine Uhr schaute. „Ich muss leider gehen, so interessant es auch wäre, die Unterhaltung fortzusetzen. Solltest du plötzlich zur Vernunft kommen und begreifen, was für einen Fehler du machst, weißt du ja, wo du mich findest.“

Nachdem er die Wohnung verlassen hatte, drehte Helen sich wieder um und sah starr zum Fenster hinaus. Jacob irrte sich, sie empfand nur Hass für ihn. „Ja, ich hasse Jacob Hunt!“, flüsterte sie immer wieder vor sich hin. Doch sie hörte auch die Verzweiflung in den Worten, und das machte ihr Angst.

Es hatte den ganzen Tag geregnet. Durchnässt und unglücklich kam Helen am frühen Nachmittag nach Hause. Es war eine frustrierende Woche gewesen, denn sie hatte weder einen Job noch eine angemessene Bleibe gefunden. Als Helen nun ihren Vater im Foyer des Apartmenthauses sitzen sah, wusste sie, dass ihr noch eine unangenehme Überraschung bevorstand.

„Vater, was ist los? Was machst du hier? Ich dachte, du wärst wie immer im Club.“ Besorgt betrachtete sie ihren Vater, der von Tag zu Tag gebrechlicher zu werden schien. Seit einiger Zeit brauchte er einen Stock zum Gehen. Seine Hand, mit der er ihn umfasste, zitterte, als er jetzt zu seiner Tochter aufsah.

„Ich bin früher nach Hause gekommen. Im Club war es mir zu laut. Und hier … ich wusste nicht, was ich tun sollte. Gott sei Dank, dass du da bist!“

Helen ging neben ihm in die Hocke und legte tröstend die Hände auf seine. „Mach dir keine Gedanken, Vater. Erzähl mir einfach, was passiert ist.“

„Ich komme nicht in die Wohnung.“

Erleichtert atmete sie auf. „Das ist es also. Du hast deine Schlüssel wieder vergessen.“

Sie stand auf und blickte stirnrunzelnd zum Portier hinüber, der hinter dem Tresen saß. „Warum hast du Arthur nicht gebeten, dir aufzuschließen? Er hat doch einen Schlüssel.“

Der Portier sah verlegen hoch. „Ich fürchte, das kann ich nicht, Miss Sinclair.“

„Was, um Himmels willen, soll das heißen?“, erkundigte sie sich verblüfft.

Unbehaglich rutschte der Portier auf seinem Stuhl hin und her. „Mr. Hunt hat die Schlösser an der Wohnungstür auswechseln lassen, nachdem Sie und Ihr Vater heute Morgen gegangen waren. Er sagte, dass ich unter keinen Umständen jemanden hineinlassen darf.“

Fassungslos blickte Helen den Mann an, doch im nächsten Moment verspürte sie eine unbändige Wut. Sie hätte wissen müssen, dass Jacob so etwas tun würde! Die ganze Woche hatte sie versucht, jeden Gedanken an ihn aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Es war jedoch töricht, zu glauben, Jacob würde sich in Luft auflösen, nur weil sie sich weigerte, an ihn zu denken.

„Was machen wir jetzt, Helen? Wo sollen wir hingehen?“ Edward Sinclairs Stimme zitterte.

Helen versuchte, sich wieder zu fangen. „Mach dir keine Sorgen, Vater.“ Beruhigend tätschelte sie seinen Arm. „Das Ganze ist ein Missverständnis. Als Jacob neulich vorbeigekommen ist, sagte er etwas davon, dass er die Schlösser erneuern lassen wollte. Wahrscheinlich ist ihm nicht bewusst, dass er uns ausgesperrt hat.“

„Verstehe schon. Jacob ist in den letzten Monaten bereits mehr als großzügig gewesen. Er würde uns bestimmt nicht absichtlich aussperren.“

Als Edward Sinclair sah, dass Helen zusammenzuckte, lächelte er traurig. „Du und Jacob seid nicht einer Meinung, doch es gibt vieles, was du nicht weißt, Helen. Wenn du alle Fakten kennen würdest, würdest du deine Ansichten über ihn bestimmt ändern.“

Das bezweifelte Helen. Für sie waren alle Fakten hieb- und stichfest. Doch sie wollte nicht mit ihrem Vater darüber streiten und ihn weiter beunruhigen. Irgendwie musste sie dieses Durcheinander in Ordnung bringen, und die einzige Möglichkeit war, Jacob aufzusuchen, so unangenehm die Vorstellung auch sein mochte.

Eine Stunde später stand Helen vor dem hohen Gebäude aus Glas und Stahl, der Zentrale von Hunt Electronics. Helen war noch nie zuvor hier gewesen, doch sie hatte viel über die Firma gelesen.

In den vergangenen Jahren hatten die Zeitungen oft über den Erfolg berichtet, den Jacob Hunt mit seinem Unternehmen hatte, und letztes Jahr war er dann in dieses repräsentative Bürogebäude eingezogen. Fünf Stockwerke hatte er darin übernommen, was wieder einmal zeigte, wie weit er es gebracht hatte.

Schnell und lautlos fuhr der Aufzug in den fünfzehnten Stock. Die Türen glitten auf, noch ehe Helen Zeit gehabt hatte, sich zu sammeln. Sie trat hinaus auf den hellgrauen Teppich und war sogleich von unaufdringlichem Luxus umgeben. Von den mauvefarbenen Wänden, an denen teure Drucke verschiedener Impressionisten hingen, bis zu den eleganten schwarzen Möbeln – alles zeugte von enormem Wohlstand. Es brachte Helen erneut in Rage.

Jacobs Büro lag am Ende des langen Flurs. Sie klopfte an die Vorzimmertür und ging dann geradewegs auf die elegante Brünette zu, die hinter dem Schreibtisch saß.

„Ich möchte gern Mr. Hunt sprechen.“

„Mr. Hunt ist sehr beschäftigt. Heute Nachmittag hat er leider keinen Termin mehr frei.“ Die Sekretärin lächelte sie freundlich an.

Helen wollte sich auf keinen Fall abweisen lassen. „Ich bin ganz sicher, dass er Zeit für mich hat. Sagen Sie ihm bitte, dass ich hier bin. Mein Name ist Sinclair, Helen Sinclair.“

„Helen! Was machst du denn hier?“

Sie drehte sich um, überrascht, Richard auf sich zukommen zu sehen. Pflichtbewusst erwiderte sie seinen Kuss auf die Wange, trat dann zurück und schaute ihn verwirrt an.

„Das Gleiche frage ich dich, Richard. Ich hatte keine Ahnung, dass du schon wieder in England bist. In deinen Briefen hast du nichts davon erwähnt.“

Richard verzog das Gesicht. „Dann hast du sie also erhalten?“

Er führte Helen zu einer Sitzgruppe am Fenster. „Ich habe mich schon gewundert, weil ich nie eine Antwort von dir erhalten habe.“

Helen mied seinen Blick. „Ich hatte viel zu tun. Tut mir leid, Richard. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Was machst du hier?“

„Ich wünschte, ich wüsste das! Ich habe keine Ahnung, was Hunt von mir will. Dabei bin ich schon eine ganze Weile hier.“ Er lächelte etwas nervös und blickte auf die geschlossene Tür zu Jacobs Büro.

Richard war einige Jahre älter als Helen und ein gutaussehender Mann mit blondem Haar. Sie kannte ihn als einen stets freundlichen und zuverlässigen, wenn auch wenig aufregenden Partner, aber Aufregung hatte sie auch nie gesucht. Doch jetzt strahlte er eine Unruhe aus, die sie noch nie an ihm bemerkt hatte. Es verursachte ihr ein unbehagliches Gefühl.

„Hat Jacob nach dir geschickt?“ Helen setzte sich und bedeutete Richard, neben ihr Platz zu nehmen.

„Ja. Obwohl ich nicht weiß, was los ist, habe ich das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren wird.“

Sie senkte den Blick. Richard hatte allen Grund, sich Sorgen zu machen. Jacob hatte sie gewarnt. Ihretwegen hatte er Richard den Job gegeben, und ihretwegen würde er ihm die Stelle auch wieder wegnehmen.

„Miss Sinclair? Mr. Hunt möchte Sie jetzt sehen.“

Die Sekretärin klang etwas überrascht, doch Helen wusste, dass Jacob mit ihrem Kommen gerechnet hatte. Erneut hatte sie das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Sie betrat sein Büro und blieb überrascht stehen, als sie es leer fand. Verwundert schaute sie sich um, ging dann zu der halb offen stehenden Tür auf der gegenüberliegenden Seite und spähte in den Raum dahinter. Was sie sah, ließ sie erstarren.

Jacob lag, nur mit einer schwarzen Shorts bekleidet, auf einer schwarzen Bank und stemmte Gewichte. Sein sonnengebräunter Oberkörper glänzte vor Schweiß. Als er Helens erschrockenen Ausruf hörte, blickte Jacob sich um, ließ langsam die Gewichte sinken und glitt von der Bank. Er griff nach einem Handtuch, trocknete sich damit das Gesicht und legte es sich anschließend lässig um die Schultern.

„Annette sagt, du wolltest mich sehen.“

Ihr Mund war auf einmal wie ausgetrocknet. Sie wandte den Blick ab, ärgerlich auf sich selbst, weil es sie derart verwirrte, Jacob so zu sehen.

Er lachte leise. „Entschuldige, Helen. Hätte ich geahnt, wie empfindlich du bist, hätte ich erst geduscht und mich angezogen. Aber ich habe noch andere Termine.“ Er machte eine Pause und fragte dann: „Hast du Richard draußen gesehen?“

Helen geriet in Wut. „Du hast gewusst, dass ich ihm begegnen würde. Es gehört alles zu deinem niederträchtigen Plan. Du wusstest, dass ich kommen würde, und deshalb hast du Richard für heute herbestellt.“

Gleichmütig nahm Jacob das Handtuch von den Schultern und rieb sich damit über Brust und Arme. „Du schmeichelst mir, Helen. Ich bin nicht allmächtig. Wie konnte ich wissen, wann genau du hier eintreffen würdest?“

„Es ist ein Leichtes, Richard so lange warten zu lassen, bis ich hier auftauche.“ Hasserfüllt blickte sie auf die verschiedenen Trainingsgeräte in dem kleinen Raum. „Du zögerst dein Gespräch mit Richard einfach hinaus und gehst inzwischen all deinen anderen ‚Terminen‘ nach.“

Jacob schmunzelte. „Wie misstrauisch du doch bist, mein Schatz. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich muss erst duschen, bevor wir uns über den Grund deines Besuchs unterhalten.“

Er wollte auf die Duschkabine zugehen, die in einer Ecke des Raums eingebaut war, doch Helen packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. Seine Haut fühlte sich warm und ein wenig feucht an. Sofort ließ Helen ihn wieder los.

„Du weißt, warum ich hier bin, Jacob. Du hast die Schlösser an der Wohnungstür ausgetauscht.“

„Stimmt“, bestätigte er. „Ich habe dich gewarnt. Du solltest bis zum Ende der Woche aus der Wohnung sein. Was kann ich dafür, wenn du die Warnung einfach in den Wind schlägst?“

„Darum geht es doch gar nicht“, entgegnete sie hitzig. „Verdammt, Jacob, glaubst du wirklich, ich will länger dort wohnen bleiben, als ich muss? Es ist nicht leicht, so schnell etwas anderes zu finden.“

„Das ist wohl kaum mein Problem. Du hast deine Wahl getroffen, Helen.“

„Und dass Vater sich furchtbare Sorgen gemacht hat, als er bei seiner Heimkehr nicht in die Wohnung konnte, ist wohl auch nicht dein Problem, oder?“

„Das habe ich nicht gewollt. Ich bin davon ausgegangen, dass dein Vater den Nachmittag wie immer im Club verbringen würde. Es lag nicht in meiner Absicht, Edward zu beunruhigen. Und jetzt würde ich gern duschen, wenn du nichts dagegen hast.“ Jacob blickte zur Duschkabine. „Du kannst natürlich gern bleiben …“

Sofort drehte Helen sich um und verließ den Raum, wobei sie sein spöttisches Lachen ignorierte. Am liebsten hätte sie das Gebäude verlassen, doch was hätte das genützt? Stolz wäre ein Luxus, den sie sich nicht mehr leisten könnte, hatte Jacob gesagt. Jetzt begann sie zu verstehen, was er damit meinte. Nicht nur sie, sondern auch ihr Vater und Richard mussten darunter leiden, wenn sie einfach davonlief.

Während sie in seinem Büro dem Rauschen des Wassers lauschte, überlegte Helen, was sie Jacob sagen sollte. Als er wenig später erschien, war ihr immer noch nichts eingefallen.

Schweigend betrachtete er sie einen Moment. Dann ging er zu seinem Schreibtisch, schaltete die Gegensprechanlage ein und bat seine Sekretärin, Kaffee zu bringen.

„Warum nimmst du nicht Platz?“, wandte er sich an Helen, die immer noch unentschlossen dastand. „Während wir zusammen Kaffee trinken, versuchen wir, eine Lösung für dein Problem zu finden.“

„Ich bin nicht gekommen, um dir einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Und die Lösung meines Problems liegt auf der Hand. Du brauchst mir nur die Wohnungsschlüssel zu geben.“

Jacob setzte sich in einen der Ledersessel, die am anderen Ende des Büros standen, lehnte sich bequem zurück und musterte Helen mit leicht hochgezogenen Augenbrauen. „Und warum sollte ich das tun? Habe ich dir nicht neulich gesagt, dass ich die Wohnung selbst nutzen will?“

„Ja, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Vater und ich keine Bleibe haben.“

„Es ändert auch nichts an der Tatsache, dass das nicht mehr mein Problem ist.“ Es klopfte, und Annette brachte den Kaffee herein. Jacob wartete, bis sie eingeschenkt hatte und wieder gegangen war, ehe er weitersprach. „Genauso wenig ändert es etwas an Richards Situation.“

Helen ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Willst du ihn wirklich feuern, Jacob? Es ist gemein, ihn dafür zu bestrafen, dass du deinen Willen nicht haben kannst.“

„Das scheint mir eine ziemlich drastische Beschreibung dessen, was ich tun muss. Mir gefällt der Gedanke auch nicht, aber es ist vernünftig.“

„Vernünftig?“, rief sie aufgebracht. „Du willst Richards Karriere wegen einer Fehde mit mir und meiner Familie zerstören!“

„Ja, es ist vernünftig, wenn ich sicherzustellen versuche, dass alle Personen, die ich einstelle, mir gegenüber loyal bleiben. Wie kann ich Richards Loyalität sicher sein, wenn du ihm erzählst, was passiert ist?“

Er trank einen Schluck von seinem Kaffee. „Natürlich wird Richard hin und her gerissen sein, und das ist ein Risiko, das ich nicht eingehen kann. Ich will Hunt Electronics keiner Gefahr aussetzen. Ich schränke also nur die Risiken ein, um die Firma zu schützen.“

„Das sind alles Lügen, Jacob. Wäre Richard nicht mit mir befreundet, hättest du ihm den Job überhaupt nicht angeboten.“

„Ich glaube, du tust Richard unrecht, Helen. Er ist ein außerordentlich fähiger Mann. Es ist einfach Pech, dass unsere gegenwärtige Situation mich zu einem solchen Schritt zwingt.“

Jacob stellte seine Kaffeetasse wieder auf das Tablett und schaute Helen auf eine Weise an, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Was hatte sie eigentlich durch ihr Kommen zu erreichen gehofft? Hatte sie wirklich geglaubt, sie könnte Jacob dazu bringen, seine Haltung zu ändern?

„Ich …“

„Du hältst die Lösung in Händen, Helen“, schnitt er ihr das Wort ab, als hätte er nicht gemerkt, dass sie etwas sagen wollte.

Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Ihr Herz klopfte so laut, dass Jacob es hören musste.

„Heirate mich, dann ist nicht nur für deinen Vater gesorgt, sondern auch Richards Karriere ist gesichert.“

Im ersten Moment brachte Helen kein Wort über die Lippen. Schließlich sprang sie erbost auf. „Nein! Du musst verrückt sein, wenn du glaubst, ich würde dich heiraten. Ich hasse dich. Ich wünsche mir nur, einen Weg zu finden, um es dir heimzuzahlen.“

„Und dafür biete ich dir die ideale Gelegenheit.“ Er stand auf. „Heirate mich, Helen, und du wirst mich besser kennenlernen als irgendjemand sonst. Keine meiner Schwächen wird dir verborgen bleiben. Stell dir vor, welche Möglichkeiten sich dir auftun, Rache zu üben.“

Jacob umfasste ihre kalten Hände, zog Helen an sich und blickte ihr verlangend in die Augen. „Heirate mich, Helen. Nicht aus Liebe, sondern aus einem anderen, ebenso starken Gefühl heraus: Hass.“

Auf eine schreckliche Art machten seine Worte einen Sinn. Sie würde nie frei von ihm sein. Egal, wohin sie ging oder was sie tat, er würde ihr Leben immer beeinflussen. Doch wenn sie ihn heiratete, würde sie einen Weg finden können, ihn für all das Leid, das er ihrer Familie zugefügt hatte, bezahlen zu lassen. Sie würde seine wunden Punkte entdecken und ihn vernichten.

„Ja, ich werde dich heiraten, Jacob. Und glaub mir, ich werde dafür sorgen, dass es dir für den Rest deines Lebens leidtut, mich dazu gebracht zu haben.“

Ein seltsamer Ausdruck flackerte in seinen Augen auf, bevor Jacob den Kopf senkte und seinen Mund auf ihren presste. Obwohl es nur ein flüchtiger Kuss war, der ihre Abmachung besiegelte, zuckte Helen zurück, verwirrt über das Gefühl, das die Berührung seiner Lippen in ihr auslöste.

„Ich werde alles Notwendige so schnell wie möglich arrangieren“, erklärte Jacob. „Ich sehe keinen Grund, noch lange zu warten. Du?“

Helen, die immer noch den Druck seines Mundes auf ihrem zu spüren meinte, zuckte die Schultern, bemüht, das beunruhigende Gefühl abzuschütteln. „Nein, eigentlich nicht. Wann immer du willst, Jacob. Es gibt da jedoch ein oder zwei Bedingungen, die du noch vor der Hochzeit erfüllen müsstest.“

„Und die sind?“ Eher amüsiert als besorgt lehnte er sich gegen die Schreibtischkante.

„Du musst mir versprechen, dass Vater für den Rest seines Lebens versorgt sein wird und Richards Job …“ Sie überlegte kurz, bevor sie fortfuhr. „… für zwei Jahre sicher ist.“

„Du hast mein Wort darauf, Helen.“

„Das genügt mir nicht. Ich will es schriftlich haben, und zwar vor der Hochzeit, sodass mein Anwalt Zeit hat, sich die Vereinbarung durchzulesen.“

Jacob lachte laut auf. „Traust du meinem Wort nicht?“

„Nein, ich traue dir nicht.“ Helen musterte ihn verächtlich von Kopf bis Fuß. „Wenn du es dir anders überlegst und Zweifel hast, ob das alles klug ist, verstehe ich es natürlich. Weißt du, worauf du dich da einlässt?“

„Oh ja, durchaus.“ Jacob ließ den Blick über ihre schlanke Figur schweifen. „Es ist etwas, das ich mir schon seit langem gewünscht habe.“

„Dann bist du selbst schuld, wenn sich das alles zu einem Albtraum für dich entpuppt.“

„Du glaubst, dass es ein Albtraum wird?“

„Ja, was denn sonst? Ich bin sogar fest davon überzeugt und möchte deshalb unserer Vereinbarung eine Klausel hinzufügen. Danach musst du die Vertragsbedingungen auch dann erfüllen, wenn du die Ehe beenden willst.“ Sie lachte bitter. „Wie lange wird es wohl dauern, bis du genug hast? Sechs Monate? Weniger? Meine Einwilligung, dich zu heiraten, könnte sich als die gewinnbringendste Entscheidung erweisen, die ich je getroffen habe.“

Jacob richtete sich auf und kam langsam auf sie zu. Der frische Duft nach Duschgel und Shampoo stieg ihr in die Nase. Sein schwarzes Haar war noch feucht vom Duschen und kräuselte sich im Nacken. Helen spürte, wie ihre Haut zu prickeln begann, und wandte sich ab. Jacob umfasste jedoch ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

„Nicht sechs Monate, Helen. Wenn du mich heiratest, wird es eine Bindung fürs Leben sein.“

Sie entzog sich seinem Griff. „Das wird die Zeit entscheiden.“

„Ja, allerdings.“ Er setzte sich an seinen Schreibtisch und blickte sie an. „So, das wär’s dann wohl. Du wirst sicher verstehen, dass ich heute keine Zeit mehr für dich habe. Wegen der Hochzeitsvorbereitungen werde ich mich bei dir melden.“

Jacob griff in seine Jackentasche und zog ein Schlüsselbund heraus, das er ihr zuwarf. „Das sind die Schlüssel für die Wohnung. Sag deinem Vater, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, weil alle Probleme gelöst sind.“

Helen errötete, sagte aber nichts. Als sie sich zum Gehen wenden wollte, fiel ihr Richard wieder ein. Sie sah Jacob an. „Was … was soll ich Richard sagen?“

„Du könntest es mit der Wahrheit versuchen. Ich kann allerdings verstehen, wenn es dir peinlich ist, ihm zu erzählen, dass du demnächst seinen Boss heiratest. Überlass es mir. Ich werde es ihm sagen.“

„Jacob, du wirst doch …“

„Freundlich zu ihm sein? Wolltest du das sagen?“

Helen spürte, dass er wütend war. Aber warum? Jacob hatte jetzt alles, was er wollte. In gewisser Hinsicht war er als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen. Was ärgerte ihn auf einmal?

Doch bevor sie eine Antwort darauf fand, machte er eine Bemerkung, die ihren Hass auf ihn noch mehr schürte: „Keine Angst, Helen. Ich kann es mir leisten, einem Verlierer gegenüber großzügig zu sein.“

Er beugte sich wieder über die Papiere auf seinem Schreibtisch, und Helen verließ sein Büro.

3. KAPITEL

„Helen? Was geht hier vor?“ Sichtlich verwirrt folgte Richard ihr nach draußen auf den Flur.

Zögernd blieb Helen stehen. „Das lässt sich nicht so einfach erklären, Richard. Vielleicht … vielleicht wartest du besser, bis Jacob mit dir gesprochen hat.“

„Was hat Jacob Hunt denn damit zu tun? Hör mal, wenn ich dich verärgert habe …“

„Du hast mich nicht verärgert, Richard!“

„Was ist dann los?“ Er sah sich um. „Was machst du hier überhaupt? Ich wusste gar nicht, dass du Hunt so gut kennst.“

„Jacob und ich … kennen uns schon ziemlich lange“, erklärte Helen ausweichend.

Was sollte sie bloß tun? Sie konnte Richard doch nicht rundheraus sagen, dass sie eingewilligt hatte, Jacob zu heiraten. Das wäre taktlos gewesen.

„Dass ihr euch kennt, weiß ich, Helen. Schließlich kommt ihr aus der gleichen Gegend. Außerdem hat Jacob euer Haus und eure Firma gekauft. Aber ich wusste nicht, dass ihr so gut miteinander bekannt seid, dass du ihn besuchst.“

„Hör mal, Richard, dies ist nicht der richtige Ort, um eine Diskussion anzufangen. Lass uns später darüber reden, ja?“

„Nein, wir reden jetzt.“ Richard umfasste ihren Arm. „Ich will wissen, was los ist.“

„Du solltest es ihm sagen, Helen. Es ist zwecklos, es noch länger geheim zu halten.“

Erschrocken wirbelte sie herum und sah Jacob in der Tür stehen. Dass es eine Tür gab, die direkt von seinem Büro auf den Flur führte, hatte Helen gar nicht gewusst.

Jacobs Augen funkelten gefährlich, als sein Blick auf Richards Hand fiel, mit der dieser immer noch Helens Arm umfasst hielt. Richard ließ die Hand sofort sinken und wich zurück, doch in seinem Gesicht lag immer noch ein herausfordernder Ausdruck.

„Es ist wohl besser, wenn ihr beide in mein Büro kommt. Dort sind wir unter uns.“ Jacob ging voran, und Helen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Er schloss die Tür, lehnte sich dagegen und musterte Richards ernste Miene.

„Du hast es ihm also noch nicht gesagt?“, wandte er sich an Helen.

Sie schüttelte den Kopf. Die ganze Situation war ihr so peinlich, dass ihr die Schamröte in die Wangen stieg.

„Was soll sie mir gesagt haben?“, mischte Richard sich ein. „Hören Sie, Jacob …“ Plötzlich wurde er kreidebleich. „Haben Sie Helen gebeten zu kommen, damit sie mich tröstet, wenn … wenn Sie mich feuern?“

Jacob begegnete Helens Blick und lächelte unmerklich. „Nein. Ich kann Ihnen versichern, dass Ihnen Ihr Job für die nächsten zwei Jahre sicher ist.“

Richard war sichtlich erleichtert. „Das freut mich zu hören, aber ich weiß immer noch nicht, was los ist.“

„Das kann ich verstehen. Es ist auch für uns ziemlich überraschend gekommen, stimmt’s, Helen?“ Jacob legte ihr den Arm um die Schultern und lächelte sie auf eine Weise an, dass sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verabreicht hätte. Wie schrecklich das alles für Richard war, schien ihn überhaupt nicht zu kümmern. Im gleichen unbarmherzigen Ton fuhr er fort: „Helen hat gerade eingewilligt, meine Frau zu werden.“

„Ihre … Helen?“ Richard war tief betroffen.

Helen wollte auf ihn zugehen, doch Jacob verstärkte den Druck seiner Finger auf ihrer Schulter. Sie blickte zu ihm auf und erkannte, dass sie ihm besser nicht widersprach.

„Ja, es ist wahr, Richard“, sagte sie sanft. „Ich weiß, dass es ein Schock für dich ist, und es tut mir leid. Ich … ich wollte nicht, dass du es auf diese Weise erfährst.“

„Es spielt doch keine Rolle, wie ich es erfahre! Du meine Güte, Helen, warum hast du es mir nicht eher erzählt?“ Verzweifelt versuchte Richard, die Fassung wiederzugewinnen. „Ich wünschte, du hättest mich vorgewarnt, dann würde ich mir jetzt nicht wie ein Idiot vorkommen.“

„Richard, ich …“

„Ich habe gerade erklärt, dass weder Helen noch ich es vorhergesehen haben. Ich halte es für unnötig, über die Einzelheiten zu sprechen.“ Jacobs Finger bohrten sich immer noch schmerzhaft in ihre Schultern, doch jetzt empfand Helen es als seltsam beruhigend. Unwillkürlich rückte sie näher an ihn heran.

Richard bemerkte es, und sie errötete wieder. Sie hatte ihm nie irgendwelche Versprechungen gemacht, vielleicht weil sie tief im Inneren immer gewusst hatte, dass Richard nicht der Richtige für sie war. Allerdings half ihm das jetzt nicht. Verzweifelt wünschte sie sich, ihm den wahren Grund sagen zu können, warum sie Jacob heiratete.

Stumm flehte sie um Verzeihung, aber Richard beachtete sie nicht.

„Dann bleibt wohl nichts mehr zu sagen“, bemerkte er an Jacob gewandt. „Verzeihen Sie, dass ich Ihnen nicht gratuliere, doch aus meiner Sicht gibt es keinen Grund zum Jubeln.“

„Ich verstehe“, erwiderte Jacob. „Sollte es ein Trost für Sie sein, so versichere ich Ihnen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Helen glücklich zu machen. Sie soll keinen Grund haben, ihre Entscheidung zu bedauern.“

Helen bedauerte ihre Entscheidung schon jetzt, und es lag ihr auf der Zunge, es ihm zu sagen. Als sie jedoch seinem Blick begegnete, verrauchte ihr Zorn. Richard würde es vielleicht nie herausfinden, aber einer der Gründe, warum sie in die Heirat eingewilligt hatte, war, ihn vor der Entlassung zu bewahren.

Mit einem Mal hielt Helen es nicht mehr aus. Sie riss sich von Jacob los und lief zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und sagte mit Tränen in den Augen: „Tut mir leid, Richard. Ich hoffe, dass du eines Tages imstande sein wirst, zu akzeptieren, was ich getan habe.“

Sie stürmte auf den Flur hinaus, doch Jacob holte sie ein und hielt sie wütend zurück. „Was wolltest du damit sagen? Wenn du glaubst, ich würde zulassen, dass du Jackson den Grund für unsere Heirat verrätst, dann hast du dich getäuscht. Was immer zwischen dir und ihm war, gehört jetzt der Vergangenheit an. Verstanden?“

Helen versuchte, seinem Blick standzuhalten. „Keine Angst, ich habe nicht vor, Richard die Wahrheit zu sagen. Er würde es mir wohl kaum danken. Richard ist anständig und ehrlich und würde deine Spielregeln nie verstehen. Jetzt entschuldige mich bitte, ich will gehen.“

„Sicher. Lass dich von mir nicht aufhalten. Aber vergiss nicht, was ich dir eben gesagt habe. Was wir vereinbart haben, bleibt unter uns.“ Er betrachtete sie lächelnd. „Falls du plauderst, würde ich dich mein Missfallen auf eine Weise fühlen lassen, die dir nicht gefallen wird.“

„Das bezweifle ich nicht. Zumindest darin stimmen wir überein. Vielleicht ist es das Einzige überhaupt.“

„Ich glaube, du unterschätzt, was uns miteinander verbindet, mein Schatz.“ Jacob kam näher und drängte sie gegen die Wand. Sein männlicher Duft machte Helen ganz schwindlig.

Jetzt hob Jacob die Hand und fuhr sacht mit einem Finger über ihre Wange. Sie zuckte zurück und blickte zu ihm auf, die Augen geweitet.

Lächelnd beugte er sich zu ihr herab. „Ich könnte mir vorstellen, dass du und ich vieles finden werden, worin wir übereinstimmen – viele Ebenen, auf denen wir uns begegnen können. Es wird aufregend sein, das alles auszuprobieren.“

Helen schloss die Augen. „Ich hasse dich, Jacob“, flüsterte sie, am ganzen Körper bebend.

Jacob trat mit unbewegter Miene zurück. „Sicher tust du das. Jetzt gehe ich wohl besser wieder zu deinem Freund. Es gibt da einige Dinge, die noch zwischen uns geklärt werden müssen, wenn ich das Versprechen halten soll, das ich dir wegen seines Jobs gegeben habe.“

Helen erschrak. „Du wirst dein Wort doch nicht brechen und Richard dazu bringen, etwas Unbesonnenes zu tun?“

„Und unsere Vereinbarung gefährden?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich sagte dir bereits, dass ich mir schon seit langem gewünscht habe, dich zu heiraten. Ich will nicht etwas verlieren, das zu bekommen ich mir in den Kopf gesetzt habe.“

Jacob war gegangen, noch ehe Helen etwas darauf erwidern konnte. Was für ein Durcheinander! Sie, ihr Vater, Richard – sie alle waren gefangen in einem Netz, das Jacob in all den Jahren geknüpft hatte. Irgendwie musste sie einen Weg finden, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Jacob sollte bedauern, was er getan hatte.

Der Lärm verursachte Helen Kopfschmerzen. Sie entschuldigte sich bei der Gruppe, ging rasch auf den Eingang des riesigen Festzelts zu, das im Garten errichtet worden war, und atmete tief die frische Abendluft ein.

Die Party war Jacobs Idee gewesen. Helen hatte nur zugestimmt, wie sie allem zugestimmt hatte, was er in der letzten Woche unternommen hatte. Falls sie sich gewundert hatte, warum er ein so aufwendiges Fest geben wollte, hatte Helen die Antwort darauf gleich bei ihrer Ankunft gewusst. Heute Abend wollte Jacob ihre Verlobung bekanntgeben. Unter den Anwesenden, die Helen an seiner Seite begrüßt hatte, hatte sie alle Gäste jener Dinnerparty wiedererkannt, die ein so jähes Ende gefunden hatte.

Es hatte viel Gerede gegeben nach jenem Abend, doch Jacob schien das nicht gestört zu haben. Warum auch? Schließlich hatte er den Spieß so geschickt umgedreht, dass ihr ursprünglicher Plan im Nachhinein geradezu lächerlich wirkte. Und wenn er an diesem Abend ihre Verlobung bekannt gab, würde es allen neue Rätsel aufgeben, warum sie sich damals so aufgeführt hatte.

Helen Sinclair würde Jacob Hunt heiraten. Sie konnte das Raunen, das durch die Menge gehen würde, förmlich spüren. Dennoch war Helen weniger um die Reaktion der Leute als vielmehr um die Endgültigkeit ihrer Entscheidung besorgt. Hatte Jacob die Verlobung erst einmal bekanntgegeben, gab es kein Zurück mehr.

In plötzlicher Panik ließ Helen den Blick über die Gäste schweifen und begegnete dem Jacobs. Selbst im eleganten Smoking sah er hart und unbeugsam aus, und seine blauen Augen funkelten entschlossen. Um es ihm heimzuzahlen, hatte sie eingewilligt, ihn zu heiraten, aber wie konnte sie hoffen, dass es ihr gelingen würde? Wie sollte sie einen Mann schlagen, der schon so viele Kämpfe gewonnen hatte und dem jedes Mittel recht war, um zu bekommen, was er wollte? In den vergangenen Tagen hatte sie sich einzureden versucht, dass sie sich richtig entschieden hatte, doch nun wurde ihr klar, wie töricht sie gewesen war.

Sie vermochte kaum noch einen klaren Gedanken zu fassen. Doch sie wusste, dass sie vor Jacob fliehen musste, bevor es zu spät war.

Rasch verließ sie das Festzelt und lief über den Rasen. Würde Jacob ihr folgen? Sie beschleunigte ihre Schritte, raffte den Rock ihres smaragdgrünen Taftkleids hoch und lief zu ihrem Auto. Schnell stieg sie ein und schloss die Tür. Den Schlüssel hatte sie in der Zündung stecken lassen. Mit bebenden Fingern drehte sie ihn um, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und jemand seine Hand auf ihre legte.

„Wo willst du denn hin, Helen?“

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie brachte keinen Ton über die Lippen. Sie war nicht einmal fähig, den Kopf zu wenden und Jacob, der neben dem Wagen stand, anzusehen. Erst als er sich hinunterbeugte, sie auf den Beifahrersitz hob und sich hinter das Lenkrad setzte, erwachte sie aus ihrer Erstarrung.

„Was tust du da?“, rief sie fast hysterisch, als er den Motor anließ und die Auffahrt hinunterfuhr.

„Da du so darauf brennst, diesen Ort zu verlassen, komme ich natürlich mit dir, mein Schatz. Stell dir die überraschten Gesichter unserer Gäste vor, wenn sie entdecken, dass du genau in dem Augenblick verschwunden bist, da ich unsere Verlobung bekannt geben will. Sie könnten sich fragen, was eigentlich vor sich geht.“

Helen lachte leise. „Bist du sicher, dass sie sich das nicht sowieso fragen werden? Meinst du wirklich, die Leute glauben, wir würden aus Liebe heiraten?“

Jacob lenkte den Wagen auf die Hauptstraße, die durch das Dorf führte. „Wer weiß? Die Zeit wird es zeigen.“

„Das klingt fast so, als würdest du große Hoffnungen hegen, was uns angeht. Wie rührend, Jacob. Ich hätte nie gedacht, dass du sentimental bist.“

„Ich bezweifle, dass du überhaupt etwas über mich weißt. Oh, ich bin sicher, dass du mich zu kennen glaubst. Es könnte sich jedoch herausstellen, dass ich in Wirklichkeit nicht dem Bild entspreche, das du dir von mir gemacht hast.“

„Das glaube ich nicht“, widersprach sie. „Ich hatte viele Jahre Zeit, mir eine Meinung über dich zu bilden. Große Überraschungen werde ich wohl kaum zu erwarten haben.“

„Viele Jahre?“ Jacob lachte rau, während er auf einen Parkplatz fuhr und den Motor abstellte. „Nun übertreib aber nicht, Helen.“

„Das ist nicht übertrieben. Du warst siebzehn, als du ins Dorf gekommen bist. Selbst damals wusste ich schon, wie du bist.“

„Wirklich? Du hast nichts über mich gewusst, meine süße kleine Helen. Deshalb hast du mich auch mit deinen großen grünen Augen so ängstlich angeschaut.“ Als er ihr Kinn umfasste, fühlten seine Finger sich kühl auf ihrer Haut an. Sein Gesicht war in der Dunkelheit kaum zu erkennen – bis auf die funkelnden Augen. Sein Blick war so eindringlich, dass Helen sich am liebsten abgewandt hätte, aus Angst, Jacob könnte etwas entdecken, von dessen Existenz sie selbst nichts wusste.

„Rede keinen Unsinn, Jacob. Das bildest du dir nur ein.“

„Keineswegs. Ich wusste, was du für mich empfindest – schon damals. Du warst ängstlich und fasziniert zugleich. Ich war eine unbekannte Größe in deiner kleinen, behüteten Welt. Im Grunde hat sich daran bis heute nichts geändert. Du hattest immer Angst davor, mir zu nahe zu kommen. Sonst hättest du sehen können, was wirklich los war.“

Sie entzog sich der beunruhigenden Berührung seiner Finger und funkelte ihn wütend an. „Bilde dir bloß nichts ein, Jacob Hunt. Du hast nichts Faszinierendes an dir. Du hast nur Ärger bedeutet, von dem Tag an, an dem du ins Dorf gekommen bist. So viele Kämpfe, wie du vom Zaun gebrochen hast, hat es nie zuvor gegeben. Glaubst du, ich hätte nie davon gehört?“

„Und natürlich war ich immer schuld.“ Er klang eher müde als verärgert. „Daran hat nie jemand gezweifelt, stimmt’s, Helen? Keiner hat sich je gefragt, ob ich nicht vielleicht das Opfer sein könnte.“

„Du ein Opfer? Das soll wohl ein Witz sein. Du warst viel zu hart im Nehmen, um irgendjemandes Opfer zu sein.“

„Vermutlich hat es nach außen hin so ausgesehen. Schließlich hatte ich viele Jahre Zeit gehabt, zu lernen, meine Gefühle zu verbergen.“

„Was willst du damit sagen?“

„Einfach nur, dass man mir mein Leben lang mit Vorurteilen begegnet ist. Meine Mutter ist eine stolze Frau. Sie hat nicht eingesehen, warum sie lügen sollte, nur um sich den Ansichten anderer anzupassen. Meinen Vater habe ich nie gekannt. Meine Mutter und er sind nie verheiratet gewesen. Als er sie verlassen hat, war ich noch ein Baby.

Ihr Fehler war es, eine ledige Mutter zu sein, die ihr Bestes tat, um ihr Kind zu versorgen. Sie hat von anderen nie etwas verlangt oder erwartet, doch leider haben die Leute die Dinge nicht so gesehen wie sie.“

Jacob lehnte sich in den Sitz zurück. Ein abwesender Ausdruck lag in seinem Gesicht, während er auf eine Vergangenheit zurückblickte, die Helen sich kaum vorstellen konnte.

„Ich habe schnell gelernt, mich selbst zu behaupten. Heutzutage ist es keine Schande mehr, unehelich geboren zu sein, doch damals dachten die Leute noch anders darüber.“

„Man hat sich erzählt, deine Mutter wäre verwitwet“, bemerkte sie leise.

Jacob verzog das Gesicht. „Das hat meine Mutter erzählt, weil sie all der Feindseligkeiten müde geworden war, als wir hierhergezogen sind. Aber das hat ihr niemand wirklich geglaubt, oder?“

Helen errötete. „Vergiss nicht, in einem Dorf kennt jeder jeden. In kleinen Gemeinden halten sich altmodische Wertvorstellungen länger als anderswo. Das ist heute noch so.“

„Das habe ich gemerkt.“ Er richtete sich auf, seine Miene war hart geworden. „Ärger hat es gegeben, aber nicht, weil ich ihn gesucht habe. Das brauchte ich gar nicht, denn jeder Jugendliche in meiner Nachbarschaft brannte darauf, welchen zu machen.“

Helen wusste, dass das stimmte. Er hatte heftige Emotionen geweckt, kaum dass er in die kleine Gemeinde gekommen war. Das entschuldigte aber nicht, was er später getan hatte.

„Weil die Leute Vorurteile gegen dich hatten, wolltest du ihnen also eine Lehre erteilen“, folgerte sie. „Und wer konnte dir besser als Zielscheibe dienen als meine Familie? Wir haben alles verkörpert, was du zu hassen gelernt hast.“

„Wenn du es so sehen willst, bitte.“ Jacob lächelte kühl. Dann ließ er den Motor wieder an, wendete das Auto und fuhr den Weg zurück, den sie gekommen waren. „Man kann die Ansichten der Leute schwer ändern, doch am Ende müssen sich alle der Wahrheit stellen.“

„Willst du damit sagen, dass ich aufgrund dessen, was du mir erzählt hast, vielleicht meine Meinung über dich ändere?“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und überlegte. Dachte sie jetzt tatsächlich anders über Jacob? „Tut mir leid“, fuhr sie fort, „so rührend deine Geschichte auch war, es bedarf schon etwas mehr, um mich davon zu überzeugen, dass sich unter der rauen Schale ein weicher Kern verbirgt.“

Jacob umklammerte das Lenkrad. „Dann muss ich mich wohl noch etwas mehr anstrengen, damit du mich anders siehst.“ Auf einmal lachte er. „Am anderen Neues entdecken – darum geht es doch in der Ehe, stimmt’s?“

„Es gibt nichts Neues, was ich über dich entdecken müsste oder wollte – abgesehen davon, wie ich dich für alles, was du getan hast, bezahlen lassen kann. Fragst du dich nicht manchmal, ob es nicht ein großer Fehler war, mir eine solche Möglichkeit zu bieten? Vielleicht bereust du es schon bald.“

„Glaubst du?“ Er nahm ihre Hand, hob sie an die Lippen und küsste sie. „Du bist das Einzige, was mir in meinem Leben gefehlt hat, das Einzige, was ich immer haben wollte.“

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Rasch zog sie ihre Hand zurück.

Es sind nur die Nerven, versicherte sie sich, eine ganz normale Reaktion in Anbetracht der bevorstehenden Hochzeit. Doch die prickelnde Wärme, die Helen im ganzen Körper verspürte, konnte sie nicht ignorieren. Jacob beunruhigte sie in einer Weise, über die sie nicht nachdenken wollte. Sie heiratete ihn, weil sie ihn hasste. Das durfte sie nie vergessen.

Tatsächlich musste er ähnliche Gefühle für sie hegen. Warum sonst hätte er die vergangenen Jahre damit verbringen sollen, alles zu zerstören, was ihr lieb und teuer war?

Der Gedanke beruhigte sie und bestärkte sie in ihrem Entschluss, es Jacob heimzuzahlen.

„Gibt es nicht ein Sprichwort, das besagt, du solltest vorsichtig mit deinen Wünschen sein, sie könnten vielleicht in Erfüllung gehen?“ Helen lachte leise. „Das ließe sich leicht auf die augenblickliche Situation anwenden.“

Jacob warf ihr einen langen Blick zu. „Und nicht nur, was meine Wünsche angeht. Was ist mit deinen? Mit deinem Traum, es mir heimzuzahlen und dich für all das Unrecht zu rächen, das ich dir angeblich angetan habe?“

„Nicht angeblich. Du hast dir vorgenommen, alles zu zerstören, was meine Familie besessen hat. Wie würdest du es denn sonst nennen, wenn nicht Unrecht?“

Langsam lenkte er den Wagen durch das Tor und die Auffahrt zum Haus hinauf. Sie spürte, dass er seinen Zorn unterdrückte. Es war seine Fähigkeit, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, die Helen am meisten an ihm erschreckte. Alles, was er tat, war sorgfältig geplant und wurde ebenso sorgfältig ausgeführt. Ihr war klar, dass sie lernen musste, eine ebenso strenge Disziplin an den Tag zu legen, wenn sie Jacob bezwingen wollte.

Er brachte das Auto zum Stehen, schaltete den Motor ab und das Licht aus. Die Dunkelheit wurde lediglich vom silbernen Licht des Mondes etwas erhellt. Aus dem Festzelt erklang Musik. Eine Band, die Jacob gemietet hatte, spielte zur Unterhaltung der Gäste auf.

Autor

Tracy Sinclair
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