Julia Royal Band 29

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VERBOTENE KÜSSE AUF DER JACHT DES PRINZEN von MELISSA MCCLONE

Verstohlen schleicht Prinzessin Juliana nachts aus dem königlichen Schloss an den Strand – und entdeckt im Mondlicht Prinz Alejandro. Den Mann, der diese Sehnsucht in ihr weckt, der sie nie nachgeben darf. Denn schon bald soll sie einen anderen heiraten – seinen Bruder …

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  • Erscheinungstag 27.07.2024
  • Bandnummer 29
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525350
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melissa McClone, Natasha Oakley, Leanne Banks

JULIA ROYAL BAND 29

1. KAPITEL

„Drei Ehen habe ich für dich arrangiert – kein einziges Mal hast du es bis zum Altar gebracht. Das ist inakzeptabel!“ Laut dröhnte die Stimme von König Alaric von Aliano durch den Thronsaal. „Wenn erst einmal das Gerücht umgeht, dass mit dir etwas nicht stimmt, wird keine noch so großzügige Mitgift einen Mann dazu bewegen, dich zu heiraten.“

Juliana ließ die Tiraden ihres Vaters äußerlich gefasst über sich ergehen. Sie hielt sich kerzengerade, die Schultern gestrafft, das Kinn erhoben. Ihre Stiefmutter hatte ihr zwar nur wenig Zuwendung geschenkt, ihr dafür aber eine hervorragende Ausbildung zur perfekten Prinzessin und zukünftigen Königin zukommen lassen.

So ruhig und gelassen es ihr angesichts der ungerechten Vorwürfe möglich war, erwiderte sie: „Ich hatte zugestimmt, Prinz Nikolas zu heiraten. Als er jedoch entdeckte, dass seine rechtmäßige Ehefrau noch am Leben war, blieb ihm keine Wahl, als unsere Verlobung zu lösen.“

„Der Grund spielt keine Rolle!“

Kein Wunder, dass Vater wütend ist, dachte sie. Er wünschte sich, dass eines Tages wenigstens eines seiner Enkelkinder einen Thron außerhalb von Aliano bestieg. Zu diesem Zweck musste er sie mit einem ausländischen Kronprinzen vermählen. Dafür war ihm kein Preis zu hoch – in Form einer enormen Mitgift.

„Allein das Ergebnis zählt! Drei Mal …“

„Verzeihung, Vater“, unterbrach sie ihn zum ersten Mal in ihrem Leben. Widerspruch war ihr fremd, doch in diesem Fall weigerte sie sich, die Schuld auf sich zu nehmen. „Möglicherweise ist dir entfallen, dass du persönlich meine Verlobung mit Prinz Christian gelöst hast. Und Prinz Richard hatte sich kurz vor meinem Eintreffen auf San Montico in eine Amerikanerin verliebt.“

„Dennoch: Drei geplatzte Eheversprechen sind eine Schande für unsere Familie und ganz Aliano!“

In einem Anflug von Schuldbewusstsein blickte sie zu Boden. Tatsächlich war sie erleichtert gewesen, als sich herausstellte, dass Prinz Nikolas seine Ehe nicht annullieren konnte. Dabei hatte sie sich in seiner Heimat Veronia durchaus wohlgefühlt. Die Menschen dort waren sympathisch und aufgeschlossen, es gab zahlreiche große Seen, die sich ausgezeichnet zum Segeln eigneten. Zudem hatte sich der gut aussehende Prinz vorgenommen, sein Land grundlegend zu modernisieren. An seiner Seite hätte sie ungeahnte Freiheiten genossen. Leider liebte sie ihn nicht.

Eine Liebesheirat würde für sie als Prinzessin von Aliano allerdings ohnehin nur ein Traum bleiben.

„Wenn deine Mutter noch am Leben wäre …“, meinte Alaric kopfschüttelnd.

An Königin Brigitta konnte Juliana sich kaum noch erinnern. Lediglich aus Erzählungen wusste sie, dass ihre Mutter eine Reihe fortschrittlicher Ideen zur Gleichberechtigung der Frau mit in die ebenfalls arrangierte Ehe gebracht hatte. Der König, wider Erwarten heftig in seine hübsche junge Braut verliebt, hatte auf ihr Drängen hin entsprechende Gesetzesänderungen veranlasst. Zudem war das Paar häufig verreist, damit Brigitta ihrer Leidenschaft fürs Segeln nachgehen konnte, sehr zum Missfallen des Ältestenrates.

Nach ihrem Unfalltod bei einer Segelregatta im Südpazifik hatte der trauernde Witwer sich geschworen, nie wieder gegen die Konventionen zu verstoßen. Zwar gewährte er den Frauen in seinem Land weiterhin Zugang zu höherer Bildung, erließ jedoch strenge Richtlinien hinsichtlich ihrer Berufstätigkeit. Als er sich bald nach dem Unglück erneut vermählte, wählte er als Braut eine Adlige aus dem eigenen Volk, die ihren Platz in der traditionsbewussten Gesellschaft genau kannte.

„Sie hätte berücksichtigt, dass ich zeit meines Lebens alles getan habe, was von mir erwartet wird, aus Liebe und Respekt für dich, meine Familie und mein Volk.“

Leider zählte das im patriarchalischen Aliano wenig, wo Töchter aus allen Bevölkerungsschichten wie im 19. Jahrhundert behandelt wurden. Juliana wusste nur zu gut, dass man es ihr als Versagen ankreiden würde, wenn sie nicht bald heiratete und einen Thronfolger hervorbrachte.

Zu ihrer Überraschung lenkte ihr Vater ein: „Zugegeben, dich trifft keine Schuld an den geplatzten Verbindungen. Du warst mir immer eine gute, gehorsame Tochter.“

Dass er von ihr eher wie von einem Haustier als von seinem geliebten Kind sprach, wunderte sie nicht. In Aliano wurden Frauen – besonders die aus höheren Kreisen – seit jeher wie Schoßhunde behandelt. Indem sie nie dagegen aufbegehrt hatte, trug sie eine Mitschuld an diesem Zustand. Von Kind an in dem Bewusstsein erzogen, dass freies Denken und Unabhängigkeit ausschließlich Männersache waren, war sie zu einer folgsamen, pflichtbewussten Prinzessin herangewachsen.

Erst mit dem Erwachsenwerden und angeregt durch Reisen in moderne Länder, hatte sie ihre Einstellung geändert. Inzwischen beabsichtigte sie, ihren Bruder, Kronprinz Dominic, dabei zu unterstützen, das Land zu modernisieren und die Rechte der Frauen zu stärken, sobald er seinem Vater auf den Thron folgte.

„Vermutlich bleibt uns noch etwas Zeit, eher wir daran denken müssen, dich mit einem Adligen aus Aliano zu vermählen“, überlegte König Alaric in diesem Moment laut.

Nur mit Mühe gelang es Juliana, lautstarken Protest zu unterdrücken. Eine Heirat in Aliano hieße, für immer in dem rückständigen Land gefangen zu sein. Ihre Kinder, insbesondere ihre Töchter, unterlägen dann weiterhin denselben Einschränkungen wie sie.

Rasch kämpfte sie die aufsteigende Panik nieder. „Bitte, Vater, gib mir noch eine Chance. Ich werde alles daransetzen, dass es diesmal klappt.“

Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Woher stammt dieser Eifer?“

Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab. „Ich bin achtundzwanzig Jahre alt …“

„Ja, Enkel, die fehlen mir noch zu meinem Glück!“ Er lächelte vielsagend. „Dann werde ich also deine vierte Verlobung vorbereiten. Glücklicherweise habe ich einen Reservekandidaten an der Hand. Ich muss nur noch den Ehevertrag mit ihm aushandeln.“

Das wird bei der Höhe meiner Mitgift nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, dachte sie zynisch. „Wen werde ich heiraten?“, fragte sie so gelassen, als erkundige sie sich nach ihrem Tischherrn beim nächsten Dinner.

„Kronprinz Enrique von der Isla de l’Aurora.“

„Die Insel der Morgenröte“, übersetzte sie.

„Sie liegt, wie du weißt, im Mittelmeer vor der spanischen Küste und wird von König Dario regiert.“

Mit Wehmut erinnerte Juliana sich an die Insel San Montico, die Heimat von Prinz Richard. Dort herrschte Gleichberechtigung, es gab nur wenige altmodische Bräuche, kaum arrangierte Ehen, und Wind und Wetter eigneten sich hervorragend zum Segeln.

Die Leidenschaft für diese Sportart hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Auf dem Wasser fühlte sie sich ihr nah, konnte all ihre Sorgen abstreifen und für einen Moment ihr Schicksal vergessen.

Im Urlaub bei ihren Großeltern mütterlicherseits, die am Schwarzen Meer lebten, hatte sie segeln gelernt. Leider untersagte ihr Vater ihr anschließend, ihren Lieblingssport auszuüben, aus Sorge, sie könnte das gleiche Schicksal erleiden wie ihre Mutter. Auch zwei Jahrzehnte später hielt er dieses Verbot aufrecht. Würde er sie jetzt endlich wie eine Erwachsene behandeln?

„Darf ich dort segeln?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

„Nicht während der Verlobungszeit.“

Bei diesen Worten stieg Hoffnung in ihr auf. Nie zuvor hatte er auch nur angedeutet, er könnte sein Verbot aufheben. „Und wenn ich verheiratet bin?“

„Das soll dein Mann entscheiden. Versteh mich recht, Juliana: Das ist deine letzte Chance auf eine Ehe im Ausland. Entscheidet sich Prinz Enrique gegen dich, wirst du bei deiner Rückkehr umgehend einen unserer Adligen heiraten. Ich rate dir, auf einer kurzen Verlobungszeit zu bestehen.“

Darauf kannst du dich verlassen! dachte sie. Sie würde Prinz Enrique keine Gelegenheit geben, es sich anders zu überlegen, sondern ihn in kürzester Zeit davon überzeugen, dass sie die ideale Frau für ihn war. Mit viel Glück würde sie auf der Insel sogar die Liebe finden, von der sie träumte. Schließlich hatten sich auch ihre Eltern ineinander verliebt.

„Wann reise ich ab?“, fragte sie, von neuer Hoffnung auf die Zukunft erfüllt.

„Falls die Verhandlungen mit König Dario und Prinz Enrique noch heute zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, kannst du morgen fahren. Dein Bruder Dominic wird dich begleiten, dazu deine Zofe und ein Leibwächter.“

Dies war ihre letzte Chance auf Freiheit – für sich selbst, für ihre Kinder und ihr Land. Sie durfte keinen Fehler begehen. „Dann stehe ich morgen früh zur Abreise bereit.“

Es war noch früh am Morgen, Prinz Alejandro lag in seiner Strandvilla im Bett, als vor dem Schlafzimmer Geräusche ertönten. Das ist das Kätzchen, dachte er. Er hatte das halb verhungerte Tier vor wenigen Tagen auf seiner Werft entdeckt und mitgenommen, um es aufzupäppeln. Vermutlich suchte es nach seinem Frühstück. Schlaftrunken öffnete er die Augen.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, ein Trupp Soldaten stürmte herein und umstellte das Bett.

Nicht schon wieder! stöhnte er innerlich. Er befand sich nicht zum ersten Mal in dieser Situation. Laut fragte er: „Was will er diesmal?“

„König Dario bittet um Ihr Erscheinen bei Hof, Hoheit“, antwortete der Hauptmann der Wache.

„Mein Vater bittet nie!“

Ohne eine Miene zu verziehen, erwiderte der alte Soldat: „Er befiehlt Ihnen, uns umgehend zu begleiten.“

Verwundert überlegte Alejandro, wozu das gut sein sollte. Im Palast interessierte sich ohnehin niemand für seine Meinung. Nicht zuletzt aus diesem Grund waren ihm seine Pflichten als Mitglied der königlichen Familie zutiefst zuwider. Dennoch wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, sein Land zu verlassen. Er hatte hier ein Unternehmen gegründet, Immobilien erworben und beabsichtigte, den schwächelnden Tourismus auf Isla de l’Aurora anzukurbeln. Leider lehnten sein altmodischer Vater und sein ebenso denkender Bruder seine innovativen Pläne rigoros ab.

In diesem Moment ertönte ein hoher, quietschender Laut, und die kleine schwarze Katze mit den vier weißen Pfoten sprang zu ihm aufs Bett und schmiegte sich in seine Armbeuge.

„Erst muss ich mich ankleiden.“

„Wir warten so lange.“

Das gefiel ihm gar nicht, doch es war sinnlos, sich den Soldaten zu widersetzen. Sie würden ihn notfalls gewaltsam mitnehmen, das wusste er aus seiner Jugendzeit. Wie leid er diese ständigen Kämpfe doch war!

„Ich bestehe auf meiner Privatsphäre!“

Mit einer Handbewegung wies der Hauptmann seinen Trupp an, den Raum zu verlassen. „Unter jedem Fenster ist ein Mann positioniert, und ich warte vor der Tür, Hoheit.“

„Sie vergessen, dass ich dreißig Jahre alt bin, nicht mehr siebzehn. Weshalb sollte ich fliehen und wohin? Meine Firma, meine Immobilien befinden sich hier, obendrein folgen mir die Lakaien meines Vaters auf Schritt und Tritt.“

„Die Leibwächter dienen Ihrer Sicherheit. Immerhin sind Sie der Zweite in der Thronfolge.“

„Erinnern Sie mich bloß nicht daran!“

Es war nicht einfach, der „Ersatzmann“ zu sein. Seine Ansichten waren nicht gefragt, in seinem Bestreben, sein Land zu fördern, erhielt er keine Unterstützung und musste alles allein tun.

Seine Rolle als Prinz widerstrebte ihm zutiefst. In den USA ausgebildet, fand er es nach seiner Rückkehr schwierig, eine Regierung zu akzeptieren, in der der Großteil der Macht auf eine einzige Person konzentriert war. Gleichzeitig liebte er sein Land leidenschaftlich und wünschte ihm nur das Beste.

„Bewachen Sie die Tür, wenn Sie wollen. Ich werde Ihnen keinen Ärger bereiten.“ Nachdem der Hauptmann das Zimmer verlassen hatte, kraulte er das Kätzchen noch eine Weile, dann stand er auf, duschte und zog sich an. Da sein Vater keine Kleidervorschriften erlassen hatte, wählte er Shorts, T-Shirt und Segelschuhe.

Zwanzig Minuten später betrat er den Empfangssaal im königlichen Schloss. Sein älterer Bruder Enrique war bereits anwesend und begrüßte ihn. Mit kurz geschnittenem Haar, in Maßanzug, gestärktem Hemd, Seidenschlips und auf Hochglanz polierten Lederschuhen war er das jüngere Ebenbild seines Vaters. Leider benahm er sich auch entsprechend.

„Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, mich so unsanft hierherzubeordern“, sagte Alejandro anstelle einer Begrüßung.

„In der Tat: Ich werde heiraten!“, verkündete Enrique.

Endlich! dachte Alejandro erleichtert. Durch die Heirat des Kronprinzen und die Geburt eines Sohnes würde er aus der Thronfolge verdrängt werden – was ihm höchst gelegen kam. „Herzlichen Glückwunsch! Lass dir nicht zu lang Zeit mit der Hochzeit, und sieh zu, dass du rasch für Nachkommen sorgst.“

„Das habe ich vor.“

„Wieso eigentlich bis zur Trauung warten? Du solltest sofort damit beginnen!“

Enrique lachte. „Das könnte mich den Kopf kosten. König Alaric hegt altmodische Ansichten, insbesondere, wenn es um seine Tochter geht.“

„Alaric … Du heiratest eine Prinzessin aus Aliano?“

„Nicht eine – die Prinzessin“, stellte sein Bruder begeistert richtig. Das kleine Königreich in den Alpen mit den nahezu unerschöpflichen Vorkommen an Bodenschätzen war wesentlich reicher als Isla de l’Aurora. „König Alaric hat neben seinen vier Söhnen nur eine Tochter.“

„Das gefällt Vater sicher.“

„Er ist begeistert über ihre Mitgift und die wirtschaftlichen Vorteile dieser Verbindung. Zu meinem Glück soll die Prinzessin obendrein ebenso schön wie reich sein. Zwar gilt sie als Eisprinzessin, doch ich werde sie schon auftauen.“

„Wenn du Nachhilfe brauchst …“

„Nein, danke. Über deinen Ruf als Frauenheld verfüge ich zwar nicht, dennoch werde ich zurechtkommen.“

„Alles Gute“, wünschte Alejandro ihm aufrichtig. Aus einer glücklichen Verbindung würden viele Kinder hervorgehen, und je weiter er in der Erbfolge zurückfiel, desto besser. Dann konnte er sich bald ausschließlich seinen Geschäften widmen.

„Du wirst mein Trauzeuge …“

War das eine Feststellung oder eine Bitte?

„… und lebst bis zur Hochzeit im Palast.“

Das war eindeutig ein Befehl. „Enrique …!“, protestierte Alejandro.

„Die königliche Familie tritt während der Verlobungszeit geschlossen auf. Tagsüber kannst du tun, was du willst, sofern keine offiziellen Termine anliegen, abends wirst du dem Dinner und geplanten Veranstaltungen beiwohnen. Außerdem erwarte ich deine Anwesenheit bei der Ankunft der Prinzessin.“

Alejandro fluchte. „Du sprichst wie Vater!“

„Weil ich seine Worte wiedergebe. Aber ich hätte dich wirklich gern als meinen Trauzeugen. Du bist mein Lieblingsbruder.“ Er schenkte ihm einen liebevollen Blick – eine Seltenheit.

„Du hast keine Geschwister außer mir!“

„Umso mehr Grund zusammenzuhalten. Vater wird dich entschädigen, falls dir finanzielle Verluste entstehen.“

„Ich will sein Geld nicht!“

„Das wolltest du noch nie. Nimm es trotzdem. Du kannst es in deine Boote investieren, in eine neue Villa oder es für einen guten Zweck spenden. In jedem Fall hast du ein Recht darauf. Lass nicht zu, dass dir dein Stolz wieder einmal im Weg steht.“

„Alles, was ich will, ist meine Ruhe.“

„Sobald Juliana und ich Nachwuchs haben, wirst du bei Hof nicht mehr gebraucht. Vater hat versprochen, dich danach in Ruhe zu lassen – deine Kooperation bis zur Hochzeit vorausgesetzt.“

„Hast du ihn darum gebeten, oder hat er es angeboten?“

„Ein wenig von beidem.“

„Wann werde ich im Schloss erwartet?“

„Nach dem Mittagessen.“

Erneut fluchte Alejandro. Er musste sich um seine Werft und seine Immobilien kümmern und außerdem den Med Cup vorbereiten, eine internationale Segelregatta. Dann war da noch das Kätzchen … „Ich habe Verpflichtungen!“

„Auch bei Hof.“

„Der Med Cup ist eine hervorragende Werbung für Isla de l’Aurora!“

„Willst du etwas für unsere Insel tun, dann unterstütze mich. Eine königliche Hochzeit bringt mehr für unsere Wirtschaft als ein paar Segler und abenteuerliche Ideen von Luxus-Ferienresorts und exklusiven Nachtklubs. Sieh in jedem Fall zu, dass du pünktlich hier bist, andernfalls schickt Vater dich auf eine diplomatische Mission.“

Diese Worte trafen Alejandro wie ein Schlag in den Magen. Dass es sich dabei um keine leere Drohung handelte, wusste er genau. Um seiner Zukunft – und Freiheit – willen musste er gehorchen.

„Ich bin da, wenn die Prinzessin ankommt.“

Allerdings plante er, die Dinge auf seine Art zu regeln – und er galt als schwarzes Schaf der Familie.

Die geräumige Kabine des Hubschraubers bot bequem Platz für Juliana und ihre Begleiter: ihren Bruder Dominic, ihre Zofe Yvette und den Leibwächter Claude. Zum Schutz vor dem Lärm der Rotoren und um Gespräche zwischen den Passagieren zu ermöglichen, waren alle mit Headsets ausgestattet.

Juliana stand der Sinn jedoch nicht nach einer Unterhaltung. Sie sah lieber aus dem Fenster und beobachtete eine Segeljacht, die anmutig über das Meer glitt. Die Crew saß auf der Reling und ließ die Füße ins Wasser baumeln, während der Schiffsrumpf die Wellen durchschnitt.

Was würde ich nicht dafür geben, mit ihnen zu segeln, statt zu meiner Hochzeit mit einem Fremden zu reisen, dachte sie wehmütig, um sich gleich darauf für den Gedanken zu tadeln. Sie hatte in diese Vernunftehe eingewilligt, weil sie hoffte, das Leben an der Seite von Prinz Enrique würde ihr mehr Freiheiten bieten als im patriarchalischen Aliano. Wenn nicht … Sie runzelte die Stirn.

„Geht’s dir gut?“, erkundigte Dominic sich sofort.

Als Antwort zuckte sie lediglich mit den Schultern. „Sieh mal: Du wirst in einem Urlauberparadies leben!“, versuchte er sie aufzumuntern.

Tatsächlich hatten sie sich Isla de l’Aurora inzwischen auf Sichtweite genähert. Weiße palmengesäumte Sandstrände zogen sich die Küste entlang, dahinter erstreckte sich eine malerische Stadt. Pastellfarbene Häuser mit roten Ziegeldächern, durch schmale, geschwungene Gassen voneinander getrennt, bedeckten die Flanken eines sanften Hügels, dessen Kuppe einem großzügigen Stadtzentrum Platz bot.

In einem riesigen Jachthafen lagen Hunderte von Segelbooten Seite an Seite vor Anker. Ihre hohen, glänzenden Masten schaukelten im Gleichtakt im Wind hin und her. Der Anblick verfehlte seine Wirkung auf Juliana nicht.

„Vielleicht ist es hier gar nicht so schlecht.“

„Dein Verlobter wird sofort deiner Schönheit und Intelligenz verfallen, sich Hals über Kopf in dich verlieben und dir gestatten, zu tun, was immer du willst. Bestimmt lässt er dich auch segeln.“

Ihre Abreise war so kurzfristig erfolgt, dass sie noch nicht einmal Zeit gefunden hatte, sich näher über ihren Bräutigam zu informieren. Sie wusste, dass er recht gut aussah, da sie ein paar Fotos von ihm in Zeitschriften gesehen hatte, aber würde er charmant und umgänglich sein? Außerdem sollte er nicht emotional gebunden sein, sonst könnte es schwierig werden, eine liebevolle Beziehung zueinander aufzubauen. Insgeheim träumte sie davon, dass sie sich ineinander verliebten.

Nervös rutschte sie auf ihrem Sitz herum. „Hoffentlich hat man auf der Insel moderne Ansichten über Frauen.“

„So rückständig wie in Aliano ist man hier bestimmt nicht!“

Sie warf ihrem Bruder einen prüfenden Blick zu, der bislang mehr Interesse an Partys und schönen Frauen zeigte als an Politik. „Eines Tages liegt es in deiner Macht, etwas daran zu ändern.“

„Das wird sicher schwierig.“

„Du wirst an deinen Aufgaben wachsen“, versuchte sie ihn zu ermutigen. „Dir fällt die Aufgabe zu, unser Land ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen. Tu es für deine Brüder, deine Untertanen und auch für deine Kinder. Besonders für deine Töchter“, beschwor sie ihn. „Ich unterstütze dich nach Kräften. Nach meiner Heirat kann ich unser Land nach außen vertreten und für deine Reformen werben. Du wirst sie gegen den Willen des Ältestenrats durchsetzen müssen, aber sie dienen dem Wohl von Aliano!“

Dominic zog es vor, nicht weiter auf das Thema einzugehen.

In diesem Moment meldete sich der Pilot aus dem Cockpit: „Wir setzen zur Landung an.“

Gespannt sah Juliana aus dem Fenster. Vor ihnen ragte ein großer weißer Palast mit rotem Ziegeldach auf, der hoch über der See thronte. Die Fassade des mehrstöckigen, reich mit Stuck verzierten Bauwerks wurde von zahlreichen Balkons und Fenstern aufgelockert. Großzügige Gartenanlagen voller Palmen, blühender Büsche, Blumenrabatten und gepflegter Grünflächen umgaben es, aus einem riesigen Springbrunnen schoss eine Fontäne meterhoch in die Luft.

Das Schloss wirkte freundlich und einladend, ganz im Gegensatz zu der düsteren, kalten Festung in den Bergen, in der sie aufgewachsen war.

Der Pilot steuerte einen Landeplatz auf dem Schlossgelände an und setzte die Maschine vorsichtig auf. Als die Rotoren endlich stillstanden, löste Juliana mit bebenden Händen ihren Sicherheitsgurt und stieg mit ihren Begleitern aus dem Hubschrauber aus.

Davor erwartete sie ein älterer Herr in grauem Anzug. Er verneigte sich vor ihnen. „Mein Name ist Ortiz. Prinz Enrique lässt seine Abwesenheit entschuldigen, er ist momentan unabkömmlich.“

„Die Staatsgeschäfte gehen vor, dafür haben wir Verständnis“, antwortete Dominic höflich, während Juliana sich neugierig umblickte. Weitläufige, gepflegte Rasenflächen erstreckten sich vor ihr, blühende Blumen und Sträucher setzten bunte Akzente und erfüllten die Luft mit ihrem süßen Duft.

„Danke, Sir. Ich bin der Palastverwalter und stehe Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.“

„Es ist wunderschön hier, Señor Ortiz“, lobte Juliana. „All die bunten Blumen und Pflanzen!“

„Ich freue mich, dass es Ihnen gefällt, Königliche Hoheit. Darf ich Sie nun ins Schloss bitten?“

Auf dem Weg dorthin gab er den Neuankömmlingen einen kurzen Abriss der Geschichte der Insel. „Prinz Enrique hat sehr viel für unser Land getan. Wir können uns keinen würdigeren Nachfolger für König Dario wünschen“, schloss er, und Juliana fragte sich, ob das Lob aufrichtig gemeint war.

Sie erreichten den Palast, und das mächtige Eingangsportal schwang wie von Zauberhand auf. Erst als die wuchtigen Türflügel offen standen, entdeckte Juliana die beiden Lakaien, die sie hielten.

Mit gemischten Gefühlen spähte sie ins Foyer. Wenn alles gut ging – worauf sie hoffte –, würde sie gleich ihr neues Zuhause betreten. Sie atmete tief durch, dann trat sie ein, dicht gefolgt von ihren Begleitern.

Die Eingangshalle war geräumig und gut zehn Meter hoch, was ihr ein luftiges Aussehen verlieh. Atemberaubende Gemälde, eine gelungene Mischung aus modernen und klassischen Arbeiten, zierten die Wände. Die Marmorstatue einer Frau in der Mitte des Raums zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Was für ein Meisterwerk!“, rief Juliana begeistert aus.

„Das ist Eos, eine griechische Göttin. Wir verwenden allerdings ihren lateinischen Namen Aurora“, erklärte Ortiz.

In diesem Moment ertönte eine Männerstimme: „Macht die Türen zu. Sofort!“

Sogleich stemmten sich die Lakaien gegen die schweren Türblätter, die sich nur langsam in Bewegung setzen ließen.

„Beeilt euch“, erklang die Stimme erneut.

Julianas Begleiter, die zum Teil noch im Türrahmen standen, drängten ins Gebäude und schoben sie dabei nach vorn. Gleich darauf stürmte ein Mann in Shorts mit nacktem Oberkörper in die Halle, und etwas Kleines, Schwarzes schoss über den Boden.

Entsetzt kreischte Julianas Zofe auf: „Eine Ratte!“

Das ließ Ortiz nicht auf sich sitzen. „Im Palast gibt es keine Ratten.“

Das schwarze Fellknäuel sprang zwischen Julianas Beinen hindurch, sie stolperte vor Schreck und stürzte vornüber.

„Fangt sie auf“, rief Ortiz, doch dazu schien es zu spät.

Wie in Zeitlupe sah sie den Boden auf sich zukommen, bis ihr Fall jäh gestoppt wurde. Starke Arme wurden um ihre Taille geschlungen, ihr Gesicht wurde gegen eine muskulöse, nackte Brust gepresst, Haare kitzelten sie an der Nase, sie hörte das Pochen eines Herzens und sog genüsslich den wunderbaren Duft nach Wasser, Seife und salziger Seeluft ein, der ihren Retter umgab.

Sie hätte ewig in seinen Armen liegen mögen.

„Hoheiten, sind Sie verletzt?“

Plural? Dann ist dieser Mann ein Prinz, schoss es Juliana durch den Kopf. Oh, wenn es nur Enrique wäre!

2. KAPITEL

„Juliana!“, rief Dominic erschrocken.

„Alles in Ordnung“, versicherte sie ihm rasch.

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen“, sagte der Mann, in dessen starken Armen sie lag. In seiner melodischen, tiefen Stimme schwang ein spanischer Akzent mit. „Das Kätzchen ist mir versehentlich entkommen.“

Vorsichtig stellte er Juliana wieder auf die Beine, ließ sie aber noch nicht los. „Stehen Sie sicher?“

Erst als sie nickte, gab er sie frei. Sogleich vermisste sie seine Berührung. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie betrachtete ihn voller Interesse.

Athletisch gebaut, gut einen Meter achtzig groß, überragte der Mann sie um einiges. Barfuß und in Shorts, mit schulterlangem dunkelbraunem Haar und einem Ring im linken Ohr, ähnelte er mehr einem Piraten als einem Prinzen. Das markante Kinn, die ausgeprägten Wangenknochen und die gerade Nase verliehen seinen Zügen Strenge, volle Lippen und von langen Wimpern umrahmte warme braune Augen milderten den Eindruck jedoch. Er sah umwerfend aus, und sie vermochte den Blick kaum von ihm zu lösen.

„Danke.“

„Gern geschehen.“ Er nickte ihr freundlich zu, dann bückte er sich, griff nach dem Kätzchen und nahm es auf den Arm, um es behutsam auf Verletzungen zu untersuchen.

Ihr wurde warm ums Herz, und sie sehnte sich danach, dass ein Mann – dieser Mann – sich ebenso liebevoll um sie bemühte.

Nachdem er sich versichert hatte, dass es dem Tier gut ging, wandte er sich erneut an sie: „Sie sind Prinzessin Juliana von Aliano“, stellte er fest.

„Ja.“ Bis zu diesem Tag hatte sie nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt … Diesmal hat Vater alles richtig gemacht, dachte sie glücklich und lächelte. Ihr Traum von einer Liebesheirat würde in Erfüllung gehen. „Und Sie sind bestimmt Enrique.“

„Nein, mein Name ist Alejandro.“

Die Katze im Arm, betrachtete Alejandro die Frau, die sein Bruder als Eisprinzessin bezeichnet hatte. Noch immer glühte seine Haut da, wo sie sich an ihn geschmiegt hatte. Sie war eine atemberaubende Schönheit. Unter ihrem roten Hosenanzug zeichnete sich ein perfekter Körper ab, in ihrem langen blonden Haar und den großen blauen Augen konnte ein Mann sich verlieren. Sie roch süß wie ein Strauß Wildblumen, und er fragte sich, wie ihre Lippen schmeckten …

Nur mit Mühe gelang es ihm, den Blick von ihrem Mund loszureißen. Er rief sich in Erinnerung, dass sie sein Ticket in die Freiheit war: Durch ihre Heirat mit Enrique und die Nachkommen der beiden würde sein Anspruch auf den Thron schwinden und damit sein Nutzen für das Königreich. Sie war seine künftige Schwägerin – mehr durfte er nie in ihr sehen.

Das sollte mir nicht schwerfallen, dachte er, denn sie entsprach nicht seinem Typ. Sie war zwar schön wie ein Supermodel, doch er sehnte sich nach einer Frau, der Reichtum oder eine Königskrone gleichgültig waren. Seine Traumfrau musste bodenständig und pragmatisch sein und durfte Meerwasser im Gesicht nicht scheuen.

„Alejandro?“, wiederholte Juliana, wie um sich zu versichern, dass sie richtig gehört hatte.

Zunächst staunte er über die Verwechslung. Dann wurde ihm klar, dass sie Enrique noch nie getroffen hatte, und das wunderte ihn noch mehr. Arrangierte Ehen waren in einigen Königshäusern durchaus noch üblich. Einer Heirat zuzustimmen, ohne sich auch nur ein einziges Mal vor der Eheschließung gesehen zu haben, erschien ihm dennoch mehr als seltsam.

„Genau“, bestätigte er.

In diesem Moment schwand aus ihren Blicken jegliche Wärme, und ihre Miene wurde frostig. Nun sah sie tatsächlich aus wie eine Eisprinzessin. Sie zog die elegant geschwungenen Augenbrauen hoch und fragte hoheitsvoll: „Dann sind Sie also …?“

Das Kätzchen miaute, und er kraulte es unter dem Kinn.

Juliana warf ihm einen ungeduldigen Blick zu, doch er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Enriques jüngerer Bruder.“

Gespannt wartete er auf einen abfälligen Blick. Der Zweite in der Thronfolge war ein Niemand, besonders in den Augen eine Frau, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Königin zu werden. Er kannte eine Reihe reicher, verwöhnter Mädchen, die ihn aus diesem Grund bestenfalls ignorierten.

„Oh.“ Sie zuckte nicht mit der Wimper, doch das hatte nichts zu bedeuten. Offenbar war sie in der Lage, ihre Gefühle zu verbergen. „Ich wusste gar nicht, dass Enrique einen jüngeren Bruder hat.“

„Das glaube ich. Meine Familie spricht nicht gern über mich.“

Ortiz räusperte sich unüberhörbar.

„Die Prinzessin gehört ohnehin bald zur Familie“, rechtfertigte er sich. Und er würde die Tage bis zur Hochzeit zählen, sobald der Termin erst feststand, denn damit rückte seine Freiheit in greifbare Nähe. „Sie wird die Geschichten und Gerüchte ohnehin zu hören bekommen. Es hat keinen Sinn, ihr die Wahrheit vorzuenthalten.“

„Und die lautet?“, fragte Juliana gespannt.

„Dass ich das schwarze Schaf der Familie bin.“

„Eine schwarze Katze für das schwarze Schaf!“, entfuhr es ihr unwillkürlich.

„Das war keine Absicht. Sie hat mich ausgewählt“, gestand er.

Juliana betrachtete nachdenklich das Kätzchen, ohne es zu streicheln. „Sie hat das große Glück, über sich selbst bestimmen zu dürfen!“

„Für uns als Mitglieder eines Königshauses gilt das leider nicht.“ Alejandro wartete auf ihre Erwiderung, doch sie schwieg.

Nun trat ein junger Mann mit braunem, lockigem Haar vor, der einen eleganten Designeranzug und italienische Lederschuhe trug. „Fressen, schlafen, spielen – was für ein wunderbares Leben Katzen doch haben! Viel besser als jeder Prinz.“

„Das hier ist ein Streuner, Kaviar kennt sie nicht!“

Der junge Mann lächelte. „Leider serviert man ihn mir ebenfalls viel zu selten.“

Juliana seufzte. „Prinz Alejandro, darf ich …“

„Alejandro. Ich benutze den Titel nicht.“

„Ich wünschte, ich könnte meinen auch ablegen“, warf der andere Mann ein. „Andererseits ist er gelegentlich recht nützlich, wenn es um Frauen geht.“

„Aber auch nur dann!“, stimmte Alejandro ihm zu.

„Darüber könnt ihr euch später austauschen“, unterbrach Juliana die beiden. „Jetzt ist es Zeit für eine offizielle Vorstellung.“

Sie passt hervorragend zu Enrique, schoss es Alejandro durch den Kopf. Beide legten Wert auf die Einhaltung von Etikette und Protokoll – Dinge, die er für reine Zeitverschwendung hielt.

„Alejandro, darf ich Sie mit Seiner Königlichen Hoheit Kronprinz Dominic bekannt machen? Er ist einer meiner vier jüngeren Brüder.“

Bruder? Überrascht blickte er zwischen den Geschwistern hin und her. Der sonnengebräunte, kräftige Dominic mit dem dunklen Haar ähnelte seiner zarten blonden Schwester in keiner Weise.

„Halbbruder“, stellte Juliana in diesem Moment klar, als könne sie seine Gedanken lesen.

Das erklärte einiges! Dagegen verstand er immer noch nicht, wieso er den Blick nicht von ihr lösen konnte. Ein makelloser Körper machte eine unangenehme Persönlichkeit – das weibliche Gegenstück zu seinem Bruder – nicht wett.

Ich sollte wieder häufiger ausgehen und mich dem schönen Geschlecht widmen, statt mich in meiner Arbeit zu vergraben, nahm er sich vor.

„Es war nett, Sie kennengelernt zu haben. Ich werde …“, setzte er zu einer Verabschiedung an, als Juliana die Hand ausstreckte und begann, das Kätzchen auf seinem Arm zu kraulen. Überrascht hielt er inne und beobachtete sie. Ihre Züge wirkten jetzt sanft und warm, das Lächeln reichte ihr bis tief in die Augen. Sofort beschleunigte sich sein Pulsschlag. Er hatte schon immer eine Schwäche für große blaue Augen gehabt. „Möchten Sie sie halten?“

Hastig zog sie die perfekt manikürte Hand zurück. „Nein, danke.“

Alejandro wusste nicht, was er davon halten sollte. Ehe er sich darüber klar werden konnte, hörte er Schritte und roch den penetranten Duft des teuren Aftershaves, das sein Bruder benutzte.

Gleich darauf kam Enrique um die Ecke gebogen und eilte mit hoch erhobenem Kopf auf die Gäste zu. Voller Bewunderung ließ er den Blick auf Juliana ruhen, wie auf einem kostbaren, neu erworbenen Edelstein. Zeit seines Lebens waren Frauen für ihn lediglich nebensächlich gewesen, die Isla de l’Aurora hatte immer an erster Stelle gestanden. Deshalb hatte er, ohne zu zögern, zugestimmt, als sein Vater ihm eine arrangierte Ehe vorschlug.

Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Erst auf einen Blick von Enrique hin übernahm Ortiz die offizielle Vorstellung.

„Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise“, wandte Enrique sich anschließend höflich an seine Zukünftige.

„In der Tat, vielen Dank.“ Sie lächelte unverbindlich. „Der Palast ist wunderschön.“

Alejandro beobachtete mit Entsetzen, wie förmlich sich sein Bruder gab. Wusste er denn gar nichts über Frauen? Er hätte seiner Braut die Hand küssen und ein Kompliment über ihr Aussehen machen müssen. Statt ihr das Gefühl zu geben, zu Hause angekommen zu sein, behandelte er sie wie einen beliebigen Gast. Doch das war typisch für ihn: Er tat, was ihm gefiel, ohne Rücksicht auf andere.

In diesem Moment bemerkte Enrique seinen Bruder. „Was machst du hier mit diesem Tier?“

„Das ist ein Kater. Ich gehorche deinen Anweisungen und begrüße die Braut.“

„Hättest du dich zu dem Zweck nicht wenigstens ankleiden können?“

„Ich wollte mich eben umziehen, als er aus meinem Zimmer floh. Vater wäre es nicht recht, wenn eine Katze unbeaufsichtigt durchs Schloss streift.“

Enrique setzte zu einer schroffen Erwiderung an, beherrschte sich dann aber mit Rücksicht auf die Besucher.

„Ich bringe den Unruhestifter auf mein Zimmer. Wir sehen uns beim Dinner“, verabschiedete sich Alejandro.

„Bitte vergiss heute Abend Hemd und Schuhe nicht!“

„Ich weiß, wie ich mich zu kleiden habe. Trotzdem, vielen Dank für den Tipp.“

Spannung lag in der Luft.

Vor einigen Jahren noch hätten die Brüder ihre Differenz mit einer Prügelei ausgetragen. Inzwischen ließ sich Enrique nicht mehr auf ein solches Niveau herab, wie sehr Alejandro ihn auch reizte.

„Ihr Bruder weiß zumindest, wie man sich kleidet. Das kann ich nicht von allen meinen Brüdern behaupten“, versuchte Juliana die Situation zu entschärfen. „Die Älteste zu sein ist manchmal eine große Last.“

Sogleich entspannte sich Enrique etwas und schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit. „In der Tat. Jüngere Geschwister nehmen das Leben häufig auf die leichte Schulter.“

Merkt dieser Dummkopf nicht, dass er damit Prinz Dominic beleidigt? wunderte sich Alejandro.

„Auf manche trifft das zu, andere muss man nur gelegentlich an ihre Pflichten erinnern. Nicht wahr, Dominic?“ Juliana lächelte ihrem Bruder zu, der sich über Enriques Fauxpas offenbar köstlich amüsierte.

„Ich habe von meinem eigenen Bruder gesprochen“, erklärte dieser hastig, als ihm sein Fehler bewusst wurde.

„Selbstverständlich.“ Juliana schenkte auch ihm ein freundliches Lächeln.

Wie geschickt sie mit Enrique umgeht, dachte Alejandro voller Bewunderung. Vielleicht war sie in der Lage, das Ego und Temperament des künftigen Königs zu zügeln und ihn davon abzuhalten, falsche Entscheidungen zu treffen.

Zum Wohl der Insel – und zu seinem eigenen – nahm er sich vor, dafür zu sorgen, dass Enrique sie tatsächlich zum Altar führte.

„Wie schön es hier ist!“, lobte Juliana die Suite, in die Enrique sie geführt hatte. Pastelltöne verliehen den Räumen eine heitere Note. Hoffentlich färbt das auf mich ab, dachte sie, denn im Moment war ihr gar nicht fröhlich zumute. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab. Es konnte doch nicht allzu schwierig werden, ihrem Bräutigam ein paar Manieren beizubringen und ihn zu einem dezenteren, gefälligeren Aftershave zu überreden.

„Ich habe Ihnen diese Zimmer der Aussicht wegen zuweisen lassen.“ Er zog den Vorhang zurück. Vor dem Fenster erstreckte sich ein wahres Blumenmeer in allen Farbe des Regenbogens.

„Ein Garten“, stellte sie wenig begeistert fest. „Sehr hübsch.“

„Gärtnern ist das einzige Hobby, das ich mir gönne“, erklärte er. „Derzeit ist Hauptblütezeit. Wenn Sie die Fenster öffnen, trägt der Wind den Blumenduft herein.“

Juliana bedankte sich höflich, obwohl sie den Geruch und Anblick der See bevorzugt hätte – oder einen Blick auf Alejandro.

Nein, das ist nicht fair! schalt sie sich selbst. Enrique sah durchaus gut aus. Er war hochgewachsen, hatte einen dunklen Teint und dunkles Haar und die gleichen braunen Augen wie sein Bruder. Hier endeten die Gemeinsamkeiten jedoch. Während er sehr steif und förmlich auftrat – ganz der künftige König, die Verkörperung der Alten Welt –, wirkte sein jüngerer Bruder sexy und gefährlich. Allein der Gedanke an das schwarze Schaf der Familie ließ ihr Herz schneller schlagen.

Enrique würde jedoch sicher einen besseren Ehemann und Vater abgeben. Er war die kluge, logische Wahl – und ihre einzige obendrein.

Sie war hierhergekommen, um ihn zu heiraten und eines Tages Königin zu werden. Was sie in Alejandros Armen empfunden hatte, zählte nicht. Niemand durfte erfahren, wie attraktiv sie ihn fand. Und ihr Verlobter …

Wenn er in Benehmen und Sprechweise ihrem Vater ähnelte, mochte das ein Ausdruck seiner Nervosität sein. Zumindest hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wo sie untergebracht werden sollte, und diese Suite persönlich für sie ausgewählt. Dass sie einen anderen Blick vorgezogen hätte, hatte er nicht wissen können. Und es war allemal besser, ihn zu heiraten als einen Adligen aus Aliano.

Diesmal kam das Lächeln, das sie ihm schenkte, von Herzen. „Vielen Dank für das herzliche Willkommen!“

„Ich freue mich, Sie später beim Dinner wiederzusehen.“ Er ergriff ihre Hand, hob sie an seinen Mund und streifte sie leicht mit den Lippen.

In Alejandros Armen hatte Juliana glühende Leidenschaft empfunden, heiße Schauer waren ihr den Rücken hinabgelaufen. Enriques Berührung löste nichts dergleichen in ihr aus – gar nichts.

„Bis später“, verabschiedete er sich, gab ihre Hand frei, wandte sich um, ging und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Juliana blieb ernüchtert zurück. Hoffentlich stellt sich mit der Zeit auch die Liebe ein, sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel. Körperliche Anziehung war nicht alles, Leidenschaft vergänglich. Wahre Liebe dagegen konnte ewig andauern. Wie enttäuschend auch immer ihre erste Begegnung mit ihrem Bräutigam verlaufen war, sie durfte die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich eines Tages eine innige Beziehung zwischen ihnen entwickeln würde. Sie wollte ihm ihr Herz öffnen und sich stets vor Augen halten, wie die Liebe zwischen ihren Eltern gewachsen war. Und sicher wäre es klug, sich obendrein von Alejandro fernzuhalten!

Das Dinner verlief so zäh und schleppend, wie Alejandro befürchtet hatte. Trotz der vorzüglichen Speisen war er, als der letzte Gang serviert wurde, erschöpft und förmlich zu Tode gelangweilt.

Juliana, die ihm gegenüber neben ihrem Bruder saß, sah hinreißend aus. Sie trug ein raffiniert geschnittenes blaues Abendkleid, das die Farbe ihrer Augen betonte. Während Enrique den Blick kaum von ihr wandte, bemühte er sich, sie so selten wie möglich anzusehen.

Ihre Stimme konnte er jedoch nicht ignorieren. Die Prinzessin beteiligte sich mit großem Interesse am Gespräch über wirtschaftliche Belange, klang dabei jedoch leidenschaftslos und kühl. Wie gut sie zu meinem Bruder passt, stellte er zufrieden fest.

In diesem Moment lachten Enrique und sein Vater über eine ihrer Äußerungen.

„Wer hätte gedacht, dass deine Braut eine solche Expertin in Sachen Welthandel ist?“, meinte König Dario.

„Danke, Majestät“, erwiderte Juliana mit einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. „Wirtschaft ist mein Hobby.“

Wenn das stimmt, ist sie entweder eine totale Langweilerin oder sie will ihren künftigen Schwiegervater beeindrucken, dachte Alejandro und beschloss, sich, so gut es ging, von ihr fernzuhalten.

„Das nenne ich ein vernünftiges Steckenpferd!“ Enrique warf seinem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Hältst du mir das Segeln vor? Dann wette mit mir, was ich dadurch beim Med Cup gewinne!“

In diesem Moment fiel Juliana die Gabel aus der Hand und zu Boden. Sie errötete und entschuldigte sich.

Verwundert sah Alejandro sie an. Trotz ihres Missgeschicks mit der Katze hielt er sie nicht für ungeschickt.

Zwei Lakaien eilten herbei, einer hob die Gabel auf, ein weiterer legte eine frische neben ihren Teller.

„Danke.“ Sie griff nach ihrem halb gefüllten Wasserglas. „Du segelst also, Alejandro?“, wandte sie sich an ihn. Beim Aperitif vor dem Dinner waren die jungen Leute zum Du übergegangen.

„Ich baue sogar Segelboote – Rennboote.“ Erstaunt nahm er den Blick zur Kenntnis, den Juliana und Dominic miteinander austauschten. „Segelt ihr auch?“

Wieder sah sie ihren Bruder an.

„Ja“, antwortete Dominic. „Auf Flüssen und Seen, doch nur zu unserem Vergnügen, nicht bei Wettbewerben.“

Verwundert nahm Alejandro zu Kenntnis, dass Juliana die einfache Frage nicht selbst beantwortet hatte. Handelsfragen hatte sie ohne Hemmungen diskutiert.

„Ich habe früher auch gesegelt, sogar Regatten, doch meine Verpflichtungen lassen mir heute keine Zeit mehr dafür“, erzählte Enrique.

„Obwohl Reiten als Sport der Könige gilt, haben etliche Mitglieder von Königshäusern ihre Länder als Segler bei Olympischen Spielen vertreten, und es werden immer mehr“, fügte Dominic hinzu.

König Dario nickte. „Auch ich ziehe das Wasser den Pferden vor.“

Als Juliana sich über den Tisch nach vorn neigte, erhaschte Alejandro einen aufregenden Blick auf ihr Dekolleté, auf den zarten, sanft gerundeten Ansatz ihrer Brüste. Rasch wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Dessert zu.

„Lässt du eines deiner Boote beim Med Cup starten?“, fragte sie interessiert.

„Mein neuestes Modell.“

„Ist das nicht riskant?“, erkundigte sich Enrique.

Alejandro zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich erst hinterher.“

„Vielleicht sollte ich doch auf deine Wette eingehen!“

„Meine Söhne ergreifen grundsätzlich gegensätzliche Positionen“, erklärte König Dario. „Wann immer es ihnen möglich ist, wetten sie.“

„Das kenne ich von meinen Brüdern, vor allem von den jüngeren“, meinte Juliana mit einem Augenzwinkern in Dominics Richtung. Dann wandte sie sich wieder an Alejandro: „Nimmst du selbst an der Regatta teil?“

„Möglich. Zuvor muss ich erst noch eine geeignete Besatzung zusammenstellen. Mein Boot lässt sich allerdings auch allein segeln.“

„Das klingt nicht nach einem Rennboot“, wandte Enrique ein.

„Gute Boote lassen sich mit einer wechselnden Zahl von Crewmitgliedern fahren“, erklärte Juliana mit leuchtenden Augen. „Die Regatta wird sicher sehr spannend!“

Alejandro glaubte eine Spur von Sehnsucht in ihrem Blick zu entdecken. „Ganz bestimmt! Warum segelt ihr nicht einmal mit mir, dann könnt ihr euch selbst ein Bild von meinem Boot machen.“

Sofort richtete Juliana sich kerzengerade auf und warf ihrem Bruder einen Blick zu, und es war Dominic, der Alejandro antwortete: „Das wäre wunderbar!“

„Im Moment ist das leider nicht möglich“, mischte sich Enrique ein.

Bei diesen Worten lehnte Juliana sich wieder im Stuhl zurück, einen gedankenverlorenen Ausdruck im Gesicht.

„Genug davon“, schloss Dario mit dem Thema ab. „Es gibt Wichtigeres zu besprechen, zum Beispiel die Hochzeit. König Alaric drängt auf eine baldige Heirat.“

„Unser Vater ist einverstanden mit dem Ehevertrag und überlässt es Ihnen, den Tag für die Trauung festzulegen“, erläuterte Dominic.

„Ausgezeichnet. Wie bald wollt ihr heiraten?“

Enrique und Juliana sahen einander lächelnd an, doch keiner ergriff das Wort.

„Darf ich einen Vorschlag machen, Vater?“, fragte Alejandro.

„Nur zu.“

„Lass die Hochzeit eine Woche nach dem Med Cup stattfinden.“

„Wieso?“

„Meiner Meinung nach sind die beiden wie füreinander geschaffen. Eine lange Verlobungszeit halte ich für überflüssig. Sobald die Regatta vorüber ist, kann ich mich mit voller Kraft meinen Aufgaben als Trauzeuge widmen.“ Die Worte gingen ihm seltsamerweise nur schwer über die Lippen.

„Gute Idee. Was meint ihr dazu?“, wandte sich der König an das Brautpaar.

„Einverstanden“, stimmte Enrique zu und sah Juliana an. „Ich kann die Hochzeit kaum erwarten.“

„Mir geht es ebenso.“

Dario rieb sich erfreut die Hände. „Gleich morgen früh teile ich König Alaric den Termin mit.“

„Und ich bereite alles für unsere Flitterwochen vor“, sagte Enrique, und Juliana errötete.

Die Vorstellung, dass sie schon bald das Bett mit seinem Bruder teilen würde, bereitete Alejandro Übelkeit. Doch erst nach der Geburt eines Thronfolgers würde sein Vater ihm die ersehnte Freiheit geben.

Ob Juliana wirklich noch Jungfrau ist, wie mein Bruder glaubt? überlegte er. Und war die Eisprinzessin zu echter Leidenschaft fähig?

Als er sie im Arm gehalten hatte, hatte sie sich fest an ihn gepresst. Er hatte ihren schnellen Herzschlag an seiner Brust gespürt. Und wenn sie vom Segeln sprach, leuchteten ihre Augen förmlich auf. Solche Begeisterung konnte nur eine talentierte Schauspielerin vortäuschen.

Vielleicht schätze ich sie falsch ein? dachte er. Nicht, dass das wichtig wäre. Er griff nach seinem Weinglas und nahm nachdenklich einen Schluck.

3. KAPITEL

Das Dinner war vorüber, und Juliana stand allein auf der an den Salon anschließenden Terrasse. Durch das Fenster hinter sich sah sie Dominic, der mit König Dario Cognac trank. Enrique war während des Essens zu einem Telefonat mit dem spanischen Botschafter gerufen worden und noch nicht zurückgekehrt.

Sie wandte sich um, dem Garten zu, in dem Tausende von Grillen ihr Abendlied angestimmt hatten, begleitet vom Rascheln der Palmwedel im Wind. Die Luft hatte sich etwas abgekühlt, eine Jacke benötigte sie jedoch nicht. Die Hände auf dem Balkongeländer, legte sie den Kopf in den Nacken und betrachtete den klaren Nachthimmel, an dem die Sterne hell funkelten. Nach der langweiligen Konversation bei Tisch empfand sie die Ruhe als ausgesprochen wohltuend.

Erst gegen Ende der Mahlzeit war ein interessantes Thema aufgekommen: das Segeln. Zwar hatte Enrique die Einladung seines Bruders auf dessen Boot abgelehnt, doch die Einschränkung, es sei „im Moment“ nicht möglich, ließ sie hoffen. Immerhin stand sie im Begriff, in eine Familie von Seglern einzuheiraten.

Nach ihrer Eheschließung unterlag sie nicht länger den Einschränkungen, die sie in ihrer Heimat beengt hatten. Dann war sie endlich in der Lage, Dominic bei der Modernisierung von Aliano zu unterstützen. Auf diese Weise kann ich das Werk meiner Mutter fortführen, dachte sie glücklich.

Das Einzige, was ihr dann noch fehlte, war Liebe, und auch die würde sie finden, davon war sie überzeugt. Alles wird gut, dachte sie. „Das weiß ich genau.“

„Was weißt du?“, fragte eine Stimme aus den Schatten zu ihren Füßen.

Erschrocken zuckte Juliana zusammen. „Wer ist da?“

„Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.“

Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte niemanden sehen. Dafür erkannte sie aber die Stimme. „Alejandro?“

Geschmeidig erklomm er die Stufen, die vom Garten zur Terrasse hinaufführten, und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus.

Da er vor dem Essen keine Zeit mehr gefunden hatte, sich zu rasieren, bedeckte nun ein leichter Bartschatten sein Kinn, und er wirkte mehr denn je wie ein Pirat. Im Geist sah sie ihn hinter dem Steuerrad eines Segelschiffs, im Begriff, eine Schaluppe voller wertvoller Ladung aufzubringen.

„Wie lang stehst du schon dort unten?“

„Lang genug, um dich zu hören.“

Sie errötete. „Wenn ich das gewusst hätte …“

„Da war nichts, das dir unangenehm sein müsste.“

Ihr fiel ein, wie er sie beim Dinner unterstützt hatte, als es ums Segeln ging und um die Hochzeit. „Es war nett von dir, einen so frühen Termin für die Hochzeit vorzuschlagen.“

„Fürchtest du, du könntest deine Meinung noch ändern?“

„Ich nicht, aber Enrique vielleicht.“

„Bestimmt nicht! Er wäre ein Idiot, wenn er es täte.“

Das Kompliment freute sie. Seine Meinung sollte ihr gleichgültig sein, doch aus irgendeinem Grund war sie das nicht. „Als Kronprinz muss man nicht unbedingt klug sein.“

Er lachte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Du bist so etwas wie ein wandelnder Widerspruch!“

„Wieso das?“

„Weil du dich kleidest und verhältst wie eine vorbildliche, mustergültige Prinzessin. Dennoch zeigst du alle Anzeichen dafür …“

Verblüfft sah sie ihn an. Dass ausgerechnet er das Bild durchschaute, das sie der Welt von sich präsentierte, hatte sie nicht erwartet.

„… dass du nicht ganz so perfekt bist.“

Nun war es an ihr zu lachen. „Du liest zu viel in meine Worte hinein. In Aliano müssen die Frauen den Männern gehorchen, sonst bekommen wir die Folgen zu spüren. Dennoch hegen wir dieselben Hoffnungen und Träume wie die weibliche Bevölkerung in fortschrittlicheren Ländern und verfügen über ebenso viel Humor.“

„Wie gesagt – du bist voller Widersprüche.“

„Ich fasse das als Kompliment auf.“

„So war es gemeint.“ Er warf einen Blick in den Salon. „Dein Bräutigam ist wieder da.“

Juliana wandte sich um und sah Enrique, ein Glas Cognac in der Hand, im Gespräch mit den anderen vertieft.

„Dann sollte ich mich besser zurückziehen, sonst denkt mein Bruder, ich will ihm die Braut stehlen.“

„Das würde er nie …“

„Doch!“

„Hast du ihm schon einmal eine Freundin ausgespannt?“

„Nein, wir haben zu unterschiedliche Geschmäcker.“ Der bewundernde Blick, mit dem er sie bedachte, ließ allerdings keinen Zweifel offen, dass das in ihrem Fall nicht zutraf. Sogleich fühlte sie sich attraktiv und sexy wie nie zuvor.

„Dann hängt es mit dem Klatsch über dich als schwarzes Schaf zusammen?“

Alejandro schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Möglich.“

„Stimmen die Gerüchte denn?“

„Einige. Andere sind maßlos übertrieben.“

„Aus Eifersucht?“

Er sah sie neugierig an. „Hast du Erfahrung damit?“

„Natürlich nicht! Ich habe mich immer untadelig benommen.“

„Untadelig und manipulativ!“

„Ich verfüge über gewisse soziale Fähigkeiten, die ich gern zum Wohl meiner Umgebung einsetze“, gab sie zu.

„Und du verbirgst deine Intelligenz. Was du über Volkswirtschaft weißt, geht weit über ein Hobby hinaus!“

Er war ein guter Beobachter und extrem scharfsinnig. Ich muss mich vor ihm in Acht nehmen, nahm sie sich vor. „Wir verfügen in Aliano über ausgezeichnete Bildungsangebote, die auch Frauen zugänglich sind. Lediglich in der Berufswahl sind wir eingeschränkt. Ich hatte das Glück, mich auf diversen Reisen weiterbilden zu dürfen. Dennoch würde es meinem Vater nicht gefallen, wenn ich mit meinem Wissen prahle.“

In seinen Augen funkelte es vergnügt. „Du wirst Enrique auf Trab halten, was ihm guttun – und nicht stören – wird.“

„Hoffentlich. Was ist mit dir? Missfällt es dir nicht, wenn unser Nachwuchs dich aus der Thronfolge verdrängt?“

„Je mehr Kinder ihr bekommt, desto besser. Das meine ich ernst!“

Sie glaubte ihm – und war gleichzeitig enttäuscht, dass er sie nicht für sich selbst beanspruchte. Was für ein absurder Gedanke! schalt sie sich gleich darauf. „Danke, wie süß von dir.“

„Mein Kätzchen ist süß, ich bin es nicht! Da kommt Enrique, ich ziehe mich besser zurück.“ Einen Moment später war er bereits über die Treppe in den Garten verschwunden.

Gleich darauf hörte sie Schritte und nahm einen aufdringlichen Duft wahr. Das Aftershave lässt sich austauschen, schlimmer wäre es, wenn ich den Mann, der es trägt, nicht leiden könnte, dachte sie.

„Ist dein Telefonat erfolgreich verlaufen?“, erkundigte sie sich höflich, als Enrique neben sie trat.

„Danke, ja. Statt dich mit Regierungsangelegenheiten zu belasten, solltest du dich lieber auf unsere Hochzeit konzentrieren.“

„Über die habe ich gerade nachgedacht.“ Sie fragte sich, ob Alejandro noch in Hörweite war. Es würde sie nicht stören. Insgeheim wünschte sie ihn sogar an die Stelle seines Bruders. „Und über Kinder.“

Enrique ergriff ihre Rechte und hielt sie fest. Seine Haut fühlte sich warm und weich an, nicht rau wie die eines Gärtners. „Mein Vater freut sich schon sehr auf Enkel.“

„Meiner auch.“ Während Enrique in erster Linie die Thronfolge im Sinn hatte, wünschte sie sich Babys um ihrer selbst willen. Es hatte ihr Freude bereitet, die Kindermädchen ihrer Brüder zu unterstützen, und sie beabsichtigte, sich deutlich mehr mit ihrem Nachwuchs zu beschäftigen, als ihre Stiefmutter es getan hatte.

„Wir sollten möglichst rasch eine Familie gründen, wenn wir verheiratet sind.“

„Ich wünsche mir viele Kinder, mindestens vier“, meinte sie.

„Hoffentlich ähneln sie dir.“

Das war nett gesagt, doch ihr wurde nicht seltsam zumute wie nach Alejandros Kompliment. „Danke.“

„Mein Bruder wird sich freuen, wenn er hört, dass du dir eine ganze Kinderschar wünschst. Wenn er es könnte, würde er seinen Titel sofort aufgeben.“

„Wieso das?“, fragte sie verständnislos. „Immerhin kann er sich neben seinen Pflichten mit seinen Booten beschäftigen.“ Tatsächlich beneidete sie Alejandro darum, dass er seine Träume ausleben konnte.

„Seine Schiffe kommen für ihn an erster Stelle, nichts anderes zählt. Segeln beherrscht ihn. Statt seinen königlichen Namen für seine Geschäfte zu nutzen, zieht er es vor, zu arbeiten wie ein Bürgerlicher.“

Dass ihr Bräutigam seinen Bruder kritisierte, überraschte Juliana nicht. Die beiden schienen ständig aufeinander loszugehen. „Ein Sieg beim Med Cup verschafft ihm sicher etliche neue Kunden.“

„Bei der starken Konkurrenz hat er mit einem neuen Boot keine Chance! Leider ist er zu stur, um mit dem Modell aus dem Vorjahr zu starten. Ständig braucht er etwas Neues, Besseres. Das gilt auch für Frauen – er wird nie heiraten.“

Das Bild, das er von Alejandro zeichnete, war nicht gerade schmeichelhaft. Juliana vermutete, dass alte Geschichten zwischen den beiden Männern standen. Sie mussten lernen, besser miteinander auszukommen. Ihr kam eine Idee.

„Nimm du doch in dem älteren Boot an der Regatta teil“, schlug sie Enrique vor.

„Mir fehlt die Übung. Seit Vater mich stärker an der Regierung beteiligt, war ich nicht mehr beim Segeln“, wies er sie in scharfem Ton zurecht.

„Es war nur ein Vorschlag“, rechtfertigte sie sich gekränkt.

„Außerdem sind Regatten sehr riskant. Ich weiß, dass dein Vater dir verboten hat, auf dem Meer zu segeln. Aus diesem Grund habe ich auch Alejandros Einladung ausgeschlagen.“

„Dann segle wenigstens du mit Dominic.“

„Nicht ohne dich.“

Wie höflich, dachte sie geschmeichelt.

„Dein Vater erwähnte den Tod deiner Mutter. Was für eine Tragödie!“

„Es war ein Unfall.“

„Offenbar hat er ihren Verlust nur schwer verwunden.“

„Er hat sich nach ihrem Tod sehr verändert. Sie liebten einander sehr.“

„Dich liebt er ebenso.“

Dass jemand, der nicht zur Familie gehörte, diese Worte aussprach, vermittelte ihr das Gefühl, all die Opfer, die sie im Lauf der Jahre gebracht hatte, um den Erwartungen ihres Vaters gerecht zu werden, hätten sich gelohnt. Tief bewegt nickte sie nur.

Nach einer Weile griff sie ein neues Thema auf. „Isla de l’Aurora erscheint mir fortschrittlicher als Aliano.“

„Das stimmt, obwohl auch wir in mancherlei Hinsicht noch altmodische Ansichten hegen. Aber keine Angst, ich sorge dafür, dass du dich hier wohlfühlst.“

Seine Worte weckten Hoffnung in ihr, und sie wagte die Frage anzusprechen, die ihr auf der Seele brannte. „Vater meinte, du würdest entscheiden, ob ich nach unserer Hochzeit segeln darf.“

„Wir haben darüber gesprochen, und ich habe meine Entscheidung gefällt.“

Vor Aufregung schlug Juliana das Herz bis zum Hals. Sie hielt den Atem an.

Enrique drückte ihr die Hand. „Ich halte es für zu gefährlich.“

Ihr war, als hätte er ihr einen Schlag in den Magen versetzt. Das kann nicht wahr sein! dachte sie entsetzt. Sie musste ihm deutlich machen, wie wichtig dieser Sport für sie war. „Ich bin immer vorsichtig und gehe keine unnötigen Risiken ein.“

„Das Meer ist unberechenbar, selbst für die erfahrensten Segler.“

Verzweifelt suchte sie nach einem anderen Ausweg. „Du segelst doch selbst. Wir könnten in unserer Freizeit gemeinsam aufs Meer fahren.“

„Dazu bleibt mir keine Zeit.“

„Es müsste ja nicht häufig sein!“

„Deine Sicherheit hat absoluten Vorrang, schließlich wirst du die Mutter meiner Kinder sein, meine Frau und Königin.“

„Darf ich wenigstens auf Seen und Flüssen segeln?“

„Deine Mutter hat dieser Sport umgebracht, und ich habe gesehen, was er mit meinem Bruder macht. Daher wünsche ich, dass du nie wieder segelst.“

Fassungslos sah Juliana ihn an. Tränen brannten in ihren Augen. Sie entzog ihm ihre Hand und griff nach dem Geländer. „Aber ich durfte immer segeln! Nur nicht auf dem Meer.“

„Das hat dein Vater so bestimmt. Ich gestatte es dir nicht.“

Nein! Das war ja noch schlimmer als in ihren schrecklichsten Albträumen. Er untersagte ihr ihren Lieblingssport, obendrein ließ sein Tonfall darauf schließen, dass er sie ebenso zu beherrschen und kontrollieren gedachte wie ihr Vater. Also würde sie auch auf Isla de l’Aurora keine Freiheit finden!

„Sieh mich nicht so enttäuscht an“, tadelte er sie. „Ich meine es weder persönlich, noch will ich grausam zu dir sein.“

„Was bezweckst du dann?“

„Ich möchte dir helfen, erwachsen zu werden. Soviel ich gehört habe, bringt das Segeln eine wilde Seite in dir zum Vorschein.“

Erschrocken zuckte sie zurück. „Was habe ich getan?“

„Du hast Prinz Nikolas geküsst.“

„Wir waren verlobt. Außerdem blieb es bei einem einzigen Kuss!“

„Mir kamen auch noch andere Dinge zu Ohren, die einer Königin nicht angemessen sind. Versuche, dich deiner künftigen Rolle entsprechend zu verhalten“, fuhr er gelassen fort, als diskutierten sie ein Geschäft und nicht ihre Lebensführung.

Juliana zwang sich, tief durchzuatmen. „Worin bestehen meine künftigen Aufgaben?“

„Du wirst meine Frau sein und mir Erben schenken.“

Das hatte sie bereits verstanden und akzeptiert, aber war das alles? „Und?“

„Ich brauche eine konventionelle Königin, die vom Volk respektiert wird. In deinem eigenen Interesse solltest du auf mich hören und unserem Namen keine Schande machen.“

Er wollte ihr offenbar ihr künftiges Verhalten vorschreiben. An einer echten Partnerschaft schien ihm dagegen nicht gelegen. Konnte aus einer solchen Beziehung Liebe erwachsen?

Was soll ich nur tun? überlegte Juliana verzweifelt.

In Unehre nach Aliano zurückzukehren und dort zu heiraten, wäre das Schlimmste, was sie Dominic, ihrem Land und ihren zukünftigen Kindern antun konnte.

Auch fortzulaufen war keine Alternative. Ihr Vater würde sie verstoßen und ihren Brüdern jeglichen Kontakt zu ihr untersagen. Zudem könnte er ein solches Verhalten zum Anlass nehmen, den Frauen in Aliano weitere Beschränkungen aufzuerlegen. All die Opfer, die sie bisher gebracht hatte, wären dann vergebens.

Ihr blieb nur eine einzige Möglichkeit: die Ehe mit Enrique.

Nur so konnte sie ihrem Bruder und Aliano helfen. Ihren Kinder würden es auf Isla de l’Aurora ebenfalls besser ergehen. Das musste genügen, um sie über den endgültigen Verlust ihrer Freiheit hinwegzutrösten.

In seinem Apartment im Erdgeschoss versuchte Alejandro sich zu entspannen. Der erzwungene Aufenthalt im Palast machte ihn nervös und unruhig, außerdem war da noch etwas anderes, genauer gesagt jemand …

Anscheinend habe ich Juliana falsch eingeschätzt, dachte er. Heute Abend hatte sie viel wärmer und authentischer gewirkt als bei der ersten Begegnung am Nachmittag. Doch er sollte nicht über sie nachde...

Autor

Melissa Mc Clone
<p>Melissa war schon immer ein Fan von Märchen und Geschichten mit Happy End. Doch bis ihre Englischlehrerin Liebesromane im Unterricht thematisierte, hatte sie das Genre noch nicht für sich entdeckt. Aber danach hatte sie eine neue Leidenschaft. Überflüssig zu sagen, dass sie ihrer Lehrerin auf ewig dafür dankbar ist. Nach...
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<p>Mit mehr als 20 geschriebenen Romanen, ist Leanne dafür geschätzt Geschichten mit starken Emotionen, Charakteren mit denen sich jeder identifizieren kann, einem Schuss heißer Sinnlichkeit und einem Happy End, welches nach dem Lesen noch nachklingt zu erzählen. Sie ist die Abnehmerin der Romantic Times Magazine’s Awards in Serie. Sinnlichkeit, Liebe...
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