Julia Royal Band 5

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PRINZESSIN FÜR EINE NACHT? von JANE PORTER
Ein ganz normales Mädchen aus Texas? Von wegen! Weil sie Prinzessin Emmeline verblüffend ähnlich sieht, soll Hannah mit ihr die Rollen tauschen. Und plötzlich ist Hannah Prinzessin - und landet im Schlafgemach von König Zale, Emmelines Verlobten …

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  • Erscheinungstag 16.04.2021
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500722
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jane Porter, Kathryn Jensen, Kelly Hunter

JULIA ROYAL BAND 5

PROLOG

Palm Beach, Florida

„Du siehst mir wirklich zum Verwechseln ähnlich!“ Prinzessin Emmeline d’Arcy sprach leise, während sie Hannah musterte. „Gleiches Gesicht, gleiche Größe, gleiches Alter … Wenn wir jetzt noch die gleiche Haarfarbe hätten, könnte man uns glatt für Zwillinge halten.“

„Zwillinge wohl eher nicht … Immerhin wiegen Sie nur halb so viel wie ich, Euer Hoheit“, erwiderte Hannah, die sich neben der sehr schlanken Prinzessin leicht unbehaglich fühlte.

Prinzessin Emmeline schien ihren Einwand gar nicht gehört zu haben. „Was soll dieses ‚Euer Hoheit‘? Nenn mich Emmeline. Färbst du dir die Haare? Oder ist das dein Naturton? Dieses herrliche warme Braun.“

„Ich färbe mir die Haare selbst. Meine natürliche Haarfarbe ist ein wenig heller“, stammelte Hannah ungläubig, dass sich die Prinzessin mit dem wunderschönen goldblonden Haar für ihre Haarfarbe interessierte.

„Würdest du diese Farbe für mich kaufen?“

„Das kann ich tun. Aber was wollen Sie damit, Euer Hoheit?“

Obwohl ein Lächeln über die vollen Lippen der Prinzessin wanderte, blieben ihre Augen seltsam ausdruckslos. „Du sollst mich duzen und Emmeline nennen … Ich überlege gerade, ob ich nicht für einen Tag in deine Rolle schlüpfen kann.“

„Wie bitte?“

Die Prinzessin ging zum riesigen Fenster der eleganten Hotelsuite und schaute in den tropischen Garten hinaus.

„Ich habe ein ziemliches Chaos verursacht“, sagte sie leise und presste eine Hand gegen die Fensterscheibe, als wäre sie eine Gefangene. „Und ich kann hier nicht unerkannt fort, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Ich werde auf Schritt und Tritt verfolgt – nicht nur von den Paparazzi, sondern von meinen Leibwächtern, meinen Hofdamen, meiner Sekretärin.“ Ihre Hände verkrampften sich zu Fäusten. „Ich möchte nur einen Tag lang ein normales Leben führen. Vielleicht kann ich dann für Ordnung sorgen und diesen Albtraum beenden.“

Der Schmerz in ihrer Stimme schnürte Hannah die Kehle zu. „Was ist passiert, Euer … E…Emmeline?“

Emmeline schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann nicht darüber reden“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Aber es steht schlimm … Und es wird alles zunichtemachen.“

„Was wird es zunichtemachen? Mir kannst du es ruhig sagen. Ich kann ein Geheimnis für mich behalten und werde dein Vertrauen nicht missbrauchen.“

Die Prinzessin fuhr sich mit der Hand über die Augen und wischte die Tränen weg, bevor sie sich umdrehte. „Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann, deshalb wende ich mich ja auch an dich.“

Sie holte tief Luft, bevor sie fortfuhr. „Ich bitte dich, morgen Nachmittag mit mir die Rollen zu tauschen und an meiner Stelle im Hotel zu bleiben. Ich werde nicht lange weg sein – höchstens vier, fünf Stunden. Dann komme ich zurück, und wir tun, als sei nichts geschehen.“

Hannah setzte sich auf einen Stuhl. „Ich würde dir ja gern helfen, aber Scheich Al-Koury wird mir keinen freien Tag geben. Und selbst wenn er es täte, wüsste ich nicht, wie sich eine Prinzessin überhaupt benimmt.“

Emmeline schritt über den edlen Teppich und setzte sich Hannah gegenüber. „Wenn du vorgibst, krank zu sein, kann Scheich Al-Koury dich nicht zur Arbeit zwingen. Und du musst das Hotel nicht einmal verlassen. Ich buche dir morgen einen Wellness-Tag, und du lässt dich den ganzen Nachmittag verwöhnen …“

„Aber ich klinge wie eine Amerikanerin aus Texas und nicht wie die Prinzessin von Brabant.“

„Gestern beim Poloturnier habe ich gehört, wie du Scheich Al-Koury in akzentfreiem Französisch vorgestellt hast.“

„Während der Highschool war ich ein Jahr lang als Austauschschülerin in Frankreich.“

„Dann sprichst du einfach Französisch.“ Plötzlich lächelte Emmeline. „Wir schaffen es. Bring morgen bitte die Haarfarbe mit. Blond für dich und Kastanienbraun für mich. Dann färben wir uns die Haare und tauschen die Kleider. Das wird ein Abenteuer!“

Emmelines Lachen klang ansteckend, Hannah musste unwillkürlich lächeln. „Und es ist wirklich nur für ein paar Stunden?“

Emmeline nickte. „Ich werde vor dem Abendessen zurück sein.“

Hannah wurde nachdenklich. „Und bist du allein auch wirklich sicher?“

„Warum nicht? Die Leute werden denken, dass ich Hannah Smith bin.“

„Du hast doch nichts Gefährliches vor?“

„Ganz und gar nicht. Ich werde Palm Beach nicht verlassen. Bitte hilf mir.“

Die Prinzessin schien wirklich verzweifelt, und Hannah hatte noch nie einem Menschen ihre Hilfe verwehrt. „Also gut, ich mache es. Aber nur für einen Nachmittag.“

„Danke!“ Emmeline nahm ihre Hände. „Du bist ein Engel und wirst es nicht bereuen. Das verspreche ich.“

1. KAPITEL

Raguva, drei Tage später

Oh, doch – Hannah bereute es. Sie bereute es sogar mehr, als sie je etwas in ihrem Leben bereut hatte.

Drei Tage waren vergangen, seit sie mit Emmeline die Rollen getauscht hatte. Drei Tage, in denen ihr Leben eine Lüge gewesen war.

Hannah hätte die Maskerade beenden sollen, bevor sie gestern zum Flughafen gefahren war.

Sie hätte die Wahrheit sagen sollen, als noch Gelegenheit dazu war.

Doch stattdessen hatte sie das Privatflugzeug des Königs bestiegen und war nach Raguva geflogen. Als wäre sie tatsächlich die berühmte Prinzessin aus Europa und nicht nur eine Sekretärin aus Amerika, die rein zufällig eine verblüffende Ähnlichkeit mit Emmeline hatte …

Hannah atmete tief durch, damit sich ihre Nerven beruhigten. Sie steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten und musste jetzt unbedingt einen kühlen Kopf bewahren.

Keine leichte Übung, denn gleich sollte sie Emmelines Verlobtem, dem mächtigen König Zale Ilia Patek, gegenübertreten.

Sie hatte keine Ahnung, was man von einer Prinzessin erwartete. Und nun stand sie hier in der Abendrobe, die bestimmt 30.000 Dollar gekostet hatte. Immerhin hatte sie die ganze letzte Nacht damit zugebracht, mit ihrem Handy alle verfügbaren Informationen über König Zale Patek von Raguva im Internet zu recherchieren.

Nur eine Wahnsinnige würde vor einen Hofstaat treten und so tun, als sei sie die Verlobte des Herrschers.

Aber schließlich hatte sie Emmeline ihr Wort gegeben. Wie hätte sie die Prinzessin im Stich lassen können?

Hannah drückte die Schultern durch und holte noch einmal tief Luft, als die goldene Tür geöffnet wurde, hinter der sich der große Thronsaal des Palasts auftat.

Sie zwang sich, nur auf das erhabene Podest mit dem Thron zu achten, das an der gegenüberliegenden Seite des Saals stand. Zu ihren Füßen breitete sich ein langer roter Teppich aus. Als eine Stimme ihr Erscheinen verkündete, verstummte das Stimmengewirr im Saal sofort: „Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Emmeline von Brabant, Herzogin von Vincotte, Gräfin d’Arcy.“

Die förmliche Vorstellung ließ sie noch nervöser werden. Wieso hatte sie sich bloß darauf eingelassen, mit Emmeline die Rollen zu tauschen?

Warum hatte sie nicht erkannt, dass Emmelines Plan alles andere als durchdacht war?

Weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, die Wellness-Behandlungen zu genießen und sich über den freien Tag zu freuen. Am darauf folgenden Morgen hätte sie schließlich ihre ebenso anstrengende wie aufregende Arbeit als Sekretärin von Scheich Makin Al-Koury aus dem reichen Ölstaat Kadar wiederaufnehmen sollen.

Nur war Emmeline nicht zurückgekehrt.

Stattdessen hatte sie angerufen und SMS-Nachrichten geschickt, ob Hannah die Verkleidung noch für ein paar Stunden beibehalten könne. Aus den Stunden waren Tage geworden, da es immer wieder die eine oder andere Komplikation gab. Hannah solle sich keine Sorgen machen, schrieb Emmeline, alles würde gut werden. Wenn sie ihre Rolle nur noch ein bisschen weiterspielte.

Eine der Hofdamen flüsterte Hannah zu: „Königliche Hoheit, alle warten nur auf Sie.“

Hannah sah wieder zu dem Thron am anderen Ende des Saals. Er schien so weit weg zu sein. Aber dann setzte sie einen zitternden Fuß vor den anderen und schritt den dunkelroten Teppich entlang. Ihre Schritte in den hohen Pumps waren unsicher, das Gewicht ihrer seidenen Abendrobe mit den unzähligen Pailletten schien sie nach unten zu ziehen, doch am schlimmsten war der Blick, mit dem König Patek sie von seinem Thron aus unverwandt ansah.

Noch nie hatte ein Mann sie so aufmerksam betrachtet. Ihre Haut prickelte, Hitze stieg ihr ins Gesicht.

Selbst im Sitzen wirkte König Patek imposant. Er war groß und breitschultrig, mit starken und schönen Gesichtszügen. Doch es war sein Blick, der ihr den Atem nahm. In seinen Augen las sie Besitzerstolz. Die Hochzeit sollte erst in zehn Tagen stattfinden, aber sein Blick verriet, dass er sie schon jetzt als sein Eigentum betrachtete.

Hannah schnürte es die Kehle zu. Ihr Herz raste. Sie hätte sich niemals auf das Spiel einlassen sollen. Zale Patek von Raguva würde sich bestimmt nicht gern hinters Licht führen lassen.

Als sie beim Thron angekommen war, raffte sie den schweren Stoff ihres türkisblauen Rocks mit einer Hand zusammen und machte einen anmutigen Knicks. Zum Glück hatte sie das am Morgen geübt. „Euer Hoheit“, sagte sie auf Raguvanisch, was sie ebenfalls geübt hatte.

„Willkommen in Raguva, Königliche Hoheit“, antwortete er in akzentfreiem Englisch. Seine Stimme klang so tief wie ein verführerisches Versprechen.

Sie hob den Kopf. Überrascht sog sie die Luft ein. Das hier war also der fünfunddreißigjährige König von Raguva, dem Nachbarland Griechenlands und der Türkei an der Adriaküste. Er wirkte wesentlich jünger. Außerdem sah er unverschämt gut aus. Die Fotos, die sie im Internet gefunden hatte, wurden ihm nicht gerecht.

Nach und nach nahmen ihre Augen sein Gesicht in sich auf: kurzes dunkles Haar, bernsteinfarbene Augen, hohe Wangenknochen, energisches Kinn.

Dazu war er gut gebaut. Unter der Smokingjacke konnte sie die breiten Schultern und die muskulöse Brust erahnen. Trotz seiner vornehmen Herkunft hatte er sich früher einen Namen als Fußballer gemacht. Nachdem seine Eltern allerdings vor fünf Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, hatte er seine überaus erfolgreiche Karriere beendet.

Sie hatte gelesen, dass er während seiner zehn Jahre als Fußballprofi für zwei der erfolgreichsten europäischen Vereine nur für den Sport gelebt hatte. Seit er den Thron bestiegen hatte, widmete er sich mit gleicher Entschlossenheit und Leidenschaft den Regierungsgeschäften.

Und nun sollte dieser ungeheuer ehrgeizige Mann schon bald die lebensfrohe, bezaubernde Prinzessin Emmeline heiraten.

In diesem Moment wusste Hannah nicht, ob sie Neid oder Mitleid empfinden sollte.

„Vielen Dank, Euer Majestät“, antwortete Hannah und sah ihm in die Augen.

Es war beinahe so, als hätte sie ein Blitz getroffen. Ihre Knie zitterten, alle Stärke schien aus ihrem Körper zu weichen.

Ängstlich beobachtete sie, wie König Patek sich von seinem Thron erhob und die Stufen zu ihr hinunterstieg. Er nahm ihre Hand, hob sie zum Mund und berührte ihren Handrücken sanft mit den Lippen. Die Berührung jagte ihr einen heißen Schauder über den Rücken.

Für einen Moment umfing sie Schweigen, ein intimes, erwartungsvolles Schweigen, das ihr die Röte ins Gesicht trieb. Dann machte König Patek eine Handbewegung in Richtung seines Hofstaats. Alles klatschte, und bevor sie es sich versah, hatte er sie schon dem ersten seiner vielen Berater vorgestellt.

Der König führte sie den roten Teppich entlang und machte sie mit den bedeutenden Mitgliedern seines Hofstaates bekannt. Doch das Gefühl, seine Haut auf der ihren zu spüren, machte es ihr unmöglich, sich auf irgendeinen Menschen zu konzentrieren. Schon bald verschwammen die Gesichter vor ihren Augen.

Zale Patek hatte Emmeline noch längst nicht allen Mitgliedern seines Hofstaates vorgestellt, als er bemerkte, dass ihre Hand zitterte. Er musterte sie von der Seite und sah die Erschöpfung in ihren Augen und den angespannten Zug um ihre Mundwinkel. Zeit für eine Pause, dachte er. Der zweite Teil der Vorstellungsrunde würde bis nach dem Dinner warten müssen.

Er führte sie aus dem Thronsaal durch ein eher spartanisch eingerichtetes Vorzimmer in das Lieblingszimmer seiner Mutter, den sogenannten Silbernen Saal.

„Bitte nimm Platz“, sagte er und geleitete sie zu einem Rokokosesselchen, das mit einem edlen Brokatstoff bezogen war. In der Mitte der hohen Zimmerdecke hing ein gigantischer silberner Kronleuchter, und venezianische Spiegel säumten die mit perlmuttfarbener Seide bezogenen Wände.

Es war ein schöner Raum, voller Seide, Silber und Kristall. Doch nichts in dem Zimmer konnte es mit der Prinzessin aufnehmen.

Sie war bezaubernd.

Dazu berechnend, durchtrieben, hinterlistig – was er allerdings erst nach der Verlobung hatte erkennen müssen.

Seit dem letzten Treffen mit Emmeline war ein Jahr vergangen – damals hatten sie im Schloss von Brabant ihre Verlobung verkündet. Davor hatten sie lediglich zweimal miteinander gesprochen, obwohl er sie seit seiner Kindheit bei verschiedenen feierlichen Anlässen schon häufiger gesehen hatte.

„Du siehst betörend aus“, sagte er, als sich Emmeline dankbar auf den Sessel niederließ. Ihr üppiger türkisblauer Rock legte sich wie eine Wolke um sie. Wie die Meerjungfrau auf dem Felsen, ging es ihm durch den Kopf. Und wie das Fabelwesen nutzte auch sie ihre Schönheit, um Männer magisch anzuziehen, die dann an der Klippe zerschellten.

Eine Eigenschaft, auf die Zale bei seiner Ehefrau und künftigen Königin von Raguva durchaus hätte verzichten können.

Stärke, Ruhe, Beständigkeit und Treue – das waren die Eigenschaften, die er sich wünschte. Leider hatte er erkennen müssen, dass sie über diese Tugenden nicht verfügte.

„Vielen Dank“, sagte sie, und eine zarte Röte zeichnete sich auf ihrer makellosen Porzellanhaut ab.

Der Anblick verschlug ihm die Sprache.

War sie tatsächlich errötet? Meinte sie etwa, er würde ihr abnehmen, dass sie eine scheue Jungfrau wäre und keine durchtriebene Prinzessin?

Trotz aller charakterlichen Mängel war sie rein äußerlich betrachtet perfekt: mit ihrer zarten Statur, dem ebenmäßigen Teint und den strahlend blauen Augen. Schon als kleines Mädchen war Emmeline mehr als hübsch gewesen. Doch nun war sie zu einer außergewöhnlichen Schönheit herangereift.

Sein Vater war derjenige gewesen, der ihm Prinzessin Emmeline d’Arcy als Braut vorgeschlagen hatte. Zale war damals fünfzehn Jahre alt gewesen, Emmeline erst fünf. Er war entsetzt gewesen: ein pausbäckiges kleines Mädchen als zukünftige Ehefrau? Doch sein Vater hatte ihn überzeugt, dass sie einmal eine umwerfende Frau werden würde, und damit recht behalten. In ganz Europa gab es keine aufregendere Prinzessin.

„Endlich bist du hier“, sagte er und hasste sich selbst dafür, dass ihr Anblick ihm so ein Vergnügen bereitete. Er hätte sich angewidert abwenden sollen. Stattdessen fühlte er sich körperlich von ihr angezogen.

Sie senkte den Kopf. „Ja, hier bin ich, Euer Majestät.“

Eine gute Schauspielerin, dachte er mit leicht zynischem Grinsen. Das Erröten, die Schüchternheit, die Unschuld. „Nenn mich Zale“, korrigierte er, „schließlich sind wir seit einem Jahr verlobt.“

„Dennoch haben wir uns seitdem nicht gesehen“, antwortete sie.

„Das war deine Entscheidung, nicht meine.“

Sie überlegte einen Augenblick lang. „Hat es dir etwas ausgemacht?“

Er zuckte die Schultern und schwieg. Was hätte er sagen sollen? Dass er genau wusste, dass sich Emmeline trotz ihrer Verlobung im letzten Jahr regelmäßig mit ihrem argentinischen Playboy-Freund Alejandro getroffen hatte?

Auch wusste er, dass sie in der letzten Woche nach Palm Beach gereist war, um Alejandro bei einem Poloturnier zuzuschauen. Zale war sich bis gestern nicht einmal sicher gewesen, ob sie wirklich ins Flugzeug steigen würde, um rechtzeitig zu ihrer Hochzeit am vierten Juni in Raguva zu sein.

Aber sie war gekommen.

In den bis dahin noch verbleibenden zehn Tagen wollte Zale genau prüfen, ob sie wirklich bereit war, sich dem Wohl ihrer Familien und ihrer Länder unterzuordnen, oder ob sie weiterhin ihre Spielchen mit ihm treiben wollte. „Ich bin froh, dass wir uns endlich kennenlernen“, erwiderte er.

Sie lächelte, und dieses Lächeln machte ihn seltsam nervös.

Wie absurd, dass er sich von einer Frau in einem Ballkleid blenden ließ. Ringe mit Diamanten und Saphiren steckten an ihren Fingern, und die Edelsteine an dem Diadem auf ihrem goldenen Haar ließen ihr Gesicht erstrahlen.

„Ich freue mich auch“, sagte sie. „Deine Welt ist so anders als die in Palm Beach.“

„Das glaube ich gern“, erwiderte er. Alles an ihr war bezaubernd. „Es tut mir leid, dass ich dich gestern bei deiner Ankunft nicht willkommen heißen konnte. Aber als König muss ich mich genau an das Protokoll halten.“

„Dafür habe ich Verständnis.“

Natürlich hatte sie das. Schließlich hatte sie sich darauf eingelassen, als sie sich nach fünf Jahren von ihrem Freund getrennt hatte, um diese arrangierte Ehe einzugehen. „Hast du Hunger? Das Dinner findet frühestens in einer Stunde statt.“

„Nein, danke, ich kann warten.“

„Man hat mir berichtet, dass du heute noch nichts gegessen hast.“

Sie warf ihm einen leicht belustigten Blick zu. „Welche der Hofdamen hat mich verpetzt?“

„Mein Koch war ein wenig besorgt, dass du das Essen nicht angetastet hast. Er dachte, er hätte deinen Geschmack nicht getroffen.“

„Nein, nein. Das Frühstück sah sehr gut aus. Aber ich habe daran gedacht, dass ich noch in das Abendkleid passen muss“, sagte sie und schaute skeptisch an sich herunter.

„Du hältst doch nicht etwa Diät?“

„Sehe ich etwa so aus, als würde ich vom Fleisch fallen?“

Zale betrachtete sie eingehend von oben bis unten. Ihre festen, vollen Brüste wurden von dem eng anliegenden Body kaum verhüllt. Unter dem weit fallenden Rock erahnte man die aufregend femininen Hüften. Die Farbe des Kleides betonte den hellen, makellosen Teint, die strahlend blauen Augen und die rosigen, sinnlichen Lippen. Sie sah aus wie eine reife Frucht, die nur darauf wartete, gepflückt zu werden.

Heißes Verlangen durchfuhr ihn. Er wollte sie schmecken, mit der Zunge ihre leicht geöffneten Lippen kosten, ihre samtweiche Haut mit Küssen bedecken …

Schmerzhaft spürte er die engen Grenzen, die ihm der Stoff seiner Hose setzte. Aus Respekt vor seiner Verlobung mit Emmeline hatte er seit einem Jahr das Bett nicht mehr mit einer Frau geteilt. Ein langes Jahr, und jetzt wartete er nur darauf, in zehn Tagen die Ehe mit dieser Frau zu vollziehen.

Wenn es denn eine Hochzeit geben sollte.

Wieder sah er ihr in die Augen und erkannte, dass sie ihn die ganze Zeit unverwandt beobachtet hatte. Ihr direkter Blick sprach ursprüngliche Instinkte in ihm an.

Ich werde sie besitzen, schwor er sich, selbst wenn ich sie nicht zu meiner Königin machen sollte.

Hannah senkte den Blick und brach damit den Zauber, mit dem Zale sie gefangen gehalten hatte. Als sie ihm in die bernsteinfarbenen Augen gesehen hatte, in denen ein Feuer zu lodern schien, hatte sie sich in sinnlichen Träumereien verloren.

Er berührte etwas in ihr, das seit vielen Jahren niemand mehr berührt hatte.

Es war eine Ewigkeit her, dass sie sich so gefühlt hatte. Mit dem richtigen Partner fand Hannah durchaus Gefallen an Sex. Das Problem war nur, dass es seit ihrem Abschluss an der Universität von Texas vor vier Jahren keinen richtigen Partner mehr gegeben hatte. Damals, mit 21 Jahren und den Abschluss in der Tasche, hatte sie erwartet, dass ihr langjähriger Freund Brad ihr einen Heiratsantrag machen würde. Doch stattdessen hatte dieser sich von ihr getrennt, weil er, wie er meinte, sich endlich auch mit andern Frauen treffen wollte.

Jetzt empfand sie zum ersten Mal wieder etwas für einen Mann …

Unruhig schlug Hannah die Beine übereinander. Sie spürte den spitzenbesetzten Strumpfhalter an der nackten Innenseite ihrer Schenkel. Die Dessous gehörten Emmeline, fiel ihr wieder ein. Genauso wie der betörend männliche Zale Patek allein Emmeline gehörte.

Hannah erstarrte. Wie hatte sie nur für einen Moment vergessen können, wer sie war und warum sie überhaupt hier war?

Du bist nicht Emmeline, ermahnte sie sich, und wirst es auch niemals sein.

Sie stand auf und strich das Kleid glatt. „Wenn noch etwas Zeit bleibt, würde ich mich gern etwas frisch machen.“

„Vor einer halben Stunde wird man uns nicht in den Speisesaal rufen.“

„Dann sehen wir uns später.“ Eilig verließ sie den Silbernen Saal. Der reich bestickte Rock raschelte, als sie zur Treppe lief, die in ihre Suite im zweiten Stock führte. Was für ein Wahnsinn! ging es ihr durch den Kopf. Ihr Magen zog sich zusammen, ihr Herz raste wie verrückt.

Bitte, lass eine Nachricht von Emmeline auf der Mailbox sein, dass sie auf dem Weg zum Flugplatz ist und ich bald hier weg kann.

Sobald sie in ihrer Suite angekommen war, schlug sie die Tür hinter sich zu, lief zum Nachttisch und zog ihr Handy heraus. Kein Anruf, keine SMS. Kein Wort von Emmeline.

Die letzte Nachricht war schon Stunden her. Wo steckte die Prinzessin bloß?

Hannah versuchte, sich zu beruhigen. Vielleicht saß die Prinzessin gerade in einem Flugzeug, das sie nach Raguva brachte.

Immerhin ein Hoffnungsschimmer. Womöglich war Emmeline so schnell aufgebrochen, dass sie vergessen hatte, Hannah eine Nachricht zu senden.

Sie hatte sich beinahe mit dem Gedanken getröstet, als das Handy klingelte: Emmeline.

Schnell nahm sie das Gespräch entgegen. „Bist du angekommen?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Nein, ich bin noch in Florida. Ich habe Schwierigkeiten, einen Flug zu bekommen.“

„Konntest du die Dinge ins Reine bringen?“

„N…nein.“ Ihre Stimme zitterte.

„Alles in Ordnung?“

„Es läuft nicht ganz wie erwartet.“ Die Prinzessin klang so, als sei sie den Tränen nahe, dann fasste sie sich wieder. „Wie läuft es mit Zale? Ist er so kalt wie immer?“

Hannah errötete. „Kalt finde ich ihn nicht gerade …“

„Aber ziemlich hartherzig, oder? Ich glaube, er mag mich nicht besonders.“

„Immerhin will er dich heiraten.“

„Für fünf Millionen Euro!“

„Wie bitte?“

„Es handelt sich um eine arrangierte Ehe. Was hattest du erwartet?“

Hannah dachte an Zales schönes Gesicht, die intelligenten Augen und den durchtrainierten Körper. Er war einfach umwerfend. Wie konnte Emmeline nichts für ihn empfinden? „Vielleicht verliebst du dich ja doch noch in ihn, wenn du erst einmal ein paar Tage mit ihm verbringst.“

„Hoffentlich nicht. Das würde alles nur noch komplizierter machen …“ Emmeline beendet den Satz nicht, sondern redete mit einem Mann, der im gleichen Zimmer war wie sie. Dann sprach sie wieder ins Telefon. „Ich habe gute Neuigkeiten. Ein Freund leiht mir seinen Privatjet, sodass ich morgen in Raguva sein kann. Sobald ich gelandet bin, schicke ich dir eine SMS. Wenn alles gut läuft, wird bis dahin niemand unser Spiel durchschauen.“

Wenn alles gut läuft, dachte Hannah und legte auf. Das Herz war ihr seltsam schwer.

2. KAPITEL

Hannah redete sich ein, froh zu sein, dass die alberne Maskerade am nächsten Morgen ein Ende haben würde und sie endlich abreisen könnte. Aber tief in ihrem Inneren war sie enttäuscht. Zale faszinierte sie.

Im Ankleidezimmer frischte sie ihr Make-up auf und rückte das Diadem zurecht. Dann ließ sie sich von einer der Hofdamen durch endlos erscheinende Flure und Säle in den großen Speisesaal führen.

Bei jedem Schritt raschelte ihr üppiger Rock. Als sie den Empire-Saal durchquerten, sah sich Hannah in dem großen Spiegel über dem marmornen Kamin.

Ihr Spiegelbild überraschte sie. War sie das wirklich? So elegant? Schillernd? Schön?

Sie traute ihren Augen kaum. Schön hatte sie sich eigentlich nie gefunden. Intelligent vielleicht. Fleißig auf jeden Fall. Aber ihr Vater hatte Schönheit nie einen Wert beigemessen und sie nie dazu ermuntert, sich hübsch zurechtzumachen. Doch in diesem Moment wollte sie nichts anderes sein als die schöne Frau im Spiegel.

Wie wäre es wohl, tatsächlich eine Prinzessin zu sein?

Würde sich ihr Leben ändern?

Die Hofdame blieb vor der imposanten Doppeltür stehen, die in den großen Speisesaal führte. „Wir werden hier auf Seine Majestät warten“, sagte sie.

Hannah freute sich schon auf das Wiedersehen. Dabei hätte sie so eigentlich nicht empfinden dürfen.

Plötzlich stand König Patek vor ihr, und die Luft schien elektrisch aufgeladen.

Hannah stockte der Atem. Nie zuvor hatte sie einen so starken und selbstbewussten Mann getroffen. Sie hob den Kopf und sah ihm in die bernsteinfarbenen Augen.

„Du siehst bezaubernd aus“, sagte er.

Sie neigte den Kopf. „Du ebenfalls.“

„Ich sehe bezaubernd aus?“

„Stattlich“, korrigierte sie sich selbst und errötete. „Königlich.“

Er hob eine Augenbraue, aber da in diesem Augenblick die Tür zum großen Speisesaal geöffnet wurde, blieb Hannah eine weitere Erklärung erspart.

„Oh!“ Hannah war vom Anblick der mittelalterlichen Pracht des riesigen Speisesaals überwältigt. Elfenbeinfarbene Kerzen steckten in Wandhalterungen, und kostbare silberne Kerzenleuchter waren in regelmäßigen Abständen auf der langen Tafel platziert. Links und rechts des Saals befanden sich steinerne Kamine, und prachtvolle Gobelins bedeckten die Wände. Die hohe, dunkle Holzdecke zierte ein üppiges Muster aus Blattgold.

„Sollen wir?“, fragte Zale und bot ihr seinen Arm an.

Sie sah zu ihm hoch, und ihr Herz tat einen kleinen Sprung. Das schöne Gesicht, die herrlichen Augen, dazu breite Schultern, schmale Taille, ein durchtrainierter Körper. Als wäre ein Traum Wirklichkeit geworden.

Wäre es so schlimm, wenn sie für eine weitere Nacht so tat, als wäre sie Prinzessin Emmeline? Morgen früh wäre sie auf dem Weg nach Hause und würde ihn nie wiedersehen. Warum also sollte sie den heutigen Abend nicht genießen?

Gemeinsam betraten sie den Speisesaal, wo die anderen Gäste bereits an der langen Tafel Platz genommen hatten.

Während sie zu den beiden freien Stühlen in der Mitte des Tisches gingen, spürte Hannah alle Augen auf sich ruhen. „Was für ein gigantischer Tisch“, raunte sie.

„Ursprünglich sollten einhundert Menschen an dieser Tafel Platz finden“, erklärte Zale. „Aber vor fünfhundert Jahren waren die Menschen entweder kleiner, oder die Enge hat ihnen nichts ausgemacht, denn heute Abend sind es nur achtzig Gäste.“

Diener in Uniform rückten Hannah und Zale die Stühle zurecht. Als sie saßen, beugte sich Zale zu ihr und flüsterte: „Und selbst bei achtzig Gästen wird es recht kuschelig.“

Kuschelig trifft es nicht ganz, dachte sie eine Stunde später. Ihr war unglaublich heiß. Das Kleid war für das Fünf-Gänge-Menü eindeutig zu eng. Außerdem beanspruchten Zales breite Schultern neben ihr jede Menge Platz.

Auch ohne ihn zu berühren, spürte sie den ganzen Abend die Energie, die von ihm ausging.

Und wann immer sie sich aus Versehen berührten – einmal stießen ihre Schultern zusammen, ein anderes Mal strichen ihre Oberschenkel gegeneinander –, drehte sich alles in Hannahs Kopf.

Sie war nervös. Angespannt. Verlegen. Hochempfindlich.

Sobald er den Kopf wandte und ihr in die Augen sah, bekam sie eine Gänsehaut. Ein Mann, der keine Hemmungen hatte, einer Frau lange in die Augen zu sehen, war ein sehr erotisches Erlebnis.

Als einer der Diener ihren Teller abräumte, erschrak Hannah und stieß durch eine abrupte Bewegung wieder mit Zale zusammen. Das Lächeln, das er ihr schenkte, ließ ihr Herz höher schlagen.

Dieser Mann war wie eine Naturgewalt, und sie war tatsächlich neidisch auf Emmeline.

Wie es wohl wäre, von einem Mann wie Zale geliebt zu werden?

Von einem Mann geliebt zu werden, der wusste, was er wollte …

Ihr stockte der Atem. Sie legte die Hände in den Schoß und spielte nervös an den kostbaren Perlen ihres Kleides und versuchte krampfhaft, an etwas anderes zu denken.

Zale wandte ihr erneut den Kopf zu. „Nicht jedes Dinner zieht sich so lange hin“, sagte er leise auf Englisch zu ihr. Den ganzen Abend über hatten sie französisch geredet, damit die anderen Gäste an ihrem Gespräch teilhaben konnten. Doch wann immer er das Wort direkt an sie wandte, sprach er englisch.

„Es macht mir nichts aus“, sagte sie. „Der Saal ist wunderschön, und ich habe einen sehr angenehmen Tischnachbarn.“

„Du bist ja auf einmal so charmant.“

„War ich das nicht immer?“

„Nein.“ Sein Mund verzog sich spöttisch. „Vor einem Jahr war dir meine Gegenwart alles andere als angenehm. Das war bei unserer Verlobungsfeier, bei der du mich den ganzen Abend gemieden hast.“ Seine Augen blieben ernst. „Dein Vater meinte, das läge an deiner Schüchternheit. Aber ich wusste, dass es einen anderen Grund hatte.“

„Und welchen?“

Er sah sie durchdringend an. „Ich wusste, dass du in einen anderen Mann verliebt warst und mich nur aus Pflichtgefühl heiraten wolltest.“

Das war wirklich nicht die Sorte Gespräch, die man bei einem formellen Abendessen führen sollte. Nervös fuhr Hannah mit der Hand über die Perlen ihres Kleides. „Vielleicht sollten wir später darüber sprechen …“

„Warum?“

„Hast du keine Angst, dass jemand unser Gespräch belauschen könnte?“

Er musterte sie noch durchdringender. „Ich habe eher Angst, dass ich keine ehrlichen Antworten bekommen könnte.“

Sie zuckte die Schultern. „Dann frag mich doch einfach. Das ist dein Palast. Das sind deine Gäste.“

„Und du bist meine Verlobte.“

Trotzig hob sie das Kinn. „Ja, das stimmt.“

Einen scheinbar endlosen Moment lang sah er sie an. „Wer bist du wirklich, Emmeline?“

„Wie bitte?“

„Du bist heute so anders. Es kommt mir fast vor, als würde ich neben einer ganz anderen Frau sitzen.“

„Was für eine seltsame Idee.“

„Aber du benimmst dich so anders. Du schaust mir in die Augen. Du hast eine eigene Meinung. Beinahe habe ich den Eindruck, dass du mir wirklich eine ehrliche Antwort geben würdest.“

„Dann finde es doch heraus.“

„Genau das meine ich. Vor einem Jahr hättest du so etwas niemals zu mir gesagt.“

„In zehn Tagen werden wir heiraten. Sollte ich da nicht offen zu dir sein?“

„Ja.“ Er dachte kurz nach. „Eine romantische Liebesgeschichte ist dir sehr wichtig, oder?“

„Natürlich! Dir etwa nicht?“

„Andere Dinge sind mir wichtiger. Familie. Loyalität. Integrität.“ Er sah ihr tief in die Augen, als wollte er sie zu einem Widerspruch reizen. „Und Treue.“

Verblüfft sah sie ihn an. „Aber gehören alle Eigenschaften nicht auch zur romantischen Liebe dazu? Wie kann man einen Menschen wahrhaft lieben, ohne ihm sein Herz, seinen Körper und seine Seele zu schenken?“

„Wenn du einen Mann liebst, dann würdest du ihn also niemals betrügen?“

„Niemals.“

„Und du würden deinerseits auch niemals einen Fehltritt verzeihen?“

„Auf gar keinen Fall.“

„Du hast also nicht vor, dir einen Liebhaber zuzulegen, nachdem wir verheiratet sind und du deine Pflicht erfüllt hast?“

Die Frage entsetzte Hannah. „Hältst du mich für diese Sorte Frau?“

„Ich halte dich für eine Frau, die man zu einer Hochzeit zwingt.“

Statt einer Antwort sah Hannah ihn nur fassungslos an.

Zale beugte sich noch weiter vor. „Ich denke, dass du um jeden Preis anderen Menschen gefallen willst.“

„Weil ich mich auf eine arrangierte Ehe einlasse?“

„Weil du dich auf diese Ehe einlässt. Aber: Kannst du in einer solchen Ehe wirklich glücklich werden?“

„Was ist mit dir?“

„Ich kann es. Ich bin diszipliniert. Außerdem bin ich zehn Jahre älter und verfüge über weit mehr Lebenserfahrung. Ich weiß, was ich will und was ich brauche.“

„Und zwar?“

„Wohlstand für mein Volk, Frieden für mein Land und Erben für meinen Thron.“

„Das ist alles? Frieden, Wohlstand und Kinder?“

„Ich bin eben realistisch. Ich weiß, dass ich vom Leben nicht allzu viel verlangen darf. Also stelle ich keine besonders hohen Ansprüche und greife nicht nach den Sternen.“

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Schließlich warst du der Fußballstar, der Raguva ins Finale der Weltmeisterschaft geführt hat. Ohne große Träume erreicht man so etwas doch nicht …“

„Das war vor dem Tod meiner Eltern. Heute denke ich zuerst an mein Land. Nichts ist wichtiger als meine Pflichten Raguva gegenüber.“

Der scharfe Tonfall ließ sie innerlich erzittern. Alles an ihm wirkte so männlich – der Schwung seiner Lippen, die markanten Wangen, das kantige Kinn.

„Und ich erwarte von dir den gleichen Einsatz“, fügte er hinzu. „Wenn wir verheiratet sind, darf es nie zu einer Scheidung kommen. Unsere Ehe muss für immer sein. Wenn du mir das nicht versprechen kannst, solltest du nicht hier sein.“

Mit einem Ruck schob Zale seinen Stuhl nach hinten, ergriff ihre Hand und stand auf. „Genug ernste Gespräche! Jetzt wollen wir deine Ankunft feiern. Wir sollten uns unter die Gäste mischen und den Abend genießen.“

Der Rest des Abends verging wie im Fluge. Jeder wollte mit König Zale und der glamourösen Prinzessin Emmeline sprechen.

Nachdem um halb elf die letzten Gäste gegangen waren, begleitete Zale die Prinzessin zu ihrer Suite im ersten Stock des Palasts.

Was für ein seltsamer Abend, dachte er. Mit gemischten Gefühlen hatte er Emmelines Ankunft entgegengesehen. Sie war nur hier, weil es die Pflicht erforderte. Raguva brauchte eine Königin, und er brauchte Thronerben. Wenn es allerdings nach ihm gegangen wäre, hätte er Emmeline niemals zur Ehefrau gewählt.

Natürlich kannte Zale seine eigenen Fehler – er arbeitete zu viel, war zu verbissen –, aber er war auch überaus treu ergeben.

Erst zu spät war ihm aufgefallen, dass Emmeline es mit der Treue nicht allzu ernst nahm.

Ihre Eltern hatten sie nicht verzogen. Im Gegenteil: Sie hatten so hohe Ansprüche an sie gestellt, dass sie diese niemals hatte erfüllen können. In den Augen der Welt war sie eine strahlende, selbstbewusste Prinzessin, aber ihr Vater hatte Zale gewarnt, dass sie gelegentlich unsicher und schwierig sein konnte.

Die Warnung von König William d’Arcy hatte ihn nachdenklich gestimmt. Schließlich brauchte er keine schwierige Ehefrau, geschweige denn eine unsichere Königin.

Aber sein verstorbener Vater hatte sich die Hochzeit so sehr gewünscht. In seinen Augen war Prinzessin Emmeline die perfekte Wahl für den Sohn gewesen, und obwohl er schon seit fünf Jahren tot war, nahm Zale den Wunsch seines Vaters ernst. Vielleicht würde Emmeline die ideale Frau für ihn werden, sobald sie sich in Raguva etwas eingelebt hatte.

Sie waren bei der Suite angekommen. „Der Tag war lang“, sagte er langsam. Insgeheim fragte er sich, ob er sie wirklich heiraten konnte, wenn er so starke Zweifel hegte.

Aber immerhin war sie nach Raguva gekommen. Und sie hatte sich den ganzen Abend über sehr gut benommen.

„In der Tat“, sagte sie.

„Morgen Abend wird es nicht ganz so förmlich zugehen. Nur ein kleines Abendessen zu zweit.“

Sie nickte und sah ihn an. In ihren blauen Augen lag ein Ausdruck, den er nicht deuten konnte. „Das wird sicher nett.“

Ihre Antwort verblüffte ihn. „Heißt das, es gefällt dir hier?“

Um ihre vollen Lippen spielte ein Lächeln. „Natürlich.“

Zale wusste nicht, wieso, aber mit einem Mal wirkte die schönste Prinzessin Europas so einsam und verletzlich, dass er die Hand auf ihre Schulter legte. Langsam ließ er seine Hand weiter nach unten wandern.

Als er sie an sich zog, kam sie ihm sofort entgegen. Er spürte ihre vollen, weichen Brüste. Langsam senkte er den Kopf und küsste sie.

Eigentlich hatte er ihr nur einen kurzen Gutenachtkuss geben wollen, aber als er spürte, wie ihre Lippen bebten, stieg Verlangen in ihm auf.

Er wollte sie besitzen, und so küsste er sie so intensiv, als gehörte sie ihm bereits.

Unter dem beharrlichen Druck seiner Lippen öffnete sie den Mund, und seine Zungenspitze berührte die weiche Innenseite ihrer Unterlippe. Instinktiv presste sie das Becken an ihn, bis er das Rauschen seines Blutes spürte und ihr zart in die Unterlippe biss. Vor Wonne erzitterte sie.

Gütiger Himmel, wie stark sie auf ihn ansprach. Ihr Körper bebte, als seine Hand die kecke Rundung ihres unteren Rückens streichelte. Ihre Brustwarzen richteten sich auf, das konnte er durch die dünne Seide ihres Kleides spüren.

Sie war so herrlich weich, ihre Rundungen waren so herrlich weiblich, und er wollte alles von ihr in Besitz nehmen. Sein Körper pochte vor Lust.

Gott, wie warm sie war und wie süß sie schmeckte! Am liebsten hätte er ihr das Kleid vom Leib gerissen, hätte ihren üppigen Körper vom Stoff befreit, um ihn ganz zu erforschen …

Plötzlich wurde ihm bewusst, was sie taten. Überall im Schloss waren Kameras versteckt, mit denen seine Leute alles überwachten.

Langsam zog er die Hand weg. Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen.

„Ich fürchte, wir haben meinem Wachpersonal eine schöne Show geliefert“, sagte er leise.

Röte schoss ihr in die Wangen. „Das tut mir leid.“

Mit einer Hand strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Mir tut es nicht leid. Gute Nacht, Hoheit.“

Sie sah ihn lange an. „Auf Wiedersehen.“ Damit drehte sie sich um und öffnete die Tür.

3. KAPITEL

Hannah trat ins Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Ihr Herz raste, ihr Körper zitterte.

Einen kurzen Moment musste sie sich an die Tür lehnen.

Sie hatte ihn geküsst. Wild, leidenschaftlich, als würde ihr Leben davon abhängen.

Wie sollte sie morgen bloß von hier fortgehen und ihn niemals wiedersehen?

Aber sie konnte nicht bleiben. Er wollte Prinzessin Emmeline, nicht Hannah Smith.

Der Gedanke gab ihr einen Stich. Wie konnte er Emmeline wollen, obwohl sich die Prinzessin nichts aus ihm machte? Sie hingegen machte sich schon jetzt viel zu viel aus ihm.

Wie hatte es bloß so weit kommen können? Sie hatte Zale erst heute kennengelernt und nur ein paar Stunden mit ihm verbracht. Viel zu wenig Zeit, um sich in jemanden zu verlieben.

Wie kam sie nur auf die Idee, ihn niemals vergessen zu können?

Ihre Augen brannten, ihr Hals schmerzte, und sie hasste sich selbst dafür, jemanden zu wollen, den sie nicht haben konnte.

„Euer Hoheit.“ Die Kammerzofe Celine kam atemlos aus dem Ankleidezimmer gelaufen. In der einen Hand hielt sie ein Nachthemd, in der anderen einen Morgenmantel. „Ich habe gar nicht gehört, dass Sie zurück sind. Habe ich Sie warten lassen?“

„Ich bin gerade erst gekommen“, sagte Hannah und zwang sich zu einem Lächeln. „Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir aus dem Kleid helfen würden.“

Als Emmeline gegangen war, versuchte Zale, sie sich aus dem Kopf zu schlagen und stattdessen an Tinny zu denken.

Auf dem Weg zu seiner Suite schaute er bei seinem kleinen Bruder vorbei, wie er es jeden Abend vor dem Zubettgehen tat.

Als er die Tür zu Tinnys Zimmer öffnete, sah er die kleine Lampe auf dem Bücherregal brennen.

Ohne Nachtlicht konnte Tinny nicht schlafen.

Ein warmes Gefühl für seinen geistig behinderten achtundzwanzigjährigen Bruder erfüllte ihn.

Constantine – oder Tinny, wie er in der Familie nur hieß – hätte eigentlich am Unglückstag mit im Flugzeug der Eltern sitzen sollen. Doch in letzter Minute hatte er die Eltern angefleht, gemeinsam mit Zale auf die kleine Privatinsel in der Karibik fliegen zu dürfen.

Auch nach fünf Jahren war Zale jeden Tag aufs Neue dankbar, dass sein kleiner Bruder nicht mit an Bord der Unglücksmaschine gewesen war. Tinny war jetzt alles, was ihm von seiner Familie geblieben war. Aber Tinny vermisste seine Eltern immer noch und fragte jeden Tag, wann sie endlich nach Hause kommen würden.

„Euer Majestät“, flüsterte eine Stimme aus der Dunkelheit. Es war Mrs. Sivka, Tinnys Pflegerin. „Es geht ihm gut. Er schläft ganz friedlich.“

„Es tut mir leid, dass ich zum Gutenachtsagen nicht hier war.“

„Er wusste ja, dass Sie nicht kommen würden. Beim Tee heute Nachmittag hatten Sie ihm doch gesagt, wie wichtig der Abend für Sie sein würde.“ Mrs. Sivka lächelte. „Wie war die Feier, Majestät? Ist sie so schön, wie behauptet wird?“

Ein seltsames Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. „Ja.“

„Tinny kann es kaum erwarten, sie kennenzulernen. Er hat den ganzen Abend von nichts anderem geredet.“

„Ich werde sie ihm so bald wie möglich vorstellen.“

„Morgen?“

Zale dachte an Emmeline, dann an seinen Bruder und wusste sofort, dass der unschuldige, gutgläubige Tinny sie sofort abgöttisch lieben würde. Damit würde sie Macht gewinnen, ihm das Herz zu brechen. „Nein, morgen noch nicht. Aber bald, das verspreche ich.“

„Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden Sie Prinz Constantine Ihre Braut schon vorstellen“, sagte Mrs. Sivka lächelnd. „Ich bin stolz auf Sie. Und Ihre Eltern wären es ebenfalls.“

„Etwas anderes dürfen Sie auch nicht sagen“, zog er sie auf. „Schließlich waren Sie früher mein Kindermädchen.“

„Und sehen Sie, was aus Ihnen geworden ist.“

Er lächelte. „Gute Nacht, Mrs. Sivka.“

„Gute Nacht, Euer Majestät.“

Nachdem Zale die Suite seines Bruders verlassen hatte, machte sich Beklommenheit in seiner Brust breit.

Am heutigen Abend hatte er eine Achterbahnfahrt der Gefühle durchlebt. Das gefiel ihm nicht.

Normalerweise ließ er Gefühle nicht zu. Doch Emmeline hatte ihn seltsam berührt. Sie war ganz anders, als er sie in Erinnerung hatte. Da war nichts mehr von der eiskalten Prinzessin. Nein, heute Abend hatte sie seine Gefühle gehörig auf den Kopf gestellt.

Dabei hatten Gefühle in ihrer Beziehung nichts zu suchen. Schließlich ließen sie sich auf eine arrangierte Ehe ein, die bis ins Detail in einem fünfundsiebzigseitigen Ehevertrag festgelegt war, den sie morgen unterzeichnen würden.

Ganz gleich, wie sehr er sie auch begehrte, er durfte nie vergessen, dass ihre Beziehung in erster Linie finanzieller Natur war.

Zum Glück besaß Zale eiserne Disziplin. Dabei war er als mittlerer von drei Söhnen eigentlich keinem Druck ausgesetzt gewesen. Niemand war mit besonders hohen Erwartungen an ihn herangetreten. Aber Zale selbst hatte große Erwartungen in sich gesetzt. Schon in ganz jungen Jahren war er entschlossen gewesen, seinen eigenen Platz in der Welt zu finden. Und während sein älterer Bruder Stephen, der Kronprinz von Raguva, in die Amtsgeschäfte der Monarchie eingeführt worden war, hatte Zale sich mit Feuereifer in den Sport gestürzt.

Sein älterer Bruder hätte eines Tages König werden sollen, Zale wollte Profifußballer werden.

Zale war sechzehn Jahre alt gewesen und hatte in einem Internat in England gelebt, als bei dem neunzehnjährigen Stephen, der in Oxford studierte, Leukämie festgestellt wurde.

Drei Jahre lang kämpfte Stephen entschlossen gegen die Krankheit an. Drei Jahre lang gab er die Hoffnung nicht auf, dass die kräftezehrende Strahlentherapie den Blutkrebs besiegen würde.

Zale fühlte sich hilflos. Er konnte nichts tun, weder für Stephen noch für seine Eltern. Also trieb er noch mehr Sport. Das Training, das er sich selbst auferlegte, war hart: Laufen, Liegestütze, Gewichte stemmen. Und das drei bis vier Stunden täglich. Jeden Tag ging er bis an seine Grenzen. Stephen kämpfte um sein Leben, da konnte er ebenfalls alles geben.

Nach Abschluss der Schule folgte er seinem Bruder nach Oxford. Auf Anhieb schaffte er es in die erste Mannschaft des Fußballklubs der Universität, und schon im darauf folgenden Jahr führte er das Team zur Meisterschaft.

Beim letzten und wichtigsten Spiel der Saison war Stephen dabei. Er hatte darauf bestanden, und der König von Raguva selbst schob den schwachen Sohn in einem Rollstuhl ins Stadion. Während des Spiels jubelte niemand lauter als Stephen.

Eine Woche nach dem Spiel starb Stephen. Zale gab sich selbst die Schuld an seinem Tod. Der Tag im Stadion war zu anstrengend für den Bruder gewesen. Er hätte nicht kommen dürfen.

An das Abschlussjahr in Oxford konnte Zale sich nicht erinnern, alles verschwamm in einem Nebel der Trauer. Nur auf dem Spielfeld hatte er das Gefühl, er selbst zu sein. Nach Beendigung seines Studiums wollten ihn gleich vier große Fußballvereine unter Vertrag nehmen.

Am Ende unterschrieb er bei einem Verein der ersten spanischen Liga, obgleich seine Eltern dagegen waren. Sie hatten ihn gebeten, nach Raguva zurückzukehren – schließlich war er jetzt der Kronprinz. Aber Zale wollte nicht König werden. Er lebte nur für den Fußball.

Fußball, wiederholte er in Gedanken, als er die königliche Suite betrat.

Sein Kammerdiener wartete im Ankleideraum auf ihn.

„Hatten Sie einen schönen Abend, Euer Majestät?“, fragte der Diener, als er ihm aus der Jacke half.

„Ja, danke der Nachfrage“, erwiderte Zale, während er die Weste aufknöpfte.

Nein, er hatte nicht König werden wollen. Aber nachdem seine Eltern mit dem Flugzeug abgestürzt waren, war er sofort nach Hause gekommen, um seine Pflicht zu erfüllen.

Er wollte ein guter König sein.

Das war er seinem Volk, seinen Eltern und nicht zuletzt Stephen schuldig.

In dieser Nacht schlief Hannah unruhig. Sie träumte von Zale, träumte davon, dass sie Emmeline fand, nur um sie kurz darauf wieder zu verlieren.

Immer wieder wachte sie auf und sah auf die Uhr, schließlich musste sie zeitig zum Flughafen. Um drei Uhr stand sie auf, zog die Gardinen zurück und sah gedankenverloren in den Nachthimmel. Dann legte sie sich wieder hin.

Als der Morgen dämmerte, beobachtete sie vom Bett aus, wie sich das Licht allmählich golden färbte.

Ein schöner Tag stand bevor. Keine Wolke war in Sicht. Hannah ging zum Fenster und bewunderte den Ausblick. Die zerklüfteten Berge. Die weiß verputzten Häuser. Die roten Dachziegel. Das Glitzern der Sonne auf dem Meer.

Die Hauptstadt Raguvas sah aus, als stammte sie aus einem Märchen.

Sie spürte einen Schmerz in ihrem Herzen und drehte sich weg.

Heute wollte sie weder fühlen noch denken. Sie wollte sich nicht an den letzten Abend erinnern und keine Gewissensbisse wegen des Kusses verspüren.

Heute würde sie nach Hause fliegen, zurück zu ihrer Arbeit, ihrem eigenen Leben.

Einen Fluchtplan hatte sie sich bereits zurechtgelegt: Am Morgen wollte sie sich von dem Chauffeur zu den teuren Boutiquen der Stadt fahren lassen. Vor einem Schaufenster wollte sie auf Emmelines Anruf warten. Dann würde sie sich auf den Weg zum Flughafen machen, wo sie mit der Prinzessin auf der Damentoilette die Kleider tauschen würde. Fertig.

Nach dem Duschen schlüpfte Hannah eilig in ein pflaumenfarbenes Kleid mit Raglanärmelchen und strassbesticktem Ausschnitt. Das Haar flocht sie zu einem französischen Zopf und wählte als einzigen Schmuck ein paar goldene Ohrringe. Je weniger sie später mit Emmeline tauschen musste, desto besser.

Nachdem sie angezogen war, blieb Hannah nichts anderes übrig, als zu warten. Sie ließ sich Kaffee und Croissants zum Frühstück bringen.

Zwei Stunden vergingen, kein Anruf von Emmeline. Um neun Uhr betrat Lady Andrea das Zimmer, um mit ihr den Tagesablauf durchzugehen.

„Heute stehen jede Menge Termine an“, sagte Lady Andrea, nachdem sie im Wohnzimmer der Suite Platz genommen und ihren Terminkalender aufgeschlagen hatte. „Um zehn Uhr haben Sie einen Termin mit Seiner Majestät und den Anwälten, um elf Uhr kommen die Friseurin und die Stylistin, um sie für den Termin mit dem Maler zurechtzumachen. Danach sitzen Sie dem Maler Modell für das offizielle Porträtbild. Abends findet ein privates Dinner mit Seiner Majestät statt.“

Lady Andrea holte tief Luft: „Noch Fragen?“

„Was ist der Zweck des Treffens mit Seiner Majestät und den Anwälten?“

Lady Andrea klappte den Terminkalender zu. „Sie müssen den Vertrag unterzeichnen.“

„Was für einen Vertrag?“

„Den Ehevertrag. Darin werden die Regelungen zur Gütertrennung oder zum Sorgerecht festgehalten für den Fall, dass es zu einer Auflösung der Ehe kommen sollte.“

Panik machte sich in Hannah breit. Natürlich würden Zale und Emmeline einen Ehevertrag aufsetzen, aber sie konnte doch nicht in Emmelines Namen unterschreiben.

Zum Glück war Emmeline bereits auf dem Weg. Das Problem war nur, dass Hannah nicht wusste, wann sie ankommen würde.

Verstohlen sah sie auf die Uhr. Es war bereits zwanzig nach neun, in vierzig Minuten sollte das Treffen mit den Anwälten stattfinden. Unter gar keinen Umständen konnte Emmeline es rechtzeitig schaffen.

Sie musste dafür sorgen, dass das Treffen verschoben wurde.

„Können Sie Seiner Majestät ausrichten, dass ich das Treffen gern auf heute Nachmittag oder besser morgen Vormittag vertagen würde?“, sagte Hannah. „Ich würde die Dokumente gern eingehend prüfen, bevor ich sie unterschreibe.“

Lady Andrea zögerte einen Moment, bevor sie nickte. „Aber natürlich. Ich werde sofort den Sekretär Seiner Majestät benachrichtigen, damit er das Treffen verschiebt. Außerdem soll er Ihnen unverzüglich eine Kopie des Dokuments zukommen lassen.“

Sobald Lady Andrea gegangen war, sah Hannah auf ihr Handy. Keine Nachricht von Emmeline.

Wo blieb die Prinzessin?

Nervös tippte Hannah eine SMS: Wann kommst du?

Mit dem Handy in der Hand lief sie durchs Zimmer. Fünf, zehn, zwanzig Minuten – keine Antwort von Emmeline.

Lady Andrea kehrte zurück. „Euer Hoheit, Seine Majestät sagt, er könne den Termin nicht verschieben. Ich soll Sie daran erinnern, dass Sie dem Wortlaut des Vertrags bereits vor zwei Wochen zugestimmt haben …“

„Ja, aber ich fühle mich heute nicht wohl genug, um einen Vertrag zu unterschreiben“, unterbrach sie Hannah. „Sagen Sie Seiner Majestät, dass es mir leidtut …“ In diesem Moment, meldete ihr Handy, dass eine SMS eingetroffen war. Sie sah aufs Display – Emmeline.

Gott sei Dank! Bestimmt war sie gerade gelandet. Alles würde gut ausgehen.

Zu Lady Andrea gewandt sagte sie: „Bitte fragen Sie doch, ob wir den Termin nach dem Mittagessen abhalten können. Bestimmt sind meine Kopfschmerzen bis dahin vorüber.“

Sie wartete noch nicht einmal ab, bis sich die Tür hinter Lady Andrea geschlossen hatte, sondern rief sofort die Nachricht ab.

Kein Platz in geplanter Maschine frei …

Nein, das durfte nicht wahr sein! Emmeline hatte Florida noch nicht einmal verlassen?

Verzweifelt las Hannah den Rest der Nachricht. Stehe auf Warteliste für nächsten Flug. Kein Grund zur Panik. Bis bald. Emme.

Kein Grund zur Panik? Wie sollte sie nicht in Panik geraten?

Hannah war so aufgewühlt, dass sie weder hörte, wie es an der Tür klopfte, noch, wie diese geöffnet wurde.

Erst als sie einen herben Duft wahrnahm und sie ein wohliger Schauer überkam, wusste sie, dass sie nicht allein war.

Sie hob den Kopf, die Finger noch über der Tastatur des Handys.

Zale.

Und er war wütend.

„Was ist passiert?“, fragte sie und wich einen Schritt zurück.

„Was soll das Ganze?“ Gebieterisch stand er vor ihr. Seine bernsteinfarbenen Augen bohrten sich förmlich in die ihren.

Nervös sog sie die Luft ein, sein Auftritt nahm ihr den Atem. Zale Patek war nicht nur in ihr Zimmer getreten, er hatte es in Besitz genommen, hatte sie in Besitz genommen.

War dies derselbe Mann, dessen Küsse ihr gestern Nacht beinahe den Verstand geraubt hatten?

„I…ich verstehe nicht ganz“, stammelte sie und wich noch einen Schritt zurück.

Zale kam auf sie zu. „Erklär mir sofort, warum du den Termin abgesagt hast.“ Sein Tonfall war schneidend.

„Ich habe schreckliche … Kopfschmerzen.“

„Ich bin mir sicher, dass du dich für eine halbe Stunde zusammenreißen kannst.“

„Die Kopfschmerzen sind so schlimm, dass die Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen.“

„Dann lese ich dir den Vertrag vor.“

Sein Sarkasmus verletzte sie. „Wir können doch später …“

„Nein.“

„Warum nicht?“

Er legte den Kopf in den Nacken und musterte sie. Sein kurzes, welliges Haar war dunkel, fast schwarz. Die Farbe seiner Augen war eine Mischung aus Braun und Gold. Er trug einen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd, das am Kragen offen stand. Sein Hals hatte den gleichen Bronzeton wie sein Gesicht. Sie stellte sich vor, wie sein durchtrainierter Körper in der Sonne glänzte …

„Weil die Anwälte hier sind und der Vertrag zur Unterschrift bereitliegt.“

„Obwohl es mir nicht gut geht?“

Sein Gesicht verfinsterte sich. „Ich hätte wissen müssen, dass die Spielchen nicht vorüber sind.“

Ihre Hände verkrampften sich. „Ich treibe keine Spielchen …“

„Willst du wieder einmal den Preis in die Höhe treiben? Willst du jetzt zehn Millionen pro Kind?“

„Das ist doch absurd!“

„Absurd? Das ist einfach deine Art, Emmeline …“

„Du irrst dich. Ich will den Vertrag nicht ändern, sondern nur den Termin verschieben, damit ich eine Tablette nehmen und mich ein bisschen ausruhen kann.“

„Ist das wahr?“ Seine Stimme klang spöttisch.

Ihr fiel ein, wie er sie in diesem Moment sehen musste: in einem edlen pflaumenfarbenen Kleid, mit teuren Designerschuhen. Sie hatte sich schick gemacht, weil sie wie eine echte Prinzessin aussehen wollte, wenn sie den Palast verließ.

„Ja“, antwortete sie und hob trotzig das Kinn. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass ein Mann sich immer wie ein Gentleman zu benehmen hatte und eine Frau höflich und respektvoll behandeln musste. Und Zale Patek behandelte sie ganz gewiss nicht respektvoll. „Wenn du mir nicht glaubst, kannst du gern einen Arzt rufen.“

„Das ist nicht nötig“, antwortete er steif.

„Ich halte es aber für nötig. Schließlich zweifelst du an meiner Aufrichtigkeit.“

„Das tue ich nicht.“

„Oh, doch. Und du benimmst dich sehr unhöflich. Nur wegen eines Ehevertrags?“

„Dein Vater war es doch, der auf den Ehevertrag bestanden hat. Das kannst du mir nicht ankreiden.“

Hannah erbleichte. Emmelines Vater hatte die Idee mit dem Ehevertrag gehabt? Was für ein Vater mochte dieser König William von Brabant nur sein?

„Die fünf Anwälte sind nur deinetwegen angereist“, erklärte er. „Und nun soll ich ihnen sagen, dass sie bis morgen Däumchen drehen sollen?“

Er war im Recht. Aber sollte sie Emmelines Unterschrift fälschen? Unmöglich. „Ja“, sagte sie fest. „Genau das musst du tun, wenn deine zukünftige Königin krank ist und nicht zu einem Termin kommen kann.“

Ein Muskel zitterte in seinem Gesicht. „Ich bitte um Verzeihung, Hoheit“, brachte er unter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich wollte nicht gefühllos erscheinen. Deine Gesundheit geht natürlich vor.“

Er nickte kurz und verließ das Zimmer.

4. KAPITEL

Nachdem Zale gegangen war, sank Hannah auf einen Stuhl. Die unerfreuliche Begegnung mit ihm hatte sie sehr mitgenommen.

Warum regte es ihn so sehr auf, dass sie den Termin verschieben wollte? Sie hatte nicht gesagt, dass sie den Vertrag nicht unterschreiben wollte, und auch keine Änderungen verlangt. Sie hatte ihn lediglich um mehr Zeit gebeten. Offensichtlich wollte er ihr keine Zeit geben.

Plötzlich fiel ihr wieder ein, was er zu ihr gesagt hatte: Ich hätte wissen müssen, dass die Spielchen nicht vorüber sind.

Dann hatte er behauptet, sie wolle den Preis in die Höhe treiben, weil das ihre Art sei.

Ihre Art?

Er war es doch gewesen, der wutschnaubend in ihr Zimmer gekommen war und sie mit Hohn und Spott bedacht hatte.

Ich wollte nicht gefühllos erscheinen. Deine Gesundheit geht natürlich vor.

Lügner! Kein Wort hatte er ernst gemeint. Er war absichtlich gemein zu ihr gewesen, ohne sich um ihre Gesundheit zu scheren.

Für wen hielt er sich eigentlich, dass er eine Frau so behandelte?

Zornig sprang Hannah auf und lief ihm hinterher. Er war bereits auf der großen Freitreppe angekommen. „Ich muss mit dir reden“, rief sie völlig außer Atem und blieb auf dem oberen Absatz der Treppe stehen.

Er drehte sich langsam zu ihr um und sah sie spöttisch an. „Deinem Kopf scheint es ja schon viel besser zu gehen.“

„Nein“, erwiderte sie. „Aber ich erwarte eine Entschuldigung. Du warst sehr unhöflich.“

Ich war unhöflich?“

„Und gemein. Du solltest dich schämen!“

Seine Augen funkelten zornig. „Ich sollte mich schämen? Dabei bist du doch diejenige, die sich trotz unserer Verlobung mit einem anderen trifft …“

„Was fällt dir ein!“

„Spar dir deine Show. Ich weiß genau, warum du in Palm Beach warst …“

„Ich war bei einem Poloturnier für einen guten Zweck …“

„Was für eine Schauspielerin du doch bist!“ Er kam geschmeidig wie ein Raubtier auf sie zu. Ihr Puls ging schneller. „Ein Poloturnier für einen guten Zweck. Dass ich nicht lache!“

„Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst.“

„Bitte erspar uns das Theater“, sagte Zale, als er bei ihr anlangte. Seine Größe und Präsenz waren überwältigend. Hannah musste sich beinahe auf Zehenspitzen stellen, um ihm ins Gesicht zu sehen.

„Was meinst du damit?“, fragte sie mit fester Stimme, obgleich sie innerlich zitterte.

„Emmeline, ich weiß, warum du in Palm Beach warst. Ich weiß, dass du jede freie Minute mit ihm verbringst.“

Ungläubig hielt Hannah die Luft an. Das konnte nicht sein … Emmeline konnte sich unmöglich mit einem anderen Mann treffen, wenn sie mit König Patek verlobt war! Oder?

„Nein“, flüsterte sie. „Das stimmt nicht.“

„Mach die Sache nicht noch schlimmer. Es reicht doch, dass du dich während unserer Verlobungszeit mit ihm getroffen hast. Tisch mir jetzt nicht auch noch Lügengeschichten auf. Gute Freunde haben mich angerufen und mir alles erzählt.“

„Was für Freunde?“, entgegnete sie leise.

„Ist es nicht egal, wer es mir erzählt hat? Es entspricht doch der Wahrheit, dass du jede freie Sekunde mit Alejandro verbracht hast. Ich war mir nicht einmal sicher, ob du überhaupt ins Flugzeug steigen und herkommen würdest.“

Betroffen blickte Hannah auf ihre Hände.

Hatte Emmeline nur mit ihr die Rollen tauschen wollen, um mehr Zeit mit ihrem Liebhaber zu verbringen? Das konnte nicht sein …

Hannah schüttelte den Kopf. Hätte sie doch niemals mit dieser Maskerade angefangen! Sie hatte es für einen harmlosen Scherz gehalten, für ein paar Stunden in Emmelines Rolle zu schlüpfen. Dabei stand so viel auf dem Spiel.

Länder. Königreiche.

Die Selbstachtung dieses Mannes.

Sie spürte ein Brennen in den Augen und schaute weg. „Es tut mir leid“, sagte sie, obwohl ihre Entschuldigung an der Situation nichts ändern würde. Emmeline war nicht da. Hannah tat, als wäre sie ein anderer Mensch. Zale Patek wurde zum Narren gehalten.

Ihr Vater würde sich für sie schämen. Er hatte sie dazu erzogen, stark, unabhängig und ehrlich zu sein.

Dabei war sie im Moment alles andere als ehrlich.

„Aber du bist gekommen“, unterbrach er das Schweigen. „Nur: Wirst du auch bleiben, oder wartest du nur auf eine Gelegenheit, wieder wegzulaufen?“

Sie schwieg – was hätte sie antworten sollen?

Dabei sagte ihr Herz, dass jetzt die Gelegenheit wäre, ihm alles zu erzählen.

Doch dann drehte er sich um und ging die Treppe hinunter.

Zale brauchte dringend frische Luft.

Er bog in den Gang ein, der zu seinem Lieblingsflügel führte. Der alte Wehrturm war schon vor tausend Jahren errichtet worden, auf seiner Brüstung hatten Soldaten einst Wache geschoben.

Als Junge war dies sein Lieblingsversteck gewesen; weder seine Brüder noch seine Eltern hatten ihn dort jemals gefunden.

Nur auf der Turmspitze genoss er ein Gefühl von Freiheit.

Zale spazierte die Brüstung entlang, von der aus man einen herrlichen Blick auf die mittelalterliche Stadt, die grüne Hügelkette und das blaue Meer hatte.

Vorhin hatte er die Nerven verloren. Das war ihm seit Jahren nicht mehr passiert.

Natürlich hatte er schon vor Emmelines Ankunft gewusst, dass es Schwierigkeiten geben würde. Doch nun brachte ihre Anwesenheit ihn völlig durcheinander.

Wie konnte eine Frau nur so viele Gesichter haben?

Er versuchte, sich an die Prinzessin zu erinnern, die er vor einem Jahr auf der Verlobungsfeier kennengelernt hatte. Zwar hatte sie sich äußerlich nicht verändert, aber sonst war alles anders.

Ihr Gesichtsausdruck.

Ihr Benehmen.

Ihr Tonfall.

Wer war die wahre Emmeline? Die reservierte, eiskalte Frau, die ihn an eine Marmorstatue erinnert hatte? Oder diese warmherzige Frau, die leicht errötete und auf seinen Kuss so leidenschaftlich reagiert hatte?

Er war als König für die Zukunft seines Landes verantwortlich und brauchte die richtige Prinzessin an seiner Seite.

So schön Emmeline auch war, sie schien nicht die Richtige zu sein.

In erster Linie brauchte er keine leidenschaftliche, sondern eine charakterlich starke Königin.

Die Emmeline von vorhin mochte stark gewirkt haben, aber war das echt oder gespielt?

Er musste es herausfinden. Je eher, desto besser. Und wenn sie nicht die Richtige war, musste er die Verlobung unverzüglich auflösen.

Hannah war in ihre Suite zurückgegangen. Ihr war hundeelend zumute.

Sie hätte Zale alles erzählen, ihn um Verzeihung bitten und sofort nach Hause fliegen sollen. Aber sie hatte es nicht getan, sondern ihn in dem Glauben gelassen, dass alles gut werden würde.

Hannah lief unruhig auf und ab, als Lady Andrea anklopfte und ins Zimmer trat. „Die Friseurin und die Stylistin sind da, um Sie für die Porträtsitzung zurechtzumachen.“

„Sagen Sie ihnen, sie sollen hereinkommen.“

Geschlagene zwei Stunden später saß Hannah immer noch vor dem Spiegel des Ankleidezimmers und schaute zu, wie die Stylistin Camille ihr widerspenstiges Haar mit Spray in Form brachte.

„Bitte färben Sie Ihre Haare nicht noch einmal selbst“, sagte Camille und klopfte ihr auf die Schulter. „Nächstes Mal fragen Sie mich, versprochen?“

„Versprochen.“ In diesem Moment hätte Hannah alles versprochen, nur damit diese Marathonsitzung vorüber wäre.

Teresa, die persönliche Make-up-Künstlerin von Emmeline, hatte zuvor bereits eine halbe Ewigkeit damit zugebracht, Hannah zu schminken. Als Camille fertig war, trat sie einen Schritt vor, um noch einen Hauch Goldschimmer auf Hannahs zartrosa geschminkten Lippen aufzutragen.

„Perfekt!“ Teresa nickte anerkennend, als sie mit Camille zusammen ihr Werk begutachtete. „Was meinen Sie, Euer Hoheit? Sollen wir noch etwas ändern?“

Hannah schaute in den Spiegel. Ihr Haar glänzte wie Gold, die schwarz getuschten Wimpern betonten das Blau ihrer Augen. Ihre golden-rosigen Lippen wirkten sehr voll. In der sandfarbenen Designerrobe mit dem tiefen V-Ausschnitt und den langen Ärmeln sah sie ungewohnt elegant aus.

„Nein, danke“, antwortete Hannah, erstaunt darüber, wie sehr sie der echten Prinzessin ähnelte.

Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geglaubt, dass sie Zwillingsschwestern wären. „Ich sehe so … so …“ Sie suchte nach dem richtigen Wort.

„So umwerfend aus“, beendete eine tiefe Stimme von der Tür her den Satz.

Sie vergrub ihre Finger in der Lehne des Stuhls, als sie Zale im Spiegel erblickte. Er schien nicht länger wütend zu sein, sondern eher traurig.

Zu den beiden Stylistinnen gewandt sagt er: „Wir würden gern unter vier Augen sprechen.“

Hannah schluckte, als die beiden das Zimmer verließen und die Tür hinter sich schlossen. Jetzt waren sie allein.

„Ich habe mich heute Morgen nicht richtig verhalten“, begann er.

Damit hatte Hannah nicht gerechnet. „Ich vermute, dass du noch nie einen Termin wegen Kopfschmerzen abgesagt hast.“

„Niemals.“

Natürlich – er war es gewohnt, Schmerzen zu ertragen und Opfer zu bringen. „Ich verstehe ja, warum du vorhin so wütend warst“, begann sie vorsichtig. „Heute Morgen habe ich dich allerdings nur für einen Rüpel gehalten.“

„Einen Rüpel?“ Für einen Moment sah er sie erstaunt an, dann schenkte er ihr ein sexy Lächeln. „Haben wir einen Fehler gemacht, Emmeline?“

Die Frage traf sie unvorbereitet. „Wie bitte?“

„Ich frage mich, ob wir etwas erzwingen wollen, was wir nicht erzwingen können.“ Erklärend fügte er hinzu: „Mit uns beiden ist es nie einfach gewesen. Ich weiß genau, warum ich diese Hochzeit will. Aber warum hast du dich überhaupt dazu bereit erklärt? Es gibt bestimmt ein Dutzend Fürsten und Könige, die dich vom Fleck weg heiraten würden …“

„Aber ich habe mich für dich entschieden“, unterbrach sie ihn sanft. Selbst wenn Emmeline ihn vielleicht nicht liebte, so hatte sie seinen Heiratsantrag doch angenommen. Offenbar wollte sie Königin von Raguva werden.

„Warum?“

„Aus den gleichen Gründen, warum du dich für mich entschieden hast: Unsere Familien sind dafür, unsere Länder werden enger zusammenwachsen, unsere Nachkommen in Frieden leben …“

Er rieb sich mit der Hand übers Kinn. „Ich wünschte, ich könnte dir glauben.“

„Was spricht dagegen?“

„Dein Verhalten im letzten Jahr. Die heimlichen Treffen mit deinem argentinischen Freund. Die ewigen Verhandlungen zum Ehevertrag. Deine Weigerung, Zeit mit mir zu verbringen. Jeder einzelne Grund ist schon schlimm genug, zusammen sind sie untragbar. Ich wäre ein Narr, wenn ich dir vertrauen würde.“

„Du wärst ein noch größerer Narr, wenn du mich wegschicken würdest.“

„Was soll das heißen?“

„Die Wirtschaft in deinem Land hat in den letzten Jahren gelitten, aber du hast große Pläne.“ Hannah hatte im Internet gelesen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen ihre Hochzeit für Raguva haben würde. „Seit der Ankündigung unserer Hochzeit ist die Weltöffentlichkeit auf Raguva aufmerksam geworden. Allein die Fernsehübertragungsrechte für die Zeremonie werden Millionen in die Staatskasse spülen. Und die malerische Küste könnte Italien als Touristenziel den Rang ablaufen.“ Sie holte tief Luft. „Willst du das alles aus einer Laune heraus aufs Spiel setzen?“

„Ich handle nicht aus einer Laune heraus, sondern frage mich schon länger, ob du dich als Königin eignest.“

„Warum hast du dann so lange gezögert? Die Hochzeit findet bereits in neun Tagen statt.“

Er überlegte kurz, bevor er antwortete: „Ich mag selbstbewusste Frauen, aber du hast das Maß überschritten. Seit Monaten triffst du dich ungeniert mit deinem Freund. Jetzt soll ich so tun, als sei nichts geschehen, und dich trotzdem heiraten?“

Hitze stieg ihr ins Gesicht. „Ich habe keinen Freund.“

„Emmeline, ich weiß alles über Alejandro. Ihr seid schon seit Jahren zusammen.“

„Das war, bevor wir uns verlobt haben.“

Er bedachte sie mit einem eiskalten Blick. „Wie kam es dann zu den Fotos von euch beiden beim Poloturnier in Palm Beach?“

„Das war nur eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Ich bin nicht mehr mit ihm zusammen, sondern mit dir verlobt. Und jetzt bin ich hier.“

„Du bist nur körperlich anwesend, in Gedanken aber ganz woanders.“

„Wie kannst du so etwas behaupten?“, erwiderte sie. Unter gar keinen Umständen durfte Zale die Verlobung jetzt lösen. Wenn er die Hochzeit absagen wollte, musste er das mit Emmeline ausmachen, nicht mit ihr.

Sie schüttelte den Kopf. „Du gibst mir wirklich keine Chance.“

„Das habe ich – ein ganzes Jahr lang!“

„Aber ich bin schließlich hergekommen. Das Spiel hat gerade erst begonnen, aber schon jetzt willst du den Ball nehmen und das Spielfeld verlassen. Bis zur Hochzeit sind es noch neun Tage. Mein Vorschlag: Wir nutzen die verbleibende Zeit, um uns besser kennenzulernen. Wenn wir miteinander auskommen, findet die Hochzeit statt, wenn nicht, trennen wir uns in aller Freundschaft.“

„Das klingt vernünftig. Allerdings können wir nicht erst die ganze Welt anreisen lassen und dann die Verlobung kurz vor der Hochzeit platzen lassen. Vier Tage müssen genügen. Wenn ich nach vier Tagen immer noch nicht zufrieden bin, sagen wir die Hochzeit ab. Ohne weitere Verhandlungen. Einverstanden?“

Entschlossen hob sie das Kinn. „Einverstanden. Aber du solltest wissen, dass ich ein starker Gegner bin und unbedingt gewinnen will.“

5. KAPITEL

Zale war kaum aus dem Zimmer getreten, als Hannah zu ihrem Handy griff und Emmeline anrief.

Der Anruf wurde auf die Mailbox umgeleitet.

„Du musst sofort nach Raguva kommen. Zale will die Hochzeit absagen.“ Hannah hatte gerade aufgelegt, als Lady Andrea anklopfte.

„Euer Hoheit. Der Künstler, der Ihr Porträt malen soll, ist eingetroffen.“

Hannah brachte das Handy in ihr Schlafzimmer und folgte Lady Andrea in den Salon der Königin, wo der Maler bereits seine Leinwand aufgestellt hatte.

Für die folgenden zwei Stunden saß Hannah Modell. Lady Andrea, Camille und Teresa warteten geduldig. Ab und an sprangen die Visagistinnen auf, um eine widerspenstige Haarsträhne zurückzustreichen oder etwas Puder aufzutragen.

Hannah saß die ganze Zeit über regungslos da, obwohl es in ihrem Innern kochte.

Ob Emmeline den Flug absichtlich hinauszögerte, um noch ein paar Stunden mit ihrem Liebhaber zu verbringen?

Hannahs Hände verkrampften sich in ihrem Schoß. Emmeline konnte doch nicht so selbstsüchtig sein …

„Sollen wir eine Pause machen?“, schlug der Maler vor. „Euer Hoheit sieht ein bisschen angespannt aus.“

Hannah nickte, eilte in ihr Zimmer und rief sofort wieder bei Emmeline an.

Dieses Mal nahm die Prinzessin ab. „Ich habe deine Nachricht nicht verstanden. Der Empfang war so schlecht …“, erklärte sie.

„Machst du Urlaub mit Alejandro?“, unterbrach Hannah sie.

Emmeline atmete hörbar aus. „W…woher weißt du das?“

„Von Zale. Er ist darüber alles andere als glücklich. Du musst herkommen. Noch heute. Du musst die Geschichte ins Reine bringen, bevor es zu spät ist.“

„Du weißt doch, dass ich mich bemühe …“

„Ehrlich gesagt habe ich nicht den Eindruck. Hier geht es drunter und drüber. Zale will die Verlobung lösen, weil er befürchtet, dass du nicht zu ihm passt.“

„Wie kann er das beurteilen? Er kennt mich doch gar nicht!“

„Eben. Wenn du die Hochzeit retten willst, musst du sofort herkommen. Er gibt uns – ich meine natürlich dir – vier Tage Zeit, um zu beweisen, dass du die Richtige bist.“

„Ich kann frühestens morgen Vormittag da sein. Also liegt es nun an dir, ihn von der Hochzeit zu überzeugen. Wenn du ihn umstimmst, hast du bei mir einen Wunsch frei. Sag mir einfach, was ich für dich tun kann.“

„Ich möchte nur, dass du so bald wie möglich herkommst. Schließlich handelt es sich um deine Verlobung.“

„Ich weiß!“ Emmelines Stimme zitterte. „Momentan stecke ich in Schwierigkeiten und weiß nicht mehr, was ich tun soll.“

„Willst du König Patek überhaupt heiraten?“

„Ehrlich gesagt: nein. Aber unsere Familien haben so entschieden. Der Ehevertrag zwingt mich zu dieser Hochzeit. Wenn ich Zale nicht heirate, verliert meine Familie fünf Millionen Euro. Du musst ihn deshalb davon überzeugen, dass ich die Richtige für ihn bin. Danach werde ich mit ihm zum Altar schreiten, mein Ehegelöbnis ablegen und ihn glücklich machen.“

„Kannst du denn nicht mit deinem Vater reden?“

„Nein. Mein Vater würde es nicht verstehen. Meine … Eltern … sind sehr altmodisch und streng. Ich weiß zwar, dass sie es gut mit mir meinen, aber sie sind jetzt schon enttäuscht von mir …“

Hannah merkte, dass Emmeline weinte, und empfand Mitleid. „Beruhige dich bitte. Alles wird gut …“

„Ganz gleich, wie es ausgeht, ich werde verlieren.“

Die Traurigkeit in Emmelines Stimme ging Hannah zu Herzen. „Gib nicht auf. Bis zu deinem Eintreffen werde ich mein Bestes geben.“

„Vielen Dank! Ich komme, so schnell ich kann.“

Hannah beendete das Gespräch. Sie fühlte sich erschöpft. In was hatte sie sich bloß hineingeritten?

Als Lady Andrea sie eine halbe Stunde später zum Abendessen abholen wollte, hing sie noch immer ihren Gedanken nach.

„Euer Hoheit, seine Majestät erwartet Sie in den nächsten Minuten. Und Sie sind noch nicht einmal angezogen! Haben Sie zumindest schon ein Kleid gewählt?“

„Nein, suchen Sie doch bitte eins für mich aus.“

Lady Andrea wählte ein atemberaubendes dunkelblaues Abendkleid mit Neckholder, das Schultern und Arme frei ließ. Passend dazu suchte sie Ohrringe mit Saphiranhängern und ein schlichtes Armband aus.

Mit dem locker im Nacken zusammengebundenen Haar und den sexy High Heels fühlte sich Hannah so glamourös wie noch nie in ihrem Leben.

Autor

Kathryn Jensen

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