Julia Saison Band 34

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ZUCKERGUSS UND WEIHNACHTSKUSS von SHIRLEY JUMP
"Diese Weihnachtsplätzchen schmecken einfach himmlisch!" Samanthas Zuckergebäck bringt ihre Kunden ins Schwärmen. Der New Yorker Journalist Flynn betrachtet die Lobeshymnen misstrauisch. Er kann dem Fest der Liebe nichts abgewinnen. Bis er einen Kuss der schönen Bäckerin kostet ...

STILLE NACHT, ZÄRTLICHE NACHT … von SARAH MORGAN
Sie wird Weihnachten mit einem tollen Mann verbringen? Für Lara käme da nur der attraktive Christian Blake infrage. Doch der ist verheiratet - meint sie. Dann flüstert seine kleine Tochter Lara zu, was sie sich zum Fest für ihren Daddy wünscht. Sollte Christian frei für die Liebe sein?

KÜSSE MICH, MEIN SÜSSER ENGEL von CARA COLTER
Seit Kirsten zu Weihnachten an die Kinder der Stadt Geschenke verteilt, nennt man sie den Engel von Treemont. Als Michael seine Familie verliert, beginnt er, Kirsten dabei zu unterstützen - und verliebt sich in sie. Doch kann er das Herz seines Weihnachtsengels erobern?


  • Erscheinungstag 27.11.2019
  • Bandnummer 34
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728649
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shirley Jump, Sarah Morgan, Cara Colter

JULIA SAISON BAND 34

1. KAPITEL

Flynn McGranger hasste Riverbend von dem Moment an, als sein Wagen an der einzigen Ampelkreuzung den Geist aufgab. Weihnachtsgirlanden aus Kiefernzweigen mit roten Schleifen daran schmückten den Ort. Die ganze mit Schnee bestäubte Kleinstadt in Indiana wirkte wie aus einem Film.

Menschen mit hübsch verpackten Geschenken liefen hin und her, und die Schaufenster waren weihnachtlich dekoriert. Sogar die Schneeflocken fielen so langsam und gleichmäßig, als würde ein Filmtechniker sie mit einer riesigen Streudose aus den Wolken herabrieseln lassen.

Na gut, hassen war vielleicht übertrieben ausgedrückt. Aber Flynn wollte nicht hier sein – vor allem, weil ihm dieser Auftrag aufgezwungen worden war.

Der Chefredakteur vom Magazin „Food Lovers“ hatte ihm die Story zugewiesen: Von allen Mitarbeitern konnte Flynn am besten einen einzigartig scharfen, treffenden Artikel über die kleine Bäckerei schreiben, meinte sein Chef. Und in dieser Bäckerei wurden angeblich Kekse verkauft, die Menschen dazu brachten, sich zu verlieben. Also hockte Flynn jetzt kurz vor Weihnachten am Ende der Welt, um noch einen von den Artikeln zu verfassen, die ihn berühmt gemacht hatten.

Finster starrte er vor sich hin. Er konnte sich nicht beklagen. Mit diesen Beiträgen verdiente er sehr viel Geld. Und nach dem kleinen Fiasko im Juni musste er seine Spitzenposition unter den Autoren wieder zurückerobern. Dafür würde er tun, was er immer tat: sich einschmeicheln und an die Arbeit gehen.

Wenn der Job erledigt war, konnte er zurück nach Boston fahren, zurück zu Mimi, zurück in die Zivilisation. Davon war dieses Bilderbuchstädtchen so weit entfernt wie der Mars von der Erde. Nicht, dass Flynn etwas gegen malerische Orte hatte. Doch er lebte nun mal in der Welt der iPods und E-Mails. In Riverbend hielt man Bluetooth wahrscheinlich für eine Zahnkrankheit.

Und da stand er nun, vor der Bäckerei „Joyful Creations“.

Tja, dann viel Spaß.

Flynn schob sein Auto an den Straßenrand, schnappte sich sein Notizbuch und überquerte die Straße. Die Menschenmenge vor der Bäckerei versperrte ihm die Sicht auf das Schaufenster. Trotzdem erkannte er, dass auch dieses nicht verschont geblieben war: Drei beleuchtete Adventskränze hingen im Fenster. Einer davon bildete das erste O im Namen des Geschäfts.

„Furchtbar kitschig“, murmelte Flynn.

Er umging die Schlange, die von der Ladentür bis zur Ecke Larch Street reichte. Viele Paare standen vor der vermeintlichen Liebesquelle an.

Das Bordmagazin einer Fluggesellschaft hatte die Geschichte zuerst gebracht und damit zweifellos einen Boom ausgelöst. Bis Flynns Artikel am Valentinstag in der neusten Ausgabe von „Food Lovers“ erschien, würde der Laden von Liebeskranken überrannt werden. Flynn hoffte, dass die Besitzerin auf den Ansturm vorbereitet war. Aus eigener Erfahrung wusste er, dass ein allzu schneller Erfolg durchaus so zerstörerisch wirken konnte wie ein plötzlicher beruflicher Absturz.

Flynn schob sich an einer Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm vorbei und betrat den Laden. Ein Schwall warmer Luft und Weihnachtsmusik empfingen ihn. Es duftete nach frisch gebackenem Brot, Vanille, Zimt und Himbeeren.

„He, nicht vordrängeln!“, schimpfte die Frau.

„Ich will nichts kaufen“, erwiderte er und ging weiter. Reingehen, die Story beschaffen, wieder raus. Hoffentlich war er wieder in Boston, bevor Mimi merkte, dass er weg war. Falls Mimi seine Abwesenheit überhaupt bemerken würde.

„Warum sollten Sie sich durchs Gedränge kämpfen, wenn Sie nichts kaufen wollen?“, fragte die Frau.

„Wegen …“, antwortete Flynn und wandte sich dem Tresen zu. Dahinter nahmen zwei Frauen die Bestellungen auf. Die eine war grauhaarig und zierlich, die andere groß und blond. Die kurvenreiche Figur der Blondine bewies, dass sie sich nicht ständig den Kopf darüber zerbrach, ob sie ein oder zwei Salatblätter essen durfte.

Wow! Das Bordmagazin hatte kein Foto von Samantha Barnett gebracht, nur eines von den Keksen. Doch zweifellos war sie die Besitzerin, die der Verfasser des Artikels als energisch, freundlich, jung beschrieben hatte.

„… ihr“, fügte Flynn schließlich hinzu.

„Sam? Dann viel Glück.“ Die Frau mit dem Kleinkind lachte.

Es erforderte das Navigationsgeschick eines Flottenadmirals, um sich bis zum Glastresen voranzuarbeiten. In einiger Entfernung zu den Kunden stellte Flynn sich an die Theke und fragte: „Sind Sie Samantha Barnett?“

Die Blondine blickte auf. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst. Sie hatte wenig Make-up aufgelegt, nur etwas rotes Lipgloss und einen Hauch Mascara. Eine lange weiße Schürze, auf der in roten Buchstaben Joyful Creations stand, schmiegte sich an ihren Körper. Darunter trug sie einen weichen grünen Pullover mit V-Ausschnitt und schwarze Jeans.

„Tut mir leid, Sir, aber Sie müssen sich hinten anstellen.“

„Ich will nichts kaufen.“

Nun hörte sie auf, eine weiße Schachtel mit Keksen in Rentierform zu füllen. „Sondern?“

„Ich möchte einfach mit Ihnen reden.“

„Das ist gerade ganz schlecht.“ Sie lachte. „Ich habe ziemlich viel zu tun.“

„Tja, ich muss einen Termin einhalten.“ Flynn zückte eine Visitenkarte und schob sie über den Tresen. „Flynn McGranger von ‚Food Lovers‘. Vielleicht kennen Sie unser Magazin?“

Ihr Gesicht hellte sich auf. Jeder kannte „Food Lovers“. Es war die Zeitschrift über die Lebensmittelindustrie: Sie wurde in sämtlichen Supermärkten und Buchhandlungen verkauft und hatte landesweit dreißig Millionen Leser. In dem Heft erwähnt zu werden war gleichbedeutend mit der Hauptrolle in einem Film.

Selbst wenn sich der Schwerpunkt verschoben hatte, seit Tony Reynolds vor einem Jahr Chefredakteur geworden war. Er wollte die Story hinter der Story, den Klatsch über jeden Küchenchef, jedes Restaurant und Lebensmittelunternehmen: Tony hatte dem Magazin den Anstrich einer Boulevardzeitung verpasst, dadurch allerdings auch die Zahl der Leser innerhalb von wenigen Monaten verdreifacht.

Zuerst hatte Flynn nichts dagegen gehabt, Tonys Forderungen zu erfüllen. Doch immer öfter hatte Flynn für seine Artikel die Privatsphäre der Leute verletzen müssen. Da hatte ihn sein Job zu nerven begonnen. Mehr als einmal hatte er an Kündigung gedacht.

„Wow!“, staunte Samantha Barnett, die der Ruf von „Food Lovers“ offensichtlich nicht störte. „Sie wollen mit mir sprechen? Worüber?“

„Ihre Bäckerei. Was ‚Joyful Creations‘ zu etwas Besonderem macht …“ Während Flynn rasch seine einleitenden Worte abspulte, unterdrückte er mühsam seine Ungeduld. Zwar war dies sein vierhundertstes Interview, aber vermutlich Samantha Barnetts erstes.

Flynn konnte die Fragen stellen, ohne sie sich vorher notiert zu haben. Verdammt, er konnte ihre Antworten aufschreiben, ohne sie überhaupt zu interviewen! Sie hatte eine Bäckerei, weil sie Menschen und Essen liebte. Die Kunden waren das Schönste daran, ein Geschäft in einer Kleinstadt zu führen. Bla, bla, bla.

„So ungefähr wird es ablaufen, Miss Barnett“, beendete Flynn seine beschönigende Erklärung, wie der Artikel entstehen würde.

Die Bäckereibesitzerin nickte. „Klingt großartig.“

„Sam? Ich muss wirklich meine Bestellung abholen“, warf eine Frau ein. „Meine Vorschulkinder warten auf ihre Portion Zucker.“

Sofort konzentrierte sich Samantha Barnett auf ihre Kundin. „Oh, sicher, Rachel. Entschuldige. Zwei Dutzend, richtig?“

Die zierliche Brünette lachte. „Und einen für die Lehrerin.“

„Natürlich.“ Lächelnd legte Samantha den letzten Rentierkeks in die Schachtel, band ein schmales rotes Band darum und reichte sie über den Tresen. „Hier.“

„Würden Sie es bitte auf meine Rechnung setzen?“

Samantha winkte ab. „Das ist ein Weihnachtsgeschenk für die Kleinen.“

Nicht gerade geschäftstüchtig, einfach auf die Einnahmen zu verzichten, dachte Flynn. Er behielt es jedoch für sich, denn schließlich war er nicht ihr Finanzberater. „Das Interview, Miss Barnett?“

Die Leute in der Schlange stöhnten auf. Samantha strich sich den Pony aus der Stirn. „Können wir uns später treffen? Nach Ladenschluss? Im Moment habe ich zu viel zu tun.“

Sie hatte doch eine Hilfe! Außerdem wollte Flynn noch woandershin, bevor er die lange Fahrt zurück nach Boston antrat. Er hatte nicht ewig Zeit. „Und ich habe meinen Abgabetermin.“

Die nächste Person war auf den freien Platz vorgerückt: ein großer älterer Mann, der eine Blousonjacke und eine Flanellmütze mit Ohrenklappen trug. Er stützte sich auf den Tresen und lehnte sich über die Auslage, als wollte er dort ein bis zwei Stunden stehen bleiben.

„Hallo Samantha. Ich habe von diesem Artikel in dem Bordmagazin gehört. Herzlichen Glückwunsch. Sie haben unsere Stadt bekannt gemacht.“ Er beugte sich vor und flüsterte verschwörerisch hinter vorgehaltener Hand: „Ich weiß nur nicht, ob ich all die Touristen hier haben will. Sie verstopfen die Straßen.“

Samantha lachte. „Danke, Earl. Tut mir leid, dass ich gegen den Verkehr nichts ausrichten kann. Abgesehen davon, die Kunden so schnell wie möglich zu bedienen.“ Sie warf Flynn einen Blick zu.

„Geben Sie mir mein Interview, Miss Barnett, und ich werde Ihnen nicht länger im Weg sein.“

„Lassen Sie mir ein paar Stunden Zeit, und Sie bekommen von mir alles, was Sie wollen.“

Natürlich war dies keine versteckte Andeutung. Dennoch hörte Flynn eine heraus. Er räusperte sich und trat einen Schritt zurück. „Ich muss heute noch weiterfahren. Also warum arbeiten Sie nicht einfach mit mir zusammen? Dann sind wir beide glücklich und zufrieden.“

„Ich habe Kunden. Außerdem sieht es ganz danach aus, als müssten Sie so oder so warten.“ Samantha deutete mit dem Kopf zum Fenster, während sie Muffins in eine Tüte gab.

Flynn drehte sich um und schaute durch die Scheibe. Und er entdeckte einen weiteren Grund dafür, Riverbend zu hassen.

Einen Schneesturm.

Um zwölf Uhr mittags war Sam schon völlig erschöpft. Beinahe fürchtete sie, mit dem Gesicht voran in den Zimtstreuselkuchen zu kippen. Trotzdem verkaufte sie weiterhin lächelnd Kekse und Feingebäck, während sie ihren Mitarbeitern Anweisungen gab. Sie hatte alle Halbtagskräfte eingespannt – und sogar Mary, die sonst nur für die Wochenendreinigung kam. Doch nur so konnte sie mit dem plötzlichen Ansturm fertig werden.

Anscheinend hatte jeder im Umkreis von drei Bundesstaaten den Artikel gelesen und wollte nun prüfen, ob in Grandma Joys Kirsch-Schoko-Plätzchen tatsächlich die Liebe steckte.

Sam kannte die Gerüchte um die Kekse ihrer Großmutter schon seit Langem. Immerhin hatte Grandma Joy sie Grandpa Neil serviert, als sie sich kennengelernt hatten. Aber Sam hatte all den Leuten nie so recht geglaubt, die ihre glücklichen Ehen den winzigen Desserts zuschrieben.

Dann hatte ein Reporter des Magazins „Travelers“ sie auf der Durchreise probiert und sich auf den ersten Blick in eine Einheimische verliebt. Die beiden waren nach Jamaika gereist und hatten gleich am darauffolgenden Wochenende geheiratet.

Hinterher hatte der Journalist in dem Bordmagazin von den Keksen und seinem persönlichen Happy End geschwärmt. Damit hatte er Sams Laden landesweit berühmt gemacht – und ein Gerücht in eine Tatsache verwandelt.

Lange Arbeitstage hatte Sam vorher auch gehabt. Inzwischen blieb ihr jedoch so gut wie keine Freizeit mehr. Aber sie hatte ein höheres Ziel im Auge, und das trieb sie an und ließ sie nicht aufgeben.

„Ich kann mich nicht entscheiden.“ Die platinblonde, von Kopf bis Fuß elegant gekleidete Frau legte den Zeigefinger an die Lippen. „Was sagten Sie, wie viele Kalorien die Erdnussbutter-Küsschen haben?“

„Einhundertzehn pro Keks“, erwiderte Sam. Allmählich tat ihr vom angestrengten Dauerlächeln das Gesicht weh.

„Und die Kirsch-Schoko-Plätzchen?“

„Einhundertfünfzig.“

„Ich weiß nicht so recht …“

Die Wartenden stöhnten verärgert auf.

„Warum kaufen Sie nicht einen von jeder Sorte?“, schlug Sam vor.

„Gute Idee!“ Strahlend gab die Frau Sams Großtante Ginny das Geld, während Sam die Kekse einpackte.

Lächelnd wünschte Sam der Frau frohe Weihnachten und bediente den nächsten Kunden.

Vierhundert Kirsch-Schoko-Plätzchen später war die Schlange endlich bedeutend kürzer geworden. Sam beugte sich vor, um die Tabletts gerade zu rücken und die Krümel wegzuwischen. Durch die Glasscheibe des Tresens sah sie ein Paar Designerherrenschuhe, die durch Streusalz und Schneeflecken verunstaltet waren. Langsam ließ sie ihren Blick nach oben gleiten. Eine elegante schwarze Hose. Dunkelgrauer Kaschmirmantel. Weißes Hemd. Rote Krawatte.

Er war wieder da. Flynn McGranger.

Seine Augen waren tiefblau. Sein welliges schwarzes Haar war sehr kurz geschnitten, um es zu zähmen. Und seine Miene war eisig.

„Ich habe gewartet. Stundenlang. Und ich habe alles beobachtet: Dutzende von Kunden haben den Laden betreten, weil sie überzeugt sind, dass Sie ihre Liebes- oder Eheprobleme lösen werden. Ich hatte ja keine Ahnung, mit welchen Extras Sie Ihr Gebäck verkaufen.“

Sein sarkastischer Ton verriet ihr, dass es weder ein Scherz noch ein Kompliment war. „Ich behaupte nicht, mehr als Backwaren anzubieten, Mr. McGranger.“

„Die Leute in der Schlange haben etwas anderes geglaubt. In der sehr langen Schlange, die sich erst nach fast drei Stunden aufgelöst hat.“ Er schaute auf seine Armbanduhr. „Ich muss heute noch woandershin. Wenn ich das Interview jetzt nicht mache, wird nichts mehr daraus.“

„Wahrscheinlich schaffen Sie es höchstens ein paar Meilen weit. Ich bezweifle, dass die Straßen frei sind. Das Wetter ist noch immer ziemlich schlecht.“

„Für meinen Chefredakteur sind Schneestürme und Erdbeben keine Gründe, einen Abgabetermin zu verschieben.“

„Und Sie sind vermutlich der gleichen Meinung?“

„Von ein bisschen Schnee lasse ich mich nicht aufhalten. Sonst hätte ich es in meinem Beruf zu nichts gebracht.“ Er beugte sich vor. „Also, Miss Barnett? Haben Sie Zeit?“

Es erschien Sam das Beste, sich zu fügen. Sie wandte sich ihrer Großtante zu. „Tante Ginny, kommst du für eine Weile ohne mich klar?“

Die ältere Frau lächelte. „Natürlich.“

Sam drehte sich wieder zu Flynn McGranger um. Der Mann war durchaus attraktiv, obwohl er nichts Herzliches an sich hatte. Doch immerhin war er ihretwegen aus Boston angereist, und sie konnte die Werbung wirklich gebrauchen. Der Artikel in dem Bordmagazin war ein wahrer Segen gewesen. Sam wusste allerdings, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nicht lange anhalten würde.

„Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen? Ein Stück Kuchen? Kekse?“

„Ich würde gern die Spezialitäten des Hauses probieren. Und eine Tasse Kaffee wäre schön.“

Gut aussehend, aber unfreundlich. Er drückte sich klar und sachlich aus. Kein Lächeln. Trotz allem bot er ihr die Chance, von der sie seit Jahren träumte. Durch einen positiven Artikel in dem beliebten Magazin „Food Lovers“ würde ihre Bäckerei im ganzen Land bekannt werden – und Sam könnte weitere Filialen eröffnen.

Außerdem würde es ihr finanzielle Sicherheit verschaffen, sodass sie auf lange Sicht die Pflege für ihre Großmutter bezahlen konnte. Das alles war zum Greifen nahe.

Durch Flynn McGranger.

Sam summte Weihnachtslieder, während sie einen Teller mit Leckereien füllte: Lebkuchen, Pekannussriegel, Preiselbeer-Muffins, Mokkacremetörtchen, Pfefferminzschokoladentäfelchen, glasierte Weihnachtsplätzchen.

„Vergiss die nicht.“ Ginny reichte ihr drei Kirsch-Schoko-Plätzchen.

„Ich denke nicht, dass er die braucht, um …“

„Er ist wegen des Artikels über diese Kekse hergekommen, nicht?“ Ginny lächelte verschmitzt. „Und vielleicht stimmen die Geschichten ja tatsächlich. Wer weiß, was passiert, wenn er hineinbeißt?“

„Du glaubst doch nicht im Ernst …“

„Tue ich, und du solltest es auch tun. Ohne dieses Rezept hätten sich deine Großmutter und dein Großvater niemals ineinander verliebt. Ich hätte deinen Onkel Larry nicht geheiratet, wenn diese Kekse nicht gewesen wären. Die ganze Stadt steckt voller Beweise. Du glaubst nicht daran, weil du sie nie probiert hast.“

„Weil ich vor lauter Backen keine Zeit zum Essen habe.“ Seufzend legte Sam die Plätzchen auf den Teller. Was konnte es schon schaden? Was auch immer Tante Ginny meinte, an dieser Legende war nichts dran.

Sam ging zu dem Journalisten und stellte den Teller und eine Tasse Kaffee vor ihn hin. „Hier, bitte, Mr. …“

Und plötzlich hatte sie seinen Namen vergessen.

Er hatte seinen Mantel ausgezogen und sich an einen der kleinen runden Tische in der Ecke vor dem Schaufenster gesetzt. Alles an ihm strahlte Reichtum aus: die perfekt sitzende Kleidung, die teuren Stoffe, die selbstbewusste Haltung. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, sodass die muskulösen Unterarme zu sehen waren. Und er hatte schöne Hände …

Stopp! Sie bemerkte, dass sie ihn anstarrte.

„Mr. McGranger“, fuhr Sam endlich fort. „Guten Appetit.“

Sie wich zwei Schritte zurück und wiederholte stammelnd: „Guten Appetit.“

Er lächelte. War das ein dankbares Lächeln? Oder belustigte ihn ihre Verwirrung?

Wie auch immer: Es veränderte Flynn McGranger völlig und ließ die markanten Gesichtszüge weicher wirken. Und es brachte Sams Puls zum Rasen.

„Das haben Sie bereits gesagt“, gab er zurück.

Na gut, es war also Belustigung gewesen. Verlegen setzte Sam an: „Ja? Tut mir leid. Sie … machen mich nervös.“

„Warum?“

„Ich hatte noch nie einen Reporter im Laden. Außer Joey von der ‚Riverbend Times‘, aber das zählt nicht. Er ist neunzehn, geht noch aufs College und trinkt hier nur koffeinfreien Kaffee. Der normale regt ihn so auf, dass er kaum schreiben kann.“ Ihr wurde bewusst, dass sie plapperte. Was war bloß mit ihr los? Samantha Barnett plapperte nie. Und sie verlor auch niemals die Nerven.

Einen tollen ersten Eindruck hinterlässt du da, Sam!

„Ich sollte in die Backstube gehen“, meinte sie schließlich und deutete mit dem Daumen hinter sich.

„Das Interview, erinnern Sie sich?“, entgegnete er. „Ich würde es vorziehen, meine Fragen nicht schreien zu müssen.“

Sie hatte ihn verärgert. „In Ordnung. Ich hole mir nur schnell eine Tasse Kaffee. Anders als Joey brauche ich das Koffein.“

Flynn McGranger lächelte wieder. Zwar nur flüchtig, aber immerhin. Sam hielt es für ein gutes Zeichen. Wenn er sie und das Gebäck mochte, schrieb er möglicherweise einen sensationellen Artikel – und damit würden sich alle ihre Weihnachtswünsche erfüllen.

Als sie davonging, hörte sie jedoch, wie er ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch trommelte.

Ginny tippte ihr auf die Schulter, während Sam sich Kaffee einschenkte. „Sam, ich muss dir etwas sagen. Ich habe es eben vergessen. Er arbeitet für ‚Food Lovers‘, richtig?“

„Ja. Die Zeitschrift ist sehr einflussreich. Jeder liest sie – außer mir. Ich habe nie Zeit, irgendetwas zu lesen.“

„Ich lese sie. Oder zumindest habe ich es getan.“ Ginny verzog das Gesicht. „Früher gab es darin Rezepte, Restaurantkritiken, Einkaufstipps und so. Aber in letzter Zeit ist daraus eher ein Klatschblatt geworden. Viele Berichte drehen sich nur noch um das Privatleben der Leute, denen die Restaurants und Bäckereien gehören. Das Ganze wirkt irgendwie … aufdringlich.“

„Was ist falsch daran, über die Besitzer der Betriebe zu schreiben?“

Ginny ergriff Sams Hand. „Sei einfach vorsichtig. Ich weiß, wie du deine Privatsphäre und die deiner Großmutter schützt. Und deshalb unterstütze ich dich, was immer du tust.“

„Danke.“ Sam umarmte ihre Tante.

„Bei etwas anderem musst du dich mindestens ebenso vorsehen.“ Ginny löste sich aus der Umarmung und spähte zu Flynn McGranger hinüber. „Er ist unglaublich attraktiv. Das könnte genau die Probleme geben, die du eigentlich schon seit Langem haben solltest.“

Sam schüttelte den Kopf. „Ich habe viel zu viel zu tun. Da bleibt mir keine Zeit für eine Beziehung.“

2. KAPITEL

Sam ging mit ihrem Kaffee zurück zu Flynn McGranger und setzte sich ihm gegenüber. Inzwischen lag sein Notizbuch aufgeschlagen neben ihm, und er hatte einen Kugelschreiber in der Hand. Den Kaffee hatte er bereits probiert, das Gebäck jedoch nicht angerührt.

Vielleicht wollte er zuerst mit ihr reden. Oder aber Tante Ginny hatte recht, und er hatte es wirklich nur auf die Story hinter der Bäckerei abgesehen.

Auf Sams Story.

„Sind Sie jetzt so weit?“, fragte er.

„Ganz und gar.“

„Gut. Erzählen Sie mir etwas über die Geschichte von ‚Joyful Creations‘.“

„Das Geschäft wurde neunzehnhundertachtundvierzig von meinen Großeltern Joy und Neil Barnett eröffnet. Meine Großmutter war eine wunderbare Köchin. Für die Feiertage hat sie immer ganz besondere Leckereien gebacken. Einmal bin ich zu ihr nach Hause gegangen, und sie hatte ihren ‚Erfinde eine neue Kekssorte‘-Tag. Dann …“

„Die Bäckerei, Miss Barnett. Würden Sie bitte beim Thema bleiben?“

„Oh. Ja, natürlich.“ Sam hätte sich dafür ohrfeigen können, dass sie wieder ins Plappern geraten war. „Mein Großvater meinte, dass meine Großmutter ihr Talent mit Riverbend teilen sollte. Deshalb haben sie die Bäckerei gegründet.“

Flynn McGranger schrieb mit, als Sam sprach.

„Können Sie das Gekritzel später entziffern?“, erkundigte sie sich neugierig.

Er sah auf. „Das ist meine persönliche Kurzschrift. Ich lasse die Vokale weg und habe für bestimmte Worte meine eigenen Abkürzungen.“

„Wie bei meinen Rezepten. Meine Großmutter hat sie nie in einem richtigen Buch gesammelt. In manchen stand einfach Peks für Pekannüsse und SR für Schokoladenraspel.“ Sam lächelte. „Ich habe Wochen gebraucht, um das herauszufinden, nachdem ich das Geschäft übernommen hatte.“

Verwirrt runzelte Flynn McGranger die Stirn. „Ich habe gelesen, Sie würden den Betrieb in dritter Generation führen. Was ist mit der zweiten?“

„Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich zwölf war. Von da an habe ich bei meinen Großeltern gewohnt. Grandpa Neil ist vor zehn Jahren gestorben.“

„Und Ihre Großmutter? Lebt sie noch?“

„Ja, aber sie arbeitet nicht mehr hier.“

Das notierte er sich und sagte: „Ich würde sie gern interviewen.“

„Das geht nicht.“

„Warum nicht?“

„Sie ist … krank“, erwiderte Sam knapp. Mehr brauchte der Reporter nicht zu wissen, denn Joys Privatleben ging nur sie selbst etwas an.

„Hm“, gab Flynn nachdenklich zurück.

„Möchten Sie nicht einen Preiselbeer-Muffin probieren?“

„Gleich.“

„Aber …“

„Ich schreibe einen Artikel und keine Restaurantkritik, Miss Barnett.“

Der Reporter des Bordmagazins war ohne ihr Wissen im Laden gewesen, hatte Gebäck gekauft und sein Glück gefunden. Hinterher hatte er Sam am Telefon interviewt. Es war ihr leichtgefallen, die Fragen von jemandem zu beantworten, den sie nicht sehen konnte. Mit einem Reporter zu sprechen, der ihr gegenübersaß, war viel schwieriger.

Beunruhigender. Weil dieser Flynn McGranger tiefblaue Augen und einen durchdringenden Blick hatte.

Die Glocke über der Tür läutete, und ein Schwall kalter Luft strömte in den Laden. „Sam!“

„Was kann ich für Sie tun, Mrs. Meyers?“

„Ich brauche neue Plätzchen. Mein Hund hat die ganze Schachtel aufgefressen, die ich gestern für meinen Carl gekauft habe, und der Mann ist unerträglich mürrisch.“ Eileen Meyers verdrehte die Augen. „Er hängt gerade die Weihnachtsbeleuchtung auf.“

„Bei diesem Wetter?“

„Sie wissen doch, wie stur er ist. Manchmal frage ich mich, warum ich ihm überhaupt diese Kekse kaufe.“

„Weil es seine Lieblingskekse sind“, erwiderte Sam. Die Liebe zwischen Eileen und ihrem Ehemann war deutlich zu spüren, und dabei näherten sich die beiden allmählich der goldenen Hochzeit.

Eileen lächelte. „Würden Sie mir bitte ein Dutzend einpacken?“

„Ginny bedient Sie, Mrs. Meyers.“

„Ich habe Ihre Tante wirklich gern, Sam. Aber Carl sagt immer, dass nur Sie die Kekse aussuchen können, die er am liebsten mag. Bitte.“

„Es dauert nur einen Moment“, sagte Sam zu Flynn.

„Klar.“ Sein Lächeln war so falsch wie der Sprühschnee an der Schaufensterscheibe.

Sam bemühte sich, Eileen möglichst schnell loszuwerden.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich dann bei Flynn. „Hier herrscht das Chaos, seit die Sache mit den Keksen bekannt geworden ist.“

„Diejenigen, nach deren Genuss man sich angeblich verliebt?“

Sam zuckte die Schultern. „Das behaupten die Leute.“

„Ich nehme an, Sie glauben nicht daran?“

„Vielleicht stimmt es ja. Wenn zwei Menschen durch das Gebäck meiner Großmutter zusammen glücklich werden, ist das doch wundervoll. Für die beiden und fürs Geschäft.“

Flynn zog die Augenbrauen hoch. „Glücklich werden? Wegen irgendwelcher Kekse?“

„Ein großer Romantiker sind Sie wohl nicht?“

„Nein. Ich bin ein praktisch denkender Mann. Ich erledige meinen Job und beschäftige mich nicht mit so einem wirklichkeitsfremden Kram.“

„Ich auch.“ Nervös lachte Sam. „Kein Mann, natürlich.“

„Natürlich.“ Er nickte.

Was war mit dem Typen los? So viel Ernsthaftigkeit war nun wirklich nicht nötig. „Also? Was möchten Sie sonst noch wissen?“

„Wie lange arbeiten Sie hier?“

„Mein ganzes Leben lang. Übernommen habe ich die Bäckerei mit neunzehn.“

„Ist das nicht schrecklich jung?“, fragte er überrascht.

„Man tut, was man tun muss, Mr. McGranger.“ Sie schob den Teller näher zu ihm hin. „Ich glaube, die Plätzchen mit Zuckerguss werden Sie mögen – eine Spezialität des Hauses.“

Doch der Journalist achtete gar nicht darauf. „Sind Sie auf die Kochschule gegangen?“

„Das konnte ich nicht. Ich habe ganztägig hier im Laden gearbeitet.“

„Sie haben nie gelebt, meinen Sie.“

Allmählich wurde Sam wütend. „Meine Arbeit macht mir Spaß.“

„Sicher.“

„Was soll das heißen?“

„Ich bin nicht hier, um Ihnen zu sagen, wie Sie Ihre Bäckerei führen sollten.“

„Und trotzdem urteilen Sie über mich. Obwohl Sie mich kaum kennen.“

„Miss Barnett, ich berichte seit Langem über diese Branche. Ich habe mit Hunderten von Bäckern und Köchen gesprochen. So ein Betrieb wie dieser zehrt einen Menschen vollkommen auf.“

„Meine Bäckerei zehrt mich nicht auf.“ Doch als sie es aussprach, wurde Sam bewusst, dass genau das passiert war. Besonders in den vergangenen Wochen. „Joyful Creations“ hatte ihre Wochenenden und Urlaubstage verschlungen, hatte sie Freundschaften, Dates vergessen lassen. Und der Job hatte Sam das Gefühl gegeben, etwas verpasst zu haben.

Sie hatte miterlebt, wie ihre Freundinnen geheiratet und Kinder bekommen hatten. Währenddessen hatte sie in der Bäckerei geschuftet und sich eingeredet, dass dafür später Zeit sein würde. Ein Jahr war schnell verstrichen, dann zwei, dann fünf Jahre. Energisch schob Sam den Gedanken beiseite. Sie hatte noch reichlich Zeit.

Es hatte einen Grund, dass sie so hart arbeitete. Und sobald sie ihre Ziele erreicht hatte, würde sie sich freinehmen.

„Ich habe Sie beobachtet, als Sie über den Laden gesprochen haben“, setzte Flynn hinzu. „Ich schätze, dass Sie auf dem Höhenflug sind. Der Artikel im ‚Travelers‘ hat Ihnen wahrscheinlich den Floh ins Ohr gesetzt, Sie könnten eine Konditoreikette aufziehen.“

„Na ja, ein bisschen“, gab Sam zu. „Sie haben die Schlange ja gesehen. So geht das immerhin seit zwei Wochen. Bestimmt haben Sie schon erlebt, dass einige Geschäfte nach so einem Bericht noch erfolgreicher werden. Halten Sie es nicht für möglich, dass ich den ganz großen Durchbruch schaffe?“

„Das kommt vor“, räumte Flynn ein. „Und ich rate Ihnen dringend, sich sehr genau zu überlegen, was Sie sich wünschen.“

Ungläubig blickte Sam ihn an. Seit er hier hereinspaziert war, hatte er sich nur von seiner unfreundlichsten Seite gezeigt – und jetzt wollte er ihr vorschreiben, wie sie ihren Betrieb führen sollte. „Welche Laus ist Ihnen heute Morgen über die Leber gelaufen?“

„Ich bin bloß ehrlich. Ich finde es wichtig, die Dinge offen beim Namen zu nennen.“

Sam stand auf. „Ich auch, Mr. McGranger. Und da wir gerade über unsere jeweiligen Branchen sprechen: Ich denke, Ihre hat Sie abgestumpft und verbittert werden lassen.“ Sam zeigte auf seinen noch immer gefüllten Teller. „Vielleicht hätten Sie mit dem Gebäck anfangen sollen. Zucker macht gute Laune. Und davon könnten Sie eine ganze Menge gebrauchen.“

„Tja, ich habe mich geirrt.“

Flynn unterdrückte einen Fluch. „Was soll das heißen?“

„Ich habe den Luftfilter ersetzt. Und daran hat es nicht gelegen. Das bedeutet, ich habe mich geirrt. So was kommt vor.“ Earl Klein streckte die Hände aus – als würde das dafür entschuldigen, dass Flynns Auto einen Meter achtzig über dem Boden auf einer Hebebühne thronte. Darunter lagen überall Einzelteile verstreut.

„Haben Sie es repariert?“, wollte Flynn wissen. Er hatte herumgefragt, sobald er die Bäckerei verlassen hatte. Und er hatte erfahren, dass der Typ mit der Ohrenklappenmütze die nächstgelegene Werkstatt besaß. Ein Gespräch mit Earl zu führen, war jedoch so umständlich, dass Flynn seine Wahl inzwischen bereute.

Earl blickte ihn an, als wäre Flynn strohdumm. „Sieht Ihr Auto repariert aus?“

„Nein, aber ich hatte gehofft …“

„Ihr Kraftstofffilter muss ausgetauscht werden. Normalerweise habe ich für Ihr Modell einen vorrätig. Leider habe ich meinen letzten gestern verbraucht. Paulie Lennox’ Auto lief prima, und dann, ganz plötzlich …“

„Ich kenne keinen Paulie.“

„Oh, den würden Sie erkennen, wenn Sie ihn sehen. Er ist einen Meter neunundneunzig groß. Der größte Mann in Riverbend. Er singt im Kirchenchor und hat eine Stimme wie ein Engel.“

Flynn biss die Zähne zusammen. „Wie lange dauert es, bis der Wagen fertig ist?“

„Oh, das.“ Earl schaute zur Hebebühne. „Einen Tag. Vielleicht zwei. Erst mal muss ich das Ersatzteil haben.“

„Und wo ist es?“

„Bestellt. Besorgen kann ich es nicht.“

Bei dieser zähen Unterhaltung wollte Flynn am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen. „Warum nicht?“

„Haben Sie mal nach draußen geschaut, Junge? Ein Schneesturm kommt direkt auf uns zu. Verdammt, er ist schon hier! Nur ein Idiot würde sich bei dem Wetter ins Auto setzen. Und ich bin kein Idiot.“

Da war Flynn anderer Meinung, sagte jedoch nur: „In vier Tagen ist Weihnachten.“

„Was nichts daran ändert, dass die Straßen vereist sind.“

„Gibt es einen zweiten Reparaturservice in Riverbend?“

„Meine Werkstatt ist die beste meilenweit“, sagte Earl beleidigt. „Und die einzige.“

Natürlich. Flynn stöhnte. „Ich muss so bald wie möglich weiterfahren.“

„Tja, daraus wird wohl nichts.“ Earl grinste. „Am besten gehen Sie zu ‚Betsy’s Bed and Breakfast‘. Sie wird Sie unterbringen.“ Earl klopfte sich auf den Bauch. „Die Frau kann kochen! Und hübsch ist sie auch. Allerdings ist sie in festen Händen. Betsy und ich sind zusammen. Dank dieser Kekse von Sam, die uns sehr geholfen haben.“

Abwehrend hob Flynn die Hände. „Zeigen Sie mir einfach den Weg.“

Dreißig Sekunden später kämpfte Flynn draußen gegen den immer stärker werdenden Wind an. Inzwischen war die Schneedecke auf den Bürgersteigen um fünfzehn Zentimeter gewachsen. Die Autos bewegten sich im Schneckentempo durch Riverbend.

Mühsam stapfte Flynn durch den Schneematsch und ruinierte seine Fünfhundertdollarschuhe.

„Kann ich Sie mitnehmen?“, ertönte plötzlich eine Stimme.

Er drehte sich um und sah Samantha Barnett am Steuer eines Jeeps. Zumindest vermutete er, dass sie es war. Die Kapuze ihres blauen Daunenparkas verbarg ihr blondes Haar und den größten Teil ihrer feinen Gesichtszüge. Doch er erkannte ihr Lächeln wieder – dieses strahlende Lächeln, das er vorhin in der Bäckerei gesehen hatte.

Nur ein Idiot würde dazu Nein sagen. Und nur ein Idiot würde zu einem trockenen, warmen Platz im Fahrzeug Nein sagen.

„Klar.“ Flynn öffnete die Tür und stieg ein. Weihnachtsmusik aus der Stereoanlage erfüllte den Innenraum des Jeeps. Erneut kam es Flynn so vor, als wäre dieser Ort einem Bilderbuch entsprungen. „Ist diese Stadt echt?“, fragte er, als Sam losfuhr und sie an einem weiteren weihnachtlich geschmückten Schaufenster vorbeikamen.

„Was meinen Sie damit?“

„Es ist alles ein bisschen zu fröhlich, finden Sie nicht? Fast schon unerträglich.“

„Unerträglich? Es ist Weihnachten. Die Menschen sind in festlicher Stimmung.“

„Festlich? Bei dem Wetter?“ Flynn zeigte aus dem Fenster. „Meine Schuhe sind durchnässt, mir sind bestimmt ein paar Zehen abgefroren, und der Dorftrottel repariert meinen Wagen. Ich habe einen Abgabetermin, den ich nicht verpassen darf. Und ich werde als Geisel in einer Kleinstadt gehalten, in der Weihnachten für alle das A und O zu sein scheint.“

„Ist es das nicht?“

„Nicht für mich.“

Verblüfft blickte Sam den Reporter an. Noch nie hatte sie jemanden mit so wenig Sinn für Weihnachten getroffen. „Feiern Sie denn nicht? Stellen Sie keinen Baum auf?“

Darauf antwortete Flynn nicht. „Kennen Sie ‚Betsy’s Bed and Breakfast‘?“

„Natürlich. In einer Kleinstadt kennt jeder jeden.“ Sam lächelte. „Ich liefere gerade einige Bestellungen aus. Deshalb habe ich Zeit, Sie hinzufahren. Außerdem kann ich damit wiedergutmachen, dass ich vorhin so kurz angebunden war.“ An der Kreuzung in der Innenstadt bog sie vorsichtig links ab.

Flynn schaute weiterhin aus dem Fenster. „Ist das da hinten im Park etwa ein lebendiges Rentier? Diese Stadt hat einen echten Weihnachtsfimmel.“

„Sie sind immer so mürrisch, stimmt’s? Diese Antiweihnachtsstimmung und wie Sie mich wegen meines Geschäfts kritisiert haben …“

„Nein. Ehrlich. Direkt. Sachlich.“

„Hören Sie, Sie hatten einen harten Tag“, meinte Sam. „Deshalb dürfen Sie ruhig schlecht gelaunt sein. Keine Sorge, bei Earl sind Sie in guten Händen. Man muss sich nur an ihn gewöhnen. Und sich hin und wieder seine Geschichten anhören. Zum Beispiel über den Schneesturm von 1978.“

„Ich habe keine Zeit für die Geschichten anderer Leute.“

„Sie sind Reporter. Ist das nicht Ihre Aufgabe?“

„Nur wenn ich dafür bezahlt werde.“ Und er hatte gutes Geld verdient, seit er seinen ersten Artikel eingereicht hatte. Flynn war auf seinem Gebiet bis an die Spitze aufgestiegen: In der Zeitschriftenbranche hatte er den Ruf gehabt, seine Aufträge pünktlich und genau mit der verlangten Wörterzahl abzuliefern.

Im vergangenen Juni hatte er dann mit dem Promikoch den großen Karriereknick erlebt. Sein Chefredakteur hatte den Glauben an ihn verloren. Was noch schlimmer war: Flynn hatte vorübergehend den Glauben an sich selbst verloren.

Auf keinen Fall wollte er ein weiteres Mal in dieses Gefühlschaos geraten. Seine Spitzenposition hatte er sich erobert, indem er sich emotional aus den Storys heraushielt. Und das würde er hier wieder tun. Einfach den Job durchziehen.

Anschließend würde er einen sehr wichtigen Halt machen, bevor er nach Boston zurückfuhr.

Beides war nur möglich, wenn er seine albernen Gewissensbisse loswurde, den Artikel schrieb und ihn pünktlich bei Tony abgab.

Im Jeep war es inzwischen behaglich warm, und Sam streifte nacheinander die Handschuhe ab. Als sie ihren Parka aufmachen wollte, klemmte jedoch der Reißverschluss. „Oh, diese Jacke!“, murmelte sie, während sie mit der einen Hand daran herumzerrte und mit der anderen das Lenkrad hielt.

„Lassen Sie mich.“ Flynn wollte nur helfen – aber als seine Finger ihre berührten, breitete sich sofort Hitze in ihm aus. Ganz plötzlich fühlte er sich zu einer Frau hingezogen, die er gerade erst kennengelernt hatte. Das war ihm lange nicht mehr passiert. Zugegeben, Samantha Barnett war schön. Doch daran lag es nicht allein. Sie strahlte irgendetwas aus, das ihn anlockte. Und darüber vergaß er außerdem seine Pflicht als Reporter, die nötige Distanz zu wahren.

Das war nicht klug. Und Flynn war stolz darauf, klug zu sein. Beherrscht. Indem er sich selbst streng unter Kontrolle hielt, konnte er alles meistern. Als ihm dieses eine Mal die Beherrschung entglitten war, hatte ihn das fast seine Karriere gekostet.

Er räusperte sich, und mit einem kleinen Ruck öffnete er schließlich den Anorak. Darunter kam der flauschige grüne Pullover mit V-Ausschnitt zum Vorschein. Bereits in der Bäckerei hatte Flynn bemerkt, dass der Farbton das Grün ihrer Augen vorteilhaft zur Geltung brachte und ihr Haar wie reines Gold wirken ließ. Ohne die Schürze fiel es ihm nun stärker auf.

Und Flynn nahm noch mehr wahr.

Ihr Parfum reizte seine Sinne. Zimt, Vanille und Honig … Oder waren es einfach die Düfte aus der Bäckerei? Ob ihre Haut genauso schmeckte – so gut wie die Köstlichkeiten im Laden?

Flynn wandte sich ab. Sich von einer Frau ablenken zu lassen gehörte nicht zum Plan. Niemals. Er ließ sich grundsätzlich mit niemandem ein. An den Menschen, über die er schrieb, hatte er persönlich kein Interesse. Menschen im Allgemeinen interessierten ihn nicht. Das ließ er nicht zu. Nur so behielt er den Überblick.

Keinesfalls würde er diese Regel aufgeben. In dieser Hinsicht ergänzten Mimi und er sich: Auch sie wollte keine feste Beziehung. Eine Frau wie Samantha Barnett dagegen passte nicht zu seinen Bedürfnissen. Ihr stand geradezu im Gesicht geschrieben, wie wichtig ihr das Kleinstadtleben, enge Bindungen und sittliche Werte waren.

„Ihr … Reißverschluss ist wieder völlig in Ordnung.“

„Danke.“ Sam strahlte ihn an.

Und Flynn McGranger erkannte, dass er ein Problem hatte. Seit er diese Bäckerei betreten hatte, war er völlig aus dem Konzept gebracht.

Betsys Frühstückspension befand sich nur fünf Straßen von Earls Werkstatt entfernt. Doch es kam Sam vor, als würde die Fahrt statt zehn Minuten zehn Stunden dauern. Flynn McGranger saß so dicht neben ihr. Sie spürte jede von seinen Bewegungen, jeden Atemzug.

Sie hatte kein Date mehr gehabt seit …

Nun, seit langer Zeit. Zu viel Arbeit, zu wenig Privatleben. Das musste der Grund sein, warum sich all ihre Gedanken um diesen Mann drehten. Warum sie den herben Duft seines Eau de Cologne so deutlich wahrnahm. Warum sie den Blick immer wieder unwillkürlich zu seinen Händen gleiten ließ, zu seinen breiten Schultern, zu dem Grübchen in seinem Kinn.

Und dabei bot sich hier eine erstklassige Gelegenheit, um den Reporter zu beeindrucken. Anstatt mit ihm zu flirten, sollte sie ihm lieber von der Bäckerei erzählen. Natürlich hatte es nichts mit einem Flirt zu tun, wenn er ihr mit dem Reißverschluss half … Allerdings hatte sie den Atem anhalten müssen, als Flynn McGranger ihr so nah gewesen war. Und sie hatte entdeckt, wie tiefblau seine Augen waren.

Geschäft, Sam. Denk an das Geschäft.

„Haben Sie bisher viele Bäckereiinhaber interviewt?“, erkundigte sie sich. Für diese Frage hätte sie sich ohrfeigen können. Nicht gerade geistreich.

„Ein paar. Hauptsächlich schreibe ich über Spitzenrestaurants. Oder besser: habe ich geschrieben.“

Als Sam sein gequältes Lächeln bemerkte, überlegte sie, warum er von seinem Beruf in der Vergangenheitsform gesprochen hatte.

„Die Küchenchefs fordern einen Herzinfarkt geradezu heraus“, fuhr er fort, „so rackern sie sich ab, um ihre drei Sterne zu behalten.“

„Herrscht in der Branche wirklich ein so starker Konkurrenzdruck?“

„Eine schlechte Kritik kann ein Restaurant ruinieren, eine gute Kritik kann es schlagartig an die Spitze bringen.“

„Das ist doch lächerlich.“ Sam hielt an einem Stoppschild, bevor sie in die Maple Street abbog. „Immerhin ist so ein Artikel nur die Meinung einer einzigen Person.“

„Aber Leute wie ich werden dafür bezahlt, professionell zu bewerten. Wir entscheiden über Erfolg oder Misserfolg.“

Als sie nun ihr Ziel erreichten, parkte Sam direkt vor dem zur Pension umgebauten viktorianischen Haus. Betsy liebte das Weihnachtsfest offensichtlich: Sie hatte die gesamte Veranda mit Lichterketten geschmückt, ein tanzender Weihnachtsmann stand neben der Tür, und auf dem Dach thronte ein beleuchteter Schlitten samt Rentier.

„Und was ist mit mir?“, fragte Sam, bevor Flynn ausstieg. „Glauben Sie, dass ich es bis ganz nach oben schaffen kann?“

Lange musterte er sie. Doch seinen Blick konnte sie im schwindenden Tageslicht nicht deuten.

Schließlich erwiderte er: „Das, Miss Barnett, muss erst noch entschieden werden.“

3. KAPITEL

Die Pensionsbesitzerin Betsy Williams begrüßte Flynn lautstark. Die dralle Frau eilte durch die Diele und breitete die Arme aus – und bei jedem Schritt bimmelten die Glöckchen an ihren Hausschuhen. „Willkommen! Einen weiteren Gast zu haben ist wundervoll! Bei Betsy ist immer Platz für einen mehr!“

Am liebsten hätte Flynn kehrtgemacht und die Flucht ergriffen. Leider stand Samantha Barnett hinter ihm und versperrte den einzigen Ausgang. „Ich bleibe nur, bis mein Auto repariert ist“, entgegnete er.

Hoffentlich keine Sekunde länger.

„Mein Herz und mein Heim stehen Ihnen offen, solange Sie wollen.“ Betsy verzog den leuchtend rot geschminkten Mund zu einem strahlenden Lächeln und enthüllte dabei gerade weiße Zähne. Während sie ihm kräftig die Hand schüttelte, entlockte sie ihm seinen Namen und den Grund für seinen Besuch in Riverbend. „Oh, wie aufregend!“, schwärmte Betsy. „Und jetzt sagen Sie mir, was Sie zum Frühstück wünschen. Waffeln, Toast oder Rührei?“

Flynn rang sich ein Lächeln ab. „Überraschen Sie mich.“

„Sie werden begeistert sein! Schließlich habe ich eine reiche Auswahl an Backwaren. Stimmt’s, Sam?“

„Sie bekommen Ihre Lieferung jeden Tag als Erste, Betsy. Sie sind meine beste Kundin.“

Betsy ergriff Flynns Arm und zog ihn in den vorderen Salon. „Ich war ihre einzige Kundin, als sie damals die Bäckerei übernommen hat. Viele Leute haben geglaubt, dass ein junges Mädchen so ein Geschäft nicht führen kann. Und ihr ist wirklich das eine oder andere Missgeschick passiert, stimmt’s, Sam? Ein paar verbrannte Sachen und, tja, diese klitzekleine Explosion. Aber jetzt sind Sie eine richtige Bäckerin – auch ohne Berufsausbildung.“

Als Flynn ihr einen Blick zuwarf, lächelte Samantha nur gequält.

„Und diese Liebeskekse haben bei mir und Earl gewirkt. Ach, er ist so ein Süßer!“ Betsy quasselte weiter und ersparte es Flynn, dazu seine Meinung sagen zu müssen. „Die Plätzchen haben etliche meiner Gäste zusammengebracht“, fuhr sie fort. „Ich serviere sie jeden Morgen. Wenn Sie nach der wahren Liebe suchen, Mr. McGranger, dann müssen Sie unbedingt die Kekse probieren.“

„Danke, kein Bedarf.“

„Sie tragen keinen Ring. Also brauchen Sie die Kekse.“ Betsy deutete mit dem Kopf zu Samantha. „Und unsere Sam hier ist verfügbar.“

„Betsy, Mr. McGranger benötigt ein Zimmer“, warf Sam ein.

„Oh, du meine Güte, das hätte ich fast vergessen! Und Sie müssen sicher wieder an die Arbeit, Sam?“

„Ja. In letzter Zeit boomt das Geschäft.“

„Warum auch nicht? Wo sonst sollen die Leute ihr Gebäck kaufen? Immerhin ist Ihre Bäckerei die einzige meilenweit!“ Betsy strahlte, als hätte sie Samantha gerade ein großes Kompliment gemacht.

Vermutlich glaubte die Frau tatsächlich, das getan zu haben. Aber sie hatte vielmehr angedeutet, dass Samanthas Erfolg auf mangelnde Konkurrenz zurückzuführen war – und nicht auf harte Arbeit und Können. Flynn sah Samantha an, wie verletzt sie war. Vor Mitleid zog sich sein Herz zusammen. Energisch unterdrückte er das Gefühl.

Ein Reporter durfte sich nicht mit dem Herzen auf eine Story einlassen. Nachdem Flynn sich jahrelang an diese goldene Regel gehalten hatte, würde er jetzt nicht damit brechen. Diese Grenze überschritt er nicht.

Niemals.

Ob Riverbend Probleme mit Samantha Barnett hatte oder umgekehrt, interessierte ihn nicht. Ob ihre Bäckerei Erfolg hatte oder pleiteging, interessierte ihn genauso wenig.

„Ich würde gern das Zimmer sehen, Miss Williams“, sagte er. „Und mich in Ihr Netzwerk einloggen.“

Stirnrunzelnd stemmte sie die Hände in die Seiten. „Meine Pension gehört zu keiner Kette.“

„Ihr Internetnetzwerk“, erklärte Flynn. „Ich möchte meine E-Mails abrufen.“

„Ach das. So etwas habe ich nicht.“

„Dann Ihre Einwahlverbindung. Die genügt auch.“

„Einwahl in was? Wenn wir mit jemandem sprechen wollen, gehen wir zu ihm nach Hause oder rufen ihn an. Ortsgespräche sind bei mir kostenlos, Ferngespräche berechne ich zusätzlich. Das Telefon im Salon ist für Gäste.“

Flynn drehte sich zu Samantha um. „Sie haben doch Internet in dieser Stadt?“

„Ja, schon …“ Samantha lächelte ihn an. „Aber die Verbindung ist nicht gerade zuverlässig, deshalb machen sich die meisten Leute hier gar nicht erst die Mühe.“

Er war wirklich am Ende der Welt gelandet! „Was heißt das?“

„Bei einem Schneesturm wie jetzt bricht die Internetverbindung als Erstes ab.“

„Gibt es ein Kabelnetz? Was ist mit der Übertragung per Satellit?“

„Nicht hier. Noch nicht.“ Sam zuckte die Schultern.

„Wie zum Teufel macht man in Riverbend Geschäfte?“

„Auf die altmodische Art. Von Angesicht zu Angesicht, mit einem Lächeln und einem Handschlag.“

Genervt rieb Flynn sich die Stirn. Er durfte den Abgabetermin nicht versäumen. Tony war ohnehin schon wütend auf ihn. Und es ging um mehr als nur um seine Karriere. In den Monaten seit dem verpatzten Interview war Flynn auf der Suche gewesen – nach einer Verbindung mit einer Vergangenheit, die er für abgeschlossen gehalten hatte.

Er hatte alles getan, um das Vergangene loszulassen und seine Schuldgefühle zu bekämpfen. Doch plötzlich genügte es nicht mehr, die Sache mit Geld zu regeln.

Er musste persönlich hin, selbst wenn er wahrscheinlich nicht willkommen war. Bis der Schneesturm abflaute und sein Auto repariert war, würde er an dem Artikel über backende Kobolde schreiben. Oder was auch immer das Geheimnis hinter den Liebeskeksen war.

„Wie soll ich ohne Internetzugang arbeiten?“, fragte Flynn.

„Wir haben Strom“, erwiderte Betsy hilfsbereit. „Sie können einen Computer anschließen.“ Im oberen Stockwerk rief nun jemand nach ihr wegen irgendeines Notfalls. „Nicht schon wieder!“ Das misstönende Lied ihrer Hausschuhe erklang, als sie die Treppe hinaufging.

Flynn schaute Samantha an. „Wenn ich nicht bald einen Weg in die Zivilisation finde, erlösen Sie mich bitte von meinen Qualen.“

„Er ist schrecklich, Tante Ginny“, klagte Sam. „Er hasst diese Stadt. Er hasst mich, glaube ich, und er hasst sogar Weihnachten.“

„Aber er ist nett anzusehen, das gleicht es irgendwie aus.“ Ginny Weatherby lächelte ihre Nichte an. Nach dem arbeitsreichen Tag putzten die beiden gemeinsam den hinteren Teil der Bäckerei. Vorn im Laden war es dunkel, das Schild im Schaufenster war auf Geschlossen gedreht.

„Ich habe den Eindruck, dass er mich absichtlich verunsichert. Wie soll ich ihm ein gutes Interview geben? Ich habe ständig Angst, etwas zu sagen, das ich später bereue.“

„Du bist klug genug, das nicht zu tun.“

„Ich will nicht, dass er das mit Grandma herausfindet.“

Ginnys Blick wurde sanfter. „Wäre es so schlimm, wenn die Leute es erfahren?“

„Sie sollen sie so in Erinnerung behalten, wie sie war.“

„Das tun sie sicher auch. Du musst dir klarmachen, dass die Menschen in dieser Stadt deine Freunde sind. Sie haben dich und deine Großmutter gern.“

„Ich werde darüber nachdenken“, entgegnete Sam. Über diesen Punkt hatte sie in den vergangenen fünf Jahren hundertmal nachgedacht. Und sie war stets zum selben Schluss gekommen. Sie brauchte kein Mitleid.

Andererseits würde es alle Einwohner schwer treffen, wenn sie die Wahrheit erfuhren: dass es die Joy Barnett nicht mehr gab, die sie kannten und liebten. Vor allem das wollte Sam nicht.

„Fürs Erste habe ich andere Sorgen. Dieser Flynn raubt mir den letzten Nerv.“

Ginny schlug vor: „Gib ihm etwas Gebäck. Das wird ihn gnädig stimmen.“

„Das habe ich schon versucht. Er wollte es nicht mal probieren.“ Sam besprühte die Arbeitsplatten mit Desinfektionsreiniger und wischte sie ab.

„Hab ein bisschen Geduld.“ Ginny tätschelte ihrer Nichte die Hand. „Der Mann könnte den Laden berühmt machen. Und man kann nie wissen: Vielleicht ist er der Richtige.“

Sam verdrehte die Augen. „Hör auf, mich mit jedem Mann zu verkuppeln, der hier hereinspaziert.“

Tante Ginny nahm ihre Schürze ab und hängte sie an einen Haken neben der Tür. „Deine Mutter würde nicht wollen, dass du allein lebst. Deine Großmutter auch nicht.“

„Ich bin nicht allein. Ich habe dich.“ Sam würde ihrer Großtante ewig dankbar sein: Nachdem Sam die Bäckerei übernommen hatte, war Ginny von Florida nach Riverbend gezogen. Ginny war zwar keine besonders begabte Bäckerin und war deshalb nicht an die Stelle ihrer Schwester Joy getreten. Stattdessen war sie Sams Freundin und Unterstützerin geworden, und das brauchte Sam am nötigsten.

„Das ist nicht dasselbe“, gab ihre Großtante zurück.

„Du weißt, warum ich meine ganze Zeit und Kraft dem Betrieb widme.“ Sie musste den Umsatz und die Einkünfte steigern, denn Grandma Joy sollte die beste Pflege bekommen. Um die bezahlen zu können, musste Sam mit der Bäckerei mehr Geld verdienen.

„Und was diesen Reporter betrifft, solltest du es noch einmal mit deinem Gebäck probieren, finde ich.“ Ginny zog ihren Mantel an.

„In Ordnung. Wenn ich morgen früh Betsy beliefere, versuche ich ihn mit ein paar Keksen zu überzeugen.“

„Steck dein Haar hoch. Trag deine Ohrringe. Und benutz um Himmels willen Lippenstift.“

„Es ist keine Misswahl, sondern ein Interview.“

Ginny lächelte verschmitzt. „Ich bin nicht so alt geworden, ohne ein oder zwei Dinge über Männer zu lernen. Es hilft, wenn wir Frauen unsere Vorzüge nutzen und ins rechte Licht rücken.“ Sie machte das Licht aus und schloss den Laden ab. „Und zwar alle.“

Schon beim Aufwachen hatte Flynn schlechte Laune.

In der Hoffnung auf ein Signal klappte er sein Handy auf – ohne Erfolg. Er ging zum Fenster mit den Spitzengardinen, doch noch immer tat sich nichts. Schließlich schob er drei pausbäckige Weihnachtsmänner vor dem Fenster beiseite, öffnete es und hielt das Telefon nach draußen. Kein Empfang. Wo war er? Auf dem Mars?

Schließlich gab er es auf. Flynn zog sich an und stieg die Treppe hinunter. Der Duft von frisch gekochtem Kaffee lockte ihn ins Esszimmer. Mehrere Gäste saßen an einem langen Tisch und plauderten miteinander. In der Mitte lag eine Girlande aus Kiefernzweigen, die mit großen Tannenzapfen, dicken Schneemännern aus Stoff und roten Stumpenkerzen geschmückt war. Außerdem war die Tafel mit festlichem Geschirr gedeckt: Schneemänner zierten die Tassen, Weihnachtsmänner die Teller, und die Griffe vom Besteck hatten die Form von Schneeflocken.

Weihnachten hatte von allem Besitz ergriffen und nichts vom normalen Leben übrig gelassen.

„Guten Morgen!“ Bimmelnd kam Betsy aus der Küche.

„Kaffee?“, fragte Flynn. Tatsächlich flehte er beinahe.

„Auf der Anrichte. Frisch und heiß!“

„Danke.“ Er ging zu der Kanne mit dem Weihnachtssternmuster und schenkte sich etwas in eine Tasse, die die Frau des Weihnachtsmanns zeigte.

„Wie Ihre Reisepläne aussehen, weiß ich nicht. Aber die Schneepflüge rücken gerade erst aus, und der Flughafen von Indianapolis ist für zwei Stunden geschlossen. Im Wetterbericht sagen sie mehr Schnee voraus. Wir werden ganz bestimmt weiße Weihnachten haben!“ Begeistert klatschte Betsy in die Hände.

„Danke, dass Sie mich auf den neuesten Stand bringen.“ Ein bisschen Schnee würde ihn nicht daran hindern, die Story aus Samantha Barnett herauszuholen.

„Keine Ursache. Das ist eine der vielen Serviceleistungen für meine Gäste. Trinkgeld nicht nötig.“ Betsy strahlte. „Oh, und wir singen nach dem Frühstück Weihnachtslieder im Salon. Falls Sie sich uns anschließen möchten.“

Bloß das nicht! „Nein. Ich …“

Als nun die Eingangstür aufging, drehte Flynn sich abrupt um. Beladen mit Schachteln, betrat Samantha Barnett das Haus. Hervorragendes Timing. Er eilte ihr entgegen und nahm ihr einige ab.

„Danke.“

Ihr Lächeln hatte einen noch stärkeren Effekt auf ihn als das Koffein. Flynn redete sich ein, dass es ihn überhaupt nicht berührte, und setzte eine mürrische Miene auf.

Samantha stellte die Kartons auf einem kleinen Tisch im Esszimmer ab.

Betsy wurde von einem Gast gerufen, der sich nach Veranstaltungen im Ort erkundigte.

„Na?“, fragte Samantha. „Wieder mal schlechte Laune?“

„Es ist diese Stadt“, erwiderte Flynn. „Riverbend bringt meine schlechtesten Seiten zum Vorschein.“

Samantha wurde allmählich wütend. „Eine Chance sollten Sie der Stadt schon geben, bevor Sie sie verurteilen. Vielleicht gewöhnen Sie sich ja noch daran.“

„So wie an einen Hautausschlag?“

„Lassen Sie das nicht Betsy hören. Die Leute hier sind stolz auf Riverbend.“

Er guckte skeptisch. „Da draußen gibt es eine große Welt, die viele tolle Dinge bietet: Kultur, Internetverbindungen, zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel.“

„Mein ganzes Leben lang habe ich davon geträumt, diese Welt zu sehen. Aber …“ Seufzend legte Samantha die letzten Gebäckstücke auf die Platten.

„Die Bäckerei hält Sie zurück.“ Diese Story kannte Flynn zur Genüge: Ladenbesitzer, die sich beklagten, wie anstrengend das Leben als Kleinunternehmer war. Und dennoch machten sie weiter.

Obwohl er in einer ganz anderen Branche arbeitete, konnte Flynn diese Leute verstehen. Er kannte das brennende Verlangen danach, sich durchzusetzen und es von unten bis an die Spitze zu schaffen. Denn er hatte selbst so gehandelt. Und es hatte sich ausgezahlt. Er war als Topjournalist in der Lebensmittelindustrie bekannt geworden. Durch seinen Ehrgeiz hatte er Karriere gemacht.

Nach wie vor war er frei und ungebunden. Er hatte sich nicht mit einer Hypothek, einer Ehefrau und Kindern belastet. Die Sache im vergangenen Sommer war nur ein vorübergehender Rückschlag. Nach diesem Artikel würde er wieder ganz oben sein.

„Nicht nur das Geschäft hindert mich daran“, sagte Samantha. „Ich habe noch andere Gründe, hierzubleiben.“

Der traurige Ton in ihrer Stimme erregte Flynns Aufmerksamkeit. Er witterte, dass dahinter die verlangte Sensationsstory steckte. „Zum Beispiel?“

Schnell riss sie sich zusammen. „Sie wollen mich wegen ‚Joyful Creations‘ interviewen, Mr. McGranger, nicht wegen meines Privatlebens. Bleiben wir dabei, ja?“

„Natürlich. Rein beruflich, so mag ich es auch.“

Allerdings hatte sie dadurch seine Neugier geweckt, dass sie alles Persönliche unter Verschluss hielt. Die meisten Interviewpartner schütteten Flynn bereitwillig ihr Herz aus. Samantha Barnett würde von sich aus nichts preisgeben.

Und er würde sich nicht dazu hinreißen lassen, Mitgefühl zu empfinden. Er würde keinesfalls auf diesen Anflug von Kummer bei ihr hereinfallen. Über sein berufliches Interesse hinaus würde er Samantha Barnett nicht an sich heranlassen.

Allerdings wollte er als Privatmann sehr wohl wissen, was für eine Geschichte sich dahinter verbarg. Er musste verrückt geworden sein. Wahrscheinlich trieb ihn die allgegenwärtige Weihnachtsstimmung hier in den Wahnsinn.

„Wie ist das Wetter?“, fragte Flynn, obwohl er es bereits wusste. In diesem Moment brauchte er lediglich ein unverfängliches Thema.

„Der Schneesturm hat ein bisschen nachgelassen. Am späten Vormittag soll allerdings eine weitere Front heranziehen.“

„Wenn Earl das Ersatzteil für mein Auto hat, könnte ich es gerade noch aus der Stadt heraus schaffen. Vorausgesetzt, dass wir mit dem Interview fertig sind, bevor ich losfahren muss.“

Samantha lachte. „Und dann? In ein paar Stunden sind die Straßen unbefahrbar. Sie können ebenso gut gleich bleiben. Ich glaube nicht, dass Sie eine andere Wahl haben.“

„Man hat immer eine Wahl, Miss Barnett.“

„Vielleicht, wenn Sie die Nationalgarde dazu bringen, Sie aus der Stadt zu eskortieren. Ansonsten bleibt Ihnen nichts übrig, als sich nicht vom Fleck zu rühren.“ Samantha schloss die Schachteln und stapelte sie übereinander. „Ich muss zurück in den Laden. Während der Mittagspause hätte ich zwanzig Minuten Zeit, falls Sie das Interview beenden wollen.“

Scheinbar würde er sowieso den ganzen Tag hier festsitzen. Doch es reizte ihn nicht so wie sonst, bei Corned Beef auf Roggenbrot schnell die Fragen durchzugehen. Offenbar brauchte er Urlaub. Normalerweise hatte er es eilig, einen Artikel abzugeben und zum nächsten überzugehen.

„Nein“, gab Flynn zurück. „Abendessen. Diesmal werden Sie nicht zwischendurch losjagen und Kunden bedienen.“

„Nur Sie und ich …“

„Und mein Notizbuch. Es ist ein Interview, kein Date, Miss Barnett“, versicherte Flynn ihr – und ebenso sich selbst.

„Sicher. Aber würden Sie bitte aufhören, mich Miss Barnett zu nennen? Wenn Sie das tun, fühle ich mich wie eine alte Jungfer. Ich heiße Samantha, meine Freunde sagen Sam zu mir. Fangen wir damit an.“

Flynn nickte. „In Ordnung. Sam.“

„Und noch eins.“ Sie nahm einen Keks von einer der Platten. „Ich gehe erst weg, wenn Sie meine Spezialitäten probiert haben.“

Sein Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln. „Darunter kann man vieles verstehen, Sam.“

„Ich meine damit ausschließlich die Macadamianusskekse mit der Glasur aus weißer Schokolade, Mr. McGranger.“ Sie hielt ihm das Plätzchen unter die Nase.

„Nennen Sie mich Flynn. Dann tue ich alles, was Sie wollen.“ Er wunderte sich über sich selbst. Flirtete er etwa? Das tat er sonst nie.

„Flynn“, sagte sie, „bitte kosten Sie.“

Sie sprach seinen Namen so sanft aus, wie er ihn nie zuvor gehört hatte. „Das sind doch nicht diese Liebeskekse, oder?“

„Nein. Obwohl meine Großtante Ginny findet, ich sollte jedem geeigneten Mann einen geben, der mir über den Weg läuft.“

Sie errötete. Zweifellos bereute sie, dieses interessante kleine Geheimnis ausgeplaudert zu haben. Soso. Samantha Barnett war einsamer, als sie zugeben wollte.

„Haben Sie die Dinger nie selber ausprobiert?“, fragte Flynn. Insgeheim überlegte er, warum er diese Frage überhaupt gestellt hatte.

„Nein. Aber ich verspreche Ihnen, dass meine glasierten Macadamianusskekse genauso köstlich sind.“ Sam lächelte. „Und bei dieser Sorte besteht absolut keine Gefahr, sich zu verlieben.“

Es wäre klüger, zu widerstehen. Er sollte die unvernünftigen Gefühle ignorieren, die Sam in ihm weckte. Bevor er sich all das bewusst machen konnte, öffnete er jedoch schon den Mund und biss in den Keks.

Als er den Geschmack wahrnahm, wusste Flynn, dass dieses Interview anders ablaufen würde als alle anderen.

Und das war wirklich ein Problem.

4. KAPITEL

Sam schlüpfte in ein Kleid. Sie zog es wieder aus und stattdessen Jeans an. Dann tauschte sie die Jeans gegen einen Rock und gleich darauf den Rock gegen die Jeans. Schließlich entschied sie sich für eine schwarze Stoffhose und einen dunkelgrünen Pullover mit Perlenstickerei am Kragen. Dazu wählte sie Stiefeletten. Nichts an ihrer Aufmachung sollte zu sexy sein oder den Eindruck erwecken, dass sie den Mann beeindrucken wollte.

Auch wenn sie genau das versuchte.

Warum, konnte sie nicht sagen. Flynn McGranger war unausstehlich und überhaupt nicht ihr Typ. Obwohl er schöne Hände hatte. Tiefblaue Augen. Breite Schultern. Und eine unglaubliche Ausstrahlung.

Durch das Theater um ihr Outfit kam Sam zehn Minuten zu spät ins Steakhaus „Hall’s“. Nicht einmal ein Lächeln hatte Flynn für sie übrig. Er nickte ihr zu, stand auf und bot ihr einen Stuhl an. Zur Begrüßung fragte er schlicht: „Schneit es noch?“

Na gut, sie war ein bisschen enttäuscht. Flynn hatte ihr kein Kompliment zu ihrem Aussehen gemacht. Anscheinend nahm er sie gar nicht als Frau wahr.

„Ganz leicht“, antwortete sie. „Im Wetterbericht heißt es, dass wir heute Nacht nur mit zweieinhalb bis fünf Zentimetern mehr Schnee rechnen müssen.“

„Hoffentlich hat Earl mein Auto repariert. Dann kann ich morgen früh weiterfahren.“ Flynn nahm ihr gegenüber wieder Platz und reichte ihr die Speisekarte.

Sam legte sie beiseite. „Danke. Ich weiß schon, was ich möchte.“

„Essen Sie hier oft?“

„Da es in der Stadt nur dieses eine Restaurant gibt, ist es so ziemlich der Treffpunkt für Dates.“ Sam spürte, dass sie rot wurde. Warum hatte sie das bloß gesagt?

„Haben Sie hier oft Dates?“ Flynn sah sich in dem Raum um, der in Rot und Gold gehalten und im italienischen Stil eingerichtet war. Das Restaurant war voll besetzt. Unter das stetige Stimmengewirr mischten sich Weihnachtslieder aus der Stereoanlage.

„Ich? Ja, ich verbringe meine gesamte Freizeit hier“, erwiderte Sam lachend. „Zum Beispiel die fünf Minuten, die ich im letzten Jahr hatte.“

„So viel Urlaub habe ich auch ungefähr gehabt.“

Eine Kellnerin kam an den Tisch und stellte jedem von ihnen Wasser hin. Allerdings blieb sie nicht lange genug, um die Bestellung aufzunehmen.

„Also bin ich nicht der einzige Workaholic?“, fragte Sam.

„Mein Job erfordert lange Arbeitszeiten.“

„Oh, ich verstehe. Sie sind ein Sonderfall, während ich …“ Mit hochgezogenen Brauen hielt Sam inne und überließ es ihm, den Rest zu ergänzen.

„Sie sind mindestens genauso ehrgeizig.“ Flynn hob sein Glas und nickte ihr zu. Offenbar respektierte er, was sie tat.

„Eben. Dann können Sie sicher verstehen, warum ich das Geschäft vergrößern will.“

„Ja, kann ich. Aber wo bleiben Sie dabei?“

„Was die Freizeit angeht, meinen Sie?“

„Sich mal einen Film ansehen. Ein Date haben. Sich amüsieren. Nach allem, was ich gehört habe, sind Sie nicht gerade … ein Partygirl. Sie arbeiten. Und arbeiten. Und arbeiten. In zehn oder zwanzig Jahren werden Sie zurückblicken und sich fragen, wohin Ihr Leben verschwunden ist.“

„Wer hat Sie zum Richter über mich ernannt?“ Sam schloss die Finger fester um ihr Glas und wollte Flynn am liebsten das Wasser ins Gesicht schütten. Er hatte einen wunden Punkt getroffen: Genau diese Fragen quälten sie, wenn sie spätabends allein in dem Haus war, das früher ihrer Großmutter gehört hatte. Dann ging sie auf und ab und grübelte …

Was wäre, wenn …?

In diesem Moment kehrte die Kellnerin zurück. „Was kann ich Ihnen bringen?“

„Lasagne“, sagte Sam und war dankbar für die Unterbrechung.

„Ich nehme dasselbe.“ Flynn reichte der jungen Frau seine Speisekarte. Nachdem sie ihm ein kleines Lächeln zugeworfen hatte und in die Küche gegangen war, fuhr er fort: „Schluss mit der hässlichen Aussicht auf Ihre Zukunft. Ich bin nicht hier, um den Hellseher zu spielen.“

„Und ich habe Sie nicht um Ihren Rat gebeten.“

„Stimmt.“ Flynn lächelte. „Ich habe ohnehin den Eindruck, dass Sie meinen Rat nicht annehmen würden.“

Unwillkürlich musste Sam sein ansteckendes Lächeln erwidern. Flynn McGranger hatte Charme, das musste sie ihm lassen. „Kommt darauf an, was Sie zu sagen haben.“

„Geben Sie es zu: Sie sind dickköpfig.“

„Ich bin nicht …“, protestierte sie und überlegte dann kurz, „… allzu dickköpfig.“

„Also, mit diesem Spruch werde ich Sie zitieren.“ Damit holte er das Notizbuch und den Kugelschreiber heraus.

„Sind Sie immer nur hinter der Story her?“, fragte Sam enttäuscht.

Er sah auf. „Das ist mein Job.“

„Ja, schon. Aber was ist mit dem, was Sie mir eben vorgehalten haben? Nehmen Sie sich nie Zeit für sich selbst?“

„Sie meinen, ich sollte dies als Date und nicht als Interview betrachten?“

„Also …“ Nervös rutschte Sam auf ihrem Stuhl hin und her. „Nicht direkt …“

Wieder erschien dieses Lächeln auf seinem Gesicht – nur war es jetzt breiter. „Wie lange ist es her?“

„Was?“

„Dass Sie ein Date hatten?“

Sam nahm einen großen Schluck Wasser. „Ich könnte Sie dasselbe fragen.“

„Eine Woche.“

„Oh“, sagte Sam und stellte das Glas hin. „Ich hatte es so verstanden, dass Sie auch nicht viel Freizeit haben.“

„Ich habe übertrieben.“

Erneut dieses charmante Lächeln. Flirtete Flynn mit ihr? Heiliger Strohsack! War sie deshalb so aufgeregt?

Nein, es lag einfach daran, dass Flynn recht hatte: Sie hatte seit einer Ewigkeit kein Date gehabt.

„Was möchten Sie denn lieber, Sam?“, fragte er. „Ein Date oder ein Interview?“

Sag Interview! mahnte sie die Stimme der Vernunft im Stillen. Sie brauchte die Werbung, damit ihre Einnahmen stiegen. Ihr Privatleben konnte warten, so wie immer. Die Bäckerei kam an erster Stelle.

„Ein Date.“

Hatte sie das wirklich gesagt? Zu dem Mann, der die Zukunft von „Joyful Creations“ in der Hand hatte? Sam spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss.

„Sie überraschen mich.“ Flynn lehnte sich zurück. „Gerade habe ich gedacht, dass Sie nur die Arbeit im Kopf haben. Und plötzlich entscheiden Sie sich fürs Vergnügen.“

„Vielleicht bin ich nicht der farblose Mensch, für den Sie mich halten.“

„Das könnte sein.“ Flynn schob das Notizbuch beiseite und beugte sich vor.

Autor

Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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