Julia Saison Band 46

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WUNDER DER WEIHNACHTSZEIT von HOFFMANN, KATE
Der Weihnachtsmann im Kaufhaus der kleinen Stadt ist tief gerührt. Der süße Eric wünscht sich kein Spielzeug, sondern nur eins: Festliche Weihnachtstage. wie sie gefeiert wurden, als seine Mutter noch bei ihm lebte. Mit dieser Aufgabe wird die junge Holly Bennet - als Weihnachtsengel verkleidet - auf die Ranch der Marrins geschickt! Nicht nur Eric ist von Holly begeistert - auch sein Vater, der attraktive Alex, weicht kaum von ihrer Seite…

IM HIMMELBETT DES PRINZEN von BETTS, HEIDI
Vergeblich versucht die schöne Alandra dem faszinierenden Charme von Prinz Nicolas zu widerstehen: Nach einem romantischen Ball wird sie seine Geliebte. Bis sie am Fest der Liebe durch Zufall erfährt, dass ihr Traummann bereits einer anderen Frau versprochen ist …

DREI WORTE NUR ZUM FEST DER LIEBE von GRAHAM, LYNNE
Will Rocco Volpe sie nur heiraten, weil er der Vater ihres Kindes ist?, fragt Amber sich verzweifelt, als ihr der charismatische Bankier kurz vor Weihnachten einen spontanen Antrag macht. Denn noch immer wartet sie vergeblich auf Worte der Liebe …


  • Erscheinungstag 02.11.2018
  • Bandnummer 46
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711580
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hoffmann, Heidi Betts, Lynne Graham

JULIA SAISON BAND 46

1. KAPITEL

Der kleine Eric stand mit glänzenden Augen da. Staunend bewunderte er den Zaun aus bunten Zuckerstangen, das Pfefferkuchenhäuschen, die Elfen mit den roten Schuhen und den großen Weihnachtsbaum mit dem Lametta.

Ein pummeliger Junge vor ihm in der Schlange versperrte ihm die Sicht. Eric lugte an ihm vorbei zu dem Mann, dessentwegen er heimlich hergekommen war.

„Santa Claus“, flüsterte er ehrfürchtig und fragte sich, ob sein Name wohl auf der Liste mit den „braven“ Kindern stand. Eigentlich hatte er sich in diesem Jahr wirklich gut benommen. Na ja, er hätte die Ringelnatter nicht mit ins Haus bringen und dann entwischen lassen sollen. Und er hätte seine matschverkrusteten Turnschuhe nicht in die Waschmaschine zu Dads weißen Hemden packen dürfen. Aber ansonsten hatte er in den siebeneinhalb Jahren, die er jetzt schon auf der Welt war, noch nie etwas richtig Schlimmes angestellt – außer heute. Heute nämlich war er nach der Schule nicht direkt nach Hause gegangen, sondern mit Raymond in den Stadtbus gestiegen und bis zu Dalton’s Kaufhaus gefahren.

Dalton’s Kaufhaus war für die Zweitklässler der Patrick-Henry-Grundschule in der Vorweihnachtszeit so etwas wie ein Heiligtum. Vom Tag nach Thanksgiving bis zum Heiligabend strömten die Kinder in Scharen durch die Messingdrehtüren und die alte Rolltreppe hinauf in den zweiten Stock, wo der Weihnachtsmann residierte.

Der Weihnachtsmann bei Dalton’s war etwas Besonderes. Er konnte Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Kenny kannte sogar ein Kind, das eine Reise nach Florida geschenkt bekam, als sein Vater kurz vor Weihnachten den Job verloren hatte.

Eric zog seinen Fausthandschuh aus und holte den Brief aus seiner Jackentasche. Er hatte sich unglaubliche Mühe mit dem Schreiben gegeben und einen schönen grünen Umschlag gewählt. Draußen hatte er sogar ein paar von seinen Lieblingsduftstickern aufgeklebt, damit sein Brief in der Masse der Wunschzettel auffiel. Nun musste er noch dafür sorgen, dass Santa ihn auch bekam.

Er schloss die Augen und rieb seinen Glückspenny, den er immer in der Tasche hatte. „Mach ja alles richtig“, murmelte er.

Die Schlange bewegte sich, und Eric schob seinen Umschlag zurück in seine Jackentasche. Er runzelte die Stirn. War es nicht besser, wenn er jeden Tag nach der Schule herkam und einen Brief mitbrachte? Schließlich sollte Santa sehen, wie wichtig ihm die Sache war. Und vielleicht konnten sie Freunde werden, und dann würde Santa mit ihm in die Schule gehen, wenn sie Sachkundeunterricht hatten und jeder etwas Weihnachtliches mitbringen sollte. Da wäre Eleanor Winchell, die blöde Ziege, bestimmt grün vor Neid.

Natürlich hatte Eleanor ihren Wunschzettel vor Miss Green und der ganzen Klasse vorgelesen. Es war eine endlose Liste von Spielzeugen und schönen Kleidern gewesen. Und am Ende hatte sie der Klasse verkündet, sie wollte als Allererste bei Dalton’s sein und Santa ihren Wunschzettel bringen.

Auf Erics Wunschzettel stand kein einziges Spielzeug, und sein Weihnachtswunsch war auch nicht selbstsüchtig, jedenfalls nicht nur. Was er sich wünschte, war für seinen Dad und für ihn.

Zwei Jahre war es her, seit seine Mom gegangen war. Da war er fünf gewesen, fast sechs, und Weihnachten hatte vor der Tür gestanden. Die Nikolausstrümpfe hatten schon am Kamin gehangen, der Weihnachtsbaum war geschmückt gewesen, und dann hatte sie sie einfach verlassen. Seitdem war alles nur noch traurig.

Das erste Weihnachten ohne sie war schrecklich gewesen, weil er die ganze Zeit gedacht hatte, sie würde doch noch zurückkommen. Am schlimmsten aber war es letztes Jahr gewesen. Sein Paps hatte keinen Baum aufgestellt und keinen Kranz aufgehängt. Stattdessen hatte er Thurston, ihren schwarzen Labrador, in eine Tierpension gegeben und war mit Eric nach Colorado zum Skifahren geflogen. Die Geschenke für Eric waren nicht mal verpackt gewesen, und in ihrem Bungalow hatte es bloß ein künstliches Kaminfeuer gegeben.

„Hey, Kleiner, du bist gleich dran.“

Eric hob erschrocken den Kopf und blinzelte. Eine hübsche Elfe in einer roten Tupfenjacke und einer weiten grünen Hose winkte ihn zu sich. Erics Herz pochte. Unsicher ging er auf sie zu.

„Keine Angst“, sagte sie freundlich und schob ihn durch die Pforte. Plötzlich stand Eric vor dem Weihnachtsmann. Er kletterte auf seinen Schoß und holte einmal tief Luft.

Der dicke rote Mantel roch nach Pfefferminz und Pfeifentabak. Eric hob den Kopf und sah dem Weihnachtsmann ins Gesicht. Er hatte freundliche Augen und zwinkerte ihm vergnügt zu.

„Bist du’s wirklich?“ fragte Eric schüchtern. Einige Kinder in der Schule hatten nämlich behauptet, es gäbe gar keinen Weihnachtsmann, aber der hier sah täuschend echt aus.

Santa lachte, dass sein Bart auf und ab wippte. „Und ob, junger Mann. Verrat mir doch bitte, wer du bist und was ich für dich tun kann. Welches Spielzeug wünschst du dir denn zu Weihnachten?“

„Ich heiße Eric Marrin, und ich will gar kein Spielzeug“, antwortete er ernst.

„Kein Spielzeug?“ fragte Santa erstaunt. „Aber jedes Kind wünscht sich Spielzeug zu Weihnachten.“

„Ich nicht. Ich möchte viel, viel Wichtigeres.“

„Und was wäre das?“

„Ich … ich möchte einen großen Tannenbaum mit blinkenden Lichtern. Und ich möchte, dass unser Haus geschmückt ist und ein Kranz an der Tür hängt. Ich möchte Weihnachtsplätzchen und heißen Apfelpunsch und Weihnachtslieder. Und am Heiligabend möchte ich vor dem Kamin einschlafen, und mein Dad soll mich ins Bett tragen. Und am Weihnachtstag möchte ich einen Truthahn und Kirschkuchen zum Nachtisch.“ Die Worte waren nur so aus ihm herausgesprudelt, und Eric schluckte. Verlangte er vielleicht zu viel? „Ich möchte, dass es Weihnachten wieder so ist wie früher, als meine Mom noch bei uns wohnte.“

Der Weihnachtsmann sah ihn eine Weile schweigend an, und Eric fürchtete, er würde jeden Moment aus dem Pfefferkuchenhäuschen geworfen, weil er mit so unmöglichen Wünschen ankam. Spielzeuge waren wahrscheinlich kein Problem für den Weihnachtsmann, denn immerhin gehörte ihm eine Spielzeugfabrik am Nordpol. Aber Eric hatte etwas viel Komplizierteres verlangt. Trotzdem, wenn Raymond recht hatte, konnte dieser Weihnachtsmann sogar seinen Wunsch erfüllen.

„Meine Mom hat uns vor zwei Jahren verlassen, und mein Dad weiß nicht, wie man Weihnachten richtig feiert. Letztes Jahr hatten wir nicht mal einen Tannenbaum. Und dieses Jahr will er schon wieder Skifahren, aber wie können wir denn richtig Weihnachten feiern, wenn wir gar nicht zu Hause sind? Du kannst mir doch helfen, oder?“

„Du willst, dass deine Mutter Weihnachten nach Hause kommt?“

„Nein“, sagte Eric. „Das kann sie nicht, weil sie Schauspielerin ist und ganz viel unterwegs. Jetzt ist sie gerade in London. Ich sehe sie im Sommer für zwei Wochen, und sie schickt mir Postkarten. Nein, sie kann nicht kommen, und ich will auch nicht, dass du mir eine andere Mom schickst, weil du ja keine Menschen in deiner Spielzeugfabrik machen kannst. Ich meine, ich hätte schon gern eine, die immer bei uns sein will, doch wie willst du die denn in deinem Sack transportieren, und was ist, wenn Dad sie nicht mag …“

„Und was genau soll ich dann für dich tun?“ unterbrach der Weihnachtsmann freundlich Erics Wortschwall.

„Schenk mir bitte ein richtiges Weihnachten“, sagte Eric mit feierlicher Miene.

„Hui, das ist ein ziemlich großer Wunsch.“

Eric sah auf seine dicken Gummistiefel. „Ich weiß, aber du bist doch der Weihnachtsmann, und wenn du es nicht kannst, wer denn sonst?“

Als er wieder aufblickte, lächelte ihn der Weihnachtsmann an. „Hast du einen Brief für mich, junger Mann?“

Eric nickte. „Ja, den wollte ich in den Briefkasten stecken.“

„Was hältst du davon, wenn du ihn mir gibst, und ich werde ihn lesen, sobald ich zu Hause bin?“

Mit zitternder Hand holte Eric den Umschlag aus seiner Tasche. Hieß das, Santa würde ihm seinen Wunsch erfüllen? „Eric Marrin“, flüsterte er, um sicherzugehen, dass der Weihnachtsmann sich an seinen Namen erinnerte. „731 Hawthorne Road, Schuyler Falls, New York. Es ist die letzte Auffahrt vor der Brücke. Auf dem Schild steht Stony Creek Farm, Alex Marrin. Das ist mein Dad.“

„Ich bin sicher, dass es auf meiner Landkarte steht“, sagte Santa Claus. Er klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist ein braver Junge, mein Kleiner.“

Eric strahlte. „Ich versuchs, ehrlich.“ Fasziniert sah er zu, wie der Weihnachtsmann seinen Brief in die Manteltasche steckte. „Weißt du, in der Schule sagen ein paar Kinder, du bist gar nicht echt, aber ich hab das nie geglaubt.“

Mit diesen Worten rutschte er vom Schoß des Weihnachtsmanns und lief glücklich zur Rolltreppe. Draußen schneite es, und der Gehweg war ein bisschen rutschig. Eric lief trotzdem so schnell er konnte über den Marktplatz zur Bushaltestelle.

Dort stand eine lange Schlange, doch Eric war viel zu aufgeregt, um sich Sorgen zu machen. Selbst wenn er ein bisschen zu spät nach Hause kam, was machte das schon? Und wenn sein Vater herausfand, wo er gewesen war? Nein, nicht einmal das würde jetzt noch etwas ausmachen.

Wichtig war nur, dass sie ein perfektes Weihnachtsfest bekommen sollten – dank Santa Claus.

„Wenn du mich fragst, an der Sache ist irgendwas faul. Dieser Auftrag stinkt doch zum Himmel.“

Holly Bennett blickte ihre Assistentin Meg O’Malley seufzend an. „Du dachtest auch, der Pförtner unseres Bürohauses wäre ein verdeckt ermittelnder Drogenfahnder und unser siebzigjähriger Hausmeister ein international gesuchter Killer. Meg, vielleicht solltest du nicht ganz so viele Zeitungen lesen. Du wirst allmählich paranoid.“

Weiße Wolken stiegen aus ihrem Mund auf, während sie sprach, und fröstelnd zog sie ihren Mantel noch fester zu. Dann sah sie sich auf dem malerischen kleinen Marktplatz um. Zugegeben, der Auftrag klang seltsam, trotzdem konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass in diesem bezaubernden kleinen Schuyler Falls irgendwelches Unheil lauern sollte.

„Ich informiere mich eben gern. Männer finden Frauen sexy, die gut informiert sind“, konterte Meg, deren rotes Haar im Licht der Straßenlaternen funkelte. „Und du lebst immerhin auch schon seit fünf Jahren in New York City, also wird es höchste Zeit, dass du dir deine Gutgläubigkeit abgewöhnst.“ Sie schüttelte den Kopf. „Vielleicht ist es die Mafia. Ja, genau! Wir sollen für Mafiosi arbeiten!“

„Wir sind zweihundert Meilen von New York City entfernt“, entgegnete Holly. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Mafia dieses verschlafene Städtchen für ihre finsteren Aktivitäten nutzt. Guck dich doch mal um! Wir sind mitten in einer Weihnachtskarte gelandet.“

Holly betrachtete den verschneiten Marktplatz und den riesigen, bunt geschmückten Tannenbaum in der Mitte. Ja, alles sah aus wie auf einer besonders kitschigen Weihnachtskarte. Das Rathaus musste aus dem neunzehnten Jahrhundert sein, und gegenüber stand ein Kaufhaus aus den 1920ern, auf dessen eleganter weißer Steinfassade der Name „Dalton’s“ prangte und das festlich erleuchtet war. Das Kaufhaus, das Rathaus und alle kleinen Läden und Cafés dazwischen waren weihnachtlich dekoriert.

Meg beäugte die Szenerie misstrauisch. „Tja, alles Absicht, glaub mir. Dieses idyllische Bild soll uns einlullen, damit wir nicht merken, was unter der hübschen Oberfläche lauert.“

„Und wer genau lullt uns ein?“ fragte Holly.

„Dieser Phantomkunde, dessen Brief heute Morgen ankam. Wir kriegen einen mysteriösen Auftrag, der uns nur wenige Stunden Zeit lässt, um unsere Sachen zu packen und mit dem Zug quer durch den Staat New York zu fahren, und dabei wissen wir nicht mal, für wen wir arbeiten. Vielleicht ist es die CIA. Die feiern doch Weihnachten, oder?“

Holly sah erst Meg und dann den Brief in ihrer Hand an. Er war per Kurier angekommen, ausgerechnet heute Morgen, als sie gerade dachte, sie müsste ihre Dekorationsfirma „All The Trimmings“ endgültig schließen, weil sie pleite war.

Vor fünf Jahren hatte sie sich mit der kleinen Firma selbstständig gemacht, und dieses Weihnachten musste sie sich entscheiden, wie es damit weitergehen sollte. Auf ihrem Sparkonto waren noch ganze 300 Dollar, also musste sie ihr Unternehmen wohl oder übel aufgeben, falls sich nicht in letzter Sekunde ein toller Auftrag ergab. Vielleicht würde sie dann wieder in ihrem eigentlichen Job arbeiten – als Innenarchitektin.

Natürlich war die Konkurrenz in diesem Geschäft nicht weniger schlimm als in anderen, aber niemand arbeitete so hart wie Holly. Sie dekorierte ihren Kunden ihre Wohnungen je nach Anlass, egal, ob Goldene Hochzeit oder Kindergeburtstag. Bei Bedarf kleidete sie sogar die Hunde ihrer Auftraggeber weihnachtlich ein und buk Hundekuchen in Form von Zuckerstangen oder Lebkuchenmännchen.

Sie hatte klein angefangen und zunächst nur einige Stadthäuser von innen und außen dekoriert. Ziemlich schnell war es ihr gelungen, sich mit ihren originellen Dekorationen einen Namen zu machen. Ihr Entwurf für Big Lou, den Gebrauchtwagenkönig, dessen Baum sie mit golden angesprühten Autoteilen, Zylinderköpfen und Verteilerkappen verziert hatte, war eingeschlagen wie eine Bombe. Mit der Zeit waren dann die Firmenkunden mehr geworden, so dass sie sich inzwischen eine Vollzeitassistentin leisten konnte – Meg.

Holly hatte Weihnachten immer geliebt. Seit sie ein kleines Mädchen war, freute sie sich Jahr für Jahr auf die Weihnachtszeit, die offiziell am Tag nach Thanksgiving begann und am ersten Feiertag – Hollys Geburtstag – endete. Ihre Mutter hatte die wunderbare Weihnachtsdekoration rausgeholt, die das ganze Jahr über auf dem staubigen Dachboden ihres Hauses lagerte. Als Nächstes suchte Holly mit ihrem Vater einen Baum aus, den sie gemeinsam fällten, und anschließend begann ein nicht enden wollendes Schmücken, Backen und Kochen, bis die ganze Familie am Abend des fünfundzwanzigsten Dezembers in die Betten sank.

Die Weihnachtszeit war für sie stets eine ganz besondere Zeit gewesen, in der sie sich wie eine Prinzessin fühlte. Wenn es um Dekoration ging, war sie von Kindheit an eine Perfektionistin gewesen. Daher hatte ihre Mutter damals auch die Idee gehabt, sie solle doch Innenarchitektin werden.

Inzwischen jedoch bedeutete Weihnachten nur noch Arbeit und Umsatz und schien so gar nichts mehr mit den wunderbaren Erinnerungen aus ihrer Kindheit gemein zu haben. Und seit ihre Eltern nach Florida gezogen waren, verbrachte Holly die Feiertage arbeitend bis zur letzten Minute. Sie schaffte es kaum noch, ihre Familie überhaupt zu sehen.

Ohne Familie aber war Weihnachten einfach nicht richtig Weihnachten. Holly graute regelrecht davor, abends allein in ihrem Apartment zu sitzen. Sie seufzte innerlich. Was würde sie darum geben, Weihnachten mit einer richtigen Familie zu feiern. „Ich gebe ja zu, dass die Geschichte ein wenig seltsam scheint, aber betrachte es doch mal von der positiven Seite, Meg. Wir haben alle unsere sonstigen Aufträge so gut wie erledigt.“ Und sie hatte gewiss nichts dagegen, jemandem ein perfektes Weihnachten auszurichten, der bereit war, für zwei Wochen 15.000 Dollar zu bezahlen.

„Wir können es uns nicht leisten, diesen Job abzulehnen“, fuhr sie fort. „Ich habe schon mein ganzes Erbe verpulvert, um die Firma am Leben zu erhalten, und dabei sind meine Eltern noch nicht mal tot!“

„Okay, okay. Also, woran erkennen wir unseren mysteriösen Auftraggeber?“

„Der Scheck ist von einer TD One Foundation. Und in dem Begleitschreiben steht, dass er einen Mistelzweig am Revers trägt.“

Exakt in diesem Moment sah Holly einen großen Mann mit besagtem Reversschmuck auf sich zukommen. Sie knuffte Meg in die Seite, und beide lächelten wie auf Kommando. „Kein Wort von der Mafia“, warnte sie ihre Mitarbeiterin.

„Miss Bennett?“

„Er kennt deinen Namen!“ flüsterte Meg. „Bestimmt weiß er auch, wo du wohnst. Wenn wir uns beeilen, können wir den Zug erwischen, bevor er uns seine Gorillas auf den Hals hetzt.“

Der Mann schüttelte Holly die Hand, und sie bewunderte seinen eleganten Cashmeremantel und die teuren Handschuhe. „Freut mich, Sie kennen zu lernen“, sagte er. „Und vielen Dank, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten.“

„Ganz meinerseits, Mr. … Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen nicht verstanden“, antwortete Holly.

Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete er: „Mein Name tut nichts zur Sache.“

„Woher wussten Sie, dass wir es sind?“ fragte Meg, die ihn misstrauisch beäugte.

„Ich habe nur ein paar Minuten Zeit, also sollten wir direkt zur Sache kommen“, überging er ihre Frage und gab Holly einen großen Briefumschlag. „Hier finden Sie alle Informationen, die Sie brauchen. Die Vertragssumme beläuft sich auf 25.000 Dollar, fünfzehn für Sie und zehn für Ihre Ausgaben. Natürlich werden Sie bis Weihnachten in Schuyler Falls bleiben müssen, um den Auftrag zu erledigen. Ich gehe davon aus, dass das kein Problem ist.“

Holly war überrascht und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. „Normalerweise schlagen wir von uns aus ein Budget vor, nachdem wir einen Entwurf gefertigt haben, ebenso wie wir unseren eigenen Zeitplan erstellen und mit dem Kunden absprechen. Bisher jedoch weiß ich weder, was Sie wünschen, noch wo.“

„In Ihrer Broschüre schreiben Sie, Sie würden ein perfektes Weihnachtsfest ausrichten. Und genau das wünscht er sich, ein perfektes Weihnachten.“

„Wer?“ fragte Holly.

„Der Junge. Sein Name ist Eric Marrin, wenn ich mich recht erinnere. Sie finden alle Daten in den Unterlagen, Miss Bennett. Wollen Sie mich jetzt bitte entschuldigen? Ich muss gehen. Gleich da drüben steht ein Wagen für Sie bereit. Sollten Sie irgendwelche Probleme mit dem Vertrag haben, können Sie die Nummer anrufen, die vorn auf dem Aktendeckel vermerkt ist. In dem Fall würde ich jemand anderen für den Auftrag engagieren. Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest.“

Mit einem höflichen Nicken drehte er sich um und verschwand in der Menschenmenge auf dem Marktplatz. Holly und Meg blieben mit vor Staunen offenen Mündern zurück.

„Fantastisch“, murmelte Meg schließlich.

„Er ist ein Kunde“, entgegnete Holly gereizt, der die Art nicht gefallen hatte, wie er sie behandelte. „Und außerdem unhöflich! Ganz abgesehen davon bin ich verlobt.“

Meg verdrehte die Augen. „Du hast vor fast einem Jahr mit Stephan Schluss gemacht und ihn seitdem nicht mehr gesehen. Er hat dich nicht mal angerufen. Wenn du mich fragst, entspricht das nicht unbedingt dem klassischen Bild von einem verlobten Paar.“

„Wir haben nicht Schluss gemacht“, erwiderte Holly und ging über den Marktplatz zu dem Wagen. „Er hat mir nur gesagt, ich soll mir alle Zeit nehmen, die ich brauche, um mich zu entscheiden. Und er hat vor ein paar Wochen angerufen. Er hat auf mein Band gesprochen, dass er sich nach den Feiertagen wieder meldet, weil er mir etwas Wichtiges zu sagen hat.“

Meg griff nach Hollys Arm und zwang sie, stehen zu bleiben. „Du liebst ihn nicht, Holly. Er ist ein überheblicher Egozentriker und hat keinen Funken Leidenschaft im Leib.“

„Ich könnte ihn lieben“, sagte Holly trotzig. „Und wenn meine Firma mit diesem Auftrag wieder in den schwarzen Zahlen landet, bin ich unabhängig und muss nicht das Gefühl haben, ich würde ihn bloß seines Geldes wegen heiraten.“

„Ach, Holly, ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, schon gar nicht so kurz vor Weihnachten, aber ich habe letzte Woche gelesen, dass Stephan mit einer richtig reichen Erbin verlobt ist. Die Hochzeit soll im Juni in den Hamptons stattfinden.“ Sie legte Holly den Arm um die Schulter. „Ich wünschte, du hättest es nicht auf diese Weise erfahren, aber du musst Stephan endlich vergessen. Es ist vorbei, Holly.“

„Aber wir sind verlobt!“ flüsterte Holly verwirrt. „Jetzt habe ich mich endlich entschieden und dann das.“

„Es wäre so oder so falsch gewesen, glaub mir. Warum brauchtest du sonst ein ganzes Jahr, um dich zu einem Ja durchzuringen? Eines Tages wirst du einen Mann treffen, der dir den Boden unter den Füßen wegzieht. Dieser Mann war Stephan nie. Aber jetzt mach den Umschlag auf und sieh nach, was wir zu tun haben.“

Im Grunde wusste Holly, dass Meg recht hatte. Sie liebte Stephan nicht, hatte ihn nie geliebt. Seinen Antrag wollte sie lediglich deshalb annehmen, weil sich nichts Besseres bot. Trotzdem tat es weh. Von einem Mann abgewiesen zu werden, tat immer weh, selbst wenn man ihn nicht liebte.

Sie atmete tief durch. Nun würde sie Weihnachten also als freie Frau verbringen – ohne Familie, ohne Verlobten, nur mit jeder Menge Arbeit. In dem Umschlag war ein flacher Aktenordner, an dem mit einer Büroklammer ein Brief befestigt war. Die Schrift sah nach einem Kind aus, die Tinte war hier und da verschmiert. Sie überflog den Text, und schlagartig waren die Gedanken an Stephan weit, weit weg. „Ach du liebes bisschen. Sieh dir das an.“

Meg nahm den Brief und las laut vor: „Lieber Santa Claus! Ich heiße Eric Marrin und ich bin fast acht Jahre alt und habe bloß einen Weihnachtswonsch.“ Sie sah Holly an und grinste. „W-O-N-S-C-H. Mach Weihnachten für meinen Dad und mich bitte so wie früher mit Mom. Mit ihr war Weihnachten immer was …“ Meg runzelte die Stirn und mühte sich, das Wort zu entziffern, „Blonderes?“

Holly seufzte. „Besonderes.“ Sie blätterte die Unterlagen in dem Aktenordner durch. Da war eine lange Liste mit Anregungen für Geschenke, Dekoration, Menüs und verschiedene Unternehmungen, die sämtlichst von dem anonymen Spender bezahlt werden würden.

Meg wedelte mit dem Brief vor Hollys Gesicht herum. „Du musst den Job annehmen, Holly. Es wäre gemein, den kleinen Jungen zu enttäuschen. Schließlich ist das doch der Sinn des Weihnachtsfestes, anderen Freude zu bereiten, oder?“ Sie blickte über den Platz zu dem Kaufhaus. „Dalton’s“, murmelte sie. „Ich habe schon mal was über dieses Kaufhaus gelesen. In einem Artikel stand, der Weihnachtsmann, den sie hier haben, würde den Kindern manchmal ihre sehnlichsten Wünsche erfüllen, aber niemand weiß, woher das Geld dafür kommt. Glaubst du, der Typ war …“

Holly schob die Unterlagen in den Umschlag zurück. „Mir ist egal, wer unser Honorar bezahlt. Ich habe einen Job zu erledigen, und genau das werde ich tun.“

„Und was ist mit mir?“

„Du nimmst den nächsten Zug zurück nach New York und kümmerst doch dort um alles, während ich diesen Auftrag hier übernehme. Das schaff ich alleine.“

Meg strahlte. „Die Arbeit wird dir gut tun, Holly. Du bist weit weg von allem, hast keine Zeit, Trübsal zu blasen oder an Stephan zu denken. Und du hast ein Riesenbudget, um ein Traumweihnachten auszurichten.“

Vielleicht war es wirklich genau das, was sie brauchte, damit ihre frühere Begeisterung für Weihnachten zurückkehrte. Auf der Zugfahrt hierher hatte sie fasziniert die wundervolle Winterlandschaft betrachtet, durch die sich der Hudson schlängelte, und als sie in Schuyler Falls ankamen, hatte sie das Gefühl gehabt, einen Ort gefunden zu haben, an dem die Weihnachtszeit noch etwas anderes bedeutete als purer Kommerz.

Hier lächelten die Menschen auf der Straße. Weihnachtslieder erklangen aus den Läden, wann immer die Türen aufgingen, und vermischten sich mit dem Klingeln der Glöckchen an den Pferdeschlitten, die den Marktplatz umrundeten. „Es ist perfekt“, flüsterte Holly. Weihnachten in Schuyler Falls dürfte um ein Vielfaches schöner sein, als allein zu Hause über der Steuererklärung zu hocken.

Der alte Rolls Royce bog von der Hauptstraße ab auf einen geschlängelten Weg, der laut Wegweiser zur „Stony Creek Farm“ führte. Holly hatte die Fahrt von Schuyler Falls zur Farm noch malerischer gefunden als die Zugfahrt von New York – sofern das überhaupt möglich war.

Irgendwo rechts musste der Hudson sein, derselbe Fluss, den sie von ihrem Apartment in Manhattan aus sah. Nur dass er hier vollkommen anders wirkte, wie alles hier anders war als in der Großstadt. Die Atmosphäre hatte etwas geradezu Magisches.

Während Holly die Eindrücke genoss, erzählte George, der Chauffeur, ihr alles über die Stadt und die Menschen in dieser Gegend, verriet allerdings mit keiner Silbe, für wen er arbeitete. Dafür erfuhr Holly, dass Stony Creek Farm eines der letzten großen Pferdegestüte war und der Marrin-Familie gehörte, die schon seit Generationen in Schuyler Falls lebte.

Sie fuhren auf das Haupthaus zu. Rechts und links von der Auffahrt lagen große weiße Stallungen und Schuppen mit sehr gepflegten Holzzäunen dazwischen. Das Haus war groß und einladend mit seinen weißen Schindeln, der Holzveranda und den grünen Fensterläden.

„Da wären wir, Miss“, sagte George und parkte den Wagen. „Stony Creek Farm. Ich warte hier, falls Sie später zurück in die Stadt gefahren werden möchten.“

Sie hatten Meg am Bahnhof abgesetzt. Da es schon spät war, hatte Holly beschlossen, sich zuerst Eric Marrin vorzustellen und dann ein Hotel zu suchen.

Aber jetzt wusste sie nicht recht, wie sie dem Jungen sagen sollte, was sie wollte. Laut Vertrag durfte sie ihm unter keinen Umständen sagen, wer sie engagiert hatte, was nicht weiter schwer war, da sie ja selbst keine Ahnung hatte. Dennoch war sie für die Marrins nichts als eine Fremde, die in ihr Leben hereinplatzte. „Warten Sie doch bitte ein Stück weiter unten“, sagte sie zu George. Wenn Eric und sein Vater keinen Wagen sahen, mussten sie sie zumindest ins Haus bitten. Damit hätte sie Zeit gewonnen, ihnen alles zu erklären.

George sprang aus dem Wagen und eilte auf die andere Seite, um Holly die Tür zu öffnen. Als sie ausstieg, bemerkte sie als Erstes, dass es überhaupt keine Weihnachtsdekoration am Haus gab. Kein Kranz hing an der Tür, keine Lichter funkelten hinter den Fensterscheiben.

Sobald der Wagen außer Sichtweite war, stieg sie die wenigen Stufen zur Veranda hinauf. Wie fing sie am besten an?

„Ich bin Holly Bennett, und mich schickt der Weihnachtsmann.“ Ein eisiger Wind wehte, und sie zog ihren Mantelkragen hoch. Das war doch verrückt. Sie würden wohl kaum eine Wildfremde in ihr Haus lassen. Andererseits war die Aussicht auf das beachtliche Honorar zu verführerisch, als dass sie den Auftrag ablehnen konnte.

Entschlossen drückte sie auf die Klingel. Sogleich begann drinnen ein Hund zu bellen, und wenige Sekunden später wurde die Tür aufgerissen. Vor Holly stand ein kleiner blonder Junge mit großen braunen Augen, der sie neugierig ansah. Neben ihm stand ein großer schwarzer Hund, der nicht minder neugierig dreinblickte als der Junge.

„Hallo“, sagte der kleine Junge, der Eric Marrin sein musste.

„Guten Tag“, sagte Holly.

„Mein Dad ist noch im Stall, kommt aber bestimmt bald.“

„Ich bin nicht hier, um deinen Dad zu sehen. Bist du Eric?“

Der Junge nickte.

Holly streckte ihm die Hand entgegen. „Ich, nun ja, ich bin dein Weihnachtsengel. Santa Claus hat mich geschickt, damit ich all deine Weihnachtswünsche erfülle.“ Sie hatte fest damit gerechnet, dass es sich furchtbar albern anhörte, wenn sie die Worte aussprach, doch dem Gesichtsausdruck des Kleinen nach zu urteilen, war ihre Wortwahl perfekt gewesen. Pure Begeisterung machte sich auf seinem Gesicht breit, und wie zur Unterstützung fing der Hund an zu bellen und mit dem Schwanz zu wedeln.

„Warte hier“, rief Eric, rannte ins Haus und kam kurz darauf mit einer dicken Jacke und einem Paar Fausthandschuhen zurück. Nachdem er sich hastig die Jacke übergezogen hatte, ergriff er Hollys Hand. „Ich wusste, dass du kommen würdest“, sagte er atemlos vor Aufregung.

„Wohin wollen wir denn?“ fragte Holly, als er sie die Verandastufen hinunterzog.

„Zu meinem Dad. Du musst ihm sagen, dass wir dieses Jahr nicht nach Colorado fahren. Auf dich wird er hören, weil du ein Engel bist.“

Dicht gefolgt von dem schwarzen Hund liefen sie einen schneebedeckten Pfad entlang zu dem nächstgelegenen Stall. Die Kälte und Nässe drangen durch Hollys dünne Designerpumps. Einem echten Engel machten nasse Schuhe gewiss nichts aus, ihr allerdings schon, zumal sie diese Schuhe ein ganzes Wochengehalt gekostet hatten. Im Stillen beschloss sie, einen Teil des Budgets für wetterfeste Stiefel und warme Socken abzuzweigen.

„Hast du mit Santa Claus gesprochen?“ fragte Eric. „Er muss meinen Brief gleich gelesen haben, nachdem ich ihn abgegeben hatte. Es ist ja erst ein paar Tage her.“

Holly zögerte, beschloss dann aber, bei der Geschichte zu bleiben. „Ja, ich habe mit ihm gesprochen. Und er sagte mir, ich sollte dir ein perfektes Weihnachtsfest vorbereiten.“

Am Stall angekommen, musste Eric sich mächtig anstrengen, die schweren Doppeltüren zu öffnen. Drinnen war alles hell erleuchtet. Zu beiden Seiten eines breiten, dünn mit Stroh bedeckten Ganges waren große Boxen.

„Dad!“ rief Eric laut. „Dad, sie ist da. Mein Weihnachtsengel ist gekommen.“

Er rannte an den Boxen entlang und machte vor jeder einen Luftsprung, um hineinzusehen. Holly folgte ihm langsam und fragte sich, wie sein Vater wohl reagieren würde. Worauf sie jedoch ganz und gar nicht vorbereitet war, war, wie sie reagierte. Als plötzlich ein großer schlanker Mann aus der Box direkt vor ihr trat, fing ihr Herz an zu klopfen wie nach einem Marathonlauf. Sie hatte einen älteren Mann erwartet, aber der hier war nicht mal dreißig!

Fasziniert blickte sie in die blauesten Augen, die sie je gesehen hatte. Ein Blau, das jede Frau dahinschmelzen ließ. Außerdem war der Mann groß, deutlich über einsachtzig, breitschultrig und unglaublich gut gebaut. Er trug Arbeitsstiefel, enge, ausgewaschene Jeans und ein Cordhemd, dessen Ärmel aufgekrempelt waren. In seinem blonden Haar hatte sich ein Strohhalm verfangen.

Der Mann sah sie eine Weile schweigend an, bevor er sich umdrehte. „Eric?“

Der Junge kam zu ihnen gerannt. „Sie ist da, Dad. Santa hat mir einen Engel geschickt.“ Er zeigte auf seinen Vater. „Weihnachtsengel, das ist mein Dad, Alex Marrin. Dad, das ist mein Weihnachtsengel.“

Holly hüstelte leise, weil sie für einige Sekunden das Atmen vergessen hatte. „Mich, äh, mich schickt der Weihnachtsmann“, sagte sie verlegen und wünschte, er würde aufhören, sie so anzusehen, dass ihr ganz schwindlig wurde. „Ich bin hier, um all Ihre Träume wahr zu machen, das heißt, natürlich Erics Träume, also Erics Weihnachtsträume.“

Er musterte sie misstrauisch von oben bis unten, und Holly lief ein Schauer über den Rücken. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre davongerannt. Doch das konnte sie Eric nicht antun, egal, wie argwöhnisch sein Vater auf ihre Ankunft reagierte. Außerdem war es eine Unverschämtheit, sie anzustarren, als wäre sie eine Betrügerin. Aber er kannte Holly Bennett schlecht, wenn er meinte, sie mit solch einem Verhalten in die Flucht treiben zu können!

Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er begann zu lachen. „Das ist ein Scherz, stimmts? Was passiert als Nächstes? Kommt jetzt gleich von irgendwo Musik, und Sie fangen an, sich auszuziehen?“ Er streckte den Arm aus und zupfte am Revers ihres Mantels. „Was haben Sie denn da drunter an?“

Holly blieb fast die Luft weg vor Entsetzen. „Wie bitte?!“

„Na, sagen Sie schon, wer hat Sie geschickt? Die Jungs vom Futterhandel?“ Er drehte sich wieder um und rief: „Pa, komm mal her! Hast du mir einen Engel bestellt?“

Ein Stück weiter trat ein grauhaariger Mann aus einer der Boxen hinaus auf den Mittelgang, eine Mistforke in der rechten Hand, und schüttelte erstaunt den Kopf.

„Sie ist mein Engel“, beharrte Eric. „Sie kommt nicht vom Futterhandel.“

Der alte Mann lachte leise. „Und ich habe sie dir bestimmt nicht bestellt. An deiner Stelle würde ich sie allerdings auch nicht wieder wegschicken.“ Er zwinkerte Eric zu. „Einen Engel können wir hier draußen gut gebrauchen, was?“

„Das ist mein Graddad“, erklärte Eric an Holly gewandt.

„Wer hat Sie geschickt?“ fragte Alex Marrin.

„Der Weihnachtsmann“, antwortete Eric. „Ich war bei Dalton’s und habe …“

Alex sah ihn streng an. „Wann warst du bei Dalton’s?“

Eric blickte angestrengt auf seinen Fuß, mit dem er nervös gegen einen Strohballen kickte. „Neulich, nach der Schule. Ich musste einfach hin, Dad, und meinen Brief abgeben.“ Dann sah er auf und ergriff Hollys Hand. „Und jetzt hat er sie geschickt, damit sie uns Weihnachten genauso macht, wie es früher immer war – du weißt schon, als Mom noch bei uns wohnte.“

Alex Marrins Gesichtszüge verfinsterten sich. „Geh zurück ins Haus, Eric. Und nimm Thurston mit. Ich komme gleich nach.“

„Schick sie nicht weg, Dad“, flehte Eric. Doch als ihn der strenge Blick seines Vaters traf, verstummte er und trottete brav davon, gefolgt von dem schwarzen Labrador.

Der alte Mann beobachtete die Szene missmutig und zog sich dann mit einem leisen Fluch wieder in die Box zurück, die er gerade ausmistete.

„Also gut“, sagte Alex Marrin, sobald sie allein waren. „Wer sind Sie, und wie kommen Sie hierher?“

„Mein Name ist Holly Bennett“, antwortete sie und holte eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche. „Sehen Sie hier. ‚All The Trimmings‘ heißt meine Firma, und ich bekam den Auftrag, das Weihnachtsfest für Ihren Sohn vorzubereiten. Ich soll bis zum Weihnachtsfeiertag bei Ihnen arbeiten.“

„Wer hat Sie engagiert?“

„Nun, ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. In meinem Vertrag steht ausdrücklich, dass ich darüber keine Auskunft geben darf.“

„Was soll das? Falls das Ganze eine Spende von irgendjemandem ist, will ich sie nicht. Wir können uns ein eigenes Weihnachtsfest leisten.“

„Nein!“ antwortete Holly hastig. „Darum geht es nicht.“ Sie griff in ihre Manteltasche und holte Erics Brief hervor. „Lesen Sie das hier.“

Marrin überflog den Brief, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und lehnte sich an die Boxentür. „Sie müssen mich für einen entsetzlichen Vater halten“, sagte er schließlich.

„Nein, ich kenne Sie ja gar nicht“, entgegnete Holly und legte ihm die Hand auf den Arm, die sie allerdings sogleich erschrocken wieder zurückzog, da ihr bei der Berührung ganz sonderbar wurde. „Ich habe mein Honorar schon bekommen. Sollten Sie mich wegschicken, müsste ich es zurückzahlen.“

Er fluchte leise vor sich hin, dann packte er ihre Hand und zog sie mit sich Richtung Stalltür. Holly war nicht sicher, ob sie sich vielleicht zur Wehr setzen sollte. Hatte er vor, sie direkt rauszuschmeißen?

„Pa, ich bin gleich zurück“, rief er seinem Vater zu. „Ich muss nur kurz etwas mit diesem Engel hier klären.“

2. KAPITEL

„Sie soll aber bleiben!“

Alex betrachtete seinen Sohn, der in seinem Cowboy-Pyjama vorm Bett stand und trotzig die Arme vor der Brust verschränkte. Eric weigerte sich, seinen Vater anzusehen. Früher hatte Alex immer geglaubt, Eric würde mit seinen dunklen Augen und dem breiten Lächeln nur Renee ähneln, doch diesen Dickkopf hatte sein Sohn eindeutig von ihm geerbt. „Ich weiß ja, dass ich einiges falsch gemacht habe, seit deine Mutter fort ist, und ich verspreche, mich in Zukunft zu bessern. Trotzdem brauchen wir diese Frau nicht, um ein schönes Weihnachtsfest zu haben.“

„Sie ist nicht irgendeine Frau“, erwiderte Eric schmollend. „Sie ist ein Engel. Mein Engel.“

Alex setzte sich auf die Bettkante und schlug die Decke zurück. „Ihr Name ist Holly Bennett. Sie hat mir ihre Visitenkarte gegeben. Hast du schon mal von einem Engel mit Visitenkarte gehört?“

„Warum denn nicht? Ist sowieso egal, wie sie heißt, weil es nur darauf ankommt, was sie machen kann.“

„Und was kann sie machen, was ich nicht kann?“ fragte Alex. „Ich kann auch einen Tannenbaum aufstellen und ein paar Girlanden an die Türen tackern.“ Er klopfte auf die Matratze. Nach einem kurzen Zögern stieg Eric widerwillig ins Bett.

„Aber du kannst keine Kekse backen und keine Weihnachtssachen basteln, und der Truthahn, den Granddad macht, schmeckt wie alte Schuhsohlen.“ Er zog sich die Bettdecke bis unters Kinn. „Und mein Engel ist hübsch, ich meine richtig hübsch, so wie ein Supermodel. Sie riecht auch wie eines. Und sie gehört mir, und ich will sie behalten!“

Die letzten Sätze waren überflüssig, denn Alex war nicht entgangen, wie bezaubernd diese Holly Bennett aussah – und duftete. Er wollte ja beinahe selbst glauben, dass sie der Himmel geschickt hatte. Sie hatte ein engelsgleiches Gesicht, einen wunderbar sinnlichen Mund und strahlend grüne Augen mit dichten dunklen Wimpern. Ihr lockiges blondes Haar schimmerte wundervoll und betonte ihre schönen hohen Wangenknochen und ihre perfekte Nase.

Ja, ihm war sehr wohl aufgefallen, wie schön Erics Engel war. Dabei ignorierte er das andere Geschlecht seit zwei Jahren erfolgreich. Na gut, das war nicht weiter schwierig gewesen, da er Frauen äußerst selten über den Weg lief.

Die letzte Frau, zu der er Körperkontakt gehabt hatte, war Miss Green gewesen, Erics Lehrerin. Er hatte ihr beim Elternsprechtag die Hand geschüttelt, was kein wirklich aufregendes Erlebnis gewesen war, da Miss Green siebenundfünfzig Jahre zählte und nach einer Mischung aus Kreide und Rosenwasser roch.

Holly Bennett hingegen war keine ältliche Grundschullehrerin und schwer zu ignorieren. Er dachte daran, wie er ihre Hand gefasst hatte, als er mit ihr aus dem Stall gegangen war. Seine Finger schienen immer noch zu kribbeln, und er überlegte schon, unter welchem Vorwand er sie ein weiteres Mal berühren könnte.

„Sie kann im Gästezimmer schlafen“, schlug Eric vor.

Alex warf ihm einen strengen Blick zu. „Ich lasse keine wildfremde Frau …“

„Engel“, korrigierte Eric.

„Okay, keinen wildfremden Engel in unserem Haus wohnen.“

„Dann wohnt sie eben im Sattelhaus. Schließlich ist es frei, seit Granddad wieder hier eingezogen ist. Er findet sie übrigens nett und hübsch.“

„Woher willst du das wissen?“

„Das sehe ich ihm an“, erklärte Eric.

Alex rieb sich das Gesicht und überlegte. Wenn er Holly Bennett fortschickte, verzieh Eric ihm das nie, und von seinem Vater dürfte er sich endlos lange Vorwürfe anhören. Bei Licht betrachtet, war Hollys Hilfe vielleicht gar nicht das Schlimmste, was ihnen passieren konnte. Er selbst hasste es nämlich, Lichterketten zu entwirren und so an einem Tannenbaum zu drapieren, dass man hinterher nicht bloß einen gewaltigen Kabelsalat sah. Und im Pferdestriegeln war er allemal begabter als im Keksebacken.

Nachdem Renee gegangen war, hatte er sämtliche Weihnachtsdekoration und sonstiges Feiertagszubehör weggeworfen. Hollys überraschendes Auftauchen war eventuell die richtige Gelegenheit, einen Neuanfang zu wagen und eine Weihnachtstradition zu schaffen, die nur Eric und ihm gehörte. Natürlich war Holly dabei, aber eher als eine Art Hilfskraft. Er wüsste zu gern, wer sie bezahlte. Na ja, irgendwann würde er es bestimmt erfahren.

„Also gut“, sagte er. „Ich gebe ihr drei Tage, um zu beweisen, dass sie als Weihnachtsengel taugt. Wenn ja, darf sie bleiben.“

„Und wir müssen nicht nach Colorado zum Skifahren?“

Er lachte. „Nein, müssen wir nicht. Aber du kümmerst dich um sie, und das meine ich ernst, nicht so wie bei deinem Hund und deinem Pferd.“

Eric warf sich ihm in die Arme. „Danke, Dad. Darf ich runterlaufen und es ihr sagen?“

Alex wuschelte ihm durchs Haar und küsste ihn auf die Wange. „Nein, du krabbelst sofort wieder unter die Decke. Ich werde es ihr sagen.“

Sobald sein Sohn wieder lag, deckte Alex ihn wie jeden Abend zu und kitzelte ihn am Bauch. „Wer liebt dich am meisten?“

„Du!“ rief Eric kichernd.

Alex strich ihm das Haar aus dem Gesicht und stand auf. Als er fast bei der Tür war, fragte sein Sohn: „Dad? Vermisst du Mom manchmal?“

Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Vermisste er die dauernden Zankereien? Vermisste er jenes elende Gefühl, das er jedes Mal gehabt hatte, wenn sie in die Stadt fuhr und er wusste, dass sie sich dort mit einem anderen Mann traf? Nein, aber er vermisste das Glück in den Augen seines Sohnes. „Deine Mutter ist eine sehr talentierte Schauspielerin. Sie musste gehen, damit sie dieses Talent ausleben kann. Doch das heißt nicht, dass sie dich weniger liebt als ich.“

Obwohl Erics Frage damit nicht beantwortet war, sank der Kleine zufrieden in sein Kissen. „Nacht, Dad.“

Alex atmete erleichtert auf und ging leise die Treppe hinunter. Wieder einmal hatte er sich erfolgreich um die Wahrheit gedrückt. Früher oder später jedoch würde Eric Erklärungen verlangen, und Alex war nicht sicher, was er ihm dann sagen sollte. Konnte er seinen Sohn denn belügen?

Holly wartete im Wohnzimmer auf ihn. Er blieb in der Tür stehen und betrachtete sie fasziniert. Sie saß sehr aufrecht in einem der Ledersessel und blickte ins Kaminfeuer. Alex verschlug es die Sprache. Sie hatte ihren Mantel ausgezogen und über eine Stuhllehne gehängt. Darunter trug sie eine hübsche rote Jacke, die in der Taille gegürtet war, und einen schmalen schwarzen Rock.

Sie sah aus wie die perfekte Geschäftsfrau, ohne dabei übertrieben unterkühlt zu wirken.

„Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten“, sagte Alex. „Wenn Sie mir sagen, wo Ihr Gepäck ist, hole ich es.“

Er beobachtete fasziniert, wie sie ihre schlanken Beine übereinander schlug. Erst als sie sich räusperte, blickte er ihr ins Gesicht und schalt sich im Stillen für diese Entgleisung. Falls Holly Bennett tatsächlich bleiben sollte, musste er seine Fantasie im Zaum halten!

„Danke, dass ich bleiben darf.“

„Ich schätze, ich muss Ihnen danken“, erwiderte Alex. „Eric wollte, dass Sie im Gästezimmer wohnen, aber …“

„Oh nein“, unterbrach Holly ihn. „Von meinem Budget kann ich mir problemlos ein Hotelzimmer leisten. Und ich werde mir einen Wagen mieten.“

„Darf ich vielleicht ausreden? Ich habe mich einverstanden erklärt, Sie zunächst drei Tage bleiben zu lassen, da ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie länger brauchen, um das Haus zu dekorieren. So lange können Sie im Sattelhaus wohnen. Wir haben dort ein Gästezimmer mit eigenem Bad. Und zum Hin- und Herfahren können Sie den Pick-up nehmen. Dad und ich kommen eine Weile auch mit einem Truck aus.“

„Aber ich wurde bis zum Weihnachtsfeiertag gebucht“, entgegnete sie und schien einen Moment zu überlegen, ehe sie fortfuhr: „Ich weiß, wie komisch es Ihnen vorkommen muss, dass ich mich einfach in Ihr Leben dränge. Glauben Sie mir, für mich ist dieser Job auch ziemlich außergewöhnlich. Trotzdem habe ich vor, alles perfekt zu machen, und dafür werde ich mehr als drei Tage benötigen.“

„Wie lange kann es denn dauern, einen Weihnachtsbaum aufzustellen und ein paar Lichterketten dranzuhängen?“ fragte Alex ein wenig gereizt.

Sie sah ihn an, als hätte er soeben von ihr verlangt, über Nacht die „Queen Mary III“ nachzubauen. „Nun, Mr. Marrin, Sie haben noch gar keine Dekoration angebracht, und wenn ich Ihren Vater richtig verstanden habe, besitzen Sie auch überhaupt keine. Drei Tage veranschlage ich daher allein für die Planung der Innen- und Außendekoration. Außerdem muss ich backen, Menüs zusammenstellen, und falls Sie ein oder zwei Partys geben wollen, bin ich natürlich …“

Er hob die Hand, um sie zu unterbrechen. „Machen Sie mal halblang. Warum warten wir nicht ab, wie sich die ersten drei Tage entwickeln, und beschließen dann, ob wir Ihr irdisches Gastspiel verlängern? Vorher sollten Sie mir allerdings sagen, wer Ihren Besuch finanziert.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wie ich Ihnen bereits mitteilte, weiß ich es nicht.“

„Wissen Sie’s nicht, oder können Sie es nicht sagen?“

„Sowohl als auch.“

Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen, und für einen Moment überkam Alex die völlig abwegige Furcht, sie könnte es sich anders überlegen und auf der Stelle wieder abfahren wollen. „Sie hat uns vor zwei Jahren verlassen“, sagte er ruhig und gefasst. „Vier Tage vor Weihnachten. Das war es doch, was Sie wissen wollten, oder?“

„Nein, ich meine, es geht mich nichts an“, antwortete sie. „Ich bin hier, um Ihrem Sohn und Ihnen ein perfektes Weihnachtsfest auszurichten, mehr nicht. Sie werden gewiss nicht enttäuscht sein.“

„Was immer Sie tun, tun Sie für meinen Sohn, nicht für mich, damit das klar ist. Eric vermisst seine Mutter besonders während der Vorweihnachtszeit. Für ihn war ihr Fortgang hart, zumal er sie seitdem kaum noch sieht.“

So, damit dürfte er auch hinlänglich klar gemacht haben, dass er kein Interesse an einer Ersatzfrau hatte und nicht dulden würde, wenn Holly Bennett Eric die Ersatzmutter vorspielte.

Sie schien ihn verstanden zu haben, denn sie stand auf und sagte unterkühlt: „Falls sonst nichts mehr ist, möchte ich mich jetzt gern zurückziehen. Wenn Sie mir bitte sagen, wie ich zu diesem Sammelhaus komme.“

Alex lachte. „Sattelhaus. Dort werden die Sattel und das Zaumzeug aufbewahrt.“

„Dann schlafe ich in einem Abstellraum?“ fragte sie verwirrt.

„Ich versichere Ihnen, Miss Bennett, es ist weit komfortabler als ein herkömmlicher Abstellraum. Also, wo sind Ihre Sachen?“

„Meine Sachen?“

„Na ja, Ihr Heiligenschein und Ihre Harfe und was ein Engel sonst noch so braucht.“

„Mein Gepäck ist im Wagen. Der Fahrer wartet unten an der Auffahrt.“

Alex nickte. „Ich hole Ihre Taschen und zeige Ihnen dann Ihr Gästezimmer.“

„Mr. Marrin, ich …“

„Alex“, sagte er und half ihr in ihren Mantel, bevor er ihr die Tür nach draußen aufhielt. Dabei verweilte seine Hand deutlich länger als nötig auf ihrer Schulter. Er genoss es, wie ihr Haar seine Finger streifte. Es war schon sehr lange her, seit er zuletzt eine Frau berührt, ihren betörenden Duft eingesogen und sich gewünscht hatte, sie auf der Stelle …

Alex verbannte die abwegigen Gedanken aus seinem Kopf und holte stattdessen einmal tief Luft. Sie war eine wunderschöne Frau, keine Frage, und sie hatte einen ziemlichen Dickkopf, was ihm gefiel. Doch das Letzte, was er in seinem Leben brauchte, war eine romantische Beziehung. Beziehungen brachten jede Menge Ärger mit sich und sonst gar nichts.

Nein, er würde diesen Weihnachtsengel auf Distanz halten und, wenn er klug war, seine albernen Fantasien vergessen.

„Sie ist ein Engel, ich schwörs!“

Im ersten Moment hatte Holly keine Ahnung, wo sie war. Gehörten diese Stimmen zu einem Traum? Nein, jetzt wusste sie es wieder. Sie hatte die Nacht im Sattelhaus der Marrins verbracht. Als Alex sie herbrachte, war sie erstaunt gewesen, wie wenig es mit einem Abstellraum gemein hatte. Vielmehr erinnerte sie die Einrichtung an eine nette kleine Frühstückspension.

Das Gästezimmer hatte sogar einen riesigen offenen Kamin. Gegenüber dem schmiedeeisernen Bett gab es eine offene Küchenzeile sowie einen Tisch mit passenden Stühlen. Im Nebenzimmer stand eine schöne Sitzgruppe, und die Wände waren mit altem Zaumzeug und Fotos von Pferden verziert.

„Sie hat aber keine Flügel“, flüsterte eine unbekannte Stimme.

Holly öffnete langsam die Augen. Direkt vor ihrem Bett hockten zwei kleine Jungen, von denen der eine Eric Marrin war. Der andere war ein sommersprossiger Blondschopf mit einer breiten Zahnlücke, der sie anstarrte wie ein Wesen von einem anderen Stern.

„Kann sie fliegen?“ fragte er leicht lispelnd.

„Quatsch, Kenny, so’ne Sorte Engel ist sie doch nicht“, sagte Eric und knuffte ihn in die Seite. „Sie ist ein Weihnachtsengel! Die sind anders.“

„Was ist mit ihren Haaren los?“ fragte Kenny.

Holly verkniff sich das Lachen, richtete sich ein wenig auf und sah die beiden an. „Guten Morgen.“

Kenny machte einen Satz zurück und wurde knallrot, aber Eric setzte sich strahlend auf ihre Bettkante. „Das ist mein Freund Kenny. Er wohnt ein Stück die Straße runter.“

Holly fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und gähnte. Dem schwachen Licht nach zu urteilen, konnte es noch nicht mal acht Uhr morgens sein. Die beiden Jungen hatten Jacken an und Rucksäcke dabei, waren also vermutlich auf dem Weg in die Schule. Holly reckte sich genüsslich. Das Bett war wunderbar bequem, und trotzdem hatte sie die seltsamsten Träume gehabt.

Immer wieder war das Bild von Alex Marrin aufgetaucht, unterbrochen von Albträumen, in denen sie hoffnungslos verwirrtes Lametta zu entknoten versuchte oder die einzige kaputte Glühbirne in einer kilometerlangen Lichterkette suchte.

Warum faszinierte Alex Marrin sie so sehr? Bis gestern Abend war sie bereit gewesen, den Rest ihres Lebens mit Stephan zu verbringen. Zugegeben, Alex sah unglaublich gut aus, und dass er sie eher abweisend behandelte, verlieh ihm noch einen zusätzlichen Reiz, zumal sie gegen diese tiefblauen Augen sowieso keine Chance hatte.

„Hat sie einen Zauberstab?“ fragte Kenny.

Holly hätte den Jungen erklären müssen, dass „Weihnachtsengel“ eher bildlich gemeint war und sie ein normal sterbliches Wesen, aber irgendwie war sie zu müde, um sich auf lange Erklärungen einzulassen. „Nennt mich einfach Holly“, sagte sie ein wenig schläfrig.

„Wir haben dir Frühstück gebracht, Holly“, sagte Eric, holte ein ziemlich altes Kuchenblech vom Tisch und stellte es aufs Bett. „Dad sagt, ich muss mich um dich kümmern. Ich hab dir Knusperflakes und Toast mit Gelee gemacht. Wenn du aufgegessen hast, führen wir dich ein bisschen herum, damit du alles kennen lernst. Ich habe ein eigenes Pony und einen Flipperautomaten in meinem Zimmer.“

„Hier steckt ihr!“

Holly blickte auf und sah Alex Marrin, der in der offenen Tür stand. Er trug Arbeitskleidung und eine verblichene Leinenjacke. Sein Haar war noch feucht. Er musste gerade geduscht haben, und er war frisch rasiert. Hastig zog Holly sich die Decke unters Kinn, da sie nur ein Hemdchen anhatte.

„Ihr kommt zu spät zur Schule“, sagte Alex zu den Jungen. „Kommt, ich fahre euch hin.“

„Aber wir müssen Holly alles zeigen“, protestierte Eric.

Alex lächelte und blickte zu Holly. „Ich denke, unser Gast muss erst mal richtig wach werden. Ich werde ihr alles zeigen, wenn ich zurück bin. Und jetzt kommt.“

Eric sah enttäuscht aus, schien aber zu ahnen, dass jeglicher Widerspruch zwecklos war. Die beiden Jungen verabschiedeten sich von Holly und trotteten aus dem Zimmer.

„Genießen Sie Ihr Frühstück. Ich bin bald zurück“, sagte Alex zu Holly und ging.

Sobald er aus dem Zimmer war, stand sie auf, wickelte sich die Decke um die Schultern und ging ans Fenster, um den dreien nachzusehen.

Natürlich faszinierte er sie. Und er brachte ihren Puls zum Rasen, wie es Stephan nie geschafft hatte. War es vielleicht Schicksal gewesen, dass sie sich so lange Bedenkzeit für Stephans Antrag genommen hatte? War ihr vielleicht tief in ihrem Innern die ganze Zeit klar gewesen, dass es da draußen irgendwo einen Mann geben musste, der ihr etwas geben konnte, was sie bei Stephan nicht finden würde? Sie überlegte, was das sein mochte, dann fiel es ihr ein. Leidenschaft.

„Und du denkst, Alex Marrin könnte derjenige sein, welcher?“ fragte sie sich halb laut und schüttelte den Kopf. Dann wandte sie sich vom Fenster ab und ging zum Bett hinüber. Nein, auch wenn Alex’ unwiderstehlicher Charme und maskuline Eleganz jede Frau schwach werden ließ, so war da doch noch etwas anderes.

Wann immer sie ihn ansah, überkam sie ein sinnliches Verlangen, wie sie es bei sich überhaupt nicht kannte. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch, und sie fühlte sich seltsam benommen.

„Er ist ein Kunde“, ermahnte sie sich streng. Das stimmte zwar nicht ganz, denn ihr Kunde war ja der mysteriöse Gönner, aber sie musste die Sache trotzdem professionell angehen. Mit einem tiefen Seufzer griff sie nach der Müslischale und nahm sich einen Löffel von den Knusperflakes.

Bäh!“ machte sie, sobald sie die entsetzlich süßen Frühstücksflocken wieder ausgespuckt hatte. Sie probierte den Toast, der kaum besser war. Die dünne Brotscheibe war zentimeterdick mit Gelee bestrichen und ebenfalls hoffnungslos übersüßt. Holly beschloss, auf das Frühstück zu verzichten.

Als es ungefähr zwanzig Minuten später an der Tür klopfte, war sie angezogen, gekämmt und hatte sich sogar schon die Wimpern getuscht. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie Alex hereinbat.

Er öffnete die Tür. „Sie sind noch nicht fertig“, stellte er fest und musterte ihr Cashmere-Twinset, den Wollrock und die Lederpumps mit den Wasserflecken.

Holly blickte ebenfalls an sich herab und sagte: „Tut mir leid, aber das ist alles, was ich dabeihabe. Ich dachte, ich könnte mir heute ein paar geeignetere Sachen kaufen.“

„Mit diesen Schuhen werden Sie hier nichts“, sagte Alex, ging hinaus und kam kurz darauf mit einem Paar viel zu großen Gummistiefel zurück. „Ziehen Sie die an.“

Holly sah die Stiefel an, die verkrustet und mindestens sechs Nummern zu groß waren. Wahrscheinlich wohnten da drin eklige Spinnen. „Nein, danke, ich behalte meine eigenen Schuhe an.“

„Wie Sie meinen. Wir fangen mit den Ställen an.“

„Eigentlich brauche ich die Ställe nicht zu sehen“, sagte Holly und nahm sich ihren Mantel. „Es sei denn, Sie wollen sie ebenfalls dekoriert haben. Ansonsten sollten wir mit dem Haus anfangen. Ich muss die Zimmer ausmessen und überlegen, welches Thema am besten passt. Außerdem habe ich keine Ahnung von Tieren, weder von Hunden noch Katzen noch Ziegen noch Pferden.“

Alex sah sie erstaunt an. „Ich denke, die Standarddekoration tuts vollkommen“, sagte er und ging hinaus in den Schnee. „Sie wissen schon, Lametta und Glitzerkugeln.“

Sie schloss die Tür hinter ihnen und schlüpfte in ihren Mantel. „Nein, nein, ich meinte richtige Tiere. Sie mögen mich normalerweise nicht. Als Kind hatte ich mal eine unglückliche Begegnung mit einer Kuh.“

„Wir haben hier nur Pferde“, erklärte er. „Und wenn Sie tatsächlich bis Weihnachten bleiben, werden Sie die Tiere kaum meiden können.“

Holly gabs auf und lief hinter ihm her durch den matschigen Schnee. Wie angekündigt, fingen sie mit den Stallungen an. Als Erstes zeigte Alex ihr die Halle, in der die Pferde bewegt wurden. Holly stand auf der untersten Querlatte einer Pforte und sah zu, wie Alex’ Vater ein Pferd im Kreis laufen ließ.

„Warum ist das Pferd an der Leine?“

Er lächelte. „Das ist eine Longe, und sie dient dazu, das Pferd besser zu kontrollieren.“

Von hier ging es zu dem großen Stall mit den Pferdeboxen zu beiden Seiten.

„Wie viele Pferde haben Sie?“ fragte Holly.

„Im Moment sind es ungefähr siebzig“, antwortete er. „Etwas über vierzig Zuchtstuten, siebenundzwanzig Jährlinge, die wir im Januar zur Auktion bringen, ein paar Hengste im Ruhestand sowie einige Zug- und Reitpferde. Im Sommer kommen so an die zwanzig Pferde dazu, die wir unterbringen und trainieren, während sie in Saratoga an den Rennen teilnehmen.“

„Klingt nach einer Menge Pferde“, sagte Holly.

Alex schmunzelte. „Na ja, wir sind eher ein kleines Gestüt, verglichen mit anderen. Zu Zeiten meines Großvaters waren wir viel größer, aber wir genießen immer noch einen guten Ruf und haben ein paar erstklassige Zuchtlinien vorzuweisen. Unsere Jährlinge erzielen sehr gute Preise bei den Auktionen.“

Er griff in seine Hemdentasche und holte ein paar Zuckerwürfel hervor, die er Holly gab. Dann zeigte er auf das Pferd, das seinen Kopf aus der nächsten Box streckte. „Das ist Scirocco, der Enkel von Secretariat. Er ist einer von unseren älteren Hengsten, die bei uns ihren Ruhestand verbringen. Und er ist verrückt nach Süßigkeiten.“

„Aber wenn Sie ihn nicht mehr benutzen, wie kriegen Sie dann … Pferdejunge?“

„Fohlen wäre die richtige Bezeichnung, und diese Dinge werden heute rein wissenschaftlich erledigt. Wir brauchen nicht mehr den Hengst selbst, sondern nur noch das, was er anzubieten hat.“

Holly sah ihn erstaunt an. „Dann darf er nicht mehr …“, begann sie, brachte die Frage jedoch nicht zu Ende.

Alex schüttelte den Kopf. „Nein.“

Holly hielt einen Zuckerwürfel zwischen den Fingerspitzen, gerade weit genug weg, dass das Pferd nicht dort ankam. „Und was ist mit seinen Bedürfnissen?“ Sie hatte mit Tieren nie etwas anfangen können, aber trotzdem tat ihr der alte Hengst leid – egal wie furchterregend groß seine Zähne auch waren.

„Glauben Sie mir“, sagte Alex leise, „ein männliches Tier muss nicht immer seinen, nun ja, Instinkten folgen.“

Auch wenn es hier eindeutig um ein Pferd ging, fragte Holly sich, ob Alex damit vielleicht noch etwas anderes gemeint haben könnte.

Alex legte ihr den Zuckerwürfel in die Handfläche und streckte ihre flache Hand ein wenig näher zum Pferd. Gerade als das Tier begann, mit den Lippen nach dem Zucker zu langen, riss Holly ihre Hand zurück. „Tiere hassen mich“, sagte sie nervös. „Hunde bellen mich an, und Katzen laufen vor mir weg. Und was ich schon mit Hühnern und Enten erlebt habe, möchte ich Ihnen lieber nicht erzählen.“

„Komisch, er scheint Sie zu mögen“, erwiderte Alex und sah Holly für ihren Geschmack entschieden zu lange an. Keiner sagte ein Wort, und Holly wurde mit jeder Sekunde mulmiger zumute. Verlegen stützte sie sich mit einer Hand an der Stalltür ab. „Wenn wir hier alles gesehen haben, sollten wir … Autsch!“

Sie machte einen Satz zurück, während ein brennender Schmerz ihre Finger durchfuhr. Leider war das ein Fehler, denn sogleich versank ihr Schuh in einem warmen Haufen Pferdeäpfel. So elegant wie es die Situation erlaubte, zog sie ihren Fuß wieder heraus, hatte ihn jedoch kaum aufgesetzt, als ihr der Absatz wegrutschte und sie mit einem spitzen Schrei auf dem Po landete – mitten in den Pferdeäpfeln.

Der Geruch trieb ihr beinahe Tränen in die Augen, dabei hätte sie schon vor lauter Scham heulen mögen. Sie senkte den Blick und entdeckte, dass ihr Finger blutete. „Er hat mich gebissen!“ rief sie entsetzt und hielt Alex zum Beweis die Hand hin.

In diesem Moment vernahm sie ein leises Wiehern aus der Box. Der Hengst bleckte die Lippen, als würde er grinsen.

„Tut mir leid“, sagte Alex und half ihr auf. „Scirocco kann ein bisschen ungnädig werden, wenn man ihm seine Süßigkeiten verweigert, und diese Pferdeäpfel hätten selbstverständlich längst entfernt werden müssen.“

Holly mühte sich vergebens, den Schmutz von ihrem Schuh abzuschütteln. Das weiche Zeug war sogar ins Innere der Pumps vorgedrungen. „Dass du seit Jahren keinen Sex hattest, brauchst du ja nicht gleich an mir auszulassen!“ schimpfte sie, und als sie Alex’ verwundertes Gesicht bemerkte, fügte sie schnell hinzu: „Ich meinte natürlich das Pferd, ähm, nicht Sie.“

„Natürlich“, sagte er, hob sie hoch und trug sie zu einer Bank. Unmittelbar vor der Bank stellte er sie auf die Füße und befahl ihr knapp: „Hinsetzen.“

Holly verrenkte den Kopf, um zu sehen, wie viel ihr Mantel abbekommen hatte, und hoffte, dass Alex nicht sah, wie rot sie geworden war. Da sie immer noch auf einem Bein stand, verlor sie beinahe das Gleichgewicht. Alex fing sie gerade rechtzeitig ab. Ohne zu fragen, zog er ihr den Mantel aus und warf ihn über die Boxentür neben der Bank. Dann streifte er seine Jacke ab und hielt sie ihr hin.

Als sie die Arme in die Ärmel steckte, spürte sie noch seine Wärme. Die Jacke roch nach einer Mischung aus Seife, frischer Luft und Pferden. „Danke“, murmelte Holly.

„Und jetzt setzen Sie sich hin.“ Sobald sie saß, kniete er sich vor sie und zog ihr behutsam den ramponierten Schuh aus. Der Pferdedung war durch die Feinstrumpfhose bis zwischen ihre Zehen vorgedrungen. Alex fasste mit beiden Händen Hollys Unterschenkel und strich sanft bis hinunter zu ihren Fesseln. Sie begann gerade, die Berührung zu genießen, als er abrupt die Strumpfhose zerriss.

„Sie hätten die Gummistiefel anziehen sollen“, sagte er.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, Tiere können mich nicht leiden“, erinnerte sie ihn.

„Das glaube ich Ihnen nicht. Außerdem provoziert Scirocco unsere Gäste gern, insbesondere unsere weiblichen. Seit er im Ruhestand ist, hat er sich in einen echten alten Griesgram verwandelt.“ Mit diesen Worten stand er auf und verschwand in einem der Nebenräume. Holly hörte Wasser laufen.

„Angeblich macht Pferdedung eine schöne Haut.“

Holly sah nach rechts, wo Alex’ Vater an einer der Boxen stand. Er hatte sich ihr zwar gestern Abend vorgestellt, doch sie hatten bisher kaum drei Worte gewechselt. Trotzdem sagte ihr ihr Instinkt, dass sie in Jed Marrin einen Freund gefunden hatte. Der Mann hatte einen teuflischen Sinn für Humor und wirkte insgesamt recht locker – was man von seinem Sohn wahrlich nicht behaupten konnte.

„Wissen Sie, Miss Bennett, Sie sind die erste Frau seit zwei Jahren, die einen Fuß auf diese Farm setzt. Und wenn Sie mich fragen, dann sind Sie auch die charmanteste, die wir je hier hatten.“

„Vielen Dank, Mr. Marrin.“

Er zwinkerte ihr zu. „Nennen Sie mich Jed. Kein Mensch sagt ‚Mr. Marrin‘ zu mir. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Sie Holly nenne.“

„Ganz und gar nicht, Jed.“

Er sah auf ihren Fuß. „Die berühmte Stony-Creek-Pediküre.“

Holly lachte. „Wenn ich meinen Freundinnen in der Stadt davon erzähle, können Sie das Zeug wahrscheinlich bald abgepackt verkaufen und ein Vermögen damit verdienen.“

„Na ja, an Nachschub mangelts uns bestimmt nicht“, sagte er. „Und warum sollte ich nicht ein bisschen davon profitieren, wo ich doch schon an jedem Haufen Schuld zu haben scheine, der hier herumliegt?“

Alex kehrte mit einem Eimer voller Seifenwasser, einem Erste-Hilfe-Kasten und jenem Paar Stiefel zurück, das sie vorhin noch abgelehnt hatte. „Es ist ja wohl nicht zu viel verlangt, wenn ich erwarte, dass solche Haufen beizeiten entfernt werden“, kommentierte er die spitze Bemerkung seines Vaters gereizt.

Der alte Herr zwinkerte Holly belustigt zu und machte sich wieder an die Arbeit. Holly sah ihm nach, war dann aber abgelenkt, weil Alex ihren Fuß nahm und in das warme Seifenwasser tauchte.

Sie schluckte nervös. Nie hätte sie ihren Fuß für eine erogene Zone gehalten, doch was Alex Marrin mit ihren Zehen anstellte, war sündhaft schön! Sie sollte dringend ein harmloses Gespräch mit ihm anfangen, bevor sie laut aufstöhnte.

„Wie lange leben Sie schon auf der Farm?“ fragte sie mit einer leicht belegten Stimme.

„Mein ganzes Leben“, sagte Alex und rieb nun ihren Knöchel, der überhaupt nicht schmutzig war. „Mein Urgroßvater hat das Gestüt gegründet und später an meinen Großvater übergeben, der es meinem Vater vermacht hat, welcher es wiederum an mich überschrieb. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist die Farm in Familienbesitz. Früher gab es hier in der Gegend viele Pferdezüchter, aber heute sind wir eines der letzten Gestüte.“

Er nahm ihren Fuß aus dem Eimer und trocknete ihn mit einem rauen Handtuch ab. Dann streifte er ihr den Gummistiefel über. Holly zog den anderen Pump aus und ließ sich den zweiten Gummistiefel anziehen.

„So, nachdem wir nun Ihre verletzte Eitelkeit versorgt haben, sollten wir uns um den Finger kümmern“, sagte Alex und nahm ihre linke Hand. „Das ist halb so wild. Ich mache Ihnen ein bisschen antiseptische Lösung drauf und ein Pflaster drüber.“

„Brauche ich keine Spritze?“ fragte Holly besorgt.

Alex warf einen Seitenblick auf Scirocco. „Er ist durchgeimpft und hat garantiert keine Tollwut.“

Dann beugte er sich über den Finger und verarztete ihn ein wenig ungeschickt. Holly lächelte. Es fühlte sich gut an, von einem Mann umsorgt zu werden, selbst wenn der Betreffende so abweisend und bisweilen sogar schroff wirkte wie Alex Marrin. Und zumindest wusste sie nun, dass sie sich jederzeit seine Aufmerksamkeit sichern konnte, indem sie sich von einem Pferd beißen ließ und sich in einen Berg Pferdeäpfel setzte.

„Das wars“, verkündete Alex, nachdem er ihr ein Pflaster auf den Finger geklebt hatte, und küsste ihre Fingerspitze.

Holly blinzelte verwirrt, und als er sie ansah, erkannte sie, dass er nicht minder erschrocken war.

„Entschuldigen Sie“, stammelte er. „Ich verarzte sonst nur Eric. Macht der Gewohnheit.“

Autor

Kate Hoffmann
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