Julia Saison Band 67

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

AUSTRALISCHER LIEBESFRÜHLING von MARGARET WAY
James Cunningham ist fasziniert von Caroline McNevin. Viel zu oft tanzt er auf dem Frühlingsball in Queensland mit ihr. Denn sie ist mit dem angesehenen Rancher Scott Harper verlobt …

ZUM HEIRATEN VERFÜHRT von PENNY JORDAN
„Du?“ Am liebsten würde Ruby dem attraktiven Alexander Konstantinakos die Tür vor der Nase zuschlagen. Vor fünf Jahren kannte sie den Namen des sexy Milliardärs nur aus der Presse. Ein Prosecco zu viel und ein magisches Prickeln führten zu einer unvergesslichen Liebesnacht. Doch am Morgen danach wollte Alexander nichts mehr mit ihr zu tun haben!

DER LÖWE VON FLORENZ von CHARLOTTE LAMB

In Florenz passiert das, wovon Nicola schon lange träumt: Die Farenzes erkennen ihren Sohn Paul als Erben der Farenze-Unternehmen an – und Nicola verliebt sich. Doch es fällt ihr schwer, ihrem jungen Glück mit Domenico Farenze zu trauen, denn sie befürchtet, dass er nur mit ihren Gefühlen spielt …


  • Erscheinungstag 22.04.2022
  • Bandnummer 67
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508087
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Margaret Way, Penny Jordan, Charlotte Lamb

JULIA SAISON BAND 67

1. KAPITEL

„Du erkennst ihn sofort“, sagte jemand hinter ihr. „Er reitet gerade mit den anderen Männern an die Startlinie. Da … das blaue Hemd mit der gelben Sechs auf dem Rücken.“

Carrie McNevin drehte sich um. „Er ist ein Cousin von dir, nicht wahr?“

„Ein Cousin zweiten Grades!“ Carrie hörte die Missachtung deutlich heraus und konnte sie auch von Natasha Cunninghams Gesicht ablesen. „Ich habe kaum zwei Worte mit ihm gewechselt, seit er wieder da ist.“

„Wenigstens hast du ihn nicht ganz übersehen.“

Carrie empfand Mitleid mit dem jungen Mann, der von seinen Verwandten so schlecht behandelt worden war. Persönliche Erinnerungen hatte sie nicht an ihn, jedenfalls keine konkreten. Nur eine ganz vage Vorstellung, denn sie war noch ein kleines Kind gewesen, als Clay und seine Eltern ihre Heimat über Nacht verlassen hatten.

„Das war reiner Zufall“, versicherte Natasha in demselben spöttischen Ton, und damit brach das kurze Gespräch ab. Beide Frauen konzentrierten sich wieder auf die Teilnehmer des „Jimboorie Cup“, dessen Verleihung alljährlich den Höhepunkt des zweitägigen Rennens bildete.

Carrie bewunderte die Reiter ebenso wie ihre Pferde, und wie immer, wenn die Outback-Bewohner über Hunderte von Meilen zu dieser festlichen Veranstaltung zusammenkamen, glühte sie vor Anteilnahme und Erregung.

Viele Teilnehmer kamen mit ihren eigenen Flugzeugen, andere legten den weiten Weg in Bussen, Trucks oder Geländewagen zurück. Auch Touristen aus den Städten fanden sich ein, Händler, die mit Farmern und Viehzüchtern günstige Verträge abschließen wollten, und sogar Glücksspieler, die beim Wetten ihr gerade gewonnenes Vermögen riskierten.

Buschrennen gehörten zu den herausragenden gesellschaftlichen Ereignissen im australischen Outback. Die Rennen von Alice Springs oder Birdsville, mit den roten Sanddünen der Simpson Desert als Kulisse, waren die bekanntesten und beliebtesten. Jimboorie lag mehr im Nordosten, im Herzen von Queensland, wo es für die riesigen Schaf- und Rinderherden genug Weideland gab.

Im September herrschte noch angenehmes Frühlingswetter. Es war trocken, und die Temperatur überstieg kaum fünfundzwanzig Grad. Nur weiter draußen, wo die Rennstrecke durch den Busch führte, konnte es schon sommerlich heiß sein.

Jimboorie war eine kleine, aber lebendige Stadt. Es gab drei Pubs, die anlässlich des Rennens voll besetzt waren, eine Polizeistation mit einem Polizisten, ein Krankenhaus mit einem Arzt und drei Schwestern und mehrere Verwaltungsgebäude. Ferner eine Apotheke, in der man außer Arzneimitteln die seltsamsten Dinge kaufen konnte, eine Schule mit einem Klassenraum, ein Postbüro, das in einer Ecke der Metallwarenhandlung untergebracht war, und zwei miteinander konkurrierende Geschäfte für Kleidung und Schuhe.

Im Pressehaus wurde das „Jimboorie Bulletin“ gedruckt, das einmal im Monat herauskam und in weitem Umkreis gelesen wurde. Die Filiale der „Commonwealth Bank“ war zur allgemeinen Empörung schon vor Jahren geschlossen worden, aber man konnte mit einem beliebten chinesischen Restaurant und einer Bäckerei aufwarten, die sowohl für ihr Brot als auch für ihre leckeren Fleischpasteten berühmt war.

Mit knapp dreitausend Einwohnern zählte Jimboorie zu den beachtlichen Städten im Outback, und heute Nachmittag hatten sich alle auf dem Festgelände versammelt – einschließlich des jüngsten Zuwachses, der sechs Monate alten eineiigen Zwillinge von Vince und Katie Dougherty.

Die Pferde waren ausnahmslos Vollblutzüchtungen und damit der Stolz der miteinander wetteifernden Rancher. Das Fell der Tiere, die ihre Köpfe anmutig auf und ab und ihre Schweife leicht hin und her bewegten, glänzte. Auch für sie war dies ein großer Tag, denn trotz aller zur Schau getragenen Heiterkeit, trotz des lässigen Umgangstons und aller echten, für das Outback typischen Kameradschaft wurde die Konkurrenz von allen Beteiligten bitter ernst genommen.

Der „Jimboorie Cup“ war von den Cunninghams gestiftet worden, einer der ersten Pionierfamilien, die von den Britischen Inseln herübergekommen waren. William Cunningham, der zweitälteste Sohn eines begüterten englischen Landwirts, war um achtzehnhundert nach Australien ausgewandert und hatte im Süden des Landes mit der Züchtung von reinrassigen Merinoschafen ein Vermögen gemacht. Erst um achtzehnhundertsechzig war ein Zweig der Familie von New South Wales nach Queensland gezogen und hatte sich auf dem weiten, fruchtbaren Land angesiedelt. Von den anfänglichen Wellblechhütten waren diese Vorfahren in schlichte Cottages und von dort in die schlossartigen Herrenhäuser umgezogen, die ihren inzwischen erreichten sozialen Status zum Ausdruck brachten und sie an die englische Heimat erinnerten.

Carries eigene Vorfahren angloirischer Herkunft waren kurz nach achtzehnhundertsiebzig ins Land gekommen – reich genug, um gut zwanzig Meilen von „Jimboorie House“ entfernt ein ansehnliches Heim zu gründen. Bald hießen die Cunninghams und die McNevins nur noch die „Schafbarone“, die ihr Geld mit Merinowolle machten. Das war in der guten alten Zeit, die etwa hundert Jahre dauerte, aber, wie alle guten Zeiten, einmal zu Ende gehen musste. Mit der Entwicklung synthetischer Stoffe sank der Bedarf an australischer Wolle, der besten Wolle der Welt. Wer überleben wollte, musste sich umstellen, und so wurden aus den weltberühmten Schafzüchtern weltberühmte Lieferanten von Lammfleisch.

Leider hatte sich Angus Cunningham trotzig und kurzsichtig gegen diese Entwicklung gestemmt und weiter Wolle produziert. Mit der einstmals blühenden „Jimboorie Station“ war es immer mehr bergab gegangen, während die benachbarten Rancher, die sich flexibler gezeigt hatten, ihr Vermögen halten oder sogar vermehren konnten.

Heute wurde der „Jimboorie Cup“ von einem Konsortium finanziert – einer Gruppe von Ranchern, die hart arbeiteten, um den alten Lebensstandard halten zu können. Carries Vater, Bruce McNevin, der die Rennstrecke beaufsichtigte, war einer dieser Rancher, ebenso Natasha Cunninghams Vater. Brad Harper – ein „Neuer“, der erst vor einer Generation ins Land gekommen war –, gehörte inzwischen ebenfalls dazu und kommentierte die Rennen seit mehreren Jahren.

Eins der Rennpferde, „Lightning Boy“ mit der Startnummer sechs, zeigte beträchtliche Nervosität. Es tänzelte hin und her, lief unruhig im Kreis und erhob sich zwischendurch auf die Hinterbeine, sodass sein Reiter die Zügel fest im Griff haben musste.

„Er ist nichts … ein Niemand“, setzte Natasha den spöttischen Exkurs über ihren Cousin fort. Gleichzeitig kam sie weiter nach vorn und stellte sich neben Carrie an die blühende Absperrung. In Flemington, wo der „Melbourne Cup“ ausgetragen wurde, dienten die berühmten Rosenrabatten als Absperrung. In Jimboorie waren es Lilienhecken, die verschwenderisch blaue und weiße Blüten trugen.

„Trotzdem versteht er es, mit einem Pferd umzugehen“, meinte Carrie trocken.

„Na und? Das kann jeder Viehtreiber, und mehr ist er nie gewesen. Sein Vater passte noch zu uns, aber er ist früh gestorben. Wahrscheinlich hat er sich bei seiner Frau zu Tode gelangweilt. Sie war ein richtiges kleines Flittchen, die mit ihrem Sohn herumzog und halb Queensland unsicher machte. Inzwischen ist sie ebenfalls tot … Alkohol, Drogen, was weiß ich. Keiner von der Familie wollte mit ihr verkehren. Schon bei der Hochzeit wurde sie gemieden. Mum sagt, damals sei Clay schon unterwegs gewesen.“

Typisch Julia Cunningham, dachte Carrie, die sich nie entscheiden konnte, ob sie Julia oder ihre Tochter Natasha weniger mochte. Beide waren echte Snobs, die schamlos über ihre Mitmenschen herzogen.

„Ist es dann nicht merkwürdig, dass dein Großonkel Angus sich an Clay erinnert und ihm ‚Jimboorie Station‘ vermacht hat?“, fragte sie etwas schadenfroh.

Natasha brach in höhnisches Gelächter aus. „Ein schönes Vermächtnis, wenn du mich fragst! Das Wohnhaus kann jeden Tag einstürzen.“

„Ich habe das alte Haus immer geliebt“, erwiderte Carrie in sehnsüchtigem Ton. „Als Kind kam es mir wie ein Palast vor.“

„Früher, als die Cunninghams zu den führenden Familien gehörten, mag es ganz ansehnlich gewesen sein“, räumte Natasha großzügig ein. „Mein Großvater hätte die Ranch bestimmt nicht so verkommen lassen. Er hätte sich den neuen Gegebenheiten auf dem Weltmarkt angepasst, wie es dann mein Vater getan hat. Aber sein Bruder Angus war ein unfähiger Trottel und ließ den traditionsreichen Wohnsitz der Cunninghams einfach verfallen. Er hätte ‚Jimboorie‘ niemals erben dürfen, genauso wenig wie James … oder Clay, wie er sich heute nennt. James Claybourne Cunningham. Claybourne war der Mädchenname seiner Mutter. Ist das zu glauben? Ziemlich hochtrabend für … so eine.“

„Ich empfinde es als nette Geste von Clay“, widersprach Carrie. „An deine Seite der Familie kann er kaum angenehme Erinnerungen haben.“ Das war die Untertreibung des Jahrhunderts!

Natasha rümpfte die Nase. „So wenig wie wir an ihn, aber die Familienfehde reicht viel weiter zurück. Mein Großvater und Großonkel Angus hassten sich bis aufs Blut. Im Outback hießen sie nur die ‚feindlichen Brüder‘ .“

„Ja, leider.“ Carrie kannte die traurige Familiengeschichte der Cunninghams. „Sieh nur!“ Sie zog ihren Hut tiefer in die Stirn, um ihre Augen besser vor der gleißenden Sonne zu schützen. „Ich glaube, das Rennen beginnt gleich.“

„Na endlich.“ Natasha sah Carrie mit ihren blauen Augen spöttisch an. „Ich habe auf Scott gesetzt.“

„Ich auch.“ Carrie spielte sichtbar mit dem zweikarätigen Brillantring, den Scott ihr zur Verlobung geschenkt hatte. Natasha war eine von Scotts ältesten Verehrerinnen, und eine Cunningham bekam immer das, was sie wollte. Nur bei Scott Harper hatte sie sich verrechnet. Scott liebte Carrie und hatte sich damit die Sympathien der Cunninghams gründlich verscherzt. Glücklicherweise war Carrie inzwischen in der Lage, mit Natashas Anspielungen und Sticheleien richtig umzugehen.

Drei Rennen hatten an diesem Nachmittag schon stattgefunden, und alle Zuschauer warteten gespannt auf die letzte Entscheidung. Ein handgreiflicher Zwischenfall an der gut besuchten Bar wurde von Jimboories einzigem Polizisten fachmännisch geschlichtet, dann richtete sich die Aufmerksamkeit wieder auf Scott und seinen Rotfuchs „Sassafras“. Scott war der Favorit des letzten Rennens und trat gegen zwei Mitglieder seines Poloteams an, die beide als ausgezeichnete Reiter galten.

Niemand hatte damit gerechnet, dass mit Clay ein weiterer ernst zu nehmender Konkurrent an den Start gehen würde. Inzwischen konnte jeder sehen, wie gut Clay im Sattel saß und wie souverän er „Lightning Boys“ Zügel führte. Natürlich kannte man auch seine traurige Geschichte. Mehr noch … man wusste, dass Clay Cunningham zurückgekommen war, um sich hier im Outback eine Frau zu suchen! Die Information stammte von Vince Dougherty, Jimboories führendem Gastwirt. Wie Vince behauptete, hatte er sie Clay schon nach dem zweiten Bier entlockt.

Natürlich war Clay nicht der einzige Junggeselle in der Gegend. Das raue, harte Outback galt immer noch als eine Welt der Männer, wo geeignete weibliche Partnerinnen als Seltenheit zählten. Soweit Carrie beobachten konnte, waren alle hübschen und heiratswilligen Mädchen aus der Umgebung zum „Jimboorie Cup“ erschienen. Jede meinte, die geeignete Frau für den Neuankömmling zu sein, und sprach ihren Nebenbuhlerinnen diese Fähigkeit ab. Vielleicht war es ein Fehler von Clay gewesen, sich Vince Dougherty anzuvertrauen. Wenn die Wogen des Festes später höher schlugen, konnte er gut zum Spielball der interessierten Weiblichkeit werden.

Obwohl Scott Carries Favorit war, ließ sie Clay nicht aus den Augen. Er war der geborene Reiter, und der schwarze Wallach passte zu ihm. Carrie war selbst eine gute Reiterin. Sie hatte schon verschiedene Ausscheidungskämpfe gewonnen und hätte auch heute wieder eine Trophäe nach Hause gebracht, wenn ihre Mutter ihr nicht von der Teilnahme abgeraten hätte. Carrie sollte dem heutigen Sieger den „Jimboorie Cup“ überreichen, und als Präsidentin des Frauenkomitees hielt Alicia McNevin auf Form und Anstand. Wenn später die Aufnahmen für eine namhafte Frauenzeitschrift gemacht wurden, sollte ihre Tochter so frisch und strahlend wie nur möglich erscheinen. Das schloss eine vorherige Teilnahme an den Wettkämpfen aus.

Einige Minuten nach drei Uhr wurde es plötzlich still auf dem weiten Gelände. Alle warteten darauf, dass der Reiter der grauen Stute „Daisy“ die weiße Fahne senken und damit das Startzeichen geben würde. Carrie fing an, die Sekunden zu zählen.

„Es geht los!“, rief sie wenig später und sprang vor Aufregung auf, während um sie her Rufe der Begeisterung erschallten. Fieberhafte Spannung hatte die Zuschauer erfasst.

Das Feld bestand aus zehn Reitern. Anfangs hielten sie sich dicht zusammen, bis einige versuchten, die Führung zu übernehmen. Zwei fielen sofort zurück, sodass sich bald eine lang gezogene Reiterkette gebildet hatte.

An der Wendemarke, die bewusst in unzugängliches Gelände verlegt worden war, blieben noch einmal drei Reiter zurück, sodass jetzt fünf um die Führung kämpften. Die Szene erinnerte mehr an die wilde Jagd in einem Wildwestfilm als an ein sportliches Ereignis auf einem gepflegten städtischen Parcours.

Bald sah es so aus, als würde die Entscheidung zwischen Scott Harper, seinen Polokameraden und Jack Butler fallen. Jack war Aufseher auf „Victory Downs“, der Ranch der McNevins. Eine Pferdelänge hinter ihm folgte Clay, dessen schwarzer Wallach sich gut hielt. Carrie konnte beobachten, dass er sich vorbeugte und dem Pferd etwas ins Ohr sagte, um es zu äußerster Anstrengung anzuspornen.

„Sieh nur!“, rief sie Natasha zu, als „Lightning Boy“ tatsächlich aufholte und an Jacks Pferd vorbeizog. „Hättest du das für möglich gehalten?“

Jetzt machten nur noch drei Reiter Clay den Sieg streitig. Alle bemühten sich gewaltig, das Letzte aus ihren Pferden herauszuholen, aber Carries Instinkt sagte ihr, dass Clay nicht mehr zu schlagen sei. Sogar Natasha verharrte in atemloser Spannung. Die Möglichkeit, dass „Golden Boy Harper“, wie der beliebte Mannschaftskapitän des Poloteams überall genannt wurde, verlieren könnte, war beiden Frauen bisher nicht in den Sinn gekommen.

„Es sieht aus, als würde dein Cousin gewinnen“, meinte Carrie mit ungläubigem Kopfschütteln. „Was ist los mit dir, Scott? Kannst du nicht mehr aus deinem Pferd herausholen?“

Die Frage war nicht ernsthaft gestellt, denn im Grunde hielt Carrie Scott nur für einen mäßigen Reiter. Mochte er ein noch so guter Polospieler sein – ein Pferd zu aufopfernder Hingabe zu bewegen, die letzten Energien aus ihm herauszulocken, war ihm nicht gegeben. Scott konnte befehlen, aber nicht verführen.

„Das kann nicht wahr sein!“, schimpfte Natasha und drohte vor Wut mit den Fäusten.

„Es ist aber wahr.“ Carrie hatte sich bereits darauf eingestellt, dass Clay ihren Verlobten schlagen würde.

Sie sah, dass Scott seine Peitschte einsetzte, während Clay es mehr mit Einfühlungsvermögen und Taktik versuchte. Das zahlte sich aus. „Lightning Boy“ verringerte den Abstand immer mehr und hielt sich jetzt dicht hinter „Sassafras“.

„So ein Mist!“, schrie Natasha, und es sah aus, als würde sie vor Ärger platzen.

Carrie hatte eher ein schlechtes Gewissen. Anstatt Scott die Daumen zu halten, verfolgte sie Clays Bravourleistung mit wachsender Bewunderung. Er war Scott als Reiter unbedingt überlegen, und sein schwarzer Hengst besaß Kraftreserven, die Scotts Rotfuchs fehlten.

Carrie fühlte sich hin und her gerissen. Sie schwankte zwischen Enttäuschung über Scott und Bewunderung für Clays herausragende Leistung. Dieser Mann besaß Klasse – genauso wie sein Pferd. Die beiden mussten einfach gewinnen und als Erste durchs Ziel gehen. Nach der üblen Behandlung, die Clay in Jimboorie widerfahren war, gönnte sie ihm den Sieg. Er war ein Kämpfer, und das gefiel ihr.

Sekunden später lag „Lightning Boy“ in Führung und donnerte mit zwei Längen Vorsprung als Erster durchs Ziel.

Ungeheurer Tumult erhob sich.

„Bravo!“, rief Carrie und klatschte jubelnd Beifall. In ihrer Begeisterung vergaß sie, dass sie neben Natasha stand, die wenig Sympathie für den Sieger gezeigt hatte. „Ob er Polo spielt? Dann wäre er ein unglaublicher Gewinn für unsere Mannschaft.“

„Natürlich spielt er nicht Polo“, zischte Natasha ihr zu. „Arme Schlucker spielen nicht Polo. Wo bleibt übrigens deine Loyalität? Scott ist dein Verlobter, und du applaudierst einem Fremden.“

„Einem Einheimischen“, verbesserte Carrie sie. „Er ist schon in ‚Jimboorie House‘ eingezogen.“

„Vorläufig.“ Natasha ließ ihrer Enttäuschung und ihrem Ärger freien Lauf. „Es kommt ganz darauf an, wie sich die Leute zu ihm stellen. Mein Vater hat ziemlich großen Einfluss.“

Carrie runzelte die Stirn. „Willst du damit andeuten, dass ihr vorhabt, Clay das Leben noch schwerer zu machen?“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“ Natashas Blick wurde hart. „Clay wäre verrückt, wenn er hierbleiben wollte. Der alte Angus hat ihm die Ranch nur vererbt, um uns zu ärgern.“

„Das mag stimmen oder nicht … Clay sucht eine Frau, und das kann nur bedeuten, dass er bleiben will.“ Es war Carrie nicht entgangen, dass die Zuschauer mit dem Beifall gezögert hatten, aber inzwischen erntete Clay den Applaus, den er verdiente. Im Gegensatz zu Natashas rachsüchtiger Familie war die Gemeinde offenbar bereit, dem Neuankömmling eine Chance zu geben. „Hörst du den Jubel? Niemand hat mit dem Sieg deines Cousins gerechnet, und doch ist er der klare Gewinner.“

„Warten wir ab, was Scott dazu sagt“, meinte Natasha verächtlich. „Vielleicht ging es nicht mit rechten Dingen zu.“

„So ein Unsinn“, ereiferte sich Carrie. „Ich weiß, dass Scott nicht gern verliert, aber er hat trotzdem Sportsgeist.“ Das sagte sie mehr aus Hoffnung als Überzeugung, denn Scott hasste es, zu verlieren. Nicht nur beim Sport.

„Ich werde ihm sagen, wie begeistert du Clays Sieg aufgenommen hast“, erklärte Natasha und wandte sich ab.

„Davon bin ich überzeugt!“, rief Carrie ihr nach. Seit sie sich vor zwei Monaten mit Scott verlobt hatte, war ihr Verhältnis zu Natasha auf den Tiefpunkt gesunken. Carrie vermutete, dass sie ihr sogar am liebsten beide Augen ausgestochen hätte!

2. KAPITEL

Carrie stand vor einer schwierigen Situation. Ihre Mutter hatte klugerweise darauf verzichtet, den Siegerpokal persönlich zu überreichen, und diese Aufgabe ihrer Tochter überlassen. Sie hatte fest damit gerechnet, dass Scott Harper der Gewinner sein und den begehrten Preis aus den Händen seiner Verlobten entgegennehmen würde. Welch ein Triumph vor der versammelten Outback-Elite!

Doch nun war ein anderer der Sieger – Clay Cunningham, der neue Besitzer der ehrwürdigen „Jimboorie Station“. Das Wohnhaus war zwar abrissreif, und der Ranchbetrieb war praktisch zum Erliegen gekommen, aber deswegen konnte man die Preisübergabe nicht einfach ausfallen lassen. Carrie musste das Podium betreten, Clay den Silberpokal überreichen und sich dabei von allen Seiten fotografieren lassen.

Einige dieser Aufnahmen würden auch im „Jimboorie Bulletin“ erscheinen, für das sie seit dem Abschluss ihres Publizistikstudiums tätig war. Gründer und Herausgeber der beliebten Lokalzeitung war Pat Kennedy, der früher für den „Sydney Morning Herald“ gearbeitet hatte und wegen seines schweren Bronchialasthmas ins Outback gezogen war, wo die reine, frische Luft sein Leiden linderte.

Carrie arbeitete zwei Tage in der Woche für das „Jimboorie Bulletin“, das nicht etwa ein Käseblatt, sondern eine ernst zu nehmende Zeitung war, in der über alle wichtigen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ereignisse berichtet wurde. Die übrige Zeit widmete sie der Familienranch „Victory Downs“. Erst kürzlich hatte sie von ihrer Mutter die gesamte Buchführung übernommen.

Carrie arbeitete gern für das „Bulletin“, und sie liebte und verehrte Pat. Er war der gütigste und weiseste Mann, den sie kannte. Zu ihrem Vater hatte sie ein weit kühleres Verhältnis. In materieller Hinsicht war er ihr nichts schuldig geblieben, aber eine emotionelle Bindung gab es nicht. Einem Sohn hätte sich ihr Vater vielleicht mehr zugewandt, aber das Schicksal hatte ihm „nur“ eine Tochter geschenkt.

Carrie hatte früh lernen müssen, mit dieser Enttäuschung ihres Vaters zu leben. Er vermisste den männlichen Erben schmerzlich und hatte ihr schon früh mitgeteilt, dass nicht sie, sondern ihr Cousin Alex, der Sohn seines jüngeren Bruders Andrew, „Victory Downs“ erben würde. Dabei war Onkel Andrew kein Landwirt, sondern Anwalt in Melbourne. Alex stammte also nicht aus einer Landwirts-, sondern aus einer Juristenfamilie. Er studierte zurzeit noch, mehr oder weniger ohne Ziel, denn er wusste, dass er einmal eine blühende Ranch erben würde. Carries Mutter hatte zäh für die Rechte ihrer Tochter gekämpft, aber Bruce McNevin war hart geblieben. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Alicia einen Kampf verloren.

„Du weißt ja, wie Männer sind!“, hatte sie Carrie wütend erklärt. „Sie glauben, dass Frauen keine Führungsqualitäten besitzen. Wie ungerecht das ist! Du bist auf der Ranch groß geworden, und dein Vater bildet sich ein, dass ein verwöhnter Bengel aus Melbourne sie besser führen kann als du.“

„Das ist nicht der einzige Grund, Mum“, hatte Carrie erwidert. Sie litt seit Langem darunter, dass sie ihr rechtmäßiges Erbe verlieren sollte. „Dad möchte verhindern, dass die Ranch in fremde Hände übergeht. Wenn Söhne erben, tragen sie den Namen weiter. Töchter heiraten, und damit geht die Familientradition verloren. Die Vorstellung, ‚Victory Downs‘ könnte nicht von einem McNevin geführt werden, ist ihm unerträglich. Er misstraut Frauen überhaupt. Wie kommt das bloß? Onkel Andrew denkt in dieser Hinsicht ganz anders.“

„Dein Vater hat nicht gelernt nachzugeben“, hatte Alicia ausweichend geantwortet und, wie so oft, das Thema gewechselt.

Carrie hatte sich inzwischen damit abgefunden, derartig unterschätzt zu werden, aber als Kind und heranwachsendes Mädchen hatte sie sehr darunter gelitten. Trotzdem wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, ihren Vater zu kritisieren oder sogar zu verurteilen. Auf seine Weise sorgte er gut für sie, obwohl er weder ihr noch ihrer Mutter übertriebenen Luxus gestattete. Das überließ man in Jimboorie gern Julia Cunningham, die dafür bekannt war, dass sie in Sydney oder Melbourne ihr Geld verprasste und auch zu Hause nicht mit Luxus sparte.

Carrie erschrak, denn sie bemerkte plötzlich, dass ihr von allen Seiten lebhaft zugewinkt wurde. Sie hatte sich in nutzlosen Betrachtungen verloren und darüber die Gegenwart vergessen. Hastig konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe.

Die meisten jüngeren Frauen waren in schicker Sportgarderobe am Rennplatz erschienen, nur Carrie sah auf Wunsch ihrer Mutter so aus, als wäre sie zu einer Gartenparty im Government House von Sydney eingeladen. Am auffälligsten war der große helle Hut mit weicher, blumenbestickter Krempe. Dazu trug sie ein sonnengelbes, dezent bedrucktes Seidenkleid, das Alicia bei ihrem Lieblingsdesigner in Sydney bestellt hatte, und hohe gelbe Riemchensandaletten. Das lange goldblonde Haar hatte sie zurückgenommen und in einem Nackenknoten zusammengefasst – auch dies ein Einfall ihrer Mutter.

„Ich möchte, dass du wirklich … wirklich gut aussiehst“, hatte Alicia gesagt, selbst eine klassische Schönheit, der man ihre fünfundvierzig Jahre nicht ansah. „Der Hut ist einfach ein Muss. Er schützt deine zarte Haut vor der Sonne und verleiht dir gleichzeitig den notwendigen Schick. Vergiss nie, dass man in diesen Breiten besonders gut auf seine Haut achten muss. Ich tue das ganz gewohnheitsmäßig, obwohl wir beide von Natur aus einen leicht gebräunten Teint besitzen, um den uns viele Frauen beneiden.“

Damit hatte Alicia zweifellos recht. Carrie besaß auch die schönen braunen Augen ihrer Mutter, die zu dem goldblonden Haar in reizvollem Kontrast standen. Von der väterlichen Seite hatte Carrie – eigentlich hieß sie Caroline Adriana – nichts geerbt, aber das störte sie nicht. Alicia stammte aus einer wohlhabenden Familie in Melbourne, zu deren jüngsten Vorfahren eine italienische Contessa zählte. Daneben verblassten sogar die McNevins.

„Du kannst wirklich von Glück sagen, mein Kind“, hatte Alicia abschließend betont, „mit Scott Harper verlobt zu sein! Darüber kommen die Cunninghams nie hinweg. Julia hat ihren ganzen Einfluss aufgeboten, um aus Natasha und Scott ein Paar zu machen.“

Genauso wie du, hatte Carrie gedacht, aber nicht den Mut gehabt, etwas zu sagen. Scott Harper zählte zu den begehrtesten Junggesellen im ganzen Outback. Die geschäftlichen Gewinne seines Vaters waren sprichwörtlich. Sogar Bruce McNevin hatte sich über die Verlobung „höchst erfreut“ gezeigt. Offenbar hielt er es nicht nur für die Pflicht, sondern auch für das höchste Glück einer gehorsamen Tochter, den Mann für sich zu gewinnen, der am besten aussah und am meisten Geld mitbrachte.

Es war Carrie nicht entgangen, dass ihr Vater sie seit der Verlobung wesentlich freundlicher behandelte, als wollte er dadurch seine Anerkennung ausdrücken. Dachte er schon an ihre männlichen Nachkommen? Spielte er vielleicht sogar mit dem Gedanken, sein Testament für sie zu ändern? „Victory Downs“ an Scott Harpers Söhne zu verlieren war am Ende nicht ganz so schlimm.

Arme Carrie! Manchmal kam sie sich wie eine Schachfigur vor, die beliebig hin und her geschoben wurde.

Clay wunderte sich darüber, wie viele Menschen ihm gratulieren wollten. Die älteren beteuerten, dass sie seinen Vater noch gekannt hätten, an den er sie sehr erinnern würde. Eine freundliche alte Dame erkundigte sich sogar nach seiner Mutter und machte ein betrübtes Gesicht, als Clay ihr schonend beibrachte, dass Lucie Cunningham, geborene Claybourne, inzwischen gestorben sei.

Scott Harper, der zweite Sieger und Idol aller Anwesenden, hatte ihm noch nicht gratuliert, aber das erwartete Clay auch nicht. Die meisten Menschen blieben sich treu. Scott hatte ihn schon als Zwölfjähriger wie Dreck behandelt und ihm Gemeinheiten über seine Eltern nachgerufen, die er bis heute nicht vergessen konnte. Clay war damals zehn Jahre alt gewesen und hatte wenig später sein geliebtes „Jimboorie“ verlassen müssen, das ihm jetzt – wie durch ein Wunder – wieder zugefallen war.

Einmal hatte Scott ihn mitten auf der Straße so zusammengeschlagen, dass er mit einer schweren Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht werden musste. Clays Vater, außer sich vor Wut, hatte sich in seinen alten Pick-up gesetzt und war zur „Harper Ranch“ hinübergefahren, um Scotts Eltern zur Rede zu stellen, aber man hatte ihn nicht mal bis auf Schussweite herankommen lassen.

Scott den „Jimboorie Cup“ vor aller Augen weggeschnappt zu haben war eine doppelte Genugtuung für Clay, denn der aufwendig gestaltete Silberpokal sollte ihm von Scotts zukünftiger Frau überreicht werden. Er hatte sich über diese Verlobung gewundert, denn in seiner Erinnerung war Caroline McNevin immer noch ein kleines Mädchen, und zwar das hübscheste, das er je gesehen hatte. Wie konnte ein so reizendes Geschöpf heranwachsen, um sich dann mit Scott Harper zu verloben? Aber in Rancherfamilien heiratete man nun einmal untereinander, das war eine uralte Tradition.

Clays eigener Vater, Reece Cunningham, hatte die rühmliche Ausnahme gebildet. Zu Großem ausersehen, hatte er sich auf den ersten Blick in Lucie Claybourne verliebt, eine mittellose Irin, neben der er jetzt in der Erde ruhte. Das hatte sein Schicksal entscheidend beeinflusst und in ungewöhnliche Bahnen gelenkt.

In der Menge entstand Unruhe, und als Clay sich umdrehte, sah er eine Frau auf sich zukommen. Es musste Caroline sein, und ihr Anblick war einfach verblüffend. Mit ihrer ganzen Erscheinung verkörperte sie den Frühling – eine Welt von Blumen.

Sie schien mehr zu schweben, als zu gehen. Ein unbeschreibliches Gefühl drohte Clay zu überwältigen. Er konnte nur dastehen und sie ansehen. War es die Erinnerung an früher, die ihn so eigenartig berührte? Die Erinnerung an seine Kindheit, als die uralten Akazien von „Jimboorie House“ im Frühling ihren goldenen Blütenflor getragen hatten?

Inzwischen war Carrie näher gekommen und blieb etwa einen Meter vor ihm stehen. Sie war wesentlich kleiner als er, auch mit den hochhackigen Sandaletten reichte sie ihm nur bis zur Brust. Auf ihrem Gesicht lag immer noch der Ausdruck reiner Unschuld, gepaart mit einer Reife, die diesen Ausdruck eher noch steigerte, zumal beides vollkommen natürlich war.

Carrie hatte große samtbraune Augen, die zu ihrem goldblonden Haar in reizvollem Gegensatz standen. Ihr zarter dunkler Teint war makellos wie die feinen, ebenmäßigen Züge. Sie konnte kaum größer als ein Meter sechzig sein, aber das minderte nicht die Wirkung ihrer Persönlichkeit, die Clay immer mehr gefangen nahm.

„James Cunnigham!“ Carrie lächelte, und dieses Lächeln bezauberte ihn vollends. Was war auf einmal mit ihm los? Warum kam es ihm so vor, als würde er diese Frau aus einem früheren Leben kennen? „Ich heiße Sie in Jimboorie willkommen. Mein Name ist Carrie McNevin.“

Clay nahm sich gewaltsam zusammen. „Ich erinnere mich an dich, Caroline“, antwortete er und vergaß vor Anspannung, ebenfalls zu lächeln.

„Unmöglich“, entgegnete sie und errötete dabei.

„Doch.“ Clay zuckte scheinbar gleichgültig die Schultern, aber der Bann, der ihn lähmte, wollte nicht weichen. „Du warst das süße, immer fröhliche Kind, das mir zuwinkte, wenn wir uns in der Stadt begegneten.“

„Wirklich?“ Die Vorstellung rührte Carrie.

„Ja, wirklich, und du kannst ruhig Du zu mir sagen.“

Carries Stimme hatte ganz den Liebreiz ihrer Erscheinung. Sie sprach sanft und melodisch, wie Perlen reihten sich die Worte aneinander. Caroline McNevin, die kleine Prinzessin. Elfenhaft zart und unberührbar, bis Scott Harper in ihre Welt eingebrochen war. Der Gedanke machte Clay so wütend, dass er über sich selbst erschrak.

Carrie sah ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an. „Ich freue mich sehr, James … oder möchtest du lieber Clay genannt werden?“

„Clay ist mir lieber.“ Nur seine Mutter hatte ihn James genannt, und dabei sollte es bleiben.

„Also gut, Clay, dann habe ich die Ehre, dich als Sieger des diesjährigen Rennens um den ‚Jimboorie Cup‘ zum Podium zu begleiten, wo das Komitee zur Preisübergabe versammelt ist.“

Carrie fühlte sich durch die Begegnung seltsam erschüttert. Lag das daran, dass sie als Kind so viele Geschichten über die Cunninghams gehört hatte, oder war nur Clays ungewöhnlich gutes Aussehen schuld? Seine starke sinnliche Ausstrahlung war unwiderstehlich und verunsicherte sie zutiefst. Ob die Umstehenden etwas davon merkten? Gerade jetzt achtete man nur auf sie und Clay, und eine verlegene oder ungeschickte Geste hätte alles verdorben.

Natasha hatte sich große Mühe gegeben, ihren Cousin herabzuwürdigen, aber die Familienähnlichkeit war unverkennbar. Alle Cunninghams hatten tiefschwarzes Haar und strahlend blaue Augen. Beides machte auch Natashas Wirkung aus, und man hätte sie schön nennen können, wenn da nicht ein missgünstiger Zug um den Mund und der kalte Augenausdruck gewesen wären.

Clay war wie alle Cunninghams groß und kräftig gebaut, nur sein Haar war nicht schwarz, sondern kastanienbraun. Mit wechselnder Lichteinwirkung konnte es rötlich schimmern, dann kam das tiefe Blau seiner Augen besonders gut zur Geltung. Er war der sprichwörtliche Mann, dem jede Frau im ersten Moment verfallen musste.

Kaum zu glauben, dass er noch nicht verheiratet oder zumindest verlobt war. Angeblich war er zurückgekommen, um sich hier im Outback eine Frau zu suchen, aber auf Gerüchte sollte man nichts geben. Er musste vier oder fünf Jahre älter sein als Carrie, also etwa achtundzwanzig. Von Scott unterschied er sich sehr, nicht nur äußerlich. Er hatte etwas, Carrie spürte es instinktiv, das Scott fehlte: Tiefgründigkeit und Einfühlungsvermögen.

Wie war es möglich, sich einem fast fremden Mann plötzlich so verbunden zu fühlen? Das war unheimlich, erschreckend, und Carrie tat alles, um sich nichts davon anmerken zu lassen. Bisher hatte sie sich in ihrer Welt sicher gefühlt. Sie wollte Scott heiraten, weil sie ihn liebte, aber ein Blick aus Clays blauen Augen hatte genügt, um alles infrage zu stellen. Dieser Blick war ihr tief in die Seele gedrungen und hatte eine beängstigende Unruhe ausgelöst.

Inzwischen hatten sie das Podium erreicht, und Clay nahm den schweren Silberpokal von Carrie in Empfang. Ihre Hände berührten sich bei der Übergabe, und Carrie spürte ein Prickeln, wie bei einem leichten Stromschlag. Es durchrieselte ihren ganzen Körper, und gleichzeitig kam sie sich wie gelähmt vor. Es wäre sinnlos gewesen, dagegen anzukämpfen. Das, was zwischen Clay und ihr ablief, war einfach zu stark.

Bei all dem hatte Carrie das untrügliche Gefühl, dass Clay ihre Empfindungen teilte. Er spürte dieselbe Spannung, denselben Schock. Was sollte daraus werden, wenn er sich entschloss, auf „Jimboorie“ zu bleiben?

Carrie hörte kaum etwas von dem Beifall, der aufbrauste, vom Klicken der Kameras und den begeisterten Rufen der Zuschauer. Vielleicht hatte sie trotz des großen Huts einen leichten Sonnenstich. Vielleicht litt sie auch an Rennfieber, aber dann blieb ihr beinahe das Herz stehen. Sie hatte einen Blick von Scott aufgefangen, und die Eiseskälte, die aus seinem Lächeln sprach, trübte den Glanz des Tages und die freudige Stimmung, die überall herrschte.

Carrie kannte dieses kalte Lächeln und wusste, was es bedeutete. Scott war wütend und gab sich nur scheinbar Mühe, das zu verbergen. Neben ihm stand Natasha mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck, der genau zu Scotts Lächeln passte. Ein ideales Paar, dachte Carrie benommen. Beide überheblich und unerträglich selbstsicher. Beide typische Erben schwerreicher Rancherdynastien.

Scott drängte sich bis zum Podium durch. „Du musst uns unbedingt verraten, wo du so reiten gelernt hast … Jimmy“, begrüßte er Clay spöttisch. „Und welcher Menschenfreund hat dir sein Pferd ausgeliehen, oder hast du es gestohlen?“ Er hob entschuldigend beide Hände. „Das sollte ein Scherz sein.“

Kein sehr gelungener Scherz, wie Carrie fand, aber Clay ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Du hast dich kein bisschen verändert, Scott Harper“, erwiderte er gelassen. „‚Lightning Boy‘ ist das Abschiedsgeschenk eines sehr guten Freundes. Ein Prachtbursche, nicht wahr? Er könnte das Rennen mühelos zum zweiten Mal gewinnen.“

„Möchtest du es noch einmal versuchen?“, fragte Scott mit unverhüllter Feindseligkeit.

„Jederzeit, wenn dein Pferd sich genügend ausgeruht hat.“ Clay hob den Silberpokal in die Höhe und erntete erneuten Jubel.

Bruce McNevin witterte eine Szene und begab sich schleunigst auf das Podium, um dem Publikum etwas mitzuteilen. Natürlich ging es um den Preis, der mit zwanzigtausend Dollar dotiert war. Alle Anwesenden verstummten und richteten ihre Aufmerksamkeit auf den Redner.

Carrie konnte wieder einmal feststellen, dass ihr Vater ein attraktiver Mann war. Wie immer erfüllte sie das mit Stolz. Er stand in der Blüte seiner Jahre, hatte dichtes schwarzes Haar und ein gut geschnittenes Gesicht, an dem vor allem die keltische Nase, das kräftige Kinn und die ausgeprägten Wangenknochen auffielen. Er kleidete sich sorgfältig, wenn auch ziemlich konservativ, und genoss allgemeinen Respekt.

Während er sprach, stellte sich Scott neben Carrie und legte ihr betont besitzergreifend einen Arm um die Schultern, was sie in diesem Moment eher irritierte. Sie spürte seinen mühsam unterdrückten Ärger und gekränkten Stolz. Scott war kein Verlierer. Carrie wusste nicht, weshalb es so war, aber es war offensichtlich, dass er Clay nicht mochte.

Inzwischen hatte Clay seinen Scheck erhalten. Er bedankte sich bei Bruce und zeigte dabei so viel Bescheidenheit, Selbstvertrauen und Humor, dass seine kurze Rede mehrmals vom Lachen und Applaus der Zuhörer unterbrochen wurde. Man war gekommen, um ein spannendes Rennen zu sehen, und war nicht enttäuscht worden. Ein Neuankömmling hatte gewonnen, aber er war immerhin ein Cunningham! Die Cunninghams gehörten zu den bekanntesten Familien im Outback, und man fragte sich bereits, ob Clay die Ranch wieder hochbringen und „Jimboorie House“ den alten Glanz zurückgeben würde. Allerdings erforderte das die Kraft eines Herkules und unermesslich viel Geld.

„Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein?“, raunte Scott Carrie ins Ohr. Für ihn war Clay immer noch der „kleine Jimmy“, der unbedeutende Knirps von damals. „Und wo hat er die flüssige Sprache her?“

„Er ist ein Cunningham, Scott“, antwortete Carrie. „Man sieht es ihm an, und vielleicht hat er ja auch eine gute Schule besucht.“

Scott schnaufte verächtlich. „Sein Vater verschwand ohne einen Penny von hier, das weiß jeder. Angus Cunningham hielt zwar seine schützende Hand über ihn, um die übrige Familie zu ärgern, aber ich bezweifle, dass er seinem Großneffen eine teure Ausbildung bezahlt hat. Reece brach alle Brücken hinter sich ab, als er dieses kleine Flittchen heiratete.“

„Du weißt nichts über Lucie“, widersprach Carrie, indem sie sich vorsichtig aus Scotts Arm löste. „Mum sagt, dass es nie einen Beweis für die gemeinen Geschichten gab, die von den Cunninghams und den Campbells über Lucie in Umlauf gebracht wurden. Wahr ist nur, dass Reece ursprünglich Elizabeth Campbell heiraten sollte … oder Campbell-Moore, wie sie sich heute nennt.“

„Aber er war dumm genug, es nicht zu tun.“ Scott betrachtete Carrie mit einer Mischung aus Ärger und Trotz. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“

Carrie wich seinem forschenden Blick aus. „Auf der Seite der Wahrheit und Gerechtigkeit, Scott. Und jetzt entschuldige mich bitte. Mum möchte noch einige Aufnahmen machen lassen.“

„Dann darfst du sie nicht warten lassen.“ Scott verbeugte sich spöttisch. „Ich hoffe nur, dass Clay heute Abend nicht auf dem Ball erscheint.“

Das klang wie eine Drohung.

3. KAPITEL

Carrie kämpfte mit wechselnden Stimmungen, während sie sich für den Ball anzog. Da war es ein Glück, dass ihr wenigstens das Kleid ohne Einschränkung gefiel. Es war aus weißem Seidenchiffon gearbeitet und wirkte sehr weiblich. Weiß harmonierte besonders gut mit dem leicht südländischen Teint, der mit der italienischen Contessa in die Familie ihrer Mutter gekommen war.

Das Kleid wurde durch schmale Träger gehalten, hatte einen schlichten, aber tiefen Ausschnitt und einen weiten Rock, der knapp über den silberfarbenen Sandaletten endete und reich mit Zuchtperlen und Pailletten bestickt war.

Das Haar trug sie offen, wie Scott es gern hatte, aber leicht zurückgenommen und hinter den Ohren von antiken Kämmen gehalten, die mit Glitzersteinchen besetzt waren und dementsprechend funkelten. Die Kämme waren eins von vielen Geschenken ihrer Mutter. Carrie hätte sich unschlagbar vorkommen müssen, doch eine vage Furcht quälte sie, als würde im Lauf des Abends irgendetwas Unangenehmes passieren. Daran konnte nur die Begegnung mit Clay Cunningham schuld sein.

Scotts Blick und sein kaltes Lächeln ließen sie immer noch nicht los. Beides hatte Hass und Eifersucht ausgedrückt, obwohl sich die beiden Männer kaum kannten. Scott war höchstens zwölf Jahre alt gewesen, als Reece seine Familie weggebracht hatte, aber seine Abneigung gegen Clay saß tief, darauf hätte Carrie schwören können. Sie kannte seine Schwächen, die er gut zu verbergen wusste.

Sogar Scotts beste Freunde durften Carrie nicht anlächeln oder harmlos mit ihr flirten. Der Gedanke, dass er vielleicht etwas von ihrer spontanen Reaktion auf Clay bemerkt hatte, war beunruhigend und flößte ihr beinahe Angst ein – umso mehr, als sie sich nicht ganz unschuldig fühlte. Seit Clay sie an ihr damaliges fröhliches Winken erinnert hatte, tauchten längst vergessene Bilder aus der Vergangenheit auf.

„Was ist nur mit dir los?“, fragte sie leise ihr Spiegelbild. Gelassenheit zählte sonst zu ihren stärksten Tugenden, aber heute fühlte sie sich beinahe versucht, für den guten Ausgang des Abends zu beten!

Ein Blick auf die silbergefasste Wanduhr verriet Carrie, dass es fast acht war. Sie hätte längst unterwegs sein müssen. Zum Glück war es nur ein kurzer Fußweg von „Dougherty’s Pub“ zur Stadthalle, wo Scott sie im Foyer erwartete. Ihre Eltern wollten bei Freunden übernachten, doch sie selbst fühlte sich bei Vince und Katie wohler. Die Zimmer waren einfach, aber sauber, das Essen schmackhaft und gut. Hier wohnte Carrie auch, wenn sie für Pat Kennedys „Bulletin“ arbeitete. Das war bequemer, als abends den weiten Weg nach Hause zu fahren und am nächsten Morgen zurückzukommen. „Victory Downs“ lag über hundert Meilen westlich von Jimboorie. Das war im Outback keine nennenswerte Entfernung, aber sie hätte die Strecke viermal zurücklegen müssen, wenn sie zwei Tage hintereinander in der Redaktion arbeitete.

Carrie hatte gerade den oberen Treppenabsatz erreicht, als Scott den Pub betrat. Er trug einen weißen Smoking und sah sehr sexy aus. Das Licht der Deckenlampe fiel direkt auf sein blondes Haar, seine blauen Augen leuchteten, und die weißen Zähne blitzten.

„Du siehst toll aus!“, rief er und betrachtete Carrie stolz von oben bis unten. „Ich bin ehrlich beeindruckt.“

Carrie ging vorsichtig die letzten Stufen hinunter und streckte Scott beide Hände entgegen. Sie wünschte sich mindestens drei Kinder von ihm, und alle sollten blondes Haar haben.

„Guten Abend, Scott“, sagte sie.

„Wer es wagt, dich heute Abend anzufassen, wird mich kennenlernen.“ Scott konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Er hatte viele verschiedene Freundinnen gehabt, aber Carrie übertraf sie alle.

„Du siehst auch sehr gut aus“, versicherte sie aufrichtig. „Ich dachte nicht, dass du mich abholen würdest.“

„Glaubst du, ich lasse dich ohne Begleitung so über die Straße gehen?“ Scott war nicht mehr ganz nüchtern. Am liebsten hätte er Carrie wieder mit hinaufgenommen, ihr das hübsche weiße Kleid ausgezogen und ein wildes Liebesabenteuer mit ihr erlebt, aber er scheute das Risiko. Carrie war noch unberührt, nach Scotts Schätzung die letzte Jungfrau über fünfzehn auf der ganzen Erde. Das war jedoch noch nicht alles. Sie wollte sich ihre Unschuld unbedingt bis zur Hochzeit bewahren!

Bei anderen Frauen hätte Scott keine Rücksicht genommen, aber gegen Carries Willensstärke kam er nicht an. Vielleicht war alles nur ein Trick, um seine Leidenschaft zu schüren, was er allerdings nicht beweisen konnte. Er musste sich damit abfinden, dass er eine Verlobte hatte, mit der er nicht ins Bett gehen durfte.

Natürlich hielt er sich heimlich schadlos. Die meisten Frauen brauchte er nur zu fragen, und schon waren sie ihm zu Willen … einschließlich dieses kleinen Biests Natasha Cunningham. Er unterhielt seit Jahren ein Verhältnis mit ihr, obwohl sie ihn immer wieder zappeln ließ. Letzten Endes war sie ihm verfallen, und das wusste er.

Scott selbst hatte es nur auf die kleine unschuldige Caroline McNevin abgesehen. Er begehrte sie, seit sich ihre Brüste gerundet hatten. Jungfräulichkeit hatte er nie ernst genommen und für ein Relikt aus dem Mittelalter gehalten. Doch zu seiner äußersten Verblüffung hatte Carrie von Anfang an darauf bestanden, bis zur Hochzeitsnacht unberührt zu bleiben.

Wer hätte das für möglich gehalten? Doch keine Sorge, er würde sich für die lange Wartezeit entschädigen. Ihre Hochzeitsnacht würde kommen und ein ganz besonderes Erlebnis werden!

Der Festsaal war mit silberblauen Kugeln geschmückt, die wie glitzernde Monde von der Decke herabhingen. Die Gäste drängten sich bereits in dem großen Raum, als Carrie und Scott ankamen, aber der Zufall wollte es, dass Clay einer der Ersten war, den sie unter den Gästen erblickten.

„Dieser unverschämte Kerl wagt es, hier aufzutauchen“, stieß Scott hervor und legte den Arm eng um Carries Taille. „Was sagst du dazu?“

„Reg dich bitte nicht auf.“ Carrie betrachtete ängstlich Scotts angespanntes Gesicht. „Wir sind hier, um uns zu amüsieren … nicht, um uns zu ärgern. Clay ist vollauf berechtigt, an dem Ball teilzunehmen, und wurde nach seinem heutigen Sieg bestimmt glühend erwartet. Suchst du etwa Streit mit ihm?“

„Er sollte mir besser aus dem Weg gehen.“ Wilde Eifersucht packte Scott. Es war, als schüttelte ihn ein Fieber, und er musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um ruhig zu bleiben. Clay Cunningham gegen ihn … das hätte er sich niemals träumen lassen!

Über die Menge hinweg konnte er beobachten, wie kichernde Teenager Clay umringten und wie gebannt an seinen Lippen hingen. Ein so stattlicher Junggeselle war lange nicht in Jimboorie aufgetaucht, und dieser war angeblich auf der Suche nach einer passenden Frau. Wussten die gackernden Hühner denn nicht, dass „Jimboorie House“ eine halbe Ruine war und die ehemals blühende Ranch nie wieder hochkommen würde? Doch vielleicht kümmerte sie das gar nicht. Frauen verliebten sich schnell, aber ihre Gefühle waren nicht von Dauer. Jeder Mann war nur ein Spielzeug für sie.

Zugegeben, Clay Cunningham sah gut aus. Das konnte sogar Scott nicht leugnen. Alle Cunninghams sahen gut aus … auch Natasha. Darüber hinaus hatte Clay den Körper eines griechischen Athleten. Wie hatte sich der unscheinbare Knirps, mit dem er nach Lust und Laune umgesprungen war, in so einen Prachtkerl verwandeln können? Scott war ein guter Boxer im Weltergewicht, ob er aber gegen Clay gewinnen würde, war sehr die Frage.

Wie mühelos Clay ihn heute beim Rennen um den „Jimboorie Cup“ geschlagen hatte! Darin lag die größte Demütigung. Scott war es gewohnt, immer und überall als Sieger gefeiert zu werden, und heute hatte kein Mensch auf ihn geachtet. Dass seine Verlobte den Siegerpokal überreicht hatte, machte das Maß voll. Er hatte beobachtet, wie sich ihre Hände berührten, und Carries Gesichtsausdruck war mehr als verräterisch gewesen.

Clay faszinierte sie – um es milde auszudrücken. Das war gefährlich und musste schnellstens unterbunden werden. Carrie gehörte ihm! Er hatte Anspruch auf sie, denn sie trug inzwischen seinen Ring.

Sieh dir meinetwegen die Augen nach ihr aus, dachte er, aber wage nicht, sie anzufassen! Mit wilder Entschlossenheit nahm er Carrie in den Arm und führte sie zur Tanzfläche. Zum Glück war die Band gut. Der ganze Saal vibrierte im Rhythmus der Musik.

Carrie wurde nicht mehr so häufig aufgefordert wie früher. Sie war jetzt verlobt, und jeder wusste, wie besitzergreifend Scott war. Zu besitzergreifend, wie Carrie fand. Schließlich war sie nicht Scotts Eigentum, sondern ein lebendiges Wesen. Mit einem Mann verheiratet zu sein, der sie auf Schritt und Tritt kontrollierte, würde einem Martyrium gleichen.

Andererseits respektierte Scott ihren Wunsch, bis zur Hochzeitsnacht unberührt zu bleiben. Manchmal wunderte sich Carrie, wie nachsichtig und verständnisvoll er in diesem Punkt war. Sie hatte sich schon auf der Universität von denen abgesondert, die wahllos mit Sex herumexperimentierten, und gern in Kauf genommen, dass man sie für etwas exzentrisch hielt.

Sex ohne Gefühl, ohne tiefes, bindendes Gefühl erschien ihr wenig verlockend. Ihr Körper war ihr zu kostbar, um ihn wie eine beliebige Ware anzubieten. Männer sahen diese Dinge anders. Für sie ging es beim Sex um die Befriedigung eines natürlichen Triebs wie Hunger oder Durst. Gleichzeitig waren sie schnell bereit, Frauen zu verurteilen, die es ihnen zu leicht machten.

Manchmal fragte sie sich, warum es ihr so leichtfiel, auf Sex zu verzichten. War ihr Verlangen nicht stark genug, oder hatte sie bisher nicht den Mann gefunden, der sie in jeder Hinsicht überwältigte? Ihr Verhältnis zu Scott war nicht ohne sinnliche Spannung. Sie konnte bei ihm sogar ins Träumen geraten, aber sie kam nie in Versuchung, ihren Schwur zu brechen. Jedenfalls bis jetzt nicht.

„Du tanzt vollendet, Caroline. Würdest du auch mit mir tanzen?“

Scott hatte Carrie vorübergehend allein gelassen. Er diskutierte mit Freunden über ein strittiges Polospiel und bemerkte nicht, dass Clay an seine Stelle getreten war.

Carrie sah wie gebannt in Clays blaue Augen. Sein Lächeln lähmte sie, und alles um sie her versank. Die Musik verstummte, das Stimmengewirr versiegte. Sie öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, aber kein Ton kam heraus.

„Caroline?“

Ein tiefer, tiefer Atemzug, und das Leben kehrte zurück. „Natürlich tanze ich mit dir“, sagte sie, und dabei schlug ihr das Herz bis zum Hals.

Clay nahm sie in die Arme, nicht so fest wie Scott, aber die Wirkung war ungleich stärker. Carrie konnte sich nicht entspannen. Clay besaß eine starke sinnliche Ausstrahlung und setzte diese ein – ob bewusst oder unbewusst, konnte Carrie nicht entscheiden.

„Ich weiß, dass ich zu groß für dich bin“, hörte sie ihn sagen. „Ich tanze auch nicht gut. Mir fehlte immer die Gelegenheit, es zu lernen.“

„Du tanzt sehr gut“, widersprach Carrie, denn sie hatte den Eindruck, dass er dem Rhythmus der Musik ganz natürlich folgte.

„Und du schmeichelst mir.“ Clay zog Carrie dichter an sich heran, sodass ihre rechte Hand ganz auf seiner Schulter zu liegen kam, von der Kraft und Wärme ausging. Er war nicht so formell angezogen wie Scott. Statt eines Smokings trug er ein helles Leinenjackett, dazu schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Die schlichte Kombination wirkte bei ihm seltsam raffiniert. Es würde nicht schwierig für ihn sein, eine Frau zu finden. Die Bewerberinnen würden sich gegenseitig auszustechen versuchen, aber Carrie durfte nur zuschauen. Sie war bereits gebunden, das durfte sie niemals vergessen.

Während der nächsten Minuten tanzten sie schweigend. Clay führte perfekt, obwohl er behauptet hatte, ein Anfänger zu sein. Der körperliche Kontakt mit ihm wirkte so stark auf Carrie, dass es sie zunehmend irritierte. Sie verstand diese Wirkung nicht, und sie wollte sie nicht. Es war nicht normal, durch bloße Berührung in eine solche … Abhängigkeit zu geraten. So weit durfte sie es nicht kommen lassen. Sie musste bei klarem Verstand bleiben, aber im Schutz von Clays Armen war das beinahe unmöglich.

Sei auf der Hut, Carrie! warnte eine innere Stimme sie.

„Du siehst wunderschön aus“, sagte Clay in einem Ton, der starke innere Bewegung verriet.

Carrie schwieg. Ihm jetzt entgegenzukommen wäre ein verhängnisvoller Fehler gewesen.

„Scott kann von Glück sagen.“

Diesmal nutzte sie die Gelegenheit, die sich ihr bot. „Warum seid ihr miteinander verfeindet?“, fragte sie mit einem raschen Blick in sein Gesicht. „Ihr wart beide noch so jung, als deine Familie fortzog. Trotzdem spürt man eine Feindseligkeit zwischen euch, die nur von früher herrühren kann.“

„Scott hatte Vergnügen daran, den kleineren Jungen zu quälen“, antwortete Clay mit blitzenden Augen.

„Und das wirkt sich bis heute aus?“

Er zuckte die Schultern. „Du kennst deinen Verlobten am besten. Er wird jetzt jeden Moment bei uns auftauchen. Kränkt es dich, dass keiner mit dir zu tanzen wagt, obwohl sich alle danach verzehren?“

„Ja, es kränkt mich“, gab Carrie zu, „aber Scott ist mein Verlobter.“

Clay nickte. „Leider.“

„Leider?“ Das klang nicht mehr ganz so freundlich. „Was willst du damit sagen?“

Clay lächelte überlegen. „Du kannst doch nicht wissen, ob ich es nicht ebenfalls auf dich abgesehen habe.“

Carrie errötete vor Verlegenheit, was sie noch schöner machte. „Ich bin nicht mehr frei, Clay. Vergiss das bitte nicht.“

„Steht das Datum der Hochzeit schon fest?“

„Erzähl lieber von dir“, wich sie aus. „Warum bist du noch nicht verheiratet?“

„Weil ich noch nicht für eine Frau sorgen kann. Meiner Meinung nach ist ein Mann dazu verpflichtet.“

Carrie hatte diese Wendung des Gesprächs nicht beabsichtigt. „Man erzählt sich in der Stadt, dass du nach einer geeigneten Frau Ausschau hältst“, sagte sie. „Ist an dem Gerücht etwas dran?“

„Vielleicht bitte ich dich demnächst, eine Anzeige in das ‚Jimboorie Bulletin‘ zu setzen“, antwortete er scherzhaft. „Wie ich höre, bist du die rechte Hand des Herausgebers. Outback Rancher sucht Ehefrau. Was hältst du davon? Du könntest die eingehenden Antworten lesen und mir raten, was ich darauf antworten soll.“

„Mach dich nicht über mich lustig, Clay!“

„Tue ich das?“ Der Schalk blitzte aus seinen tiefblauen Augen, oder war es der Teufel persönlich? Carrie hatte das Gefühl, kaum noch atmen zu können. „Im Gegenteil, Caroline … ich meine es bitterernst. Ich möchte heiraten und Kinder haben, aber bisher fehlte mir die Zeit, auf Brautschau zu gehen. Außerdem ist es nicht ganz leicht, die Richtige zu finden. Eine Anzeige würde vielleicht Wunder wirken.“

Carrie hätte lieber geschwiegen, aber Clay schien auf eine Antwort zu warten. „Warum sprichst du nicht eine der heiratswilligen Frauen an, die hier im Saal versammelt sind?“, fragte sie schärfer als nötig, denn das Thema behagte ihr ganz und gar nicht. Schade, dass sie nicht älter, erfahrener und größer war. Dann hätte sie einen besseren Stand gehabt.

„Neben dir verblassen alle anderen“, antwortete Clay, ohne dabei zu lächeln. Er schien es wirklich ernst zu meinen.

Das war zu viel für Carrie. Trotz aller Routine und Leichtigkeit kam sie aus dem Takt, sodass Clay ihr beinahe auf den Fuß trat.

„Muss ich dich noch einmal daran erinnern, dass ich nicht mehr frei bin?“, fragte sie verwirrt.

„Ja, leider.“ Sein Ton verriet aufrichtiges Bedauern.

Was sollte Carrie tun? Ihn auf der Tanzfläche stehen lassen? Das widerstrebte ihr, obwohl es das einzig Richtige gewesen wäre.

Lauf, Carrie McNevin! Flieh vor der Versuchung!

Clay führte sie aus dem dichtesten Gewühl heraus. „Überstürze nichts, Caroline“, bat er ernst. „Lass dir Zeit, bis du sicher bist, dass er der Richtige ist.“

„Soll das eine Warnung sein?“

„Für mich passt ihr einfach nicht zusammen.“

„Und du glaubst, das beurteilen zu können?“ Gegen ihren Willen verglich Carrie Clay mit Scott. Es war wie ein innerer Zwang. „Du kennst weder mich noch Scott. Auf uns beide wartet eine schöne Zukunft.“

„Woher kommt dann dieser ängstliche Ausdruck in deinen Augen, wenn er die große Liebe deines Lebens ist?“

Carrie wusste nicht mehr ein noch aus. Es war, als hätte sie bisher unter einer Glasglocke gelebt, die plötzlich in tausend Stücke zersprungen war.

„Wir sollten nicht so sprechen, Clay“, stieß sie heiser hervor. „Nicht so privat und … persönlich.“

„Ich habe nicht viel Zeit“, antwortete er. „Das habe ich dir schon gesagt. Außerdem kann man sich so wunderbar mit dir unterhalten.“

„Das beweist nur, wie einsam du bist.“

„Vielleicht“, gab er ungeniert zu.

„Ich liebe Scott, sonst hätte ich mich nicht mit ihm verlobt“, beteuerte Carrie nach einer Pause.

„Scott kann von Glück sagen“, wiederholte Clay versonnen.

Das war zu viel. Endgültig zu viel. Sie musste das Spiel beenden, wenn es noch ein Spiel war. Mit Clay zu tanzen war nicht so einfach, wie mit Scott oder einem anderen Mann zu tanzen. Ihr Herz klopfte viel zu schnell, das Blut rauschte ihr in den Ohren, und der Druck auf ihrer Brust nahm ständig zu. Nie zuvor war sie sich ihres Körpers so bewusst gewesen.

„Du wirst also bei uns bleiben?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln. Eine plötzliche Flucht hätte zu viel Aufsehen erregt.

„Ich bin gerade erst angekommen, Caroline“, antwortete Clay gespielt vorwurfsvoll.

„Alle nennen mich Carrie.“ Das sagte sie nur aus Verlegenheit, denn aus seinem Mund klang „Caroline“ wie Musik.

„Alle außer mir“, erwiderte er. „Carrie ist ganz hübsch, aber Caroline passt besser zu dir.“

„Und wenn ich dich bitte, auch Carrie zu sagen?“

Clay lächelte. „Dann hebe ich mir Caroline für besondere Gelegenheiten auf.“ Mit jedem Satz verunsicherte er sie mehr, ohne dass es beabsichtigt schien.

„Als ich klein war, kam mir ‚Jimboorie House‘ immer wie ein Palast vor.“

„Mir auch.“

Wie blau seine Augen waren, aber dunkel und warm, nicht so kalt und durchbohrend wie bei Scott. „Du sprichst mit deutlichem englischem Akzent. Woher stammt der?“

„Von meiner Mutter, nehme ich an.“ Clay ließ den Blick über die Menge schweifen. „Sie war angloirischer Herkunft, gebildet und wunderschön. Die erschreckend grausamen Verwandten meines Vaters hatten kein Recht, sie so zu behandeln, wie sie es getan haben. Mein Vater trennte sich Lucies wegen von ihnen, und dafür rächten sie sich an ihr. Ich höre heute noch ihre Stimme, und der lange Kontakt zu meinem väterlichen Freund in England hat den Akzent wahrscheinlich noch verstärkt.“

„Hat dieser Freund dir ‚Lightning Boy‘ geschenkt?“, fragte Carrie, die gern mehr über Clay erfahren wollte.

„Ja. Er übergab ihn mir zwei Monate vor seinem Tod.“

„Hast du für ihn gearbeitet?“

„Ich hatte den Vorzug, für ihn arbeiten zu dürfen“, verbesserte Clay sie. „Er war mein Chef und väterlicher Freund.“

„Seinen Namen willst du mir nicht nennen?“

„Nein, Caroline.“ Das klang kurz angebunden und abweisend.

„Entschuldige.“ Carrie merkte, dass sie zu weit gegangen war. „Ich wollte nicht neugierig sein. Es freut mich nur, dass es jemanden gab, der nett zu dir war.“

Clay lachte bitter. „Du hast recht. Außer ihm gab es nicht viele.“

Nach allem, was Carrie gehört hatte, wunderte sie sich nicht über seine Verbitterung. „Müssen wir jetzt für das Unrecht, das dir geschehen ist, bezahlen?“, fragte sie geradeheraus.

Clay wich der Frage aus. „Ich würde dir gern das Haus und die Ranch zeigen“, fuhr er fort. „Würdest du eine Einladung annehmen?“

Carries Herz setzte einen Schlag aus. Wenn sie Ja sagte, würde sie Ärger bekommen. Großen Ärger.

„Sieh mich an, und weich meinem Blick nicht aus. Würdest du kommen?“

Der Sänger der Band intonierte eine romantische, gefühlvolle Melodie. „Wofür hältst du mich?“, fragte Carrie. „Für eine Gefangene hiesiger Verhältnisse?“

„Bist du gefangen?“ Clay betrachtete sie forschend, als wollte er bis auf den Grund ihrer Seele blicken.

In diesem Moment konnte Carrie nicht lügen. „Ich würde sehr gern kommen“, erklärte sie und erschrak nachträglich über sich selbst.

„Das freut mich. Die Meinung einer Frau ist wichtig für mich.“

„Wirst du in deiner Anzeige auch erwähnen, dass ‚Jimboorie House‘ baufällig ist?“, fragte Carrie betont locker.

„Selbstverständlich“, antwortete Clay. „Allerdings ist es weniger baufällig, als man glauben möchte. Der Schein trügt. Es wurden ursprünglich sehr gute Materialien verwendet, was sich heute auszahlt. Das Zedernholz stammt aus den Bunya-Bunya- Bergen, der Sandstein aus dieser Gegend. Natürlich muss sehr viel getan werden, das lässt sich nicht leugnen, aber ich bin voller Zuversicht.“

„Vielleicht solltest du deine Anzeige deutlicher formulieren und nicht nach einer Frau, sondern nach einer reichen Erbin suchen“, schlug Carrie scherzhaft vor.

Ein strahlendes Lächeln erschien auf Clays Gesicht. „Eine fabelhafte Idee, Caroline. Genau das werde ich tun.“

4. KAPITEL

Scott wurde noch von zwei Bekannten seines Vaters aufgehalten, ehe er sich wieder nach Carrie umsehen konnte. Als er sie im Gespräch mit Clay entdeckte, stieg ihm die Zornesröte ins Gesicht.

Wie konnte Carrie ihm das antun? Sie wusste doch, wie er zu Clay Cunningham stand! Seine Antipathie aus der Kindheit war hundertfach verstärkt zurückgekehrt.

Langsam bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Wie sie ihn ansieht, dachte er dabei wütend. Wie sie den Kopf zurücklegt und ihn anschmachtet! Ich sollte die Konsequenz daraus ziehen und meinen Ring zurückfordern.

Bevor er Carrie und Clay erreicht hatte, packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite.

„Scotty, Darling. Hast du mich absichtlich übersehen?“ Es war Natasha, auf ihrem Gesicht lag ein höhnisches Lächeln. „Gönnst du deiner keuschen kleinen Verlobten nicht ein bisschen Spaß?“ Sie senkte die Stimme. „Sie hat nämlich Spaß, darauf kannst du wetten.“

„Lass mich los, Natasha!“, fuhr Scott sie unsanft an. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er ihr mit der Faust geantwortet, so gereizt war er.

„Sobald du mit mir getanzt hast.“ Natasha legte ihm beide Hände auf die Schultern. Das veilchenblaue, mit Silberfäden durchwirkte Kleid stand ihr prächtig. „Ich lasse mich nicht zum Narren halten, verstehst du? Bis jetzt habe ich geschwiegen, aber das kann sich schnell ändern.“

„Du bist eine hinterhältige kleine Hexe, weißt du das?“ Verachtung klang aus Scotts Stimme. Trotzdem war er vorsichtig genug, Natasha in den Arm zu nehmen und sie auf die Tanzfläche zu führen.

„Das sagst du nicht, wenn wir uns anderweitig amüsieren“, flüsterte Natasha im Dahinschweben.

„Ich hätte mich nie mit dir einlassen dürfen“, erwiderte Scott ebenso leise.

Natashas blaue Augen bekamen einen schmachtenden Ausdruck. „Du hast einmal gesagt, dass du mich liebst“, erinnerte sie ihn. „Ich liebe dich immer noch.“

„Das solltest du ändern.“

„Warum so giftig, Scotty? Ich bin auf deiner Seite. Ich liebe dich schon zu lange und zu sehr, um mich durch harte Worte abschrecken zu lassen. Es war ein großer Fehler, dich an Carrie McNevin zu binden. Ihr passt nicht zusammen, und dieser alberne Jungfrauenwahn …“ Sie schwieg und lächelte verächtlich.

„Halt gefälligst den Mund!“ Scott war froh, als auf die langsame, sentimentale Melodie ein flotter Beat folgte. Warum hatte er Natasha bloß von Carries fixer Idee erzählt? Das bereute er jetzt zutiefst.

„Vorsicht“, warnte Natasha, die sich nicht länger beleidigen lassen wollte. „Sollen alle Leute merken, wie eifersüchtig du auf den heutigen Sieger bist? Mein zurückgekehrter Cousin macht eine gute Figur, das kann niemand bestreiten. Schließlich ist er ein Cunningham. Warum überlassen wir die beiden nicht sich selbst und schöpfen draußen ein bisschen frische Luft?“

„Gib dir keine Mühe!“ Das war unnötig grob.

„Was findest du nur an ihr?“, fragte Natasha gekränkt. „Ich bin auch schön. Reizt dich die Jagd? Sind es die verbotenen Früchte, von denen du gern kosten möchtest? Wenn du sie erst im Bett hattest, wird sie dich schnell langweilen.“

Scott schüttelte heftig den Kopf. „Du begreifst überhaupt nichts. Carrie lockt das Gute aus mir heraus … soweit es in mir drinsteckt. Wenn wir zusammen sind, weiß ich wieder, dass ich eine Seele habe.“

Härter hätte er Natasha nicht treffen können. „Du gemeiner Kerl!“, stieß sie hervor.

Scott gab sich geschlagen. Er hörte auf zu tanzen, drehte sich um und ließ Natasha mitten auf der Tanzfläche stehen.

Carrie tanzte noch zweimal mit Clay, ohne dass Scott es verhindern konnte. Danach meldeten sich andere Verehrer, was auch ärgerlich, aber nicht ganz so schlimm war.

Scott hatte sich an die Bar zurückgezogen und beobachtete von dort aus den Verlauf der Dinge. Er trank zu viel, das wusste er. Der Alkohol betäubte seine Sinne und gab ihm die verrücktesten Ideen ein.

Du musst Carrie entführen, dachte er. Sie hatte sich ihm schon zu lange verweigert. Schließlich waren sie inzwischen verlobt, da hatte er ein Recht auf ein bisschen Spaß mit ihr. Nach seiner Erfahrung sagten Frauen immer dann Nein, wenn sie Ja meinten. Er konnte jede haben … nicht nur Natasha Cunningham. Warum musste es dann unbedingt Carrie sein?

Vielleicht ist sie frigide, schoss es Scott durch sein benebeltes Hirn. Das wäre eine Katastrophe! Er brauchte Sex so notwendig wie Essen und Trinken.

Allmählich bildete sich ein Plan heraus. Er würde ihr sagen, dass draußen in seinem Wagen ein Geschenk für sie liege. Ob das genügen würde, um sie nach draußen zu locken? Frauen liebten Geschenke, aber Carrie machte auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Sie war die Bescheidenheit selbst. Na wenn schon … etwas Besseres fiel ihm im Moment nicht ein.

Spürte Carrie denn nicht, wie sehr er sich nach ihr verzehrte? Vielleicht spürte sie es, aber das war kein Grund für sie, diese dumme Idee mit der Keuschheit endlich aufzugeben.

Scott steigerte sich in immer größere Wut hinein, bis er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Wie in einem blutroten Nebel tauchte immer wieder Carries Gesicht auf … mit diesem seligen, hingebungsvollen Ausdruck. Was faszinierte sie so an Clay Cunningham? Warum ging sie bei ihm so weit aus sich heraus? Ihren Verlobten hatte sie nie so angesehen.

Es gelang Scott, Carrie zwischen zwei Tänzen abzufangen und zu einem kleinen Spaziergang zu überreden.

„Ich habe etwas für dich“, sagte er, während sie über die Straße zum Parkplatz gingen, „aber ich sage nicht, was es ist. Es soll eine Überraschung sein.“

„Ist das Geschenk so groß, dass du es im Auto lassen musstest?“, fragte Carrie vorsichtig, denn sie merkte, dass Scott betrunken war. Das kam zwar öfter vor, aber heute Abend schien er sich kaum noch in der Gewalt zu haben. So hatte er noch nie gelallt.

Der Parkplatz lag größtenteils im Halbdunkel, denn die Laternen zwischen den hohen Eukalyptusbäumen gaben nur wenig Licht. Die Bäume standen in voller Blüte, und ein zarter Limonenduft hing in der Luft. Mehrere Paare hatten sich hierher zurückgezogen, um frische Luft zu schöpfen oder einen Augenblick ungestört zu sein.

„Wir sollten uns nach hinten setzen“, schlug Scott vor, öffnete die hintere Autotür und stieß Carrie mehr oder weniger hinein.

„Bitte, Scott“, sagte sie erschrocken. „Wir sollten nicht lange bleiben.“

„Du gönnst einem auch gar nichts.“ Scott stieg hinter ihr ein und griff mit beiden Händen nach ihr.

„Was soll das, Scott?“ Carrie wich ihm ängstlich aus. „Du bist in keiner guten Stimmung.“

„Nein“, gab er bereitwillig zu. „Daran bist du schuld.“

„Das verstehe ich nicht. Wo ist das Geschenk?“ Nichts hätte ihr in diesem Moment gleichgültiger sein können. Sie wollte die peinliche Situation nur möglichst schnell beenden.

„Das Geschenk?“ Scott lachte roh. „Ich habe vergessen, es mitzubringen.“

„Oh, Scott!“

„Es gefällt dir nicht, hier mit mir allein zu sein, nicht wahr?“, fragte er gereizt.

„Nicht, wenn du dich so gehen lässt“, antwortete sie ehrlich.

„Küss mich!“, befahl er.

Carrie roch seinen warmen Whiskyatem und wich weiter zurück. „Wir können uns noch genug küssen, Scott. Warum gerade hier? Unsere Eltern erwarten, dass wir gewisse Grenzen einhalten.“

„Lass mich mit unseren Eltern in Ruhe!“ Scott zog sie unsanft in die Arme. „Du erzählst mir immer, dass du noch unschuldig bist, aber allmählich bekomme ich Zweifel. Ihr Frauen habt alle eure Tricks.“

Scott war nicht wiederzuerkennen. So haltlos und bösartig hatte Carrie ihn noch nie erlebt.

„Ich weigere mich, jetzt mit dir darüber zu diskutieren“, sagte sie ruhig, obwohl sie insgeheim zitterte. „Lass uns wieder hineingehen.“

„Nicht, bevor ich herausgefunden habe, was mit dir los ist“, erwiderte er hitzig und machte seine Absichten überdeutlich.

Carrie schlug nach ihm. Es war eine spontane Reaktion auf die Angst, die sie erfasst hatte. „Ich lüge nicht!“, stieß sie wild hervor. „Und ich verlange Respekt von dir.“

Scott packte sie hart an den Schultern. „Was sagt man dazu?“, spottete er. „Die kleine Carrie McNevin wagt es, mich zu schlagen.“ Mit einem hässlichen Auflachen zog er sie an sich. „Du gehörst mir, Carrie … begreif das endlich. Ich habe es satt, mich ewig von dir hinhalten zu lassen. Fühlst du nicht, was mit mir los ist?“ Er presste ihre Hand auf seinen prallen Hosenschlitz. „Ich bin verrückt nach dir. Was ist schon dabei, ein bisschen Spaß zu haben?“

Er drückte Carrie in die Ecke, warf sich auf sie und schob seine Zunge tief in ihren Mund. Es war Carrie, als müsste sie ersticken. „Na, ist das nicht viel besser?“, keuchte er, während er nach ihren Brüsten griff. „Du bist das süßeste, unschuldigste Mädchen, das es gibt. Du bist mit mir verlobt … weißt du das nicht mehr? Du hast meinen Ring angenommen. Jetzt kannst du gefälligst auch mich annehmen!“

Blitzschnell schob er seine Hand unter ihren Rock und drängte sie noch mehr in die Ecke.

„Hör auf, Scott … bitte!“ Carrie wollte um jeden Preis vermeiden, laut um Hilfe zu rufen.

„Entspann dich, Süße. Es wird dir gefallen.“ Ungeduldig zerrte er an ihrem Höschen.

„Ich sagte, du sollst aufhören!“

Carrie verwünschte ihre eigene Dummheit. Mochte Scott auch betrunken sein, körperlich war er noch fit und so kräftig, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Doch deswegen würde sie nicht einfach nachgeben. Nie würde sie alles über sich ergehen lassen, nur weil sie die Schwächere war. Das hier hatte nichts mit Liebe zu tun. Es war plumpe Gier, fast schon eine Vergewaltigung.

In ihrer Verzweiflung griff Carrie zu dem letzten Mittel, das ihr blieb. Sie ließ sich schlaff zurücksinken und tat, als wollte sie Scott gewähren lassen. Gerade, als er seine Hand zwischen ihre Beine zwängte und mit den Fingern in sie eindringen wollte, traf sie ihn mit dem Knie genau da, wo er am empfindlichsten war.

Scott heulte auf wie ein verwundetes Tier, und seine sexuelle Gier verwandelte sich in Wut. „Du kleine Hexe!“, keuchte er und holte aus, um Carrie zu schlagen.

„Wage nicht, mich zu schlagen“, sagte sie in so verächtlichem Ton, dass er die Hand wieder sinken ließ.

„Du Hexe“, wiederholte er, aber Carrie hatte so gut getroffen, dass er sich zusammenkrümmte und beide Hände stöhnend auf die schmerzende Stelle presste.

Der kurze Augenblick genügte Carrie. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie die Tür geöffnet und war draußen. Was brachte Männer bloß dazu, sich so zu verhalten? Auf diese Frage würde es wohl nie eine Antwort geben.

Während sie hastig ihre Kleidung ordnete, rief jemand vom andern Ende des Parkplatzes: „Alles in Ordnung, Caroline?“

Clay Cunningham! Carrie wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Was sollte sie jetzt tun? Vielleicht wieder fröhlich winken oder hinüberrufen, dass ihr reizender Verlobter gerade versucht habe, sie zu vergewaltigen?

„Es geht mir gut“, antwortete sie, aber ihr Mund war so trocken, dass sie kaum richtig sprechen konnte.

Clay glaubte ihr nicht. Er kam mit großen Schritten näher und traute seinen Augen nicht, als er Scott Harper mit vorgehaltenen Händen aus dem Wagen taumeln sah.

„Kümmere dich um deinen eigenen Dreck, Clay Cunnigham!“, fuhr Scott ihn hasserfüllt an.

„Tut mir leid.“ Clay hatte sich sekundenschnell vom freundlichen Nachbarn zum gefährlichen Gegner gewandelt. „Ich pflege nicht wegzulaufen, wenn eine Lady in Schwierigkeiten ist. Komm hierher, Caroline.“

„Tu nicht, was er sagt!“, herrschte Scott sie an.

Das war zu viel für Carrie. Sie lief um das Auto herum und brachte sich so vor Scott in Sicherheit. Solange er in dieser Verfassung war, lag ihr Heil nur in der Flucht. Dass sie ausgerechnet zu Clay Cunningham floh, war eine Laune des Schicksals, über die sie jetzt nicht nachdenken wollte.

„Dein Kleid ist zerrissen“, stellte Clay fest, nachdem er Carrie einer raschen Prüfung unterzogen hatte. Das Laternenlicht reichte gerade aus, um ihn den unglücklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht erkennen zu lassen. Der Ausschnitt ihres Kleides war so weit heruntergerutscht, dass die Rundung ihrer Brüste zu erkennen war. Ein Träger war gerissen, der andere von der Schulter geglitten. Es entging Clay nicht, dass Carrie ihn hastig hochzog.

Scott war ihr inzwischen gefolgt. „Ich kaufe ihr ein neues Kleid“, höhnte er, offenbar in der Absicht, Streit anzufangen. „Warum verschwindest du nicht von hier, Clay? Glaubst du wirklich, dass du mir meine Verlobte wegnehmen kannst?“

Clay achtete nicht auf ihn. „Wohin darf ich dich begleiten, Caroline?“, fragte er.

„So, wie ich aussehe, kann ich mich im Ballsaal nicht mehr zeigen.“ Nicht nur Carries Kleid war zerrissen, sie hatte auch einen ihrer hübschen Haarkämme verloren, aber jetzt wollte sie nicht danach suchen. Er musste im Auto liegen bleiben. „Würdest du mich zu ‚Dougherty’s Pub‘ zurückbringen? Für mich ist der Abend vorbei.“

„Geh nicht, Carrie!“, rief Scott alarmiert. „Denk daran, dass du mit mir verlobt bist.“

„Ich hatte geglaubt, einem Verlobten könnte man trauen“, erwiderte sie zutiefst gekränkt. „Mehr habe ich jetzt nicht zu sagen.“

„Wenn du mit ihm gehst, ist es aus mit der Verlobung … ein für alle Mal!“, drohte Scott, als müsste er Carrie vor einem großen Fehler bewahren.

„Je eher, umso besser!“ Carrie zog den Diamantring vom Finger und warf ihn Scott ins Gesicht. „Vielleicht möchtest du ihn lieber Natasha geben. Jeder weiß, dass sie nichts dagegen hat, es auf dem Rücksitz zu tun.“

Scott erschrak so sehr, dass ihm fast das Herz stehen blieb. Wusste Carrie etwa über ihn und Natasha Bescheid?

„He!“, versuchte er es halb im Guten. „Natasha bedeutet mir gar nichts.“

Seit wann kannte Carrie sein Geheimnis? Seit wann wusste sie, dass er mit Natasha ein Verhältnis hatte und sich bei ihr für Carries Sturheit schadlos hielt?

„Pass auf, dass du nicht auf den Ring trittst“, warnte Carrie ihn, „sonst kannst du ihn nicht noch einmal verwenden. Gute Nacht, Scott.“

„Geh nicht, Carrie!“ Scott sah, dass sie Ernst machte, und verlor die Fassung. „Ich liebe dich. Ich habe einfach zu viel getrunken.“

„Das muss nicht jeder wissen“, mischte sich Clay ein. „Du schreist so laut, dass man es in ganz Jimboorie hört.“

„Gilt das etwa mir?“ Scott hob trotz seiner Schmerzen beide Fäuste und ging zum Angriff über. Er würde es diesem hergelaufenen Clay Cunningham zeigen. Früher hatte er ihn mühelos zur Strecke gebracht, und das würde ihm heute genauso gelingen. Clay war zwar knapp zehn Zentimeter größer, aber Scott war stämmiger gebaut und dazu ein durchtrainierter Sportler.

„Um Himmels willen, nein!“ Carrie sah die Leute schon zusammenströmen, um Zeugen des drohenden Kampfes zu sein. „Golden Boy Harper“ hatte nicht nur Freunde. Manch einer hätte mit Genugtuung zugesehen, wenn er eine gehörige Tracht Prügel bekam.

Doch Clay wollte sich auf keinen langen Kampf einlassen. Er wehrte Scotts Faust mit dem linken Arm ab und versetzte ihm gleichzeitig einen so gut gezielten Kinnhaken, dass Scott zurücktaumelte und dann mit dumpfem Stöhnen zusammenbrach.

„Du hast ihn verletzt“, sagte Carrie kläglich, aber sie wagte nicht, ihrem Exverlobten zu Hilfe zu kommen.

„Er wird es überleben“, erwiderte Clay kurz angebunden. „Der Kampf ist zu Ende, bevor er begonnen hat. Lass uns von hier verschwinden, Caroline, ehe wir unliebsame Zuschauer bekommen.“

Carrie folgte ihm schweigend. Was sie heute Abend erlebt hatte, zwang sie zu einer Entscheidung. Sobald Scott wieder nüchtern war, würde er zu ihr kommen, sich entschuldigen und sie bitten, den Ring zurückzunehmen. Welche Antwort sollte sie ihm dann geben?

5. KAPITEL

„Also sag schon … was ist wirklich passiert?“

Es war zehn Uhr morgens. Carrie saß mit ihrer Mutter in einer ruhigen Ecke des Gastraums beim Frühstück. Katie Dougherty hatte sich besondere Mühe gegeben und zum Kaffee verschiedene Gebäcksorten serviert.

„Ach, Mum, am liebsten würde ich nicht darüber sprechen“, antwortete Carrie ausweichend.

„Aber Kind, ich muss doch Bescheid wissen.“ Alicia beugte sich lebhaft vor. „Eben warst du noch im Saal, von allen Männern umschwärmt und zur Königin des Abends erklärt … und eine Minute später suchte man dich und Scott vergebens. Habt ihr euch gestritten? Ehrlich gesagt, würde mich das nicht wundern. Scott ist übertrieben eifersüchtig, und es schien dir in Clay Cunninghams Gesellschaft zu gefallen. Er ist ein äußerst attraktiver junger Mann, der mich sehr an seinen Vater erinnert. Sie verschwanden ja damals alle drei.“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
Mehr erfahren
Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
Mehr erfahren
Charlotte Lamb
Die britische Autorin Charlotte Lamb begeisterte zahlreiche Fans, ihr richtiger Name war Sheila Holland. Ebenfalls veröffentlichte sie Romane unter den Pseudonymen Sheila Coates, Sheila Lancaster, Victoria Woolf, Laura Hardy sowie unter ihrem richtigen Namen. Insgesamt schrieb sie über 160 Romane, und zwar hauptsächlich Romances, romantische Thriller sowie historische Romane. Weltweit...
Mehr erfahren