Julia Saison Band 78

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EIN ZARTES SPIEL VON GLÜCK UND LIEBE von NICOLA MARSH

Wer spielt jetzt das Maskottchen in ihrem Spielzeugladen? Um die Kinder nicht zu enttäuschen, braucht Carissa unbedingt Ersatz für ihren treulosen Ex-Verlobten. Da fällt ihr Brody Elliott ein, ihr neuer Nachbar. Single-Dad, sehr gut gebaut – nur leider etwas stur …

LIEBE GESUCHT – NANNY GEFUNDEN von SUSAN CROSBY

Alles versucht die hübsche Nanny Tricia, um ihren vier kleinen, viel zu vernünftigen Schützlingen wieder Spaß am Abenteuer Leben zu geben – und verliebt sich höchst unvernünftig in deren attraktiven Vater Noah. Denn noch hält der Millionär sein Herz verschlossen …

ZUR HOCHZEIT – EIN BABY von MOYRA TARLING

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  • Erscheinungstag 17.02.2024
  • Bandnummer 78
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525244
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicola Marsh, Susan Crosby, Moyra Tarling

JULIA SAISON BAND 78

1. KAPITEL

„Das glaube ich nicht!“

Carissa Lewis sank auf den Gartenstuhl und hätte am liebsten ihr Handy in den Teich geschleudert. Natürlich tat sie es nicht. Bei ihrem Pech heute hätte sie wahrscheinlich Fred, ihren geliebten Keramikfrosch, enthauptet. Stattdessen holte sie tief Luft und senkte die Stimme. „Peter, wie kannst du mir das antun? Und den Kindern? Wir haben uns auf dich verlassen.“

Der Mann, mit dem sie seit acht Monaten zusammen war, antwortete säuerlich: „Nun ja, du solltest eben nicht zu viel von anderen Menschen erwarten. Ich kann ein Lied davon singen!“

Carissa fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte. In den letzten Nächten hatte sie nicht viel Schlaf bekommen, weil sie letzte Vorbereitungen für das traditionelle Ostervergnügen treffen musste. Und jetzt fand Peter es zu viel verlangt, für ein paar Kinder den Osterhasen zu spielen? Der Kerl hatte einfach kein Herz. Sicher, gemerkt hatte sie das schon vor einer Weile. Ihre Beziehung plätscherte dahin, aber Carissa hatte sich damit arrangiert.

Okay, sie mochte es gern bequem. Sie ließ sich oft mit Männern ein, die keine große Herausforderung bedeuteten, die keine Ansprüche an sie stellten oder ihr Leben durcheinanderbrachten. Na und? Sie hatte eine unglückliche Kindheit gehabt. Da brauchte sie jetzt vor allem Sicherheit und Beständigkeit.

„Die Sache ist mir sehr wichtig, Peter“, versuchte sie es noch einmal. „Kannst du es dir bitte nicht noch einmal überlegen?“

„Tut mir leid, Carissa. Ich will Schluss machen. Und zwar ganz.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus und schlug schneller weiter. „Du gibst mir den Laufpass?“, brauste sie auf. „Warum, du mieser, rückgratloser, nichtsnutziger …“

Das leise Tuten sagte ihr, dass er einfach aufgelegt hatte. Sie stieß einen frustrierten Schrei aus, sprang auf und stampfte mit dem Fuß auf wie eine Zweijährige in der Trotzphase.

„Was starrst du mich so an?“ Sie bedachte Fred mit einem vorwurfsvollen Blick. Sein breites Froschgrinsen wirkte eher spöttisch als aufmunternd wie sonst. „Woher soll ich so schnell einen Osterhasen nehmen?“

Es musste an der Jahreszeit liegen. Zu Ostern ging immer alles schief.

An einem Ostertag waren ihre Eltern gestorben. Damals war sie drei Jahre alt gewesen. Ein Jahr später wurde sie von einer Familie adoptiert, in der sie die Hölle auf Erden erlebte.

Und jetzt ließ dieser Idiot Peter sie einfach im Stich!

Finde dich damit ab, grollte sie stumm, zu Ostern wird deine Pechsträhne immer richtig dick. Auch in diesem Jahr!

„Mein Daddy sagt, man soll im Gebüsch nachsehen“, ertönte eine hohe Kinderstimme oberhalb des Gartenzauns. „Aber jeder weiß, dass es noch viel zu früh ist. Er kann noch nicht da sein, er muss erst das Hüpfen üben.“

Carissa sah auf und entdeckte etwas Rotes zwischen den Eukalyptusblättern. Es endete über zwei dürren, offenbar aufgeschrammten Knien, die mit Micky-Maus-Pflastern beklebt waren.

„Da könntest du recht haben.“ Hoffentlich fällt die Kleine nicht vom Baum, dachte sie besorgt.

Vor knapp einer Woche waren ihre neuen Nachbarn eingezogen. Ein alleinerziehender Vater mit seiner sechsjährigen Tochter. Eigentlich hatte Carissa längst rübergehen wollen, um sie in der Nachbarschaft willkommen zu heißen, aber es war bei dem Vorsatz geblieben.

Vielleicht lag es daran, dass sie einen kurzen Blick auf den Vater geworfen hatte, als er seinen Wagen entlud. Während er sich in den Kofferraum beugte, sah sie seine langen Beine und seinen knackigen Po und guckte ein zweites Mal hin. Dadurch verfehlte sie knapp ihre Auffahrt und wäre fast im Vorgarten gelandet.

Als sie hektisch gegensteuerte, nahm sie eine Abfalltonne mit. Das Scheppern brachte ihn dazu, aufzusehen, aber Carissa wagte keinen Blick mehr in seine Richtung. Wahrscheinlich hatte er gedacht, sie hätte den Führerschein auf dem Jahrmarkt gewonnen. Die ganze Sache war ihr so peinlich, dass sie vorerst darauf verzichtete, sich persönlich vorzustellen.

„Wie heißt du?“ Ihr wäre es lieber, das Mädchen würde nicht im Eukalyptusbaum herumturnen. „Ich bin Carissa.“

„Molly Jane Elliott“, antwortete sie in einem Tonfall, als wäre es ein von der Queen verliehener Adelstitel. „Aber du kannst Molly zu mir sagen.“

Lächelnd ging Carissa zum Zaun und lugte in die unteren Zweige. Viel war von dem Kind nicht zu sehen. „Freut mich, dich kennenzulernen, Molly. Möchtest du nicht herunterkommen und dir Fred ansehen? Er ist mein Lieblingsfrosch, aber ich habe ganz viele.“

Molly zögerte keine zwei Sekunden, dann kletterte sie in Windeseile vom Baum und purzelte ins Gras.

„Alles okay?“

Molly nickte und hob den Kopf. „Das mache ich immer so. Ich kriege jedes Mal ein Micky-Maus-Pflaster.“ Sie zeigte auf ihre Knie und grinste. Neben dem linken Schneidezahn klaffte eine Zahnlücke.

Carissa war noch nicht so weit, die Knie zu betrachten. Verblüfft musterte sie das Mädchen. Genau so hatte sie selbst in dem Alter ausgesehen. Wilde blonde Locken, wachsame blaue Augen und ein Gesichtsausdruck, der signalisierte: Komm mir nicht in die Quere. Ich bin zwar noch klein, aber ich kenne das Leben.

„Du siehst so komisch aus, Carissa.“ Molly lispelte leicht, wegen der Zahnlücke, was sie noch liebenswerter machte. Carissa war drauf und dran, über den Zaun zu klettern, um den herzigen Wirbelwind an sich zu drücken.

„Weil ich keinen Osterhasen finden kann, das weißt du doch.“

Tolle Ausrede.

Das hätte ihr gerade noch gefehlt, dass Molly zu ihrem Vater rannte und erzählte, dass die verrückte Nachbarin sie so komisch anstarren würde. Er brauchte nicht zu wissen, dass sie sich ein Mädchen wie seine Tochter wünschte. Mehr noch, sie sehnte sich nach einem liebevollen Mann, niedlichen Kindern, einem Haus mit weißem Gartenzaun. Familienidylle pur.

Leider besaß sie von allem bisher nur den Zaun, und der hatte sie eine Woche Schweiß und einen verspannten Nacken gekostet, als sie ihn abgeschliffen und gestrichen hatte.

Eines wusste sie genau: Wenn sie eine eigene Familie hätte, würde jeder jeden lieben, würden sie sich gegenseitig unterstützen. Ganz anders als in der Familie, in der sie aufgewachsen war.

Molly klopfte sich das rote Trägerkleid ab, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. „Hast du nicht gesagt, ich kann mir deine Frösche ansehen?“

„Natürlich. Aber vielleicht solltest du erst deinen Dad fragen, ob du rüberkommen darfst?“

Molly schüttelte den Kopf. Die goldenen Locken tanzten um ihr Engelsgesicht. „Nee. Dann sagt er, ich soll reingehen. Wie immer.“

Hm. Was jetzt? Sie durfte das Kind nicht noch ermuntern, sein Zuhause ohne Erlaubnis zu verlassen. Andererseits wollte sie das Mädchen nicht zurückweisen. So etwas hatte sie als Kind oft genug erfahren und wünschte es niemandem.

Wie auf ein Stichwort ertönte eine strenge Männerstimme. „Molly Jane. Das Mittagessen ist fertig. Komm rein. Sofort.“

Kein Bitte. Kein freundliches Wort. Oh ja, Carissa wusste genau, wie das war. Selbst heute, zwanzig Jahre später, tat es noch weh.

„Ich will nicht!“, schrie Molly zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und stampfte mit dem Fuß auf.

Carissa unterdrückte ein Lächeln.

In der Stadt erzählte man sich, dass Mollys Vater mit seiner Tochter allein lebte. Carissa nahm an, dass er geschieden war. Mollys Kleidung und ihrer rebellischen Art nach zu urteilen, fehlte der mütterliche Einfluss schon eine ganze Weile.

War Mr Elliott deshalb in diese Gegend gezogen? Um seiner Ex zu entfliehen? Wie egoistisch. Falls er der Kleinen die Mutter vorenthielt … dem Kerl musste mal die Meinung gesagt werden. Carissa beschloss, sich einzumischen. Schließlich wusste sie aus erster Hand, wie es war, ohne eine liebevolle Mutter aufzuwachsen.

„Molly! Ich sagte, sofort!“

Carissa ließ sich nicht anmerken, dass ihr der ungeduldige Ton überhaupt nicht gefiel. „Molly, geh zum Mittagessen. Ich rede mal mit deinem Dad, ja? Vielleicht darfst du später rüberkommen.“

Die Kleine entspannte sich. „Wirklich?“

Carissa lächelte und nickte. Sie würde den Griesgram schon davon überzeugen, dass seine Tochter von ihr nichts zu befürchten hatte. „Wirklich. Nun lauf schon.“

Molly strahlte sie an, bevor sie durch den Garten zum Hintereingang rannte. „Dad! Dad! Carissa will mit dir reden. Sie hat ganz viele Frösche und so! Und sie sucht den Osterhasen. Und sie sagt, ich kann zu ihr kommen und spielen, wenn ich gegessen hab! Was gibt’s zum Mittag? Es dauert doch nicht lange, oder? Ich will spielen!“

Carissa sah am Schatten des Mannes, dass er sich zu dem Kind herunterbeugte. Dann verschwand die Kleine im Haus. Ihr Vater richtete sich auf und trat aus der Tür.

Oh, Wahnsinn!

Unwillkürlich hielt sie den Atem an.

Er war groß, schlank und kraftvoll. Mit langen, energischen Schritten überquerte er das Grundstück. Das kurzärmelige schwarze T-Shirt betonte seinen beachtlichen Bizeps, und obwohl ihr Nachbar die Stirn gerunzelt und die Lippen zusammengepresst hatte, fand sie ihn hinreißend.

„Mr Elliott. Ich bin Carissa Lewis, ihre Nachbarin.“

Einen halben Meter vor ihr blieb er stehen und verschränkte die Arme vor der muskulösen Brust. Carissa vergaß, was sie noch hatte sagen wollen, und hatte Mühe, ihn nicht schmachtend anzustarren.

Sein grimmiger Gesichtsausdruck bedeutete nichts Gutes, aber sie achtete nicht darauf. Sie blickte ihm in die Augen und versank fast darin. Sie waren dunkelbraun, wie die geschmolzene Schokolade, in die sie jeden Abend reife Erdbeeren tunkte. Eine Mischung aus Vollmilch- und Bitterschokolade, köstlich, verführerisch. Sie konnte nicht genug davon bekommen.

Der Typ war aufregend sexy, obwohl er sie musterte, als müsste er sie so schnell wie möglich loswerden.

„Nennen Sie mich Brody“, sagte er unwirsch. „Sie sollten meiner Tochter keine Hoffnungen machen – ihr sagen, dass sie bei Ihnen spielen kann.“

„Ich habe lediglich gesagt, sie soll erst mit Ihnen darüber sprechen, aber ich fände es schön, wenn sie rüberkommen dürfte.“

„Ich kenne Sie nicht.“ Die Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich.

Carissa hatte nicht die Absicht, sich wieder mit einem Mann einzulassen. Vor allem nicht, nachdem ihr letzter Versuch kläglich gescheitert war. Aber bei jemandem, der so aussah wie ihr neuer Nachbar, war sie kurz davor, ihren Vorsatz noch einmal zu überdenken.

Vielleicht sollte sie es wirklich mal zur Abwechslung mit umwerfenden, gefährlichen Männern versuchen. Ob sie dann mehr Glück hätte?

Das hier ist das wirkliche Leben, kein Märchen, ermahnte sie sich. Du solltest das eigentlich am besten wissen.

Nachdem sie mit drei Jahren ihre Eltern durch ein tragisches Unglück verloren hatte, war sie in ein Waisenhaus gekommen. Ihre beiden Schwestern wurden bald adoptiert, und sie blieb allein zurück, musste Schikanen, Hunger und eine Mäuseplage ertragen. Die Angst vor den durch die Dunkelheit huschenden Nagern hatte sie bis heute nicht überwunden. Als sie ein Jahr später vor ihren Adoptiveltern stand, genügte ein Blick auf sie, und sie warf sich ihnen in die Arme.

Doch sie kam vom Regen in die Traufe. War ihr das Leben im Waisenhaus wie ein schlechter Traum vorgekommen, erwartete sie im Haus der Lovells ein Albtraum. Sie kam schnell dahinter, dass Ron und Betty Lovell trotz ihrer geschliffenen Manieren und der eleganten Kleidung kalte, gefühllose Menschen waren, die nie ein Kind hätten haben dürfen. Ron war Alkoholiker und Betty eine Frau, die alles tat, um das Bild der heilen Bilderbuchfamilie nach außen hin aufrechtzuerhalten. Sie ignorierte einfach, welchen psychischen Grausamkeiten Carissa von dem Moment an ausgesetzt war, als sie den Fuß in ihr neues Zuhause setzte.

Ja, das war ihre Welt gewesen, egal, wie Carissa es drehte und wendete: elend, deprimierend. Eine Kindheit voll schlechter Erinnerungen, die sie ihr Leben lang nicht wieder loswerden würde.

Die Verletzlichkeit, die sie hinter Mollys forschem Auftreten erspürt hatte, trug erst recht dazu bei, dass sie dieses Kind davor schützen wollte, das Gleiche zu erleiden wie sie selbst damals.

„Hören Sie, Brody, ich bin eine angesehene Bürgerin dieser Stadt. Ich bezahle meine Steuern, führe ein eigenes Geschäft, und jeder hier wird Ihnen schriftlich bestätigen, wie sehr ich Kinder liebe. Kennen Sie Fey For Fun?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin noch nicht lange hier und hatte alle Hände voll damit zu tun, das Haus einzurichten und Molly in der Schule unterzubringen.“

Na schön, so viel wollte sie ihm zugestehen. „Ich betreibe einen Laden für Märchenartikel. Eine Feenwelt. Die Kinder lieben sie.“

Und nicht nur die Kinder. Mit dem Geschäft hatte Carissa sich einen magischen, zauberhaften Raum geschaffen, einen Gegenpol zum alltäglichen Leben, das sie oft als hektisch und trostlos empfand. Ob sie nun die Regale mit Feenstaub und Elfengold auffüllte, die neuesten rosa Ballettröckchen arrangierte oder silbern glitzernde Flügel aufstellte, sie liebte alles an ihrem Job. Und wenn es wieder einmal so weit war, dass sie sich verkleidete, um auf einer Kindergeburtstagsfeier als schillernde Märchenfee aufzutreten, hätte sie mit niemandem tauschen mögen.

„Märchenartikel?“ Die Stirnfalte verschwand, seine Augenbrauen hoben sich. Was den Tonfall anging, so hätte Brody Elliott genauso gut fragen können, ob sie ein Freudenhaus führte.

„Die besten auf dieser Seite von Sydney“, betonte sie.

„Feen, also?“

Sekundenlang glaubte Carissa, dass seine Mundwinkel amüsiert zuckten, aber es verschwand sofort wieder. Wahrscheinlich hatte sie es sich nur eingebildet.

Sie seufzte und sah auf ihre Armbanduhr. „Und Zauberer, Elfen, Weihnachtsmänner und Osterhasen. Sie wissen schon, all die Dinge, die einen Mann wie Sie wohl kaum interessieren. Dabei fällt mir ein, dass ich dringend einen Osterhasen auftreiben muss. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen …“

„Einen Mann wie mich?“

„Nun, Sie sehen nicht gerade aus wie jemand, der an Magie und solche Sachen glaubt“, erklärte sie lahm.

In seinen dunklen Augen blitzte Interesse auf, und das verunsicherte sie. „Finden Sie?“

Sie nickte, sorgsam darauf bedacht, ihre Überraschung zu verbergen. Ihr Nachbar lächelte kaum merklich.

Carissa hätte nicht gedacht, dass er dazu überhaupt in der Lage wäre.

„Wenn das so ist, kann ich Ihnen wahrscheinlich auch nicht helfen, den verschwundenen Osterhasen aufzutreiben, oder?“

„Er ist nicht verschwunden. Er hat in letzter Minute gekniffen und mich hängen lassen. Und nicht nur mich, sondern vor allem dreißig Kinder.“ Die Enttäuschung überwältigte sie wieder. „So ein Miststück“, murmelte sie vor sich hin.

Ihre Frustration hatte nichts damit zu tun, dass Peter sich aus ihrem Leben verabschiedet hatte. Aber die Kinder freuten sich auf das Ostervergnügen genauso sehr wie sie, und sie mochte gar nicht daran denken, was für traurige Gesichter die Kleinen machen würden, wenn sie die Sache abblies.

„Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, landet besagter Hase im Kochtopf, wenn Sie ihn wieder zu fassen kriegen.“

Und dann passierte es.

Brody Elliott lächelte. Es war atemberaubend. Als käme schlagartig die Sonne hinter Gewitterwolken hervor. Carissa hatte das Gefühl, im warmen Sonnenschein zu stehen. Es war eine Wärme, die ihr Herz berührte.

Um Haltung bemüht, sagte sie: „Ich werde ihn nie wiedersehen. Nicht, wenn er weiß, was gut für ihn ist.“

Sein Lächeln verschwand, und er wandte den Blick ab. Als würde er sich nicht wohl in seiner Haut fühlen. Meine Güte, der Typ war wirklich angespannt. Wenn das Lächeln ihm schwerfiel, sollte er es öfter üben.

„Sie sitzen also in der Patsche.“

Als er sie wieder ansah, war die tiefe Stirnfalte wieder da. Der Mann konnte wirklich grimmig gucken!

„Ja. Besonders wegen der Kinder tut es mir leid. Sie werden furchtbar enttäuscht sein, wenn der Osterhase morgen nicht auftaucht.“

Carissa wusste genau, wie sie sich fühlen würden. Damals im Waisenhaus hatten die Nonnen schon einen Monat vor Weihnachten angefangen, vom Besuch des Weihnachtsmanns zu reden. Und obwohl sie damals noch viel zu klein gewesen war, um die ganze Sache richtig zu erfassen, hatte sie sehnsüchtig auf ihn gewartet. Weil sie dringend etwas brauchte, worauf sie sich freuen konnte.

Natürlich hatte der Mann im roten Mantel mit seinem Sack voller Geschenke sich niemals blicken lassen. Noch heute erinnerte sie sich, wie heftig sie damals geweint hatte.

„Genug von meinen Problemen. Es ist ja nicht so, dass Sie mir freiwillig Ihre Hilfe anbieten werden.“

Okay, das war ein unübersehbarer Wink mit dem Zaunpfahl, aber verzweifelte Situationen erforderten verzweifelte Maßnahmen. Wenn sie ihren grantigen Nachbarn auf diese Weise zu einer spontanen Hilfsaktion herausfordern konnte, warum nicht?

Sein Blick wurde noch düsterer. „Richtig. Anscheinend haben Sie sich ja schon eine umfassende Meinung von mir gebildet. Ich muss jetzt zu meiner Tochter. Das Essen wartet.“

Molly! Carissa hatte völlig vergessen, warum sie sich auf diese Unterhaltung eingelassen hatte.

„Da Sie Molly erwähnen – ich würde mich sehr freuen, wenn sie zum Spielen kommen dürfte. Sie scheint mir ein liebenswertes kleines Mädchen zu sein, und in meinem Garten gibt es eine Menge, das sie bestimmt gern entdecken würde.“

Er schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Wenn Sie nichts dagegen haben, ich muss jetzt gehen.“

Und ob sie etwas dagegen hatte! Musste er so verbissen sein? Konnte er seiner Tochter nicht ein bisschen Lebensfreude gönnen?

Sicher, er kannte sie nicht, und wer würde einer Fremden einfach sein Kind anvertrauen? Aber in der Stadt genoss sie einen ausgezeichneten Ruf. Mr Elliott bräuchte sich nur zu erkundigen.

Da hatte sie eine Idee. „Schön, lassen Sie sich nicht aufhalten. Aber wie wäre es, wenn Sie Molly morgen zum Ostervergnügen brächten? Alle Kinder aus unserem Ort werden dort sein, und Sie können sich persönlich von meiner Kinderliebe überzeugen. Das Geschäft liegt an der Hauptstraße. Um elf Uhr fangen wir an. Für Molly wäre es eine gute Gelegenheit, neue Freunde kennenzulernen.“

„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich habe ich morgen keine Zeit.“

Carissa ließ nicht locker. „Elf Uhr. Im Fey For Fun. Molly wird begeistert sein.“ Sie suchte nach Worten, um der Einladung mehr Nachdruck zu verleihen, besann sich aber eines Besseren. Ihr Nachbar musterte sie ziemlich finster. „So, jetzt muss ich einen Osterhasen auftreiben. Bis morgen.“ Sie winkte ihm fröhlich zu und drehte sich um.

Dabei musste sie ein Lächeln unterdrücken. Brody Elliott war ein ziemlich grantiger Zeitgenosse. Gut, damit würde sie klarkommen. Viel wichtiger war Molly. Die Kleine sah aus, als könnte sie ein bisschen mehr Zuwendung und Liebe gebrauchen. Carissa war nur zu gern bereit, etwas Freude in ihr Leben zu bringen.

Hauptsache, der große böse Brody kam zu ihrer Party. Sie würde ihm das Lächeln schon beibringen!

2. KAPITEL

„Daddy, sieh mal die vielen Elfen und die Glitzersachen! Ist das nicht ein toller Laden?“ Molly stürmte durch die Tür zu Fey For Fun. Brody folgte ihr widerstrebend und fragte sich, was bloß in ihn gefahren war, dass er hier auftauchte.

Er hatte genug um die Ohren, sodass er seine Zeit nicht mit einem Haufen Kinder verschwenden sollte, die er überhaupt nicht kannte. Viel sinnvoller wäre es, sich um die Erziehung seines Kindes zu kümmern. Stattdessen genoss er insgeheim seine Freiheit. Endlich hatte er keine Verantwortung.

Brody sah sich um. Über die Regale und Auslagen zogen sich roséfarbene Tüllbahnen. Die Decke war mitternachtsblau gestrichen, kleine Lämpchen funkelten daran wie tausend Sterne. Überall saßen Elfen, Feen, Zwerge, Zauberer, Frösche und Prinzessinnen in allen Formen und Größen.

Wenn er ein Kind wäre, würde er das Haus wahrscheinlich nie wieder verlassen wollen. Aber er war erwachsen und fasziniert von der Frau, die das Geschäft führte. Nicht dass er darüber besonders glücklich gewesen wäre. Sein gestriges Treffen mit Carissa Lewis war ziemlich kurz gewesen, und er selbst hatte sich wie gewohnt widerborstig verhalten, aber irgendetwas an seiner neugierigen Nachbarin hatte sein Interesse geweckt. Letzte Nacht hatte er mehr über sie nachgedacht, als ihm lieb war.

Doch er hatte weder die Zeit noch die Absicht, sich auf eine andere Frau einzulassen. Molly war das einzige weibliche Wesen in seinem Leben, und so sollte es auch bleiben.

Er seufzte, während er beobachtete, wie Molly mit leuchtenden Augen und roten Wangen jeden einzelnen Gegenstand in diesem Laden ausgiebig betrachtete. Seine kostbare Kleine war ein Energiebündel, das ihm Bewunderung abnötigte, ihn verwirrte oder ihm Sorgen machte, und er liebte seine Tochter mehr als alles andere auf der Welt. Brody wusste, dass er kein perfekter Vater war. Hinzu kamen die ständigen Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, weil er den Tod ihrer Mutter verschuldet hatte.

Im Laufe der Jahre hatte er sich in einen wortkargen Eigenbrötler verwandelt, und so gern er daran etwas geändert hätte, es war ihm unmöglich. Die drückende Schuld machte es ihm schwer, unbefangen mit seiner Tochter umzugehen. Er wollte ihr Freude, Spaß und Lachen schenken, aber er konnte es nicht.

Arme Molly. Zum Vater des Jahres würde ihn garantiert niemand wählen.

Um alles noch komplizierter zu machen, hatte seine neue Nachbarin ihn herausgefordert, heute hier zu erscheinen. Und er hatte es getan!

Wie dumm von ihm.

Sehr dumm, wenn er danach ging, wie sein Körper reagierte, als er durch ein Cottage-Fenster sah und sie im Garten entdeckte. Umgeben von Kindern, die wie sie auf Krötenstühlen saßen, lachte und plauderte sie, und die Kleinen schienen viel Spaß zu haben.

Carissa Lewis hatte ein Lächeln, das einen ganzen Raum erhellen konnte. Mit ihren blonden Locken, die das herzförmige Gesicht umrahmten, den sanften blauen Augen und dem bezaubernden Wangengrübchen hätte sie einen Heiligen verführen können. Brody fühlte sich zu ihr hingezogen wie seit Langem zu keiner Frau mehr.

Anfangs hatte er sich geärgert, dass sie versucht hatte, sich mit Molly anzufreunden. Seine Tochter hatte einen schweren Verlust in ihrem noch kurzen Leben verkraften müssen. Da sollte sie besser keine engere Bindung zu einer Frau aufbauen, die ihr nicht mehr als ein paar Tage Zeitvertreib bieten konnte.

Plötzlich hatte er mit seiner eigenen Reaktion auf diese Frau zu kämpfen. Sie hatten kaum zwei Sätze miteinander gesprochen, da war er sich ihrer weiblichen Ausstrahlung schon so stark bewusst geworden, dass er noch grantiger als sonst auf fremde Menschen reagierte. Doch anstatt sich von seinem rüden Verhalten abschrecken zu lassen, hatte sie standgehalten. In ihren tiefgründigen blauen Augen las er eine Herausforderung, der er nur schwer widerstehen konnte.

Deshalb war er hier.

Er kam sich idiotisch vor, aber es war nicht das Dümmste, was er in seinem Leben getan hatte. Das war die Entscheidung gewesen, einen jungen Autofahrer mit einer Verwarnung davonkommen zu lassen. Nur um Monate später in dasselbe freche Gesicht zu sehen, als der Typ wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde. Er war wieder zu schnell gefahren und frontal mit Jackies Wagen zusammengestoßen. Brodys Frau starb noch an der Unfallstelle.

Seitdem bezahlte Brody Tag für Tag für diese Dummheit.

„Komm, Dad, ich will den Osterhasen sehen. Carissa hat uns zugewinkt, wir sollen rauskommen.“

Aus seinen trüben Gedanken gerissen, hob er abrupt den Kopf. „Natürlich, Kleines.“ Er zerzauste ihr liebevoll das Haar. „Lass uns sehen, was das für ein Hase ist.“

Doch als er mit Molly den malerischen Garten hinter dem Cottage betrat, hatte Carissa ihr Handy am Ohr und machte ein Gesicht, als ginge die Welt unter.

„Da ist Jessie!“, rief Molly. „Sie geht in meine Klasse. Kann ich zu ihr und mit ihr spielen, Dad?“

„Sicher, mein Schatz.“ Seine ganze Aufmerksamkeit galt Carissa.

Er sollte sich nicht auf sie einlassen.

Sie beendete ihr Gespräch und drehte sich zu ihm um.

„Da sind Sie ja.“ Besonders begeistert klang sie nicht gerade.

„Ja, ich dachte, es würde Molly gefallen. Ist alles in Ordnung?“

Carissa schüttelte heftig den Kopf und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

Auch das noch. Tränen hatten auf ihn eine ähnliche Wirkung wie Kryptonit auf Superman. Brody stählte sich.

„Mein Ersatz-Osterhase hat sich gerade krankgemeldet. Der alte Mr Hill hat irgendetwas mit dem Magen und kann nicht kommen. Ist das zu glauben? Was mache ich jetzt mit den Kindern?“ Sie wirkte so verloren, dass er ihr fast den Rücken getätschelt und versichert hätte, es würde alles gut werden.

„Nun, sie werden sicher ziemlich enttäuscht sein.“ Molly auf jeden Fall, und das gefiel ihm gar nicht.

„Enttäuscht? Am Boden zerstört wollten Sie wohl sagen!“ Sie sprang auf, marschierte hin und her. „Wenn ich bloß wüsste, was ich tun soll …“

Plötzlich wirbelte sie herum. Ihre Augen blitzten, und wenn seine Menschenkenntnis ihn nicht völlig im Stich ließ, dann hatte Carissa Lewis gerade eine ziemlich verrückte Idee. Sie sah ihn scharf an. Sein Unbehagen wuchs.

„Sie!“ Carissa hüpfte auf der Stelle, genau wie Molly, wenn sie aufgeregt war. „Sie übernehmen das! Sie sind groß genug für das Hasenkostüm, und Sie sind hier. Perfekt!“

„Kommt nicht infrage.“ Abwehrend hob er die Hände und ging zwei Schritte rückwärts.

„Ach, zieren Sie sich nicht.“ Bevor er reagieren konnte, hatte sie sich an seinen Arm gehängt und zog Brody zu einem kleinen Raum hinter der Verkaufsfläche. „Wir haben nicht viel Zeit. Die Kinder werden schon unruhig. Und Sie wollen doch nicht schuld daran sein, dass die süßen Kleinen traurig und enttäuscht nach Hause gehen müssen, oder?“

Verdammt, sie war gut.

Wie hätte er jetzt noch Nein sagen können?

Er wollte Molly nicht enttäuschen.

Dann sah er Carissa an und begriff, dass sie genau wusste, wie sie ihn rumkriegen konnte. Er betrachtete sie von oben bis unten. Die weich fallende weiße Hose und das pinkfarbene Top betonten ihre zarte Schönheit. An jeder anderen Frau hätte ein solches Outfit schlicht gewirkt. Bei ihr sah es hinreißend aus.

„He!“ Direkt vor seiner Nase schnipste sie mit den Fingern. „Sie sollten nicht vor sich hin träumen, wenn Sie bei den Kindern sind. Sonst holen die Ihnen im null Komma nichts die Schokoladeneier aus dem Korb.“

„Warten Sie, die Kinder …“

„Kommen Sie, wir haben nicht viel Zeit, um Sie zu verkleiden und in den Garten zu bringen.“ Sie öffnete die Tür und schob ihn ins Zimmer.

Er hätte irgendeine Ausrede erfinden können.

Er hätte die Tür zuschlagen, verriegeln und durch das Fenster flüchten können.

Aber als Carissa seinen Arm berührte, schaffte er es nicht, sie im Stich zu lassen. Brody starrte auf das riesige pink-weiße Hasenkostüm und fragte sich, was an dieser Frau war, dass sie ihn dazu bringen konnte, in rosa Plüsch durch einen Garten zu hüpfen.

„Danke, dass Sie einspringen. Mir fällt wirklich ein Stein vom Herzen“, sagte sie, während sie die Plastikhülle vom Kostüm zog. Sie reichte ihm einen Stoffschwanz. „Hier, der muss noch befestigt werden. Ich kann …“

„Das mache ich schon“, unterbrach er sie unwirsch. Die Vorstellung, ihre Hände auf seinem Körper zu spüren, sorgte für ungewollte Regungen.

Schäm dich, Brody Elliott. Wo bleiben deine Manieren?

Verdutzt hörte er die Stimme seiner Frau. Die beiden Sätze hatte sie oft gesagt. Während ihrer kurzen Ehe hatte er sich oft wie ein linkischer Junge gefühlt, der von der Dame des Hauses zurechtgewiesen wurde. Seine Liebe zu ihr war nach und nach erloschen, während er Molly – der Grund, warum sie überhaupt geheiratet hatten – von Tag zu Tag mehr vergötterte.

Seine Freunde hatten recht gehabt. Jackie ließ ihn dafür büßen, dass sie von ihm schwanger geworden war. Obwohl er Kondome benutzt hatte und ihr, als es passiert war, einen Heiratsantrag gemacht hatte. So wie es sich gehörte. Doch ihre Ehe basierte von Anfang an mehr auf Schuldgefühlen als auf Liebe. Und daran war er schuld.

Weil er ihr Leben ruiniert hatte. Jedenfalls war das die Meinung ihrer hochnäsigen Familie gewesen.

Weil er ihr nicht das sorglose, bequeme Leben bieten konnte wie ein Mann aus ihren Kreisen.

Und weil er sie dafür verantwortlich machte, dass er seine Freiheit aufgeben musste.

Besonders groß waren seine Schuldgefühle in den vergangenen vier Jahren nach ihrem Tod geworden, weil er nicht die richtige Entscheidung getroffen hatte.

„He, wenn es Ihnen zu viel wird, lassen wir es.“ Carissa sah ihn besorgt an, und die Wärme in ihren Augen war wie eine tröstliche Umarmung.

Verflucht. Im Polizeidienst hatte er gelernt, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Er war ein Meister darin gewesen, seine Gefühle zu verbergen. Aber er war kein Polizist mehr. Wahrscheinlich hatte er auch die Fähigkeit eingebüßt, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen.

„Nein, es ist alles okay. Ich komme allein zurecht.“

Sie musterte ihn und nickte dann. „Ich warte draußen auf Sie. Hüpfen Sie raus, wenn Sie fertig sind.“

Carissa ging zur Tür. Brody wollte nicht auf ihre Hüften starren, die sich unter der weißen Hose aufreizend bewegten, aber er tat es doch und fragte sich zum hundertsten Mal in der letzten Stunde, ob er wohl den Verstand verloren hätte.

Carissa war stolz auf ihre Menschenkenntnis. Von klein auf hatte sie lernen müssen, nicht aufzufallen. Die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen hätte einen groben Tadel bedeutet oder eine grausame Bemerkung von Ron. Also hatte sie sich still verhalten. Das verschaffte ihr die Möglichkeit, Menschen genau zu beobachten, zuzuhören und Körpersprache zu deuten.

Doch als sie Brody durch den Garten hoppeln und mit den Kindern toben sah, als wäre er als Osterhase geboren worden, hatte sie keine Ahnung, was sie von ihrem neuen Nachbarn halten sollte.

„Dein Osterhase geht wundervoll mit den Kindern um.“ Ihre jüngere Schwester Tahnee ließ sich in den Gartenstuhl neben ihr fallen. „Ich hätte nicht gedacht, dass Peter so etwas kann.“

„Das ist nicht Peter.“ Carissa rümpfte die Nase.

„Oh, gibt’s Ärger im Paradies?“

„Mit Peter war ich nie im Paradies“, murmelte sie. Es gab nur einen Grund, warum sie volle acht Monate mit ihm zusammengeblieben war – die Macht der Gewohnheit.

„Super!“ Tahnee klatschte in die Hände. „Na endlich. Du warst viel zu schade für den Versager.“

„Warum hast du das nicht eher gesagt?“

Ihre Schwester verdrehte die Augen. Sie waren genauso blau wie Carissas. Die drei Lewis-Mädchen sahen sich verblüffend ähnlich. Carissa dankte Gott dafür, dass sie sich nach all den Jahren wiedergefunden hatten. Um bei Tahnee zu sein, war sie nach Stockton gezogen, in die kleine Stadt zwei Autostunden nördlich von Sydney. Die Schwester lebte hier schon lange.

„Weil ich mich nicht in die Affären meiner Schwester einmische. Obwohl ich es gern tun würde.“

„Apropos, hat Kristen sich bei dir gemeldet? Mick hat sie für eine Woche nach Perth entführt. Danach muss sie nach Singapur zurück. Aber ich habe bisher nichts von ihr gehört.“

„Noch so ein Versager.“ Tahnee schnaubte verächtlich. „Ich wette, Kristen musste allein für den Urlaub aufkommen, nicht umgekehrt. Wenn es darum geht, Geld auszugeben, hat Mick tiefe Taschen und zu kurze Arme.“

Carissa lachte leise. Sie musste ihrer Schwester zustimmen. „Was soll’s, solange sie glücklich ist?“

„Merk dir meine Worte – Kristen wird in ein paar Wochen wieder Single sein wie wir. Sie braucht das Ekel nur näher kennenzulernen. Das wird ihr die Augen schon öffnen.“

„Mal sehen.“ Carissa wurde abgelenkt. Timmy Fields, ein süßer Blondschopf, raufte sich mit dem Osterhasen. Der Junge hatte vor Kurzem beide Eltern verloren, und sie freute sich, dass er so unbefangen spielen konnte.

„He, Timmy!“, rief sie. „Lass den Osterhasen heil. Du reißt ihm ja gleich die Ohren ab.“

Das erinnerte sie daran, dass Brody immer noch nicht ihre Erziehungstipps für Molly beherzigt hatte. Das Mädchen sehnte sich nach Aufmerksamkeit. Ihr zerzaustes Äußeres und die trotzige Art waren deutliche Zeichen dafür, dass sie beachtet werden wollte. Und falls ihr Vater im selben Ton mit ihr redete wie mit allen anderen Leuten – du meine Güte!

„Wer steckt denn nun in dem Hasenkostüm?“ Tahnee wickelte ein Schoko-Osterei aus dem Stanniolpapier und schob es sich in den Mund. „Mmh … ist das lecker. Eigentlich hätte ich mir gleich denken können, dass das nicht Peter ist. Der Mann ist viel größer und hat breitere Schultern.“

„Darf ich dir Brody Elliott vorstellen, meinen neuen Nachbarn?“

Tahnee setzte sich so schwungvoll auf, dass sie fast vom Stuhl fiel. „Der Brody Elliott?“

„Wieso, hast du schon von ihm gehört?“

„Von ihm gehört?“, quietschte Tahnee, und Carissa bedeutete ihr hastig, die Stimme zu senken. „Schwesterherz, wo hast du gesteckt? Oder interessierst du dich nicht für Stocktons Gerüchteküche?“

„Nein.“

„Dein Pech.“

Okay, diesmal würde sie eine Ausnahme machen. „Na schön, erzähl mir von dem Brody Elliott.“

Ihre Schwester beugte sich vor und flüsterte: „Er war Polizist und hat sein Leben lang in Sydney gewohnt. Seinem Ruf nach scheint er ein wirklich wilder Kerl gewesen zu sein. Hat sich eine Tochter aus gutem Hause geangelt und ein Kind von ihr bekommen, das er heiß und innig liebt. Dann ist seine Frau gestorben, so vor vier Jahren, als das Kind gerade laufen konnte, und seitdem zieht er das Mädchen allein groß. Ein Typ, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, sagt man. Ist wütend auf Gott und die Welt.“

Carissa wurde einiges klar. Der Mann hatte harte Zeiten hinter sich. Kein Wunder, dass er grantig geworden war. „Woher weißt du das alles?“

„Daisy Smythe ist eine Tante seiner verstorbenen Frau. Deshalb ist er hierher gezogen. Die Kleine braucht eine weibliche Hand. So hat die alte Daisy sich ausgedrückt, als sie neulich die ganze Geschichte in der Apotheke erzählte.“

„Und du hast gelauscht?“

Tahnee wurde wenigstens rot. „Sie hat ja nicht gerade geflüstert.“

„Du bist unmöglich!“

„Wie hast du den großen bösen Brody dazu gekriegt, für dich den Osterhasen zu spielen? Ich will alles wissen.“

Carissa zuckte mit den Schultern, um die Neugier ihrer Schwester etwas zu bremsen. „Es sieht ganz so aus, als hätte er ein Herz für Kinder. Als er mitbekam, dass Dave Hill für den Job ausfiel, ist er eingesprungen. Natürlich habe ich ein bisschen nachgeholfen.“

Tahnee kicherte. „Ah, er hat also doch ein Herz.“

Carissa blieb trotzdem skeptisch. Ihre erste Begegnung mit Brody Elliott war ziemlich mühselig gewesen, und nach allem, was Tahnee von Daisy gehört hatte, schien er kein einfacher Zeitgenosse zu sein.

Allerdings gab sie nicht viel auf das, was Daisy Smythe von sich gab. Daisy hatte nie geheiratet, ihr Leben lang in Stockton verbracht und ein entsprechend beschränktes Weltbild. Und diese Frau hatte Brody ausgesucht, um weiblichen Einfluss auf seine Tochter auszuüben? Arme Molly.

„Er scheint ganz nett zu sein“, antwortete sie vage, obwohl sie zugeben musste, dass er vor allem nett aussah!

„Ich möchte ihn gern mal ohne das Kostüm sehen.“ Tahnee steckte sich das nächste Schoko-Ei in den Mund und leckte genüsslich die geschmolzene Schokolade von den Fingern. „Ich stehe auf wilde Typen.“

„Der Mann ist alleinerziehender Vater. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brody an einer Affäre interessiert ist – vor allem nicht in einer Kleinstadt wie Stockton.“

„Oh.“ Tahnee musterte ihre Schwester aus leicht zusammengekniffenen Augen. „Du scheinst dir mächtig sicher zu sein, was besagter Mann will. Verschweigst du mir etwas? Hast du es auf ihn abgesehen? Der Langweiler Peter ist ja jetzt aus dem Spiel.“

„Zu deiner Information: Peter hat mit mir Schluss gemacht, nicht umgekehrt. Außerdem habe ich es auf niemanden abgesehen. Brody ist mein Nachbar, und ich helfe ihm nur, mit seinem neuen Wohnort vertraut zu werden.“

Tahnee grinste von einem Ohr zum anderen. „Genau! Tausend andere Menschen würden dir nicht glauben, aber ich tue es. Jawohl.“

Sie stand graziös auf, und Carissa stellte wieder einmal fest, dass ihre beiden Schwestern sämtliche Größen-Gene der Familie geerbt hatten. Für sie war nichts übrig geblieben. Sie brachte es gerade mal auf einen Meter sechzig – mit Absätzen.

„Egal, ich muss los. Mein Verleger wird mir die Hölle heißmachen, wenn ich den Termin nicht einhalte. Bis später!“ Sie küsste Carissa auf die Wange und schlenderte durch den Garten, eine langbeinige, schlanke Blondine in Hüftjeans mit passender Jacke.

Ja, ihre Schwester war schön, und Brody würde ihr nicht widerstehen können, wenn sie es darauf anlegte.

Ein Blick zur Armbanduhr zeigte ihr, dass die letzte Stunde wie im Flug vergangen war. Brody hatte die Kinder so gut beschäftigt, dass sie selbst kaum etwas tun musste. Vor allem hatte sie nicht auf Plan B zurückzugreifen brauchen. Für den Fall, dass der Osterhase keine Lust zum Spielen gehabt hätte, hätte sie haufenweise Ostersüßigkeiten unter die Kinder verteilt.

Aber er war einfach wundervoll gewesen. Die Kinder waren völlig aus dem Häuschen und hatten großen Spaß mit ihm. Carissa liebte die lebhafte Bande. Das jüngste war vier, das älteste Kind neun Jahre alt. Ihre Eltern gehörten zu den Stammkunden von Fey For Fun.

In den letzten Jahren hatte man sie engagiert, die Geburtstagsfeiern sämtlicher kleiner Mädchen in der Stadt zu organisieren, und inzwischen kannte sie fast jedes Kind in Stockton persönlich.

Als Dankeschön veranstaltete Carissa zweimal im Jahr, zu Ostern und zu Weihnachten, ein solches Fest in ihrem Feengarten.

Sie klatschte in die Hände und rief die Kinder zu sich. „Der Osterhase muss sich jetzt verabschieden. Was sagen wir zu ihm?“

„Danke, Osterhase! Komm bitte nächstes Jahr wieder!“, erscholl es aus dreißig Kehlen.

Brody winkte den Kindern zu und hoppelte zum Hintereingang. Sie lächelte ihm zu, wusste aber nicht, ob er sie durch die kaum sichtbaren Augenschlitze im Maul des Hasen sehen konnte. Da drehte er sich um, wackelte mit dem niedlichen Plüschhinterteil und hüpfte ins Cottage.

Im nächsten Moment war die Tür zu.

Sieh mal an, dachte Carissa, der große böse Brody scheint gar nicht so schlimm zu sein.

„Das wäre nicht nötig gewesen.“

Ein Blick auf den Tisch, den Carissa gedeckt hatte, und Brody hätte am liebsten auf der Stelle das Weite gesucht. Die ganze Atmosphäre war ihm zu gemütlich, zu einladend und gar nicht gut für ihn.

Er saß nicht mit Frauen beim Dinner. Er saß überhaupt nicht mit Frauen zusammen. Aber genau darauf lief es hinaus, da sie ihm als Dankeschön für seine Hilfe beim Ostervergnügen ein Essen gekocht hatte.

Carissa wandte sich vom Herd ab, in einer Hand einen Holzlöffel mit Sauce Bolognese, in der anderen einen mit Elfenmotiven bedruckten Topflappen. „Ich weiß, aber ich wollte es gern. Es ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann, nachdem Sie den Kindern diese tolle Show geboten haben.“

„Das war keine Show.“

Seit einer Ewigkeit hatte er nicht mehr so viel Spaß gehabt wie gestern, als er mit ausgelassenen Kindern getobt und sich gebalgt hatte. Mit Molly spielte er nie so, aus Angst, sie könne sich wehtun. Sie war alles, was er hatte, und er musste sie beschützen. Vor allem, nachdem er bei ihrer Mutter versagt hatte.

„Nein?“ Sie probierte die Nudelsoße und lächelte zufrieden.

Trotz seiner Anspannung lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Es duftete nach Tomaten, Knoblauch, Oregano und Basilikum, und er fragte sich, wann zuletzt er so etwas Verlockendes gerochen hatte. Oder so etwas Verlockendes gesehen hatte, fügte er in Gedanken hinzu, als Carissa sich wieder umdrehte. Der kurze schwarze Rock wirbelte um ihre Knie und lenkte Brodys Aufmerksamkeit auf ihre wohlgeformten nackten Waden. Sie war barfuß, und auch das trug nicht gerade dazu bei, dass er sich entspannte.

Brody fluchte stumm und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er fühlte sich von Minute zu Minute unbehaglicher. Was zum Teufel hatte er hier zu suchen?

Er musste weg, und zwar schnell. „Das mit dem Osterhasen ist nicht der Rede wert, und Sie brauchen mich wirklich nicht zum Essen einzuladen. Also, vielen Dank, aber ich muss nach Molly sehen.“

Er war schon auf dem Weg zur Tür, als Carissa auf einmal vor ihm stand. Ziemlich ärgerlich, ihrem Blick nach zu urteilen.

„Hatten Sie nicht gesagt, Molly wäre bei Daisy?“

„Ja.“

„Und haben Sie mir nicht erzählt, dass sie ihre Großtante anbetet?“

Er nickte und kam sich nun reichlich dumm vor. Was konnte ein einfaches Essen schon schaden? Er würde essen und dann sofort verschwinden. Abgesehen davon hatte Molly begeistert von ihrem ersten Nachmittag bei Daisy geschwärmt und es kaum erwarten können, sie heute Abend wieder zu besuchen. Zum Glück war die alte Dame zu einer Verbündeten geworden, seit er in diese Stadt gezogen war.

Wahrscheinlich hatte Molly sie mit ihrem kindlichen Charme betört.

Brody hoffte, dass Großtante Daisy etwas Stabilität in das Leben seiner Tochter brachte. Die weibliche Seite, die ihr zwangsläufig fehlen musste.

Gut, er würde bleiben und sich bei seiner bezaubernden Gastgeberin eben beherrschen. Vier Jahre lang hatte er keine Frau angesehen, und daran sollte sich nichts ändern. Auch wenn der Blondschopf vor ihm sehr verführerisch wirkte mit dem kurzen schwarzen Rock, den nackten Füßen und dem T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin verrückt nach Schokolade“.

„Dann lassen Sie uns essen. Sie machen den Wein auf, ich serviere.“ Entschlossen drückte sie ihm einen Korkenzieher in die Hand und deutete auf die Flasche, die auf dem Tisch stand. „Hoffentlich mögen Sie Shiraz. Den habe ich mir aufgespart.“

„Öffnen Sie ihn nicht meinetwegen.“

„Ich liebe guten Rotwein. Machen Sie ihn auf.“

Resigniert marschierte sie wieder zum Herd. Sie wollte liebenswürdig zu Brody sein, aber er machte es ihr wirklich schwer. Es war offensichtlich keine gute Idee gewesen, ihren grantigen Nachbarn zum Abendessen einzuladen. Carissa überlegte, was sie sagen sollte, um das unangenehme Schweigen zu brechen. „Erzählen Sie mir von Ihrem Job.“ Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.

„Zurzeit arbeite ich nicht.“ Brody schenkte Wein ein und reichte ihr ein Glas. Seine Miene verriet, dass er das Thema nicht vertiefen wollte.

Carissa kümmerte sich nicht darum. Sie musste ihn aus der Reserve locken, einen Blick hinter die düstere Fassade werfen. Mittlerweile wusste sie, was er durchgemacht hatte, und irgendetwas an ihm reizte sie, ihn in die Arme zu nehmen, um ihm zu sagen, es würde alles wieder gut. „Ich habe gehört, dass Sie Polizist waren, bevor Sie nach Stockton gekommen sind.“

„Von wem?“

„Sie wissen doch, wie es in Kleinstädten zugeht. Jeder weiß über jeden haargenau Bescheid.“

Brody trank einen Schluck, stellte das Glas ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, das ist mir klar, aber aus meinen Angelegenheiten sollten Sie sich heraushalten. Der Polizeidienst ist Vergangenheit, und so soll es auch bleiben. Was sagt man sonst noch über mich?“

Carissa brachte die Schüsseln mit Nudeln und Soße an den Tisch. „Dass Sie Witwer sind.“

„Das stimmt. Jackie ist vor vier Jahren gestorben.“

Es überraschte sie nicht, dass er nicht mehr sagte. Carissa verkniff sich die Frage, wie es passiert war, und bedeutete ihm, Platz zu nehmen. Dann setzte sie sich. „Für Molly und Sie muss es furchtbar hart gewesen sein.“

Er nickte und reichte ihr die Salatschüssel. Während sie sich auffüllte, brach er sich ein Stück Knoblauchbrot ab. „Molly war fast zwei. Sie konnte noch nicht viel sprechen, aber eines ihrer Lieblingsworte war Mum. Auch Monate später sagte sie immer wieder: Mum weg. Es war herzzerreißend.“ Brody schob sich das Brot in den Mund. „Ist es noch immer“, fügte er leiser hinzu.

„Es tut mir leid.“ Was für ein schwerer Verlust. Anscheinend hatte Brody seine Trauer bis heute nicht überwunden.

Er muss seine Frau sehr geliebt haben, dachte sie. Sie konnte seinen Kummer sehr gut nachvollziehen. Schließlich verging kein Tag, an dem sie nicht an ihre Eltern dachte und sich vorstellte, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie sie nicht so früh verloren hätte.

„Ich weiß, wie Molly zumute war. Mit drei Jahren habe ich beide Eltern verloren. Ich fühlte mich schrecklich verlassen.“

Sein Blick veränderte sich. „Was ist denn passiert?“ Das klang unerwartet teilnahmsvoll.

„Mein Vater war Geologe und meistens auf Forschungsreisen. Meine Mutter hat ihn auf einer Reise in die Alpen begleitet. Vielleicht wollte sie ausspannen, Zeit mit ihm allein verbringen. Der Alltag mit drei kleinen Mädchen kann ziemlich anstrengend sein. Sie sind in eine Lawine geraten. Der Rettungstrupp kam zu spät.“

„Das tut mir sehr leid“, sagte er leise.

Seine Anteilnahme rührte sie. Carissas Hals war auf einmal wie zugeschnürt. Sie hatte ihre Tränen immer gut vor anderen Menschen verbergen können. Wie oft hatte sie sich in den Schlaf geweint, aber ihre Schluchzer unterdrückt, aus Angst, ihr aggressiver Adoptivvater könnte sie hören. Und jetzt war sie drauf und dran, vor einem Fremden einfach loszuheulen.

„Drei kleine Mädchen … sagten Sie?“

„Ich habe noch zwei Schwestern. Tahnee ist die jüngste, Kristen die älteste. Im Waisenhaus hat man uns voneinander getrennt. Tahnee und Kristen wurden ziemlich schnell adoptiert, ich musste ein Jahr in dieser Hölle verbringen. Vor sechs Jahren haben wir uns wiedergefunden.“

„Großer Gott.“ Spontan griff er nach ihrer Hand. „Wie furchtbar.“

Wahrscheinlich hatte er sich nichts dabei gedacht, aber von dem Moment an, als sie seine warmen Finger spürte, konnte sie nicht mehr klar denken. Seine Berührung löste etwas in ihr aus, was sie verunsicherte. Ihr Herz schlug schneller. Dabei war es viel zu früh, um mehr als Achtung für diesen Mann zu empfinden, der seine kleine Tochter allein großzog.

Sie entzog ihm ihre Hand und nahm einen Teller, um Nudeln und Soße aufzufüllen, und lächelte schwach. „Hier, probieren Sie. Gekocht nach meinem Lieblingsrezept“, wechselte sie das Thema und gab ihm den Teller. Sie achtete darauf, dass sich ihre Hände nicht wieder berührten. Nervös, wie sie war, hätte sie ihm vielleicht die heiße Pasta auf den Schoß geschüttet.

Brody warf ihr einen fragenden Blick zu, nahm aber den Teller. „Danke, es riecht köstlich.“

Gemeinsam fingen sie an zu essen. Dabei sprachen sie kaum ein Wort. Sätze wie „Reichen Sie mir bitte den Parmesankäse?“, oder „Möchten Sie noch etwas Dressing für Ihren Salat?“, waren die einzige Konversation. Einerseits hätte Carissa sich gern unterhalten, andererseits fand sie etwas Beruhigendes darin, mit diesem Mann schweigend zusammen zu essen. Sie hatte andere Männer erlebt, die während einer Mahlzeit ununterbrochen von ihrem Beruf redeten oder von ihren sportlichen Erfolgen prahlten.

„Danke für das Essen. Ich helfe Ihnen noch beim Abwaschen, aber dann wird es Zeit, dass ich gehe.“ Brody stand so schnell auf, dass sein Stuhl beinahe umgefallen wäre.

„Warum die Eile? Es gibt noch Nachtisch.“

Er klopfte sich auf den Magen und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf seinen flachen Waschbrettbauch unter dem weißen T-Shirt. Carissa hatte plötzlich ganz andere Vorstellungen von einem Dessert …

„Den lasse ich ausfallen“, unterbrach er sie in ihren erotischen Gedanken. „Aber vielen Dank für das Essen. Es hat hervorragend geschmeckt. Wollen Sie nun lieber abwaschen oder abtrocknen?“

„Lassen Sie nur. Das erledigt der Geschirrspüler.“ Hastig wandte sie sich ab. Er musste ihr nicht ansehen, dass sie sich wünschte, er würde bleiben.

Warum aß er nicht mit ihr zusammen den Nachtisch, sodass sie reden, vielleicht sogar ein bisschen lachen konnten? Immerhin waren sie Nachbarn. Was schadete es schon, ein bisschen freundlich zueinander zu sein? Möglicherweise ließ er sie dann doch Zeit mit Molly verbringen.

Aber er machte schon wieder ein finsteres Gesicht.

Trotzdem hielt sie ihm den Plastikbehälter hin. „Hier, ich habe eine Extraportion für Molly und Sie gekocht.“

„Danke, das ist nicht nötig. Ich kann selbst kochen.“

„Ich habe nie behauptet, dass Sie es nicht können.“ Die Dose in ihrer ausgestreckten Hand wurde schwer, und sie ließ den Arm sinken. „Aber ich dachte, Molly würde sich darüber freuen.“

„Molly braucht nichts.“

Seine sture Abwehr machte sie wütend. „So habe ich es nicht gemeint.“

„Wie auch immer. Ich muss los.“

Meine Güte, war der Kerl verbohrt! „Okay“, meinte sie leichthin. Ihre Blicke trafen sich. Er war sichtlich verärgert, aber sie dachte nicht daran, wegzusehen. Sie würde ihn in Grund und Boden starren, wenn es nötig wäre!

„Danke noch mal für das Essen. Ich finde selbst hinaus.“

Damit marschierte er zur Tür. In seiner Eile, das Haus zu verlassen, riss er fast den Türknauf ab.

„Brody, wenn Molly zum Spielen kommen möchte, kann sie das gern jederzeit tun. Schicken Sie sie einfach rüber!“, rief sie ihm nach.

Carissa war entschlossen, ein bisschen Abwechslung in Mollys Leben zu bringen. Das Mädchen verbrachte viel zu viel Zeit allein im Garten, versteckt im Eukalyptusbaum. Sie wusste aus eigener Erfahrung, was Einsamkeit war. Ron und Betty Lovell hatten sie kaum beachtet. Zwar war sie materiell versorgt gewesen, aber wie sehr hatte sie sich nach Zuwendung und Zärtlichkeit gesehnt!

Ihre Anstrengungen, ihnen eine vorbildliche Tochter zu sein, in der Hoffnung, ein freundliches Wort zu hören, hatten nichts genützt. Stattdessen wurde sie immer wieder zurückgewiesen oder von ihrem Adoptivvater auf eine Art und Weise unterdrückt, die sie noch heute in ihren Träumen verfolgte.

Molly erinnerte sich wahrscheinlich kaum an ihre Mutter, aber verlassen konnte sich jeder fühlen, egal, wie alt er war. Um Mollys Tage fröhlicher zu gestalten, würde Carissa es mit dem großen bösen Brody aufnehmen. Koste es, was es wolle!

Da drehte er sich um. „Warum interessieren Sie sich für meine Tochter?“

Sie ließ sich von seinem grimmigen Blick nicht einschüchtern. „Ich liebe Kinder, und Molly ist neu in der Stadt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, sie kann Freunde gebrauchen.“

Seine Gesichtszüge glätteten sich etwas. „Wir werden sehen.“

Gleich darauf war er verschwunden.

„Wir werden sehen“, äffte sie ihn kopfschüttelnd nach und fing an, den Tisch abzuräumen.

3. KAPITEL

„Daddy, kann ich mit Carissa Osterbrötchen backen? Sie muss ganz viele machen, und ich soll ihr helfen. Sie hat eine riesige Schüssel, und ich darf den Teig rühren. Erlaubst du das? Bitte, Daddy? Bitte?“

Brody rieb sich die Stelle zwischen den Brauen, die seit Tagen leicht schmerzte, und betrachtete seine Tochter. Molly hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere. Ihre blauen Augen leuchteten, aber quer über die Wange zog sich ein Schmutzstreifen. Einer ihrer Zöpfe hatte sich gelöst, das Kleid war falsch zugeknöpft, und an einem Riemchenschuh fehlte die Schnalle.

Himmel, sie sah aus wie ein Waisenkind. Ein vernachlässigtes Waisenkind, um genau zu sein. Molly verdiente viel mehr, als er ihr geben konnte. Er war müde, verdammt müde, sodass er nur mit Mühe einen Tag nach dem anderen bewältigte. Jeder schien endlos, Brody sah keine Perspektive, und die Schuld, die auf ihm lastete, machte alles noch schlimmer.

Vier Jahre waren mittlerweile seit Jackies Tod vergangen. Einfacher war es dadurch nicht geworden. Nichts interessierte ihn mehr, und wäre Molly nicht gewesen, hätte er sich ganz von der Welt zurückgezogen. Wahrscheinlich würde er dann längst an irgendeinem einsamen Strand im warmen Norden hausen und höchstens alle paar Monate einen anderen Menschen zu Gesicht bekommen.

Aber er konnte nicht einfach weglaufen. Er hatte die Verantwortung für das kleine Mädchen, das ihn jetzt aus großen Augen erwartungsvoll ansah. Augen, die denen ihrer Mutter so sehr glichen.

„Okay, aber bleib nicht zu lange. Du musst vor dem Abendessen in die Badewanne.“

„Carissa hat gesagt, wir können die Brötchen zum Abendbrot essen.“ Molly schmollte. Auch darin war sie ihrer Mutter ähnlich. Jackie hatte immer einen Schmollmund gemacht, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte.

Brody seufzte und beschloss, diesmal nachzugeben. Seit seine Nachbarin ihm vor ein paar Tagen ein Dankeschön-Essen gekocht hatte, war er ihr aus dem Weg gegangen. Er sah wenig Sinn darin, höflichen Small Talk mit jemandem zu machen, den er sowieso nicht öfter als unbedingt nötig sehen wollte. Allerdings schien Carissa eine vernünftige Frau zu sein, und nach allem, was er mitbekommen hatte, konnte sie gut mit Kindern umgehen. Es schadete sicher nicht, wenn Molly sich ein bisschen mit ihr anfreundete. Warum sollte seine Tochter darunter leiden, dass ihr Vater keinen Wert auf Gesellschaft legte?

„Natürlich, Kleines. Du darfst die Brötchen heute Abend essen.“

„Juchhu! Daddy, du bist der Beste!“ Molly schlang die Arme um ihn, und er hob sie hoch und drückte sie an sich. Als sie sich an ihn schmiegte, die kleinen Arme um seinen Hals gelegt, floss sein Herz über vor Liebe. Er wünschte nur, er könnte ihr ein besserer Vater sein.

„Aber nicht zu viele, okay? Sonst tut dir noch der Bauch weh.“

Molly rümpfte die Nase. Offensichtlich erinnerte sie sich an das letzte Mal, als sie sich den Magen verdorben hatte. Sie hatte leise vor sich hin gewimmert, während Brody an ihrem Bett saß und sich vollkommen nutzlos fühlte.

Er fühlte sich oft hilflos, wenn es um Molly ging.

„Ich esse nur zwei. Versprochen.“ Sie zählte an den Fingern ab: „Eins. Zwei. Siehst du? Davon kann ich doch kein Bauchweh kriegen, oder?“

Lächelnd gab er ihr einen Kuss auf die Nase. „Zwei sind in Ordnung. In einer Stunde hole ich dich bei Carissa ab. Sei brav, ja?“

Sie rutschte von seinem Schoß und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ich bin immer brav, Daddy!“ Dann winkte sie ihm zu und rannte über den Rasen im Vorgarten zu Carissa.

Sie wartete an der Tür, umarmte Molly herzlich, und zusammen gingen sie ins Haus.

Brody stützte sich mit beiden Händen auf der Fensterbank ab. Carissa kannte Molly erst knapp eine Woche, aber sie hatte sie gleich willkommen geheißen, ohne Erwartungen, ohne Forderungen zu stellen. Damit zeigte sie mehr Interesse an ihr als Jackie in den ersten zweiundzwanzig Monaten im Leben ihrer Tochter. Natürlich hatte Jackie das Baby auf ihre Weise geliebt, aber ihre mütterlichen Instinkte waren nicht besonders ausgeprägt gewesen.

So, nun hatte er eine Stunde Zeit für sich, in der er nicht auf den kleinen Wirbelwind achten musste. Brody ging zum Badezimmer, um in Ruhe zu duschen.

Er kam nicht weit. Ein markerschütternder Schrei zerriss die Stille. Aus Carissas Haus.

Brody sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Molly nichts passiert war, und sprang mit einem Satz über den Zaun, der die beiden Grundstücke trennte. Ein zweiter schriller Schrei trieb ihn an. Brody stürmte durch die Räume, vorbei an Regalen und Nischen voller Märchenfiguren, glitzernden Feen und grinsenden Fröschen. Ein Puppenhaus. Er hatte Mühe, nirgendwo anzustoßen.

Dann erreichte er die Küche, aus der der Angstschrei gekommen war. Aus alter Gewohnheit checkte er die Situation: Gefahr erkennen, Risiken ausschalten, die Umgebung sichern.

Während seiner Zeit bei der Polizei hatte er bewaffnete Raubüberfälle erlebt oder Drogensüchtige, denen der Stoff das Gehirn zerstört hatte, und kaltblütigen Mördern gegenübergestanden. Er hatte alles gesehen und war auf alles gefasst.

Aber die Szene, die sich ihm jetzt bot, hätte er nie erwartet.

„Komm schon, Carissa, spring runter. Alles in Ordnung. Sie tut dir nichts.“ Molly stand neben dem Küchentresen und zog ungeduldig an Carissas Hand. Die kauerte obenauf, beide Beine unter dem Rock verborgen. Ihr Gesicht war voller Mehl.

Carissa schüttelte heftig den Kopf. Mehl flog als weiße Staubwolke durch die Gegend. „Nein, nein. Was ist, wenn sie noch unter dem Tisch ist?“

Molly kicherte und zerrte wieder an ihr. „Quatsch. Ich habe gesehen, wie sie unter den Schrank gehuscht ist, in das kleine Loch da. Willst du mal sehen?“

„Nein!“ Carissa wich noch ein Stück weiter zurück.

Seine Anspannung legte sich langsam. Brody versuchte, nicht zu lachen, als er in Carissas Blickfeld trat.

„Alles in Ordnung hier?“

Fassungslos sah sie ihn an. „Sehe ich so aus?“

„Daddy! Daddy! Ich habe eine ganz süße Maus gesehen! Sie ist über den Boden geflitzt und unterm Schrank verschwunden. Sie war irre schnell, aber Carissa hat Angst bekommen und ist da raufgesprungen, und jetzt will sie nicht wieder runterkommen.“ Molly hatte Carissas Hand losgelassen und rannte zu ihm, um seine zu packen. „Komm und hilf ihr. Auf mich hört sie nicht.“

Er unterdrückte ein Grinsen und ließ sich von seiner Tochter zu Carissa führen.

„Angst vor Mäusen?“

„Gut beobachtet, Sie Schlauberger.“

Sie rutschte zum Rand der Arbeitsplatte, und er streckte die Arme aus, um seine ängstliche Nachbarin herunterzuheben.

Leicht wie eine Feder, dachte er, während er ihre Hüften unter seinen Händen spürte. Bisher hatte er sich aus zierlichen Frauen nichts gemacht, aber seine Hormone schienen auf einmal anderer Ansicht zu sein.

„Danke.“ Sie stützte sich mit den Händen auf seiner Brust ab, und ihre Wärme durchdrang sein Baumwollhemd.

Lass sie los. Geh zurück.

Doch Brody blieb, wo er war, und sah sie an. Selbst mit dem mehlbestäubten Gesicht, den wild zerzausten Locken und der schief sitzenden Küchenschürze war sie wunderschön.

Schockiert stellte er fest, dass er sie am liebsten geküsst hätte.

„Ist mein Dad nicht der Beste, Carissa?“ Molly plumpste auf einen Stuhl und ließ die Beine baumeln. Dann schnappte sie sich den Holzlöffel, um in der Schüssel zu rühren.

„Natürlich.“ Das kam ziemlich leise heraus, und was er in ihren großen blauen Augen las, ließ ihn sich fühlen wie Superman persönlich.

Er räusperte sich, lächelte kurz und trat einen Schritt zurück. Der Bann war gebrochen. „Viel musste ich ja nicht tun. Es sah aus, als hätte Molly die Situation unter Kontrolle.“

Seine Tochter nickte ernsthaft, während sie den Löffel wie ein Schwert schwang. „Ich liebe Mäuse. Die sind so niedlich. Aber Carissa hat nicht zugehört, als ich ihr das sagte, und diesen Lärm gemacht. Du magst das gar nicht, wenn ich so schreie, Daddy.“

Belustigt beobachtete er, wie Carissa unter der Mehlschicht errötete. Jetzt sah sie noch hübscher aus.

„Es ist eine dumme Phobie, die ich seit einer Ewigkeit habe“, flüsterte sie, damit Molly nicht mitbekam, wie sehr ihre neue Freundin Mäuse verabscheute. „Tut mir leid, dass ich geschrien habe.“

Spontan streckte er die Hand aus und strich ihr über die Wange. „Machen Sie sich keine Gedanken. Ich war Polizist, schon vergessen? Rettungsaktionen bin ich gewohnt, auch wenn ich den Beruf an den Nagel gehängt habe.“

Sie errötete noch mehr, und einen verrückten Moment lang dachte er, sie würde sich an seine Hand lehnen. Verdammt, er wünschte, sie täte es. Er wollte ihre Wange streicheln, einfach ihre Wärme spüren.

Hatte er denn vollkommen den Verstand verloren?

In seinem Leben war kein Platz für jemanden außer Molly, und die hielt ihn schon gehörig auf Trab.

Trotzdem begehrte er diese Frau. Die Erkenntnis traf ihn wie eine Faust in den Magen, und er zog die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. „Jetzt ist es mit dem Brötchenbacken wohl vorbei, oder?“

„Wo denken Sie hin? Molly und ich machen gleich weiter, oder?“

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

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