Julia Sommer Spezial Band 5

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Drei Freundinnen, drei sexy Milliardäre und ein unvergesslicher Sommer

LIEBESSOMMER IN FRANKREICH von GRAHAM, LYNNE
Unvergessliche Stunden des Glücks verbringt Tabitha mit dem charmanten Franzosen Christien Laroche. Aber dann zwingt ein Schicksalsschlag sie, überstürzt nach England zurückzukehren. Doch als sie Christien wiedersehen will, verweigert er jeglichen Kontakt mit ihr …

SCHÖNER ALS JEDER TRAUM von GRAHAM, LYNNE
Pippa ist zutiefst enttäuscht, als sie bei der Beförderung übergangen wird. Sie will es ihrem Chef Andreo D'Alessio heimzahlen … und erliegt stattdessen seinem unwiderstehlichen Charme. Aber schon bald muss sie annehmen, dass der attraktive Italiener ihr etwas verheimlicht …

GELIEHENES GLÜCK von GRAHAM, LYNNE
Ein Anruf aus der Schweiz alarmiert Hillary: Der reiche Roel Sabatino, mit dem Hillary eine Scheinehe führt, ist verunglückt. Bald schon stellt sie fest: Roel hat sein Gedächtnis verloren. In dem Glauben, ihre Beziehung sei glücklich, verführt er Hillary zu leidenschaftlicher Liebe! Doch was, wenn Roels Erinnerung zurückkehrt?


  • Erscheinungstag 24.05.2019
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713744
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham

JULIA SOMMER SPEZIAL BAND 5

1. KAPITEL

Stirnrunzelnd betrachtete Christien Laroche das Porträt seiner verstorbenen Großtante Solange. Sie war ihr Leben lang eine sehr stille Frau gewesen, die nie aufgefallen war, doch nun hatte sie mit ihrem Testament die gesamte Familie in hellen Aufruhr versetzt.

„Außergewöhnlich“, bemerkte ein Cousin missbilligend. „Was mag Solange sich nur gedacht haben?“

„Es bekümmert mich zutiefst, dies sagen zu müssen, aber der Verstand meiner armen Schwester hat offenbar am Ende stark gelitten“, lamentierte der schockierte Bruder der Verblichenen.

Vraiment! Ein Stück des Duvernay-Anwesens der Familie vorzuenthalten und stattdessen einer Ausländerin zu vermachen … es ist unglaublich“, rief ein anderer empört.

Unter anderen Umständen hätte Christien kaum ein Lächeln über das schiere Entsetzen unterdrücken können, das seine Verwandten an den Tag legten. Der Reichtum hatte ihr leidenschaftliches Interesse am Familienbesitz keineswegs geschmälert, denn wie bei allen Franzosen war die Bindung an Grund und Boden tief in ihnen verwurzelt. Trotzdem reagierten alle übertrieben, denn die Hinterlassenschaft war winzig, gemessen am finanziellen Wert. Der Duvernay-Besitz umfasste Tausende von Hektar, und das fragliche Grundstück betraf ein Cottage auf einer Wiese. Allerdings war auch Christien über das Legat verärgert, das er als bedauerlich und höchst unpassend ansah. Warum hatte seine Großtante einer jungen Frau, die sie vor mehreren Jahren ein paar Mal getroffen hatte, überhaupt etwas vermacht? Es war ihm ein Rätsel, und er hätte viel darum gegeben, es zu lösen.

„Solange muss in der Tat sehr krank gewesen sein, denn ihr Testament ist eine schreckliche Beleidigung für meine Gefühle“, klagte seine verwitwete Mutter Matilde unter Tränen. „Der Vater des Mädchens hat meinen Mann ermordet, und dennoch hat meine Tante es belohnt.“

Voller Unbehagen über die Leichtigkeit, mit der sie die Verbindung hergestellt hatte, blieb Christien am hohen Fenster stehen, das einen herrlichen Blick auf Duvernays Gartenanlagen bot, während die Gesellschafterin seiner Mutter sich bemühte, die schluchzende ältere Frau zu trösten. Obwohl seit dem Tod seines Vaters fast vier Jahre verstrichen waren, lebte Matilde Laroche in ihrem weitläufigen Pariser Apartment noch immer hinter heruntergelassenen Jalousien, trug dunkle Trauerkleidung und ging nur selten aus oder empfing Gäste. Früher war sie eine unternehmungslustige Persönlichkeit mit einem ausgeprägten Sinn für Humor gewesen. Im Dunstkreis ihres grenzenlosen Kummers fühlte Christien sich hilflos, zumal weder gute Ratschläge noch Medikamente es geschafft hatten, ihr Leiden auf ein halbwegs erträgliches Maß zu lindern.

Andererseits musste er zugeben, dass Matilde Laroche einen niederschmetternden Verlust erlitten hatte. Seine Eltern waren Jugendlieben und lebenslang die besten Freunde gewesen, ihre Ehe war von ungewöhnlicher Innigkeit geprägt gewesen. Außerdem war sein Vater erst vierundfünfzig gewesen, als er starb. Als bekannter Bankier hatte Henri Laroche sich der Energie und Gesundheit eines Mannes in den besten Jahren erfreut. Doch dies hatte Christiens Vater nicht vor einem grausamen, vorzeitigen und sinnlosen Tod durch die Schuld eines betrunkenen Autofahrers bewahrt.

Dieser betrunkene Fahrer war Tabitha Burnsides Vater Gerry gewesen. Alles in allem waren fünf Familien in jener verhängnisvollen Nacht durch einen einzigen Autounfall zerstört worden, und Henri Laroche war nicht das einzige Todesopfer gewesen. Gerry Burnside hatte es geschafft, sich selbst sowie vier seiner Passagiere zu töten und einen fünften schwer zu verletzen, der später starb.

In jenem schicksalhaften Sommer hatten vier englische Familien sich das lang gestreckte Bauernhaus am Fuß des Hügels geteilt, auf dem die Laroches ihr imposantes Feriendomizil in der Dordogne hatten. Sein verstorbener Vater hatte einmal bedauernd gemeint, er hätte das Anwesen selbst kaufen sollen, damit es während der Saison nicht von einer Horde lärmender Urlauber bevölkert würde. Natürlich hätte sich kein Laroche auch nur im Traum einfallen lassen, sich unter die Touristen zu mischen, deren einzige Vorstellung von Erholung darin zu bestehen schien, sich einen Sonnenbrand zu holen und zu viel zu trinken und zu essen. Seine Eltern hatten in jenem Sommer nur gelegentlich ein paar Tage in der Villa verbracht, und die meiste Zeit – abgesehen von Besuchen seiner Freunde und anfänglich von seiner damaligen Geliebten – hatte Christien in Ruhe arbeiten können.

Unter den Mietern des Bauernhauses waren drei Burnsides gewesen: Gerry Burnside, seine wesentlich jüngere zweite Frau Lisa und Tabby, seine Tochter aus erster Ehe. Bevor Christien Tabby begegnete, hatte er die beiden jungen Frauen lediglich aus der Ferne gesehen und eine nicht von der anderen unterscheiden können. Sowohl Lisa als auch Tabby waren wohlgeformte Blondinen, und er hatte zunächst angenommen, sie wären Schwestern und ungefähr gleichaltrig. Er hatte nicht geahnt, dass eine von beiden noch ein Schulmädchen war …

Aber selbst aus der Entfernung hat sie wie ein leichtfertiges Flittchen gewirkt, dachte er mit einem verächtlichen Lächeln. Wie die meisten jungen Männer in den Klauen der Lust hatte er sich jedoch begeistert an allem erfreut, das ihm geboten wurde. Tabbys nächtliches Nacktbaden im beleuchteten Pool des Anwesens war zweifellos nichts als eine Show gewesen, die sie für ihn inszeniert hatte. Er wäre zwar nicht unbedingt zu Hause geblieben, um sie zu beobachten, aber an den Abenden, an denen er auf der Terrasse ein Glas Wein getrunken hatte, waren ihm die provozierende Darbietung ihrer vollen Brüste und ihres entzückenden Pos eine willkommene Abwechslung gewesen.

Er schämte sich keineswegs, diesen Anblick genossen zu haben. Jeder Mann wäre angesichts ihrer Reize von Verlangen gepackt worden. Jeder Mann hätte beschlossen, dieser unverblümten Einladung bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu folgen. Es war Christien natürlich nie in den Sinn gekommen, sich zu fragen, warum Tabby so oft zu Hause blieb, während der Rest der Gruppe jeden Abend essen ging. Erst im Nachhinein war ihm klar geworden, dass sie ihn wohl von Anfang an als Ziel auserkoren hatte. Kein Wunder, sie hatte ihn im Dorf zum ersten Mal gesehen und sicher bald herausgefunden, wer er war und – was womöglich noch wichtiger war – was er wert war. Da die Laroche-Villa oberhalb des Bauernhauses lag, hatte Tabby sich ausrechnen können, dass er sie früher oder später unweigerlich beim Nacktbaden ertappen musste.

Dass sie es vom ersten Tag an darauf angelegt hatte, ihn einzufangen, erstaunte Christien nicht im Mindesten. Schon als Teenager hatte er gemerkt, dass Frauen sein attraktives Äußeres unwiderstehlich fanden und sich jede erdenkliche Mühe gaben, sein Interesse zu erregen. Trotzdem hatte ihn sein außergewöhnlicher Erfolg bei Frauen nicht eitel gemacht. Er wusste, dass Sex und Geld eine ungeheure Faszination ausübten. Er war sehr, sehr reich geboren – als einziges Kind zweier vermögender Einzelkinder – und war als Erwachsener noch wohlhabender geworden.

Ausgestattet mit dem Laroche-Talent fürs Geldverdienen und geradezu sensationellen unternehmerischen Fähigkeiten, hatte Christien mit zwanzig die Universität verlassen. Innerhalb von neun Monaten hatte er seine erste Million gemacht. Fünf Jahre danach war er Alleininhaber einer international erfolgreichen Fluglinie und vom Stress der endlosen Siebentagewochen ausgebrannt gewesen. Er hatte sich gelangweilt. In jenem Sommer war er reif gewesen für ein bisschen Abwechslung, und Tabby hatte ihn in diesem Punkt mehr als zufrieden gestellt.

Sie hatte keine Spielchen getrieben und sich seinen Bedingungen unterworfen. Er hatte sie schon bei ihrer ersten Verabredung bekommen. Dem waren sechs Wochen mit dem wildesten Sex gefolgt, den er je erlebt hatte. Er war besessen von ihr gewesen. Ihre standhafte Weigerung, die Nacht nicht in seinem Bett zu verbringen und ihre Affäre vor ihrer Familie und ihren Freunden geheim zu halten, hatte jedem Zusammensein einen zusätzlichen Kick verschafft. Und nach nur sechs Wochen leidenschaftlicher sexueller Erfüllung war er bereit gewesen, ihr einen Heiratsantrag zu machen, um sich jederzeit an ihrem verführerischen Körper erfreuen zu können.

Einen Heiratsantrag! Christien schauderte noch immer bei dem demütigenden Gedanken. Sein astronomischer IQ hatte ihm wenig geholfen, die aufgepeitschten Hormone zu bändigen. Die Entdeckung, dass er mit einem Schulmädchen geschlafen hatte, hatte ihn zutiefst erschüttert. Ein Schulmädchen von siebzehn Jahren, das zudem eine zwanghafte Lügnerin war!

Während Veronique sich den Kopf zerbrochen hatte, wie er sich am besten vor dem drohenden Skandal schützen könnte, war Christien so verrückt vor Lust gewesen, dass er zu dem Schluss gelangt war, er könnte mit einer minderjährigen Ehefrau fertig werden, ihr beibringen, stets die Wahrheit zu sagen, und sie außerdem die meiste Zeit ohnehin im Bett halten. Am nächsten Tag hatte er jedoch seine insgeheim Auserwählte dabei beobachtet, wie sie sich wie ein Flittchen mit einem pickeligen Jüngling auf einem Motorrad herumtrieb. Außer sich vor Zorn, Fassungslosigkeit und Ekel hatte Christien sich unverzüglich von seiner Besessenheit befreit …

„Falls dieses Burnside-Mädchen auch nur einen Fuß auf Laroche-Land setzt, wird das Andenken deines Vaters beschmutzt“, jammerte Matilde Laroche.

Jäh aus seinen düsteren Erinnerungen gerissen, zuckte Christien beim weinerlichen Tonfall seiner Mutter zusammen. „Das wird auf keinen Fall passieren“, beschwichtigte er sie. „Wir werden ihr anbieten, uns das Anwesen wieder zu verkaufen, und sie wird natürlich das Geld akzeptieren.“

„Die Angelegenheit ist für dich sicher schrecklich lästig“, raunte Veronique ihm mitfühlend zu. „Wenn du gestattest, kümmere ich mich darum.“

„Du bist wie immer überaus großzügig, aber in diesem Fall ist das nicht nötig.“ Christien betrachtete bewundernd die schöne elegante Brünette, die er zu ehelichen gedachte.

Veronique Giraud war die ideale Laroche-Gattin. Er kannte sie sein Leben lang, und sie stammten aus den gleichen Kreisen. Sie war Firmenanwältin und überdies eine ausgezeichnete Gastgeberin sowie sehr nachsichtig, was die seelische Verfassung ihrer künftigen Schwiegermutter betraf. Allerdings wurde die Beziehung der Verlobten weder durch Liebe noch durch Lust geprägt. Beide maßen gegenseitigem Respekt und Ehrlichkeit größere Bedeutung bei. Obwohl Veronique natürlich bereit war, ihm Kinder zu schenken, zeigte sie wenig Begeisterung für körperliche Intimitäten und hatte schon klargestellt, dass es ihr lieber wäre, wenn er seine Bedürfnisse bei einer Geliebten befriedigen würde.

Christien war mit diesem Arrangement durchaus einverstanden. Die Gewissheit, dass selbst eine Hochzeit ihn nicht der kostbaren männlichen Freiheit berauben würde, das zu tun, was er wollte, hatte seine Bereitschaft, sich unters Ehejoch zu begeben, erheblich gesteigert.

In einem Monat würde er geschäftlich in London weilen. Dann würde er Tabby Burnside einen Besuch abstatten und ihr anbieten, das Cottage zurückzukaufen. Sein persönliches Erscheinen würde ihr zweifellos schmeicheln. Er fragte sich, wie sie jetzt wohl aussehen mochte – verlebt? Mit nur einundzwanzig Jahren?

Wen interessiert’s? Er lächelte.

Ein Haus in Frankreich, überlegte Tabby verträumt, ein eigenes Heim in der Sonne …

„Du wirst natürlich das Cottage der alten Dame für den bestmöglichen Preis verkaufen“, entschied Alison Davies für ihre Nichte. „Es dürfte eine hübsche Summe bringen.“

Frische, saubere Landluft statt Abgasschwaden, die den Kleinen anfällig für Asthma machen, dachte Tabby glücklich.

„Jake und du braucht Rücklagen für schlechte Zeiten“, erklärte ihre Tante, eine schlanke grauäugige Brünette.

In Gedanken versunken, staunte Tabby noch immer über die Tatsache, dass Solange Roussel ihr ein Anwesen in Frankreich vermacht hatte. Es war Schicksal. Es konnte nur Schicksal sein, davon war Tabby überzeugt. Ihr Sohn hatte französisches Blut in den Adern, und nun, durch einen ebenso ungeheuren wie unerwarteten Glücksfall, hatte sie ein Heim für sie beide auf französischem Boden geerbt. Das musste natürlich ein Omen sein, wer könnte daran zweifeln?

Sie blickte hinaus in den kleinen Garten, wo Jake spielte. Er war ein bezauberndes Kind mit funkelnden braunen Augen, leicht getöntem Teint und widerspenstigen dunklen Locken. Sein Asthma äußerte sich momentan nur in leichten Anfällen, aber niemand konnte vorhersagen, ob es sich verschlimmern würde, wenn sie in London blieben.

Gleich nachdem der Brief von dem französischen Notar eingetroffen war, in dem er sie über die Erbschaft informierte, hatte Tabby begonnen, ein neues Leben in Frankreich für sich und ihr Kind zu planen. Der Zeitpunkt war ideal. Sie hatte verzweifelt nach einer plausiblen Ausrede gesucht, das behagliche Stadthaus ihrer Tante zu verlassen. Alison Davies war nur zehn Jahre älter als ihre Nichte. Als Tabby nach dem Tod ihres Vaters mittellos und schwanger nach England zurückgekehrt war, hatte Alison ihrer Nichte ein Heim geboten. Tabby war klar, wie viel sie der anderen Frau schuldete.

Aber erst vor einer Woche hatte sie zufällig einen hitzigen Streit zwischen Alison und deren Freund Edward mit angehört, der heftige Schuldgefühle in ihr geweckt hatte. Edward hatte sich für ein Jahr von seinem Job beurlauben lassen, um auf Reisen zu gehen. Tabby hatte das bereits gewusst und auch, dass ihre Tante beschlossen hatte, ihn nicht zu begleiten. Allerdings war ihr, bis sie den Streit des Paares gehört hatte, nicht klar gewesen, dass Alison lieber auf die Erfüllung eines Herzenswunsches verzichtete, als ihre Nichte zu bitten, sich eine andere Unterkunft zu suchen.

„Du brauchst deine Ersparnisse nicht einmal anzugreifen! Dank deiner Eltern gehört dir das Haus, und du könntest es für ein kleines Vermögen vermieten, während wir im Ausland sind. Damit wären all deine Ausgaben gedeckt“, hatte Edward argumentiert, als Tabby nach der Heimkehr von ihrem Abendjob draußen nach dem Schlüssel gekramt hatte.

„Das Thema haben wir doch durch“, hatte Alison genervt protestiert. „Ich kann Tabby nicht einfach bitten auszuziehen, nur damit ich an Fremde vermieten kann. Sie kann sich keine vernünftige Wohnung leisten.“

„Und wessen Schuld ist das? Sie ist mit siebzehn schwanger geworden, und nun muss sie für ihren Fehltritt bezahlen!“, hatte Edward wütend gekontert. „Sollen wir etwa auch dafür büßen? Es ist schlimm genug, dass wir kaum allein miteinander sind – und selbst dann musst du immer auf ihr Kind aufpassen.“

Die Erinnerung an das vernichtende Urteil schmerzte noch immer, doch sie betrachtete es als gerechtfertigte Kritik. Sie hätte schon viel früher für sich selber sorgen müssen und hatte die Gastfreundschaft ihrer Tante über Gebühr strapaziert. Es erschreckte sie, dass ihre Tante ihr zuliebe zu einem solchen Opfer bereit war. Für Tabby stand fest, dass sie so schnell wie möglich fortmusste. Erst dann würde ihre Tante wieder frei über ihr Leben und ihr Heim verfügen können.

„Ich begreife noch immer nicht, warum eine alte Französin dich in ihrem Testament bedacht hat“, meinte Alison kopfschüttelnd.

Tabby kehrte jäh in die Gegenwart zurück. Versonnen schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Manche Dinge waren zu persönlich, als dass sie sie sogar mit ihrer Tante hätte teilen können. „Solange und ich haben uns gut verstanden.“

„Aber ihr seid euch doch nur ein paar Mal begegnet …“

„Was sie mir vermacht hat, ist bloß ein winziger Teil ihres Besitzes. Sie war sehr reich“, erwiderte Tabby ausweichend. „Ich bin außer mir vor Freude über das Cottage, aber in ihren Augen war es wohl eher eine kleine Aufmerksamkeit.“

Insgeheim musste sie zugeben, dass sie bei jedem Treffen mit Solange Roussel emotional sehr aufgewühlt gewesen war. Beim ersten Mal hatte sie vor Glück gestrahlt und freimütig eingeräumt, dass sie Christien anbetete. Beim zweiten Mal war sie sich seiner nicht mehr ganz so sicher gewesen und hatte gefürchtet, er könnte das Interesse an ihr verlieren. Und beim dritten und letzten Mal?

Monate, nachdem der unselige Frankreichurlaub so viele Leben zerstört hatte, war Tabby allein nach Frankreich gereist, um der Unfalluntersuchung beizuwohnen. Sie hatte darauf gebrannt, Christien wiederzusehen. Sie hatte gehofft, seine Verbitterung möge sich inzwischen gelegt haben und er wäre zu der Erkenntnis gelangt, dass sie beide ihre geliebten Väter bei dem schrecklichen Zusammenstoß verloren hatten. Allerdings hatte sie ihren Fehler schnell einsehen müssen, denn die Monate hatten Christien eher noch kälter und verächtlicher gemacht. Selbst Veronique, die ihr gegenüber einst so freundlich gewesen war, zeigte sich nun abweisend und feindselig. Als Gerry Burnsides Tochter war sie für jeden eine Aussätzige, der einen Verwandten verloren hatte oder irgendwie bei dem Unglück verletzt worden war.

Am Tag der Untersuchung war Tabby endlich erwachsen geworden, und diese Erfahrung war fast genauso grausam und umwälzend wie der Schock nach dem Unfall. Obwohl die vorangegangenen Monate einen albtraumhaften Kampf für Tabby bedeutet hatten und sie sich sogar von ihrer Tante hatte Geld leihen müssen, um nach Frankreich zurückzukehren, hatte sie in ihrer Naivität davon geträumt, wie Christien auf die Nachricht reagieren würde, dass er Vater eines kleinen Sohnes war.

Am Tag der Anhörung waren jedoch ihre Träume zerbrochen. Am Ende hatte sie Christien nicht einmal sagen können, dass sie ihm einen Sohn geschenkt hatte. Er hatte sich schlichtweg geweigert, mit ihr unter vier Augen zu sprechen, und sie hatte es ihm nicht vor großem Publikum gestehen wollen. Zutiefst erschüttert über die schroffe Zurückweisung, war sie nach draußen geflohen, um nicht vor ihm, seinen Verwandten und Freunden in Tränen auszubrechen. Auf der Straße hatte sich eine Hand tröstend auf ihre gelegt, und Tabby war dem mitfühlenden Blick von Solange Roussel begegnet.

„Es tut mir leid, dass die Familie zwischen Sie und Christien getreten ist.“ Die ältere Frau seufzte bedauernd. „Das hätte nicht passieren dürfen.“

Bevor Tabby etwas erwidern konnte, war Solange im Gerichtsgebäude verschwunden. Christiens Großtante hatte offenbar befürchtet, bei Sympathiebekundungen für die Tochter des betrunkenen Fahrers ertappt zu werden.

„Du beabsichtigst doch, das Grundstück zu verkaufen, oder?“, fragte Alison drängend.

Tabby atmete tief durch. „Nein. Ich möchte es gern behalten …“

„Aber das Cottage befindet sich doch auf Christien Laroches bretonischem Besitz“, wandte ihre Tante stirnrunzelnd ein.

„Solange sagte, dass Christien nur selten nach Duvernay komme, weil er lieber in der Stadt als auf dem Land lebt. Sie hat mir außerdem erzählt, dass das Anwesen riesig sei und ihr kleines Haus direkt am Rand liege. Wenn ich es wie geplant behalte, wird er nicht einmal merken, dass ich dort bin.“

„Bist du sicher, dass du nicht insgeheim hoffst, ihn wiederzusehen?“

„Natürlich! Warum sollte ich ihn wiedersehen wollen?“

„Um ihm von Jake zu berichten?“, schlug Alison vor.

„Nein, jetzt nicht mehr. Die Zeit ist ein für alle Mal vorbei.“ Da Christien und seine versnobte Familie bei der Anhörung durch ihre bloße Anwesenheit beleidigt gewesen waren, würde das Wissen um die Existenz des Kleinen nur weiteren Ärger verursachen. „Jake gehört zu mir, und wir kommen gut zurecht.“

Alison war keineswegs überzeugt, denn sie wusste, wie verwundbar Tabby durch ihr vertrauensvolles Wesen war. Sie hatte stets versucht, das einzige Kind ihrer verstorbenen Schwester zu beschützen, das eine gefährliche Wirkung auf Männer auszuüben schien. Tabby hatte honigblondes Haar, grüne Augen, Grübchen und eine verführerische Figur – kurz, sie besaß einen angeborenen Sex-Appeal, der überall für Aufruhr sorgte.

„Ich zerstöre nur ungern deine Träume, aber du hast offenbar nicht bedacht, wie teuer es ist, ein Ferienhaus im Ausland zu unterhalten“, wandte Alison ein.

„Ich will es nicht nur im Urlaub nutzen!“ Die bloße Vorstellung brachte Tabby zum Lachen. „Ich rede von einem festen Wohnsitz … von einem neuen Leben, das Jake und ich in Frankreich beginnen können.“

Ihre Tante war fassungslos. „Das kannst du nicht …“

„Warum nicht? Ich kann überall meine Miniaturen malen und meine Werke übers Internet verkaufen. Ich baue mir gerade einen Kundenstamm auf, und die französische Landschaft wird mich inspirieren. Zugegeben, anfangs dürfte es finanziell ein bisschen eng werden, aber da mir das Haus gehört, brauche ich keine Miete zu zahlen. Außerdem ist Jake jetzt in dem richtigen Alter, um ins Ausland überzusiedeln und eine zweite Sprache zu lernen.“

„Du schmiedest Pläne, ohne das Cottage überhaupt gesehen zu haben“, rief Alison missbilligend.

„Stimmt.“ Tabby lächelte. „Ich habe allerdings vor, nächste Woche hinzufahren und es zu besichtigen.“

„Und wenn es unbewohnbar ist?“

Tabby straffte die Schultern. „Sollte das der Fall sein, werde ich mich darum kümmern, wenn ich dort bin.“

„Ich finde das nicht sehr praktisch. Für dich mag es verlockend sein, im Ausland zu leben, aber du musst auch Jake berücksichtigen. In Frankreich hast du keine Unterstützung, keine Aushilfe, wenn du arbeiten musst oder krank bist.“

„Aber ich freue mich darauf, unabhängig zu sein.“ Angesichts der betroffenen Miene ihrer Tante schluckte Tabby trocken. „Ich muss endlich auf eigenen Füßen stehen, Alison – ich bin jetzt einundzwanzig.“

Mit geröteten Wangen erhob sich ihre Tante und begann, den Tisch abzuräumen. „Das verstehe ich ja, aber ich möchte nicht, dass du hier alle Brücken hinter dir abbrichst und zu spät erkennst, dass du einen schrecklichen Fehler gemacht hast.“

Tabby dachte an all die Fehler, die sie in ihrem Leben bereits begangen hatte. Jake kam durch die Hintertür hereingestürmt und warf sich ihr in die Arme. „Ich hab dich lieb, Mummy“, verkündete er strahlend.

Sie presste ihn fest an sich. Die meisten Leute waren zu höflich, um es zu erwähnen, aber sie wusste, dass sie Jake für ihren bislang größten Fehler hielten. Und trotzdem hatte ihr in Zeiten, als ihr Leben aus den Fugen geraten war, gerade der Gedanke an das ungeborene Baby Kraft und Vertrauen auf die Zukunft gegeben. Christien hatte Licht in ihr Dasein gebracht, und die Welt war für sie in ewige Dunkelheit gesunken, als er daraus wieder verschwunden war.

Seufzend wandte Alison sich zu ihr um. „Bevor du hier eingezogen bist, habe ich mit einem Mann namens Sean Wendell zusammengearbeitet“, erklärte sie. „Er war ganz verrückt nach Frankreich und ist in die Bretagne übergesiedelt, um eine Hausverwaltung zu leiten. Er meldet sich regelmäßig zu Weihnachten bei mir. Ich könnte ihn anrufen und bitten, dir zu helfen.“

Erstaunt sah Tabby ihre Tante an.

Die ältere Frau hob beschwichtigend die Hände. „Ich weiß, ich sollte mich nicht einmischen, aber wenn du dir nicht von Sean helfen lässt, sterbe ich vor Sorge um dich. Du musst dich zuerst beim Notar vorstellen, und es sind bestimmt etliche Formalitäten zu erledigen. Dein Französisch ist ziemlich begrenzt und reicht dafür vielleicht nicht aus.“

Tabby war klar, dass ihre Sprachkenntnisse eingerostet waren, dennoch ärgerte es sie, sich mit einem Fremden belasten zu müssen. Außerdem kreisten ihre Gedanken momentan um die Vergangenheit. Während sie Jake fürs Bett zurechtmachte, wanderten ihre Erinnerungen vier Jahre zurück, zu jenem Sommer, der eine Ewigkeit her zu sein schien …

Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatten die Burnsides alljährlich den Urlaub mit ihren engsten Freunden, den Stevensons, Ross’ und Tarberts, in der Dordogne verbracht. Entweder hatten sie benachbarte Ferienhäuser gemietet oder ein Anwesen gefunden, dass genug Räume für sie alle geboten hatte. Die Stevenson-Tochter Pippa war Tabbys beste Freundin. Die Ross’ hatten zwei Töchter, Hillary, die sechs Monate jünger war als die beiden Freundinnen, und ihre kleine Schwester Emma. Die Tarberts hatten eine Tochter namens Jen. Als Tabby, Pippa, Hillary und Jen noch Kleinkinder gewesen waren, hatten sie die gleiche Spielgruppe besucht, und ihre Mütter hatten sich angefreundet. Obwohl die Familien umgezogen waren und sich vieles in ihrem Leben verändert hatte, hatten die Freundschaften überdauert, und die Frankreichurlaube waren Tradition geworden.

Im Herbst nach Tabbys sechzehntem Geburtstag hatte das geruhsame Familienleben ein jähes Ende gefunden. Ihre Mutter war an Grippe erkrankt und an plötzlich auftretenden Komplikationen gestorben. Gerry Burnside war über den unerwarteten Tod seiner Frau am Boden zerstört gewesen, hatte aber sechs Monate danach wieder geheiratet, ohne zuvor über seine Pläne zu sprechen. Seine zweite Frau Lisa war eine zweiundzwanzigjährige Blondine, die in seinem Autohaus als Empfangsdame arbeitete. Tabby war über diese Wendung ebenso erschüttert gewesen wie alle anderen.

Fast über Nacht hatte sich ihr Vater in einen Fremden verwandelt, der sich wie ein wesentlich jüngerer Mann kleidete und nichts als Partys im Kopf hatte. Er hatte keine Zeit mehr für seine Tochter, denn seine junge Frau war nicht nur maßlos eifersüchtig, sondern neigte außerdem zu lautstarken Wutausbrüchen, wenn ihr nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt. Lisa zuliebe kaufte er ein anderes Haus und gab ein Vermögen dafür aus, um es nach ihren Wünschen renovieren zu lassen. Von Anfang an hatte Lisa Tabby abgelehnt und sie spüren lassen, dass sie sie als fünftes Rad am Wagen empfand.

Lisa hatte sich in diesem Sommer gegen den Urlaub mit den Freunden ihres Mannes gesträubt, aber Gerry Burnside hatte sich ausnahmsweise durchgesetzt. Sie versuchte gar nicht erst, sich anzupassen, sondern genoss es, die Mitreisenden durch ihr Benehmen zu schockieren. Tabby wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken und mied so oft wie möglich die Gesellschaft der Erwachsenen.

Leider fühlte sie sich mit Pippa, Hillary und Jen genauso unwohl. Ihre Freundinnen mit ihren liebevollen Elternhäusern schienen ihr Lichtjahre entfernt. Tabbys Loyalität ihrem Vater gegenüber war zu ausgeprägt, als dass sie jemandem anvertraut hätte, wie unglücklich und einsam sie war. Und dann war ihr Christien begegnet, und ihre eigenen Ängste, der Rest der Welt und alle Menschen um sie her hörten schlagartig auf zu existieren.

Es passierte schon am zweiten Tag ihres Aufenthaltes. Tabby saß auf einer kleinen Mauer im verschlafenen Dorf unterhalb des Bauernhauses und grübelte über die demütigende Szene nach, als Lisa sie beim Frühstück vor Pippas entsetzten Eltern als „widerwärtiges Balg“, beschimpft hatte. Ein eleganter gelber Sportwagen raste den Hügel herunter, bog schwungvoll um die Ecke und hielt ein Stück entfernt von Tabbys Platz an.

Ein großer, stattlicher Mann mit Sonnenbrille stieg aus und schlenderte in das kleine Straßencafé. Er trug ein weißes Hemd mit lässig aufgekrempelten Ärmeln und eine beigefarbene Leinenhose. Nachdem er sich an einem der Tische niedergelassen hatte, warf er dem Sohn des Besitzers einen Geldschein zu, damit dieser ihm nebenan eine Zeitung besorgte. Dann nahm er die Sonnenbrille ab und schob sie in die Brusttasche seines Hemdes. Er war dabei so cool, dass Tabby fasziniert jede seiner Bewegungen verfolgte.

Der Wirt begrüßte ihn respektvoll und servierte Kaffee und Croissants. Gleich darauf wurde die Zeitung gebracht. Eine typisch französische Szene. Hingerissen betrachtete Tabby Christiens sonnengebräuntes Gesicht, sein schwarzes Haar und die dunklen Augen. Ihr Herz klopfte so heftig, als wollte es zerspringen.

Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich ihre Blicke, und Tabby war verloren. Un coup de foudre – die Liebe hatte sie wie ein Blitzschlag getroffen. Er wandte seine Aufmerksamkeit der Zeitung zu. Tabby konnte sich an ihm nicht sattsehen. Irgendwann stieg er wieder in seinen eleganten Wagen und fuhr los, und zwar langsam genug, dass er sie durch die getönten Scheiben in Augenschein nehmen konnte.

„Wer ist er?“, fragte Tabby den mürrischen Jugendlichen, der den Pool am Haus reinigte.

„Christien Laroche. Seine Familie hat eine Villa auf dem Hügel. Er ist schwerreich.“

„Ist er verheiratet?“

„Du machst wohl Witze! Er kann sich vor Verehrerinnen kaum retten. Warum? Rechnest du dir Chancen aus? Für einen Geschäftsmann wie ihn bist du noch ein Baby“, spottete er.

Tabby kehrte in die Gegenwart zurück, verärgert, dass sie überhaupt noch an Christien dachte. Solanges Vermächtnis hatte sie dazu verführt, sich auf Ereignisse zu besinnen, die keinerlei Bedeutung hatten – außer dass sie daraus ein paar wertvolle Lehren gezogen hatte. Sie brachte Christiens Sohn ins Bett. Ob es ihr gefiel oder nicht, der dreijährige Jake war eine Miniaturausgabe seines Vaters. Dem Aussehen und der Statur nach war er eindeutig ein Laroche, und außerdem war er viel zu clever für sein Alter. Eines hatte sie sich jedoch vorgenommen: Sie würde dafür sorgen, dass Jake Frauen niemals als Beute betrachtete, die es zu erlegen galt.

In der folgenden Woche verkaufte Tabby den einzigen Wertgegenstand, den sie noch besaß: eine mit Diamanten besetzte Haarspange. Es fiel ihr nicht schwer, sich davon zu trennen, denn in ihrem Leben hatte sie keine Verwendung für eine Diamantspange. Das Schmuckstück war wesentlich mehr wert, als sie erwartet hatte, und ermöglichte es ihr, einen alten Lieferwagen für den Transport ihrer Sachen zu erwerben und sämtliche anderen Ausgaben zu decken. Alison hatte sie überredet, die erste Reise allein zu machen, und versprochen, auf Jake aufzupassen. Das Cottage bedurfte sicher einer gründlichen Reinigung, und der Staub würde bei dem Kleinen nur einen Asthmaanfall hervorrufen.

Eine Woche vor ihrer Abreise hatte Tabby Jake wie üblich zum Kindergarten gebracht und saß gerade beim Frühstück, als es an der Tür klingelte. Mit einem Stück Toast in der Hand ging sie nach vorn, um zu öffnen. Als sie den stattlichen dunkelhaarigen Mann auf der Schwelle erblickte, entglitt das Brot ihren plötzlich kraftlosen Fingern.

„Ich wollte dich anrufen, um dich über meinen Besuch zu informieren, aber die Nummer deiner Tante ist nicht verzeichnet“, erklärte Christien ruhig.

Tabby konnte kaum atmen. Sein sinnlicher Akzent jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Wie in Trance wich sie zurück. Der Instinkt sagte ihr, dass sie in Gefahr schwebte – einer erregenden, köstlichen Gefahr, die ihr Verlangen weckte. Christien war noch unwiderstehlicher, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte, und sosehr sie sich auch dafür schämte, sie hätte sich am liebsten in seine Arme geschmiegt.

Trotzdem konnte sie es nicht recht fassen, dass er tatsächlich vor ihr stand, er gleich Alisons Haus betreten würde und sich dazu herabließ, mit ihr, Tabby, zu reden. Träumte sie?

Bei ihrem letzten Zusammentreffen hatte sie seine unverhohlene Ablehnung zutiefst verletzt. Der Schmerz war schier unerträglich gewesen. Sie hatte sich gehasst, weil sie ihn liebte, hatte sich für das Verlangen verachtet, das sie nicht unterdrücken konnte, und sich insgeheim gescholten, weil sie in dem unschuldigen Babygesicht ihres Sohnes nach Ähnlichkeiten mit Christien gesucht hatte.

„Was willst du hier?“, fragte sie.

Lächelnd kam er herein und schloss die Tür hinter sich. Seine breitschultrige Gestalt ließ die Halle winzig wirken. Er war umwerfend attraktiv und sich dessen genau bewusst. Christien Laroche war ein Mann, vor dem sie sich hätte hüten müssen. Leider war sie damals zu naiv gewesen und wenige Stunden nach ihrer ersten Begegnung in seinem Bett gelandet.

„Ich bin gekommen, um dir ein Angebot zu unterbreiten, das du nicht ablehnen kannst.“

„Und ob ich das kann! Du kannst mir nichts bieten, was ich ablehnen würde“, konterte sie nachdrücklich.

Unbeeindruckt von ihrem Ausbruch, betrachtete er ihr honigblondes Haar, die funkelnden Augen und die Sommersprossen auf ihrer Nase. Am längsten jedoch verweilte sein Blick auf ihren weichen Lippen. Er erinnerte sich noch genau, wie ihr Mund sich einst auf seiner Haut angefühlt hatte – keine andere Frau hatte ihm seither solche Wonnen bereitet. Sein verräterischer Körper reagierte prompt. Energisch rief er sich ins Gedächtnis, dass sie sich hinter seinem Rücken mit einem Taugenichts auf einer Harley-Davidson herumgetrieben hatte. Sofort flammte sein Zorn wieder auf.

„Würdest du darauf wetten, chérie?“, erkundigte er sich trügerisch sanft.

2. KAPITEL

„Ich wette nicht auf Tatsachen, und ich habe dich nicht hereingebeten.“ Tabby spürte, wie sie unter Christiens anmaßendem Blick errötete.

Niemand, absolut niemand konnte so herablassend sein wie Christien Laroche. Den Kopf stolz erhoben, genügte ihm ein spöttisches Heben der Braue, um seinem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, auf Daumengröße zu schrumpfen. Er war der jüngste Spross einer langen Reihe von Vorfahren, die sich allesamt über die Jahrhunderte hinweg als außergewöhnliche Wesen betrachtet und ihm eine geradezu erschreckende Selbstsicherheit vererbt hatten. Christien wusste, dass er den meisten seiner Mitmenschen intellektuell überlegen war, und man konnte nicht behaupten, dass dieses Wissen ihn Bescheidenheit gelehrt hätte.

„Du hast mir doch noch nie etwas abschlagen können, ma belle“, erwiderte er lächelnd.

Sie ballte die Hände zu Fäusten. Ungeniert ließ er den Blick zu ihren festen Brüsten unter dem roten T-Shirt schweifen. Als sich die festen Knospen aufrichteten, machte Tabby kehrt und eilte ins Wohnzimmer.

Sie konnte kaum noch klar denken. Christien hatte schon immer diese Wirkung auf sie gehabt. Wie sollte sie sich ihm widersetzen? Sie hatte es nie geschafft, Nein zu ihm zu sagen – hatte es auch nie gewollt. Sie war ihm verfallen gewesen. Er war der einzige Mann auf Erden, dem sie nie hätte begegnen dürfen, denn bei ihm war sie wehrlos.

Widerstrebend riss er sich vom Anblick ihrer wohlgeformten Brüste unter dem dünnen Stoff los und fragte sich, wie Tabby wohl reagieren mochte, wenn er sie einfach an sich ziehen würde, so wie er es früher unzählige Male getan hatte, ohne darüber nachzudenken … um nicht von der Versuchung überwältigt zu werden, ging er vorsichtshalber auf Abstand zu Tabby.

Sie ist nicht schön, sagte er sich energisch. Ihre Nase war ein wenig zu groß, ihr Mund war ein wenig zu breit, und alles in allem war sie zu klein, um elegant zu wirken. Aber all diese kleinen Unzulänglichkeiten, zusammen mit den Sommersprossen und Grübchen, die einst ihr strahlendes Lächeln begleitet hatten, weckten in ihm den Wunsch, Tabby wie eine Araberin zu verschleiern und auf Duvernay in einem Turm einzuschließen, damit er allein sich an ihrem Anblick erfreuen könnte. Der bloße Gedanke an den Besitzerstolz, den sie in ihm ausgelöst hatte, rief heftiges Unbehagen in ihm hervor.

„Ich möchte das Anwesen zurückkaufen, das dir meine Großtante in ihrem Testament vermacht hat“, teilte Christien ihr kühl mit.

Tabby wurde blass. Sie fühlte sich von ihm erneut zurückgewiesen und gedemütigt. Aus welchem anderen Grund hätte er sie auch sonst nach so langer Zeit aufsuchen sollen? Er ertrug es einfach nicht, dass ihr ein winziges Stück Land gehörte, das einst im Besitz der Laroches gewesen war. Nun, das ist eben Pech für ihn, dachte sie bitter.

„Ich bin nicht an einem Verkauf interessiert. Deine Großtante wollte offenbar, dass ich das Cottage bekomme und …“

Mais pourquois? Aber warum?“, fragte er. „Das ergibt für mich keinen Sinn.“

Tabby hatte keine Lust, ihm zu erklären, dass seine Tante wahrscheinlich Mitleid mit ihr gehabt hatte, weil er ihr das Herz gebrochen hatte. Oder dass ihrer Meinung nach die alte Dame nur deshalb so mitfühlend gewesen war, weil sie selbst einmal eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte. „Ich schätze, es war bloß eine Laune von ihr. Sie war ein guter Mensch“, fügte sie hinzu.

„In Frankreich ist es nicht üblich, auch nur einen kleinen Teil des Landbesitzes an Außenstehende zu vererben“, sagte Christien ernst. „Ich bin bereit, mehr als den Marktpreis zu bezahlen, um zu gewährleisten, dass das Haus in der Familie bleibt.“

Zorn, Empörung und Trotz drohten Tabby zu überwältigen, obwohl sie sich bemühte, äußerlich die Ruhe zu wahren. Vor drei Jahren hatte Christien sich beharrlich geweigert, ihr auch nur für ein paar Minuten Gehör zu schenken, und das würde sie ihm nie verzeihen. Und nun wollte dieser unglaublich reiche, überhebliche Franzose mit ihr über ein Häuschen verhandeln, das seine Großtante lediglich im Sommer für Picknicks genutzt hatte! Wie grausam und unsensibel konnte ein Mensch eigentlich sein?

Sie mochte zwar eine Außenseiterin sein, aber ihr Sohn hatte größeren Anspruch auf das Anwesen als sie. Jakes uneheliche Geburt hatte ihn vielleicht außerhalb des noblen Familienkreises gestellt, aber ungeachtet dessen hatte er Laroche-Blut in den Adern und ein Recht auf ein Zuhause auf französischem Boden. Außerdem hatte Solange Roussel Tabby das Grundstück nicht vererbt, damit sie es bei der ersten Gelegenheit an Christien verkaufen konnte. Die Vorstellung, sich unverzüglich wieder ihres Erbes zu entledigen, erschien ihr in höchstem Maß undankbar und respektlos.

„Ich verkaufe nicht.“ Tapfer begegnete sie seinem Blick – und verspürte sofort brennendes Verlangen.

„Schau dir zuerst den Scheck an.“ Sein Akzent war deutlicher als sonst.

Erst jetzt bemerkte sie den Scheck, den er auf den Tisch vor dem Fenster geworfen hatte.

„Nimm den Scheck, und ich lade dich zum Lunch ein.“ Christien sehnte sich nach ihr und bezweifelte, dass er es schaffen würde, das Haus zu verlassen, ohne der erotischen Spannung zu erliegen, die zwischen ihnen knisterte.

Wo hatte sie das schon einmal gehört? Auf wie viele Lunchs und Dinners hatte sie während der Zeit mit ihm verzichten müssen? Sie hatten einander nicht lange genug widerstehen können, um ein Restaurant zu erreichen. Einmal hatte ihr Ausflug auf einem Rastplatz geendet. Bei einer anderen Gelegenheit hatte er mitten auf der Straße gewendet und lachend über sein starkes Begehren für sie geschimpft. Während ihrer Affäre hatte Tabby erheblich abgenommen und jede Chance genutzt, den Kühlschrank in der Villa zu plündern, wenn Christien geschlafen hatte.

„Ich werde versuchen, dich zum Lunch einzuladen“, korrigierte er sich. Seine funkelnden Augen verrieten, dass auch er sich an die Episoden erinnerte.

Sein siegessicheres Lächeln beschwor jedoch den vertrauten Schmerz herauf. Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Nein, danke. Bitte nimm den Scheck, und geh.“

„Das meinst du nicht … Das willst du nicht wirklich.“ Die Lust machte ihn unvorsichtig.

Tabby wusste, dass sie sich nie verzeihen würde, wenn sie ihm jetzt nicht widerstand. Er hatte sie gelehrt, dass Begierde, die die Grenzen der Vernunft oder des Stolzes überschritt, zerstörerisch war. Dass er zudem so arrogant wie früher war, bestärkte sie in ihrem Entschluss. Er kehrte nach jahrelanger Trennung in ihr Leben zurück und erwartete, dass sie so bereitwillig in seine Arme sank, als wäre sie noch immer siebzehn. Aber das war sie nicht mehr.

„Liegt Solanges Haus nahe bei eurem Heim auf Duvernay?“, fragte sie unvermittelt.

„Nein, es ist Meilen entfernt.“

„Bist du oft dort?“

Christien seufzte ungeduldig. „Nein. Ich will, dass du verkaufst. Wenn du unbedingt ein Anwesen in Frankreich haben möchtest, beauftrage ich einen Makler, irgendwo etwas Passendes für dich zu suchen.“

„Du kannst mich nicht zum Verkauf zwingen. Wer bist du, dass du darüber entscheiden willst, was für mich passend ist oder nicht?“

„Ich wüsste nicht, was du mit einer Hütte in der bretonischen Einöde anfangen willst. Ich bezweifle, dass sie überhaupt bewohnbar ist. Es ist über ein halbes Jahrhundert her, dass das Anwesen mehr war als ein romantisch verklärtes Sommerhaus.“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Warum nimmst du nicht Vernunft an? Nur ein Laroche gehört nach Duvernay!“

Verärgert wandte sie sich ab. Er vermittelte ihr das Gefühl, weit unter ihm zu stehen.

„Außerdem siehst du aus, als könntest du Geld brauchen.“ Er deutete auf das alte T-Shirt und die verwaschenen Jeans.

„Wie kommst du darauf? Du weißt gar nichts über mich“, rief Tabby.

Ihre Widerspenstigkeit überraschte ihn, denn früher hatte sie sich ohne Zögern seinen Wünschen gefügt. „Au contraire, ich weiß vieles über dich, was ich lieber nicht wissen würde. Du bist eine zwanghafte Lügnerin …“

„Bin ich nicht. Ich habe lediglich ein bisschen geflunkert. Du hast mich nie gefragt, wie alt ich bin“, verteidigte sie sich.

Christien blickte sie verächtlich an. „Dass du nicht einmal die Verantwortung für deine Taten übernimmst …“

„Sei still!“, unterbrach sie ihn.

„Und verlierst noch immer die Nerven, sobald man dich mit deinen Fehlern konfrontiert.“

„Aber du hältst dich für perfekt, oder?“, konterte sie.

„Nein, ich war nicht perfekt, ma belle“, räumte er mit samtiger Stimme ein. „Aber selbst in meinen wildesten Phasen hatte ich niemals zwei Geliebte gleichzeitig. Dass du mit dem Harley-Davidson-Typ geschlafen hast, während ich in Paris war, war billig und schmutzig und keine harmlose Sache, die ich hätte ignorieren können.“

Sekundenlang herrschte feindseliges Schweigen. Tabby war fassungslos. „Sag das noch einmal … Ich habe nichts dergleichen getan. Niemals!“

„Voilà, du kannst das Lügen einfach nicht lassen“, spottete er. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er in die Halle.

Tabby folgte ihm und blieb an der Wohnzimmertür stehen. „Hast du wirklich geglaubt, ich wäre dir untreu gewesen? Wie konntest du nur so etwas denken?“

„Wenn ich dich so leicht haben konnte, warum hättest du es einem anderen schwerer machen sollen?“ Christien zuckte geringschätzig die Schultern. „Seien wir doch ehrlich – fünf Tage ohne Sex waren eine lange Zeit für dich, chérie.“

„Diese Beleidigungen werde ich dir nie verzeihen.“

„Ich will deine Vergebung gar nicht.“ Selbst das geringste Zeichen von Versöhnung könnte seine Pläne gefährden.

Tabby Burnside bedeutete nichts als Ärger. Sie besaß keine Moral. Weshalb er sich dennoch zu ihr hingezogen fühlte, wollte er lieber nicht ergründen. Sie würde den Scheck akzeptieren. Natürlich würde sie das. Sollten weitere Verhandlungen nötig sein, würde er diese seinem englischen Anwalt überlassen. Schließlich würde er bald Veronique heiraten, die eine gute Frau war. Schön, ehrlich, vertrauenswürdig. Sie würde eine ausgezeichnete Ehefrau abgeben. Irgendwann würde er Vater werden, ein Enkelkind würde vielleicht seine Mutter ein wenig aufheitern. War das nicht der Hauptgrund für seine Verlobung? Wilder, hemmungsloser Sex und überschwängliche Gefühlsausbrüche würden in seiner Beziehung mit Veronique nicht vorkommen. Und das ist gut so, sagte sich Christien.

Lange nachdem Christien gegangen war, starrte Tabby blicklos vor sich hin. Der Harley-Davidson-Typ? Er konnte nur den englischen Studenten meinen. Pete? Pete und seine beiden Freunde hatten ganz in der Nähe übernachtet. Pippa und Hillary hatten sich mit ihnen angefreundet, und Tabby war mit Pete aus gewesen, als Christien in Paris war. Aber das war auch schon alles gewesen. Warum hatte Christien ihr vorgeworfen, sie hätte mit Pete geschlafen? Wie hatte er das bloß von ihr denken können? Warum hatte er das geglaubt, obwohl sie so offensichtlich verrückt nach ihm gewesen war?

Die Erinnerung an jenen Sommer wurde wieder lebendig … Nachdem Tabby Christien zum ersten Mal im Dorf gesehen hatte, hing sie Tagträumen nach, in denen nur Christien und sie existierten. Ihre Stiefmutter wurde umgänglicher, als Tabby an den meisten Abenden erklärte, sie wolle lieber im Haus bleiben, statt etwas mit den anderen zu unternehmen. Tabby genoss die Stille und Abgeschiedenheit und nutzte die Freiheit, um nackt im Pool zu baden. Am Anfang der zweiten Woche schwamm sie gerade ihre Bahnen, als der Strom ausfiel.

In ein Badetuch gehüllt, tappte sie durch das dunkle Haus zu ihrem Zimmer. Draußen fuhr ein Wagen vor. In der Annahme, die Freunde wären früh zurückgekehrt, lief sie zur Tür, aber auf der Veranda stand Christien mit einer Laterne.

„Ich habe gesehen, wie die Lichter erloschen, und dachte mir, dass du allein hier bist. Iss mit mir zu Abend, chérie“, flüsterte er.

„Der Strom ist ausgefallen …“

„Wir haben einen Generator.“

Sie fröstelte. Das Wasser tropfte ihr aus den Haaren. „Ich bin ganz nass.“

„Möchtest du, dass ich dich abtrockne?“

„Ich müsste mich anziehen.“

„Mach dir meinetwegen keine Mühe.“ Seine dunklen Augen funkelten im Schein der Lampe, als er ihre geröteten Wangen betrachtete. „Ist dir nicht zu warm in dem Handtuch?“

„Du kennst nicht einmal meinen Namen. Ich heiße …“

„Das ist jetzt unwichtig.“

„Tabby“, wisperte sie. Seine unverhohlene Bewunderung raubte ihr den Atem.

„Du bist kleiner, als ich dachte.“ Er ließ den Blick prüfend über sie gleiten. „Du hast eine makellose Haut und kannst auf Make-up verzichten.“

Für Tabby war durch sein Erscheinen ihr innigster Traum wahr geworden, und sie fürchtete, Christien könnte verschwinden, während sie sich anzog. Er hatte ihr die Laterne gegeben und erklärt, er würde im Wagen auf sie warten.

„Ich weiß nicht einmal deinen Namen“, meinte sie, als sie zu ihm ins Auto stieg.

Naturellement … natürlich kennst du ihn“, erwiderte er mit unerschütterlichem Selbstvertrauen.

„Na gut, ich habe mich bei einem der Einheimischen nach dir erkundigt“, räumte sie ein.

„Spar dir die Spielchen. Ich bevorzuge Ehrlichkeit.“

„Ich kenne dich nicht … Ich hätte nicht einsteigen sollen.“ Auf einmal fühlte sie sich in seiner Nähe sehr unbehaglich.

„Ich habe das Gefühl, dich schon sehr gut zu kennen, ma belle. Seit vier Tagen beobachte ich jeden Abend, wie du dich ausziehst und nackt in den Pool springst.“

Tabby war schockiert, dass ihr nächtliches Schwimmen nicht so unbemerkt geblieben war, wie sie gedacht hatte. „Wie bitte?“

„Sei nicht so schüchtern. Ich respektiere Mut und Abenteuergeist bei einer Frau. Außerdem bewundere ich Frauen, die wissen, was sie wollen, und es sich nehmen“, beteuerte er rau. „Dein Trick war erfolgreich – ich bin hier.“

Sie war beschämt und zugleich geschmeichelt, dass er glaubte, sie habe seine Aufmerksamkeit erregen wollen. Die Versuchung, sich als selbstbewusste, zielstrebige Frau zu präsentieren, siegte über die Vernunft. Sie wollte nicht verärgert wissen, wie er sie in einem von einer Mauer umgebenen Pool hatte sehen können, und fragte auch nicht, wie er sich so weit hatte erniedrigen können, ihr nachzuspionieren. Sie widersprach nicht seiner maßlos arroganten Behauptung, sie habe alles darangesetzt, ihn einzufangen, und indem sie dieses falsche Bild von sich aufrechterhielt, beging sie ihren ersten Fehler bei Christien.

Es war nicht weiter verwunderlich, dass sie bereits bei ihrer ersten Verabredung in seinem Bett landete. Sie war so aufgeregt, weil sie mit ihm allein in dieser pompösen Villa zu Abend aß, dass sie kaum einen Bissen herunterbekam, aber drei Gläser Wein trank. Außerdem fehlte ihr die Erfahrung, einem Mann mit seinen Verführungskünsten zu widerstehen. Sie war schon nach dem ersten Kuss verloren, denn niemand konnte so küssen wie Christien.

„Ich bin verrückt nach dir.“ Mühelos hob er sie auf die Arme, und zwar in einer äußerst romantischen Geste und nicht so, als wäre sie das ungeschickte Trampel, als das ihre Stiefmutter sie regelmäßig beschimpfte. Allein für die Mühelosigkeit, mit der er sie trug, musste Tabby ihn lieben.

„Du bezauberst mich“, flüsterte er.

Hingerissen von seiner Leidenschaft, verschwieg sie ihm, dass sie noch unberührt war. Sie verlor ihre Unschuld, ohne dass er merkte, wie weh es tat. Und als er zu vermuten begann, dass es für sie nicht so schön gewesen war, wie er erwartet hatte, gab sie vor lauter Scham vor, völlig erschöpft zu sein.

Für Tabby war es nie bloßer Sex gewesen. Als sie in der ersten Nacht in Christiens Armen einschlief, hoffte sie inständig, er möge nicht noch einmal wiederholen wollen, was sie so oft getan hatten. Mitten in der Nacht schlüpfte sie aus dem Bett.

Er richtete sich auf und schaltete das Licht ein. „Wohin willst du?“

„Nach Hause.“ Sie war fast krank vor Sorge, Pippa könne verraten haben, dass sie nicht in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer war.

„Ich möchte dich nicht gehen lassen, aber …“ Christien stöhnte auf. „Wie konnte ich dich nur so lange hierbehalten? Wie tolerant ist deine Familie?“

Ihr Vater würde ihn über den Haufen schießen, ohne mit der Wimper zu zucken, doch es wäre total uncool gewesen, dies zuzugeben. Christien schien ein wenig verwirrt, als sie es ablehnte, sich von ihm fahren zu lassen. Zu ihrer Bestürzung bestand er darauf, sie zu Fuß bis zum Eingang des Bauernhauses zu begleiten.

„Sehe ich dich morgen beim Frühstück?“, fragte er.

„Vielleicht schaffe ich es zum Lunch.“

„Vielleicht zum Lunch? War ich so schlecht?“ Im Mondlicht wirkte sein Lächeln besonders betörend, sodass sie es kaum über sich brachte, sich von ihm zu trennen.

Als sie durchs Fenster in das Zimmer kletterte, das sie mit Pippa teilte, war ihre Freundin hellwach.

„Bist du verrückt geworden?“, wisperte Pippa wütend. „Meinst du, ich würde nicht merken, dass du die ganze Nacht mit dem Typen in dem schicken Sportwagen unterwegs bist?“

„Wie hast du das herausgefunden?“

„Ich habe von einem Fenster im ersten Stock beobachtet, wie du ihn geküsst hast. Ich habe vor Sorge um dich fast den Verstand verloren und wusste nicht, ob ich deinen Eltern sagen sollte, dass du verschwunden bist. Was ist bloß in dich gefahren? Bring mich nie wieder in eine so peinliche Situation!“

Ja, was war damals eigentlich in mich gefahren?, fragte Tabby sich mit hochrotem Kopf. Gott sei Dank war sie danach von derart leichtsinnigen Anwandlungen verschont geblieben. Verwirrt über Tabbys sonderbares Verhalten, wenn es um Christien ging, war Pippa in Jens Zimmer übergesiedelt. Tabby war traurig darüber gewesen, aber nicht traurig genug, um sich von Christien zu trennen. Ihr Verlangen nach ihm war überwältigend gewesen, ihre Liebe grenzenlos, und nichts anderes hatte mehr für sie gezählt. Sie hatte nur für ihn gelebt und den halben Tag verschlafen, weil ihr eigentliches Leben erst nach Einbruch der Dunkelheit begann.

Tränen brannten ihr in den Augen, als sie auf den Scheck blickte, den Christien zurückgelassen hatte. Mit zitternden Händen zerriss sie ihn in winzige Stücke. Sie hatte nicht einmal nachgeschaut, welchen Betrag er eingesetzt hatte. Er wollte sie nicht in Frankreich haben, aber sie hatte bereits alle Vorbereitungen getroffen. Bildete er sich etwa ein, er könne sie kaufen und nach seiner Pfeife tanzen lassen? Woher nahm er die Frechheit, sie „billig“ zu nennen? Er hatte sie betrogen – allerdings hatte er ihr auch nie ewige Treue geschworen, oder? Genauso wenig wie er seine atemberaubend schöne blonde Pariser Freundin erwähnt hatte.

Ja, sie würde zu Solanges Cottage fahren und es so lange nutzen, wie sie wollte. Für sie war es ein Beweis ihres Respekts für eine reizende Frau, die sie leider nicht näher kennengelernt hatte. Am Ende des Sommers würde sie entscheiden, ob Duvernay oder in der Umgebung ein geeigneter Ort sei, um ein neues Leben mit ihrem Sohn zu beginnen. Aber Christien Laroche, der ihr bereits so viel Kummer verursacht hatte, sollte sich besser künftig von ihr fernhalten!

3. KAPITEL

Sean Wendell war ein schlanker blonder Mann um die dreißig, mit strahlenden blauen Augen und einem charmanten Lächeln. Als er Tabby zum Parkplatz begleitete, sah er auf die Uhr und stöhnte leise. „Ich muss mich beeilen und dich jetzt allein lassen. Ich habe einen Termin mit einem Kunden.“

„Kein Problem. Du warst mir eine große Hilfe. Vielen Dank für den Kaffee.“ Der ehemalige Kollege ihrer Tante hatte sich als schier unerschöpfliche Quelle erwiesen, was Ortskenntnis betraf. Tabby hatte sich rasch mit ihm angefreundet.

Ungeachtet seines Zeitdrucks folgte ihr Sean zu dem alten Lieferwagen, der mit ihren Habseligkeiten beladen war. „Versuch nicht, den Wagen allein auszuladen“, ermahnte er sie, als sie auf den Fahrersitz kletterte. „Ich komme heute Abend vorbei und helfe dir.“

„Das ist wirklich sehr nett von dir, aber ich habe ihn beladen und kann ihn genauso gut wieder ausräumen.“ Sie winkte ihm noch einmal zu, während sie vom Parkplatz rollte. Hoffentlich hatte er begriffen, dass sie sich zwar über einen neuen Freund freute, aber keine engere Beziehung wünschte.

Es war ein warmer Juninachmittag. Tabby hatte die Strecke vom Fährhafen in erstaunlich kurzer Zeit bewältigt, und dank Seans Sprachkünsten waren die Formalitäten beim notaire rasch erledigt. Nun war sie nur noch knapp zwanzig Kilometer von ihrem Ziel entfernt. Während sie durch Quimper fuhr, erhaschte sie einen Blick auf ein Schaufenster mit bunten Fayencen. Ihre verstorbene Mutter hatte die handbemalten Töpfereien gesammelt und alljährlich ein neues Stück erworben. Kurz vor ihrem Umzug in das neue und viel größere Haus hatte Tabbys Stiefmutter Lisa die gesamte Sammlung weggeworfen – zusammen mit allem, was sonst noch an die erste Frau ihres Mannes erinnerte. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Tabby zutiefst bedauert, keine Erinnerungsstücke an ihre Eltern zu haben.

Aber an diesem Tag, während sie durch die Bretagne reiste, um ihr Erbe anzutreten, dachte sie wehmütig daran, dass ihre Mutter sich stets ein Haus in Frankreich gewünscht hatte. Und als Tabby endlich das holzverkleidete Cottage gefunden hatte, das durch einen stattlichen Eichenhain von der stillen Landstraße abgeschirmt wurde, war sie begeistert.

Die Vordertür ihres neuen Heims führte direkt in ein großes Zimmer mit einem malerischen Granitkamin und unverputzten Deckenbalken. Tabby lächelte. Ihre Zuversicht legte sich allerdings ein wenig angesichts der angrenzenden Küche mit dem Steinbecken und einem altertümlichen Herd, der so aussah, als wäre er seit Menschengedenken nicht mehr benutzt worden. Die Waschmöglichkeiten waren ähnlich rustikal. Der letzte Raum im Erdgeschoss barg jedoch eine angenehme Überraschung. Es handelte sich um einen altmodischen Wintergarten, der dank seines guten Lichts ein ideales Atelier abgeben würde. Über eine schmale, gewundene Eichentreppe gelangte sie in zwei Räume unter dem Dach. Sie öffnete die Fenster, um frische Luft einzulassen, bevor sie wieder nach unten ging und ins Freie hinaustrat.

Hinter dem Haus plätscherte ein klarer Bach durch den Obstgarten. Ein wundervoller Abenteuerspielplatz für Jake, dachte Tabby entzückt. Nachdem sie sich an der prachtvollen Landschaft erfreut hatte, wandte sie sich wieder ihrem Erbe zu und machte eine Bestandsaufnahme. Christien hatte es als „ein romantisch verklärtes Sommerhaus“ bezeichnet, was leider in erschreckender Weise zutraf, denn es gab keine Zentralheizung, keine richtige Küche oder gar ein Bad. Insgeheim hatte sie gehofft, es würde über irgendwelche Möbel verfügen, mit denen sie ihre wenigen eigenen Stücke ergänzen könnte, aber außer ein paar Korbstühlen im Wintergarten war das Cottage leer. Andererseits schienen das Dach und die Wände solide zu sein, die Betriebskosten würden sich also in Grenzen halten, und sobald sie über ein geregeltes Einkommen verfügte, würde sie sich auch ein paar Extras leisten können.

Voller Optimismus setzte sie sich unter einen Baum und aß das Schinkenbaguette, das sie in Quimper gekauft hatte. Dann zog sie Shorts und ein T-Shirt an, um den Raum zu säubern, in dem sie die Nacht verbringen wollte.

Eine Stunde später hatte sie alles geputzt und lud ihr Bett aus dem Wagen. Da Kopf- und Fußteil aus massivem Holz waren, war es keine leichte Aufgabe, sie ins Schlafzimmer hinaufzuschaffen, aber irgendwie gelang es ihr. Sie war gerade dabei, mit letzter Kraft die Matratze nach oben zu zerren, als es an die offene Vordertür klopfte.

Tabby hatte die sperrige Matratze über die Kehre des Treppengeländers gehievt und sich darauf gelegt, um sie am Herabrutschen zu hindern und wieder Atem zu schöpfen. Fest entschlossen, die Matratze nicht loszulassen, versuchte sie, nach unten zu spähen und den Besucher zu erkennen, doch es war ein vergebliches Unterfangen.

„Ja?“ Sie hoffte inständig, es möge Sean Wendell sein, der ihr, wie versprochen, helfen wollte.

„Ich bin es …“, antwortete eine dunkle Männerstimme kühl, „Christien …“

Tabby war so überrascht, dass ihr ein ziemlich undamenhaftes Wort entschlüpfte, das sie noch nie zuvor laut in der Öffentlichkeit gesagt hatte. Christien hätte keinen schlechteren Zeitpunkt für einen Besuch wählen können.

Er betrat das Cottage und blickte nach oben. Ob Tabby einen Mann bei sich hatte? „Hast du vor, demnächst herunterzukommen und mit mir zu reden?“

Sie sprang auf und bemühte sich, die Matratze festzuhalten, während sie sich vorbeugte, um Christien zu sehen. Diese Bewegung genügte dem dicken Teil jedoch, um hochzufedern und sich aus ihrem Griff zu befreien. Es prallte gegen Tabbys Rücken und riss sie von den Füßen. Als die Matratze mit beachtlichem Tempo die Stufen hinunterschoss, trug sie Tabby mit. Verzweifelt schrie Tabby auf, aber es war zu spät – die Matratze traf Christiens Knie und brachte ihn aus dem Gleichgewicht, sodass er vornüberfiel.

Er konnte den Sturz nur dadurch abmildern, dass er sich mit beiden Händen rechts und links von ihrem Kopf abstützte. Tabby rang um Atem.

„Was soll das?“, rief er wütend.

Mit großen Augen schaute sie zu ihm auf. Sie war unter seinem kraftvollen Körper gefangen. Die Kehle wurde ihr eng, als sich ihr ebenso unwillkommene wie überwältigende Erinnerungen aufdrängten.

Christiens unverwechselbarer Duft stieg ihr in die Nase. Der Geruch seiner warmen Haut mit der ihr so vertrauten Zitrusnote weckte sofort ihre Sinne. Tabby betrachtete seine markanten Züge, die schwarzen Augenbrauen, die gerade Nase und das energische Kinn und spürte, wie die Sehnsucht in ihr erwachte. Als sie seinem Blick begegnete, richteten sich die Knospen ihrer Brüste unter dem T-Shirt auf, und ihr Verlangen wuchs. Sie wollte nicht so empfinden, konnte kaum fassen, dass sie noch immer so empfänglich für seine männliche Ausstrahlung war, doch seine Nähe schien eine Kettenreaktion in ihr ausgelöst zu haben, die sich nicht mehr stoppen ließ.

Tabby bebte. Sie hob die Hüften leicht an und spreizte ihre Schenkel, um sein Gewicht besser tragen zu können – eine Bewegung, die so alt war wie die Menschheit. Obwohl die Lust immer stärker wurde, versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Was zum Teufel spielst du mir vor?“, fragte Christien wütend. Es fiel ihm schwer, seine eigene brennende Erregung zu ignorieren, deshalb richtete er sich auf und erhob sich.

Seine Worte waren ihr Untergang. Die bloße Vorstellung, sie könne die Matratze so manipuliert haben, dass sie die Treppe hinunterrauschte und ihn von den Füßen warf, genügte, um Tabby zum Lachen zu bringen. Eingedenk Christiens selbstherrlichen Auftritts, bevor ihn die Matratze traf, konnte sie sich auch nicht mehr beruhigen.

„Findest du das komisch?“, beschwerte er sich ungläubig.

„Du etwa nicht?“, erwiderte sie atemlos.

In der nächsten Sekunde presste er seinen Mund hart und fordernd auf ihren und erstickte den fast schon hysterischen Heiterkeitsausbruch im Keim. Der Kuss war die pure Verführung. Zum ersten Mal seit fast vier Jahren war sie vor Erwartung wie gelähmt. Ihre Gedanken überschlugen sich, und ihr Atem ging schneller. Als Christien mit der Zunge zwischen ihre Lippen drang, strömte das Blut heißer durch ihre Adern, und sie verlor endgültig den Kontakt zur Realität. Sie schmiegte sich an ihn und war nicht länger passiv. Seufzend hob sie die Hände, um seine breiten Schultern zu umklammern und dann die Finger höher gleiten zu lassen und durch sein weiches Haar zu schieben.

„Christien?“

„Non …“ Unvermittelt löste er sich von ihr und blickte schwer atmend auf sie hinab. Anspannung spiegelte sich auf seinen Zügen.

Obwohl es ihn äußerste Überwindung kostete, sprang er auf und trat einen Schritt zurück. Dass sie einen solchen Zauber auf ihn ausübte, ärgerte und schockierte ihn gleichermaßen, aber mehr noch verblüffte ihn die Entdeckung, was seine berühmte Selbstbeherrschung vor wenigen Augenblicken in den Grundfesten erschüttert hatte: Tabbys perlendes Lachen hatte ihn in jenen Sommer zurückversetzt.

Er hatte nie die ansteckende Lebensfreude vergessen, die Teil ihres Charakters war, ihre kindliche Angewohnheit, im unpassendsten Moment oder am falschen Ort einfach loszukichern, und ihr geheimnisvolles Talent, ihn von schlechter Laune zu befreien. Er war zwar ein Einzelgänger und Zyniker, aber trotzdem hatte er ihre Wärme genossen, die außergewöhnliche, vertrauensvolle Leichtigkeit, mit der sie zu lieben schien. Er presste die Lippen zusammen. Tabbys Liebe war nichts wert, aber der Sex mit ihr war geradezu überirdisch gewesen.

„Warum hast du mich geküsst?“, fragte sie leise.

„Was glaubst du wohl, chérie?“

Sein sinnliches Timbre jagte ihr einen prickelnden Schauer über den Rücken. „Du hättest es nicht tun sollen. Es ist Vergangenheit.“

Zitternd kletterte sie von der Matratze und wandte sich von ihm ab. Ihre Lippen brannten noch von seinem Kuss, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als erneut in seine starken Arme zu sinken und ihn zu spüren, bis die schreckliche Leere, die er in ihr zurückgelassen hatte, endlich verblasste wie eine böse Erinnerung.

Und das war nicht das, was sie über einen Mann denken sollte, der sie einst benutzt und dann fallen gelassen hatte, als wäre sie für ihn nur eine flüchtige Affäre gewesen. Dass ihr Verlangen nach ihm immer noch ungebrochen und sie ihm hilflos ausgeliefert war, ängstigte sie. Wo waren ihr Stolz und ihre Intelligenz geblieben?

„Woher wusstest du, dass ich heute einziehe?“ Tabby bückte sich nach der Matratze und stellte sie auf die Seite.

Jemand, der über ihren Termin beim Notar informiert gewesen war, hatte den Fehler begangen, Matilde Laroche anzurufen, und prompt war Christiens Arbeitstag von seiner aufgeregten Mutter beendet worden. Er hatte sie zwar der Obhut ihres Arztes überlassen, aber seine eigene Geduld war auf eine harte Probe gestellt worden. Sein verstorbener Vater hatte in seinem Leben nur ein Mal eine von Solanges Picknickgesellschaften besucht, und deshalb begriff Christien nicht, warum seine Mutter die verwilderte Wiese vor dem Cottage als geheiligten Boden betrachtete.

„Ich kann verstehen, dass du dein Erbe besichtigen willst“, meinte er betont lässig. „Du bist natürlich neugierig, aber ich glaube nicht, dass du hier wohnen willst.“

„Warum nicht?“

Pas possible … Das Haus ist unbewohnbar.“

Tabby beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Der modische Nadelstreifenanzug betonte seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und langen Beine. Er sah einfach umwerfend aus … Erst als er spöttisch eine Braue hochzog, merkte sie, dass er sie ertappt hatte.

Errötend hob sie eine Ecke der schweren Matratze auf die unterste Stufe und blickte ihn erwartungsvoll an. „Hilfst du mir dabei?“ Angesichts seiner verwirrten Miene fügte sie tröstend hinzu: „Es ist bestimmt schwer, fit zu bleiben, wenn man den ganzen Tag im Büro sitzt.“

Plötzlich erhellte ein Lächeln Christiens strenge Züge. „Denkst du wirklich, ich würde an einer solchen Kleinigkeit scheitern?“ Er packte die Matratze, trug sie mühelos die Treppe hinauf und um die Kurve, die Tabby so viel Probleme bereitet hatte. Im Schlafzimmer deponierte er seine Last auf dem inzwischen zusammengebauten Rahmen. „Wo hast du das Bett gefunden? Auf der Müllhalde?“

„Es ist alt, aber solide.“ Dass es tatsächlich nur knapp dem Sperrmüll entronnen war, wollte sie nicht zugeben. Sämtliche alten Möbel und Haushaltsgegenstände im Lieferwagen stammten vom Dachboden und aus der Garage ihrer Tante, die beides leer räumen musste, um das Haus vermieten zu können.

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du hier willst“, erinnerte Tabby Christien und nahm ein zusammengefaltetes Laken aus der Umzugskiste in der Ecke.

Er bemerkte, dass das Laken sorgfältig mit einem etwas anders farbigen Stoff ausgebessert worden war. Wurde Leinen heutzutage noch gestopft? Christien sah die Szene förmlich vor sich: Tabby saß wie Aschenputtel bei Kerzenschein über die Flickarbeit gebeugt.

Verärgert über die seltsamen Wege, die seine Fantasie einschlug, hob er die Hände. „Warum verschwendest du deine Energie darauf? Du kannst hier nicht leben …“

„Du könntest es nicht.“ Sie steckte das Laken fest. Solange sie sich mit etwas Sinnvollem beschäftigte, lief sie wenigstens nicht Gefahr, ihn wie ein vernarrtes Schulmädchen anzustarren. „Du wärst hier ohne deinen gewohnten Komfort verloren, aber ich bin durchaus imstande, mich mit dem Notwendigsten zu begnügen.“

„Dies ist ein Doppelbett – mit wem willst du es teilen?“, unterbrach Christien sie unvermittelt.

Tabby malte sich aus, wie Jakes kleiner, warmer Körper morgens unter die Laken schlüpfte, um mit ihr zu kuscheln. Ihre grünen Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an, und ein zärtliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Auf einmal wurde er von blanker Wut erfasst. Seine Augen funkelten. „Wenn du dich entschließt, auf Duvernay zu wohnen, wird es nur einen Mann in deinem Bett geben, und zwar mich … compris?“

Empört straffte sie die Schultern. „Hast du den Verstand verloren?“

„War das dein Plan? Bist du deshalb hier?“ Seine Stimme klang trügerisch sanft. „Willst du da weitermachen, wo wir in jenem Sommer aufgehört haben?“

Außer sich vor Zorn, holte sie aus und ohrfeigte ihn. Das Klatschen ihrer Finger auf seiner Wange schien in dem stillen Raum von den Wänden widerzuhallen. „Beantwortet das deine Frage?“

Christien war so verblüfft, dass er sie sprachlos anblickte.

Tabby errötete. „Du bist selbst schuld daran.“

Er packte ihre Handgelenke. „Dann muss ich dafür sorgen, dass du es nicht wieder tust.“

Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. „Den Schlag hast du dir selbst zuzuschreiben“, rief sie. „Du hast dich unmöglich benommen. Dies ist mein Haus, und es ist mein gutes Recht, mich hier aufzuhalten, wann immer ich will. Wenn du mein Heim betrittst, verlange ich, dass du meine Wünsche respektierst, sonst …“

„Sonst wirst du mich verprügeln?“, warf er spöttisch ein.

„Kann ich denn nicht nach Frankreich ziehen, ohne dass du dir einbildest, ich wäre nur hier, um dir nachzustellen?“

Christien lächelte versonnen. „Vielleicht will ich ja eingefangen werden, chérie.“

„Ich will mich nicht wieder mit dir einlassen.“

„Non?“ Er zog sie näher an sich.

„Non …“, beharrte Tabby, obwohl ihr Herz wie wild klopfte.

„Ich kann sehr brav sein“, raunte er.

„Nicht in meiner Gegenwart.“

„Du entflammst mich, mon ange …“ Er gab eine ihrer Hände frei und hob die andere an die Lippen, um die rosige Innenfläche zu küssen.

Die zärtliche Geste ließ sie erbeben und drehte die Zeit für sie zurück. Sie presste die Schenkel zusammen, um das Pochen zu unterdrücken, das sich vom verborgenen Zentrum ihrer Weiblichkeit unaufhaltsam ausbreitete. Es beschämte sie, dass sie ihre Erregung nicht im Griff hatte. Sie war überaus leidenschaftlich veranlagt, und Christien war es ebenfalls. Einst hatte ihr diese Erkenntnis unbeschreibliche Wonnen und nie geahnte Erfahrungen beschert. Sie hatte geglaubt, sie beide wären das ideale Paar, aber jetzt, während das Blut schwer und süß durch ihre Adern strömte, wuchs ihre Angst vor der eigenen Schwäche.

„Tu das nicht“, wisperte sie.

„Was soll ich nicht tun?“, fragte er rau. „Das hier …?“ Er bog ihren Kopf zurück, sodass er mit der Zungenspitze die Konturen ihrer Unterlippe nachzeichnen konnte. Sein warmer Atem fächelte ihre Haut. „Oder das …?“ Er drang mit der Zunge zwischen die erwartungsvoll geöffneten Lippen.

Tabby seufzte enttäuscht auf, als er gleich darauf den Kopf wieder hob.

„Sag mir, was du willst, chérie.“

Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, glitten ihre Finger durch sein seidiges Haar. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um erneut seinen Mund auf ihrem zu spüren. Stöhnend hob er sie auf die Arme und küsste sie fordernd, bevor er sie aufs Bett legte. In dem Moment, als er sie auf die Matratze drückte, gab der Rahmen nach und brach krachend zusammen.

Mit einem leisen Fluch riss er sie wieder hoch und barg sie schützend an seiner Brust. Verblüfft betrachtete er das Chaos.

„Ich hatte vergessen, dass ich noch die Schrauben anziehen muss, die das Bett zusammenhalten“, flüsterte sie.

„Du hättest verletzt werden können.“ Christien stellte sie wieder auf die Füße.

„Ich bin froh, dass es passiert ist. Es hat uns vor einer Dummheit bewahrt.“

Schritte erklangen auf der Treppe. „Tabby?“, rief eine ihr vertraute Männerstimme. „Ist alles in Ordnung? Die Haustür war offen, und als ich den Lärm hörte, bin ich hereingekommen.“

Tabby lächelte erleichtert und eilte an Christien vorbei zum Treppenabsatz. „Sean … du bist herzlich willkommen. Ich werde dich schamlos ausnutzen. Kannst du mit einem Schraubenzieher umgehen?“

Christien betrachtete den blonden Mann mit dem selbstsicheren Lächeln und verspürte plötzlich das heftige Verlangen, ihn die Treppe wieder hinunterzuwerfen.

„Ich habe meinen Werkzeugkasten mitgebracht“, erklärte Sean und ging an Christien vorbei.

Wer ist dieser Kerl?

„Sean … das ist Christien.“

Beide Männer verzichteten auf einen Händedruck und nickten einander stattdessen kühl zu. Sean wirkte neben Christien klein, hager und ungepflegt.

„Ich kümmere mich ums Bett – kein Problem“, versicherte der Engländer und begann leise zu pfeifen.

„Kann ich unten mit dir reden?“, raunte Christien Tabby zu.

Nervös ging sie voraus.

„Wird der pfeifende Handwerker auch hier wohnen?“, fragte er unumwunden.

Sie straffte die Schultern. „Ich finde nicht, dass es dich etwas angeht …“

„Dann kann ich ja nach oben gehen und ihm den Hals umdrehen, oder?“

Tabby wurde blass.

„Ich will ehrlich sein. Ich will keinen anderen Mann in deiner Nähe. Wer ist er?“

Sie schluckte trocken. „Du hast kein Recht …“

Christien machte kehrt. „Ich frage ihn selbst.“

„Nein“, rief sie entsetzt. „Er ist ein Freund meiner Tante und lebt in der Gegend. Gütiger Himmel, ich habe ihn erst heute kennengelernt!“

Ihr Geständnis, dass der Mann bloß ein Bekannter war, kühlte Christiens glühenden Zorn ein wenig ab, gegen den er bislang machtlos gewesen war.

Tabby lief hinaus zu dem silbergrauen Ferrari, der vor dem Cottage parkte. „Ich will, dass du verschwindest, und ich will nicht, dass du zurückkommst.“

„Lüg mich nicht an.“

Sie ballte die Hände zu Fäusten, während sie gegen ihre eigene Schwäche ankämpfte. „Ich werde das Anwesen nicht verkaufen, sondern bleiben. Mehr musst du nicht wissen.“

„Damit wir beide in den heißen Nächten wach liegen?“ Er drängte sie gegen den Kotflügel. „Heraus mit der Sprache“, befahl er.

„Nein …“ Sie blickte ihn wie hypnotisiert an.

„Sag es, als würdest du es auch meinen.“ Christien beugte sich über sie.

Die Vordertür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Tabby und Christien zuckten erschrocken zusammen.

Sean Wendell lächelte Tabby entschuldigend an. „Tut mir leid, es war der Wind.“

„Ein cleverer Bursche“, meinte Christien gereizt.

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, ließ sie ihn stehen. Sie musste ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um nicht zu ihm zurückzublicken.

Als der Ferrari davonfuhr, verzog Sean die Lippen. „Es ist ein Erlebnis, euch beide zu beobachten …“

„Wovon redest du?“, fragte sie stirnrunzelnd.

„Ich habe noch nie eine so starke Anziehungskraft zwischen zwei Menschen erlebt.“ Er seufzte. „Ich habe gerade eine langjährige Partnerschaft hinter mir, und jetzt weiß ich, was gefehlt hat – das Feuer der Leidenschaft, knisternde Erotik.“

War ihre Reaktion auf Christien tatsächlich so offensichtlich, dass selbst ein Fremder sie durchschaute? „Das verstehst du falsch“, beteuerte sie errötend.

„Ich glaube nicht, aber ich sollte mich besser um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.“ Lächelnd fragte er sie, welche Teile er als Nächstes aus dem Wagen holen solle, und sie zeigte ihm die Sachen, die sie für Jakes Zimmer gekauft hatte.

Ein paar Stunden später war der Lieferwagen leer und Tabby wieder allein. Sie zog sich aus und versuchte, sich selbst sowie ihr Haar am Spülbecken unter Zuhilfenahme eines Kochtopfs zu waschen. Als sie in ihr altmodisches Bett stieg, kreisten ihre Gedanken noch immer um Christien. Die Bilder der Vergangenheit waren in Momenten der Schwäche am deutlichsten. Sosehr sie sich auch konzentrierte, sie konnte einfach nicht sagen, wann ihr Traum vom ewigen Glück zu bröckeln begonnen hatte …

Am Ende der dritten Urlaubswoche und nach einwöchiger Bekanntschaft mit Christien war seine Freundin Veronique zu Besuch gekommen. Christien hatte telefoniert, und Tabby hatte vor sich hin gedöst, den Kopf auf seinen Schoß gebettet. Plötzlich war die hübsche Brünette in dem schicken Leinenkleid an der Tür aufgetaucht, hatte strahlend gelächelt und fröhlich gewinkt. Veronique hatte einen sehr netten Eindruck gemacht. Mit ihren siebzehn Jahren hatte Tabby ihr natürlich jedes Wort geglaubt und der anderen Frau bedingungslos vertraut.

„Ich hatte gedacht, ich würde Eloise vorfinden … Eigentlich dürfte ich das gar nicht sagen“, fügte Veronique verschwörerisch hinzu, als Christien außer Hörweite war, „aber ich habe mir gewünscht, dass Christien jemanden kennenlernt, und ihr beide seht so glücklich miteinander aus! Bitte verrate ihm nicht, dass ich sie erwähnt habe.“

Christiens Jugendfreundin brauchte nur eine halbe Stunde, um in Tabby Misstrauen und Unsicherheit zu wecken. Tabby erfuhr alles über das hinreißende Pariser Model, mit dem Christien sich angeblich noch immer traf, und die schlaue Brünette versorgte sie so großzügig mit Ratschlägen, als wäre sie ihre beste Freundin.

„Ich will mich ja nicht einmischen, aber ich muss dich warnen – Christien hasst es, dauernd mit Beschlag belegt zu werden …“

„Erzähl von anderen Freunden … er schätzt Konkurrenz.“

„Was Frauen betrifft, ist sein Interesse nie von Dauer …“

Mit ein paar geschickten Fragen gelang es Veronique natürlich, Tabbys Behauptung zu durchschauen, sie sei eine einundzwanzigjährige Kunststudentin.

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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