Julia Sommer Spezial Band 8

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ZÄRTLICH BEGINNT DIE NACHT
In einem noblen Nachtclub entdeckt Prinz Nicolo Barbieri die Frau seiner Träume. Er verführt die bezaubernde Unbekannte zu einer leidenschaftlichen Sommernacht in seiner Hotelsuite. Aber am nächsten Morgen erlebt der italienische Prinz eine Überraschung: Die aufregende Fremde hat ihn ohne ein Wort des Abschieds verlassen …

AUF DER INSEL DER SEHNSUCHT
Prinz Damian Aristedes hat alles, was das Herz begehrt, nur eine Frau, mit der er sein Leben teilen kann, hat der smarte Grieche noch nicht gefunden. Bis er Ivy begegnet. Statt sie geduldig zu umwerben, befiehlt er der blonden Schönen, ihn auf seine Privatinsel im Mittelmeer zu begleiten. Doch er hat nicht mit ihrem Widerstand gerechnet ...

HEISS WIE EINE SOMMERNACHT
Eine Frau wie Alyssa hat Großgrundbesitzer Lucas Reyes nie zuvor kennengelernt. Der feurige Adlige aus Spanien und die ungestüme Amerikanerin sind sich nur in einem einig: Eine arrangierte Heirat, wie ihre Großväter es beschlossen haben, kommt für sie nicht infrage! Doch nach einer sinnlichen Nacht muss Lucas erkennen, dass er mehr will als nur eine Geliebte. Viel mehr …


  • Erscheinungstag 17.06.2022
  • Bandnummer 8
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512268
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton

JULIA SOMMER SPEZIAL BAND 8

1. KAPITEL

Ganz in schwarzes Wildleder gehüllt, den Kopf gegen Wind und Regen tief nach vorne geneigt, eilte sie über den Bürgersteig. Die Stiefel mit den hohen Pfennigabsätzen klackerten bei jedem ihrer energischen Schritte. Und so prallte sie mit ganzer Wucht auf Nicolo, der gerade aus einem Taxi gestiegen war.

Der livrierte Türsteher des Hotels wollte ihr zu Hilfe eilen, doch Nicolo war schneller. Er ließ seinen Aktenkoffer fallen und packte die Frau bei den Schultern.

„Langsam“, meinte er freundlich.

Die Kapuze des langen Mantels rutschte ihr vom Kopf, als sie zu ihm aufsah. Nicolo, grundsätzlich empfänglich für Schönheit, lächelte.

Ja, sie war schön, mit feinen Gesichtszügen, Lippen, die weich und einladend wirkten, und Augen, deren Farbe an Veilchen erinnerten. Ihr Gesicht war umrahmt von einer Mähne goldblonder Locken.

Wenn man schon von jemandem umgerannt werden musste, dann würde ein intelligenter Mann so eine Frau wählen.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“

Sie schüttelte seine Hände ab. „Ja.“

„Meine Schuld“, behauptete er aus reiner Höflichkeit. „Ich hätte besser aufpassen sollen.“

„Allerdings, das hätten Sie.“

Nicolo blinzelte. Die Fremde betrachtete ihn mit einem entrüsteten Blick. Sein Lächeln erstarb. Er war Römer, hatte aber einen Großteil seines Lebens in Manhattan verbracht. Daher wusste er, dass Höflichkeit nicht unbedingt zu den hervorstechendsten Eigenschaften der Einwohner dieser Stadt gehörte. Immerhin war sie es, die ihn angerempelt hatte.

„Verzeihung, signorina, aber …“

„Aber natürlich“, fiel sie ihm kühl ins Wort, „bilden Leute wie Sie sich ein, ihnen gehöre die Straße.“

„Hören Sie, ich weiß wirklich nicht, was für ein Problem Sie haben, aber …“

„Sie“, unterbrach sie ihn wieder. „Sie sind mein Problem.“

Eine Mona Lisa mit dem Temperament einer Wildkatze! Die verinnerlichte Galanterie der Alten Welt kämpfte mit der wesentlich rüderen Attitüde der Moderne.

Die Moderne gewann.

„Ich habe mich bei Ihnen entschuldigt, obwohl von meiner Seite her keine Notwendigkeit dazu bestand“, erwiderte er harsch. „Und Sie haben einen Ton an sich, als würden Sie mit einem Stadtstreicher reden. Ein paar Manieren könnten Ihnen nicht schaden.“

„Nur weil ich eine Frau bin …“

„Sind Sie das?“ Sein Lächeln war so kalt, wie seine Worte klangen. „Das würde ich gern überprüfen.“ Und damit verließ ihn jegliche Selbstbeherrschung, er schaltete seinen Verstand aus, zog die Blondine an sich und küsste sie.

Der Kuss dauerte keine Sekunde, war nur ein flüchtiges Berühren der Lippen. Als Nicolo die Frau losließ, konnte er maßlose Verwirrung in ihren veilchenblauen Augen erkennen.

Und er schmeckte den wunderbar vollen Geschmack ihrer Lippen auf seinem Mund.

Herr im Himmel, war er völlig verrückt geworden? Es sah ganz danach aus. Nur ein Verrückter würde eine extrem schlecht gelaunte Unbekannte mitten auf der Fifth Avenue küssen.

„Sie …!“ Vor Empörung brachte sie kein Wort mehr heraus.

Doch das war es wert gewesen. Er brauchte sie sich nur anzusehen. Sie stockte, und eine maßlose Verwirrung lag auf ihrem Gesicht. Die Hochnäsigkeit war ihr vergangen.

Die Blondine riss sich aus seinem Griff los. Ihre Hand hob sich. Er las in diesen erstaunlichen Augen, die Blitze auf ihn abfeuerten, dass sie ihm eine Ohrfeige verpassen wollte. Vielleicht hatte er es sogar verdient, aber … der Teufel sollte ihn holen, wenn er es ihr erlauben würde.

Er beugte den Kopf zu ihr vor. „Schlagen Sie mich“, sagte er geradezu freundlich, „und ich verspreche Ihnen, ich werde die Welt um Sie herum einstürzen lassen.“

Sie gab einen Satz von sich, den keine Frau, die er kannte, sich je gewagt hätte über die Lippen zu bringen. Allerdings hätte auch keine Frau, die er kannte, es gewagt, ihm etwas vorzuwerfen, das nicht seine Schuld war. Oder ihm überhaupt etwas vorzuwerfen.

Die Wildkatze funkelte ihn stumm an, er hielt ihrem Blick gelassen stand. Dann rauschte sie an ihm vorbei; in ihrer honigblonden Mähne glitzerten Regentropfen, und ihr schwarzer Wildledermantel flatterte hinter ihr wie ein Segel.

Nicolo sah ihr nach, bis sie in der Menge der Regenschirm tragenden Passanten verschwunden war. Dann atmete er tief durch und drehte sich um. Sein Blick traf auf den des Türstehers. Nichts, nicht das geringste Anzeichen auf der Miene des Mannes, dass irgendetwas Ungewöhnliches passiert wäre. Man war schließlich in New York. In New York lernte man sehr früh, dass es klüger war, nie etwas zu sehen.

Sein Glück. Dieser Kuss reichte völlig, um die Frau herauszufordern, die Polizei einzuschalten …

Nicolo schüttelte sich leicht. Wie dumm konnte ein Mann sein? Diese kleine Episode könnte sein Gesicht auf die Titelseiten bringen. Nicht unbedingt die Publicity, die er vor dem Meeting mit dem neunzigjährigen Eigner einer alteingesessenen Investmentbank gebrauchen konnte.

Der kühle Märzregen fiel immer stärker. Der Portier hielt bereits Nicolos Aktenkoffer in der Hand. Nicolo nahm ihn entgegen und betrat das Hotel.

Die Suite lag im dreiundvierzigsten Stock. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick auf den Park und die New Yorker Skyline. Sollte Nicolo sich eine Wohnung in der Stadt suchen, dann nur eine mit einem solchen Ausblick. Er warf seinen Regenmantel über einen Stuhl. Falls alles lief wie geplant, würde er nach dem Meeting am Montag einen Immobilienmakler kontaktieren.

Falls? Dieses Wort existierte normalerweise nicht in seinem Wortschatz. Er fing nie etwas an, ohne sich nicht absolut sicher zu sein, dass er sein Ziel auch erreichen würde. Diese Einstellung war der Schlüssel zu seinem Erfolg.

Nicolo streifte die Schuhe von den Füßen, zog sich aus und ging ins Bad.

Er war bestens vorbereitet für Montag und die Übernahme von Stafford-Coleridge-Black. Schließlich war er Herr über ein riesiges Finanzimperium, mit Vertretungen in London, Paris, Singapur und natürlich Rom. Und jetzt wurde es Zeit für Barbieri International, auch auf dem New Yorker Markt aufzutrumpfen. Und dafür hatte Nicolo ein Juwel auserkoren, das sich bestens in seiner Krone machen würde. Was Privatbanken anbelangte, so las sich die Kundenliste von Stafford-Coleridge-Black wie das „Who is Who“ der amerikanischen High Society.

Nur noch ein Stolperstein stand im Weg – der Vorsitzende von SCB, James Black.

„Ich wüsste nicht, was wir beide zu besprechen haben“, sagte der alte Mann, als er endlich Nicolos Anruf entgegennahm.

„Es gibt Gerüchte, dass Sie an eine Veränderung denken, Sir“, hatte Nicolo vorsichtig geantwortet.

Black gab einen Laut von sich, der an ein Lachen erinnerte. „Sie meinen, Sie haben gehört, dass ich bald sterbe. Nun, das habe ich nicht vor.“

„Was ich gehört habe, ist, dass ein Mann mit Ihrem Urteilsvermögen immer vorausplant.“

„Touché, Signore Barbieri. Aber ich kann Ihnen versichern, alle Veränderungen, die ich vorzunehmen gedenke, sind von geringem Interesse für Sie. Unsere Bank ist ein Familienunternehmen, von einer Generation an die nächste weitergegeben, seit über zweihundert Jahren.“ Er machte eine kunstvolle kleine Pause, dann fuhr er fort: „Aber ich erwarte gar nicht, dass Sie die Tragweite dieser Tatsache verstehen.“

Nur gut, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht gegenübergesessen hatten. Selbst am Telefon hatte Nicolo Mühe gehabt, sein Temperament zu zügeln. Black war ein alter Mann, aber im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Diese Bemerkung hatte er absichtlich fallen lassen, eine nur hauchdünn kaschierte Beleidigung.

In diesen Sphären glich die Finanzwelt einem exklusiven Club. Man wusste alles über den anderen, und Black wusste, dass Nicolo Barbieris Reichtum, trotz des Titels, nicht etwa aus einem Erbe stammte, sondern durch eigene Arbeit geschaffen worden war. Was die Blacks dieser Welt anging, so war das nichts Erstrebenswertes.

Ebenso wenig erstrebenswert wie wütende Blondinen auf der Fifth Avenue, dachte Nicolo jetzt und wunderte sich, woher dieser Gedanke kam. Alles, was zählte, war das Treffen mit Black am Montag.

So wie es auch bei dem Anruf nur gezählt hatte, dass Nicolo völlig neutral geblieben war. „Oh, ich verstehe durchaus“, hatte er ruhig erwidert. „Ich lege großen Wert auf Tradition. Zudem bin ich überzeugt, dass Sie Ihrem Unternehmen keinen Gefallen tun, wenn Sie sich meinen Vorschlag nicht wenigstens anhören.“

Denn SCB hatte Probleme, gerade weil die Bank von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Der alte Mann feierte demnächst seinen neunzigsten Geburtstag, und der einzige Erbe war ein Enkelkind, das noch die Schulbank drückte.

Und ein Mädchen war. Männer wie Black zogen es vor, das Ruder einem Erben zu überlassen, nicht einer Erbin.

Und genau darauf würde Nicolo am Montag aufbauen. Auf eine Sache, bei der sich der Alte und er grundsätzlich einig waren. Frauen waren zu emotional. Sie waren undiszipliniert und launenhaft. Als Assistentinnen machten sie sich gut, manche sogar als Abteilungsleiterinnen, aber als letzte Instanz bei der Entscheidungsfindung?

Die Wissenschaft musste erst etwas erfinden, das dieses ständige Auf und Ab der Hormone bei Frauen ausschaltete. Das weibliche Geschlecht traf keine Schuld. Es war einfach naturgegebener Fakt.

Während er sich eine graue Flanellhose anzog und einen schwarzen Kaschmirpullover überstreifte, dachte er darüber nach, dass eben diese Tatsache sein Trumpf war. Außerdem war Nicolo der einzige private Investor, der es sich leisten konnte, SCB ohne viel Aufsehen aufzukaufen. Der Alte hatte also gar keine andere Wahl, wenn er sein geliebtes Familienunternehmen nicht in einem der riesigen Bankenkonglomerate verschwinden sehen wollte.

Nicolo war Blacks Rettung, und das wussten beide. Der Moment der Wahrheit war letzte Woche gekommen, als Blacks Sekretärin anrief und ausrichtete, ihr Chef habe einem kurzen Treffen zugestimmt. Natürlich nur aus reiner Höflichkeit.

„Natürlich“, hatte Nicolo erwidert, aber dabei triumphierend die Faust in die Luft gereckt.

Diese Zusage bedeutete nur eins: Der Alte hatte kapituliert und würde verkaufen. Oh, sicher würde er Nicolo noch durch ein paar Ringe springen lassen, aber wie schlimm konnte das schon werden?

Zudem würde Nicolo nicht nach seiner Pfeife tanzen, sondern sich lediglich im richtigen Moment bewegen. Gerade genug, um den Alten bei Laune zu halten.

Und dann gehörte SCB ihm.

Nicht schlecht für einen Jungen, der in Armut aufgewachsen war, obwohl er einen Adelstitel trug.

Der Regen hatte aufgehört, aber der Himmel war grau und wolkenverhangen.

Der Portier winkte ein Taxi heran, als Nicolo vor den Eingang trat.

„Sechsunddreißigste, Ecke Lexington“, nannte Nicolo dem Fahrer die Adresse.

Gestern hatte er mit Damian und Lucas verabredet, sich im Eastside Club, einem exklusiven Fitnessstudio, zu treffen, vor allem da er und Damian gerade erst eingeflogen waren. Ob nun Privatflugzeug oder nicht, ein Interkontinentalflug verspannte die Muskeln eines Mannes.

Danach würden sie irgendwo zusammen essen gehen und sich an die guten alten Zeiten erinnern. Nicolo freute sich darauf. Die drei kannten sich schon Ewigkeiten; um genau zu sein, seit dreizehn Jahren. Seit sie sich in der Kneipe außerhalb des Yale-Campus begegnet waren. Drei Achtzehnjährige aus drei verschiedenen Ländern Europas – Italien, Griechenland und Spanien –, die sich fragten, wie zum Teufel sie in diesem seltsamen Land überleben sollten.

Überleben war nie ein Problem gewesen, im Gegenteil. Die drei waren aufgeblüht. Und ein unzertrennliches Trio geworden. Heute sahen sie sich seltener, jeder hatte seine jeweiligen geschäftlichen Interessen wahrzunehmen, aber sie waren immer noch beste Freunde.

So wie sie auch ungebunden waren. Weil sie es so wollten. Wenn sie sich trafen, begannen sie den gemeinsamen Abend immer mit dem gleichen Trinkspruch.

„Das Leben“, so würde Lucas ernst anheben, „ist kurz.“

„Die Ehe“, würde Damian mit fast grimmiger Miene hinzusetzen, „ist für die Ewigkeit.“

Dann folgte Nicolos Part. „Und die Freiheit, Gentlemen, ist alles!“

Nicolo grinste in sich hinein, als er jetzt daran dachte. Das Taxi hielt vor einem riesigen Ziegelsteinbau aus dem neunzehnten Jahrhundert. Das Gebäude war innen komplett saniert und zu einem sehr exklusiven Fitnessclub umfunktioniert worden.

Das „Eastside“ machte keine Werbung. Weder Schild noch Tafel verrieten, was sich hinter diesen Mauern befand. Eine Mitgliedschaft war nur durch Empfehlung zu bekommen, reserviert für jene, die Privatsphäre schätzten und sich auch die horrenden Beiträge leisten konnten, um diese zu garantieren.

So fehlte dem Club jedes Anzeichen von Snobismus. Man fand keine trivialen Trainingsgeräte, nur weil sie gerade trendy waren, man wurde nicht mit seichter Musik beschallt, weil die angeblich dazugehörte. Die einzige Konzession war die Spiegelwand im Kraftraum. Damit man seine Bewegungen beim Stemmen und Heben überprüfen konnte. Des Weiteren hingen Sandsäcke im Raum, es gab einen Pool und eine höher gelegte Aschenbahn.

Und das Beste von allem – im „Eastside“ hatten nur Männer Zutritt.

Frauen lenken nur ab, dachte Nicolo, als er die Schlüsselkarte durch den Schlitz am Eingang zog. Hier konnte man ihnen für eine Weile aus dem Weg gehen.

In seinem Leben hatte er genug mit Frauen zu tun. Zu viel manchmal, wenn wieder einmal ein tränenreiches Ende gekommen war. Angeblich sollte er eine „lohnenswerte Partie“ sein, so sagte man.

Wahrscheinlich stimmte das sogar.

„Guten Abend, Mr. Barbieri. Schön, Sie wieder bei uns zu sehen.“

„Jack“, grüßte Nicolo freundlich. Er trug sich in das Gästeregister ein und ging in die Umkleide.

Er hatte Geld wie Heu. Ein Privatflugzeug. Autos. Ihm gehörten eine Skihütte in Aspen, ein Anwesen auf Mustique, eine Atelierwohnung in Paris und natürlich der palazzo in Rom. Angeblich sollte er der Barbieri-Familie von Cäsar geschenkt worden sein. Zumindest hatte das seine Großmutter immer behauptet.

Nicolo glaubte zwar eher, dass dieser Palast durch einen Dieb zu Zeiten Cäsars in die Familie gekommen war, aber er hatte seiner Großmutter nie widersprochen. Wozu auch? Er hatte diese Frau geliebt wie keinen anderen Menschen. Mit seiner ersten Million hatte er den heruntergekommenen Palazzo di Barbieri renovieren lassen, und er war dankbar dafür, dass seine Großmutter das noch hatte miterleben dürfen. Ihre Freude war für ihn ein großes Geschenk gewesen.

Es hatte ihm gefallen, sie glücklich zu machen. Generell gefiel es ihm, Frauen glücklich zu machen.

Nur wenn die Forderungen unvernünftig wurden, wenn dann plötzlich Worte wie „gemeinsame Zukunft“ und „sesshaft“ wie erdrückende Gewichte über die schönen Lippen kamen, dann wusste Nicolo, der Zeitpunkt war gekommen, da „Frauen glücklich machen“ nicht mehr so wichtig war wie „sich nicht binden“.

Das stand völlig außer Frage. Absolut tabu. Nicht er.

Ein Abend? Sicher. Eine Woche? Auch, gern. Vielleicht sogar einen oder zwei Monate. Schließlich war er kein Mann, der wahllos von Bett zu Bett wanderte.

Apropos Bett … Wie die Frau im schwarzen Wildledermantel wohl im Bett war? Eine wilde Raubkatze? Oder eine Eiskönigin?

Ihm konnte es egal sein.

Nicolo Barbieri zog weibliche Frauen vor. Frauen, die die Aufmerksamkeit eines Mannes zu schätzen wussten. Diese Raubkatze mit der blonden Mähne war unter Garantie kein solcher Typ. Obwohl, im Bett, mit dem richtigen Mann …

Nicolo hängte seine Jacke in den Spind. Was sollten erotische Fantasien über eine Frau, die ihn beleidigt hatte und die er nie wieder sehen würde? Er wollte weder an sie noch an eine andere denken. Keine Ablenkung, kein Sex. Wie ein Leistungssportler hielt er an dem Prinzip der Enthaltsamkeit fest, bevor er in den Ring stieg.

Er musste sich auf Montag konzentrieren.

Und mit diesem Entschluss zog er sich ausgeleierte Jogginghosen, ein altes Yale-Sweatshirt und Sportschuhe an.

Schweißtreibendes Krafttraining war jetzt genau das Richtige für ihn.

Es war Samstagabend, die Halle war leer bis auf einen Mann, der mit der Konzentration eines einsamen Langstreckenläufers um die Aschenbahn lief.

Damian.

Nicolo lächelte, trottete zu der Bahn und fiel in das Tempo mit ein.

„Noch langsamer, dann ist es ein Spaziergang.“ Er beschleunigte. „Was ist, wirst du zu alt, um zu rennen?“

Damian, mit einunddreißig im gleichen Alter wie Nicolo, warf ihm nur einen vernichtenden Blick zu.

„Keine Sorge, ich rufe den Notarzt, wenn du kollabierst.“

„Alles nur heiße Luft.“

„Hundert Dollar, dass ich dich schlage.“

„Zwanzig Runden?“

„Vierzig.“ Damit spurtete Nicolo los.

Wenig später standen sie einander atemlos gegenüber.

„Wie sieht’s aus in Rom?“, fragte Damian.

„Steht Athen noch?“

Und dann begrüßten sich die beiden Männer mit einer festen Umarmung.

„Wie war der Flug?“

Nicolo nahm zwei Handtücher von dem bereitliegenden Stapel neben der Bahn und warf Damian eines davon zu. „Gut. Ein paar Turbulenzen, nichts Besonderes. Und deiner?“

„Das Gleiche.“ Damian wischte sich den Schweiß vom Gesicht. „Ich mag den kleinen Learjet, den ich mir zugelegt habe.“

„Klein.“ Nicolo lachte.

„Na, so groß wie deiner ist er nicht.“

„Meiner wird immer größer sein als deiner, Aristedes.“

„Davon träumst du nur.“

Es waren die gleichen Spielchen wie früher, und beide grinsten breit.

„Wo bleibt Lukas?“, fragte Nicolo.

„Wir treffen ihn in“, Damian sah auf die Uhr, „zwei Stunden.“

„Ach was? Wo denn?“

„Unser Freund hat sich einen Club in Downtown gekauft. Der In-Club, wie er behauptet.“

„Also voll und laut. Viel Musik, viel Alkohol, viele umwerfend aussehende Frauen.“

„Hört sich abschreckend an“, meinte Damian mit todernster Miene.

Nicolo schlang sich nun das Handtuch um den Nacken. „Ja, ich weiß schon. Aber ich habe ein wichtiges Meeting am Montag.“

„Na und, ich auch.“

„Ich hoffe, ich kann den Deal mit James Black über die Bühne bringen.“

„Wow, das ist wichtig. Also feiern wir schon im Voraus ein bisschen, in Lukas’ Laden.“

„He, ich brauche einen klaren Kopf. Genug Schlaf, kein Alkohol, keine Ablenkungen …“

Oh nein! Sag’s nicht. Kein Sex?“

„Kein Sex“, bestätigte Nicolo.

„Sex ist keine Ablenkung, sondern Training. Und gut fürs Herz.“

„Aber schlecht für die Konzentration.“

„Blödsinn.“

„Davon waren wir in der Footballmannschaft überzeugt, weißt du noch? Und wir haben gewonnen.“

„Wir haben gewonnen“, widersprach Damian trocken, „weil die anderen so lausig waren.“

„Ich mein’s ernst.“

„Ich auch. Keinen Sex zu haben ist wider die Natur.“

„Idiot.“ Es klang mehr wie ein Kosename und nicht wie ein Schimpfwort. Die beiden Männer wählten ihre Geräte. „Es ist nur eine Frage der Disziplin“, sagte Nicolo.

„Es sei denn, dir läuft eine so überwältigende Dame über den Weg, dass dir auch deine Disziplin nichts mehr nützt“, schnaufte Damian, der mit Achtkilohanteln arbeitete.

„Das wird nie passieren“, erwiderte Nicolo. Unerwartet und unerwünscht schob sich das Bild der unfreundlichen Blondine vor seine Augen, mit wütendem Blick und kalter Ablehnung auf ihrem Gesicht.

Nicolo hatte ebenfalls nach den Achtkilohanteln greifen wollen. Doch er entschied sich für ein schwereres Paar und trainierte mit ihnen, bis er nichts anderes mehr registrierte als reißenden Schmerz.

Ein Stück entfernt, in einem anderen Teil Manhattans, der kurz davor stand, von der Szene entdeckt zu werden, im Moment aber noch mehr an Slums erinnerte, schlug Aimee Stafford Coleridge Black die Tür ihres Apartments hinter sich zu, schüttelte sich den Wildledermantel von den Schultern und streifte sich die Stiefel von den Füßen.

Der Mantel rutschte vom Stuhl, die Stiefel prallten an der Wand ab. Aimee scherte sich nicht darum.

Schon erstaunlich, wie verheißungsvoll ein Tag beginnen konnte, um dann als Desaster zu enden.

Sie ging in die Küche und stellte einen Wasserkessel auf den Herd, überlegte es sich aber anders. Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war Koffein. Sie war auch so schon aufgekratzt genug. Und die Verantwortung dafür trug ihr Großvater, James Black.

Warum bestellte er sie in sein Büro, um dann nicht die Ankündigung zu machen, mit der sie gerechnet hatte?

„Im nächsten Mai werde ich mich zur Ruhe setzen, an meinem neunzigsten Geburtstag“, hatte er ihr schon im letzten Jahr mitgeteilt. „An diesem Zeitpunkt werde ich die Bank in die Hände einer Person meines Vertrauens übergeben. Diese Person wird die Bank dann die nächsten fünfzig Jahre natürlich im Sinne der Familie Stafford-Coleridge-Black weiterführen.“

Die Familie. Für James Black so wichtig wie die Luft zum Atmen. Was Aimee nur recht sein sollte. Schließlich vereinte sie als einzige Person sowohl die entsprechende Abstammung als auch die notwendige Ausbildung. Sie hatte einen Bachelor in Finanzwesen, ein Diplom in BWL und seit der Highschool jeden ihrer Sommer als Praktikantin in der Bank verbracht. Sie wusste mehr über die Bank als jeder andere Mensch, wahrscheinlich sogar mehr als Großvater, der noch immer in einer Welt lebte, in der weder Faxgerät noch E-Mail existierten.

Aimee ging ins Schlafzimmer und zog sich das Armani-Kostüm aus. Sie hatte es heute Morgen gewählt, weil sie sachlich und geschäftsmäßig aussehen wollte, wenn sie vor ihren Großvater trat – obwohl sie genau wusste, dass man Geschäfte genauso gut in Jeans wie in einem Kostüm abschließen konnte. Sie hatte sogar eine kleine Rede vorbereitet, mit dem Tenor, dass sie die Tradition hochhalten und nichts am Führungsstil ändern würde. In Gedanken würde sie die Finger kreuzen, wenn sie das sagte. Es gab da so einiges, was geändert werden musste.

Sie war pünktlich auf die Minute gewesen – ihr Großvater legte großen Wert auf Pünktlichkeit –, hatte einen Kuss auf seine Wange gehaucht, sich auf sein Geheiß hin gesetzt und die Finger auf dem Schoß verschränkt.

Und sie hörte ihm dabei zu, wie er sie wissen ließ, er habe noch immer keine definitive Entscheidung getroffen.

Ruhe bewahren, hatte sie sich ermahnt. Und sie war ruhig geblieben, zumindest nach außen. „Aber du sagtest doch, Großvater, dass ich die Bank übernehmen soll.“

„Ich sagte, jemand, der kompetent ist, wird die Bank übernehmen. Jemand, der in meinem Sinne handelt.“

„Nun …“ Der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. „Du meinst doch nicht etwa … Bradley?“

Bradley war ihr Cousin zweiten Grades. Glaubte sie jedenfalls. Wer konnte schon die komplizierten Familienverhältnisse nachvollziehen? Seit Jahren trieb Bradley sich in der Bank herum, war während der Sommer ebenso als Praktikant angetreten wie Aimee. Nur, dass er nie auch nur einen Handschlag getan hatte – außer Aimee im Kopierraum zu begrapschen.

„Nicht Bradley“, brachte sie schließlich hervor.

„Bradley hat einen Abschluss in Wirtschaft.“

Richtig. Von einem College, auf dem man wahrscheinlich auch einen Abschluss in Korbflechten machen konnte.

„Er ist eloquent und gewandt.“

Stimmt, nach dem dritten Drink auf jeden Fall.

„Und“, die schweren Geschütze fuhr James Black erst zum Schluss auf, „er ist ein Mann.“

Also die Krone der Schöpfung. Ein Prinz, während sie als Frau nur ein niederes Wesen war.

Ihr Großvater hatte sich erhoben. Das Zeichen, dass ihr seine Gegenwart nicht länger gewährt wurde. „Sei am Montagmorgen hier. Punkt zehn. Dann verkünde ich meine Entscheidung.“

Sie war entlassen. Einfach so.

Danach war sie blind durch die Straßen geeilt, ohne auf diesen Mann zu achten. Dieser schreckliche Typ, der sie fast umgerannt hatte und dann auch noch behauptete, es sei ihre Schuld gewesen. Der angezweifelt hatte, dass sie überhaupt eine Frau war, wenn doch allein diese Tatsache ihr das Einzige vorenthielt, was sie sich ihr Leben lang gewünscht hatte.

Und dafür hatte sie zwei großartige Jobangebote ausgeschlagen, weil sie absolut sicher gewesen war … Nein, wie hatte sie nur so dumm sein können!

Innerlich hatte sie geflucht, und das war der Moment gewesen, als dieser Grobian in sie hineingerannt war. Als wäre sie unsichtbar. Oh, das war sie zweifelsohne, schließlich war sie ja eine Frau!

Die Arroganz der Männer! „Langsam“, hatte er gesagt und gelächelt. So als würden diese samtene Stimme mit dem Hauch eines Akzents, breite Schultern, pechschwarzes Haar und dunkelblaue Augen ein solches Benehmen entschuldigen!

Sie hatte ihm ihre Meinung gesagt. Aber Männer vertrugen die Wahrheit nicht, das hatte sie schon vor langer Zeit gelernt. Und dieser unmögliche Kerl hatte sie auch noch geküsst, so als wolle er ihr eine Lektion erteilen!

Geküsst! Er hatte seinen Mund auf ihre Lippen gepresst, dieser Widerling!

Seinen festen, wunderbar warmen Mund, der zum Küssen geschaffen schien, geschaffen für lange, leidenschaftliche Küsse, die einem den Atem raubten …

Grundgütiger, sie war wirklich in einer miserablen Verfassung. Wut, Frust, Adrenalin – wie immer man das nannte, es pumpte auf jeden Fall wild durch ihre Adern.

Ein Mann würde jetzt in einen Fitnessclub gehen und den Stress ausschwitzen. Bei ihr würde es auch helfen, aber ihr Club – ein Club nur für Frauen – hatte geschlossen. He, es war Samstag. Der Abend, an dem Frauen auf Partys und zu Verabredungen gingen, richtig?

„So ein Quatsch“, schimpfte Aimee laut vor sich hin.

Ein Mann würde sich mit seinen Kumpels in einer lauten Kneipe treffen und sich mit Bier volllaufen lassen. Das taten Männer doch, wenn sie Stress hatten, oder? Ausgehen, sich betrinken, über völlig idiotische Dinge reden und Frauen anmachen.

Sex sei schließlich ideal zum Entspannen. Jeder sagte das. Aimee nicht. Sie hatte Sex gehabt, und es war alles andere als eine Offenbarung gewesen. Aber heutzutage stand überall zu lesen, dass Sex der wirksamste Stressabbauer sei.

Aimee schnaubte. Man stelle sich vor, eine Frau würde das machen. Eine Freundin anrufen, in eine Bar gehen und sich bei einem Drink einen Mann aussuchen, mit dem sie ins Bett gehen würde. Keine Bindungen, keine Verpflichtungen, kein albernes Austauschen von Telefonnummern.

Nur purer, unverfälschter Sex.

Manche Frauen taten das. Sex mit einem Fremden.

Mit einem Fremden mit schwarzem Haar und blauen Augen. Mit markantem Kinn, gerader Nase, festem Mund und dem Hauch eines Akzents …

Das Läuten des Telefons riss Aimee aus ihren absurden Gedanken. Der Anrufbeantworter sprang an. Gut, sollte er nur.

„Aimee, hi, Jen hier. Hör zu, ich weiß, das ist nicht unbedingt dein Stil, aber … Da hat ein neuer Club aufgemacht. Zurzeit soll es der angesagteste Laden der Stadt sein. Und heute ist Lauras Geburtstag. Erinnerst du dich an sie? Sie hat im Studentenheim über uns gewohnt. Sie ist in der Stadt; ein paar von uns wollten sich zusammentun und auskundschaften, wie dieser neue Club so ist …“ Im Hintergrund war ein Kichern zu hören, und Aimee schlug entnervt die Augen zur Decke auf. „Na gut, auskundschaften wollen wir, ob die Jungs dort wirklich so knackig sind, wie behauptet wird.“

„Jen?“ Aimee nahm den Hörer auf.

„He, du bist zu Hause. Ich weiß ja nicht, was du heute Abend vorhast, aber …“

„Nichts habe ich vor. Es war ein lausiger Tag.“

„Umso mehr ein Grund, mitzukommen. Sich ein bisschen amüsieren, heiße Musik hören …“

„Heiße Typen aufgabeln“, ertönte es aus dem Hintergrund, begleitet von erneutem Gekicher.

„Ist das alles, wozu wir gut sind?“, empörte Aimee sich. „In einen Club gehen, wo die Musik so laut ist, dass man sein eigenes Wort nicht versteht? Ich lasse mich von einem Kerl vollquatschen, der mir einen Drink spendiert, und dann …“

„Ich weiß, es ist eine Art Markt. Aber manchmal macht es einfach Spaß, ganz unverbindlich.“

„Männer denken doch sowieso schon, dass wir Frauen nur in die Küche und ins Schlafzimmer gehören, da müssen wir ihnen nicht auch noch bestätigen, dass sie mit ihren dummen Fantasien recht haben.“

Am anderen Ende herrschte Totenstille. Dann räusperte Jen sich. „Kein Problem. Vergiss einfach, dass ich angeru…“

„Als ob ich so einem Trottel nicht weismachen könnte, dass ich für das Playmate des Monats kandidiere. Wenn ich es wollte.“

„Äh, Aimee, ich muss Schluss machen, wir wollen los …“

„Ich könnte mit euch in diesen Club gehen. Tanzen, ein Drink, vielleicht auch zwei, ein Typ, von dem ich mich abschleppen lasse für eine Nacht mit dem heißesten Sex, den man sich vorstellen kann.“

Wieder diese Totenstille am anderen Ende. Dann, sehr vorsichtig: „Heißt das, du gehst mit?“

Aimee holte tief Luft. „Und ob ich mitgehe.“

Zwanzig Minuten später trug sie ein rotes Seidenkleid, für das sich bisher noch nie ein Anlass gefunden hatte, und goldene Riemchensandalen mit dem gleichen Schicksal. Aimee warf einen letzten Blick in den Spiegel, lächelte sich verheißungsvoll zu und verließ ihr Apartment.

2. KAPITEL

Lukas’ Club war genau das, was Damian versprochen hatte.

Wie die meisten Nachtclubs in Manhattan lag die Bar in einer Gegend, die einst ziemlich düster und nur für wirtschaftliche Zwecke genutzt worden war; düster war sie immer noch, aber gerade deshalb extrem angesagt. Straßen, auf denen sich früher bei Tageslicht das weniger privilegierte Leben abgespielt hatte, wurden nun des Nachts hell erleuchtet. Warenhäuser und Lagerhallen hatten Platz gemacht für exklusive Nachtclubs und Bars.

Die Location befand sich in einem düsteren Ziegelsteinbau mit verbarrikadierten Fenstern. Niemand hätte sagen können, dass in dem alten Fabrikgebäude jetzt der angesagte „Le Club Hot“ lag.

Kein Hinweis, kein Schild, keine Telefonnummer. Entweder man wusste, dass der Club existierte, oder man wusste es nicht. Was die Klientel von vornherein sortierte.

Nicolo zog eine schwere Messingtür auf und trat zusammen mit Damian in eine kleine Lobby, die einem exklusiven Hotel zur Ehre gereicht hätte.

Allerdings würde man einen derart wuchtigen Türsteher nicht unbedingt an der Rezeption eines Luxushotels finden. Die beiden Männer gaben ihre Namen an, der Hüne schaute in einer Liste nach, lächelte und drückte einen Knopf.

Die Wand vor ihnen glitt geräuschlos zur Seite.

„Wow.“ Damian war beeindruckt.

Nicolo konnte ihm nur zustimmen. „Wow“ drückte es passend aus.

Zuerst umfing einen die laute Musik, schwere Bässe schlugen einem direkt in den Magen. Dann erst wurde man gewahr, wie riesig der Raum war.

Der Innendesigner hatte die alten Leitungen und Rohre an der Decke belassen, alles andere – Lichteffekte, der endlos lange, beleuchtete Tresen, die hochgezogene Tanzfläche – war nur vom Feinsten und verwirrend modern.

„Hier könnte man Football spielen“, murmelte Damian. „Die Cheerleader sind alle schon da.“

Damian grinste, und Nicolo grinste zurück. Es war voll hier, und mehr als die Hälfte der Gäste war weiblich. Jung, sexy, umwerfend gut aussehend. Gesichter, die man von amerikanischen und europäischen Modemagazinen kannte.

Damian hatte recht gehabt. Das war genau das, was Nicolo jetzt brauchte. Licht. Musik. Frauen.

Die einzige Möglichkeit, sich zu entspannen.

„Barbieri! Aristedes!“

Lucas drängte sich durch die Menge auf sie zu. Die Freunde begrüßten sich mit einer kräftigen Umarmung.

„Ihr seid immer noch so unansehnlich wie früher“, frotzelte Lucas. „Aber keine Angst, ich habe einige Unwahrheiten über euch beide verbreitet, die euch so interessant machen, dass sich ein paar Leute erbarmt haben und euch kennenlernen wollen.“ Er drehte sich um und zeigte mit dem Arm auf die Galerie. „Mein Tisch ist da oben. Von dort aus kann man den ganzen Raum überblicken, und es ist auch nicht so laut – óptimo!“

Lucas hatte recht. Von hier oben sah man direkt auf die Tanzfläche hinunter, und die Lautstärke sank auf ein erträgliches Level, sodass man sich auch unterhalten konnte.

„Welch Szenerie“, kommentierte Damian.

Sein Freund bezog sich natürlich auf die Frauen. Nicolo nickte zustimmend. Hatte er auch schon erkannt. Wirklich aufsehenerregend, all diese schlanken Körper, die sich im Rhythmus der Musik bewegten.

War da unten auf der Tanzfläche etwa eine Frau mit blonder Lockenmähne und violetten Augen?

„Nicolo, was möchtest du trinken?“

Der Italiener blinzelte. „Whiskey“, antwortete er und ermahnte sich, damit aufzuhören, sich wie ein Idiot zu benehmen und endlich den Abend zu genießen.

Aber genau das war ja das Problem, nicht wahr? Spaß hatte man nicht, weil man es sich befahl. Um Spaß haben zu können, musste man entspannt sein. Doch jetzt, da sich diese Frau mit den violetten Augen wieder in seine Gedanken gedrängt hatte, war Spaß wohl das Letzte, was er haben würde.

Er aß. Er trank. Er hörte zu, während Lucas und Damian sich gegenseitig die letzten Neuigkeiten aus ihrem Leben berichteten. Es war das erste Mal seit Monaten, dass sie wieder zusammen waren. Es gab viel zu erzählen. Nicolo zwang sich, an der Unterhaltung teilzunehmen.

Doch nach einer Weile schweiften seine Gedanken wieder ab. Hin zu der Frau und wie er sich ihr gegenüber benommen hatte. Je mehr er darüber nachdachte, desto wütender wurde er.

Auf sie.

Auf sich selbst.

Was für ein Mann war das, der sich von einer Frau zum Narren halten ließ?

„Nicolo?“

Diesmal war es Damian, der ihn mit zusammengekniffenen Augen musterte. „Alles okay mit dir?“

„Ja, sicher. Ich muss nur an das Meeting am Montag denken.“

Lucas schnaubte. „Ich kenne dich, mein Freund. Du denkst an kein Meeting, sondern an eine Frau.“

Nein, das stimmte nicht. Nun … irgendwie doch. Er dachte an eine Frau, aber nicht so, wie Lucas dachte.

Vor einem Monat hatte er die letzte Beziehung beendet, und er dankte dem Himmel dafür. Die betreffende Dame war, wie so viele andere, schön und anschmiegsam gewesen. Nach einer Weile war sie nur noch schön und langweilig.

Bei der Blonden konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie anschmiegsam, geschweige denn langweilig sein würde. Sie wäre eine konstante Herausforderung.

Jede andere Frau hätte seine Entschuldigung akzeptiert. Ha, die meisten hätten sogar mehr getan.

Bei Frauen hatte er immer Glück gehabt. Sie mochten ihn, und er mochte sie. Eine andere hätte sich mit einem Lächeln bedankt und dann zugegeben, dass die Schuld eigentlich bei ihr lag. Er hätte zurückgelächelt und sie auf einen Drink eingeladen, bei dem man sich dann genauer darüber unterhalten konnte, wer nun wem eine Entschuldigung schuldete …

Nicolo nippte an seinem Whiskey.

Verflucht, diese Frau verfolgte ihn! So eine Unverschämtheit! So eine Dreistigkeit! Wieso hatte er ihr das durchgehen lassen? Er hätte ihr eine anständige Lektion erteilen sollen, nicht nur diesen lächerlich flüchtigen Kuss. Er hätte ihr klar zeigen müssen, dass sie eine Frau und er ein Mann war und dass es trotz der Konventionen dieses jämmerlich fehlgeleiteten Jahrhunderts Dinge gab, die ein Mann fraglos besser beherrschte.

Doch nichts davon hatte er getan. Wahrscheinlich saß sie jetzt irgendwo in dieser großen Stadt und lachte sich halb tot über ihn. Zusammen mit ihrem Lover. Denn eine Frau mit einem solchen Madonnengesicht musste einen Freund haben.

Ob sie diesen Mann herumkommandierte? Natürlich. Dabei brauchte die Lady einen Liebhaber, dessen Berührung allein sie zum Erschauern brachte, bei dessen Küssen die eisige Überheblichkeit wegschmolz. Sie brauchte einen Mann, der sie liebte, bis sie um Erbarmen flehte …

„Barbieri!“

Nicolo verdrängte die grimmigen Gedanken, sah in die entsetzten Gesichter seiner Freunde – und stellte fest, dass er das Glas in seiner Hand zerdrückt hatte.

Scherben lagen in einer Whiskeypfütze auf dem Tisch.

„Merda“, knurrte er und wischte hastig mit einer Serviette die Reste seines Drinks auf.

„Lass nur, das ist doch unwichtig. Hast du dich verletzt?“

Hatte er? Er sah auf seine Hand. „Nein, nicht einmal ein Kratzer.“ Er zwang sich zu einem Lachen und streckte die Hand aus. „Entspann dich, Reyes, ich werde dich schon nicht verklagen.“

Amigo, ich glaube nicht, dass ich derjenige bin, der sich entspannen muss. Da ist eine Frau mit im Spiel. Und erzähl nicht wieder den Unsinn von einem Meeting. Du brauchst den Stress einer harten Verhandlung, erst dann läufst du zur Hochform auf.“

Aus einem ersten Impulsiv heraus wollte Nicolo das Gegenteil behaupten, doch das wäre unsinnig. Diese Männer kannten ihn durch und durch. Gespielt gleichgültig zuckte er mit einer Schulter. „Zugegeben. Aber ich komm drüber hinweg.“

„Natürlich wirst du das.“ Lucas lehnte sich verschwörerisch vor. „Und ich kann dir auch das wirksamste Gegenmittel verraten. Also, wenn dir eine Frau im Kopf umherspukt, dann treibst du sie am besten aus mit …“

„Hallo, Lucas, Darling“, schnurrte da eine lockende Stimme. „Hier bist du. Wir haben dich schon überall gesucht.“

Fünf Frauen tauchten neben dem Tisch auf, alle umwerfend, alle mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht, als hätten sie soeben das verlorene Gold der Inkas gefunden.

„Siehst du“, flüsterte Lucas Nicolo zu, „genau das meine ich.“

Warum nicht, dachte Nicolo.

Stühle wurden herangezogen, Lucas übernahm die Vorstellung, Champagnerkorken knallten.

Wenig später drehte eine der Frauen – sie hieß Vicki – sich zu Nicolo. „Lucas sagte, Sie gehören zum Adel.“

Nicolo sah über ihre Schulter zu seinem Freund. Der grinste und blinzelte ihm zu. „Lucas ist ein Komiker.“

„Ich bin auch berühmt.“ Vicki lachte perlend. „Ich meine, noch nicht richtig, aber bald. Vielleicht haben Sie mich schon gesehen. Ich habe mitgespielt in …“

Eine Aufzählung von Theaterstücken folgte. Vielleicht waren es auch Fernsehshows. Oder irgendetwas anderes. Die Titel sagten Nicolo nichts, und es war ihm auch egal. Unauffällig schaute er auf seine Armbanduhr. Wann konnte er sich absetzen, ohne die Lady zu beleidigen oder seinen Freunden den Abend zu verderben?

Nicht, dass die Frau nicht gut aussehen würde. Sie war hübsch und lächelte viel. In diesem Moment legte sie ihre Hand auf seinen Arm. Stellte all die Fragen, die ein Mann gern beantwortete.

Es war das uralte Spiel, er selbst hatte es oft genug gespielt. Der Ausgang stand von vornherein fest. Und war eigentlich immer anregend.

Erstaunlich anregend.

Sein Blut begann schneller zu fließen. Damian und Lucas hatten recht. Genau das brauchte er jetzt. Eine schöne, willige Frau. Ein Spiel mit einem bekannten Ende. Eine amüsante Nacht.

War es nicht schlimm genug, dass die Frau mit den violetten Augen ihn schon einmal zum Narren gemacht hatte? Wollte er zulassen, dass sie es wieder tat, indem er ablehnte, was ihm so bereitwillig angeboten wurde?

Nicolo schob seinen Stuhl zurück, nahm Vickis Hand. „Tanzen Sie mit mir.“

Er führte sie die Stufen hinunter zur Tanzfläche. Salsa-Musik dröhnte aus den Lautsprechern, der Rhythmus fast so sexy wie Vickis lockender Körper, der sich beim Tanzen leicht an seinem rieb.

Es fühlte sich gut an.

Nein, nicht gut. Es war der falsche Körper. Das falsche Gesicht, das ihn anlächelte. Die falschen Augen, die ihn verlangend anblickten.

Basta, dachte Nicolo angewidert, legte die Arme um die Frau und zog sie eng an sich heran, als die Musik schwül und langsam wurde.

Sie schmiegte sich an ihn, als hätte sie nur auf die Einladung gewartet. Ihr Haar kitzelte ihn an der Nase. Es klebte und roch nach Haarspray.

Die goldenen Locken waren weich gefallen und hatten zart nach Regen geduftet …

„Es ist schrecklich laut hier drinnen, nicht wahr?“ Vickis Atem strich warm über sein Ohr.

Nach den Spielregeln müsste die nächste Zeile jetzt lauten: Warum gehen wir nicht irgendwohin, wo es ruhiger ist? Eigentlich müsste er das sagen. Obwohl, in der heutigen Zeit der Gleichberechtigung …

„Warum gehen wir nicht irgendwohin, wo es ruhiger ist?“, flüsterte Vicki ihm zu.

Nicolo räusperte sich. „Wissen Sie, ich denke …“ Ich denke, das ist ein guter Vorschlag. Das war es, was er jetzt antworten sollte. Sagen jedoch hörte er sich: „Ich denke, ich sollte erst einmal nachsehen, ob es noch regnet.“

Vicki konnte gar nicht überraschter sein als er. Aber verdammt, er wollte diese Frau nicht.

Keinen billigen Ersatz, dachte er, als die Musik wieder schneller wurde und sein Verlangen, das er schon den ganzen Tag unterdrückte, mit aller Macht aufloderte.

Er wusste genau, was er wollte, was er brauchte. Es musste eine Möglichkeit geben; irgendetwas würde ihm einfallen, um …

Nicolo schnappte nach Luft. Er blieb mitten im Tanz stehen, überließ anderen Paaren den Raum.

Da war sie!

Die Frau, die ihn wahnsinnig machte! Dieses Mal nicht im schwarzen Wildledermantel, sondern in einem knappen roten Seidenkleid. Keine Stiefel, sondern hochhackige Riemchensandaletten. Sie tanzte, wenn man es denn tanzen nennen wollte. Sie bewegte sich aufreizend in den Armen eines Mannes, mit wogendem Busen, rotierenden Hüften, und lächelte dem Mann in die Augen …

Das Lächeln, das sie ihm verweigert hatte.

„Nicolo?“

Vicki, oder wie immer sie heißen mochte, sagte etwas und legte ihre Hand auf seine Brust. Er schob sie fort. Ließ sie mitten auf der Tanzfläche stehen.

Der kultivierte Teil seines Bewusstseins, der Ergebnis dieses Jahrhunderts war, wusste, dass er irrational reagierte. Aber der andere Teil, der primitive, der elementar männliche Teil flüsterte ihm zu: Das ist es, was ich will, und ich werde es mir holen.

Dieses Flüstern hallte laut wie Donnergrollen in seinem Kopf. Die Musik wurde frenetisch, passend zu der Wut, die Nicolo in sich fühlte.

Das Schicksal mit seinen Launen hatte dieses Mal zu seinen Gunsten entschieden. Die Frau, die ihn zum Narren gehalten hatte, war hier.

Jetzt würde er sich revanchieren.

Rücksichtslos bahnte er sich einen Weg durch die tanzende Menge, den Blick nicht von seinem Ziel abwendend. Sie hatte ihn nicht gesehen. Umso besser. Er wollte bei ihr sein, bevor sie Zeit zum Nachdenken hatte.

Doch er hatte den Abstand erst um die Hälfte verkürzt, als sie plötzlich mit dem Tanzen aufhörte. Ihr Tanzpartner sagte etwas zu ihr, sie reagierte nicht. Stattdessen befreite sie sich aus seinen Armen und stand abwartend da, wie ein scheues Reh am Rande der Lichtung, das die Gefahr witterte.

Eine Sekunde, eine Minute, eine Ewigkeit verging, dann wandte die Blonde den Kopf und schaute direkt in Nicolos Richtung.

Er lächelte ein ungutes Lächeln, mit zusammengepressten Lippen.

Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie trat einen Schritt zurück.

Wieder musste er an das Reh denken. Lauf, dachte er.

Und als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sie sich um und floh.

Nicolo zögerte nicht. Er folgte ihr.

3. KAPITEL

Unmöglich! In einer Stadt von der Größe New Yorks lief man nicht zweimal am Tag dem gleichen Mann über den Weg!

Im ersten Moment glaubte sie, es müsse sich um eine Verwechslung handeln. Es gab schließlich ziemlich viele dunkelhaarige, attraktive Männer in dieser Stadt. Doch ein zweiter Blick ließ ihre Hoffnung platzen. Es war der anmaßende Supermacho, der sie heute Nachmittag geküsst hatte.

Kein anderer Mann fiel einem so direkt ins Auge. Er mochte ein Widerling sein, aber er sah einfach umwerfend aus.

Schon die ganze Zeit über hatte sie … ja, was? Eine Ahnung gehabt? Sie glaubte nicht an so einen Unfug, aber wie sonst ließe sich dieses kitzelnde Gefühl auf ihrem Nacken erklären. Dieses Gefühl, dass sie mit Blicken verfolgt wurde, während sie mit Tom oder Tim tanzte – Himmel, sie hatte sich nicht einmal den Namen des Mannes gemerkt, der ihr einen Drink spendiert hatte.

Er war nett, sah gut aus und strengte sich an, sie zu beeindrucken.

Und vor allem war er kein Fremder, der sie packte, küsste und ihr in die Augen sah, als wolle er sich für immer in ihre Erinnerung einbrennen.

Sie hasste solche Neandertaler, ganz gleich, wie gut ein solcher Neandertaler auch aussehen mochte.

Aimee war heute Abend hierhergekommen, um Spaß zu haben. Um sich einen Mann zu angeln. Um sich zu amüsieren.

Nur, sie amüsierte sich nicht. Sie verabscheute Läden wie diesen hier. Die Räumlichkeiten selbst waren beeindruckend, sicher. Aber der Lärmpegel. Die Lichter. Die Menschenmenge. Das hektische Balzverhalten!

Nun, es war nicht die richtige Zeit für anthropologische Studien. Also hatte sie Jen zugestimmt, als diese die Location als absolut fantastisch bezeichnete. Sie hatte gelacht, wenn jemand eine witzige Bemerkung machte. Hatte dem gut aussehenden Tom oder Tim oder Ted erlaubt, ihr eine Margarita zu bestellen, hatte geschmeichelt gelächelt, als er sie mit Komplimenten überschüttete, und sich von ihm auf die Tanzfläche ziehen lassen. Und sie hatte versucht, nicht jedes Mal zusammenzuzucken, wenn er sie „Baby“ nannte.

Aimee hatte sich also wirklich bemüht, sich zu amüsieren. Doch wenn sie ehrlich war, wollte sie einfach nicht länger hierbleiben. Sie gehörte nicht zu dieser Szene. Und ganz bestimmt wollte sie nicht mit Tom/Tim/Ted oder irgendjemand anderem nach Hause gehen und bedeutungslosen Sex haben.

Für sie war Sex nie bedeutungslos. Wie, um alles in der Welt, war sie nur auf die Idee verfallen, dass es ausgerechnet heute gut für sie sei, mit einem Mann zu schlafen, den sie nicht kannte?

Weil du hofftest, es würde dich den Fremden vergessen lassen. Den, der dich geküsst hat, als hätte er das Recht, alles mit dir zu machen, was er will.

Alles, was du willst.

Diese leise Stimme hörte sie genau in dem Moment, als sie das Prickeln auf ihrem Nacken spürte. Sie drehte sich um … und sah ihn an. Sah die Wut in seinen Augen.

Wut? Er war wütend auf sie? Das war doch die Höhe! Er hatte sie nicht nur angerempelt, er hatte sie auch belästigt. Mit seiner Arroganz. Mit seinem unverschämten Kuss.

Alles um sie herum verstummte, erstarrte. Die Musik, die Leute … die Welt. Aimee musste sich zusammennehmen, um nicht davonzurennen. Der Ausdruck in seinen Augen flößte ihr Angst ein. Viel schlimmer jedoch war die Hitze, die jäh durch ihre Adern schoss.

Dann änderte sich dieser Ausdruck in seinen dunkelblauen Augen, wurde zu etwas typisch Männlichem, das sie zutiefst verachtete: die Entschlossenheit zu dominieren. Im und außerhalb des Bettes.

Die Knospen ihrer Brüste richteten sich auf, im Zentrum ihres Bauches meldete sich ein Ziehen. Sie drehte sich um und floh.

Ohne auf den Protest der Leute zu achten, drängelte sie sich durch die tanzende Menge. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen.

Gerade noch rechtzeitig erblickte sie das kleine Neonschild, das die Tür zu den Waschräumen für Herren und Damen markierte. Jen hatte sie vorhin mit hierher geschleift und die pompöse Ausstattung mit einem „Das sieht nicht aus wie eine Toilette“ kommentiert.

Jetzt wurde sie zu einem Refugium für Aimee.

Mit fahrigen Fingern wollte Aimee hinter sich abschließen, doch da flog die Tür schon auf. Aimee wich zurück, klammerte sich mit verkrampften Fingern an den Rand des Waschbeckens, stieß mit dem Ellbogen gegen eine Flasche. Flüssigseife, Körperlotion, egal, es war eine Waffe. Sie griff nach ihr.

„Wagen Sie es nicht“, presste sie hervor.

Ihre Stimme zitterte. War das der Grund, weshalb dieses winzige Lächeln um seine Lippen spielte?

„Verschwinden Sie. Lassen Sie mich sofort in Ruhe. Oder ich schreie!“

Er lachte, und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Niemand würde sie hören, nicht bei der Musik, die das ganze Gebäude erfüllte wie ein überdimensionaler Herzschlag.

Sie hob die Hand mit der Flasche. „Noch einen Schritt, und ich schlage sie Ihnen über den Kopf.“

Noch immer lachte er. „Das mit dem Schlagen hatten wir doch schon.“

„Ich meine es ernst. Schließen Sie diese Tür wieder auf und verschwinden Sie, sonst …“

Er kam auf sie zu. Sie warf die Flasche nach ihm, die an ihm vorbeiflog und an der Wand zerschellte.

„Hören Sie“, sie hasste sich dafür, dass ihre Stimme bebte, „das heute Nachmittag war ein unglückliches Missverständnis …“

„Das dachte ich anfangs auch“, unterbrach er sie geradezu freundlich, wie im lockeren Konversationston. „Ich sagte mir, es ist nicht wichtig. Das ist einfach nur ihre Art, wie sie mit Männern umgeht. Dennoch“, fuhr er fort, „ärgerte es mich irgendwie den ganzen Tag. Dass eine Frau so unhöflich sein sollte, so grob.“

„Ich habe überhaupt nichts gemacht! Es ist einfach passiert.“

„Richtig.“ Er nickte. „Es ist einfach passiert. Ich bin zu der gleichen Auffassung gekommen.“

Jetzt stand er direkt vor ihr, so nahe, dass sie den Kopf zurücklehnen musste, um seine Augen sehen zu können. Selbst mit den hohen Absätzen war er um einiges größer als sie.

„Aber dann sah ich Sie hier.“

„Sie sind mir gefolgt!“

„Sie haben eine zu hohe Meinung von sich, cara. Glauben Sie wirklich, ich hätte nichts Besseres zu tun, als Ihnen zu folgen?“ Ein Muskel zuckte auf seiner Wange. „Ich kam mit ein paar Freunden hierher, um einen amüsanten Abend zu verbringen. Wie Sie.“

„Genau. Der Mann, mit dem ich verabredet bin, wird bereits nach mir suchen …“

„Der Typ, mit dem Sie getanzt haben? Er hat nicht einen Finger gerührt, als Sie ihn einfach haben stehen lassen. Er hat auch nichts getan, um mich aufzuhalten.“ Nicolo hielt inne. „Mir ist aufgefallen, dass Sie Ihren Tanzpartner ganz anders behandelt haben als mich.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

Cara, bitte, Sie sollten meine Geduld nicht überstrapazieren. Sie haben mit ihm gelacht, ihn angelächelt.“

„Natürlich, schließlich kenne ich ihn. Sie dagegen kenne ich nicht.“

„So? Wie heißt er denn?“

„Ted“, antwortete sie prompt.

„Nein, so heißt er nicht.“

Es war ein Bluff, aber er funktionierte. Nicolo sah, wie die Frau auf ihrer Unterlippe kaute. Sie hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, mit wem sie getanzt hatte.

Sie hatte den Typen erst hier getroffen und sich an ihn herangemacht.

Was natürlich ganz allein ihre Sache war. Aber er hatte sie beobachtet, wie sie flirtete, lachte, mit den Hüften wackelte. Wie sie die feine Kunst der Verführung einsetzte.

Für den anderen Mann.

Nicht für ihn.

Nein, für ihn nicht. Und plötzlich wusste er, dass ein Kuss ihm nicht reichen würde. Er wollte sie ganz besitzen.

Es ergab alles keinen Sinn, aber sein Körper kümmerte sich nicht um Vernunft.

Wie in Zeitlupe hakte er einen Finger in den dünnen Träger ihres Kleides und zog sie zu sich heran. Sie stolperte gegen ihn und ballte die Hände zu Fäusten.

Die Finger seiner anderen Hand legten sich um ihr Handgelenk. „Wehr dich nicht“, murmelte er rau.

„Lassen Sie das gefälligst!“

„Ich sagte dir schon heute Nachmittag, dass dir einige gute Manieren nicht schaden könnten, cara.“

„Lassen Sie mich endlich los. Zur Hölle mit Ihnen!“

„Das nächste Mal, wenn zwischen dir und einem Mann etwas ‚einfach passiert‘, wirst du wissen, wie du zu reagieren hast.“

„Wenn es Ihnen um eine Entschuldigung geht …“

„Falls ja, würdest du mir endlich eine anbieten?“

Sie stand echte Angst aus, er sah es in ihrem gehetzten Blick, spürte es an ihrem Zittern. Sie war verzweifelt genug, um sich tatsächlich bei ihm zu entschuldigen. Und als zivilisierter Mann würde er sie dann freigeben müssen …

Irrtum.

Aimee hob das Kinn. Angst oder nicht, ihre blauen Augen blitzten. „Nur ein Barbar nimmt eine Frau mit Gewalt, nur weil sie sein Ego ein wenig angekratzt hat.“

„Du glaubst, ich will dich vergewaltigen?“ Mit einer Hand hob er ihr Gesicht an und sah ihr in die Augen. „Nicht doch. Du weißt es besser“, murmelte er mit tiefer Stimme. Und damit beugte er sich zu ihr und küsste sie.

Sein Mund war fest und gierig. Aimee wollte zurückzucken, den Kopf abwenden, doch seine Hand hielt ihr Kinn fest.

Nicolo hielt sie fest an sich gepresst, sodass sie seine harten Muskeln fühlen konnte, seine Kraft. Den Beweis seiner Erregung.

Ein Wimmern schlüpfte über ihre Lippen. „Hören Sie auf“, hauchte sie, doch er küsste sie nur noch wilder und drängte sie zurück gegen die Wand.

„Küss mich“, flüsterte er voller Begehren.

Nein, sie würde es nicht tun, das schwor sie sich. Niemals …

Mit einem erstickten Stöhnen öffnete sie die Lippen für ihn.

Nicolo ließ ihre Handgelenke los und packte sie bei den Hüften, zog sie auf sich. Seine Zunge erkundete die warme Höhle ihres Mundes, ließ sie den Geschmack seines Verlangens erahnen, seiner ungestümen Männlichkeit.

„Sag es“, befahl er. „Sag mir, was du willst. Was du seit heute Nachmittag gewollt hast.“

Bar jeglicher Vernunft, blind für alle Logik, konnte Aimee nur noch fühlen. „Dich“, wisperte sie. „Ich will dich. Schon den ganzen Tag. Ich konnte an nichts anderes denken, konnte dich nicht vergessen …“

Der Italiener legte seine Hände an ihr Gesicht und küsste sie, drängte sich zwischen ihre Schenkel. Doch das war nicht genug.

Aimee schmiegte sich an ihn, wollte mehr, brauchte mehr …

Sie stöhnte auf. Der Laut trieb Nicolo in den Wahnsinn. Sie schmeckte nach Erdbeeren und Sahne, nach Frühlingsregen und Sommersonne. Sie war alles, was ein Mann sich wünschen konnte.

Während er sie hochhob, schlang er sich ihre Beine um die Hüften und legte ihre Arme um seinen Hals.

Nicolo überlegte, ob er mit ihr in sein Hotel gehen sollte. Oder in ihre Wohnung. Er wollte sie sehen, wollte ihre Haut erkunden, wollte beobachten, wie sie die Augen aufriss, wenn er in sie eindrang.

Aber nicht jetzt. Jetzt brauchte er sie, ganz. Dringender als den nächsten Atemzug.

Nicolo trug Aimee zu dem Marmor-Waschtisch und setzte sie auf den Rand. Zog seinen Reißverschluss herunter, zerriss ihr Spitzenhöschen, die letzte Barriere.

„Sieh mich an“, murmelte er heiser.

Sie richtete die veilchenblauen Augen auf ihn. „Ja“, sagte sie leise, dann drang er in sie ein und fühlte, wie sie sich einer schalenlosen Muschel gleich fest um ihn schloss.

Im gleichen Moment schrie sie ihre Lust heraus, und er folgte ihr in einem wilden Sturm schier unerträglicher Ekstase.

Dann ließ sie mit einem Seufzer den Kopf an seine Schulter sinken.

Sanft streichelte er ihr über das weiche Haar, sprach in seiner Muttersprache leise auf sie ein und fragte sich, was hier gerade geschehen war.

Es war nicht das erste Mal, dass er schnellen, zügellosen Sex gehabt hatte. Auch nicht das erste Mal an einem öffentlich zugänglichen Ort. Beides konnte sehr aufregend sein. Sex war eigentlich immer aufregend.

Aber das, was hier gerade passiert war … so etwas hatte er noch nicht erlebt.

Er kannte nicht einmal den Namen der Frau. Außerdem hatte er keinen Schutz benutzt. Madre di Dio, war er komplett verrückt geworden?

Wieder ein Seufzer, er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals. Sie hob den Kopf und schaute in sein Gesicht. Unsicherheit lag in ihren Augen, ihre Lippen waren geschwollen von seinem Kuss. Sie war bleich, nur zwei rote Flecken standen auf ihren Wangen. „Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte. Ich habe noch nie … Oh Gott!“

„Ich auch nicht.“

Offensichtlich wollte sie noch etwas sagen, und er wusste schon jetzt, was es war: dass alles ein Fehler gewesen war und dass sie losgelassen werden wollte.

Es gab nur einen Weg, diese Worte zu verhindern – sie zu küssen.

Zärtlich zuerst, doch dann loderte das Feuer der Leidenschaft sofort wieder in ihm auf. Er begann sich in ihr zu bewegen, immer schneller, schluckte ihr Keuchen mit seinem Kuss, erreichte den Höhepunkt gleichzeitig mit ihr und wusste doch, dass es noch immer nicht genug war …

Jemand hämmerte laut an die Tür.

Die Frau in seinen Armen wurde bleich. „Da draußen ist jemand!“

Nicolo streifte ihre Lippen mit seinem Mund, zog sich aus ihr zurück und richtete sich schnell her, um wieder unter Menschen gehen zu können. Sie tat das Gleiche, aber er konnte sehen, dass ihre Hände zitterten.

Cara, sei nicht …“

„He, wollt ihr die ganze Nacht da drinnen bleiben?“, tönte es von der anderen Seite der Tür.

Nicolo sah die Frau an, die er gerade geliebt hatte. „Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns wenigstens vorstellen. Ich heiße …“

Aimee legte ihm sanft die Hand auf die Lippen. „Nein, keine Namen. Es ist nur ein Traum.“

Er fasste ihre Hand, drückte einen Kuss auf die Innenfläche. „Ein Traum, si. Der nicht zu Ende sein muss.“

„Nein, ich kann nicht …“

„In einem Traum kann man alles tun.“

Sie schüttelte den Kopf.

Nicolo küsste sie. „Komm mit mir.“

Wieder schüttelte sie stumm den Kopf.

„Gibt es einen anderen Mann?“

„Nein, aber …“

„Wir sind erwachsene Menschen, cara. Erwachsen und frei. Bleib heute Nacht bei mir.“ Er küsste sie erneut und sah ihr in die Augen.

„Ja“, hauchte sie.

Sein Herz schwang sich auf Flügeln in unermessliche Höhen empor. Er schlang einen Arm um ihre Taille und führte sie zur Tür, schloss auf.

Draußen stand ein Mann. „Das wurde aber auch Zeit. Wie lange soll …“ Sein Blick fiel auf Aimee, und er verstand. „Ach so. Na dann, nichts für ungut. Wenn das meine Flamme wäre, würde ich auch …“

„Achten Sie darauf, was Sie sagen, Mann!“, meinte Nicolo gepresst.

Der Mann wurde bleich und machte Platz für sie.

Aimee hatte nur den einen Gedanken: Was tue ich hier? Sie hatte gerade Sex mit einem Fremden gehabt, über den sie so gut wie nichts wusste, außer dass er kalt und unberechenbar sein konnte. Ihr namenloser Liebhaber drehte sich zu ihr und, als ob er ihre Gedanken lesen könnte, flüsterte er: „Denk nicht nach, nicht heute Nacht!“

Aimee sah Nicolo in die Augen, die von Winterfrost zu Sommersonnenschein wechseln konnten. Und als sie an seine Hände dachte, wie er ihren Körper berührt hatte, fiel der letzte Zweifel von ihr ab.

Ein Taxi brachte sie ins Zentrum, zu einem Hotel direkt am Park.

Er hatte eine Suite in einem Luxushotel gebucht, märchenhaft groß und verschwenderisch eingerichtet.

Sagte Geld etwas über den Charakter aus? Sie hätte gelacht, wenn er ihr nicht in diesem Moment die Träger von den Schultern gestreift und seine Hände an ihre Brüste gelegt hätte, um ihre harten Knospen mit Fingern und Zunge zu liebkosen … Oh Gott, oh Gott, oh Gott …

Die restlichen Stunden vergingen in einem Strudel der Leidenschaft. Flüstern und Seufzer und lustvolles Keuchen. Aimee verlor sich völlig in einem Universum der Sinnlichkeit.

Sie erwachte im ersten grauen Morgenlicht. Es traf sie wie ein Schlag, dass sie in den Armen eines Mannes lag, den sie nicht kannte.

Scham schlug über ihr zusammen, heiß und brennend.

Aimee schlüpfte aus dem Bett, zog sich hastig an und verließ leise die Suite. Sie nahm die Treppe nach unten und benutzte den Hinterausgang. Niemand sollte sie sehen, das hätte sie nicht ertragen können.

Nur Augenblicke später schlug Nicolo die Augen auf und tastete nach der Frau neben sich.

Doch das Bett war leer, ebenso wie das Bad und der Salon.

Fluchend zog er sich an. Nein, im Lift habe er niemanden nach unten gefahren, war alles, was der Liftboy ihm sagen konnte. Auch an der Rezeption sei niemand vorbeigekommen, informierte man ihn.

Die unbekannte Schöne war verschwunden.

Während die Sonne über der Stadt aufging, marschierte Nicolo in seiner Suite auf und ab. Wie sollte er eine namenlose Unbekannte in einer Achtmillionenstadt finden?

Doch eines war sicher, er würde sie finden. So leicht gab Nicolo Barbieri sich nicht geschlagen.

Bis Sonntagabend hatte Nicolo eine unschöne Lektion gelernt. Selbst ein Mann, der sich nicht geschlagen gab, konnte Niederlagen erleben.

Ganz gleich, wie viele Hundertdollarscheine den Besitzer gewechselt hatten, niemand kannte die Frau mit der goldenen Mähne und den violetten Augen.

Na gut, dachte er kalt. Eine Frau hatte sich für eine Nacht mit ihm eingelassen. Wahrscheinlich tat sie das regelmäßig mit Dutzenden von Männern. Wenn er sie nicht wiedersah … na und? Es bedeutete nichts. Sie bedeutete ihm nichts.

Das sagte er sich immer wieder vor, als er am Montagmorgen unter der Dusche stand.

Konzentrier dich auf das, weshalb du hergekommen bist. Das Treffen mit James Black und die Übernahme von SCB. Der Kauf eines Königreichs. Nichts ist so wichtig wie das.

Das Telefon klingelte. Nicolo stürzte unter der Dusche hervor und griff nach dem Hörer.

Das musste sie sein!

Doch es war nur Blacks Sekretärin, die das Treffen absagte. Mr. Black sei unpässlich. Man melde sich wieder, sobald es ihm besser gehe.

Nicolo spulte all die Floskeln ab, die man in solchen Momenten von sich gab, dann unterbrach er die Verbindung und starrte mit leerem Blick in den Spiegel über dem Waschbecken.

Ob das stimmte? Oder wollte Black ihn einfach nur zappeln lassen? Der Alte hatte den Ruf, andere gern wie Marionetten tanzen zu lassen.

Die Frau mit den violetten Augen hatte die gleiche Unart an sich. Sie verführte einen Mann, gewährte ihm ein paar Stunden und verschwand dann spurlos.

Nicolo ballte die Fäuste.

Black würde bezahlen und ihm SCB verkaufen. Und die unbekannte Frau … sie würde auch bezahlen. Er würde sie finden und ihr klarmachen, welche Konsequenzen es nach sich zog, ihn einfach sitzen zu lassen und sich ohne ein Wort davonzuschleichen.

4. KAPITEL

Sommer! Endlich!

Kein kalter Wind, kein ungemütlicher Regen mehr. Laue Brisen wehten durch die Stadt, die Juni-Sonne wärmte jeden Winkel. Das Wetter war so grandios, dass sogar den New Yorkern ein stilles Lächeln auf dem Gesicht stand.

Aimee merkte nichts davon.

Erinnerungen an das, was sie getan hatte, dass sie mit einem Fremden ins Bett gegangen war, verfolgten sie. Bilderfetzen blitzten zu den unmöglichsten Zeiten vor ihrem geistigen Auge auf.

Erblickte sie einen großen dunkelhaarigen Mann auf der Straße, setzte für Sekunden ihr Herz aus. Im Schlaf erschien er in ihren Träumen, sie sah sein schönes, hartes Gesicht und seinen durchtrainierten Körper. Sie stellte sich vor, wie er sie berührte, wie er sie küsste und Dinge mit ihr tat, die kein Mann vor ihm mit ihr getan hatte, wie er sie fühlen lassen würde, was sie noch nie zuvor gefühlt hatte.

Natürlich versuchte Aimee, die Erinnerung zu verdrängen. Doch im Schlaf würde sie aufstöhnen unter seiner Berührung und dann aufschrecken, atemlos und mit brennender Haut, voll unerfülltem Verlangen nach ihm, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass sie ihn verachtete. Dass sie sich selbst verachtete.

Nein, für Aimee würde es kein guter Sommer werden.

Sie verzog den Mund und trat aus der Duschkabine.

Dieser Mann. Und die Scham über ihr eigenes Verhalten.

Und an dem gleichen Wochenende hatte auch noch ihr Großvater einen Schlaganfall. Der gute Bradley war natürlich sofort zur Hilfe geeilt. Bis Aimee im Krankenhaus ankam, war Bradley bereits mit zwei alten Freunden von SCB vor Ort und wedelte ihr mit einem Wisch vor der Nase herum, auf dem James’ Unterschrift zu lesen war.

Zumindest behaupteten er und die beiden anderen, es sei James’ Unterschrift.

„Onkel hat mich zu seinem Stellvertreter ernannt, bis er sich wieder erholt hat.“ Bradley hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sein Triumphgefühl zu verheimlichen.

Aimee warf das Badelaken beiseite und ging an ihren Kleiderschrank.

Sie hätte dagegen vorgehen sollen, sie hätte einen Rechtsanwalt einschalten können. Aber sie fühlte sich so elend, so voller Selbstverachtung, dass sie einfach nicht die Kraft fand, sich auf einen Prozess mit Bradley einzulassen.

Ihr lieber Cousin machte sich sofort in Großvaters Büro breit und ordnete Änderungen an, bei denen sich ihr die Haare sträubten. Doch es gab nichts, was sie hätte tun können. Bis er wieder auf den Beinen war, hatte Bradley das Sagen. Sie dachte daran, zu ihrem Großvater zu gehen und ihm Bericht zu erstatten, doch sie wusste nicht, in welcher Verfassung er sich befand. Von der Klinik war er in seine Villa zurückgekehrt, einen ganzen Pulk von Ärzten und Pflegepersonal im Schlepptau; anscheinend hatte er Anweisung gegeben, dass er niemanden empfangen wolle.

Aimee waren die Hände gebunden. Sie konnte nur darauf warten, was als Nächstes passieren würde.

Gestern hatte das Warten schließlich ein Ende gehabt. James’ Sekretärin – nun Bradleys Assistentin – rief an. Aimee solle bitte am nächsten Morgen um zehn Uhr bei Stafford-Coleridge-Black erscheinen.

„Es tut mir sehr leid, Miss Black“, hatte die Sekretärin sie kurz angebunden abgewehrt, als Aimee begann, Fragen zu stellen. „Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie morgen alle Antworten bekommen.“

Als ob ich die noch bräuchte, dachte Aimee jetzt bitter. Sobald sie in der Bank ankam, würde Bradley ihr vom Chefsessel mit einem öligen Grinsen selbstzufrieden mitteilen, dass ihm von jetzt an die Leitung oblag.

Natürlich würde sie gegen ihn klagen. Schon aus Prinzip. Aber sie hatte nicht die geringste Chance. Bradley hielt ein Dokument in Händen und konnte Zeugen benennen. Sie hatte nichts, und die Kosten für so einen sinnlosen Prozess waren abschreckend.

Außerdem hatte sie in letzter Zeit immer weniger Energie. Ständig war sie müde, sie fühlte sich regelrecht ausgelaugt. Und immer wieder überkamen sie Wellen von Übelkeit.

Der Stress, sagte sie sich. Wegen ihres Großvaters, schließlich liebte sie ihn trotz allem. Und wegen der Zukunft von Stafford-Coleridge-Black, denn die Bank liebte sie auch.

Und Stress wegen dieser Nacht mit dem Fremden, der sie verführt hatte.

Nein, so stimmte das nicht. Sie war einverstanden gewesen. Nicht nur einverstanden, sondern gierig. Es war das Aufregendste, was sie je erlebt hatte. So war Sex noch nie für sie gewesen. Und würde es nie wieder sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, je wieder mit einem anderen Mann zusammen zu sein …

Aimee blinzelte.

Sie hatte wichtigere Dinge zu erledigen.

Gestern war sie endlich zu ihrer Ärztin gegangen. Sie hörte sich aufmerksam Aimees Beschwerden an, ließ Blut- und Urinproben nehmen und sagte Aimee, in ein paar Tagen seien die Laborergebnisse zurück.

„Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken, Miss Black“, meinte die Ärztin sachlich. „Ich vermute, dass es nichts Ernstes ist.“

Wahrscheinlich nur fehlende Vitamine. Und Schlafmangel.

Und zu viele wirre Träume.

Doch wie sollte man sich keine Sorgen machen, wenn man auf Laborergebnisse warten musste?

Und jetzt noch dieses unnütze Meeting mit Bradley. Mit Sicherheit wollte er nur ihr Gesicht sehen, wenn er ihr mitteilte, dass er nun für immer fest im Chefsessel der Bank sitzen würde.

Fertig angezogen – leichtes Sommerkostüm, flache Schuhe, dezentes Make-up –, betrachtete Aimee sich im Spiegel. Die Frau, die sie dort erblickte, war ihr wirkliches Ich. Intelligent, bestens ausgebildet, kompetent.

Diese Frau hatte nichts gemein mit jener im Spiegel der Nachtclubtoilette …

Sie durfte sich jetzt nicht von solchen Gedanken ablenken lassen. Bradley hatte vor, ihr das Messer in den Rücken zu stoßen. Aber sie würde den Teufel tun und ihn ihr Blut sehen lassen. Sie würde nicht die geringste Emotion zeigen.

So sah ihr Plan aus. Er hätte auch funktioniert, wenn nicht … ja, wenn die Szenerie nicht so ganz anders ausgesehen hätte, als Aimee pünktlich auf die Minute das Vorstandszimmer bei Stafford-Coleridge-Black betrat.

Nicht Bradley, sondern Großvater saß am Kopfende des langen Verhandlungstisches.

Und der Fremde, mit dem Aimee geschlafen hatte, saß ihm gegenüber.

Nicolo war alles andere als gut gelaunt.

Seit dieser Episode vor drei Monaten war er jetzt das erste Mal wieder in New York. Er musste feststellen, dass jene Nacht seine Einstellung zu der Stadt verändert hatte.

Nicht zum Besseren.

Bisher hatte er die Zeit in Manhattan immer genossen. Jetzt konnte er jedoch nicht schnell genug wieder von hier wegkommen.

Mit einem nur schlecht kaschierten Blick sah er auf seine Armbanduhr. Sobald diese Sitzung mit Black vorüber und der Deal, den die beiden Männer während der letzten zwei Wochen per Fax und Telefon besprochen hatten, endgültig besiegelt war, würde er von hier verschwinden.

Gestern, als sie sich endlich persönlich trafen, hatte Black von einem letzten Punkt gesprochen, über den man sich noch einig werden müsse.

„Und der wäre?“, hatte Nicolo gefragt.

„Nichts, dem ein cleverer Mann nicht zustimmen könnte, Prinz Barbieri“, hatte der alte Mann gesagt und mit einem knochigen Zeigefinger gewunken.

Nicolo machte sich keine Sorgen über diesen letzten Punkt. Der Preis war vereinbart, das Übernahmedatum stand fest. Es konnte sich also nur um eine Wiederholung von Blacks Anliegen handeln, die Identität der Bank innerhalb der Barbieri-Unternehmensgruppe zu wahren. Der Alte erwartete wahrscheinlich irgendeine Garantie.

Nicolo sah keinen Grund, den Namen der Bank zu ändern. Fast hätte er dem Alten gestern schon am Telefon die Zusage gemacht. Doch dann wäre Black sicher noch eine andere Bedingung eingefallen.

Also hatte er zugesagt, heute noch einmal bei Black zu erscheinen, zu einem letzten Treffen. Und war gezwungen gewesen, noch eine Nacht in dieser Stadt zu verbringen.

Eine weitere schlaflose Nacht, in der ihn Erinnerungen quälten, wie er sich von einer Frau zum Narren hatte halten lassen.

Dio, das war doch lächerlich! Er hatte einen One-Night-Stand gehabt! Der beste Sex seines Lebens, und das wollte etwas heißen. Fantastischer Sex, ohne den Morgen danach. Keine Frau, die ihn über den Frühstückstisch anhimmelte und fragte, wann man sich denn wiedersehe. Keine Namen, keine Verpflichtungen. Der Traum eines jeden Mannes.

Und warum regte es ihn dann so auf, dass sie aus seinem Bett verschwunden war, während er noch schlief?

Noch jetzt krümmte er sich innerlich, wenn er daran dachte, wie er zum Liftboy und zum Nachtportier gerannt war, um nachzufragen, ob jemand sie gesehen hatte. Wie er mit dem Taxi zum Nachtclub gefahren war und Fragen nach ihr gestellt hatte.

Extrem peinlich.

Keine Frau sollte eine Beziehung beenden, selbst wenn diese „Beziehung“ nur ein paar Stunden gedauert hat. Sicher, er wusste über die moderne Gleichberechtigung Bescheid, dennoch … keine Frau ließ Nicolo Barbieri sitzen!

Diese Frau jedoch hatte es getan, und das schmeckte ihm ganz und gar nicht!

Deshalb bekam er sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Selbst jetzt nicht, wo er kurz vor dem Abschluss eines Deals stand, auf den er Jahre hingearbeitet hatte. Und anstatt sich darauf zu konzentrieren, dachte er an eine Frau, die …

„Prinz Barbieri?“

… die von Glück sagen konnte, dass er sie nicht gefunden hatte, denn sonst …

„Hoheit, Sir?“

„Si.“ Nicolo räusperte sich. „Können wir jetzt anfangen? Also, ich habe mir meine Unterlagen noch einmal angesehen und …“

Er schaute auf.

Die Welt löste sich aus den Angeln.

Die Frau mit den violetten Augen stand in der Tür und starrte ihn an, so wie er sie anstarrte. Als sähen sie einen Geist.

Nicolo beobachtete, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Ihr Unterkiefer klappte herunter. Ihre Brust hob und senkte sich unter dem züchtigen Jackett.

Züchtig, das war die passende Beschreibung für ihr Aussehen. Wer immer sie war, heute war sie in die Rolle der tugendhaften Jungfrau geschlüpft.

Ein Muskel begann in Nicolos Wange zu zucken. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

Aimee wich einen Schritt zurück, ihre Augen flehten ihn an. Nicht!

Nicolo vergaß alles. Das Vorstandszimmer. Den alten Mann. Den Vertragsabschluss.

„Oh doch“, sagte er grimmig.

Sie schüttelte stumm den Kopf, wich weiter zurück.

Black schaute verwirrt von einem zum anderen. „Sie kennen sich bereits?“

Ruckartig wandte Nicolo den Kopf. „Wie bitte?“

„Ich fragte, ob Sie meine Enkelin bereits kennengelernt haben, Hoheit.“

Auf seinem Weg an die Spitze hatte Nicolo mit Finanztycoons verhandelt und mit Staatsoberhäuptern gesprochen, doch jetzt fehlten ihm die Worte. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Diese Kreatur, die mit einem Fremden schlief und dann in der Nacht verschwand, war Blacks Enkeltochter?

Natürlich, das passte. Eine verwöhnte reiche Göre, die tagsüber die brave Enkelin spielte und nachts zur lockenden Sirene wurde. Die Reichen brachten diese Spezies zu Dutzenden hervor.

„Entschuldige, Großvater, ich wusste nicht, dass du beschäftigt bist.“ Ihre Stimme bebte leicht, aber Nicolo musste ihr zugestehen, dass sie sich schnell gefangen hatte. „Ich komme später noch einmal zu dir. Oder morgen.“

„Hoheit, bitte setzen Sie sich. Du auch, Aimee. Dieses Meeting betrifft dich ebenfalls.“

Ihr entsetzter Blick glitt von ihrem Großvater zu Nicolo. Der Italiener kniff die Augen leicht zusammen. Was zum Teufel ging hier vor? Was plante der alte Bankier?

Nicolo würde es wohl nur herausfinden, wenn er sich in Geduld übte. „Was für eine angenehme Überraschung, Miss … Black, nehme ich an?“

Aimee nickte. „Ja.“

„Nun, in diesem Falle … setzen Sie sich doch zu uns.“

Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, zeigte deutlich, dass sie ihre Fassung zurückerlangt hatte. „Mein Großvater bat mich bereits, Platz zu nehmen. Ihre Einladung ist also völlig unnötig.“

„Aimee!“

„Nein, Signore Black, Ihre Enkelin hat recht.“ Nicolo lächelte kühl. „Schließlich sind es Ihre Räumlichkeiten.“

„Nicht mehr lange“, erwiderte der alte Mann.

Aimee sah abrupt zu ihm hin. „Was soll das heißen?“

„Setz dich, und du wirst es erfahren.“

Nicolo zog den Stuhl neben seinem hervor. „Ein ausgezeichneter Vorschlag.“ Seine Stimme wurde härter. „Setzen Sie sich, Miss Black.“

Er sah, wie sie schluckte. Dann schob sie das Kinn vor und ging mit überheblicher Miene zu ihrem Großvater, um sich auf dem Stuhl zu seiner Rechten niederzulassen. Nicolo setzte sich ebenfalls. Wortlos.

James Black räusperte sich. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Aimee. Kennt ihr euch?“

„Wir … wir trafen uns bereits. Flüchtig.“

„Tatsächlich?“ Nicolo lächelte ihr eisig zu. „Dann muss Ihr Gedächtnis besser sein als meins. Denn sonst würden wir doch unsere Namen kennen, nicht wahr?“

Hektische rote Flecken erschienen auf ihren Wangen, doch als sie sprach, klang ihre Stimme kühl und gefasst. „Ich sehe nicht ganz, was daran so wichtig sein sollte. Großvater, wer ist dieser Mann? Und was will er hier?“

Black verschränkte die knochigen Finger auf dem polierten Holztisch. „Aimee, das ist Nicolo Barbieri. Prinz Nicolo Barbieri aus Rom.“

Ihre Miene zeigte, wie wenig der Titel sie beeindruckte.

„Ich nehme an, du hast erwartet, Bradley zu sehen. Bradley ist mein Großneffe und Aimees Cousin“, fügte Black in Nicolos Richtung hinzu.

Aimee äußerte sich nicht dazu, sie war zu erschüttert, den Fremden, mit dem sie vor drei Monaten geschlafen hatte, hier zu sehen. Warum nur war er hier?

„Interessiert es dich denn nicht, warum Bradley nicht anwesend ist, Aimee?“

Eine gute Frage. Bradley würde sich niemals die Chance entgehen lassen, ihre Reaktion mitzuerleben, wenn ihm die Verantwortung für SCB übertragen wurde.

Aimee setzte sich gerader auf. Diesen Mann hier vorzufinden trübte ihr Urteilsvermögen, und das durfte sie nicht zulassen. Nicht, wenn auch nur die geringste Chance bestand, vernünftig mit ihrem Großvater zu reden.

„Natürlich interessiert es mich. So wie ich Bradley kenne, will er seinen Triumph doch sicher voll auskosten.“

James gluckste in sich hinein. „Wie Sie sehen“, sagte er zu Nicolo, „nimmt meine Enkelin kein Blatt vor den Mund.“ Dann wandte er sich an Aimee. „Bradley hat weder zu triumphieren noch etwas auszukosten. Ich habe wieder die Kontrolle über die Bank an mich genommen. Und nachdem ich die Akten der letzten drei Monate durchgesehen habe, musste ich erkennen, was für ein Fehler es war, Bradley die Zügel in die Hand zu geben.“

Aimee legte die Hände auf den Schoß und ballte die Fäuste. „Ich bin froh, dass du das erkannt hast, Großvater.“

James nickte. „Aus diesem Grund bist du heute hier.“

„Entschuldigen Sie, Signore Black.“ Nicolo konnte seine Ungeduld nicht länger zügeln. „Ich würde gerne wissen, was hier gespielt wird. Wieso ist diese Frau …“

„Meine Enkelin.“

„Was hat sie mit unserer Vereinbarung zu tun?“

„Welche Vereinbarung?“, kam es überrascht von Aimee.

„Aimee ist der Überzeugung, sie sollte die Verantwortung für Stafford-Coleridge-Black übernehmen, Hoheit.“

Nicolos Mundwinkel zuckten. Eine Frau, diese Frau, als Kopf einer milliardenschweren Privatbank? Er hätte ja gern laut gelacht, aber James Black meinte es völlig ernst.

Zumindest verstand er jetzt, warum Aimee Black mit in diesem Raum war. Ihr Großvater hielt es für angebracht, dass sie die Neuigkeiten aus direkter Quelle erfuhr – nämlich dass die Bank an Nicolo verkauft werden würde.

Wochenlang hatte er sich Wege ausgedacht, wie er es seiner großen Unbekannten heimzahlen könnte, aber das hier war besser als alles, was ihm je hätte einfallen können. Ihr Schock, wenn sie erfuhr, dass ausgerechnet er das bekam, was sie – absurderweise – so unbedingt haben wollte, war mehr, als er sich hätte träumen lassen.

Manchmal, dachte er und lehnte sich entspannt in den Stuhl zurück, hat man eben Glück.

„Meine Enkelin hat über viele Jahre während der Sommermonate hier in unserer Bank gearbeitet.“

„Wie nett.“ Jetzt konnte Nicolo großzügig sein.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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