Julia Sommerliebe Band 20

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HEISSER FLIRT IM PARADIES von MARSH, NICOLA
Golden glitzert das Meer, sanft streichelt der Wind Abbys sonnenwarme Haut. Liegt es an der paradiesischen Kulisse, dass zwischen ihr und Jugendschwarm Judd plötzlich die Funken sprühen? Abby gibt sich ihren Gefühlen hin - und riskiert, den besten Freund zu verlieren …

RENDEZVOUS AM MITTELMEER von HOOD-STEWART, FIONA
Die junge Hollywood-Schönheit Victoria fühlt sich wie im Märchen, als Prinz Rodolfo sie auf sein Schloss am Mittelmeer einlädt. Während er ihr die schönsten Seiten seiner Heimat zeigt, verliebt sie sich unsterblich. Aber ihrem Glück scheint keine Zukunft vergönnt …

LIEBE MICH BEI SONNENUNTERGANG von MCDONAGH, MARGARET
Sommer auf Elba: Am Strand, wo schon ihre Großeltern sich ineinander verliebten, begegnet Gina dem faszinierenden Sebastiano. Mit seinem Charme erobert der heißblütige Italiener schon bald ihr Herz. Doch dann erfährt Gina zufällig, wer ihre Urlaubsliebe wirklich ist …


  • Erscheinungstag 03.06.2009
  • Bandnummer 20
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952175
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicola Marsh, Fiona Hood-Stewart, Margaret McDonagh

JULIA SOMMERLIEBE, BAND 20

NICOLA MARSH

Heißer Flirt im Paradies

Als Abby eine Woche mit Judd auf einer tropischen Trauminsel verbringt, sieht sie ihren Jugendfreund plötzlich mit ganz anderen Augen: Er ist so sexy, so verführerisch … Und ehe Abby sich versieht, steckt sie mitten in der leidenschaftlichsten Affäre ihres Lebens. Doch sind diese Sonnentage des Glücks es wirklich wert, eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen?

FIONA HOOD-STEWART

Rendezvous am Mittelmeer

Auf den Filmfestspielen in Cannes begegnet die junge Schauspielerin Victoria Woodward dem Mann ihrer Träume. Prinz Rodolfo von Malvarina ist nicht nur überaus attraktiv und charmant, er lädt sie auch spontan auf sein Schloss ein. Doch während Victoria immer mehr ihr Herz verliert, muss sie erkennen: Für eine Bürgerliche scheint kein Platz an Rodolfos Seite …

MARGARET MCDONAGH

Liebe mich bei Sonnenuntergang

Nie wieder will sie sich verlieben! Das hat Gina sich nach ihrer Trennung geschworen. Bis sie am Strand von Elba den ebenso gut aussehenden wie charmanten Sebastiano kennenlernt. Doch kaum beginnt sie wieder an das Glück zu glauben, muss sie erfahren, dass Sebastiano sie belogen hat. Verletzt reist sie ohne ein Wort des Abschieds zurück nach Schottland …

1. KAPITEL

Style-Beraterin Abby Weiss begeistert die Modewelt. Bewundern Sie ihr neuestes Werk im Trendmagazin Finesse. Als perfekte Kulisse für ihre Arbeit dienten Weiss die paradiesischen Whitsunday Islands. Abby Weiss – das aufstrebende neue Talent am Modehimmel!

Abby konnte die Schlagzeilen schon vor sich sehen.

Im Grunde schwirrten sie ihr im Kopf herum, seit sie den Anruf von Marc Pyman erhalten hatte. Marc war der Chefredakteur von Finesse, und er hatte Abby ein unwiderstehliches Angebot unterbreitet: Sie sollte für die Sommerausgabe der Zeitschrift als Modestylistin arbeiten. Während des Fluges auf die Sapphire Islands und selbst nachdem sie ihre Suite im eleganten Resort-Hotel bezogen hatte, waren ihre Gedanken immer nur um diese Schlagzeilen gekreist.

Was Abby bisher von der Insel gesehen hatte, genügte, um ihre Fantasie zu beflügeln. Mit Kreativität und Fleiß müsste es ihr eigentlich gelingen, aus diesem Auftrag die Chance ihres Lebens zu machen. Marc hatte so eine Andeutung gemacht, und Abby wusste, dass er Recht hatte.

Selbst die Schrift der Schlagzeile erschien schon vor ihrem geistigen Auge. In großen fetten Lettern würde der Text in der Finesse stehen. Und Abby war klar, dass sie den Artikel ausschneiden und zu Hause in Sydney über ihren Schreibtisch hängen würde.

Da war sie also. Die Chance, auf die sie immer gewartet hatte.

Mit federnden Schritten durchquerte sie die Poolbar. Die vielen tropischen Pflanzen und exotischen Orchideen waren die perfekte Inspiration für das bevorstehende Fotoshooting.

Die Sapphire Islands hatten schon oft als Kulisse für Modestrecken gedient. Viele australische Designer ließen ihre neuesten Modelle hier ablichten. Und jedes Mal waren die Fotos ein Knaller. Zum Glück hatte Marc auch Abby professionelle Models zur Seite gestellt, was die Arbeit um einiges erleichtern würde.

„Das gibt es doch nicht! Was das Meer so alles zu Tage fördert!“

Abby wirbelte herum, als sie eine vertraute Stimme neben sich vernahm. Sie traute ihren Augen nicht.

„Du meine Güte! Ich glaube es nicht. Bist du es wirklich?“

Vor ihr stand Judd Calloway. Leibhaftig. Seit mehr als drei Monaten hatte sie nichts von ihm gehört. Eine ziemlich lange Zeit, wo sie doch eigentlich immer regelmäßig Kontakt hielten – auch wenn sich dieser Kontakt in den letzten acht Jahren auf Internet und Telefon beschränkt hatte. Acht Jahre. Acht Jahre seit ihrem Fehltritt am Abend der Schulabschlussparty. Zum Glück war es ihnen gelungen, diesen einmaligen Ausrutscher zu vergessen und stattdessen eine lange und enge Freundschaft aufzubauen. Eine Telefonfreundschaft, um genau zu sein. Aber was machte das schon.

Vergessen konnte manchmal hilfreich sein, zumindest war es das in all der Zeit gewesen, in der Abby nichts weiter als Judds Seelenfreundin gewesen war.

Jetzt streckte sie ungläubig eine Hand aus und tippte ihm zögernd an die Brust: Er fühlte sich echt an. Sehr echt sogar. Seine kräftigen Muskeln gaben unter ihrer Berührung kaum nach. „Was bitte machst du hier?“

Judd grinste. Seine hellbraunen Augen funkelten, und Abby antwortete instinktiv mit einem Lächeln. Unglaublich, dass er wirklich hier vor ihr stand.

„Was ist denn das für eine Art, seinen neuen Starfotografen zu begrüßen?“

„Wie, Starfotograf? Du meinst … Soll das heißen, dass Du das Shooting machst? Aber das sind Modefotos, Judd, keine Wildtieraufnahmen!“

Judd setzte sich auf den nächsten Barhocker und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich.

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich hab gestern Abend einige von deinen Leuten feiern sehen, und das sah nicht viel anders aus.“

„Das sind nicht ‚meine Leute‘. Ich arbeite nur mit ihnen.“

„Und du gehst mit ihnen aus“, neckte er. Dann griff er nach einer von Abbys Locken und strich sie ihr hinters Ohr. „Geschmäcker sind verschieden, stimmt’s?“

Abby versuchte gegen ihr Erröten anzukämpfen, doch es gelang ihr nicht. Judd hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, das sie sich nicht erklären konnte.

Es war so lange her, dass er sie das letzte Mal berührt hatte. Abgesehen von ihren wirren Träumen, in die er sich in manch heißer Nacht eingeschlichen hatte.

„Da hast du recht. Geschmäcker sind verschieden. Es ist wohl ein Wunder, dass ich ausgerechnet zu dir noch Kontakt halte, was?“

Er lachte nur. Es war ein warmes, kehliges Lachen, das immer noch so klang wie damals.

„Jetzt erzähl schon, Judd. Ich dachte, du bist in Südafrika und fotografierst Wildkatzen? Was um alles in der Welt bringt einen begnadeten Wildtierfotografen dazu, Designermode abzulichten?“

Judd hatte Abby immer damit aufgezogen, dass sie in der Modebranche arbeitete. Seiner Meinung nach war das eine „oberflächliche Szene“, und er interessierte sich überhaupt nicht dafür. Nur irgendetwas oder irgendjemand Wichtiges konnte ihn also dazu bewogen haben, selbst hier zu arbeiten.

„Das werde ich dir noch früh genug verraten.“ Judd imitierte einen Kellner: „Was möchte die Dame trinken?“

„Wie immer, bitte.“

Judd grinste und um seine Augen herum bildeten sich sympathische Lachfältchen. „Das soll ein Test sein, oder?“

„Ganz genau.“

„Trinkst du etwa immer noch dieses scheußliche Gemisch? Wie damals in der Highschool? Wie furchtbar.“

„Genauso furchtbar wie die Tatsache, dass du dich noch daran erinnerst“, neckte Abby. Plötzlich musste sie lächeln, als sie an Judds alberne einzeilige Postkarten dachte. Nie hatte er auf einer seiner zahlreichen Reisen vergessen, ihr eine zu schicken. Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie jede einzelne aufgehoben hatte?

Judd wandte sich an den Barkeeper: „Wasser mit einem Schuss Limonensirup für die Dame und ein Bier für mich. Danke.“

„Und, hab ich bestanden?“, fragte er mit einem Grinsen.

„Du hattest schon immer ein gutes Gedächtnis“, lobte Abby. Insgeheim war sie beeindruckt, aber das behielt sie lieber für sich. „Jetzt verrat mir endlich, was dich hierher führt.“

„Die glückliche Fügung hast du einer Freundin von mir zu verdanken. Sie hat mich gebeten, ihr den Gefallen zu tun und den Job anzunehmen. Sie wollte sich damit bei Marc Pyman bedanken, der ihr schon einige Aufträge vermittelt hat. Deshalb bin ich hier.“

Während Judd die Getränke entgegennahm, wiederholte Abby seine Worte im Stillen.

Eine Freundin. Er hatte eine Freundin gesagt.

Wer war diese mysteriöse Frau, auf die Judd offenbar so große Stücke hielt, dass er ihr zuliebe zum Modefotografen mutierte? Seit er Pier Point verlassen hatte, war es noch niemandem gelungen, ihn seine Wildtierleidenschaft auszutreiben.

Betont lässig nippte Abby an ihrem Glas.

„Kenne ich diese Freundin?“

„Wahrscheinlich. Paula macht eine Menge für Finesse.“

„Paula? Das australische Supermodel? Ja, wir haben ein paar Mal zusammen gearbeitet. Sie ist nett. Ich wusste nur nicht, dass ihr euch kennt.“

Judd trank einige Schlucke seines eiskalten Bieres. Zum Glück bemerkte er nicht, wie verärgert Abby darüber war, dass Paula so einen großen Einfluss auf ihren besten Freund hatte.

„Ich war in Südamerika, wo ich eine Fotostrecke über Anakondas gemacht habe. Danach bin ich einige Tage in Rio gewesen. Und dort habe ich Paula bei einem Bikinishooting kennengelernt.“

„Das hast du nie erzählt.“ Abby bemühte sich, ganz ungezwungen zu klingen. Es gelang ihr nicht wirklich. Aber wieso sollte Judd ihr eigentlich Rechenschaft darüber ablegen, mit wem er sich traf?

Judd zuckte die Achseln, und sofort wurde Abbys Aufmerksamkeit auf seine breiten Schultern gelenkt. Er war schon immer muskulös gewesen, doch jetzt wirkte er richtig durchtrainiert. Abby erinnerte sich wieder daran, wie er sich angefühlt hatte, an jenem Abend vor mehr als acht Jahren.

„Paula ist eine tolle Frau. Wir haben viel gemeinsam.“

„Ach ja?“

Es gelang Abby nicht, ein verächtliches Naserümpfen zu unterdrücken. Es war die pure Eifersucht. Bisher hatte ihr jede von Judds Eroberungen einen Stich versetzt, und insgeheim war sie jedes Mal überglücklich gewesen, wenn seine Beziehungen schon nach wenigen Wochen wieder in die Brüche gingen.

Natürlich hatte auch sie in der Zwischenzeit einige Männer kennengelernt. Aber es war nie der Richtige dabei gewesen, und letztendlich war es immer Judd gewesen, dem Abby von ihren Fehlgriffen berichtete. Manchmal hatten sie gemeinsam stundenlang über ihre Pannen und unmöglichen Verabredungen gelacht.

Warum nur verursachte ihr die Vorstellung, dass Judd mit dieser langbeinigen Paula ausging, einen so bitteren Geschmack im Mund? Vielleicht lag es ja nur an dem säuerlichen Limonenwasser, das sie gerade trank.

Wahrscheinlich.

Doch Abby kannte den wahren Grund: Obwohl ihm diese Frau angeblich nichts bedeutete, unterbrach Judd ihretwegen seine Reisen und kehrte zum ersten Mal seit Jahren wieder in die Heimat zurück. Das konnte kein gutes Zeichen sein.

„Ja. Paula und ich sind beide ständig unterwegs, und wir lieben dieses Gefühl. Uns hält nichts lange an einem Fleck. Und wir essen beide für unser Leben gerne Vanilleeis.“

Gott, wie rührend! Bitte nicht!

Vanilleeis? Willst du mich auf den Arm nehmen? Paula, die Bohnenstange, isst Eis?“

Judd runzelte die Stirn. Überrascht musterte er Abby. „Das ist doch gar nicht deine Art, so gehässig zu sein. Was ist denn los mit dir?“

Abby fühlte sich auf unangenehme Weise ertappt. Scheinbar war ihr die tropische Hitze zu Kopf gestiegen. Judd war doch ihr bester Freund. Sie hatte ihn seit acht Jahren nicht gesehen, und jetzt führte sie sich auf wie eine hysterische Ziege. Nur weil er eine neue Bekannte hatte. Eine äußerst attraktive Bekannte.

„Nichts ist los. Ich glaube, ich bin nur etwas müde.“

Judds Gesichtszüge entspannten sich wieder. Noch ehe Abby ihm ausweichen konnte, hatte er einen Finger unter ihr Kinn gelegt und hob sanft ihren Kopf. Er grinste: „Für mich klang es eher, als wärst du ein wenig eifersüchtig?“

„Dann stimmt etwas mit deinem Gehör nicht.“

Seine Berührung hatte Abby durcheinandergebracht. Ganz so wie damals.

Sie bemerkte, wie ihr Puls raste. Doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, während er sich zu ihr hinüberbeugte und ihr tief in die Augen blickte. Er lächelte, bevor er einen flüchtigen Kuss auf ihre Nasenspitze hauchte.

„Ich hab dich vermisst, Miss Weiss.“

Der Duft seines Aftershaves hüllte sie ein. Es war eine warme männliche Note, die leicht nach Moschus roch. Abby musste zugeben, dass der Duft zu Judd passte.

In der Schule hatte er nie Parfum benutzt. Trotzdem hatte er schon damals herrlich gerochen. Sie musste es wissen, schließlich hatte sie das T-Shirt, das er ihr am Tag seiner Abreise vor acht Jahren geschenkt hatte, etwa einen Monat nicht gewaschen. Ab und an hatte sie es aus dem Schrank genommen und daran geschnuppert, und manchmal hatte sie sogar darin geschlafen.

Das Traurige war, dass Abby dieses T-Shirt immer noch aufbewahrte. Es lag zusammengelegt ganz unten in ihrer Wäscheschublade. Als Erinnerung an eine Zeit, in der sie noch dachte, dass Judd eines Tages mehr für sie empfinden könnte als nur Freundschaft.

Instinktiv wich Abby zurück. „Wie konntest du mich denn vermissen? Wir haben doch ständig telefoniert.“

„Eben. Wir haben immer nur telefoniert.“

Judd griff nach Abbys Hand. Seine warmen Finger schlossen sich um ihre. Abby fühlte, wie eine wohlige Welle des Glücks sie durchflutete. Sie hatte Judd so lange nicht gesehen. Und sie hatte seine Berührungen so oft herbeigesehnt. Die spielerischen Knuffe, das Händchenhalten und die schüchternen Umarmungen. In der Highschool waren er und sie unzertrennlich gewesen.

Natürlich hatte Judd recht. Telefonkontakt war eine völlig andere Sache als das hier.

„Es ist ganz schön lange her, Judd …“

„Acht Jahre.“

Abby nickte, während sie versuchte, mit dem Strohhalm nach den Eiswürfeln in ihrem Glas zu fischen. Sie verstand nicht, warum sie plötzlich so nervös war.

Der Mann neben ihr war doch nur Judd. Judd Calloway aus Pier Point.

Ihr bester Kumpel.

Wieso nur hatte sie plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas zwischen ihnen anders war als früher? Eigentlich war es ihr doch gelungen, ihre Schwärmerei für ihn abzulegen. Sie war so glücklich gewesen, dass sie es trotz der großen Entfernung geschafft hatten, eine gute Freundschaft zu pflegen.

In den letzten Jahren war sie erwachsen geworden. Was für einen Grund gab es also, dass sie sich in seiner Gegenwart so unsicher fühlte? Lag es daran, dass er immer noch unverschämt gut aussah? So verdammt sexy?

Sie musste dringend das Thema wechseln. „Wie läuft es beruflich bei dir? Gefällt dir die Arbeit immer noch?“

„Mit Tieren zu arbeiten ist das Beste, was es gibt. Eines Tages solltest du mitkommen und es dir ansehen.“

Plötzlich ließ er ihre Hand los und griff hastig nach seinem Bier. Abby fragte sich, was so plötzlich das Lächeln aus seinem Gesicht getrieben hatte.

„Na ja, im Moment ist das eher schwierig. Wenn ich diesen Job hier gut mache, werde ich vielleicht richtig bei Finesse einsteigen.“

„Dann ist der Job also sehr wichtig für dich?“

„Auf jeden Fall.“ Es ist der Grund, weswegen ich am Morgen aufstehe.

Die Wahrheit war, dass Abby nicht viel mehr hatte außer ihrer Arbeit. Ihr bester Freund reiste in der Weltgeschichte herum, und außer ihren Kollegen hatte sie kaum Bekannte. Für die meisten von ihnen bestand das Leben ohnehin nur aus Partys.

Judds Reaktion auf ihre Worte überraschte sie. Er schien irgendwie enttäuscht zu sein. Dabei war die Arbeit doch auch für ihn das Wichtigste, oder etwa nicht? Warum sonst war er acht Jahre lang nicht zu Hause gewesen?

„Auf uns und auf eine erfolgreiche Woche.“ Judd prostete ihr zu.

Eine Woche. Eine ganze Woche mit dem Mann, den sie so sehr vermisst hatte und dem es immer noch gelang, ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

„Gut, trinken wir darauf.“

Als sie miteinander anstießen, bildete sich ein kleiner Riss in Abbys Glas. Hoffentlich kein schlechtes Omen, dachte sie.

Vielleicht war sie in letzter Zeit zu streng mit sich gewesen. Vielleicht hatte sie zu lange niemanden mehr kennengelernt.

Vielleicht würden schon diese paar Tage mit Judd ausreichen, um sie wieder glücklich und zufrieden zu machen.

Doch was auch immer dieses nervöse Kribbeln in ihrem Bauch auslöste, sie musste es schnellstens loswerden. Judd bedeutete ihr viel, und keinesfalls wollte sie seine Freundschaft aufs Spiel setzen.

Um nichts in der Welt.

2. KAPITEL

Judd fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und starrte in sein Spiegelbild auf der anderen Seite der Bar.

Er hatte sich in den letzten acht Jahren kaum verändert. Gut, er war reifer und erwachsener geworden. Aber er war immer noch derselbe Mann. Warum also hatte Abby ihn angestarrt, als hätte sie einen Geist gesehen?

Er hatte erwartet, dass sie überglücklich sein würde, ihn nach all der Zeit wiederzusehen. Gefreut hatte sie sich natürlich. Und doch spürte er, dass etwas mit ihr nicht stimmte.

Obwohl ihr letztes Gespräch schon einige Monate zurücklag, wusste Judd, dass er Abby fast besser kannte als sie sich selbst. Schon mehrfach hatte es ihn erschreckt, wie vertraut sie miteinander umgingen.

Zum Glück war Abby anders als die meisten Frauen. Sie erwartete nichts von ihm. Es genügte ihr, seine beste Freundin zu sein. Wenn sie jemals mehr von ihm verlangt hätte, wäre er geflüchtet. So wie damals, vor acht Jahren.

„Na, bewunderst du mal wieder dein Spiegelbild? Du hast dich überhaupt nicht verändert.“

Verwirrt drehte er sich zu Abby um. Er hatte nicht bemerkt, wie sie von der Damentoilette zurückgekommen war. Jetzt nahm sie wieder auf ihrem Barhocker Platz und lächelte ihn an. Für einen Moment glaubte er in ihren Augen zu versinken.

Sie hatten sich immer mal wieder Fotos zugeschickt. Er wusste also, dass Abby ihre Haare immer noch lang trug und dass sie eine Schwäche für viel zu teure Designerfummel hatte. Doch sie jetzt hier in Fleisch und Blut vor sich zu sehen, war etwas völlig anderes. Und es gefiel ihm.

Auf den Fotos, die sie ihm geschickt hatte, war nie ihr ganzer Körper zu sehen gewesen. Judd ließ seinen Blick unauffällig über ihre langen Beine, die schmale Taille und den hübschen Busen wandern. Die sportliche Figur von damals war weiblicheren Kurven gewichen, die ihr ausgesprochen gut standen. Und er wäre kein Mann gewesen, hätte er es nicht bemerkt. Freundschaft hin oder her.

„Ich habe noch nie mein eigenes Spiegelbild bewundert“, versuchte er sich zu verteidigen. Er war sich nicht sicher, ob Abby ihm das abkaufte. Sie wusste so einiges über seine Vergangenheit.

Amüsiert hob sie eine Augenbraue. „Ach ja? Ich erinnere mich dunkel, wie du einmal vor meinem großen Spiegel posiert hast, nachdem du aus dem Fitnessstudio kamst. Und dann hast du dir einmal dieses schicke neue Hemd gekauft, an dem du dich nicht satt sehen konntest …“

„Schon gut, schon gut. Verschone mich.“

Abwehrend hob er die Hände. Abby versuchte sie lachend wieder herunterzuziehen. Die Berührung überraschte sie beide gleichermaßen. Die spielerische Geste schien sekundenlang nachzuklingen.

Mit einem unbeholfenen Grinsen hoffte Judd von seiner eigenen Unsicherheit abzulenken. Und er hatte gedacht, er wäre über sie hinweg! Scheinbar hatte er sich geirrt.

„Du hast ein Gedächtnis wie ein Elefant, Abby Weiss. Ich möchte nicht wissen, woran du dich sonst noch so erinnerst.“

„Du wärst überrascht“, erwiderte sie, selbst verwundert darüber, wie dunkel ihre Stimme plötzlich klang. Sie prostete ihm zu und strahlte. Auf ihren glänzenden Lippen lag ein wissendes Lächeln.

Judd wollte gerade sein Bierglas zum Mund führen, als ihm klar wurde, dass sie allen Ernstes versuchte, mit ihm zu flirten.

Das hatte sie noch nie getan. Sie hatten sich geneckt, aufgezogen, sich einander das Herz ausgeschüttet. Aber noch niemals geflirtet.

So etwas machten gute Freunde nicht. Mit den Jahren war es ihm fast so vorgekommen, als hätte es den einen Moment auf der Abschlussfeier überhaupt nicht gegeben. Und das war vermutlich auch besser so.

Warum also gefiel ihm ihr Flirten? Weil er das prickelnde Gefühl genoss, dieses Kribbeln und die plötzliche Wärme in seinem Körper?

„Soso, das nennt der Chef also Arbeit. Man sieht’s.“

Hinter Judd war wie aus dem Nichts sein Assistent aufgetaucht. Tom Bradley begrüßte ihn, indem er ihm auf die Schulter klopfte. Judd wusste nicht, ob ihm die plötzliche Störung willkommen war oder ob sie ihn ärgerte.

„Ich bin gerade mitten in einer wichtigen Besprechung“, erklärte Judd eilig. Er warf Abby einen Blick zu, der ihr zu verstehen gab, dass er gleich wieder für sie da sein würde. Zufrieden stellte er fest, wie sie daraufhin errötete. Sie hatte zwar mit dem Flirten angefangen, aber sie schien immer noch ein wenig schüchtern zu sein. „Tom, darf ich vorstellen: Abby Weiss, unsere begnadete Stylistin.“

Toms verblüffter Gesichtsausdruck ließ Judd seinen Hocker instinktiv näher an Abby heranrücken. Zu spät wurde ihm klar, was er da gerade tat.

„Freut mich sehr, dich kennenzulernen“, sagte Tom und reichte Abby die Hand. Dann zog auch er sich einen Barhocker heran.

„Freut mich ebenfalls.“ Abbys Stimme klang völlig natürlich, sympathisch und höflich. Ganz normal also.

Dennoch spürte Judd zu seinem Erstaunen Eifersucht in sich aufsteigen. „Abby und ich sind zusammen zur Schule gegangen“, erklärte er kühl.

Toms Augen weiteten sich vor Überraschung. „Die Abby?

Deine gute Freundin Abby?“

Judd nickte. „Genau die.“

Toms Blick wanderte zwischen ihm und Abby hin und her. „Ist das nicht toll? Nach so vielen Jahren könnt ihr beide endlich mal zusammen arbeiten.“

Abby lachte. „Ich frage mich, was dir Judd über mich erzählt hat. Hoffentlich nur Gutes.“

„Ausschließlich nur Gutes.“ Tom grinste. Dann winkte er dem Barkeeper und bestellte ein Bier. Schließlich widmete er Abby wieder seine volle Aufmerksamkeit. „Allerdings konnte er nicht in Worte fassen, wie bezaubernd du wirklich bist.“

„Oh, vielen Dank. Nett von Ihnen“, flachste Abby und kokettierte übertrieben mit ihrem Augenaufschlag. Sie und Tom kicherten, während Judd versuchte, seine Eifersucht zu zügeln.

Wahrscheinlich war er nur durcheinander von dem langen Flug. Er hatte sich doch sonst immer ganz normal mit Abby über ihre verflossenen Liebhaber unterhalten können. Gemeinsam hatten sie sich noch darüber lustig gemacht. Wie kam es nur, dass es ihn auf einmal störte, sie mit einem anderen Mann lachen zu sehen?

„Ihr beide wart also schon immer befreundet?“

„Schon immer“, bestätigte Judd, dankbar darüber, dass Tom das Thema wechselte.

Ihm war schon mehrfach aufgefallen, mit welcher Leichtigkeit sein attraktiver Assistent Frauen um den Finger wickelte. Tom war groß und blond, eine nordische Erscheinung. Und Judd wusste nicht, wie Abby auf seine Verführungskünste reagieren würde.

Was geht dich das überhaupt an?

Judd merkte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Ein angenehmer Schauer jagte ihm über den Rücken, als er Abbys bezauberndes Lächeln, ihr wallendes Haar und die attraktive Figur betrachtete. Was war nur los mit ihm?

„Und, wart ihr jemals mehr als nur Freunde?“

Abby gab einen Laut von sich, der sich wie eine Mischung aus Hüsteln und Schnauben anhörte. Dann versteckte sie sich hastig hinter ihrem Glas. Sie erwartete, das Judd darauf antwortete.

Toms Frage ließ den Abend, an dem Abby und er sich so leidenschaftlich in den Armen gehalten hatten, wieder lebendig werden. Und Judd hatte nicht die Absicht, seinem Assistenten davon zu erzählen.

Es war einfach zu gefährlich gewesen, damals. Seine Gefühle hatten ihn überwältigt. Nie hätte er gedacht, dass er zu so starken Empfindungen fähig sein könnte. Viel zu sehr hatte er es genossen, Abbys Körper so nah an seinem zu spüren. Damals hatte er alles auf die Hormone geschoben. Welcher 18-Jährige hätte nicht die Gelegenheit ergriffen, einem der attraktivsten Mädchen der Schule näher zu kommen?

Allerdings war Judd von der Intensität seiner Gefühle völlig überrumpelt gewesen. Und dann Abbys unglaubliche Reaktion auf seine Küsse: ihr zärtlicher Blick, ihre Wärme. Das alles hatte ihn Reißaus nehmen lassen. Und bis heute war er nicht zurückgekehrt.

Er warf Tom einen mahnenden Blick zu. „Du bist ganz schön neugierig. Heb dir deine Fragen fürs nächste Mal auf. Wir müssen in einer knappen Stunde für die ersten Aufnahmen unten am Strand sein. Also beweg dich, hol die Ausrüstung. Wir treffen uns gleich unten.“

„Aye-aye, Sir!“ Tom verdrehte die Augen und wandte sich an Abby. „Es war schön, dich kennenzulernen. Ich freue mich jetzt schon auf unsere Zusammenarbeit.“

„Ebenfalls.“

Judd wartete, bis Tom den Raum verlassen hatte. Dann beugte er sich zu Abby hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Und, sind wir?“

Ihre blauen Augen weiteten sich unmerklich, als sie endlich verstand, was er meinte. Dennoch stellte sie sich dumm. „Sind wir was?“

„Mehr als nur Freunde gewesen?“

„Das wüsste ich gerne von dir.“ Mit Schwung warf Abby ihr Haar zurück.

Judd lachte. Plötzlich war es ihm peinlich, dass er so eifersüchtig auf Toms Annäherungsversuche reagiert hatte.

„Ich könnte mir vorstellen, dass du dich an diesen großartigen Moment gar nicht mehr richtig erinnern kannst, was?“

„Da hast du recht.“ Unruhig nestelte Abby am Saum ihres Rockes. Als sie Judds Blick auf ihre Finger gerichtet sah, strich sie den Stoff glatt und bemühte sich, ihre Hände still zu halten. „So toll war es nun auch wieder nicht.“

„Lügnerin“, murmelte Judd lächelnd. Dann legte er seine Hände auf ihre. Er spürte Abbys Wärme und ihren Puls. Dazu kam noch die Tatsache, dass seine Hände nur wenige Millimeter von ihren nackten Beinen entfernt waren.

Ob ihre Haut wohl genauso zart war, wie er sie in Erinnerung hatte?

Ob sie sich wohl weich und warm anfühlte?

Ob eine Berührung ihrer Schenkel wohl der Auftakt zu mehr sein würde?

„Na gut, du hast mich erwischt. In Wirklichkeit warst du der beste Küsser, den ich je hatte. Bist du jetzt zufrieden?“

Abby versuchte ihre Sitzposition zu verändern, und Judd nahm seine Hände wieder fort. Er fühlte sich etwas benommen.

„Zufrieden wäre ich, wenn ich dir glauben könnte.“ Er zwang sich zu einem Lachen und bemühte sich, Abby nicht in die Augen zu sehen. Sicherlich tat sie nur so unnahbar. Vielleicht ging es ihr ja genauso wie ihm?

Was war nur los?

Der heiße Kuss aus Jugendtagen war längst Vergangenheit. Seit acht Jahren waren er und Abby nur gute Freunde. Wieso geriet sein Blut bei ihrem Anblick auf einmal dermaßen in Wallung?

Abby leerte ihr Glas und stellte es eine Spur zu laut auf der Theke ab. Dann glitt sie von ihrem Barhocker. „So gerne ich auch bleiben und dir weiterhin Komplimente machen würde: Ich muss jetzt leider an die Arbeit. Wir sehen uns dann gleich am Strand.“

„Alles klar, Boss.“

„Das will ich hoffen.“ Abby winkte ihm beim Verlassen der Bar über die Schulter zu. Judd betrachtete ihre hübschen Beine, ihren Gang, die Art, wie ihr kurzer Rock die Hüften umspielte. Seine Aufmerksamkeit wurde immer mehr darauf gelenkt, was sich wohl darunter verbarg.

Er spürte Verlangen in sich aufsteigen.

Wie um die Gedanken an Abby zu vertreiben, fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann griff er nach seiner Fotoausrüstung und verließ ebenfalls die Bar.

Er konnte keine Komplikationen in seinem Leben gebrauchen.

Stellte die neue, die verführerische Abby genau das für ihn dar? Eine Komplikation? Er würde es nicht so weit kommen lassen.

Abby durchstöberte ein Dutzend Bikinis und Sarongs. Sie konzentrierte sich auf deren Stil und Farbe. Viele Muster imitierten Zebra- oder Tigerfelle, und die Modelle sahen aus, als wären sie gerade aus Paris oder Mailand eingeflogen worden. Abby liebte große Muster auf klassischen Schnitten.

Sie lächelte, während sie ein sexy Bikini-Oberteil mit einer fast knabenhaften Shorts kombinierte. Sie genoss es, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Ihre künstlerische Ader in Verbindung mit ihrem Stilgefühl ermöglichte es ihr, für jede Saison die richtigen Kombinationen zu finden. Und wenn sie den Lesern von Finesse Glauben schenken durfte, dann gefielen denen ihre Kreationen ebenso gut wie Marc Pyman. Warum sonst hätte er sie wohl engagiert?

Abby fragte sich, wie es Judd eigentlich fand, dass sie mittlerweile so erfolgreich war. Er hatte sie in der Vergangenheit immer wieder damit aufgezogen, dass sie für die Modeindustrie arbeitete. Einmal hatte er sie sogar „Barbie“ genannt, nur um sie zu ärgern. Und obwohl Abby sich stets verteidigte, wusste sie, dass ihre unterschiedlichen Ansichten genauso zu ihrer Freundschaft gehörten wie die vielen Gemeinsamkeiten.

Während sie an Judd dachte, tauchten erneut die Bilder ihres Wiedersehens vor ihrem geistigen Auge auf. Sie war völlig verblüfft gewesen, als er plötzlich vor ihr gestanden hatte. Oh, er sah so unglaublich gut aus! Seine gebräunte Haut ließ die hellbraunen Augen grünlich schimmern, sein kräftiges dunkles Haar reichte bis zum Hemdkragen. Und dazu dieses umwerfende Lächeln. Ganz klar, Judd konnte jede Frau haben, die er wollte. Aber auf gar keinen Fall würde Abby ihn darin noch bestätigen!

„Welchen Bikini soll ich anziehen? Sag jetzt bitte nicht den Tanga …“

Tara Lindman griff nach dem Tiger-Bikini, den Abby ihr entgegenstreckte. Sie musterte ihn gründlich. „Oh je, ich hab’s befürchtet. Da kann ich gleich zurück ins Fitnesscenter und noch mal ’ne Stunde trainieren.“

Abby grinste. Sie lehnte sich zurück und zog eine Augenbraue hoch, während sie das Model betrachtete. „Ach was, dein Po ist prima. Wer wenn nicht du sollte so etwas tragen können?“

Tara verrenkte sich den Hals, um ihr Hinterteil zu betrachten. „Du musst dich ja nicht halb nackt vor aller Welt präsentieren.“

„Ist ja schon gut, dann zieh halt etwas anderes an. Wenn es deinem Seelenfrieden dient.“ Die beiden Frauen lachten.

Abby hatte schon oft mit Tara zusammengearbeitet. Sie bewunderte ihr professionelles Auftreten, aber auch ihre sympathische Bodenständigkeit. Die meisten anderen Models, die Abby kannte, trugen ihre Nasen etwas zu hoch. Tara war anders. Von Fototermin zu Fototermin waren sie beide immer besser miteinander klargekommen. Ein wenig wunderte sie sich darüber, denn was hatte sie schon gemeinsam mit dieser bildschönen Frau, der die Männerwelt buchstäblich zu Füßen lag?

„Hey, hast du eigentlich schon den neuen Fotografen gesehen?“ Tara durchwühlte den Stapel aus Bikinis und Tüchern. Dann angelte sie sich einen schwarzen Zweiteiler heraus, dessen Höschen sehr tief auf den Hüften saß. „Zum Anbeißen!“

Abby musste lachen. „Ja, er ist ganz nett.“

Nett?“ Tara verdrehte die Augen. „Nett? Sag mal, bist du blind? Der Typ ist absolut heiß!“ Sie warf Abby einen bedeutungsvollen Blick zu. „Und soweit ich sehen konnte, trug er keinen Ehering.“

„Du hast schon recht, dass er ganz gut aussieht. Aber was würdest du über jemanden sagen, den du schon seit der zweiten Klasse kennst? Wenn er erfährt, dass ich ihn attraktiv finde, würde ihm das nur zu Kopfe steigen, glaub mir.“

„Du kennst ihn?!“

Taras Stimme kletterte um einige Oktaven nach oben. Sie ergriff Abbys Arm. „Erzähl mir mehr. Wie gut kennst du ihn? Kennst du ihn so richtig?“

„Wir sind Freunde. Gute Freunde. Und so soll es auch bleiben. Also hör mit den Anspielungen auf.“

„Was denn für Anspielungen? Ich habe nur eins und eins zusammengezählt.“

Abby zog einen magentafarbenen Sarong hervor und hielt ihn vor Taras hellen Teint. „Was willst du damit sagen?“

Tara nahm den Sarong entgegen und wickelte ihn sich gekonnt wie einen Turban um den Kopf. Ihre grünen Augen kamen durch die Farbe noch besser zur Geltung.

„Ich will damit sagen, dass ich in der Lage bin, dir deine Zukunft vorauszusagen, meine Süße. Du hattest eben so ein merkwürdiges Leuchten im Gesicht, als du von ihm gesprochen hast …“

„Das liegt daran, dass Judd mein bester Freund ist. Natürlich liebe ich ihn, irgendwie …“ Genervt zog Abby Tara das Tuch vom Kopf. Sie fühlte sich merkwürdig durcheinander.

„Abby, dreh dich jetzt nicht um, aber das Objekt der Begierde nähert sich mit großen Schritten. Mensch, ist der Mann toll!“

Abby kicherte, als Tara sich mit der Hand Luft zufächelte. Dann folgte sie unauffällig ihrem Blick.

Tatsächlich, da war Judd. Er trug blaue Shorts und ein enges weißes T-Shirt. Seine Haare wehten im Wind und gaben ihm ein lässiges Aussehen. Mit einem umwerfenden Lächeln auf den Lippen näherte er sich ihnen. Er sah einfach nur toll aus.

Das war jetzt natürlich die objektive Meinung einer guten Freundin.

„Melde mich gehorsamst zum Dienst, Oberst Weiss!“

Abby lächelte. „Ich glaube, es wird mir noch mehr Spaß machen, dich herumzukommandieren, als ich gedacht habe. Okay, wie wär’s also, wenn wir unter den Palmen da drüben anfangen?“

„Perfekt.“ Judds Grinsen sagte ihr, dass er sich in der nächsten Woche mächtig ins Zeug legen würde. „Glaub nur nicht, dass ich es erlaube, dass du so mit mir umspringst. Vorher werde ich dich in deine Schranken weisen, meine Liebe.“

„Ach, wirklich?“

Abby zog übertrieben die Augenbrauen hoch. Sie freute sich, dass Judd und sie wieder genauso vertraut und fröhlich miteinander umgingen wie damals zu Schulzeiten. Zum Glück hatten sie beide immer noch den gleichen Humor.

„Ähm – würde mich vielleicht mal jemand vorstellen?“, meldete sich Tara zu Wort. Sie streckte Judd ihre Hand entgegen. „Ich bin Tara Lindman.“

Judds Grinsen wurde noch breiter, und Abby verdrehte die Augen. Bisher hatte Tara bei jedem Mann, der sich ihr auf zwei Meter näherte, einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

„Ich weiß. Mein Name ist Judd Calloway, der Fotograf. Ich verspreche dir, dich auf den Fotos so atemberaubend wie möglich aussehen zu lassen.“

„Bist du nicht eigentlich auf Wildtiere spezialisiert?“

„Ich brauchte mal eine Veränderung.“

Judd deutete auf die verstreut auf dem Boden liegenden Bikinis. „Natürlich hat der Job hier auch gewisse Vorteile. Hat dir Abby gesagt, dass wir alte Freunde sind?“

Tara lächelte und legte einen Arm um Abbys Schultern. „Ja, das hat sie. Die Glückliche!“

Plötzlich erklang eine fröhlich gepfiffene Melodie. Hinter einer Gruppe von Surfern, die sich am Strand tummelten, tauchte Tom auf. Tara rettete sein Erscheinen vor einem wütenden Knuff von Abby. Sie ließ den Arm sinken und bemühte sich um eine gerade Haltung, während sie mit einer gekonnten Handbewegung ihr sonnenverwöhntes kastanienbraunes Haar zurückstrich.

„Wo wir gerade dabei sind: Wer ist denn der junge Mann?“

„Das ist Tom, mein Assistent. Aber ich muss dich warnen: Er ist ein absoluter Frauenheld.“

Mittlerweile hatte Tom sie erreicht. „Hallo, ihr Hübschen.“ Er setzte seine schwere Ausrüstung so vorsichtig im Sand ab, als handele es sich dabei um einen zu beschützenden Säugling. „Hallo, Abby! Und Sie, schöne Frau, müssen mir nicht vorgestellt werden. Ich bin einer Ihrer größten Bewunderer.“

„Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt“, raunte Judd Tara zu.

Diese kicherte nur. Ganz offensichtlich genoss sie die gleich doppelte männliche Aufmerksamkeit. „Mit dem komme ich schon zurecht. Ich glaube, der ist ein ganz Braver, nicht wahr, Tom?“

„Bekomme ich jetzt gleich mein Leckerli?“, wollte Tom wissen.

Abby und Tara lachten. Bei jedem anderen Mann hätte Abby den Spruch völlig daneben gefunden, bei Tom fand sie ihn allerdings ziemlich lustig.

„In Ordnung, Leute. Lasst uns anfangen. Wir haben heute noch einiges vor.“ Als Abby sich zum Gehen wandte, war plötzlich Judd neben ihr und tippte ihr auf die Schulter. „Pass auf wegen Tom.“

„Wie bitte?“

Trotz Judds ernstem Gesichtsausdruck musste Abby sich auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen.

„Ich meinte das ernst, dass Tom ein Frauenheld ist. Ich möchte nicht, dass er dich verletzt oder so.“

Abby lächelte verwirrt. Judd hatte sich noch nie als ihr Beschützer aufgespielt. Normalerweise hatte er sie immer nur damit aufgezogen, wenn sie sich mal wieder in den Falschen verliebt hatte, und hinterher behauptet, es ja gleich gewusst zu haben.

Freundschaftlich tätschelte sie Judds Wange. „Danke für die Warnung, aber ich bin schon ein großes Mädchen. Ich glaube, ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Und ich weiß, wie ich mich gegen die Toms dieser Welt zu wehren habe.“

„Na gut. Ich wollte ja auch nur … vergiss es.“ Judd packte seine Kameraausrüstung zusammen. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine senkrechte Falte gebildet.

„Du bist echt niedlich“, entfuhr es Abby. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Judd einen hauchzarten Kuss auf die Wange. Sie war selbst überrascht von der Wirkung seines männlichen Duftes und dem Gefühl, dass seine Haut auf ihren Lippen hinterließ. Einen Moment zu lange, so schien es ihr, verweilte ihr Mund auf seiner Wange.

„Das kann ich glatt zurückgeben.“

Judds Blick traf ihren, und für einen Augenblick fragte sie sich, ob möglicherweise mehr hinter diesem Satz stecken sollte. Es waren genau die Worte, die sie an jenem verhängnisvollen Abend zu ihm gesagt hatte, unmittelbar bevor er sie geküsst hatte.

Mit einem Mal wurde Abby die Spannung unerträglich. „Apropos Freunde: Wieso erzählst du mir nicht noch mehr über Paula? Ist das etwas Ernstes mit ihr?“ Abby nestelte an dem Sarong in ihren Händen herum und grinste unsicher. „Du weißt schon, das mit der Eissorte und so.“

„Wir sind nur Freunde. Das ist alles.“

Judd machte eine Pause, und plötzlich bemerkte Abby ein jungenhaftes Funkeln in seinen Augen. „Und weißt du, diese Kleiderständer sind eigentlich gar nicht so mein Ding. Ich stehe eher auf die Frauen, die die Mode machen.“

Zu ihrer Verwirrung schoss Abby abermals die Röte ins Gesicht. Verlegen senkte sie den Blick. Noch nie in ihrem Leben hatte sie zum Erröten geneigt. Und heute Nachmittag war es schon zum zweiten Mal passiert.

„Dann wird es dich enttäuschen, dass diese Frauen aber nicht an dir interessiert sind. Ich zumindest nicht.“ Abby warf Judd einen mitleidigen Blick zu. Der hätte sicher mehr Wirkung gezeigt, wenn sie einen ernsten Gesichtsausdruck hätte wahren können. Stattdessen streckte sie Judd die Zunge heraus – und ärgerte sich im gleichen Moment über die kindische Geste. Hastig ergriff sie einige Tücher und Bikinis und eilte den anderen hinterher.

„Ich glaube, du flunkerst ein bisschen!“, rief er ihr nach.

„Und ich glaube, du bist ein bisschen größenwahnsinnig!“, kam es zurück.

Judd grinste, während er seine Kameratasche schulterte und Abby folgte.

Wie hatte er das vermisst: dieses spielerische Necken und Kräftemessen, das gemeinsame Lachen. Niemand auf der Welt kannte ihn so gut wie Abby. Und wahrscheinlich würde es auch nie jemanden geben, der ihn besser verstand.

Abby war für Judd die Familie, die er nie gehabt hatte. In den dunklen Jahren seiner Kindheit, in denen er seine Mutter verlor und nach Pier Point zu seinem Vater ziehen musste, war Abby die einzige Hoffnung seines Lebens gewesen.

Sie war immer für ihn da gewesen. Was sie wohl von seinem Plan halten mochte? Noch durfte er sie nicht einweihen. Er wusste einfach nicht, wie sie darauf reagieren würde.

Würde sie sich freuen?

Oder ihn für verrückt erklären?

Zunächst musste er diesen Job hier machen, und erst danach konnte er Abby alles erzählen.

Schließlich war es ja so: Wer würde nicht eine Woche Spaß einer Woche wüster Beschimpfung vorziehen? Und vermutlich hatte er genau das von Abby zu erwarten. Da wollte er doch lieber mit ihr lachen und flirten.

Nein, es war einfach noch nicht an der Zeit, das Geheimnis zu lüften.

3. KAPITEL

Abby lehnte sich in der Badewanne zurück und schloss die Augen. Sie genoss den Jasminduft des weichen Schaums. Wie ein wohlriechender Nebel umhüllte er sie und ließ sie zufrieden aufseufzen.

Was für ein Tag.

Es war einfach großartig gewesen, mit Judd zu arbeiten. Selten hatte Abby mit einem so talentierten und professionellen Fotografen zusammenarbeiten dürfen. Sie hatte seine Nähe genossen, sein Lächeln, seine Schäkereien. Fast war es wie früher gewesen.

Aber nur fast.

Damals waren sie beide noch Kinder. Teenager, Rebellen, die es nicht erwarten konnten, der Enge von Pier Point zu entkommen und die Welt zu erobern.

Ob ihre Freundschaft wohl genauso lange gehalten hätte, wenn sie beide ein intakteres Elternhaus gehabt hätten?

Ich stehe eher auf die Frauen, die die Mode machen …

Abby musste über Judds blöden Spruch grinsen. Ihre Freundschaft war immer so unkompliziert gewesen. Nie hatte es größere Probleme oder gar Streit gegeben. Sie waren immer füreinander da, hatten sich gestützt, getröstet, aber vor allem auch zum Lachen gebracht.

Obwohl es Judd immer wieder gelang, ihre spitzen Neckereien noch zu übertreffen, gab es ihr jedes Mal ein gutes Gefühl, ihn aufzuziehen. Mit einem Augenzwinkern natürlich. Und genau darauf freute sie sich jetzt, wenn sie an die kommenden Tage dachte.

Was diese merkwürdige Hitze und das Kribbeln tief in ihrem Innern betraf, das sie gespürt hatte, als Judd ihr während des Shootings für einen kurzen Moment den Arm um die Taille gelegt hatte – nun, darüber wollte Abby lieber gar nicht nachdenken.

Wahrscheinlich handelte es sich dabei um eine ganz normale Reaktion ihres Körpers. Schließlich war sie mittlerweile erwachsen geworden. Und außerdem hatte sie Judd seit vielen Jahren nicht gesehen. Da konnte so etwas schon mal vorkommen. Vielleicht war auch noch etwas von ihrer Schwärmerei aus Jugendtagen übrig geblieben – sicher hatte das gar nichts zu bedeuten.

Plötzlich klingelte das Telefon. Abby starrte verblüfft auf den Hörer. Schwarzer Marmor, erlesene Badezusätze und ein riesiger Whirlpool – ein solches Badezimmer sollte doch sicher ausschließlich der Entspannung dienen. Der Trottel, der das goldene Telefon an die Wand neben der Badewanne montiert hatte, gehörte erschossen.

Sie trocknete sich die Hände ab und griff nach dem Hörer. Wahrscheinlich gab es irgendein Problem mit dem morgigen Shooting. Vielleicht hatte eines der Models zu viel Schokolade gegessen und passte nun nicht mehr in ihren Bikini. Und wenn schon. Abby wollte davon jetzt nichts wissen.

„Hallo?“

„Wo steckst du, Miss Weiss? Hast du dich in deinem geheimen Kämmerchen versteckt?“

Abby grinste und ließ einen Fuß im Wasser auf und ab wippen. „Also ich bin nicht diejenige von uns, die genug Gründe hätte, sich vor der Welt zu verstecken.“

Judd lachte. „Erinnere mich beim nächsten Mal bitte daran, dass ich meine schmutzigen kleinen Geheimnisse für mich behalte.“

„Und wo bliebe dann der Spaß für mich?“

Abby streckte einen Arm aus und pustete die Schaumflöckchen fort, die darauf klebten. Wann hatte sie zum letzten Mal gebadet? Also richtig gebadet und sich dabei von einem harten Arbeitstag erholt? Und wann hatte sie das letzte Mal länger als fünf Minuten mit Judd telefoniert? Meistens kamen seine Anrufe aus den entlegensten Gebieten dieser Erde, wo die Verbindung extrem schlecht war.

„Was machst du denn gerade?“

„Ich liege in der Wanne.“ Abby betrachtete ihre runzligen Finger.

„Mit Schaum?“

„Was denkst du denn? Natürlich.“

„Mmmm … das hört sich allerdings reizend an.“

Abby verdrehte die Augen und tauchte noch tiefer ins Wasser ein. „Du bist völlig verdorben, Judd. Und jetzt verrat mir mal bitte: Gibt es einen Grund für deinen Anruf, oder wolltest du nur stören?“

Sein vertrautes Lachen löste in Abby eine Gänsehaut aus. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass ihr rechter Telefonarm nun schon eine ganze Weile nicht mehr im heißen Wasser ruhte.

„Es könnte für mich zu einer Lieblingsbeschäftigung werden, dich zu stören. Allerdings wollte ich dich nur fragen, ob du heute Abend schon was vorhast. Essen wir alle zusammen, oder meinst du, wir beide könnten uns von den anderen absondern und unserer eigenen Wege gehen?“

„Oh, ich bin dafür, dass wir zu zweit essen!“, rutschte es Abby heraus. Allzu oft würde sich die Gelegenheit wahrscheinlich nicht bieten. Und sie hatten schließlich nur diese eine Woche. Abby wollte jede Sekunde mit Judd nutzen.

„Super. Wollen wir uns dann in einer Stunde im Restaurant Ocean Breeze treffen?“

„Klingt gut.“

„Und, Miss Weiss?“

„Ja?“

„Ziehen Sie sich ausnahmsweise mal etwas Hübsches an.“

Was folgte, war ein Klicken in der Leitung. Judd hatte aufgelegt. Verblüfft starrte Abby auf den Hörer.

Eigentlich kannte sie Judd lange genug, um zu wissen, dass sein Spruch nicht ernst gemeint war. Er liebte es nun mal, immer das letzte Wort zu haben, besonders beim Telefonieren. Für gewöhnlich wollte er sie mit solchen Sätzen durcheinanderbringen.

Was ihm auch dieses Mal gelungen war. Doch wenn Abby etwas noch besser fand, als die Neckereien zurückzugeben, dann war es, selbst die Oberhand zu gewinnen.

Etwas Hübsches also? Kein Problem.

Abby schüttelte den Kopf so wild, dass die Wassertropfen im ganzen Badezimmer umherflogen. Dann angelte sie sich das Handtuch und stieg aus der Wanne.

Ihr guter alter Freund Judd würde Augen machen. Diese Lektion sollte er so schnell nicht vergessen.

Judd war nie ein begeisterter Partygänger gewesen.

Die afrikanischen Ebenen oder die Wälder Südamerikas waren das, was er zum Leben brauchte. Saharawinde, Flussüberschwemmungen, Taifune. Hier spürte er die Elemente und konnte sich frei und unbeschwert fühlen. Davon hatte Judd immer geträumt. Erst wenn er seine Kamera in den Händen hielt und seine geliebten Wildtiere beobachten konnte, war er wirklich glücklich. Wilde Tiere hatten ihn schon immer fasziniert. Von dem Tag an, an dem ihn ein grimmig dreinblickender Gorilla mit entblößten Zähnen aus dem Schulbuch heraus angestarrt hatte, von diesem Tag an war das Fotografieren von Wildtieren sein größter Traum gewesen.

Und Judd hatte diesen Traum verwirklicht. Wie hatte es ihn bloß hierher verschlagen, auf eine paradiesische Insel in den Tropen, wo es zwar kaum wilde Tiere gab, dafür aber umso mehr schöne Frauen?

Er wählte einen Tisch in der Nähe der Bar und setzte sich in einen bequemen Korbsessel. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf die Tanzfläche, auf der sich schon einige der Models vergnügten. Zugegeben, Partys konnten auch ganz nett sein. Und er war nun mal ein Mann, der den Reizen schöner Frauen gegenüber nicht unempfänglich war. Er genoss die tropische Kulisse und bestellte sich einen Drink.

Wie aufs Stichwort erschien in diesem Moment Abby. Sie steuerte auf ihn zu, und Judd merkte, wie sich sein Mund vor Erstaunen öffnete.

Plötzlich sah er sich wieder zurückversetzt an jenen Abend vor acht Jahren. Damals hatte er Abby zum ersten Mal in einem Abendkleid gesehen. Es war ein leuchtend blaues Satinkleid mit Spaghettiträgern gewesen, das ihr unglaublich gut stand. Ihr Anblick hatte ihn umgeworfen. Judd kam es vor, als wäre es gestern gewesen, dass Abby die Treppe zu ihm heruntergestiegen kam, auf viel zu hohen Schuhen, aber mit dem bezauberndsten Lächeln im Gesicht, das er je gesehen hatte. Er war sprachlos gewesen, und dieses Bild hatte sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt.

Gute Freunde durften nicht so aussehen.

Das Haar hatte sie an jenem Abend hochgesteckt getragen, wobei ihr einige Locken um das hübsche Gesicht fielen. Noch mehr als sonst hatten ihre blauen Augen geleuchtet. Sie strahlten pure Lebensfreude aus, aber auch eine geheimnisvolle Tiefe.

Und was hatte er getan?

Er hatte Abby, wie immer, mit seinen dummen Witzen geneckt, während sie einfach nur dagestanden und ihn aus ihren glänzenden Augen angesehen hatte. Aus unerklärlichen Gründen war ihm plötzlich seltsam zumute geworden. Er hatte das Gefühl gehabt, nicht mehr klar denken zu können. Und dann hatte er das Banalste getan, was einem Achtzehnjährigen in einer solchen Situation einfallen konnte.

Er hatte Abby geküsst.

Nun ja, das traf es nicht ganz. Vielmehr hatte er sich auf sie gestürzt, davon ausgehend, dass sie ihn zurückstoßen oder gar ohrfeigen würde. Doch sie hatte nichts dergleichen getan. Sie hatte seinen Kuss aufs Innigste erwidert, was ihn natürlich völlig aus dem Konzept brachte. Bevor sein Temperament mit ihm durchgehen konnte, hatte er sich schließlich zur Vernunft gerufen, war zurückgewichen und hatte zu lachen begonnen. Ganz so, als hätte er nur einen Witz gemacht. Oder als wäre das Ganze eine Art Mutprobe gewesen.

Als Judd Abby jetzt in ihrem trägerlosen schwarzen Abendkleid auf sich zukommen sah, konnte er sein Glück kaum fassen. Wie hinreißend sie aussah! Ihre Figur war perfekt, das glänzend braune Haar fiel in dichten Locken auf ihre zarten Schultern herab.

Er erhob sich und winkte ihr zu. Dann zog er einen zweiten Stuhl heran und deutete Abby, sich zu setzen. Den Blick konnte er die ganze Zeit nicht von ihr wenden.

„Nicht schlecht“, raunte er in ihr Ohr, als sie neben ihm Platz genommen hatte. Zum ersten Mal seit Jahren roch er wieder diese vertraute Note.

Es war Jasmin, Abbys Lieblingsduft. Seit er sie kannte, war ihr Bild vor seinem geistigen Auge aufgetaucht, wann immer er Jasmin gerochen hatte.

„Soll das ein Kompliment sein, Mister Calloway?“

Abby hatte sich nur ganz leicht geschminkt. Auf ihren Wangen lag ein Hauch apricotfarbenes Rouge, und ihre Augen waren nur ganz zart betont. Judd fragte sich, ob sie schon immer diese leuchtend blaue Farbe gehabt hatten.

„Nenn mich doch einfach Judd“, flachste er. Ihm stand der Sinn ganz eindeutig danach, weiter mit ihr zu flirten. Und er hoffte, dass es ihr genauso ging.

Spielerisch schlug Abby die Augen nieder und lächelte sittsam. „Angenehm. Abby.“

Judd grinste. Langsam streckte er eine Hand aus und ließ seine Finger über Abbys nackten Unterarm gleiten. Diese halb freundschaftliche, halb wagemutige Geste schien sie jedoch zu verwirren, und so zog er sich schnell wieder zurück.

Er fragte sich, ob es an dem tropischen Klima lag, an der traumhaft schönen Kulisse oder daran, dass plötzlich dieses Feuer in ihm entfacht worden war. Jedenfalls hatte er den dringenden Wunsch, die Grenzen ihrer Freundschaft etwas auszuweiten. Was er sich genau darunter vorstellte, wusste er allerdings noch nicht.

„Abby. Was für ein wundervoller Name. Klingt keltisch. Erinnert mich an grüne Wiesen, uralte knorrige Eichen, hübsche kleine Steinhäuser, idyllische Landstraßen – und darüber ein leuchtend blauer Himmel. Ganz so wie Ihre Augen, Werteste.“

„Hör auf!“ Abby lachte. „Ich bin keine von deinen Tussis. Bei mir musst du nicht so dick auftragen.“

Judd zuckte die Achseln. „Man kann’s doch mal versuchen … Was fiele dir denn zum Namen Judd ein?“

„Ich würde sagen, das ist einfach. Da kommt mir sofort ein gewisser Judd Kane Calloway in den Sinn. Das war ein großer dünner Junge, den ich früher einmal kannte. Der hätte Leute wie dich ganz gehörig zurechtgestutzt.“

Judd warf ihr nur einen amüsierten Blick zu, und Abby räusperte sich. „Ähm, was muss ich denn anstellen, um hier etwas zu trinken zu bekommen?“

„Lass mich raten. Du nimmst das Gleiche wie immer?“

Ihre Lippen formten sich zu einem verführerischen Kussmund, den er noch nie an ihr gesehen hatte.

„Nö. Heute Abend fühle ich mich irgendwie übermütig. Überrasch mich doch einfach.“

Es reichte also nicht, dass Abby ihm mit ihrem umwerfenden Aussehen bald den Verstand raubte. Jetzt musste er auch noch kreativ sein, um sie zu unterhalten. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er denken können, dass sie schon wieder mit ihm flirtete. Aber das war wohl Wunschdenken. Sie neckte ihn, sie ärgerte ihn, sie nahm ihn auf den Arm. Aber flirten? Unsinn.

Die tropische Hitze schien ihm wirklich zuzusetzen.

Judd winkte den Kellner heran und bestellte einen Cocktail für Abby und ein Bier für sich. Danach lehnte er sich entspannt zurück und grinste.

„Hübsches Kleid übrigens. Freut mich, dass du meinem Wunsch nachgekommen bist.“ Sein Blick wanderte an ihrem Körper entlang. Der seidige Stoff ihres Kleides umspielte ihre hübschen Knie und die schlanke Taille und betonte ihr schönes Dekolleté.

Plötzlich wandte er den Blick abrupt wieder ab und hielt Ausschau nach dem Kellner. Wo blieben nur die Getränke? Er konnte es nicht erwarten, die merkwürdige Hitze in seinem Innern mit einem kühlen Bier zu bekämpfen.

„Hast du etwa gedacht, ich hätte das Kleid dir zuliebe angezogen?“ Ein selbstbewusstes Lächeln erhellte Abbys Gesicht. „Du bist wohl noch ein bisschen durcheinander von deinem einsamen Leben im Busch, was?“

Judd wusste, dass er jetzt nicht klein beigeben durfte. Er musste etwas Witziges antworten, musste schlagfertig sein. Doch zum ersten Mal überhaupt fiel ihm absolut nichts ein.

Was war nur los mit ihm? Er war doch sonst um keine Antwort verlegen, liebte den herausfordernden Schlagabtausch. Warum fiel ihm diesmal nichts ein? Nicht einmal ein kleiner Scherz, ein Spruch, der Abby aus dem Konzept brachte?

Plötzlich konnte er nicht widerstehen, streckte eine Hand aus und entfernte einen imaginären Fussel von ihrem Kleid. Wie zart der Stoff sich anfühlte! Und wie er glänzte. Fast wie flüssige Lava. „Ich hatte dich gebeten, etwas Hübsches anzuziehen. Dieses Kleid übertrifft die Vorstellung von hübsch bei weitem.“

„Kleider machen Leute, was?“

Jetzt musste er ihr in die Falle gehen. Wenn er zustimmte, wusste sie, dass er sie attraktiv fand. Und wenn er es abstritt, machte er sich nur unglaubwürdig.

Zum Glück brachte der Kellner in diesem Moment die Getränke: ein Bier für Judd und eine Kombination aus Cointreau, Galliano, Ananassaft und Sahne für Abby.

„Was ist denn das?“ Vorsichtig nahm sie einen Schluck. Dann riss sie begeistert die Augen auf, und zu Judds Genugtuung röteten sich ihre Wangen innerhalb von Sekunden. „Ach weißt du, ich glaube, ich möchte es doch nicht wissen. Ich will lieber in dem Glauben bleiben, dass das ein ganz harmloses Zeug ist.“

„Heiße Träume.“ Judd lächelte zufrieden. „So heißt das harmlose Zeug.“

Abbys Wangen färbten sich dunkelrot. Wie schüchtern sie mit einem Mal wieder wirkte. „Mmmm, lecker“, murmelte sie und starrte auf die Cocktailkirsche, die an einem kleinen Papierschirmchen steckte.

Ihre Zurückhaltung ließ Judd innerlich schmunzeln. Endlich hatte er die Oberhand zurückgewonnen. „Du scheinst heiße Träume zu lieben, hm?“

Ihre blauen Augen flackerten ein wenig nervös, doch äußerlich ließ sie sich nichts anmerken. „Der Cocktail ist wirklich klasse. Und weiter werde ich auf deine Frage nicht eingehen.“

„Sicher nicht?“

„Sicher nicht.“

Energisch schüttelte sie den Kopf. Dann rührte sie mit gleichmäßigen Bewegungen weiter in ihrem Glas und starrte wie hypnotisiert hinein. „Du weißt nicht zufällig, wo sich Tom versteckt, oder?“

Judd wunderte sich über den abrupten Themenwechsel. Und es störte ihn, dass Abby sich lieber nach einem großen gutaussehenden Mann erkundigte, anstatt weiter mit ihm zu schäkern.

„Er wird wahrscheinlich ahnungslosen Frauen auf die Pelle rücken, wie immer. Was willst du denn von dem?“

Abby nippte an ihrem Drink und betrachtete Judd durch ihre gesenkten Wimpern.

„Ich hatte gehofft, ihn heute Abend zu treffen. Ich brauche einen großen starken Mann … der mir morgen beim Tragen helfen kann.“

„Ach? Und was bin ich für dich? Ein unfähiger Schwächling?“

Abbys Augen blitzten, als sie scheinbar ahnungslos fragte: „Meinst du nicht, dass du dich etwas übernehmen könntest?“

Im nächsten Moment streckte sie die Hand nach seinem Arm aus und prüfte seinen Bizeps. „Gar nicht mal so schlecht“, stellte sie fest.

Ohne Vorwarnung überkam Judd plötzlich eine heiße Begierde. Mit aller Macht versuchte er das unwillkommene Gefühl zu ignorieren.

Abby war eine gute Freundin, sonst nichts. Sie war immer sein bester Kumpel gewesen. Eine Frau, die ihn von klein auf kannte. Die alles über ihn und seine Vergangenheit wusste. Sie kannte seinen Vater, hatte die Geldnot in seiner Jugend mitbekommen, sein Bemühen um eine gute Bildung. Sie wusste, dass er damals ein Stipendium bekommen hatte und dass er es eigentlich nicht hatte annehmen wollen.

Und jetzt saß er hier neben ihr und konnte nicht glauben, welch erschreckende Wirkung sie auf ihn hatte. Eine einzige zarte Berührung von ihr ließ ihn so sehr erglühen, dass er bereits wieder darüber nachdachte, ob aus ihrer Freundschaft nicht vielleicht doch mehr werden könnte. Zumindest eine Zeit lang.

Was dachte er sich eigentlich? War er völlig verrückt geworden?

Bemüht um einen kumpelhaften Ton, lehnte er sich zu Abby vor. „Meine Liebste, ich bin stark wie ein Tiger.“

„Wirklich?“

Abby ließ ihre Hand wieder sinken. Judd war sich sicher, dass sie sie absichtlich länger als nötig auf seinem Arm gelassen hatte. Oder bildete er sich das wieder nur ein? Er fühlte sich merkwürdig durcheinander. Seit er die Insel betreten und Abby wiedergesehen hatte, war er offenbar nicht mehr Herr seiner Sinne.

„Wirklich.“

Judd verschränkte die Arme vor der Brust. Er musste unbedingt verhindern, dass seine Hände etwas taten, was er nicht wollte. Auf keinen Fall durfte er Abby noch einmal berühren. Obwohl er sie am liebsten auf seinen Schoß gezogen hätte.

Mist. Das Ganze lief völlig anders, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte ein bisschen mit Abby flirten wollen, um sie durcheinanderzubringen. Doch jetzt war er es, der sich nicht mehr im Griff hatte. Was war bloß geschehen? Woher kam sein plötzlicher Wunsch nach … körperlicher Nähe? Abby war die einzige Frau auf der Welt, mit der ihm das nicht passieren durfte.

„Wenn Sie mir bitte folgen würden, Mister Calloway …“

Abby stand auf und strich ihr Kleid glatt, was Judd erneut die Gelegenheit gab, ihre schönen Beine zu bewundern. Ein Seufzen unterdrückend, folgte er ihr. Vielleicht würde heute Abend ja doch noch etwas Unvorhergesehenes passieren.

Abby wusste selbst nicht, welcher Teufel sie geritten hatte.

In dem Moment, als Judd sie zum Spaß gebeten hatte, etwas Hübsches anzuziehen, hatte sie beschlossen, ihm eine Lehre zu erteilen. Diesmal wollte sie als Gewinnerin aus ihren berühmten Zweikämpfen hervorgehen.

Dafür hatte sie sich so richtig ins Zeug gelegt. Nicht nur das sexy schwarze Seidenkleid mit dem tiefen Ausschnitt, das sie zum Glück mitgenommen hatte, sondern auch ihr Make-up war perfekt. Sorgfältig hatte sie die blauen Augen geschminkt und ihr Haar so frisiert, wie sie es erst vor einigen Tagen von einem berühmten Stylisten gelernt hatte.

Abby hatte schon immer gern das Gegenteil von dem gemacht, was Judd von ihr erwartete. Sonst wäre es ja auch kein Spiel gewesen. Wahrscheinlich hatte er also mit ausgewaschenen Jeans und einem Schlabberpulli gerechnet.

Doch diesmal hatte sie es ihm so richtig zeigen wollen. Allerdings war dann doch nicht alles so gelaufen wie geplant.

Nie hätte sie mit einer solchen Reaktion auf ihren Auftritt gerechnet. Judd war völlig irritiert gewesen, als sie die Bar betreten hatte. Sie hatte seinen merkwürdigen Gesichtsausdruck gesehen und sich in Gedanken immer wieder ermahnt: Er ist nur ein FreundEr ist nur ein Freund. Obwohl sie natürlich genau erkannt hatte, dass in seinem Blick etwas ganz anderes lag.

Wie war es danach weitergegangen? Sie hatte mit ihm geflirtet. Und dann hatte sie ihn auch noch berührt – zu ihrer eigenen Verwunderung.

Wieso hatte sie das getan …? Judd und sie hatten oft im Spaß miteinander geflirtet. Aber das war am Telefon oder per E-Mail gewesen.

„Wohin gehen wir?“

Judd hatte sie eingeholt. Plötzlich fragte sie sich, ob er vielleicht zu viel getrunken hatte. Ungeniert starrte er auf ihre nackten Beine. Merkwürdigerweise war ihr das aber gar nicht unangenehm. Insgeheim hoffte sie sogar, dass ihm ihre Beine gefielen.

Abby hatte noch nie diesen Blick in seinen Augen gesehen. Zum ersten Mal schien Judd aufzufallen, dass sie eine attraktive Frau war. Plötzlich wurde sie nervös.

„Vertrau mir“, sagte sie und schlug dann ganz unvermittelt einen anderen Weg ein. Eigentlich hatte sie Judd bitten wollen, einen Haufen Kleider und Zubehör aus ihrem Zimmer zu holen. Sie wollte die Sache schon heute Abend zu dem versteckt gelegenen Wasserfall bringen, an dem sie morgen ihre Aufnahmen machten. Doch dann besann sie sich. So dumm durfte sie nun wirklich nicht sein, Judd mit auf ihr Zimmer zu bitten. Wer wusste schon, was noch alles passieren würde?

„Vertrau mir? Müsste das nicht eigentlich mein Spruch sein?“ Judd grinste.

„Du hast ganz recht. Wenn Männer sagen Vertrau mir, dann ist es nicht mehr als ein Spruch.“

„Und wenn es eine Frau sagt, darf man dann vertrauen?“ Judd fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah mit einem Mal wieder aus wie ein Teenager.

„Natürlich. Habe ich dich je belogen?“

Noch während sie die Worte aussprach, zuckte Abby innerlich zusammen. Sie hatte jahrelang eine Lüge gelebt. Die Tage nach Judds Kuss waren nicht leicht gewesen. Sie hatte sich ihre Gefühle nicht anmerken lassen und weitergemacht wie zuvor. Aber wenn sie jetzt nicht vorsichtig war, dann würde alles wieder von vorne anfangen. Sie wäre schneller in einem Schlamassel, als ihr lieb sein konnte.

Plötzlich blieb Judd stehen. Als sich Abby nach ihm umdrehte, ergriff er ihre Hände und zog sie zu sich. „Ich weiß es nicht. Hast du?“

Verwirrt sah sie zu ihm auf. Sie wusste nicht, worauf er mit seiner Frage hinauswollte. Sein Blick war unergründlich.

Na prima. Ihre Gedanken an früher hatten ihr wahrscheinlich einen sentimentalen Gesichtsausdruck verliehen. Sie musste aufpassen, dass Judd diesen nicht falsch verstand.

„Abby, hör bitte auf, mich so anzusehen.“

Noch bevor sie reagieren konnte, hatte Judd sie noch näher an sich herangezogen. Mit einer bestimmten Geste legte er seine Arme um sie. Und dann küsste er sie. Genauso überstürzt und unerwartet wie damals vor acht Jahren.

Dennoch war es heute anders. Mit einem Mal schien jede Faser in Abbys Körper zum Leben zu erwachen. Dies war kein ungelenker Kuss unter Jugendlichen. Es war so viel mehr.

Judds Kuss berührte sie zutiefst. Es war, als hätten ihre Lippen sich nach einer halben Ewigkeit endlich gefunden. Abby spürte, wie ihr die Knie weich wurden, während seine Lippen heiß auf ihren brannten, und sie wusste, dass er genauso empfand.

Behutsam legte er eine Hand an ihren Hinterkopf, um sie noch inniger küssen zu können. Mit der anderen Hand streichelte er ihre nackten Schultern. Abby hielt den Atem an, als sie spürte, wie seine Zungenspitze in ihren Mund glitt. Sie seufzte leise auf. Ihre Lippen und Zungen neckten einander, wie sie es sonst nur mit Worten taten. Und dann entwich auch Judd ein tiefes, verlangendes Stöhnen.

Sie sollte ihn wegstoßen. Sie musste ihm klarmachen, dass sie das nicht wollte. Sie musste ihm sagen, dass sie nur an früher gedacht und er ihren Blick falsch verstanden hatte.

Aber stattdessen gab sie nach. Ihre Leidenschaft war entfacht. Viel zu lange hatte sie von diesem Kuss nur träumen können. Die jahrelange Freundschaft war plötzlich egal. Alles, was zählte, waren Judds Duft und seine unendlich zärtlichen Berührungen. Und selbst wenn dieser Kuss ein einmaliger Ausrutscher war: sie würde ihn genießen.

Nein! Das hier ist Judd Calloway, dein alter Freund Judd! Du darfst ihn nicht küssen! Doch es waren nur Worte, die durch ihren Kopf geisterten. Ihr Körper weigerte sich, ihnen Folge zu leisten.

Judd stöhnte wieder und zog Abby noch enger an seinen erhitzten Körper. Noch nie hatte sie einen Moment so genossen, wie diesen verbotenen Augenblick. Plötzlich ertappte sie sich bei dem Gedanken, Judd doch mit hinauf auf ihr Hotelzimmer zu nehmen.

Während sie sich an ihn schmiegte, versuchte sie sich vorzustellen, wie sich seine Hände wohl auf ihrem Körper anfühlen würden. Judd küsste so leidenschaftlich. Seine Lippen wanderten an ihrem Hals hinab und ließen süße Schauer über ihren Rücken laufen.

Die Atmosphäre zwischen ihnen schien zum Zerreißen gespannt. Nur Freunde, klar! Mittlerweile waren sie ein ganzes Stück darüber hinaus. Und Abby hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte. Ein einziger Kuss von Judd, und ihr Verstand war wie ausgelöscht. Sie war nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Doch eigentlich spielte das alles jetzt keine Rolle mehr. In dem Moment, als Judds Lippen die ihren berührt hatten, war sie geradewegs in den siebten Himmel geschwebt. Und hier wollte sie bleiben.

Auf einmal hielt Judd inne, ließ sie los und sah ihr fest in die Augen. Abby versuchte in dem schummrigen Licht seinen Blick zu deuten, doch es gelang ihr nicht. Schweigend wartete sie darauf, dass er etwas sagte.

„Man nehme ein sexy Kleid, einen gut gemixten Cocktail und einen Hauch tropische Hitze, und was passiert mit uns? Wir verhalten uns, als wären wir verrückt geworden.“

Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon.

4. KAPITEL

„Guten Morgen!“

Abby warf einige Aktenmappen auf den Tisch und ließ sich Judd gegenüber in einen Stuhl fallen. Fragend hob sie eine Augenbraue, als sie drei leere Kaffeebecher vor sich sah.

Judd griff gerade nach dem vierten. Entschuldigend zuckte er die Achseln. „Was soll ich sagen? Ohne Koffein bin ich am Morgen nicht zu gebrauchen.“

Was er sagen sollte? Zum Beispiel konnte er erklären, was er sich bei seinem nächtlichen Kuss gedacht hatte!

Das Grübeln darüber hatte Abby – auch ohne Koffein – die halbe Nacht wach gehalten. Doch anstatt das Thema anzusprechen, reichte sie ihm eine Mappe.

„Das ist unser Plan für heute.“

Sie beobachtete Judd, wie er kleine Schlucke des heißen Getränks zu sich nahm.

„Vielleicht solltest du es mal mit einem gesunden Frühstück versuchen, mein Lieber. Zu viel Kaffee ist nicht gut. Ich kann keinen völlig überdrehten Fotografen gebrauchen, der auf alle Kokospalmen klettert, die sich ihm in den Weg stellen.“

„Hast du schon immer so viel genörgelt, oder willst du nur mal etwas Neues ausprobieren?“ Judd lächelte, und um seine Augenwinkel herum bildeten sich kleine Lachfältchen. Mit der Kaffeetasse prostete er Abby zu.

Obwohl er ihr erst vor sechs Monaten ein Foto von sich geschickt hatte, sah er in der Realität ganz anders aus: älter, reifer, aber auch irgendwie angespannt. Als könnte er dringend Urlaub gebrauchen. Und das lag nicht nur an den Ringen unter seinen Augen, sondern auch an seinem Gesichtsausdruck. Abby fragte sich, ob sie ihn jetzt auf den Kuss ansprechen sollte. Oder sollte sie besser warten, bis er von sich aus damit anfing?

„Du findest also, dass ich an dir herumnörgele? Dann verrat mir doch bitte mal, wie du es schon so lange mit mir ausgehalten hast?“ Sie bemühte sich, die Verärgerte zu spielen. Plötzlich mussten sie beide grinsen. Sie saßen sich am Tisch gegenüber und lachten, als wäre nie etwas gewesen.

Doch plötzlich verschwand das Lächeln von Judds Gesicht, und er stellte die Kaffeetasse ab. „Ich muss mich übrigens bei dir entschuldigen. Wegen gestern Abend. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Es tut mir leid.“

„Na dann ist ja gut“, versuchte Abby zu scherzen. „Ich dachte schon, dass du zu lange im Urwald unterwegs warst und dich jetzt auf die nächstbeste Frau stürzt, die dir begegnet.“

„Nun, so würde ich es nicht direkt ausdrücken …“ Er verstummte, als Abby in schallendes Gelächter ausbrach. Dann musste auch er grinsen. „Vielleicht hast du recht. Ich hatte etwas zu viel getrunken und du sahst so umwerfend aus. Ich weiß auch nicht, aber irgendwie hast du mir den Kopf verdreht. Wie klingt das?“

Eigentlich ganz plausibel. Doch so einfach wollte es ihm Abby nicht machen.

„Etwas schwülstig vielleicht, aber ich hatte auch nichts anderes von dir erwartet.“

Judd griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ans Herz, als hätte Abby ihn dort verwundet. „Aua! Wie brutal du sein kannst.“

„Das war noch gar nichts. Nun denn, zurück zum Geschäft. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.“

Abby war dankbar, dass sie das Thema fürs Erste abhaken konnte. Sie öffnete den Ordner, der vor ihr auf dem Tisch lag.

Noch bevor sie Judd einige der Papiere reichen konnte, klingelte ihr Mobiltelefon. Auf dem Display erschien der Name „Marc Pyman“. Sie musste das Gespräch also annehmen.

„Es ist Marc. Dauert nur ein paar Sekunden.“ Abby bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Judd ihr einen seltsamen Blick zuwarf. Dann wandte er sich wieder seinem Kaffee zu.

„Hallo, Marc. Was gibt es denn so früh am Morgen?“

„Wir haben ein Problem, Abby. Ein großes …“

Abby seufzte. Es schien wirklich etwas Wichtiges zu sein, wenn Marc sie noch nicht einmal begrüßte.

„Worum geht es?“

„Bassel Designs benötigen noch dringend eine Fotoserie ihrer aktuellen Brautmodelle.“

„Und wo ist das Problem? Schick die Kleider rüber und wir bauen sie ein.“

Marc machte eine Pause. Es schien Abby, als suche er nach den richtigen Worten. „Das Kleid wird keinem deiner Models passen. Bassel Designs legt Wert darauf, dass alles absolut natürlich aussieht.“

„Aha.“ Abby verstand. Nun, es war schon öfters vorgekommen, dass Australiens bedeutendster Designer in letzter Minute eine Änderung umgesetzt haben wollte. Und bislang hatte sie noch immer eine spontane Idee gehabt.

„Ich könnte vielleicht nach einem attraktiven Pärchen Ausschau halten, das hier Urlaub macht und …“

„Leider ist die Zeit ziemlich knapp. Das Kleid ist schon unterwegs zu euch. Und die Fotos müssen morgen fertig sein.“

„Du willst mich wohl auf den Arm nehmen?“ Abby wurde bewusst, dass sie nervös an ihren Unterlagen herumspielte. Sie ließ die Hände auf die Tischplatte sinken und strich das Tischtuch glatt. „Das ist wirklich knapp.“

„Aber es ist machbar, oder?“

Marcs Frage und die Art, wie er sie vorbrachte, zeigten Abby, wie gestresst er war. Sie seufzte. Natürlich würde sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Auftrag erfolgreich abzuschließen.

„Es sollte kein allzu großes Problem sein.“ Natürlich nicht. „Ich werde mich sofort darum kümmern.“

„Vielen Dank, Abby. Du gibst dir echt sehr viel Mühe. Ich glaube, du bist dem großen Auftrag, von dem wir neulich gesprochen haben, schon wieder ein Stückchen näher gekommen.“

„Super.“ Abby bemühte sich um einen gelassenen Tonfall. Ihr Gehirn arbeitete bereits auf Hochtouren und suchte nach einer Lösung für das Problem. „Welche Größe hat das Kleid eigentlich? Dann kann ich schon nach Gästen gucken, denen es möglicherweise passen könnte.“

„Es ist Größe 38. Und der Smoking hat Größe 102.“

„Alles klar“, Während sie die Zahlen auf eine der Mappen kritzelte, warf sie bereits einen kurzen Blick in den Raum, um nach möglichen Modellen Ausschau zu halten.

„Danke, Abby. Ich freue mich jetzt schon auf die Ergebnisse. Schick mir die Fotos möglichst noch heute Abend per Mail. Oder morgen ganz früh, einverstanden?“

„Ja, so machen wir es. Bis später!“

Marc hatte bereits aufgelegt. Abby ließ das Telefon wieder in ihre Handtasche gleiten. Als sie die Maße noch einmal betrachtete, runzelte sie die Stirn. Wie um alles in der Welt sollte sie hier ein Pärchen finden, dem die Kleider wie angegossen passten? Im Moment waren nur wenige Urlauber auf Sapphire Island. Und selbst wenn sie zwei geeignete Personen fand, dann musste denen ja auch noch das Posieren vor der Kamera beigebracht werden. Und bis heute Abend sollten die Fotos fertig sein.

Es klang fast unmöglich.

„Was machst du denn für ein Gesicht?“

Als sie aufblickte, sah Abby direkt in Judds braune Augen. Er lächelte sie an.

„Wir haben ein Problem.“

„Wir?“

Judd lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Sein Lächeln wurde noch breiter. „Also von hier sieht es eher so aus, als hättest du ein Problem … Du scheinst einiges neu planen zu müssen, was?“

„Neu planen?“

Abby senkte ihre Stimme, als ihr bewusst wurde, dass sie die Aufmerksamkeit eines älteren Ehepaares in Hawaii-Hemden auf sich gezogen hatte. Die beiden waren dabei, den Speisesaal zu durchqueren. „Es geht nicht darum, etwas neu zu planen. Ich muss quasi das Rad neu erfinden, damit Marcs größter Kunde zufrieden ist und den Auftrag nicht zurückzieht.“

„Das klingt wirklich ernst. Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Nicht, wenn du nicht zufällig Größe 102 trägst“, murmelte Abby. Sie umkreiste mit ihrem Kuli die Zahl 38 immer und immer wieder, bis das Papier an der Stelle nachgab und zerriss.

„Zufällig hab ich genau die.“

Abby hörte auf, die Mappe zu bekritzeln. Ungläubig starrte sie Judd an.

Sie konnte doch nicht … Auf gar keinen Fall … Oder vielleicht doch?

Bemüht, nicht zu viel Begeisterung in ihrer Stimme mitklingen zu lassen, fragte sie: „Kann Tom richtig gute Fotos machen?“

Autor

Fiona Hood Stewart
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Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

Doch der Wunsch zu schreiben ließ sie nicht los...
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Margaret Mc Donagh
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