Julia Sommerliebe Band 21

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PARADIES AM BLAUEN MEER von CRAVEN, SARA
Paradiesische Flitterwochen an der Amalfiküste - Sommer, Sonne und ein tiefblaues Meer. Doch in den Nächten weint Marisa heiße Tränen. Sie ist überzeugt, dass ihr Mann sie nicht liebt. Steht hinter Renzos leidenschaftlichen Umarmungen nur der Wunsch nach einem Erben?

MAROKKANISCHE NÄCHTE VOLLER GLUT von WINSPEAR, VIOLET
Einen weiten Weg hat Linda zurückgelegt von der grauen Londoner Vorstadt bis ins sonnendurchglühte Marokko in den Palast von Scheich Karim. Erst nach der Hochzeitsnacht verwandelt sich ihr Geliebter in einen anderen - in den stolzen und grausamen Wüstenprinzen …

UNSERE INSEL DER LIEBE von NAPIER, SUSAN
Sanft umspülen die Wellen des Pazifiks den Strand. Aber Vivian hat keinen Blick für die Schönheit der Insel, auf der Nicholas Thorne sie gefangen hält - der Mann, der ihr vor Jahren Vergeltung schwor. Und seine Rache ist doppelt süß, als Vivian sich in ihn verliebt …


  • Erscheinungstag 28.04.2010
  • Bandnummer 21
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952182
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sara Craven, Susan Napier, Violet Winspear

JULIA Sommerliebe, BAND 21

SARA CRAVEN

Paradies am blauen Meer

Ihre Mütter haben diese Ehe geplant, als Lorenzo und Marisa noch Kinder waren. Endlich ist es soweit: Renzo, erfolgreicher Banker und Womanizer, ist hingerissen von seiner bildhübschen Braut. Bis Marisa ihm erklärt, dass er sie wieder freigeben muss, sobald sie ihm einen Sohn geboren hat. Kein Wunder, dass die Hochzeitsnacht nicht gerade romantisch verläuft …

SUSAN NAPIER

Unsere Insel der Liebe

Zehn Jahre hat Nicholas Thorne auf diese Gelegenheit gewartet. Nach einem Autounfall musste er damals seine Träume von einer Sportkarriere aufgeben. Jetzt hat er endlich die Frau in seiner Gewalt, die er für den Unfall verantwortlich macht: Vivian Mitchell. Seltsamerweise verspürt er bei ihrem Anblick keine Rachegelüste, sondern Gelüste ganz anderer Art …

VIOLET WINSPEAR

Marokkanische Nächte voller Glut

War es das Schicksal, das Karim el Khalid und Linda Layne zusammengeführt hat? Auf den ersten Blick ist der millionenschwere Scheich von der aparten Engländerin bezaubert, umwirbt sie mit Geschenken, um sie schließlich zu heiraten. Doch dann erfährt er die Wahrheit über Lindas Herkunft, und ein Abgrund tut sich auf. Kann ihre Liebe diese tiefe Kluft überwinden?

1. KAPITEL

Die gläsernen Eingangstüren zur San Francesco Klinik öffneten sich lautlos. Dennoch wandte jeder der Wartenden den Kopf, um den Mann zu betrachten, der aus der dunklen Nacht eintrat. Zielstrebig steuerte er auf den Empfang zu, scheinbar ohne sich der prüfenden Blicke bewusst zu sein. Eine der beiden Krankenschwestern, die gerade im Gang standen, ließ ihre Aufzeichnungen sinken und musterte den großen, schlanken Besucher mit dem zerzausten Haar. Unauffällig beugte sie sich zu ihrer Kollegin. „Er sieht aus, als käme er direkt aus dem Bett“, flüsterte sie. Sie ahnte nicht, wie recht sie damit hatte. Ihre Kollegin nickte zustimmend und seufzte sehnsüchtig.

Lorenzo Santangeli war nicht im klassischen Sinne schön. Aber sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den goldbraunen Augen und dem geschwungenen, sinnlichen Mund war durchaus reizvoll. Keine Frau, die ihn ansah, konnte sich der Kraft seiner Ausstrahlung entziehen.

„Mein Vater wurde gerade eingeliefert“, wandte er sich an die junge Frau am Empfang. Trotz seiner Anspannung klang seine Stimme ruhig. „Ein Notfall.“

Wenige Augenblicke später kam Signor Martelli, der Chefarzt des Krankenhauses, aus seinem Büro, um Lorenzo zu begrüßen. Erst jetzt schienen sich die Krankenschwestern aus der Erstarrung zu lösen und gingen eilig wieder an die Arbeit.

Lorenzo vergeudete keine Zeit mit Höflichkeiten. „Wie geht es ihm?“, fragte er voller Sorge.

„Den Umständen entsprechend gut“, entgegnete der Arzt. „Zum Glück war sehr schnell ein Krankenwagen zur Stelle, sodass Ihr Vater sofort ärztlich versorgt werden konnte.“ Er lächelte beruhigend. „Es war kein schlimmer Anfall. Wir gehen davon aus, dass der Marchese wieder vollkommen gesund wird.“

Lorenzo atmete auf. „Darf ich zu ihm?“

„Selbstverständlich. Ich werde Sie begleiten.“

Sie nahmen den Fahrstuhl in eines der oberen Stockwerke. Signor Martelli warf einen kurzen Seitenblick auf seinen Begleiter. „Es ist wichtig, dass Ihr Vater Anstrengungen vermeidet. Das Personal sagte mir, er sei sehr aufgeregt gewesen, als er auf Sie gewartet hat. Ich bin froh, dass Sie hier sind.“

„Das bin ich auch, Signore.“ Lorenzos Ton war zuvorkommend, machte dem Arzt jedoch auch unmissverständlich deutlich, nicht noch weiter nachzufragen.

Dem Chefarzt war bereits zu Ohren gekommen, dass Lorenzo Santangeli ein gefürchteter und Respekt einflößender Mann war, und er sah diesen Ruf bestätigt. Schweigend ging er weiter.

Lorenzo hatte erwartet, dass sein Vater von Ärzten und Pflegern umringt und an zahllose Überwachungsmonitore angeschlossen wäre. Tatsächlich aber war Guillermo Santangeli allein in dem komfortablen Privatzimmer. An einige Kissen gelehnt blätterte er seelenruhig in einem Fachmagazin der Wirtschaftspresse. Statt technischer Geräte stand neben ihm ein mächtiges Blumengesteck.

Einen Moment lang blieb Lorenzo im Türrahmen stehen. Er war erstaunt darüber, seinen Vater so entspannt zu sehen.

Guillermo seinerseits musterte seinen Sohn über den Rand seiner Brille hinweg. „Ah“, sagte er. „Finalmente.

Einen Augenblick hielt er inne. „Es war nicht einfach, dich aufzuspüren, mein Sohn.“

Die leichte Schärfe in seinen Worten war Lorenzo nicht entgangen. Mit einem entschuldigenden und gleichzeitig charmanten Lächeln trat er ans Bett seines Vaters. „Nun, Papa, jetzt bin ich ja hier. Und ich bin sehr froh, dass es dir besser geht. Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich erfuhr, dass du einen Herzanfall hattest.“

„Die Ärzte nennen so etwas einen ‚Zwischenfall‘.“ Guillermo zuckte die Achseln. „Im ersten Moment besorgniserregend, aber nicht lebensbedrohlich. Ich muss noch ein paar Tage zur Beobachtung hierbleiben, aber dann kann ich wieder nach Hause.“ Er seufzte. „Allerdings werde ich Medikamente nehmen müssen, und die Ärzte haben mir das Rauchen und den Brandy verboten – zumindest vorübergehend.“

„Dass du deine Zigarren nicht mehr rauchen darfst, ist ein Segen für alle“, erwiderte Lorenzo lächelnd, während er die Hand seines Vaters ergriff und küsste.

Der Marchese verzog missmutig das Gesicht. „Ottavia ist derselben Meinung. Sie war bis eben da, hat mir meinen Pyjama und die Blumen gebracht. Ohne ihre schnelle Hilfe wäre ich jetzt nicht mehr hier. Wir hatten gerade gemeinsam zu Abend gegessen, als ich mich plötzlich unwohl fühlte.“

Lorenzo hob die Augenbrauen. „Dafür bin ich ihr sehr dankbar.“ Er nahm sich einen Stuhl und fuhr nach kurzer Pause fort: „Ich hoffe, Ottavia ist nicht meinetwegen gegangen.“

„Sie ist eine sehr taktvolle Dame“, entgegnete sein Vater. „Sie wollte uns einfach nicht stören – das ist alles. Ich konnte sie inzwischen davon überzeugen, dass du unsere Beziehung nicht länger als Betrug an deiner verstorbenen Mutter ansiehst.“

Fast unmerklich wurde Lorenzos Lächeln schmaler. „Grazie. Es ist gut, dass du ihr das gesagt hast.“ Er zögerte. „Also kann ich davon ausgehen, bald eine Stiefmutter zu haben? Wenn du … euer Verhältnis offiziell anerkennen lassen möchtest, werde ich dem nicht im Wege stehen.“

Guillermo hob abwehrend die Hand. „Das ist nicht das Thema. Wir haben häufig darüber gesprochen und sind uns einig, dass uns beiden unsere Unabhängigkeit sehr wichtig ist. Es wird sich nichts ändern.“ Er nahm die Brille ab und legte sie behutsam auf das Tischchen neben seinem Bett. „Da wir gerade davon sprechen: Wo ist eigentlich deine Frau?“

Anscheinend bin ich geradewegs in die Falle getappt, dachte Lorenzo und fluchte unterdrückt. „Sie ist in England, Papa – ich denke, das weißt du auch.“

„Ah ja.“ Nachdenklich nickte sein Vater. „Ist sie nicht kurz nach euren Flitterwochen dorthin gereist und seither nicht zurückgekehrt?“

Lorenzo hielt seinem Blick stand. „Ich dachte … eine Trennung auf Zeit wäre hilfreich.“

„Eine seltsame Entscheidung“, gab sein Vater zurück. „Besonders, wenn man die Gründe für diese Heirat bedenkt … Du stehst in der Erbfolge an letzter Stelle, mein lieber Lorenzo. Und weil du bis zu deinem dreißigsten Geburtstag keine Anstalten gemacht hast, dein Junggesellendasein aufgeben zu wollen, hielt ich es für angezeigt, dich an deine Verpflichtungen der Familie gegenüber zu erinnern: Du musst für einen Erben sorgen, der den Namen der Santangelis weiterführt.“ Das Gespräch schien den Marchese anzustrengen. Dennoch fuhr er nach einer kurzen Pause fort. „Du hast deine Pflicht akzeptiert. Und da es zu dem Zeitpunkt in deinem Leben anscheinend keine feste Beziehung gegeben hat, hast du zugestimmt, das Mädchen zu heiraten, das deine verstorbene Mutter für dich vorgesehen hat – ihre geliebte Patentochter Marisa Brendon. Ich hoffe, dass mein hohes Alter mein Gedächtnis nicht trübt und ich mich noch richtig an die Einzelheiten dieser Vereinbarung erinnere. Also, hab ich recht?“, vergewisserte er sich sanft.

„Selbstverständlich.“ Lorenzo biss die Zähne zusammen. „Du hast wie immer recht.“

„Acht Monate sind seit der Hochzeit vergangen, und es gibt noch immer keine guten Neuigkeiten. Das ist in jedem Fall enttäuschend. Aber nach meiner Herzattacke wird die Frage, ob es einen Erben gibt, der den Namen Santangeli weiterführen wird, für mich noch wichtiger. Die Ärzte haben mir geraten, kürzerzutreten. Kurz gesagt: Mir ist bewusst geworden, dass auch ich nicht ewig lebe. Und ich würde gern mein erstes Enkelkind in den Armen halten, ehe ich sterbe.“

Lorenzo erschrak. „Papa, du wirst noch lange leben. Das wissen wir beide.“

„Das kann ich nur hoffen“, entgegnete Guillermo. „Aber darum geht es nicht.“ Er sank in die Kissen zurück. „Deine Frau kann dir keinen Sohn schenken, wenn du nicht unter einem Dach mit ihr lebst – geschweige denn, das Bett mit ihr teilst. Oder besuchst du sie regelmäßig in London, um deinen ehelichen Pflichten nachzukommen?“

Abrupt stand Lorenzo auf und trat ans Fenster. Er öffnete die Vorhänge und starrte in die Dunkelheit hinaus. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild einer schönen jungen Frau mit strahlenden Augen auf, und ein Gefühl der Scham versetzte ihm einen schmerzhaften Stich.

„Nein“, gab er schließlich zu, „das tue ich nicht.“

„Und warum nicht?“, hakte sein Vater nach. „Wo liegt das Problem? Zugegeben, die Heirat war arrangiert, aber das war meine Ehe auch. Und dennoch haben deine Mutter und ich uns sehr geliebt. Die Frau, mit der du verheiratet bist, ist jung, charmant und unbestreitbar unschuldig. Außerdem kennst du sie schon fast dein ganzes Leben lang. Wenn sie also nicht die Richtige für dich ist, hättest du das eher sagen müssen.“

Lorenzo wandte sich zu ihm um. Sein Blick war voller Bitterkeit. „Ist es dir noch nicht in den Sinn gekommen, Papa, dass sich die Sache genau umgekehrt verhält? Dass Marisa nichts von mir wissen will?“

Che sciocchezze!“, rief Guillermo sofort. „Was für ein Unsinn! Schon als sie ein Kind war, konnte jeder sehen, dass sie dich angebetet hat.“

„Tja, aber jetzt ist sie erwachsen, und ihre Gefühle haben sich geändert“, erwiderte Lorenzo trocken. „Vor allem, seit sie die Hintergründe unserer Ehe kennt.“

Guillermo sah ihn verärgert an. „Was erzählst du da? Willst du mir weismachen, dass ein Mann mit deiner Erfahrung seine eigene Ehefrau nicht verführen kann? Du hättest aus der Pflicht ein Vergnügen machen sollen, mein Sohn. Und du hättest die Hochzeitsnacht dazu nutzen sollen, die Liebe deiner Frau für dich zu wecken.“ Er überlegte kurz. „Im Übrigen hat niemand sie dazu gezwungen, dich zu heiraten.“

Lorenzo blickte seinen Vater ruhig an. „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Seit ihre Cousine, diese Hexe, ihr gesagt hat, wie tief sie in der Schuld unserer Familie steht, hatte sie im Grunde genommen keine andere Wahl mehr.“

Guillermos Blick verfinsterte sich. „Du hast es ihr nicht gesagt? Du hast ihr nicht erklärt, dass es der Letzte Wille deiner verstorbenen Mutter, ihrer Patentante, war, dass Marisa ein sorgenfreies Leben führen kann?“

„Ich habe es versucht, aber sie hat mir nicht geglaubt. Sie wusste ja, dass unsere Hochzeit Mamas sehnlichster Wunsch war – deshalb denkt sie nun, das alles sei nur Teil des schmutzigen Geschäfts gewesen.“ Er schluckte schwer. „Ihre Cousine hat ihr erzählt, dass ich eine Geliebte hatte, als ich sie gebeten habe, mich zu heiraten. Nach diesen Enthüllungen konnten die Flitterwochen ja nicht glücklich werden.“

„Diese Cousine hat sich einiges geleistet“, bemerkte Guillermo düster. „Und was dich betrifft, so ist es mir immer noch schleierhaft, warum du mit Lucia nicht alles geregelt hast, bevor es mit der Heirat ernst wurde. Das war dumm von dir.“

„Wenn es einfach nur dumm gewesen wäre, könnte ich damit leben“, sagte Lorenzo bitter. „Aber es war grausam. Und das kann ich mir nicht verzeihen.“

„Ich verstehe dich“, antwortete sein Vater langsam. „Das ist schlimm. Aber jetzt ist es wichtiger, dich zu fragen, ob du deine Frau überzeugen kannst, dir zu verzeihen.“

„Wer weiß das schon?“, erwiderte Lorenzo und seufzte. „Ich hatte gehofft, dass etwas Abstand und Zeit zum Nachdenken uns helfen könnten. Am Anfang habe ich Marisa regelmäßig geschrieben, habe sie angerufen und ihr ständig Nachrichten hinterlassen. Doch sie hat nicht reagiert. Mittlerweile habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass wir uns versöhnen können.“ Er schwieg kurz. „Ich will nicht betteln“, fügte er tonlos hinzu.

Guillermo legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete ausgiebig seine Hände. „Eine Scheidung kommt natürlich nicht infrage“, erklärte er. „Doch nach allem, was du mir erzählt hast, könnten wir die Ehe annullieren lassen.“

„Niemals“, widersprach Lorenzo rau. „Unsere Ehe ist eine Tatsache, Marisa ist meine Frau. Daran ist nicht zu rütteln.“

„Große Worte“,knurrte sein Vater. „Und wie erklärst du mir dann, dass in der Öffentlichkeit über deine Affäre mit Doria Venucci gesprochen wird? Deine Großmutter hat es mir gestern erzählt.“

Nonna Teresa“, stieß Lorenzo zornig hervor. „Warum nur interessiert sie sich so brennend für mein Leben – insbesondere für die Dinge, von denen sie eigentlich nichts hält? Und wie konnte eine Frau wie sie eine so liebenswerte und freundliche Tochter wie meine Mutter haben?“

„Das habe ich mich auch immer gefragt“, gab Guillermo zu. „Doch dieses Mal ist ihre Klatschsucht gerechtfertigt. Sie macht sich Sorgen, dass Antonio Venucci erfährt, wie und mit wem sich seine Frau amüsiert, während er geschäftlich in Wien ist.“ Der alte Santangeli beobachtete, wie sein Sohn die Stirn runzelte, und nickte nachdrücklich. „Ein solcher Skandal, mein lieber Lorenzo, würde jede Chance zunichtemachen, dich mit deiner Frau zu versöhnen. Falls es wirklich das ist, was du möchtest.“

„Es ist das, was notwendig und sinnvoll ist“, gab Lorenzo ruhig zurück. „Ich kann nicht zulassen, dass der gegenwärtige Zustand noch länger anhält. Einerseits gehen mir allmählich die Ausreden aus, um Marisas Abwesenheit zu erklären. Andererseits sehe ich ein, dass der Zweck dieser Ehe endlich erfüllt werden muss.“

Dio mio“, seufzte Guillermo. „Hoffentlich findest du deiner Frau gegenüber etwas romantischere Worte. Ansonsten wirst du mit Sicherheit scheitern.“

„Dieses Mal nicht. Das verspreche ich dir“, sagte Lorenzo entschlossen.

Gedankenverloren fuhr Lorenzo wenig später zu seiner Wohnung zurück. Er hatte das Obergeschoss eines historischen Palazzo gekauft, dessen Vorbesitzer sich durch seinen luxuriösen Lebensstil ruiniert hatte. Doch sosehr Lorenzo die Eleganz des edlen Domizils inmitten von Rom liebte, war es für ihn doch nicht mehr als eine Zweitwohnung. Sein Herz hing an dem altehrwürdigen Landsitz seiner Familie in der Toskana. Dort war er geboren. Und ursprünglich hatte er vorgehabt, mit seiner Frau im Westflügel des Hauses zu leben. Dieser Teil des Familiensitzes hätte genau die Ungestörtheit geboten, die ein frischgebackenes Ehepaar sich wünschte.

Er erinnerte sich daran, wie er Marisa ihr neues Heim vor der Hochzeit gezeigt und ihr angeboten hatte, eigene Ideen in die Gestaltung einzubringen. Doch sie hatte nur zögernd gesagt, es sei sehr schön, und ihn dann gebeten, nicht noch weiter in sie zu dringen. Die prachtvollen, geräumigen Schlafzimmer mit der Verbindungstür, die sie nach ihrer Hochzeit bezogen hätten, hatte sie keines Blickes gewürdigt.

Falls sie Bedenken gehegt hatte, mit ihrem künftigen Schwiegervater unter einem Dach zu leben, so hatte sie sie für sich behalten und geschwiegen. Eigentlich hatte es immer so gewirkt, als hätte sie Guillermo sehr gemocht.

Um ehrlich zu sein, dachte Lorenzo stirnrunzelnd, hat sie sowieso wenig gesagt, nachdem sie mit leiser Stimme ihr Jawort gegeben hat. Er hätte es bemerken müssen. Doch vermutlich hatte er ihr Unbehagen einfach ignoriert, weil ihm andere Dinge wichtiger waren.

Schon als Kind war Marisa eher still gewesen. Und als sie älter wurde, hatte sie sich zu einem in sich gekehrten Teenager entwickelt.

Wehmütig erinnerte er sich, dass sie ihre Schwärmerei für ihn immer zu verbergen versucht hatte – wenn auch nicht besonders geschickt. Er war ihr Held gewesen.

Seine Mutter hatte Lisa Cornell, Marisas Mutter, als junges Mädchen in der Klosterschule in Rom kennengelernt. Ihre Freundschaft hatte all die Jahre überdauert und trotz der großen Entfernung gehalten.

Während Maria direkt nach dem Schulabschluss geheiratet hatte und binnen eines Jahres Mutter geworden war, hatte Lisa Karriere als Journalistin gemacht, ehe sie sich in den berühmten Dokumentarfilmer Alec Brendon verliebt hatte.

Als schließlich ihre Tochter zur Welt gekommen war, hatte festgestanden, dass nur Maria die Patentante werden konnte. Und Maria hatte sich über diesen Vertrauensbeweis gefreut. Marisa trug den Namen ihrer Mutter und ihrer Patentante – Maria Lisa.

Lorenzo wusste, dass seine Eltern sich verzweifelt noch mehr Kinder gewünscht hatten, doch er war der einzige Sohn geblieben. Und so hatte Marisa im Herzen seiner Mutter den Platz der sehnlichst erwarteten Tochter eingenommen.

Wann die Mütter den Plan gefasst hatten, ihre Kinder sollten später einmal heiraten, wusste Lorenzo nicht. Er selbst jedoch hatte dieses Versprechen schon als Heranwachsender als Belastung empfunden.

Und das war einer der Gründe dafür gewesen, dass er begonnen hatte, Marisa zu necken. La cicogna – Storch – hatte er sie genannt und damit auf ihre langen Beine und ihre spitze Nase angespielt, bis seine Mutter ihn mit ungewohnter Schärfe zurechtgewiesen hatte.

Im Laufe der Jahre hatte er die Vereinbarung zwischen seiner Mutter und Lisa Brendon so gut es ging verdrängt. Doch als Marisas Eltern vor sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte das Heiratsversprechen plötzlich wieder im Raum gestanden.

Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sich herausgestellt, dass Marisa vollkommen mittellos war. Jahrelang hatten die Brendons weit über ihre Verhältnisse gelebt, und Alec hatte darüber hinaus versäumt, seine Lebensversicherung zu verlängern.

Maria hatte das damals vierzehnjährige Mädchen sofort in der Familie aufnehmen wollen, doch zum ersten Mal hatte sich Guillermo einem ihrer Wünsche widersetzt. Falls Lorenzo und Marisa tatsächlich heiraten sollten, so sein Argument, sei es besser, sie bleibe auf Kosten der Santangelis weiterhin in London. Denn ansonsten, hatte Guillermo erklärt, könne es passieren, dass Lorenzo in Marisa die kleine Schwester sähe – und nicht die zukünftige Braut.

Maria hatte seine Entscheidung widerstrebend akzeptiert. Und nachdem Marisa nach England zurückgekehrt war, hatte Lorenzo sein unbeschwertes Junggesellenleben fortgeführt, ohne auch nur einen Gedanken an seine künftige Braut zu verschwenden.

Lorenzo hatte sich auf seine Karriere konzentriert. Er hatte sein Können unter Beweis stellen wollen, ehe er die Leitung der international angesehenen Santangeli Bank von seinem Vater übernahm. Niemand, so hatte er sich fest vorgenommen, sollte sagen können, er habe diesen Job nur, weil er der Sohn des Chefs sei.

Sein Leben war großartig. Er hatte einen anspruchsvollen Job, der ihm Spaß machte, ihn wirklich interessierte und der es ihm erlaubte, viel zu reisen. Nicht nur beruflich, auch privat hatte es der Erfolg gut mit ihm gemeint. Er hatte seine Affären mit den attraktivsten Frauen stets sehr genossen – und den Damen war bewusst gewesen, dass er kein Mann zum Heiraten war. Das Wort Liebe war in Nächten voller Leidenschaft nie gefallen.

Vor drei Jahren aber war er jäh aus diesem sorglosen Lebensstil gerissen worden. Damals hatte er erfahren, dass seine Mutter schwer krank war. Die Ärzte hatten einen unheilbaren Krebs bei Maria festgestellt, und nur sechs Wochen später war sie gestorben. Zuvor aber hatte sie ihm ein Versprechen abgenommen.

„Lorenzo, carissimo mio.“ Sie hatte ihre schmale Hand auf die seine gelegt. „Versprich mir, dass du meine kleine Marisa heiraten wirst.“

Betäubt von Sorge und Trauer hatte er ihr sein Wort gegeben – und damit sein Schicksal besiegelt.

Als er nun seine Wohnung betrat, wurde er vom Läuten des Telefons aus seinen Gedanken gerissen. Er nahm das Gespräch nicht an, denn er wusste, wer anrief. Das Krankenhaus würde sich unter seiner privaten Handynummer melden – die Doria Venucci nicht hatte.

Ihm wurde klar, dass er sich von Doria trennen musste, wenn seine Ehe noch eine Chance haben sollte. Doch der Anstand forderte, dass er ihr persönlich gegenübertrat, um ihr zu sagen, dass ihre Beziehung beendet war.

Mit großem Widerstand von ihrer Seite hatte er nicht zu rechnen. Eine heimliche Liebesaffäre war eine Sache – ein öffentlicher Skandal, der ihre eigene Ehe gefährdete, war jedoch etwas ganz anderes. Lorenzo lächelte traurig.

Er schlüpfte aus seinen Kleidern und ging durch sein riesiges Schlafzimmer ins angrenzende Bad. Einen Moment lang verspürte er Bedauern, als er an diesen üppigen, bronzefarbenen, unersättlichen Körper dachte, den er erst vor wenigen Stunden zum letzten Mal neben sich im Bett gehabt hatte und wohl nie wieder genießen würde.

Doch inzwischen hatte sich alles geändert. Ihm wurde bewusst, dass es falsch gewesen war, eine Affäre mit Doria zu beginnen. Es gab keine Entschuldigung für sein Verhalten – außer vielleicht Marisas unerbittlichen Anrufbeantworter, der ihm bei jedem Versuch, sie in London zu sprechen, mit unpersönlicher Stimme mitgeteilt hatte, Marisa sei nicht erreichbar. Sie schien fest entschlossen zu sein, ihm nicht die geringste Chance zu geben, seine Fehler wiedergutzumachen.

Dann ist es eben nicht zu ändern, hatte er sich verärgert gesagt. Er war es leid gewesen, wie im Zölibat zu leben, nur weil sie ihn verlassen hatte. Sie hatte ihn nicht gewollt – also hatte er sich eine andere Frau gesucht.

Und die Gelegenheit hatte nicht lange auf sich warten lassen.

Auf einer Party hatte er Doria wiedergetroffen und sie zum Lunch am nächsten Tag eingeladen. Dem gemeinsamen Essen waren sehr schnell einige äußerst hemmungslose Treffen in der Suite eines diskreten und ausgesprochen teuren Hotels gefolgt. Und selbst wenn er sich nur aus Trotz auf ein erneutes Aufflackern der Affäre mit Contessa Venucci eingelassen hatte, so hatte ihr offensichtliches Verlangen nach ihm seinem verletzten männlichen Stolz mehr als gutgetan.

Lorenzo trat in die geräumige Duschkabine, drehte den Wasserstrahl voll auf und ließ das erfrischende Nass über seinen erschöpften Körper rinnen. Fast hoffte er, dass das Wasser seine verwirrenden und widerstreitenden Gefühle einfach abwaschen könnte.

In letzter Zeit ließ sich nicht von der Hand weisen, wie angespannt das Verhältnis zu seinem Vater war. Er hatte es immer darauf geschoben, Guillermo nicht verzeihen zu können, dass dieser so kurz nach dem Tod der Mutter eine Beziehung mit Ottavia Alesconi eingegangen war.

Doch hatte er tatsächlich das Recht, seinem Vater den Wunsch nach ein bisschen Glück zu verwehren? Ottavia Alesconi war eine charmante und kultivierte Dame, eine kinderlose Witwe. Sie leitete eine Werbeagentur, die sie mit ihrem verstorbenen Mann gegründet hatte und nun erfolgreich allein weiterführte. Sie liebte Guillermo, aber sie hatte nicht vor, ihn zu heiraten.

Lorenzo seufzte. Sein Vater war immer ein lebenslustiger, kraftvoller Mann gewesen, der vor Gesundheit nur so gestrotzt hatte. Der Herzanfall in der vergangenen Nacht war sicherlich auch für Ottavia ein Schock, dachte Lorenzo düster. Er musste sie unbedingt anrufen und sich für ihre geistesgegenwärtige Hilfe bedanken. Vermutlich hatte sie seinem Vater das Leben gerettet. Wenn er mit ihr sprach, wollte er ihr auch sagen, dass seine Abneigung gegen sie und die Beziehung zu seinem Vater längst verflogen war.

Schließlich konnte gerade er es sich wohl kaum leisten, sich kritisch über das Privatleben anderer zu äußern.

Vielleicht herrschten diese Unstimmigkeiten zwischen seinem Vater und ihm aber auch, weil er noch immer das Gefühl hatte, von Guillermo in eine zum Scheitern verurteilte Ehe gedrängt worden zu sein.

Aber ich kann nicht für den Rest meines Lebens nachtragend sein, sagte er sich entschlossen, als er aus der Dusche trat und sich abtrocknete. Die Vergangenheit musste endlich ruhen. Die Herzattacke seines Vaters war ein Warnschuss gewesen – in vielerlei Hinsicht. Es war höchste Zeit, von seinem Junggesellendasein Abschied zu nehmen und endlich seinen Pflichten als Ehemann und irgendwann auch als Vater nachzukommen.

Falls ich meine Frau überzeugen kann, mit mir zusammen einen neuen Anfang zu machen, fügte er in Gedanken hinzu und fuhr sich mit den Fingern durchs feuchte Haar. Bisher habe ich damit noch keinen Erfolg gehabt, musste er zerknirscht zugeben.

Ihm wurde bewusst, dass die Schwierigkeiten begonnen hatten, als er zum ersten Mal nach London geflogen war, um Marisa im Haus ihrer Cousine zu besuchen.

Die Erinnerung war so frisch, als wäre es erst gestern gewesen.

Sein Vater hatte zu Marisas neunzehntem Geburtstag ein Fest in der Toskana geplant, und Lorenzo hatte die Einzelheiten mit ihr besprechen wollen …

Julia Gratton empfing ihn zunächst allein. Mit ihren eiskalten Augen musterte sie ihn von oben bis unten.

„Also lassen Sie sich endlich dazu herab, um Marisa zu werben, Signore.“ Sie lachte freudlos auf. „Ich hatte es kaum mehr für möglich gehalten. – Marisa zieht sich gerade um, ich habe sie hinaufgeschickt. Sie wird gleich zurück sein. Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit einen Kaffee anbieten?“

Er war froh, dass sie ihm verraten hatte, was in den großen, hauchdünnen Porzellantassen serviert wurde, denn die fast durchsichtige Brühe, die zu trinken er sich zwingen musste, schmeckte nach nichts.

Als sich endlich die Tür öffnete, war er froh, die Tasse abstellen zu können. Mit einem höflichen Lächeln erhob er sich – und hielt abrupt inne, als er Marisa erblickte.

Er bemerkte die Missbilligung, die wie ein Schatten über Julia Grattons schmales Gesicht huschte. Offenbar hatte Marisa sich nicht umgezogen. Ihm aber gefiel sie so, wie sie vor ihm stand.

Noch immer war sie schüchtern. Statt ihn anzusehen, hielt sie den Blick zu Boden gesenkt. Lange Wimpern lagen auf ihren zarten Wangen. Sie schien wie früher, und doch hatte sich etwas verändert. Sie war … einfach wundervoll. Er, der unzählige Frauen gehabt hatte, genoss ihren Anblick. Ihre Schlaksigkeit hatte sich in schmale Grazie verwandelt, ihre Gesichtszüge waren weicher geworden und die Blässe verlieh ihr einen Hauch von Unberührtheit.

Unter dem dünnen Stoff ihres T-Shirts zeichneten sich kleine, wohlgeformte Brüste ab. Er betrachtete die Rundungen ihrer Hüften und die schmale Taille. Und obwohl ihre endlos langen Beine – Santa Madonna! – in engen Jeans steckten, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie es sich anfühlen würde, wenn sie sie im leidenschaftlichen Liebesspiel um seinen Körper schlang.

Hastig rief er sich zur Ordnung, trat einen Schritt vor und lächelte sie freundlich an. „Buon giorno, Maria Lisa.“ Absichtlich benutzte er die Version ihres Namens, mit der er sie als Kind geneckt hatte. „Come stai?

Ihre Blicke trafen sich, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, in diesen grüngrauen Augen mit den langen Wimpern Zorn aufblitzen zu sehen. Doch im nächsten Moment erwiderte sie seinen Gruß ruhig und höflich und reichte ihm die Hand. Ich muss mich getäuscht haben, beruhigte er sich.

Falsch – ich habe es einfach nicht wahrhaben wollen, sagte er sich rückblickend voller Bitterkeit. Schließlich hatte er geglaubt, dass es für dieses Mädchen eine Ehre sein musste, zu seiner Braut erwählt worden zu sein – wenn er keine Einwände hatte, sie zu heiraten, dann hatte sie erst recht keine haben können.

Regungslos hatte sie die Einladung zur Geburtstagsparty angenommen und zugestimmt, das Fest gemeinsam mit ihm zu planen.

Natürlich hatte sie gewusst, dass dieser Grund seines Besuchs nur vorgeschoben war und er in Wirklichkeit seine künftige Braut in Augenschein nehmen wollte. Doch sie hatte sich nicht anmerken lassen, ob sie sich darüber freute oder nicht.

Das hätte mir zu denken geben müssen, sagte er sich im Nachhinein. Aber er hatte ihren Mangel an Emotionen darauf geschoben, dass sie angesichts der bevorstehenden Verlobung bestimmt nervös und angespannt war. Lorenzo schüttelte den Kopf und hing wieder seinen Erinnerungen nach …

In der Vergangenheit war es ihm bei Frauen nicht wichtig gewesen, ob sie unerfahren waren. Im Gegenteil. Doch für die Frau, die eines Tages den Erben der Santangelis zur Welt bringen sollte, war Unberührtheit ein entscheidendes Merkmal. Deshalb hatte er sich vorgenommen, im Vorfeld mit Marisa darüber zu sprechen, wie er sich die gemeinsamen Tage vorstellte – und auch die Nächte.

Also bot er ihr an, die Flitterwochen zu nutzen, um sich wieder besser kennenzulernen und sich zunächst als Freunde zu begegnen. Er versprach ihr, geduldig zu warten, bis sie bereit für ihn war.

Ohne etwas zu erwidern und halb von ihm abgewandt hörte sie ihm zu. Dennoch bemerkte er, dass eine feine Röte ihr Gesicht überzog, als er sprach.

Jedes seiner Worte war aufrichtig gemeint. Und gerade deshalb hoffte er auf eine Reaktion von Marisa – ein winziges Zeichen, das ihn ermutigt hätte, sie in die Arme zu schließen und sanft zu küssen.

Doch sie zeigte keinerlei Gefühl – weder damals noch zu einem späteren Zeitpunkt.

Nicht ein einziges Mal hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie sich nach einer Berührung, nach einer kleinen Zärtlichkeit sehnte.

Mit dem Angebot, dass sie den Zeitpunkt der ersten gemeinsamen Nacht bestimmen kann, bin ich in eine Falle getappt, die ich selbst aufgestellt habe, dachte Lorenzo verärgert.

Als dann endlich der Tag der Hochzeit gekommen war, hatte er sich angesichts ihrer Unnahbarkeit mittlerweile so unsicher wie ein Schuljunge gefühlt. Er hatte nicht gewusst, wie er sich ihr nähern sollte, und das war etwas gewesen, das er so nicht gekannt hatte.

Womit er jedoch überhaupt nicht gerechnet hatte, war, dass er die Beherrschung verlieren könnte. Mit den Geschehnissen an jenem Tag in ihren Flitterwochen haderte er noch immer …

Lorenzo seufzte, als er nun ein Handtuch um seine Hüften schlang. Es gab keinen Grund, sich immer wieder damit zu quälen.

Ich sollte ins Bett gehen und versuchen, noch ein wenig zu schlafen, dachte er. Schließlich war es spät genug. Doch er ahnte, dass er keinen Schlaf finden würde. Er sollte die verbliebene Zeit besser nutzen, um sich auf den kommenden Tag vorzubereiten.

Entschlossen trat er aus dem Bad, schenkte dem einladend aufgedeckten Bett im Nebenraum keine Beachtung und ging stattdessen durch die Diele in den salotto.

In Bankkreisen war Lorenzo als zukunftsorientierter Geschäftsmann mit einem Gespür für Veränderungen am Markt bekannt. Doch wenn man den alten Schreibtisch seines Großvaters sah, der eine Ecke des Salons beherrschte, wurde klar, wie wichtig ihm gleichzeitig Traditionen und Familienbande waren.

Er trat an den Schreibtisch und zog einen Aktenordner aus einem der Fächer. Nachdem er sich einen Scotch eingeschenkt hatte, streckte er sich auf dem Sofa aus und blätterte in den Unterlagen.

Während er die Seiten überflog, nahm er einen kräftigen Schluck von seinem Drink. Doch plötzlich setzte er sich so abrupt auf, dass er den Inhalt seines Glases beinahe verschüttete. Er fluchte und stellte das Glas auf einem der kleinen Tischchen neben dem Sofa ab. Ungläubig las er den letzten Absatz noch einmal. Der Sicherheitsdienst, den er beauftragt hatte, seine Frau in London zu beschützen, hatte ihm eine Nachricht zukommen lassen. Fassungslos starrte er auf die Notiz.

Wir müssen Sie davon in Kenntnis setzen, dass Signora Santangeli unter ihrem Mädchennamen eine Stellung als Empfangsdame in einer privaten Kunstgalerie am Carstairs Place angenommen hat. Bereits zwei Mal war sie in der vergangenen Woche mit dem Besitzer der Galerie, Mr. Corin Langford, zum Abendessen verabredet. Ihren Ehering trägt sie nicht mehr. Auf Wunsch liefern wir Ihnen Beweisfotos.

Voller Wut zerknüllte Lorenzo den Bericht und schleuderte ihn fluchend durchs Zimmer.

Er sprang auf und wanderte ruhelos im Raum auf und ab. Ich brauche keine Fotos, um die Information zu glauben, dachte er wütend. Unzählige seiner eigenen Affären hatten genau so begonnen – mit einer harmlosen Verabredung zum Lunch. Man genoss das gemeinsame Essen, teilte sich eine gute Flasche Wein, blickte sich tief in die Augen, die Finger berührten sich wie zufällig …

Was er sich nicht vorstellen konnte, war Marisa, die ihm entspannt und flirtend gegenübersaß. Wie sie sein Lächeln erwiderte, erzählte und lachte, während sich ihre Schüchternheit langsam in Vertrauen und vielleicht sogar Verlangen verwandelte.

Denn so hatte sie sich ihm gegenüber niemals gezeigt. Kein Anflug eines Lächelns, kein Zeichen des Verliebtseins.

Nicht, dass ich eifersüchtig bin, ermahnte er sich hastig. Nur … sehr verstimmt. Mehr als je zuvor. Nichts von dem, was bisher zwischen ihnen gewesen war – ihre kühle Unnahbarkeit, ihre Abreise nach London –, hatte ihn so in seiner männlichen Ehre kränken können wie diese Nachricht. Schließlich war er ihr Ehemann.

Wenn diese Frau glaubt, sie kann mir Hörner aufsetzen, hat sie sich getäuscht, dachte er zähneknirschend. Gleich morgen würde er nach London fliegen und sie zurückholen – und wenn sie erst einmal hier war, würde er nicht zulassen, dass sie sich erneut von ihm trennte. Er würde dafür sorgen, dass sie an niemand anders mehr dachte, niemand anders mehr wollte als ihn.

Und, dachte er grimmig, ich werde jede Minute genießen.

2. KAPITEL

„Marisa? Mein Gott, du bist es wirklich. Ich kann es kaum glauben!“

Marisa löste ihren Blick von dem Schaufenster, drehte sich um und musterte den großen, attraktiven Mann, der vor ihr stand.

„Alan … was machst du denn hier?“, brachte sie zögernd hervor.

„Das sollte ich dich fragen. Warum sitzt du nicht an der Via Veneto und trinkst Cappuccino?“

Die Frage aller Fragen …

„Na ja, auch das kann mit der Zeit langweilig werden“, entgegnete sie betont locker. „Ich habe angefangen, mich nach einer Tasse englischen Tees zu sehnen.“

„Oh.“ Er sah sie neugierig an. „Und was sagt Lorenzo dazu?“

Der bittere Unterton in seiner Stimme war ihr nicht entgangen. „Alan, ich …“

„Schon gut“, winkte er ab. „Ich weiß. Es tut mir leid.“ Sein Blick ging an ihr vorbei zu dem Schaufenster des Babyausstatters, vor dem sie stand. „Darf man gratulieren?“

„Meine Güte, nein!“, erwiderte sie hastiger als sie vorgehabt hatte. Sie errötete, als sie seine überraschte Miene sah. „Ich … es ist nicht für mich. Eine alte Schulfreundin, Dinah Newman, erwartet ihr erstes Kind, und ich bin auf der Suche nach einem besonderen Geschenk für sie.“

„Tja, da bist du hier goldrichtig“, bemerkte Alan, nachdem er stirnrunzelnd auf die Preisschilder geschaut hatte. „Man muss wohl die Frau eines millionenschweren Bankers sein, um hier einkaufen zu können.“ Er lächelte sie an. „Sie muss eine ziemlich gute Freundin sein.“

„Sagen wir einfach, dass ich ihr einiges zu verdanken habe“, erklärte Marisa.

Ich bin ihr zum Beispiel dankbar dafür, dass sie mich mit Corin Langford bekannt gemacht hat, sodass ich jetzt einen festen Job habe und nicht vollkommen abhängig von Lorenzo Santangeli bin. Und dafür, dass sie nicht zu viele unbequeme Fragen gestellt hat, als ich Hals über Kopf allein nach London zurückgekehrt bin.

„Kannst du deine Einkäufe auch ein andermal erledigen?“, fragte Alan. „Ich würde gern mit dir essen gehen, nachdem wir uns so zufällig über den Weg gelaufen sind.“

Sie konnte ihm kaum erzählen, dass ihre Mittagspause gleich beendet war und sie zurück zur Arbeit musste. Instinktiv hatte sie ihre Hand, an der ihr Ehering fehlte, in die Jackentasche geschoben, damit Alan keine unangenehmen Fragen stellen konnte.

So nett es war, ihn getroffen zu haben, so kompliziert wäre es auch, vor ihm den Schein der glücklich verheirateten Frau zu wahren.

„Es tut mir leid.“ Schnell setzte sie ein entschuldigendes Lächeln auf. „Aber ich habe in fünf Minuten einen Termin.“

„Ich verstehe, du willst deinen Mann nicht warten lassen.“

Sie zögerte. „Nein, Lorenzo ist … im Moment gar nicht in London.“

„Er lässt dich so kurz nach der Hochzeit schon allein?“

Marisa zuckte die Schultern. „Wir sind ja schließlich nicht aneinandergekettet“, versuchte sie zu scherzen.

„Das ist wahr.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Und? Was treiben Strohwitwen in London? Zählst du die Stunden, bis dein Mann endlich wieder bei dir ist?“

„Weit gefehlt“, gab sie zurück. „Ich genieße mein Leben, gehe aus und treffe Freunde.“

„Tja, wenn das stimmt“, entgegnete er langsam, „könnten wir uns doch vielleicht auch mal verabreden.“ Eindringlich sah er sie an. „Marisa, wenn wir uns nicht zum Lunch sehen können, dann könnten wir uns doch zum Dinner treffen. Bitte. Um acht Uhr im Chez Dominique? Um der alten Zeiten willen?“

Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass die alten Zeiten für immer vorbei waren. Dass diese Zeiten seit dem Tag vorbei waren, als er zugelassen hatte, aus ihrem Leben gerissen und nach Hongkong versetzt zu werden. Dass diese Zeiten vorbei waren, weil er nicht darauf vorbereitet gewesen war, gegen einen Mann um sie zu kämpfen, der die Macht hatte, seine berufliche Karriere mit einem einzigen Wort zu vernichten.

Ich kann ihn nicht allein für das Geschehene verantwortlich machen, ermahnte sie sich. Sie hatten sich ein paarmal geküsst, lieber Himmel! Und als ihre Cousine Julia sie erwischt hatte, hatte sie Alan nahegelegt, sofort das Haus zu verlassen. Das war das jähe Ende ihrer jungen Liebe gewesen.

Und es war die entsetzliche Nacht gewesen, in der Marisa erfahren hatte, welche Zukunft vor ihr lag und was man von ihr erwartete.

Wenn Alan tatsächlich mein Liebhaber gewesen wäre, dann wäre ich keine Jungfrau mehr gewesen und diese Hochzeit mit Lorenzo hätte niemals stattgefunden. Aber das wurde mir viel zu spät klar. Alan war an dem Abend schon weg, und außerdem … waren meine Gefühle für ihn stark genug, um mit ihm den letzten Schritt zu gehen?

Die Erinnerung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Alan … wegen heute Abend …“, brachte sie stockend hervor. „Ich weiß nicht, und … ich muss jetzt los.“

„Ich werde einen Tisch bestellen und dort auf dich warten“, gab er unbeirrt zurück. „Alles Weitere liegt bei dir.“

Ein unsicheres Lächeln huschte über ihre Lippen. „Wie auch immer – es war schön, dich wiederzusehen.“ Damit ging sie eilig davon.

Auf die Minute pünktlich betrat Marisa die Galerie. Dennoch wartete Corin bereits ungeduldig. Er war nervös wegen des bevorstehenden Termins mit seinen Anwälten.

„Seine Scheidung läuft, und es ist eine sehr schwierige Zeit für ihn“, hatte Dinah sie gewarnt, als sie Marisa den Job vermittelt hatte. „Das Problem ist, dass er seine Frau noch immer liebt. Ihr einziges Interesse dagegen gilt seinem Besitz – und dem Ziel, möglichst viel davon zu bekommen. Ab und zu braucht er eine Schulter, an der er sich ausweinen kann.“ Lächelnd hatte sie Marisa angesehen. „Kommst du damit klar?“

„Selbstverständlich“, hatte Marisa entgegnet. Vielleicht kann ich daraus sogar etwas für meine eigene Scheidung lernen, hatte sie gedacht.

Falls es jemals dazu kommen sollte.

Auf jeden Fall würde sie darauf verzichten, etwas von dem Santangeli-Vermögen zugesprochen zu bekommen, denn das Einzige, was sie wollte, war ihre Freiheit. Eine Ansicht, die Lorenzo hoffentlich mit ihr teilte.

„Ich gehe dann jetzt.“ Corin riss sie aus ihren Gedanken. „Falls Mrs. Brooke wegen des Aquarells anruft …“

„Der Preis ist nicht verhandelbar“, ergänzte Marisa und lächelte ihn ermutigend an. „Keine Sorge, ich werde nicht mit mir handeln lassen. Jetzt geh, sonst kommst du zu spät.“

„Du hast recht.“ Er seufzte schwer.

Sie sah ihm nach, als er geknickt die Galerie verließ. Er hat allen Grund, verzweifelt zu sein, überlegte sie. Seine Frau wollte nicht nur das gemeinsame Haus, sie hatte auch Anspruch auf einen großen Teil der Galerie, deren Finanzierung damals überwiegend ihr Vater übernommen hatte.

„Ihr Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was Janine da tut“, hatte Dinah, deren Vater ein enger Freund von Janine Langfords Eltern gewesen war, erklärt. „Wenn sie die Leitung der Estrello Gallery übernimmt, wird sie Corin sofort hinauswerfen und die Galerie schließen.“

„Aber die Galerie ist unter Corins Führung unglaublich erfolgreich“, hatte Marisa erstaunt eingewandt. „Er ist ein hervorragender Geschäftsmann und die Kunden vertrauen ihm.“

„Denkst du, das interessiert sie?“ Dinah hatte verächtlich geschnaubt. „Keineswegs. Das Einzige, was sie sieht, ist, wie man die Galerie zu Geld machen kann. Seit ihr Vater tot ist, wollte sie, dass Corin verkauft. Und als er sich geweigert hat, hat sie die Scheidung eingereicht – nachdem sie jemanden gefunden hatte, der seinen Platz einnehmen konnte.“ Sie seufzte. „Er hat es nicht verdient, so hintergangen zu werden, aber Nettsein macht sich nun mal nicht bezahlt.“

Stimmt, dachte Marisa nun bitter, und ein Schuft wie Lorenzo Santangeli wird vom Erfolg verwöhnt – das ist nicht gerecht.

Bedrückt ging sie zu ihrem Schreibtisch. Zumindest würde die Arbeit sie ablenken.

Der Nachmittag verlief ruhig. Dennoch war es ein erfolgreicher Tag, denn die Kunden, die kamen, suchten nicht lange, sondern kauften kurz entschlossen. Mrs. Brooke lenkte schließlich auch ein und erstand das Aquarell zum vereinbarten Preis, und ein älterer Herr kaufte für seine Frau ein Landschaftsgemälde vom Lake District.

„Wir haben dort unsere Flitterwochen verbracht“, erzählte er Marisa, als er ihr seine Kreditkarte reichte. „Trotzdem ist mir die Wahl schwergefallen, denn das Gemälde der italienischen Küste vom gleichen Maler ist ebenfalls wunderschön.“ Er seufzte, während er seinen Erinnerungen nachhing. „Wir haben in der Nähe von Amalfioft Urlaub gemacht und denken gern an diese Zeit zurück.“ Er sah Marisa an. „Kennen Sie die Gegend dort?“

Einen Moment lang schien Marisa zu erstarren, und ihre Finger gehorchten ihr nicht mehr. Doch sie zwang sich zu einem höflichen Lächeln, als sie ihm die Kreditkarte und seine Quittung reichte. „Ich bin einmal dort gewesen. Es ist … unglaublich schön dort.“

Und ich wünschte, Sie hätten das Bild von Amalfigekauft, damit ich es nicht mehr jeden Tag vor Augen haben muss …

Sie vereinbarte mit dem Kunden ein Datum für die Lieferung des Gemäldes und brachte ihn dann zur Tür.

Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß und den Verkauf in den Computer eingab, ertappte sie sich dabei, dass ihr Blick immer wieder zu dem Bild der Amalfiküste wanderte.

Es war, als hätte der Maler – genau wie sie – auf der Bank unter dem Zitronenbaum im üppig blühenden Garten der Casa Adriana gesessen. Als hätte er ebenfalls über die kleine Mauer am Rande der steil abfallenden Klippe geschaut, unter der sich das Meer azurblau bis zum Horizont erstreckte.

Seit sie das Gemälde in der Galerie entdeckt hatte, stockte ihr jedes Mal der Atem, sobald sie es betrachtete. Dieses Kunstwerk erinnerte sie mit aller Macht an ihren Zufluchtsort, an den sie sich während der oft belastenden Wochen ihrer Hochzeitsreise zurückgezogen hatte.

Jeden Morgen hatte sie sich dorthin geflüchtet, wohl wissend, dass niemand sie an diesem verwunschenen Ort finden würde. Schmerzhaft war ihr dort bewusst geworden, dass Einsamkeit nicht unbedingt Alleinsein bedeutete, sondern dass man auch an der Seite eines Mannes einsam sein konnte, von dem man nicht geliebt wurde. Jedes Mal, wenn ihr klar geworden war, dass ihr Schicksal besiegelt war, hatte ein eisiger Schauer ihren Körper durchzuckt.

Kurz vor Sonnenuntergang hatte sie ihren Geheimplatz dann widerstrebend verlassen, um in der Villa Santa Caterina gemeinsam mit dem Mann zu Abend zu essen, den sie geheiratet hatte. Im warmen Schein unzähliger Kerzen hatten sie in angespanntem Schweigen zusammen auf der blühenden Terrasse gesessen, während die laue Sommernacht Leidenschaft und Begehren verheißen hatte.

Welch eine Ironie, dachte Marisa bitter.

Sobald sie ihr Mahl beendet hatten, war Marisa aufgestanden, hatte Lorenzo mit gepresster Stimme eine gute Nacht gewünscht und war in ihr Zimmer hinaufgegangen. Allein hatte sie in ihrem riesigen Bett gelegen und gebetet, dass ihr Ehemann nicht plötzlich in der Tür stehen und – trotz allem, was zuvor geschehen war – sein Recht wieder einfordern würde.

Glücklicherweise waren ihre Gebete erhört worden.

Und nun hatte sie sich von ihm getrennt und jeglichen Kontakt abgebrochen. Vermutlich hatte Lorenzo mittlerweile verstanden und leitete die notwendigen Schritte ein, um ihre sogenannte Ehe aufzulösen.

Ich hätte dieser Heirat niemals zustimmen dürfen. Ich muss verrückt gewesen sein. Aber egal, was ich von meiner Cousine Julia auch halte: Ich hätte es nicht ertragen, dass sie meinetwegen ihr Zuhause verliert – noch dazu mit einem kranken Ehemann, um den sie sich kümmern muss.

Sie erinnerte sich an den Abend, als sie die Wahrheit erfahren hatte …

Zunächst war sie peinlich berührt gewesen, als Julia damals ins Wohnzimmer gekommen war und sie in inniger Umarmung mit Alan vorgefunden hatte. Doch ihre Scham war schnell maßloser Empörung gewichen, als ihre Cousine mit kaltem Lächeln darauf bestanden hatte, dass Alan das Haus verließ. Ohne Marisas Protest zu beachten, hatte sie ihn zur Tür gebracht.

„Wie konntest du das tun?“, stellte Marisa sie mit zitternder Stimme zur Rede, nachdem Alan gegangen war. „Ich bin kein Kind mehr und ich lasse mir nicht vorschreiben, wen ich treffen darf.“

Julia schüttelte den Kopf. „Gerade weil du kein Kind mehr bist, darfst du das nicht frei entscheiden.“ Mit einem schmalen Lächeln hielt sie kurz inne. „Dein zukünftiger Ehemann möchte nicht, dass jemand in seinem Revier wildert. Das hat er sehr deutlich gemacht, als ich dich bei mir aufgenommen habe. Wir sollten diesen Abend einfach vergessen. Es ist das Beste für uns beide.“

Marisa schluckte. Entsetzt starrte sie ihre Cousine an. „Das Beste?“, fragte sie schließlich. „Wovon redest du? Und ich … ich habe keinen zukünftigen Ehemann. Das ist Unsinn.“

„Sei doch nicht so naiv“,fuhr Julia sie voller Verachtung an. „Du weißt ebenso gut wie ich, dass du Lorenzo Santangeli heiraten sollst. Das ist seit Jahren abgemacht.“

Marisa fühlte sich wie betäubt. „Heiraten? Lorenzo? Das war doch nie ernst gemeint. Das … das war doch nur so dahingesagt.“

„Im Gegenteil, meine Liebe, es ist eine Tatsache.“ Julia nahm Platz. „Der schillernde Signor Santangeli hat lediglich gewartet, bis du alt genug bist, seine Frau zu werden.“

Marisas Kehle war wie zugeschnürt. „Das kann ich nicht glauben“, stieß sie hervor.

„Tja, das war vielleicht auch ein bisschen übertrieben“, versetzte Julia. „Vermutlich hat er nicht Jahr für Jahr voller Sehnsucht auf dich gewartet. Aber jetzt hat er sich an das Versprechen erinnert und macht seine Ansprüche geltend. Er wird in einer oder zwei Wochen hierherkommen, um dir seine Aufwartung zu machen.“ Sie pfiff anerkennend. „Reich, gut aussehend und ein erfahrener Liebhaber, wie man hört. Herzlichen Glückwunsch, du hast das große Los gezogen.“

„Was soll das?“ Marisas Herz hämmerte so wild, dass es schmerzte. „Ich werde ihn nicht heiraten. Mein Gott, ich mag ihn nicht mal besonders.“

„Er verzehrt sich wahrscheinlich auch nicht in Liebe zu dir“, erwiderte Julia mit niederschmetternder Härte. „Es ist eine arrangierte Hochzeit, du dummes kleines Ding, keine Liebesheirat. Die Santangelis brauchen eine gesunde, junge Frau, um ihre Erbfolge zu sichern. Und ihre Wahl ist auf dich gefallen.“

„Dann müssen sie sich eben nach einer anderen Kandidatin umsehen.“ Marisas Stimme drohte zu versagen. „Ich bin nicht käuflich.“

„Mein liebes Kind, du bist schon vor Jahren gekauft und bezahlt worden.“ Sie machte eine ausholende Handbewegung. „Wie sonst hätten wir uns dieses Haus leisten können? Bevor deine Eltern gestorben sind, haben Harry und ich in einem winzigen Einzimmerapartment gelebt. Es war ein Albtraum. Was glaubst du, wer dein Schulgeld gezahlt hat? Deine Kleidung, deine Ferien, deine sportlichen Aktivitäten?“

„Ich dachte, du …“

„Denk doch mal nach. Harry gibt Fachbücher heraus, die kaum etwas einbringen. Und er hat Multiple Sklerose. Lange wird er sowieso nicht mehr arbeiten können.“

Marisa sah sie unglücklich an. „Ich werde mir einen Job suchen und ihnen alles zurückzahlen.“

„Wie willst du das schaffen?“ Julia schnaubte verächtlich. „Bis auf die Kunstkurse, die du zurzeit belegst, hast du keine Ausbildung. Nur auf eines bist du vorbereitet worden: die Frau eines Multimillionärs und die Mutter seiner Kinder zu werden. Sie haben in dich investiert, und jetzt ist es Zeit, die Schuld zurückzuzahlen. Sie werden ein Nein nicht akzeptieren.“

„Das kann ich nicht glauben. Ich will es nicht.“ Marisa war verzweifelt. „Lorenzo kann diesem Handel nicht zugestimmt haben. Er … er will mich nicht. Ich weiß das.“

Julia lachte spöttisch. „Er ist ein Mann, Schätzchen, und du bist eine attraktive Frau im heiratsfähigen Alter. Seine Rolle als Bräutigam wird ihm nicht sonderlich schwerfallen. Er wird seine Pflicht gegenüber der Familie erfüllen und es auch noch genießen.“

„Das ist … widerlich.“

„Das ist die Wirklichkeit, mein Kind.“ Julia zuckte die Achseln. „Und es hat zweifellos Vorzüge, die Frau des Marchese Santangeli zu sein. Wenn du Lorenzo erst mal ein Kind geschenkt hast, wird er dich wahrscheinlich in Ruhe lassen. Er wird sich weiterhin auf seine Art amüsieren, so wie er es schon jetzt tut – allerdings mit mehr Diskretion als bisher. Und du wirst dein eigenes Leben führen.“

Entgeistert sah Marisa sie an. „Was soll das heißen? Willst du damit sagen, dass er mit jemandem zusammen ist? Er hat … eine feste Freundin?“

„Es scheint, als sei sie sogar mehr als das“, entgegnete Julia gleichgültig. „Soweit ich weiß, ist Lucia Gallo eine venezianische Schönheit, die beim Fernsehen arbeitet. Sie sind seit einigen Monaten unzertrennlich.“

„Ich verstehe.“ Marisa spürte, dass ihre Cousine es genoss, ihr diese schmerzhafte Wahrheit schonungslos an den Kopf zu werfen. Deshalb bemühte sie sich um einen sachlichen Tonfall. „Wenn das so ist, warum heiratet er dann nicht diese Lucia Gallo?“

„Sie ist geschieden und in jeder Hinsicht unpassend.“ Sie machte eine bedeutungsschwere Pause. „Ich dachte, ich hätte dir hinreichend klargemacht, dass die Santangelis von ihren zukünftigen Frauen erwarten, jungfräulich in die Ehe zu gehen.“

„Ganz offensichtlich gilt das nicht für die Männer der Familie“, versetzte Marisa kühl.

Julia lachte. „Wohl kaum. Und du wirst froh darüber sein, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, glaube mir.“ Ihr Ton wurde versöhnlicher. „Denk doch mal nach, Marisa. Diese Heirat muss dich keineswegs ins Unglück stürzen. Du hast immer gesagt, dass du reisen möchtest. Tja, das wirst du können – und sogar Erster Klasse. Und mit Florenz hast du die Welt der schönen Künste praktisch vor deiner Haustür. Du kannst dir ein eigenes Leben aufbauen.“

„Denkst du wirklich, das ist es mir wert?“ Marisa sah ihre Cousine ungläubig an. „Stellst du dir vor, ich lasse mich … benutzen, um im Gegenzug die Accademia in Florenz besuchen zu können? Das ist verrückt!“

„O ja, genau das wirst du tun“, betonte ihre Cousine mit grimmiger Entschlossenheit. „Wir sind abhängig von den Santangelis. Auch du. Das kostspielige Leben, das wir führen, liegt in ihren Händen. Und wenn du Lorenzo heiratest, können Harry und ich weiterhin so leben wie bisher. Die Familie hat angeboten, uns ein behindertengerechtes Haus außerhalb Londons zu bezahlen und eine Pflegekraft für Harry einzustellen, wenn es irgendwann nötig ist.“ Einen Moment lang drohte ihre Stimme zu kippen. „Unter normalen Umständen könnten wir uns das niemals leisten.“ Sie gewann ihre Fassung zurück. „Wenn du dich weigerst, wird unser bisheriges Leben in Trümmern liegen. Wir werden das Haus verlieren – und alles andere. Und das nur, weil eine verwöhnte kleine Göre, die in den vergangenen Jahren alles genommen hat, was sie kriegen konnte, plötzlich ihr Zartgefühl entdeckt hat und den Preis nicht bezahlen will. Tja, nichts ist umsonst, Süße. Also füge dich in dein Schicksal.“ Sie lachte bitter auf. „Und denk daran: Eine Menge Mädchen würden alles tun, um an deiner Stelle zu sein. Du musst nur ein bisschen freundlich sein am Tag, entgegenkommend in der Nacht und nicht zu viele Fragen stellen, wo und mit wem er seine Zeit verbringt. Selbst du solltest das hinkriegen.“

Aber ich konnte und kann es nicht, dachte Marisa verzweifelt und erschauderte, als sie sich an die Bosheit in der Stimme ihrer Cousine erinnerte.

Mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, hatte sie versucht, die Hochzeit zu verhindern. Sie hatte argumentiert, gebettelt, gekämpft. Und immer wieder hatte sie versucht, Kontakt zu Alan aufzunehmen. Vergeblich. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

Erst eine Woche später war es ihr endlich gelungen, ihn telefonisch zu erreichen – nur um zu erfahren, dass er ein Angebot bekommen hatte, in Hongkong zu arbeiten …

„Das ist eine Riesenchance für mich“, erklärte er, doch er konnte das Unbehagen in seiner Stimme nicht verbergen. „Die Möglichkeit hat sich … ganz plötzlich ergeben. Andere warten jahrelang auf einen solchen Karrieresprung.“

„Ich verstehe.“ Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, dennoch schaffte sie es, locker zu klingen. „Vermutlich würdest du nicht in Betracht ziehen, mich mitzunehmen?“

Es blieb lange still am anderen Ende der Leitung. „Marisa, du weißt, dass das nicht geht“, antwortete Alan gepresst. „Da hat jemand die Fäden gezogen, um mir diesen Job zu verschaffen – schließlich sollst du künftig in einer anderen Liga spielen.“ Er schwieg kurz. „Ich schätze, ich sollte vor meiner Abreise eigentlich nicht mal mit dir sprechen.“

„Das ist gut möglich.“ Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Ich … ich verstehe. Viel Glück.“

Ihr Kampfgeist war gebrochen.

Mit einem Schlag hatte sie begriffen, dass es niemanden gab, an den sie sich wenden konnte, und dass sie, wie Julia richtig festgestellt hatte, nicht einmal eine Ausbildung hatte, um ihr eigenes Geld zu verdienen.

Letztendlich hatte der Gedanke an Harry, diesen ruhigen, höflichen Mann, sie zum Einlenken bewegt. Seine Gegenwart hatte all die Jahre im Haus ihrer Cousine erträglich gemacht, und er brauchte die finanzielle Unterstützung der Santangelis wirklich dringend.

Dennoch war eines für sie klar gewesen: Wenn Lorenzo Santangeli glaubte, sie werde ihm zu Füßen liegen, hatte er sich getäuscht.

Diese Einstellung hatte Marisa aufrechterhalten, während Lorenzo begonnen hatte, um sie zu werben. Da von vornherein festgestanden hatte, dass die Heirat stattfinden würde, hatte er sich nicht besonders anstrengen müssen. Und sie war dankbar dafür gewesen, ihn nicht häufiger als nötig sehen zu müssen.

Während sie nun auf den Bildschirm ihres Computers starrte, erinnerte sie sich daran, dass sie vor der Hochzeit nur ein einziges Mal mit Lorenzo allein gewesen war. Es war bei seinem Besuch im Haus ihrer Cousine gewesen. Damals hatte er ihr erklärt, er wolle diese Ehe für sie beide so angenehm wie möglich machen. Er hatte ihr versichert, sie nicht dazu zu zwingen, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen, solange sie selbst sich nicht an die neuen Umstände gewöhnt habe und bereit für ihn sei.

Und solange sie zusammengelebt hatten, hatte er Wort gehalten. Bis auf dieses eine Mal, das sie so gern aus ihrem Gedächtnis gestrichen hätte …

In ihren verunglückten Flitterwochen hatte er erkennen müssen, dass sie sich ihm nicht einfach so hingeben würde, und letztendlich waren sie beide erleichtert gewesen, als sie beschlossen hatte, nach London zurückzukehren.

Zwar hatte Lorenzo einige zögerliche Versuche unternommen, mit ihr in Kontakt zu bleiben, doch er hatte sich nie ernsthaft bemüht, sie zur Rückkehr zu bewegen. Wenn er das gewollt hätte, wäre er persönlich zu mir gekommen, um den Riss in unserer Ehe zu kitten, statt mich mit Briefen und halbherzigen Anrufen abzuspeisen, dachte sie. Obwohl ich mich selbstverständlich niemals hätte überreden lassen, fügte sie hastig in Gedanken hinzu.

Mittlerweile schien er akzeptiert zu haben, dass diese kurze unglückliche Ehe, die nur auf dem Papier bestand, endgültig zerrüttet war. Bald wäre er wieder frei und könnte sich nach einer hingebungsvolleren Frau umsehen, die das Ehebett gern mit ihm teilen wollte – vielleicht eine rehäugige italienische Schönheit, für die Mutterschaft Erfüllung bedeutete.

Seiner Großmutter, dieser Hexe, würde das bestimmt gefallen, dachte Marisa bitter. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Wahl ihres Enkels missbilligte, als Marisa mit Julia zusammen die Familie in Italien besucht hatte, um Geburtstag und die Verlobung zu feiern. Harry hatte sie nicht begleitet. Er hatte sich den Strapazen der Reise nicht aussetzen wollen, aber versprochen, zur Hochzeit da zu sein, um die Braut zum Altar zu führen.

Marisa seufzte. Um seine nächste Braut würde Lorenzo sich sicherlich auch viel intensiver kümmern.

Manchmal hatte sie sich gefragt, ob es nie jemandem aufgefallen war, dass er sie kaum berührte. Nur wenn er sie Gästen vorstellte, hatte er pflichtschuldig ihre Hand genommen. Und er hatte sie nie geküsst.

Bis auf ein einziges Mal.

Marisa stützte sich mit den Ellbogen auf den Schreibtisch und hing ihren Erinnerungen nach …

Anlässlich Marisas neunzehnten Geburtstages hatte Lorenzos Vater zum Dinner auf den Familiensitz in der Toskana eingeladen. An der langen, reich gedeckten Tafel hatten sich Freunde und Verwandte eingefunden, die sich unterhielten, lachten und das köstliche Mahl genossen.

Marisa saß neben Lorenzo. In ihrem hellen Seidenkleid mit den langen Ärmeln und dem dezenten Ausschnitt war sie das Ebenbild einer unschuldigen jungen Braut. Die schimmernden Perlen, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, lagen für jedermann sichtbar um ihren schlanken Hals.

„Perlen stehen für die Reinheit“, war Julias bissiger Kommentar gewesen. „Sie müssen ein Vermögen gekostet haben. In der Hochzeitsnacht wird er den Gegenwert einfordern.“

Was will er der Welt damit sagen, fragte Marisa sich wütend. Sie war so verletzt, dass sie die Kette, die wie ein Strick um ihren Hals zu liegen schien, am liebsten wieder in die Schatulle zurückgelegt hätte. Aber sie zwang sich, das Schmuckstück gelassen zu tragen, gemeinsam mit dem Verlobungsring – einem kunstvoll geschliffenen Rubin, umrahmt von funkelnden Diamanten.

Sie musste zugeben, dass Lorenzo wirklich großzügig war.

Doch dann kehrte der grausame Gedanke zurück, dass er sich damit nur ihre Zuneigung und, wie Julia es so brutal ausgedrückt hatte, das Recht auf ihren Körper erkaufte.

Diese Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu – und dieses Gefühl wurde bedrückender, je näher der Tag der Hochzeit rückte.

Denn auch wenn er versprochen hatte, sie nicht anzurühren, würde irgendwann die Nacht kommen, in der er sich nicht länger in Geduld üben, sondern sein Recht einfordern würde. „Tag der Abrechnung“ hatte Julia diesen Moment genannt, und Marisa hatte Angst.

Er macht mir Angst …

Während sie neben ihm am Tisch saß, warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu. Er unterhielt sich mit Freunden, die ihm gegenübersaßen, und unterstrich seine Worte mit eindrucksvollen Gesten. Sein Gesicht wurde von einem fröhlichen Lachen erhellt. Und mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie, wenn sie ihm heute Abend zum ersten Mal begegnet wäre, seinem Charme und seiner Ausstrahlung verfallen wäre.

Der elegante Smoking, den er trug, betonte seine Attraktivität noch.

Und plötzlich kam ihr ein neuer, unwillkommener Gedanke: Sehr bald würde sie wissen, wie Lorenzo ohne Kleider aussah.

Ihr stockte der Atem, als eine Welle der Erregung ihren Körper durchströmte und ihr Herz in Flammen stehen ließ.

Als hätte er ihre Verwirrung gespürt, hatte Lorenzo sich ihr zugewandt. Mit hochgezogenen Brauen sah er sie fragend an. Ihre geröteten Wangen und glänzenden Augen waren ihm nicht entgangen.

Für den Bruchteil einer Sekunde schien die Welt um sie herum stillzustehen. Beide nahmen das Stimmengewirr und das Gelächter am Tisch nicht länger wahr, und ihre Blicke verschmolzen. Und dann bemerkte sie, wie sich in seinen Augen erst Erstaunen widerspiegelte und dann … O Gott … Er wusste es!

Voller Entsetzen wurde ihr klar, dass er ihre Gedanken erraten hatte, als wäre Ich frage mich, wie er wohl nackt aussieht auf ihre Stirn tätowiert.

Versonnen hatte er den Kopf zur Seite geneigt, und in seinen goldenen Augen tanzten Funken. Er verzog den Mund zu einem liebevoll frechen Lächeln. Unvermittelt ergriff er ihre Hand, an der sein Ring steckte, zog sie zu sich heran und küsste sanft ihre Fingerspitzen. Dann drehte er ihre Hand behutsam um und hauchte einen zärtlichen Kuss in ihre Handfläche.

Als sie das beifällige Murmeln am Tisch wahrnahm, vertiefte sich die Röte ihrer Wangen noch, denn ihr wurde klar, dass die liebevolle Geste nicht unbemerkt geblieben war.

Sie musste zugeben, dass sie sich selbst in diese peinliche Situation gebracht hatte. Mit einer möglichst würdevollen Bewegung entzog sie ihm die Hand. Ihr Herz pochte so heftig, dass sie befürchtete, man könnte es unter dem dünnen Stoff ihres eleganten Kleides sehen. Für die anderen Gäste war ihre Geste ein Ausdruck ihrer Schüchternheit und Unerfahrenheit – doch in ihr sah es anders aus. Verstört und wütend atmete sie durch.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Geburtstagsdinner endlich beendet war. Und während Lorenzo die letzten Gäste zur Tür brachte, nutzte Marisa die Gelegenheit, um ohne ein weiteres Wort in ihr Zimmer zu fliehen.

Julia ließ sich allerdings nicht so leicht abschütteln.

„Du scheinst dich ja doch für deinen zukünftigen Ehemann erwärmen zu können“, stichelte sie, während sie sich auf dem mit schwerem Brokat bezogenen Sofa vor dem breiten Fenster niederließ.

Marisa nahm die Perlenkette ab und legte sie vorsichtig in die Schatulle. „Der Eindruck täuscht.“

„Dann ist dir wirklich nicht zu helfen“, versetzte Julia unverblümt. „Lorenzo mag ja charmant sein, aber tief im Innern ist er willensstark und energisch. Und er wird es sich nicht bieten lassen, dass du Spielchen mit ihm spielst – dahinschmelzen in der einen Sekunde und in der nächsten zum Eisblock erstarren.“

„Vielen Dank für den Hinweis“, erwiderte Marisa höflich. „Ich werde daran denken.“

Sie wusste, dass sie an diesem Abend zu wenig Distanz gewahrt hatte. Doch das war ein Fehler gewesen, der ihr nicht noch einmal unterlaufen würde. Sie würde sich zusammenreißen und stark sein – irgendwie.

Und das ist mir gelungen, dachte Marisa nun, auch wenn ich dafür eine bittere Pille schlucken musste.

Abrupt wurde sie aus ihren Grübeleien gerissen, als Corin auftauchte.

„Sie will ihren Anteil an der Galerie“, stieß er verzweifelt hervor. „Sie hält mich für viel zu konventionell und will von jetzt an in der Geschäftsführung mitbestimmen – sie hat vor, ihre eigenen Ideen durchzusetzen, um den Kundenkreis zu erweitern. Das heißt, sie wird jeden Tag mit mir zusammenarbeiten, als sei nichts gewesen.

Das ist unmöglich! Ich würde das nicht ertragen!“ Er ließ sich auf den Bürostuhl sinken. „Ganz abgesehen davon, dass ich diese Ideen noch von früher kenne und weiß, dass sie nichts taugen – nicht in dieser Galerie. Aber ich habe nicht das Geld, um sie auszuzahlen“, fügte er niedergeschlagen hinzu. „Also werde ich verkaufen und irgendwo anders neu anfangen müssen – vielleicht außerhalb Londons, wo die Mieten nicht so hoch sind.“

Marisa reichte ihm eine Tasse Kaffee, die sie geholt hatte. „Könntest du nicht versuchen, einen Investor zu finden, der sich einkauft und deine Frau auszahlt?“

Er verzog das Gesicht. „Wenn das so einfach wäre! Die Zeiten sind hart. Niemand steckt sein Geld in Luxusobjekte wie dieses. Ich glaube nicht, dass ich jemanden finden werde, der sich für die Galerie interessiert. Außerdem würde er einen entsprechenden Gewinn erwarten, und das Estrello wirft nicht genügend ab.“ Mutlos nahm er einen Schluck Kaffee. „Heute Abend schließe ich früher“, sagte er und sah sie erwartungsvoll an. „Hast du Lust, mit mir essen zu gehen?“

Tut mir leid, Corin, aber ich bin nicht in der Stimmung, mir deinen Kummer anzuhören und dich zu trösten – oder was auch immer du vorhast. Du bist ein netter Typ, aber wir haben eine rein berufliche Beziehung. Das reicht. Ich habe selbst genügend Probleme, mit denen ich klarkommen muss.

Sie räusperte sich. „Tut mir leid, Corin, aber ich bin schon verabredet.“

Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, sich mit Alan zu treffen. Doch jetzt erschien es ihr reizvoller, als allein zu Hause zu sitzen und über die Vergangenheit nachzudenken.

Zurückzublicken ist etwas für Verlierer, sagte sie sich kämpferisch, ab jetzt werde ich in die Zukunft sehen – und in die Freiheit.

3. KAPITEL

Noch während Marisa sich für das Dinner mit Alan umzog, war ihr Mut verflogen, und sie fragte sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Seltsam, dass diese Verabredung zum Essen sie völlig kaltließ, obwohl sie vor noch nicht einmal einem Jahr überlegt hatte, mit Alan durchzubrennen, um der Heirat mit Lorenzo zu entgehen.

Noch konnte sie absagen, schließlich hatte sie nicht versprochen, heute Abend zu kommen.

Andererseits erschien ihr die Vorstellung, einen weiteren Abend allein vor dem Fernseher zu verbringen, wenig reizvoll.

Obwohl ich allein doch eigentlich ganz gut klarkomme, dachte sie seufzend.

Bis jetzt hatte sie es als Geschenk empfunden, zum ersten Mal eine eigene Wohnung zu haben, eine Möglichkeit, ihr Leben ohne Rücksicht auf andere gestalten zu können. Zugegeben, ihr Zuhause war nicht gerade groß, aber es war ihr eigenes kleines Reich.

Und das Großartigste ist, dass ich hier niemandem Rechenschaft ablegen muss, sagte sie sich immer wieder.

Natürlich gab es auch eine Kehrseite: Bisher verdiente sie nicht genug, um die Miete selbst zu bezahlen. Das erledigte eine Anwaltskanzlei im Auftrag ihres Mannes.

Nach der Trennung würde sie sich die Wohnung nicht mehr leisten können.

Ihr Leben würde sich in vielerlei Hinsicht ändern, wenn die Scheidung erst rechtskräftig war. Aber nicht alle Veränderungen mussten negativ sein. Entgegen Julias abschätziger Behauptung war ihr Schulabschluss hervorragend gewesen. Im Nachhinein verstand sie selbst nicht mehr, warum sie damals nicht mehr aus ihren Talenten gemacht hatte.

Wie dumm ich war, dachte sie und schüttelte über ihre Blauäugigkeit den Kopf.

Aber es war noch nicht zu spät. Vielleicht konnte sie ein Stipendium bekommen oder einen Studienkredit, um an die Universität zu gehen. Eventuell steht mir nach einem Jahr Ehe sogar Geld von Lorenzo zu, überlegte sie und verzog den Mund, denn die Vorstellung, weiterhin von ihm abhängig zu sein, widerstrebte ihr.

Doch jetzt galt es erst einmal, sich auf den heutigen Abend zu konzentrieren, an dem sie besonders wachsam sein musste. Schließlich wollte sie nicht den Eindruck erwecken, eine einsame Ehefrau auf der Suche nach Trost zu sein.

Denn das entsprach nicht der Wahrheit.

Sie zog sich um, legte dezentes Make-up auf und nahm zu guter Letzt ihren goldenen Ehering aus dem Schmuckkästchen. Versonnen streifte sie ihn über ihren Ringfinger. Sie hatte nicht vorgehabt, ihn jemals wieder zu tragen. Doch sein Anblick würde Alan daran erinnern, dass sie eine verheiratete Frau war und dass sie sich mit ihm in rein freundschaftlicher Absicht traf. Für mehr stand sie nicht zur Verfügung.

Zwei Stunden später war ihr klar, dass Alans Ansichten sich im Laufe der Jahre nicht geändert hatten. Der Abend war – trotz der romantischen Atmosphäre und dem guten Essen im Chez Dominique – furchtbar langweilig.

Und etwas verwirrend, denn Alan schien in sentimentaler Stimmung zu sein. Immer wieder brachte er das Gespräch auf ihre Beziehung und ließ sie in der Erinnerung weitaus inniger und bedeutungsvoller erscheinen, als sie tatsächlich gewesen war.

Nachdem der Kellner die Nachspeise gebracht hatte, fragte Alan: „Wohnst du eigentlich bei deiner Cousine, während du in London bist?“

„O nein“, erwiderte Marisa, ohne groß nachzudenken. „Julia wohnt inzwischen in der Nähe von Tonbrigde Wells.“

„Sag nicht, man hat dich ohne einen Aufpasser von der Leine gelassen. Sehr interessant.“

„So ist es nicht.“ Sie tauchte ihren Löffel in ihr süßes Dessert. „Ich denke, Lorenzo“, sie stockte kurz, als sie seinen Namen aussprach, „vertraut mir einfach.“ Oder es interessiert ihn schlicht nicht, was ich tue …

„Dann hast du sicher eine Suite im Ritz oder einem anderen Fünfsternehotel?“ Alan lachte auf. „Das bist du jetzt ja gewohnt.“

„Da irrst du dich. Ich nutze eine kleine Wohnung.“ Das ist schließlich nicht gelogen, dachte sie. Und im selben Moment wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich danach sehnte, endlich dorthin zurückzukehren, statt weiter Alans Fragen beantworten zu müssen. Sie sah auf ihre Uhr. „Himmel, ist es wirklich schon so spät? Ich muss los.“

„Erwartest du noch einen Anruf von deinem Mann?“ Er konnte sich die Spitze nicht verkneifen.

„Nein“, gab sie zurück. „Ich habe morgen sehr früh einen Termin.“ An meinem Schreibtisch im Estrello, um Punkt neun Uhr.

Gleichzeitig spürte sie, dass sie erschauerte. Die Frage, ob sie einen Anruf von Lorenzo erwartete, hatte sie nicht unberührt gelassen. Tatsächlich hatte es Zeiten gegeben, als er sie beinahe täglich angerufen hatte. Doch er war stets mit ihrem Anrufbeantworter abgespeist worden. Irgendwann waren seine Nachrichten zunehmend kürzer und unpersönlicher geworden, und sie hatte sie ebenso rasch gelöscht, wie sie seine Briefe zerrissen hatte.

Eines Abends jedoch hatte seine Stimme nachdrücklich, fast flehend geklungen. „Wenn ich dich morgen anrufe, Marisa, nimm bitte ab. Wir müssen miteinander reden.“ Nach kurzem Zögern hatte er hinzugefügt: „Ich bitte dich.“

Als am nächsten Abend das Telefon geklingelt hatte, hatte sie sich förmlich dazu zwingen müssen, nicht den Hörer abzunehmen. Immer und immer wieder hatte sie sich ermahnt, nicht nachzugeben. Nichts, was er sagen wird, spielt eine Rolle für mich. Ich will nicht mit ihm sprechen.

In der fast greifbaren Stille der folgenden Tage war ihr klar geworden, dass er sich nicht noch einmal melden würde. Das Telefon war stumm geblieben. Ihre Unnachgiebigkeit hatte schließlich zum Erfolg geführt. Doch sie hatte sich gefragt, warum das Gefühl des Triumphes sich nicht einstellen wollte. Bis heute hatte sie sich diese Frage noch nicht beantworten können.

Als nun die Rechnung kam, bot Marisa höflich an, die Hälfte zu übernehmen, aber Alan bestand darauf, sie einzuladen. Gemeinsam verließen sie kurz darauf das Restaurant. Marisa wollte sich umdrehen, um sich von ihm zu verabschieden, doch Alan stand bereits am Straßenrand, um ein Taxi anzuhalten. Sehr aufmerksam von ihm, dachte sie. Doch dass er, als endlich ein Taxi hielt, zu ihr in den Wagen steigen würde, war eine Überraschung.

„Oh … Kann ich dich irgendwo rauslassen?“, fragte sie irritiert.

„Ich hatte gehofft, du würdest mich noch auf einen Kaffee mit hineinbitten oder mir einen Schlummertrunk anbieten“, erwiderte er lächelnd.

Sie erstarrte. „Es ist schon spät …“

„So spät nun auch wieder nicht. Nur kurz … um der alten Zeiten willen?“

Diese Redewendung scheint es ihm angetan zu haben, dachte Marisa gereizt. Und seine Erinnerung an die „guten alten Zeiten“ schien sich von ihrer doch sehr zu unterscheiden.

Sie bemühte sich nicht, ihren Unmut zu verbergen. „Gut – auf einen Kaffee. Aber dann muss ich wirklich schlafen.“ Mit einer bösen Vorahnung nahm sie sein siegessicheres Lächeln wahr.

Dennoch zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass sie Alan auf Abstand halten konnte. Schließlich war ihr das bisher immer gelungen, wenn ein Mann ihr eindeutige Angebote gemacht hatte. Selbst bei ihrem eigenen Ehemann. Mit einer Ausnahme … Die Erinnerung daran jagte ihr noch heute einen Schauer über den Rücken.

Aber diese Situationen sind nicht miteinander vergleichbar, sagte sie sich entschlossen. Sie würde schon dafür sorgen, dass Alan ging, sobald er den Kaffee getrunken hatte. Und es würde auch kein weiteres Treffen geben.

Als sie im Fahrstuhl standen, spürte Marisa, dass Alan fast unmerklich näher kam. Sie wich einen Schritt zurück, um den Abstand zwischen ihnen wieder zu vergrößern, und hoffte, er verstand den Hinweis.

Doch als sie vor ihrer Wohnungstür stand und den Schlüssel ins Schloss steckte, war er so dicht hinter ihr, dass sie seinen Atem in ihrem Haar spüren konnte. Mit Schwung öffnete sie die Tür und ging eilig durch den Flur ins Wohnzimmer.

Es war hell erleuchtet.

Sie war sich sicher, dass sie das Licht gelöscht hatte, ehe sie die Wohnung verlassen hatte. War jemand hier?

Als sie sah, wer sie dort erwartete, blieb sie so abrupt stehen, dass Alan fast mit ihr zusammenstieß.

Lorenzo Santangeli hatte sich lässig auf dem Sofa ausgestreckt und sein Jackett und die Krawatte über den Sessel geworfen. Die Knöpfe seines weißen Hemdes waren geöffnet und die Ärmel über seinen sonnengebräunten Unterarmen aufgekrempelt.

Auf dem niedrigen Couchtisch standen eine geöffnete Flasche Rotwein und zwei Gläser. Ein Glas war zur Hälfte mit der rubinroten Flüssigkeit gefüllt.

Während sie reglos in der Tür stand und ihn ungläubig anstarrte, lächelte er sie an. Bedächtig legte er sein Buch zur Seite und erhob sich.

„Maria Lisa“, sagte er sanft. „Carissima. Endlich bist du da. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Mit einer Stimme, die nicht ihr zu gehören schien, stammelte sie: „Lorenzo … ich … ich …“ Sie atmete tief durch und versuchte, sich zusammenzureißen. „Was tust du hier?“

„Ich wollte dich überraschen, Liebling.“ Seine Stimme war seidenweich. „Und wie ich sehe, ist mir das gelungen.“ Er trat auf sie zu, nahm ihre Hand und zog sie galant an seine Lippen, ehe sein Blick auf den Mann hinter Marisa fiel. „Willst du mir deinen Begleiter nicht vorstellen, damit ich mich bei ihm bedanken kann, dass er dich wohlbehalten nach Hause gebracht hat?“, sagte er, ohne dass sich sein Tonfall geändert hätte.

Autor

Sara Craven
Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis. In ihren Romanen entführt sie...
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