Julia Sommerliebe Band 31

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MIT DIR AUF DER INSEL DER TRÄUME von MICHELLE DOUGLAS

Als Jasper Coleman sie stürmisch küsst, schlägt Imogens Herz viel zu schnell. Dabei weiß sie genau: mehr als ein paar verboten erotische Stunden in der Abgeschiedenheit der kleinen Insel kann es nie geben, denn der attraktive Milliardär ist ihr Boss … und überzeugter Single!

DIE SINNLICHE RACHE DES STOLZEN GRIECHEN von PIPPA ROSCOE

Endlich ist die Zeit gekommen, um sich an Prinzessin Sofia zu rächen! weiß Selfmade-Millionär Theo Tersi. Sie soll spüren, was es bedeutet, alles zu verlieren. Doch als der stolze Grieche wieder in Sofias saphirblaue Augen blickt, wird aus Wut pure Leidenschaft …

HEISSER ALS DIE SONNE ITALIENS von NATALIE ANDERSON

Allein mit Alessandro Zetticci in seiner traumhaften italienischen Villa? Für Katie ein Tanz auf dem Vulkan. Denn dass sie mit dem Playboy eine Ehe auf Zeit führt, ist eine Sache, aber dass sie sich unsterblich in den Herzensbrecher verliebt hat, eine ganz andere …


  • Erscheinungstag 19.06.2020
  • Bandnummer 31
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715076
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Douglas, Pippa Roscoe, Natalie Anderson

JULIA SOMMERLIEBE BAND 31

MICHELLE DOUGLAS

Mit dir auf der Insel der Träume

Verschanzt auf einer einsamen Insel, fühlt sich IT-Experte Jasper Coleman von seinem neuen Hausmädchen Imogen empfindlich gestört. Mehr noch, ihre Lebenslust weckt in ihm Gefühle, die er sich für immer verboten hat. Doch als ein dunkles Familiengeheimnis ihr Leben zu zerstören droht, will der Tycoon nur eins: die hinreißende Schönheit beschützen …

PIPPA ROSCOE

Die sinnliche Rache des stolzen Griechen

Ein schillernder Maskenball, eine magische Sommernacht und sie in Theo Tersis Armen! Als Prinzessin Sofia ihrer Jugendliebe in die Augen sieht, ist sie so verliebt wie damals. Vergibt der sexy Grieche ihr etwa, dass sie ihn einst verließ? Doch zu spät wird Sofia klar: In Theos Blick glüht keine Liebe, sondern Rachedurst ...

NATALIE ANDERSON

Heißer als die Sonne Italiens

Heißer als die italienische Sonne brennt in Tycoon Alessandro Zetticci das Verlangen für seine unschuldige Braut! Noch nie hat es ihn so gereizt, eine Frau zu besitzen. Dabei hat der berüchtigte Playboy Katie nur deshalb geheiratet, um ihre Hochzeit mit seinem Erzfeind zu verhindern, nicht um sie zu verführen!

1. KAPITEL

Imogen setzte ihre Ohrstöpsel ein und drückte auf Start, um die Playliste abzuspielen, die ihr Vater ihr geschickt hatte. Sie hielt still, bis das erste Lied begann, und grinste, als der Surfsound der Sechzigerjahre erklang.

Perfekt, hier auf dieser Insel vor der Küste Brasiliens! Sie kniff sich in den Arm. Zweimal. Und starrte dann böse den Staubsauger an, der sie daran erinnerte, dass sie nicht nur im Urlaub war. Diese Tatsache entschlüpfte nur allzu leicht ihrem Bewusstsein, bei all dem goldenen Sand, den Palmen, den stillen Lagunen und den verlockenden Wellen auf dem unendlichen Blau des Ozeans.

Aber in ein paar Stunden konnte sie an den Strand gehen. Oder den Regenwald erkunden. Oder …

Oder herausfinden, was mit ihrer Tante los war.

Das Lachen verging ihr, aber sie straffte dennoch entschlossen die Schultern. Imogen war erst seit drei Tagen hier und hatte noch genügend Zeit herauszufinden, was Tante Katherine bedrückte.

Entschlossen stellte sie den Staubsauger an und verwandelte sich augenblicklich in die Göttin von Heim und Herd. Singend und mit kleinen Tanzschritten wirbelte sie durch den Raum. So funktionierte Hausarbeit am besten! Sie musste erledigt werden, aber man konnte dabei wenigstens Spaß haben.

Während der vergangenen Tage war sie so still wie ein Mäuschen gewesen. Sie hatte schnell bemerkt, dass der Herr des Hauses, Jasper Coleman, ziemlich empfindsam gegen Krach war.

Aber pünktlich jeden Vormittag um elf ging er eine Stunde joggen. Das hieß, Imogen blieben noch fünfzig Minuten, in denen sie sich austoben konnte. In dieser Zeit musste sie in seinem Wohnzimmer, dem Speisezimmer, dem Büro und der Eingangshalle staubwischen, staubsaugen und aufräumen.

Sie schaute sich in der Strandvilla um. Die Holzbalken, die sich über die gesamte hohe, unverkleidete Decke zogen, ließen den Raum besonders groß wirken. Bei diesem Anblick fühlte sich Imogen, als wäre sie auf einem uralten Piratenschiff unterwegs. Die mexikanisch inspirierten, honigfarbenen Bodenfliesen wirkten diesem Eindruck allerdings entgegen, ähnlich wie die riesigen Fenster mit ihrem fantastischen Ausblick.

Grübelnd schob Imogen den Staubsauger-Fuß unter den Couchtisch. Eigentlich sollte ihr das Haus gefallen. Die künstlerisch arrangierten Möbel und Designerteppiche sahen aus wie aus einem Lifestyle-Magazin für die Reichen und Schönen. Alles passte zusammen. Sie unterdrückte einen Schauder.

Wenn es ihr Haus wäre … Haha. Als ob.

Aber wenn eben doch, dann sähe es hier ganz anders aus. Ihr Lächeln verblasste. Über dem Haus lag eine Düsternis, die man nicht von den Wänden schrubben oder aus der Tür kehren konnte. Kein Wunder, dass Tante Katherine so miesepetrig war.

Tante Katherine und Miesepetrigkeit – das passte eigentlich nicht zusammen. Imogen musste dem Geheimnis auf den Grund gehen, und nicht nur deshalb, weil sie es ihrer Mutter versprochen hatte. Tante Katherine stand ihr besonders nahe, und es tat weh, sie so unglücklich zu sehen.

Das nächste Lied begann, und Imogen rief sich zur Ordnung. Schließlich hatte sie ein Haus zu putzen und konnte es sich nicht leisten, schwermütig zu werden. Sie drehte die Musik lauter, wackelte im Takt mit dem Hintern und schwang den Staubsauger herum wie einen imaginären Tanzpartner. Die Räume waren zwar sauber, aber sie waren riesig, und sie musste fertig sein, bevor Mr. Coleman zurückkam und sich wieder in seinem Büro verkroch. Was auch immer er dort an seinem Computer tat. In einem Jackett! War das zu glauben? Auf einer Insel, auf der gerade einmal vier Leute wohnten, trug er ein Jackett zur Arbeit.

Das zweite Lied endete. Als Nächstes erklang die Stimme ihres Vaters. Das war das Schöne an seinen Playlisten – die persönlichen Sprachnachrichten zwischen den Liedern. Wir vermissen dich, Immy.

Imogen rollte mit den Augen, aber grinsen musste sie doch. Um seine Anekdote über den Tennisklub besser hören zu können, stellte sie den Staubsauger kurz aus.

Ich hab dich lieb, meine Kleine.

„Ich dich auch, Dad“, flüsterte sie. In diesem Moment sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Sie erstarrte und fuhr herum, in der jähen Gewissheit, dass sie wusste, wer dort stand. Und sie hatte recht.

Es war niemand anderes als Jasper Coleman höchstpersönlich, überlebensgroß. Nervös zog Imogen sich die Ohrstöpsel heraus.

Ihr Arbeitgeber war ein Bär von einem Mann. Er wirkte verschlossen und abgekapselt, auf eine Weise, die Gefahr verhieß. Seine Gegenwart erfüllte den Raum von den Fliesen bis zur Balkendecke.

Mit dem geschulten Blick einer Schneiderin schätzte sie ihn auf eins fünfundachtzig, mit breiten Schultern und einem schlanken, durchtrainierten Oberkörper. Alle Muskeln, die man sah – und man sah eine Menge davon, da er sein Jackett gegen T-Shirt und eine Trainingshose getauscht hatte –, traten deutlich hervor. Zusammen mit seinem kurzen Igelhaarschnitt verlieh seine Statur ihm eine Aura mühsam beherrschter Kraft.

„Ms. Hartley, sehe ich das richtig, dass Sie während der Arbeitszeit persönliche Anrufe tätigen?“

Das war doch sicher ein Scherz, oder? Ihr Telefon hatte hier kaum Empfang. Imogen wollte spöttisch schnauben, verkniff es sich aber, als er die Augenbrauen hob. „Nein“, sagte sie. „Sir.“ Verspätet hinzugefügt, klang das Wort viel zu zackig, als wäre sie beim Militär.

Toll, Imogen. Warum nicht gleich salutieren?

„Es war kein Anruf. Mein Vater ist Toningenieur. Er schickt mir Playlisten und versteckt kleine Nachrichten zwischen den Liedern. Ich antworte ihm, obwohl ich weiß, dass er mich nicht hören kann.“

Zu viele Einzelheiten.

„Ich dachte, Ihre Tante hätte Ihnen klargemacht, dass ich bei meiner Arbeit Ruhe und Frieden wünsche.“

„Das hat sie!“ Imogen durfte Tante Katherine auf keinen Fall in Schwierigkeiten bringen. „Ich dachte nur, Sie wären schon beim Joggen.“

Ein Blick zu seiner Bürotür, und sie wollte sich vor die Stirn schlagen. Eigentlich sollte sie vorher überprüfen, ob die Tür offen oder geschlossen war. War sie offen, hieß das, er war weg, und sie konnte die Zimmer sauber machen, ohne ihn zu stören. War sie geschlossen, arbeitete er noch, und sie musste mucksmäuschenstill sein. Imogen biss sich auf die Lippen. „Es tut mir leid. Ich habe vergessen, nach Ihrer Bürotür zu schauen. Das wird nicht noch mal passieren, Mr. Coleman, das verspreche ich.“

Keine Reaktion. Nichts.

Unsicher blickte sie ihn an. Er war vielleicht kein Bär, aber er war so griesgrämig wie einer.

Jasper Coleman wandte sich ab. Sofort ließ sie erleichtert die Schultern sinken. Doch dann wandte er sich noch einmal um. „Ich gehe jetzt laufen, Ms. Hartley. Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist.“

Sein beißender Sarkasmus ließ Imogen den Staubsauger unwillkürlich fester umklammern. Auf einmal war es die Stimme von Elliot, ihrem Ex-Freund, die sie in ihrem Kopf hörte, seinen spöttischen, kalten Tonfall …

Sie hob das Kinn. „Halten Sie mich für dumm?“ Sie mochte hier auf der Insel nur Zimmermädchen sein, aber mit seiner Unhöflichkeit musste sie sich trotzdem nicht abfinden. „Hören Sie, ich habe einen Fehler gemacht und mich entschuldigt. Das bedeutet nicht, dass ich dumm bin.“

Mr. Coleman war schon an der Tür, aber nun drehte er sich noch einmal um. Sehr langsam.

Statt klein beizugeben – was sicher klüger gewesen wäre –, starrte Imogen ihn böse an. Vielleicht war sie ein wenig zu empfindlich, wenn es um ihre Intelligenz ging, aber man zahlte ihr nicht genug, dass sie sich eine Herabwürdigung gefallen lassen musste.

Das zumindest sagte sie sich, bevor ihre Knie zu zittern begannen. Ihr Gefühl rechtschaffener Empörung schwand, als Mr. Coleman sich zu voller Höhe aufrichtete.

Jeder Dummkopf wusste, dass man einen schlecht gelaunten Bären nicht reizte.

„Ich kenne Sie nicht gut genug, um über Ihre Intelligenz zu urteilen, Ms. Hartley.“ Er deutete auf seine Bürotür. „Ihre Beobachtungsgabe allerdings ziehe ich in Zweifel.“

Imogen biss sich auf die Zunge und sagte nichts. Glücklicherweise schien er auch keine Antwort zu erwarten, da er ohne weitere Verzögerung den Raum verließ. Einen Moment später hörte sie, wie sich die Vordertür leise schloss.

Natürlich würde er nie etwas so Unbeherrschtes tun, wie die Tür zuzuknallen.

Er hatte unrecht. Ihre Beobachtungsgabe war sogar sehr ausgeprägt. Und keineswegs war ihr seine Kleidung entgangen. Schließlich war sie Schneiderin.

Sie war ihr sogar besonders aufgefallen. Was nicht viel Sinn ergab, weil seine Kleidung nicht außergewöhnlich war. Die schlichte Laufhose ging ihm bis zum Knie und war nicht einmal besonders eng. Allerdings saß sein T-Shirt wie angegossen und betonte seinen gestählten Oberkörper.

Versuchte sie, sich selbst etwas vorzumachen? Es waren nicht seine Kleider, die ihr aufgefallen waren. Es war der Mann, der darin steckte.

Imogen runzelte die Stirn und widmete sich schnell wieder ihrer Arbeit. Saugte Böden blitzsauber und wischte Oberflächen blank.

Jasper Colemans Büro war so ordentlich wie der Rest des Hauses. Und genauso kalt. Ihr Boss hatte keine Fotos auf dem Schreibtisch stehen, keine Ziergegenstände, nichts Persönliches. Alles war rein funktional. Angeblich war er eine Art von Computergenie, aber wie es ihm gelang, kreativ zu sein, wenn er die ganze Zeit von so viel Beige umgeben war, war Imogen ein Rätsel.

Sie fuhr noch einmal mit dem Staubwedel über den riesigen Schreibtisch, schaute sich mit kritischem Blick im Raum um und wollte gerade gehen, als ihr Blick auf seinen Computer fiel.

Sie würde wetten, dass er sich im Nullkommanichts ins Internet einloggen konnte. Verbindungsprobleme kannte er bestimmt nicht.

Und sie wollte schon seit ihrer Ankunft unbedingt herausfinden, ob sie hier unbesorgt im Meer schwimmen konnte.

Tante Katherine wusste das nicht. Sie badete lieber in der stillen Lagune. Und Jasper Coleman schwamm zweimal täglich in seinem Pool: morgens von sechs bis sieben, dann noch einmal abends. Der Mann war offensichtlich ein Fitness-Fanatiker. Drei Stunden Ausdauertraining pro Tag fand Imogen ein bisschen exzessiv. Nicht, dass sie etwas gegen Fitness hatte, nur war sie für sie kein Selbstzweck: Sport musste ihr Spaß machen, oder sie ließ es bleiben. Zumba, Tanzen oder Surfen waren toll. Sie schwamm auch gern im Meer.

Wenn es sicher war.

Imogen zögerte nicht länger. Sie glitt auf Jaspers Bürostuhl, weckte seinen Computer aus dem Standby-Modus und klickte auf den Internetbrowser. Sicher würde es ihm nichts ausmachen? Es war doch auch in seinem Interesse, wenn sein Personal beim Schwimmen nicht ertrank. Arbeitssicherheit, gewissermaßen.

Als sie daran dachte, wie er sie vorhin angesehen hatte, zog sie eine Grimasse. Vielleicht würde er sie auch lieber an die Haie verfüttern.

In aller Eile tippte sie ein: Schwimmen, Brasilien, Küste.

Die Suchmaschine lud Ergebnisse.

„Heureka!“ Imogen beugte sich vor, um mit der Maus auf die Webseite zu klicken, auf der sie hoffentlich die gewünschten Informationen finden würde.

„Keine Bewegung, Ms. Hartley“, erklang eine verdächtig weiche Stimme.

Imogen erstarrte. Ganz vorsichtig hob sie den Blick und schaute zu ihrem Boss hinüber, der in der Tür stand. „Wieso?“ Sie schluckte. „Lauert hier irgendwo eine Schlange, oder ein Skorpion?“ Das klang heiserer als beabsichtigt, aber sie war zu erschrocken, um laut und deutlich zu sprechen – falls die unsichtbare Gefahr unvermittelt zuschlug.

„Seien Sie nicht albern. Hier gibt es keine Schlangen – sofern Sie nicht selbst eine sind.“ Die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, kam er mit schweren Schritten auf sie zu.

Die unsichtbare Gefahr ist dieser Mann!

Sie hätte auf ihren Instinkt hören sollen. Imogen sprang auf und lief um den Schreibtisch herum, um ein Hindernis zwischen sich und ihn zu bringen. Mit einer Hand griff sie nach einem Briefbeschwerer, mit der anderen nach einem Stift, den sie wie einen Dolch abwehrend vor sich hielt.

Abrupt blieb er stehen. „Was tun Sie da?“

„Mir gefällt nicht, wie Sie mich ansehen.“

Aus irgendeinem Grund erblasste er. Sein Brustkorb hob sich, als er tief Atem holte. „Eine verdeckte Reporterin gefällt mir noch weniger.“

„Ich bin keine Reporterin!“, stieß sie überrascht hervor. „Weder verdeckt noch sonst wie!“

„Für Industriespione gilt dasselbe.“

Sie deutete auf den Computer. „Sie denken, ich würde Ihre persönlichen Dateien anschauen – oder nach Ihren Berufsgeheimnissen suchen?“

Lippen, die erstaunlich voll und sinnlich wirkten, verzogen sich zu einer Grimasse. „Der Gedanke ist mir in den Sinn gekommen, ja.“

Wow. Ganz schön paranoid.

Kein Wunder, dass er auf einer einsamen Insel lebte. Und kein Wunder, dass ihre Tante sie vor ihm gewarnt hatte. Schwierig und anspruchsvoll, hatte sie gesagt.

„Wir befinden uns offenbar in einer Sackgasse, Ms. Hartley. Es war nicht meine Absicht, Ihnen Anlass zu geben, um Ihre Sicherheit zu fürchten.“ Seltsamerweise glaubte sie ihm. „Aber ich möchte auf den Bildschirm sehen, um herauszufinden, was genau Sie dazu veranlasst hat, zu strahlen wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum und ‚Heureka‘ zu rufen.“

Das war wahrscheinlich keine schlechte Idee. „Wie wäre es, wenn ich um den Tisch herumgehe und davor stehen bleibe?“

„In Ordnung. Ich gehe dann andersherum.“ Jasper Coleman deutete eine kreisförmige Bewegung an.

„Also gut. Das klingt wie ein Plan.“ Imogen Hartley versuchte ein Lächeln, aber es half nicht, das Gefühl der Bitterkeit zu vertreiben, das in Jasper brannte. Die Angst in ihren Augen, als er auf sie zugekommen war, hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen.

Hielt sie ihn für einen Brutalo?

„Soll ich zählen?“ Er wollte ihr nicht noch mehr Anlass geben, sich vor ihm zu fürchten. „Auf drei …“

Sie runzelte die Stirn, als sei sie verwirrt, und schüttelte den Kopf, dann ging sie um den Tisch herum. Jasper setzte sich bewusst langsam in die andere Richtung in Bewegung.

Nachdem sie auf diese Weise die Plätze getauscht hatten, deutete Ms. Hartley mit einer übertriebenen Geste auf den Computer, beinahe wie eine Moderatorin im Werbefernsehen.

Jasper unterdrückte ein Seufzen und setzte sich auf seinen Stuhl. Wenigstens wirkte sie nicht mehr so erschrocken. Er schaute auf seinen Computer. Starrte darauf, besser gesagt, eine ganze Weile lang, dann blinzelte er und lehnte sich zurück. Und atmete tief aus. „Sie wollten wissen, ob das Meer hier zum Schwimmen und Surfen geeignet ist?“

Sie nickte.

Er versuchte, nicht die Stirn zu runzeln. „Denken Sie wirklich, Ilha do Pequeno Tesoura würde in irgendeiner Datenbank auftauchen?“ Bewusst verwendete er die lange Form des Namens.

„Na ja, nicht wirklich. Aber wir sind nur dreißig Minuten von der Küste entfernt. Per Speedboot weniger.“ Sie zuckte die Schultern, als ob das alles erklärte. „Also habe ich gedacht, die Bedingungen zum Surfen vor der Küste Brasiliens würden mir schon weiterhelfen.“

„Inwiefern?“

Zwei vertikale Linien erschienen auf ihrer Stirn, als hätte er eine lächerliche Frage gestellt. Als würde sie ihn für nicht besonders helle halten.

Vor zwei Minuten hatte sie ihn noch bedrohlich gefunden. Das würde er sich nie verzeihen.

Diese beiden Linien waren seltsam hübsch. Sie ließen ihr Gesicht sehr lebhaft wirken. Diese Frau war voller Leben, Energie und spontaner Einfälle. Ein normaler Mensch. Teil der Außenwelt. Deshalb war er ihr gegenüber auch so unverzeihlich brüsk gewesen. Der Schmerz, den sie, ohne es zu ahnen, in ihm weckte – von dem er dachte, er hätte schon vor langer Zeit gelernt, ihn zu unterdrücken –, hatte ihn kalt erwischt. Er hatte sein Lauftraining abgebrochen, um mit Katherine zu sprechen. Sie zu bitten, sich in seinem Namen bei ihrer Nichte zu entschuldigen.

Jetzt war die Gelegenheit, es selbst zu tun.

Jasper öffnete den Mund. Und schloss ihn wieder. Katherine hatte die Augen verdreht, als sie von ihrer Nichte gesprochen hatte – hatte gesagt, sie sei unstet, ein bisschen verantwortungslos und impulsiv und habe gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich.

Unabhängig davon, wie verantwortungslos Imogen Hartley war, sie hatte nichts mit all der Hässlichkeit zu tun, die ihn umgab. Und so sollte es bleiben. Es war besser, wenn sie ihn als schlecht gelaunten Tyrannen sah.

Fasziniert sah er zu, wie sie sich ein höfliches Lächeln abrang. „Ich möchte gern am Strand schwimmen, aber meine Tante wusste nicht, ob das gefahrlos möglich ist. Sie mag die Brandung nicht; wenn sie schwimmen geht, dann in der Lagune. Und Sie schwimmen immer nur in Ihrem Pool. Deshalb …“

„Deshalb …?“

„Deshalb habe ich mich gefragt, ob es einen Grund dafür gibt. Eine Haikolonie vor dem Riff? Versteckte Strömungen oder giftige Quallen? Mir ist zwar nichts Ungewöhnliches aufgefallen, aber …“ Sie zuckte die Schultern. Offenbar hatte sie die gleichen Lektionen erhalten wie er und alle anderen australischen Kinder.

Der Strand hier auf Tesoura war sicher, aber der Gedanke, sie könnte allein schwimmen gehen, missfiel ihm trotzdem. „Sind Sie eine erfahrene Surferin?“

„Ich surfe nicht oft, aber ich schwimme zu Hause viel.“

Was hatte Katherine noch gesagt, wo ihre Familie wohnte?

„Wollongong und Kiama“, präzisierte sie. „Die Strände südlich von Sydney.“

Dort war er früher auch geschwommen. Es war eine Ewigkeit her. Fast fühlte es sich an, als wären es gar nicht seine Erinnerungen, sondern die eines Fremden.

„Die Strände hier sind ganz ähnlich wie die, an die Sie gewöhnt sind.“ Tesouras Strände waren vermutlich noch sicherer.

„Danke.“ Ihr Lächeln durchdrang seinen Panzer, und erneut empfand er diesen seltsamen Schmerz. Aber als er keine Miene verzog, verblasste das Lächeln schließlich. Jasper versuchte, sich nicht schuldig zu fühlen. „Es tut mir leid. Ich hätte um Erlaubnis bitten sollen, bevor ich Ihren Computer benutzt habe.“

Was eine andere Frage aufwarf. „Ich möchte nicht, dass Sie etwas hier in diesem Raum anfassen, Ms. Hartley.“

Sie nickte und entschuldigte sich noch einmal, zögerte und sagte dann: „Ich schätze, es besteht keine Chance, dass Sie mich Imogen nennen, oder?“

„Nicht der Hauch einer Chance.“ Auch deshalb würde er sich nicht schuldig fühlen. „Haben Sie keinen Laptop oder ein Tablet mitgebracht?“

Aus irgendeinem Grund brachte sie das zum Lachen. „Doch, nur leider hat man mir den Schlüssel zum Thronsaal nicht gegeben.“

Was in aller Welt sollte das heißen?

„Das WLAN-Passwort“, stellte sie klar. „Anscheinend habe ich nicht die erforderliche Sicherheitsfreigabe.“ Ihre Lippe zuckten.

Warum, um alles in der Welt, hatte Katherine ihrer Nichte nicht das Passwort gegeben?

Das ging ihn nichts an. Katherine hatte Geheimnisse vor ihrer Familie, das wusste er, aber er würde sich auf keinen Fall einmischen. Wortlos schrieb er das Passwort auf einen kleinen Zettel und schob ihn über den Tisch.

Imogen Hartley nahm ihn. In ihren Augen funkelte der Schalk. „Heißt das, ich bin gerade befördert worden?“

Mühsam widerstand er dem Drang zu lachen. „Es heißt, Sie können jetzt mit Ihren eigenen Geräten das Internet nutzen, Ms. Hartley.“

Das Lächeln schwand. Schon wieder. Aber eine Verbrüderung mit dem Chef würde es nicht geben, und je schneller sie das begriff, desto besser.

Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. „Hören Sie, ich wollte mich entschuldigen. Ich …“

„Angenommen, Ms. Hartley.“

„Aber …“

„Ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie auf dem Weg hinaus die Tür schließen würden.“

Jasper wandte sich wieder seinem Computer zu und öffnete ein neues Tabellendokument. Währenddessen stand sie wie erstarrt da, bis sie sich schließlich wieder fing. „Ja, natürlich, Sir.“

Auf ihren Sarkasmus reagierte er nicht. Er legte es nicht darauf an, eine Auszeichnung als Chef des Jahres zu bekommen. Sie war nur hier, solange Katherine sie brauchte. Bald würde sie wieder abreisen.

In dem Moment, als sie die Tür hinter sich schloss, schloss er auch seine frisch geöffnete Datei. Er hatte nur beschäftigt wirken wollen, bis Imogen das Büro verlassen hatte. Ms. Hartley, korrigierte er sich, und kontrollierte noch einmal den Suchverlauf des Browsers.

Sie hatte genau eine Suche gestartet. Mehr nicht. Sie war keine Reporterin. Sie hatte nicht gelogen.

Gut. Der Gedanke, Katherine sagen zu müssen, ihre Nichte sei eine Lügnerin, Diebin oder Betrügerin, war nicht angenehm gewesen. Jasper lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Imogens Freundlichkeit war keine Fassade, und er war froh, dass ihn sein Urteilsvermögen nicht getrogen hatte.

Du hättest ruhig ein wenig freundlicher sein können.

Das war eine schlechte Idee. Es begann mit einem harmlosen Scherz und Gelächter, und als Nächstes vertraute man sich plötzlich persönliche Einzelheiten an. Bevor man sich versah, wurde daraus eine Freundschaft, auf die man sich verließ. Aber wenn es dann hart auf hart ging, fand man heraus, dass man sich eben doch auf niemanden verlassen konnte. Nicht auf seine Freunde, nicht auf seine Partnerin und schon gar nicht auf seine Familie. Dieses Risiko würde Jasper nicht noch einmal eingehen.

Besser, wenn er erst gar nicht damit anfing. Er hatte gelernt, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Das hatte die letzten zwei Jahre wunderbar funktioniert, und wenn etwas funktionierte …

Ein plötzliches Bild von Imogen, wie sie furchtsam vor ihm zurückgewichen war, trieb Jasper den Schweiß auf die Stirn. Wem machte er hier etwas vor? Es funktionierte nicht. Er funktionierte nicht.

Jasper sprang auf und ging zum Fenster hinüber. Beim Anblick des Tropenparadieses draußen verzog er den Mund zu einem bitteren Lächeln. Er hätte sein Exil vorsichtiger auswählen sollen – einen abgeschiedenen, windumtosten Felsen vor der Küste Schottlands oder Norwegens vielleicht. Alles in grauem Stein. Arktischer Wind und verkrüppelte Bäume.

Aber vor zwei Jahren war es ihm nur darum gegangen, Australien so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

Abrupt wandte sich Jasper vom Fenster ab. Es hatte ihm nie etwas bedeutet, dass die Insel hübsch war, warum wünschte er sich jetzt, er wäre irgendwo anders? Vielleicht hätte er sein Lauftraining nicht abbrechen sollen. Das war wahrscheinlich das Problem. Laufen und Schwimmen hielten die Dämonen fern. Er hätte bei seiner Routine bleiben sollen.

Vierzig Minuten hartes Training würden ihn ablenken. Also los. Jasper riss seine Bürotür auf.

Im gleichen Moment klingelte es an der Tür.

Er blinzelte. Er hatte gar nicht gewusst, dass es überhaupt eine Türklingel gab. In den zwei Jahren, seit er hier wohnte, hatte es nicht ein einziges Mal geläutet. Alle Lieferungen – Lebensmittel, Büromaterialien, Post – wurden von Katherine an der Hintertür in Empfang genommen. Die Villa war riesig, und der Hintereingang lag näher am Pier.

Niemand kam zu Besuch nach Tesoura. Niemand.

Bestimmt war das Imogen Hartley. Wahrscheinlich ein spontaner Einfall. Sie war die Art von Person, die das tun würde – nur zum Spaß, um zu sehen, ob die Klingel funktionierte. Würde sie gleich den Kopf durch die Tür stecken und sich entschuldigen – irgendeine Ausflucht erfinden, dass sie den Klingelknopf hatte polieren wollen?

Imogen kam aus dem hinteren Teil des Hauses gerannt. Aus Richtung der Küche. „War das …“

Es klingelte wieder.

„… die Türklingel?“

Er deutete auf den Vordereingang. „Es wäre mir lieb, wenn Sie öffnen könnten, Ms. Hartley.“

Schon wieder dieses Funkeln in ihren Augen. „Ich bin anscheinend wirklich befördert worden. Muss ein Butler weiter staubsaugen?“

Jasper war kein Mensch, der häufig lächelte. Und in diesem Moment war er schon gar nicht dazu aufgelegt, sich von Imogens Scherzen erheitern zu lassen. Jemand klingelte an seiner Tür, hier auf dieser Insel, Kilometer weit weg von jeder Zivilisation. Das konnte nur eins bedeuten: Ärger.

„Wenn es die Presse ist …“

Imogen, bereits auf dem Weg in die Eingangshalle, wirbelte herum. „Schlage ich ihnen die Tür vor der Nase zu?“

„Bitte.“

Sie hielt den Daumen hoch, bevor sie verschwand, und nun musste er doch lächeln. Diese Frau war ein echter Wirbelwind.

Er blieb außer Sicht, ging aber näher heran, um zu lauschen.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass dies das Anwesen von Jasper Coleman ist?“, fragte eine kultivierte, angenehme Männerstimme.

„Darf ich fragen, wer Sie sind, bitte?“ Imogens Tonfall war höflich. Professionell. Ungerührt.

„Ich habe eine Lieferung für ihn.“ Es gab eine Reihe dumpfer Aufschläge, als ob jemand Pakete eher unsanft auf den Boden stellte, dann ein Klicken und ein Schaben. „Keine Sorge, er muss nicht unterzeichnen.“

Von ungerührt war nichts mehr zu merken, als Imogen rief: „Moment! Das … das ist ein Baby!“

Wie bitte?

„Hey, warten Sie! Sie können nicht einfach so ein Baby hier abgeben!“

„So lauteten die Anweisungen, Miss.“ Die Stimme begann sich zu entfernen. „Ich befolge nur Befehle.“

Jasper sprang aus seinem Versteck und rannte in die Halle, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sein neuer Butler einem Mann hinterhersetzte, der beinahe doppelt so groß und breit schien wie sie, und ihn am Arm packte. „Was denken Sie sich eigentlich? Sie können doch nicht einfach jemandem ein unbekanntes Baby vor die Tür legen!“

„Das Baby ist nicht unbekannt. Ich wurde angeheuert, um den Jungen zu Mr. Coleman zu bringen. Und ich bin froh, dass es mir gelungen ist, bevor die nächste Mahlzeit fällig ist. Was mich angeht, ist mein Auftrag damit beendet.“

Jasper wurde kalt. Er ignorierte den Baby-Tragesitz vor seiner Tür und zwang sich, auf den Mann zuzugehen. „Das muss ein Irrtum sein.“

„Kein Irrtum“, sagte der Mann, an ihn gewandt. „Nicht, wenn Sie Jasper Coleman sind.“

Imogen ließ den Mann los und trat zurück, um Jasper das Feld zu überlassen. Allerdings blieb sie stehen, statt einfach wieder ins Haus zu gehen. Jasper wusste nicht, ob er über ihre stillschweigende Unterstützung froh sein sollte oder nicht.

„Sie sind doch Jasper Coleman, richtig?“

Er wollte lügen, aber es ging immerhin um das Wohlergehen eines Babys. „Ja.“

„Dann ist es auch kein Irrtum.“

Jaspers Magen verkrampfte sich. Es gab nur eine Person, die ihm ein Baby schicken würde, aber …

Nein, unmöglich. Sie hasste ihn. Sie hatte gesagt, er habe ihr Leben ruiniert.

Der Mann deutete auf den Tragesitz. „Mr. Coleman, dies ist Ihr Neffe.“

Wie auf ein Stichwort hin öffnete das Baby die Augen und gab einen leisen Schrei von sich.

Jasper konnte sich nicht bewegen. „Was tut er hier?“

„Ihre Schwester hat mich angeheuert, das Baby aus Australien hierherzubringen.“ Der Mann zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihm. Darauf stand der Name eines Kinderpflege-Services, der damit warb, weltweite Reisen für Kinder jeden Alters zu organisieren.

„Sie sind … ein Kindermädchen?“

„Eins der besten. Dem Jungen geht es gut, und wenn Sie im Büro nachfragen wollen, werden Sie feststellen, dass alles seine Richtigkeit hat. In einer der Taschen finden Sie einen an Sie adressierten Brief Ihrer Schwester. Ich nehme an, darin wird alles erklärt.“ Dann runzelte er die Stirn, als fiele ihm plötzlich etwas ein. „Mrs. Graham hat mir gesagt, wenn ich Sie sähe, sollte ich das Wort ‚Jupiter‘ sagen. Sie wüssten dann schon, was gemeint ist.“

Sein Magen verkrampfte sich. „Jupiter“ war damals ihr geheimes Codewort gewesen.

Das Baby schrie lauter und ausdauernder.

Imogen schaute von ihm zu dem Kinderpfleger und wieder zurück. Aber Jasper konnte ihrem Blick nicht begegnen. Konnte sich nicht einmal bewegen.

„Entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss nach Rio zu meinem nächsten Auftrag. Einen schönen Tag noch.“ Damit drehte der Mann sich um und ging davon. Und wer konnte ihm einen Vorwurf daraus machen? Es war ja nicht sein Baby.

Was hatte Emily nur getan? Jasper schluckte seine Panik herunter und besann sich auf die kühle Fassade, die er in den letzten zwei Jahren sorgsam kultiviert hatte. Er würde irgendwie damit fertig werden, und …

Imogen machte einen Schritt an ihm vorbei, hob das weinende Baby in ihre Arme und wiegte es. „Hallo, kleiner Mann, was ist denn los? Bist du ein bisschen verwirrt? Ich kann es dir nicht verübeln.“

Das Baby schlug seinen Kopf ein paar Mal gegen ihre Schulter und rieb sich mit der Faust über die Augen, während Imogen leise, tröstende Worte murmelte. Schließlich schaute es sie an. Sie lächelte strahlend und pustete auf die kleine Faust. Zu Jaspers Überraschung hörte das Baby nicht nur sofort auf zu weinen, sondern lächelte zurück, als wäre Imogen das Beste, was es je gesehen hatte.

Und Imogen Hartley schmolz sichtlich dahin.

Sie hatte von einer Beförderung gesprochen. Was sie wohl von der Aussicht hielt, Kindermädchen zu werden?

2. KAPITEL

Imogen schaukelte das Baby auf ihrer Hüfte und verzog das Gesicht, als sie Jaspers kalkweißes Gesicht sah. Dass ein Baby vor seiner Haustür auftauchte, hatte er ganz offensichtlich nicht erwartet. Seine Augen verfinsterten sich. In kaum verhohlener Bitterkeit verzog er das Gesicht. Ihr Herz schlug schneller, und sie musste gegen den Drang ankämpfen, zu ihm hinüberzugehen und den Arm um ihn zu legen, ihn zu trösten, wie sie den kleinen Jungen in ihren Armen getröstet hatte.

Aber warum sollte Jasper Trost brauchen?

Sie befeuchtete ihre Lippen. „Ist er wirklich Ihr Neffe?“

Er nickte. Und sagte sonst nichts.

„Wie heißt er?“

„George.“

Jasper anzusehen tat weh, also lächelte sie stattdessen das Baby an. „Hallo, Georgie!“

Jasper fluchte. Nicht besonders laut, aber so wütend, dass das Baby und sie beide zusammenzuckten.

Okay. Er hatte hiermit nicht gerechnet. Und er war ganz und gar nicht glücklich mit der Entwicklung.

Aber George starrte seinen Onkel mit großen, ängstlichen Augen an und sah aus, als würde er gleich wieder anfangen zu weinen. Imogen wiegte ihn sanft auf den Armen und begann „Alle meine Entchen“ zu singen, weil ihr das als Erstes einfiel.

George lächelte. Er warf die Arme hoch und gab unartikulierte Laute von sich. Was für ein süßer, niedlicher Schatz! „Hey, wirst du selbst irgendwann Sänger, kleine Maus?“ Sie schaute zu Jasper hinüber. „Wie alt ist er?“

„Neun Monate.“ Jasper starrte sie an. „Sie können sehr gut mit ihm umgehen.“

„In der echten Welt bin ich Tante Immy – für vier der süßesten Kinder der Welt.“

„Ich dachte, Sie wären Einzelkind.“

Aha, Tante Katherine hatte ihm also von ihr erzählt. Was hatte sie ihm noch gesagt? „Tante ehrenhalber.“ Sie hob das Kinn. „Das sind die besten, wie jeder weiß.“

Einen Moment lang sah er sie verblüfft an, dann hob sich sein einer Mundwinkel, beinahe widerwillig. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Dieses halbe Lächeln verwandelte Jasper – sein strenger Mund bekam einen sinnlichen Schwung, und seine Augen leuchteten. Unwillkürlich dachte sie an Sommer und Wärme. Und an Eiscreme. Ihr stockte beinahe der Atem. Jasper hatte schon von Anfang an eine besondere Wirkung auf sie gehabt, und gerade jetzt wirkte er unglaublich attraktiv.

Nur einen Augenblick später kehrte das Stirnrunzeln zurück, und Imogen wandte den Blick ab. Hoffentlich hatte er ihr nicht angesehen, was sie dachte.

Mit einem Zeh scharrte sie auf dem Boden und versuchte, eine Grimasse zu unterdrücken.

„Geht es Ihnen gut, Ms. Hartley?“

Imogen versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Ich dachte nur, ich müsste niesen.“

Er hob eine Augenbraue.

„Mit einem Baby im Arm ist das keine gute Idee“, sagte sie. Er musste aufhören, sie so anzusehen. Mit dem Kopf deutete sie auf die Taschen, die der Baby-Bote auf der Türschwelle abgestellt hatte. „Ich schätze, wir sollten die Sachen besser aus der Sonne schaffen.“

Umgehend ließ sie ihren Worten Taten folgen, griff sich den Tragesitz und ging damit in Jaspers makelloses Wohnzimmer, das Baby nach wie vor auf dem Arm. Ein Grinsen flog über ihr Gesicht, als sie den Sitz abstellte. „Oh, George, hier kannst du richtig viel Unsinn machen.“

„Unsinn machen?“ Jasper war ihr gefolgt. „Kann er denn schon laufen?“

„Wahrscheinlich nicht, obwohl er vielleicht schon krabbelt. Hey, kleine Maus, bist du schon mobil?“ Imogen grinste Jasper an. „Ich zeige Ihnen, was ich meine.“ Sie streckte die Arme aus und wollte ihm George übergeben.

Jasper machte einen Schritt zurück. Auf seinem Gesicht breitete sich pures Entsetzen aus.

Oh, Himmel. Mühsam unterdrückte Imogen die Worte, die ihr auf der Zunge lagen. Hier ging etwas vor sich, das sie nicht verstand. Aber George konnte es nicht brauchen, dass sie die Situation schlimmer machte. Stattdessen deutete sie auf die Taschen. „Bestimmt ist Spielzeug darin, und eine Babydecke.“

Sofort begann Jasper, darin zu kramen, und fand schließlich das Gesuchte. Er reichte ihr die Decke. George streckte die Hand nach dem Spielzeug aus, einem Ring mit bunten Schlüsseln und einem Plüschkaninchen.

Mit äußerster Vorsicht reichte Jasper ihm die Schlüssel.

Imogen breitete die Decke auf dem Designerteppich aus. Dann machte sie kurzen Prozess und leerte den Rest der Tasche über der Decke aus, setzte George in die Mitte und schob die verstreuten Spielzeuge in seine Richtung. Er schwenkte den Schlüsselbund und gab einen brummenden Laut von sich.

Imogen griff nach einem Spielzeugauto. „Suchst du etwa das hier, mein Süßer?“

Er griff danach und begann prompt, darauf herumzukauen.

„Sehen Sie?“ Imogen kam auf die Füße. „Schon herrscht in Ihrem Wohnzimmer Chaos.“

Jasper musterte sie ein wenig skeptisch. „Sie klingen, als fänden Sie das gut.“

„Es fällt mir schwer, ein Baby nicht gut zu finden, Onkel Jasp… Mr. Coleman“, korrigierte sie sich und errötete.

Nur, weil auf einmal ein Baby im Haus war, hieß das nicht, dass sie auf Förmlichkeiten verzichten durfte.

Er ließ es ihr durchgehen und sah sie weiter forschend an.

Ach ja, sie sollte ja eigentlich arbeiten. Vermutlich wunderte er sich, was sie immer noch hier im Wohnzimmer tat und wieso sie sich aufspielte, als wäre sie hier zu Hause. Imogen schluckte und trat einen Schritt zurück. „Ich schätze, ich gehe besser wieder an die Arbeit …“

„Nein!“

Sie blieb stehen. „Sir?“

„Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Ms. Hartley.“

Baby George schlug gerade fröhlich mit einem Plastikhammer auf seinen Fuß, und Imogen musste lachen. „Mir schwant Böses.“ Sofort biss sie sich auf die Zunge. Verflucht! Warum konnte sie nicht professionell und höflich bleiben?

Er schaute von George zu ihr. „Vorhin haben Sie von einer Beförderung gesprochen.“

Das war ein Witz gewesen. „Ist Kindermädchen wirklich eine Beförderung?“

„Absolut. Vor allem ist die Bezahlung besser.“

Um Geld ging es ihr nicht. Sie war nicht des Geldes wegen hier.

„Und Sie bekommen eine höhere Sicherheitsfreigabe.“

War das etwa ein Witz? Sie grinste – weil es unerwartet kam, und weil sie diese Art des verbalen Schlagabtauschs mochte. „Das ist ein netter Bonus.“

„Ist das ein Ja?“

Es würde sicher mehr Spaß machen, auf George aufzupassen als zu putzen, aber deshalb war sie nicht hier.

„Sie zögern. Darf ich fragen, warum?“ Er deutete auf das Baby. „Sie scheinen sich mit Babys gut auszukennen. Ich verstehe, dass es seinen Reiz hat, mit dem Staubsauger zu tanzen, aber Kinderlieder scheinen Ihnen auch zu gefallen.“

Nur leider hatte sie ihrer Mutter versprochen, herauszufinden, was mit Tante Katherine los war. Vierundzwanzig Stunden am Tag für ein Baby zu sorgen hieß, sie würde kaum noch Zeit für etwas anderes haben. „Mr. Coleman, ich glaube, wir haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was die Position eines Kindermädchens beinhaltet.“

Er blinzelte. „Unterschiedliche Vorstellungen inwiefern?“

„Ich schätze, Sie erwarten von mir, rund um die Uhr im Einsatz zu sein, von Montag bis Sonntag. Und es tut mir leid, aber ich möchte nicht so lange arbeiten. Dazu bin ich auch nicht nach Tesoura gekommen. Ich bin hier, um Zeit mit meiner Tante zu verbringen. In meiner Freizeit möchte ich die traumhafte Umgebung genießen.“ Bis sie nach Hause zurückkehrte und ihr wahres Leben begann. Das erweckte ein Gefühl der Erwartung in ihr … und der Furcht. „Wenn ich dabei die ganze Zeit ein Baby betreuen muss, wird das schwierig.“

Er tippte sich mit dem Finger gegen die Lippen.

Imogen wich zur Tür zurück, bevor sie schwach wurde.

„Wohin gehen Sie?“

Der scharfe Ton ließ sie abrupt innehalten. „Zurück an meine Arbeit. Die Arbeit, für die Sie mich bezahlen.“

„Sie können mich nicht mit dem Baby ganz allein lassen.“ Panik zeigte sich auf seinem Gesicht. „Bitte.“

Dieses „Bitte“ zerrte an ihr, an ihrem Mitgefühl, und es kam unerwartet. „Warum denn nicht?“

„Ich weiß gar nichts über Babys!“

George starrte sie an, als spürte er die Spannung, die in der Luft lag. Und dann brach er prompt in Tränen aus. Imogen hob ihn, ohne nachzudenken, hoch, wiegte ihn in ihren Armen und tätschelte ihm den Rücken.

Tante Katherine kam mit ihren typischen energischen Schritten in den Raum. „Du lieber Himmel, es kam mir doch so vor, als hätte ich ein Baby schreien hören! Also handelt es sich bei dem Bettchen und dem Kinderwagen, die gerade geliefert worden sind, nicht um einen Irrtum?“

Jasper schüttelte kurz den Kopf und deutete auf George. „Emilys Baby.“

Katherines Augen weiteten sich. Dann kam sie zu Imogen herüber und umfasste eine von Georges kleinen Händen. „Hallo, kleiner Mann, wie schön, dich zu sehen. Deine Mama kenne ich auch schon.“ Sie schaute zu Jasper. „Er wirkt ein bisschen müde. Wie lange bleibt er hier?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“

Imogen verkniff sich den Hinweis, dass er es vielleicht wüsste, wenn er den Brief seiner Schwester gelesen hätte.

Katherine schürzte die Lippen. „Okay.“

Imogen schaute vom einen zum anderen und versuchte, herauszufinden, wie sie zueinander standen. Katherine war seit zwei Jahren auf der Insel. Vorher hatte sie schon siebzehn Jahre für die Colemans gearbeitet. Sie und Jasper sprachen sich mit Vornamen an. Waren sie Freunde? Oder Geliebte? Der Gedanke setzte ihr zu. Mit neunundvierzig war Katherine immer noch jung – und sehr attraktiv. Während Jasper wie alt war – Mitte dreißig? Das war nicht im Bereich des Unmöglichen.

Ihre Tante hatte Geheimnisse. War Jasper eins davon?

Das Gelächter ihrer Tante war unerwartet. „Sieh mich nicht so an, Jasper, denn die Antwort lautet Nein. Wenn ich mich um ein Baby kümmern wollte, hätte ich selbst eins!“

Das brachte Imogen zum Lachen. Katherine hatte keinen einzigen mütterlichen Knochen im Leib.

„Aber …“

„Kein Aber“, sagte Katherine. Sie schaute zu Imogen, dann zu Jasper. „Ich überlasse euch dann mal euren Verhandlungen.“ Im Vorbeigehen tätschelte sie Imogen den Arm. „Sieh zu, dass er bei der Kinderbetreuung hilft“, raunte sie ihr zu und verschwand wieder in der Küche.

„Was hat Ihre Tante gerade gesagt?“

Imogen versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Nur, dass das Essen fertig ist.“ Als er die Augen zusammenkniff, holte sie tief Atem. „Mr. Coleman, ich schätze, wir drei können zusammen irgendetwas aushandeln.“

„Sie haben Ihre Tante doch gehört. Sie will nichts mit dem Baby zu tun haben.“

„Tante Katherine wird vielleicht keine vollen Windeln wechseln, aber sie wird ihm bestimmt das Fläschchen geben und auf ihn aufpassen, wenn er ein Nickerchen macht.“

„Ich kann mich jedenfalls nicht um das Baby kümmern!“

„Das ist Ihr Problem, Mr. Coleman“, sagte sie sehr sanft. „Nicht meins.“

Jasper bekam die Angst, die ihn durchflutete, kaum in den Griff. Er wusste, dass er sich irrational verhielt, aber er hatte auch guten Grund dazu.

Aaron wollte sich rächen. Sein Schwager hätte keine Skrupel, George als Waffe zu verwenden – um ihm wehzutun oder Geld von ihm zu erpressen. Das war die beste Variante, dass Aaron nur Geld wollte. Und Jasper würde es ihm geben, damit George in Sicherheit war.

Aber das war reines Wunschdenken. Bei seinem Glück würde in zwei Tagen die Polizei hier auftauchen und ihn wegen Kindesentführung verhaften. Man würde ihn anklagen, und es käme zu einem Prozess … schon wieder.

Aber Ms. Hartley hatte recht. Es war nicht ihr Problem, sondern seins. Jasper ließ sich auf das nächstbeste Sofa fallen.

Konzentriere dich.

Erstens: George war jetzt hier, und er musste Vereinbarungen für seine Versorgung treffen. Zweitens: Die Presse durfte davon keinen Wind bekommen. Je weniger Menschen davon erfuhren, desto besser.

„Können Sie … können Sie kurz mit dem Baby hierbleiben, während ich telefoniere?“

Ms. Hartley runzelte die Stirn, nickte aber. Jasper gab ihr keine Chance, ihre Meinung zu ändern, sondern griff nach seinem Telefon und rief seinen Assistenten in Sydney an. Er brauchte mehr Informationen. „Evan? Hören Sie, meine Schwester hat gerade ihr Baby zu mir bringen lassen. Ohne Vorwarnung.“

Das Schweigen auf der anderen Seite dauerte nicht länger als zwei Sekunden. „Was soll ich tun?“

„Können Sie herausfinden, was Emily und Aaron gerade machen? Diskret, bitte.“

„Ich melde mich, sobald ich etwas herausfinde.“

„Je schneller, desto besser.“

Jasper warf sein Telefon auf den Kaffeetisch und fuhr sich durch das Haar.

Er konnte Imogen nicht die gesamte Verantwortung für George aufbürden. Das verstieß gegen alle Arbeitnehmerrechte. Und es war einfach nicht richtig.

Außerdem ließen sich weder Katherine noch Imogen von einem tyrannischen Boss herumkommandieren. An sich war das gut, denn es hieß, sie waren integer. Das war wichtig.

Das Sofa sank ein wenig ein, als Imogen sich neben ihn setzte. „Ich möchte Ihnen gern den Rücken tätscheln, wissen Sie.“

Er schaute in warme, braune Augen mit grünen Sprenkeln. „Bitte nicht.“ Der Gedanke, sie könnte ihn berühren …

Das Baby hatte den Kopf an ihre Schulter gelegt und saugte an seinem Schnuller, während sie ihm tröstend den Rücken rieb. Aus dieser Nähe konnte er die Sommersprossen auf ihrer Nase erkennen.

„Natürlich würde ich das nicht tun. Aber die Ankunft Ihres Neffen ist anscheinend ein ziemlicher Schock für Sie.“

Das war eine Untertreibung.

„Ich lasse Sie jetzt erst mal ein wenig in Ruhe, damit Sie den Brief lesen und das Ganze verdauen können. Ich kümmere mich vorerst um George.“

„Warten Sie“, sagte er, als sie sich erheben wollte.

Sie setzte sich wieder auf das Sofa. Jasper stieß heftig den Atem aus. „Denken Sie wirklich, wir drei können etwas ausarbeiten?“

„Ja. Wir müssen natürlich Kompromisse schließen. Vor allem Sie.“

„Inwiefern?“

„Sie müssen weniger arbeiten.“

Das hatte er erwartet.

„Sie arbeiten ohnehin zu hart.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, zuckte sie zusammen und versteifte sich. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe! Das war viel zu persönlich. Es tut mir leid.“

Dabei hatte sie nichts als die Wahrheit gesagt. Jasper arbeitete so viel, weil es ihm half, seine Dämonen in Schach zu halten, genau wie das Schwimmen und Joggen. So lange George da war, würde er sich um ihn kümmern müssen statt um komplizierte Computerprogramme.

„Und während das Baby hier ist, müssen Sie vielleicht … Ihre Vorstellungen von Ordnung und Reinlichkeit etwas anpassen.“

Jasper blinzelte.

„Wenn ich vorwiegend George betreuen soll, habe ich nicht genug Zeit, mich genauso intensiv um den Haushalt zu kümmern wie bisher.“

„Das ist schon in Ordnung. Ms. Hartley, Sie haben seit Ihrer Ankunft jeden Tag staubgesaugt. Ich möchte Ihre Methoden nicht infrage stellen, aber ist das wirklich nötig? Ich bin schließlich recht ordentlich, trage keinen Matsch ins Haus und habe keine Haustiere.“

„Aber Tante Katherine sagte, Ihre Erwartungen seien extrem hoch …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippen.

Was zum Teufel hatte Katherine ihr erzählt? Aber Jasper hatte im Moment dringendere Probleme. „Ich habe kein Problem damit, wenn Sie weniger putzen. Aber eine Sache steht dem Ganzen noch im Wege.“

„Und die wäre?“

Sein Magen verkrampfte sich. „Ich weiß nicht das Geringste über Babys. Wie man sie füttert, was sie zu essen bekommen, wie man eine Windel wechselt. Und anscheinend gehört das alles dazu. Wie badet man ein Baby, ohne es zu ertränken? Muss man nicht sehr aufpassen, es dabei nicht fallen zu lassen?“

Sie lächelte, und ihre Augen funkelten. Das rief ein ganz neues Gefühl in seinem Magen hervor. Sein Herz schlug schneller.

„Das alles kann ich Ihnen beibringen. Aber viel wichtiger sind Dinge wie Kuscheln oder Spielen. Beides ist enorm wichtig für die Entwicklung eines Babys.“

Bevor er wusste, wie ihm geschah, beugte sie sich vor und setzte ihm das Baby auf den Schoß.

Jasper wollte sie anschreien, dass sie das Kind sofort zurücknehmen sollte. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, dass er nicht brüllen durfte. Er wollte am liebsten aufstehen und davonrennen. Leider ging das nicht, weil ein Baby auf seinem Schoß saß.

Er war sich nicht sicher, wie es reagiert hätte, wenn es ganz wach gewesen wäre – wahrscheinlich mit lautstarkem Protest. Aber schläfrig, wie es war, schmiegte es sich lediglich an seine Brust. Das warme Gewicht ließ Jaspers Herz schneller schlagen. Wann hatte er das letzte Mal jemanden berührt?

„Hören Sie auf, die Stirn zu runzeln“, tadelte sie ihn sanft. „Nicht, dass er Sie sieht und sich erschreckt!“

Der Gedanke, er könnte seinen Neffen ängstigen, machte ihn krank. „Es tut mir leid, dass ich Sie vorhin erschreckt habe. Das wollte ich wirklich nicht.“

„Jetzt weiß ich das. Ich habe überreagiert, aber …“

Er legte die Finger um ihr Handgelenk. „Entschuldigen Sie sich nicht dafür, auf Ihren Instinkt gehört zu haben. Besser, man ist übervorsichtig, als dass man verletzt wird.“

Sie starrte seine Hand an, die ihr Handgelenk hielt, und nickte. Ansonsten saß sie ganz still. Machte er ihr wieder Angst? Er hielt sie nicht besonders fest. Sie konnte sich ihm jederzeit entziehen …

Mit der Zunge befeuchtete sie ihre Lippen, und Japser durchschoss etwas Heißes, Süßes.

Er ließ sie los, als hätte er sich an ihr verbrannt.

Röte färbte ihre Wangen. „Macht es Ihnen was aus, wenn ich die restlichen Taschen auspacke?“

„Nein, nur zu. Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?“

„Nach dem Zeitplan. Wann er gefüttert werden muss, wann er schläft … solche Dinge.“

Jasper versuchte zu tun, was sie tat – sich auf die Sache mit dem Baby zu konzentrieren.

Das hatte jetzt Priorität.

Nicht, wie glatt und seidig Ms. Hartleys Haar aussah. Oder wie verlockend ihr Mund.

Er schaute wieder auf das Kind, das mit halb geschlossenen Augen an seinem Schnuller saugte. Dieses kleine Wesen war so hilflos und so zerbrechlich. Jaspers Panik regte sich erneut. Wie sollte er das nur hinbekommen?

„Ich bin übrigens keine ausgebildete Haushälterin. Weil Sie vorhin über Methoden gesprochen haben.“ Imogen saß im Schneidersitz auf dem Teppich und durchsuchte die Taschen. „Ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen.“

Jasper erinnerte sich daran, wie empfindlich sie reagiert hatte, als sie gedacht hatte, er wollte ihre Intelligenz beleidigen. „Das bedeutet nicht, dass Sie nicht hart arbeiten, richtig?“

„Genau!“ Ihr Lächeln blendete ihn förmlich. Er konnte nicht wegschauen. Dann jedoch verzog sie das Gesicht. „Es fällt mir allerdings schwer, mich unterzuordnen.“

Er versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“

Sie deutete mit dem Finger auf ihn. „Sie haben gerade einen Witz gemacht!“

Das ignorierte er. „Ms. Hartley, lassen Sie mich Ihre Bedenken ausräumen. Ich vertraue Katherines Urteil.“

„Obwohl sie meine Tante ist?“

Sie ist ein bisschen unstet und verantwortungslos.

Dafür sah Jasper keine Anzeichen. „Ja.“ Er würde Kate sein Leben anvertrauen. Er wusste, sie hatte Geheimnisse vor ihrer Familie, aber die waren harmlos.

Im Moment vermutete er, dass Kate ihre Nichte so beschrieben hatte, um von Anfang an einen Keil zwischen ihn und Imogen zu treiben. Er konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, dass sie Imogen vor einem Mann wie ihm beschützen wollte.

Imogen ließ die Tüte, die sie gerade durchsucht hatte, sinken. „Ich möchte mich für meine Unhöflichkeit vorhin entschuldigen. Ich hätte Sie nicht so angreifen sollen, weil Sie mich dumm genannt haben.“

„Das habe ich gar nicht.“

„Sie wissen, was ich meine.“ Eine Schulter hob sich. „Was das Thema angeht, bin ich ein bisschen empfindlich.“

„Warum?“

„Das ist doch egal.“

Als sie wieder aufsah, war er sich nicht ganz sicher, wie er ihren Gesichtsausdruck deuten sollte. „Ich weiß, dass ich nicht dumm bin, Mr. Coleman. Es ist im Moment nur ein etwas wunder Punkt. Letzte Woche, bevor ich hergekommen bin, habe ich unterwegs einen alten Schulfreund getroffen. Meine erste Liebe. Als er damals herausgefunden hat, dass ich nicht an die Uni gehen wollte, hat er gesagt, ich wäre …“

„Dumm?“

„Ein Bauerntölpel. Ungebildet.“ Sie zuckte die Schultern. „Ich habe ihm kräftig die Meinung gesagt.“

„Gut für Sie.“

„Aber wissen Sie, das war vor sieben Jahren. Als ich ihn letzte Woche gesehen habe, dachte ich, ich sollte kurz und höflich Hallo sagen. Wie sich herausgestellt hat, war das eine dumme Idee.“

„Hat er Sie wieder beleidigt?“

„Ja, nur subtiler.“ Sie zuckte die Schultern. „Ich bin nicht dumm. Und was ich mit meinem Leben anstelle, ist auch nicht dumm oder riskant. Es ist nur … Mir fällt es schwer, seine Worte abzuschütteln. Es tut mir leid, dass Sie das ausbaden mussten.“

„Schon in Ordnung.“ Jasper zuckte die Schultern. „Und wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, ich bin früher vom Laufen zurückgekommen, weil ich mich für meine unangebrachten Worte entschuldigen wollte.“

Imogen starrte ihn an. „Wissen Sie was? Sie sind kein bisschen schwierig oder anspruchsvoll.“

Schwierig und anspruchsvoll?

Katherine. Natürlich.

Katherine wollte nicht, dass er etwas mit ihrer Nichte anfing. Allerdings hatte Jasper gar nicht die Absicht, das zu tun. Er war nicht schwierig und anspruchsvoll; Imogen war nicht unstet und verantwortungslos. Aber sie lebten in ganz unterschiedlichen Welten. Und so sollte es auch bleiben.

3. KAPITEL

Die zwiespältigen Gefühle, die sie in Jaspers Gesicht las, ließen Imogens Herz schneller schlagen – so heftig, dass sie es in ihrem Hals und ihren Schläfen spürte.

Jasper Coleman hatte seinen Neffen mit einer fast überwältigenden Mischung aus Schock, Staunen, Schmerz und Hoffnung angestarrt.

Und seine Angst …

Seine tief sitzende Angst, die sich sowohl nach innen als auch nach außen zu richten schien. In dem Versuch, ihm diese Angst irgendwie zu nehmen, hatte sie Dinge gesagt, die sie besser für sich behalten hätte.

Aber das war besser, als ihn anzustarren und gar nichts zu tun. Jetzt sah er wenigstens nicht mehr ganz so verloren und überwältigt aus.

Der Grauton seiner Augen war erstaunlich. Je nach Lichteinfall wirkten sie silbern, enthielten einen Hauch von Blau oder vertieften sich zu einem dunklen Grau. Und immer hatte man das Gefühl, als blicke er tief in einen hinein.

„Also gut, Ms. Hartley. Wir versuchen es und schauen, ob wir zu dritt zurechtkommen. Ich zahle Ihnen und Ihrer Tante natürlich mehr, solange das Baby hier ist, und …“

„Das ist wirklich nicht notwendig.“ Die Bezahlung war bereits mehr als großzügig.

„Sie werden beide zusätzliche Pflichten haben, und ich habe nicht vor, Ihre Gutherzigkeit auszunutzen.“

Offenbar zog er eine rein geschäftliche Vereinbarung einer Gefälligkeit unter Freunden vor. Sie waren ja auch keine Freunde. Allerdings konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass Jasper Coleman im Moment ganz dringend Freunde brauchte.

Sie blickte zu George, der heftig an seinem Schnuller saugte. „Er braucht sein Fläschchen.“

„Dann nehmen Sie ihn besser mit.“

Wenn Jasper mehr Erfahrung mit Babys gehabt hätte, hätte er ihr George einfach in den Arm gedrückt. Stattdessen sah er sie auffordernd an, und sie musste den Drang unterdrücken, seinem wortlosen Befehl zu gehorchen. „Das mache ich gleich, aber zuerst habe ich eine Bitte.“

Er hob die Augenbrauen.

„Können wir auf die Förmlichkeiten verzichten und uns beim Vornamen anreden? Ich werde nicht vergessen, dass Sie mein Arbeitgeber sind, aber ich habe noch nie in einem Umfeld gearbeitet, in dem man auf solche Dinge Wert gelegt hat. Wenn ich Sie dann Onkel Jasper nenne, möchte ich mir hinterher keine Sorgen machen müssen …“

War das der Beginn eines Lächelns oder ein Stirnrunzeln? Sie versuchte es noch einmal. „Sie und meine Tante nennen sich beim Vornamen. Ich verspreche, ich werde mir sonst keine Freiheiten herausnehmen.“

Jasper sah sie lange an. „Also gut, Imogen, dann bleiben wir beim Vornamen. Würden Sie mir jetzt bitte das Baby abnehmen?“

Sie kam herüber. „Hallo, kleine Maus, komm in meine Arme.“ Sie beugte sich über Jasper, nahm ihm das Kind ab und spürte dabei die Wärme, die dieser Mann ausstrahlte. Und noch etwas anderes.

Er roch nach Meer, Schweiß und etwas Dunklem, Würzigem, ähnlich wie Kardamom. Über den Schweiß hätte sie eigentlich die Nase rümpfen sollen. Doch sein Duft hüllte sie ein wie eine Umarmung. Vorsichtig wich sie zurück, um der Versuchung, erneut tief einzuatmen, zu widerstehen.

Der Brief seiner Schwester lag immer noch ungeöffnet auf der Sofalehne. Imogen verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. „Darf ich einen Vorschlag machen?“

„Von mir aus.“

„Ich denke, Sie sollten den Brief lesen. Und bevor Sie meinen, dass ich mich in Ihre Angelegenheiten einmische … Ihre familiären Probleme gehen mich nichts an. Aber Sie müssen wissen, ob George gesundheitliche Probleme hat oder Medikamente nehmen muss. Ob er Allergien hat.“ Sie hob den Zeitplan hoch, den sie in einer Tasche gefunden hatte. „Hier steht nichts darüber.“

Sicher würde keine Mutter ihr Baby an einen so abgelegenen Ort schicken – so weit weg von medizinischen Einrichtungen –, wenn es eine schwere Erkrankung hätte. Aber warum tat eine Mutter so etwas überhaupt?

„Warum runzeln Sie so die Stirn?“

Imogen zuckte zusammen. „Ihre Schwester würde es uns sagen, wenn es irgendetwas gäbe, auf das wir achten müssen, oder?“

Eigentlich hoffte sie auf eine Bestätigung, aber es kam keine. „Ich weiß es nicht. Meine Schwester und ich hatten in den letzten zwei Jahren keinen Kontakt.“

Warum? Imogen fragte nicht nach; es lag auf der Hand, dass Jasper nicht antworten würde. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Baby. „Wie wäre es, wenn wir einen Pakt schließen, George? Während du hier bist, passiert nichts Schlechtes. Was sagst du dazu?“

Er spuckte seinen Schnuller aus und gab einen unzufriedenen Laut von sich, der sie zum Lachen brachte. „Ich verspreche es dir. Es gibt jede Menge Sonne und Spaß und Schmusen. Nur gute Dinge, ja?“

George imitierte ihr Nicken und strampelte. Dabei sah er so süß aus, dass sie sich automatisch zu Jasper umwandte, um den Moment mit ihm zu teilen.

Sein Blick ruhte mit einer Intensität auf ihnen, dass ihr das Lächeln verging und sie ein Schauer durchlief.

Das musste sie in den Griff bekommen. Ihr Instinkt sagte ihr, wenn Jasper auch nur einen Moment glaubte, sie fände ihn attraktiv, würde sie schneller von seiner Insel verbannt werden, als ihr lieb war. Das durfte nicht passieren, bevor sie herausgefunden hatte, was mit Tante Katherine los war.

Imogen schnappte sich die Tasche mit den Fläschchen und der Babynahrung. „Ich gehe und mache George etwas zu essen.“

Als sie den Raum verließ, schaute sie nicht zurück, sondern konzentrierte sich ganz auf George.

Katherine schaute auf, als sie in die Küche kamen. „Ich schätze, ihr seid beide hungrig?“

„Und wie.“ Imogen stellte eine Flasche mit Milch in die Mikrowelle.

„Hier, gib ihn mir“, sagte Katherine, als das Fläschchen fertig war. „Ich füttere ihn, während du ein Sandwich isst.“

Imogen tat wie geheißen. Vielleicht konnte George dabei helfen, das Eis zwischen ihr und ihrer Tante zu brechen?

Sie schauten beide zu, während er gierig trank.

„Iss etwas, Immy, du musst ihn nehmen, wenn er Bäuerchen machen will.“

Imogen nahm ihr Sandwich aus dem Kühlschrank – Hähnchen, ihre Lieblingssorte – und aß ebenfalls. „Ich habe Jasper gesagt, dass wir zu dritt schon zurechtkommen werden. Einen Moment dachte ich, er würde explodieren.“ Sie zwinkerte. „Aber er hat eingesehen, dass ich recht habe.“

Katherine schnaubte. „Er hat wirklich zugestimmt, bei der Betreuung zu helfen?“

Imogen biss in ihr Sandwich und nickte. „Enthusiastisch war er nicht gerade, aber er lässt sich von mir zeigen, was er wissen muss.“

„Sehr gut.“

Und er war keineswegs unvernünftig oder schwierig gewesen. Imogen schaute verstohlen zu ihrer Tante und tat dann wieder so, als sei sie nur an ihrem Sandwich interessiert. „Ich mache gern den Job, für den ich bezahlt werde, aber ich bin nicht bereit, rund um die Uhr zu arbeiten. Ich bin hergekommen, um Zeit mit dir zu verbringen, Tante Kay.“

Katherines Gesicht verschloss sich, und Imogen legte ihr Sandwich hin. Auf einmal war ihr der Appetit vergangen. Hatte sie irgendetwas getan, um ihre Tante zu enttäuschen, sie sich irgendwie zum Feind zu machen? Sie schluckte und tat, was sie konnte, um Heiterkeit zu heucheln. „Warum wolltest du, dass ich Jasper dazu bringe, zu helfen? Als ich ihm den Kleinen auf den Schoß gesetzt habe, dachte ich, er würde ohnmächtig. Und was ist eigentlich mit seiner Familie los?“

Ihre Tante warf ihr einen sehr vertrauten Blick zu. „Ich tratsche nicht über meinen Arbeitgeber, Imogen.“

„Das will ich auch gar nicht. Es ist nur … es scheint ihm zu schaffen zu machen.“

„Das Leben kann sehr kompliziert sein.“

War Katherines Leben auch sehr kompliziert? Warum? „Aber du hältst viel von ihm, oder? Und du magst ihn?“

„Ich kenne ihn seit beinahe zwanzig Jahren. Natürlich mag ich ihn. Aber er hat sich zu lange hier verkrochen. Es würde ihm guttun, ein bisschen mehr Kontakt zur Außenwelt zu haben. Jasper Coleman hat eine Menge Probleme. So wie der Rest seiner Familie.“

„Gibt es da etwas, das ich wissen sollte? Ist er …“ Imogen zögerte. „Gefährlich?“

„Natürlich nicht. Ich würde keine junge Frau anheuern, wenn ich das dächte. Schon gar nicht meine Nichte.“

Natürlich nicht.

„Eine Menge junge Frauen haben sich schon Mühe gegeben, ihn zu beeindrucken. Mir wäre es lieber, du wirst keine davon.“

„Ach, mach dir keine Sorgen, Tante Kay, ich habe Pläne und lasse mich nicht durch einen Mann davon abbringen.“ Pläne, in die sie und ihre beste Freundin Lauren ihre gesamten Ersparnisse investiert hatten. Und sie würden es allen zeigen. Auch Leuten wie Elliot, der an seinen blöden Kommentaren ersticken sollte.

Imogen sah ihre Tante an und schluckte. „Ich habe mit ein paar neuen Designs experimentiert und würde sie dir gern nach dem Abendessen zeigen – deine Meinung hören.“ Katherine war der Grund, warum sie schon mit neun Jahren nähen gelernt hatte. Ihre Tante hatte Imogen immer ermutigt.

„Es tut mir leid, aber ich muss meine Abrechnung machen. Ich habe Jaspers Buchhalter zugesichert, ihm bis Ende der Woche meine Aufstellung zuzuschicken.“

Die gleiche Ausrede hatte sie auch gestern Abend benutzt. Imogen tat ihr Bestes, ihrer Tante nicht zu misstrauen. Vielleicht ging sie ihr gar nicht absichtlich aus dem Weg. „Kann ich dabei helfen?“

„Du hast heute Abend ohnehin genug zu tun.“ Katherine reichte ihr George. „Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen.“ Damit verließ sie die Küche.

Imogen sah ihr hinterher und schürzte die Lippen. Als ihre Mutter herausgefunden hatte, dass Katherine nach einem Zimmermädchen suchte, hatte sie Imogen sofort gedrängt, die Stelle anzunehmen, nur um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Und zum ersten Mal war Imogen froh, dass sie es getan hatte. Denn etwas war ganz offensichtlich nicht in Ordnung.

Ihre Tante benahm sich ungewöhnlich, und sie würde herausfinden, warum.

„Sind Sie sicher, dass Sie zum ersten Mal eine Windel wechseln?“ Imogen ließ einen Finger prüfend über den Babybauch gleiten.

Sie roch nach Orangen und Vanille, was Jasper zu einem Stirnrunzeln veranlasste. Warum fiel ihm das auf? „Ganz sicher.“

Heute hatte er schon gelernt, wie man ein Milchfläschchen zubereitete. Allerdings hatte er sich darum gedrückt, das Baby zu füttern und aufstoßen zu lassen. Imogen hatte seine Ausrede akzeptiert, dass er beim ersten Mal lieber nur zusehen wollte. Beim Mittagessen würde er wahrscheinlich nicht mehr drum herumkommen, besonders, weil sie ihm gestern eine Schonfrist eingeräumt hatte. Er hatte gesagt, er müsse noch einige Dinge erledigen, bevor er sich darauf konzentrieren konnte, ihr mit dem Baby zu helfen.

Das war eine Lüge. Ihm gehörte die Firma. Mehr als eine einfache E-Mail war nicht nötig gewesen.

Aber er hatte die Zeit gebraucht, um die Ereignisse des Vortags zu verkraften. Nicht, dass ihm das gelungen war.

Imogen starrte immer noch auf die Windel.

Jasper folgte ihrem Blick. „Was denn? Es sieht doch alles richtig aus.“

„Ich weiß. Das ist das Problem.“ Sie rümpfte die Nase. „Sie gehören zu den Leuten, denen alles gleich beim ersten Versuch perfekt gelingt, stimmt’s?“

„Ich bin nur recht geschickt mit den Händen.“ Schon als Kind hatte er Papierflugzeuge und Lenkdrachen gebaut. Später Modellflugzeuge und Schiffe und schließlich Computer. Ein Hobby, das ihm erlaubte, unsichtbar zu werden und Abstand zwischen sich und seinen Vater zu bringen.

In diesem Moment gab George eine Reihe aufgeregter Laute von sich, und Imogen beugte sich vor, um die kleinen Händchen zu küssen und seinen Bauch zu kitzeln. Ein Kichern war die Antwort. George war gut gelaunt und pflegeleicht. Nicht unbedingt das, was er von Emilys Kind erwartet hatte.

Imogen warf Jasper einen Seitenblick zu. In ihren Augen lauerte der Schalk. „Geschickt mit den Händen, ja?“

Er trug kein Hemd. Warum hatte er das Gefühl, als wäre sein Kragen zu eng? „Ich … ähm …“

Sie richtete sich gerade auf und lachte. „Als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gedacht, Sie wären cool und mysteriös. Aber im Moment wirken Sie eher hilflos und überfordert.“

„Ich bin immer noch Ihr Arbeitgeber, vergessen Sie das nicht.“ Leider klang das nicht annähernd so einschüchternd wie beabsichtigt.

„Ja, Sir!“

Als sie salutierte, konnte Jasper nur den Kopf schütteln. Woher nur stammte ihre unerschütterliche gute Laune?

Imogen trat vom Wickeltisch zurück. Dem neuen Wickeltisch, in seinem Haus, auf einer fast menschenleeren Insel. Für jeden Außenstehenden würde es so aussehen, als hätte er mit der Ankunft des Babys gerechnet.

Erklär das mal einer Jury vor Gericht.

„Da Sie ja so geschickt mit den Händen sind, können Sie George zurück ins Wohnzimmer bringen.“

Bisher hatte er das Baby noch nicht hochheben müssen. Von dem einen Mal abgesehen, als Imogen ihm seinen Neffen einfach auf den Schoß gesetzt hatte, hatte Jasper ihn nur berührt, um die Windel zu wechseln. Die letzten zwei Nächte hatte er in einer anderen Ecke des Hauses verbracht als Imogen und das Baby, aber heute Morgen hatte sie darauf bestanden, eins der Gästezimmer in ein Kinderzimmer zu verwandeln. Ganz in der Nähe seines Schlafzimmers. Jasper hatte protestieren wollen, aber mit welchem Argument?

Er konnte Imogens Gutmütigkeit nicht ausnutzen. Und ein Blick in ihr Gesicht sagte ihm ganz klar, dass er es besser gar nicht erst versuchte. Sie mochte ein fröhlicher Mensch sein, aber wenn sie auch nur annähernd so war wie Katherine, hatte sie einen eisernen Willen.

Also hatte er widerspruchslos geholfen, all das Zubehör ins Gästezimmer zu schaffen und die Strampler und Bodys und Schlafanzüge in den Schrank zu räumen. Die winzigen Kleidungsstücke rührten ihn. Dabei konnte er sich Gefühle und Sentimentalität nicht leisten, schon gar nicht jetzt.

Zögernd machte er einen Schritt auf das Baby zu.

„Wovor haben Sie Angst?“

Vor zu vielen Dingen. Und alle zu persönlich, um darüber zu sprechen. Aber etwas musste er sagen. „Ich will ihn nicht fallen lassen.“

Imogen lachte nicht, obwohl er den Spott wahrscheinlich verdient hatte. „George ist kein Neugeborenes mehr, also müssen Sie seinen Kopf nicht stützen, wenn Sie ihn auf den Arm nehmen.“

„Okay.“

„Wenn Sie ihn hochheben, balancieren Sie ihn entweder auf der Hüfte oder lehnen ihn an Ihre Schulter.“ Mit einem Teddybären, den sie sich vom Wickeltisch schnappte, demonstrierte sie, was sie meinte. Als sie sich den Bären an ihre Brust legte, traten deren Wölbungen deutlicher hervor. Ein ausgesprochen hübscher Anblick.

Mühsam unterdrückte Jasper ein Grollen. Auf keinen Fall würde er sie lüstern anstarren. Er war ihr Boss. Auch, wenn er die letzten zwei Jahre auf dieser Insel festgesessen hatte, der Hashtag #metoo war nicht an ihm vorbeigegangen. Allein der Gedanke, er könnte seine Machtposition ausnutzen, um eine junge Frau zu etwas zu nötigen, machte ihn krank. „Wird er nicht zappeln?“, fragte er rau.

„Haben Sie schon einmal einen Welpen oder ein Kätzchen im Arm gehalten? Die zappeln sehr viel, wenn sie aufgeregt sind. George ist deutlich leichter festzuhalten.“

„In Ordnung.“

„Na, dann los.“ Sie wies auf das Baby.

Jasper und das Baby starrten einander an. Vorsichtig trat Jasper einen Schritt vor, ließ die Hände unter die kleinen Achseln gleiten und hob es hoch. Das Gewicht des Babys wirkte irgendwie beruhigend. Jasper hielt es auf Armeslänge von sich ab. Kleine Beine zappelten, als hätten sie überschüssige Energie.

Jasper schluckte und zog das Baby an sich, bis dessen Kopf an seiner Schulter ruhte. Erst schwankte es ein wenig, aber dann legte Jasper eine Hand um seinen Rücken, um es sicherer halten zu können, und atmete tief aus. „Okay. Das ging ja ganz gut.“

Als er sich Imogen zuwandte, erwartete er, sie lächeln zu sehen, aber das tat sie nicht. „Wissen Sie, dass Sie bisher noch nicht ein einziges Mal mit ihm gesprochen haben?“

Jasper verzog das Gesicht. Ja, es war ihm bewusst. Noch so ein existenzieller Moment, und davon hatte er heute schon genug gehabt. „Hatten Sie viele Tiere, als Sie aufgewachsen sind?“

Nun lächelte sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, ohne einen Hund zu leben.“

„Sie haben einen Hund?“

Sie begann zu lachen. „Entspannen Sie sich, Jasper. Ich habe ihn weder ausgesetzt noch heimlich auf die Insel geschmuggelt. Lulabelle ist unser Familienhund, ein Labradormischling, und lebt bei meinen Eltern.“ Dann wurde sie ernster. „Sie werden schon mit George sprechen müssen.“

Verflucht. Er hatte gedacht, er hätte sie abgelenkt. „Warum?“ Warum reichte es nicht aus, dass er sich um die physischen Bedürfnisse des Babys kümmerte? Es lag im Interesse aller Beteiligten, wenn Jasper seine Distanz wahrte.

„Weil er wissen muss, dass er Ihnen trauen kann. Er soll sich in Ihrer Gegenwart wohlfühlen. Außerdem ist es eine Sache der Höflichkeit.“

Okay, das ergab Sinn. Er konnte sich mit dem Baby unterhalten, es würde ihn nicht umbringen.

Jasper schaute auf das Kind in seinen Armen herab. „Hallo, Baby.“

Es steckte sich die Faust in den Mund und schaute ihn an.

„George.“ Imogen seufzte. „Sein Name ist George.“

Wer hatte ihn so getauft? Emily oder Aaron? „George ist ein erwachsener Name. Zu erwachsen.“

„Deshalb nenne ich ihn manchmal Georgie.“

Prompt lächelte das Baby sie an, aber Jasper schüttelte den Kopf. „So nenne ich ihn auf keinen Fall.“ Er musste zu laut gewesen sein, denn das Baby zuckte zusammen. „Entschuldigung“, murmelte er und tätschelte den Windelpopo. „Was ist mit ‚Kleiner‘?“, sagte er. „Darf ich dich ‚Kleiner‘ nennen?“

Zu seinem äußersten Erstaunen gab das Baby einen zustimmenden Laut von sich und lachte. Als hätte Jasper den Witz des Jahrhunderts erzählt. Er versuchte, sich nicht geschmeichelt zu fühlen. „Er ist ein heiterer kleiner Kerl, oder? Und er weint gar nicht viel.“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem bezaubernden Lächeln. „Sie klingen überrascht.“

„Das bin ich.“

„Nicht alle Babys sind schwierig.“

Jasper hätte nur nie gedacht, dass Emilys Baby zu den pflegeleichteren Exemplaren gehörte. „Und jetzt? Was kommt als Nächstes?“

„Wir gehen an den Strand.“

Er versteifte sich. „Sie wollen doch nur schwimmen gehen! Sie werden mich mit einem Kind, das ich kaum kenne, alleinlassen und sich ins Vergnügen stürzen.“

Ein Blick in ihr Gesicht, und er wünschte sich, er hätte nichts gesagt. Er hatte ihr die Idee überhaupt erst eingegeben.

„Wie scharfsinnig“, sagte sie gespielt begeistert. „Ich bin schon die ganze Zeit für George verantwortlich, seit er hier ist. Da verdiene ich ein bisschen Entspannung. Und ich lasse Sie nicht ganz allein, ich bleibe in Rufweite.“

Jasper versuchte, sie nicht böse anzufunkeln.

„Und während ich schwimme, können Sie darüber nachdenken, wie wir die Betreuungszeiten künftig aufteilen.“

„Was meinen Sie damit?“

„Ich lasse Tante Katherine nicht einfach mit der Hausarbeit im Stich. Und ich nehme an, auch Sie wollen weiter arbeiten.“

„Äh …“ Er wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte.

Als sie sich umwandte und den Raum verließ, fand er seine Stimme wieder. „Wohin gehen Sie?“

„Ich ziehe meine Badesachen an!“

„Was soll ich solange tun?“

„Packen Sie eine Tasche für ihn – ein bisschen Spielzeug, den Zahnring, eine Decke … und einen Hut.“ Imogen musterte ihn kritisch. „Und einen für Sie. Ich bringe die Sonnencreme und etwas Kaltes zu trinken.“ Damit verschwand sie.

Vorsichtig setzte Jasper das Baby in sein Bettchen, während er ein paar Dinge zusammensuchte. Er fand eine Mütze aus Baumwolle und setzte sie dem Baby auf.

Das Baby runzelte die Stirn und zog sie sich umgehend wieder vom Kopf.

„Ach, so ist das?“ Jasper stemmte die Hände in die Hüften. „Sie wird darauf bestehen, das weißt du.“ Er stopfte sich die Mütze in eine Hosentasche, hängte sich die Tasche um, nahm das Baby aus dem Bett und zog los, um sich ebenfalls eine Kopfbedeckung zu suchen.

Autor

Natalie Anderson
<p>Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
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