Julia Sommerliebe Band 35

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ZURÜCK AUF DER WEISSEN JACHT DER SEHNSUCHT von MAYA BLAKE

Kennt das Meer die Antwort? Ein Unfall hat Zeph Diamandis das Gedächtnis geraubt, nun erfährt der griechische Milliardär: Er ist mit der wunderschönen Imogen verheiratet. Mit jeder Stunde auf seiner Jacht begehrt er sie mehr! Doch seinen drängenden Fragen weicht Imogen aus …

TROPENNÄCHTE IN DEINEN ARMEN? von SOPHIE PEMBROKE

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Ein halbes Jahr lang Auszeit an der herrlichen Amalfiküste! Am türkisblauen Mittelmeer will Caissy eine tiefe Enttäuschung überwinden – nie wieder Liebe, schwört sie! Bis sie am Strand einen geheimnisvollen Traummann kennenlernt, der sie alle Vorsätze vergessen lässt …


  • Erscheinungstag 01.06.2024
  • Bandnummer 35
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525435
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maya Blake, Sophie Pembroke, Melody Summer

JULIA SOMMERLIEBE BAND 35

1. KAPITEL

Als Imogen Callahan den Hügel zur Kapelle emporstieg, nahm sie widerwillig die Schönheit ihrer Umgebung wahr.

Efemia, die kleine Insel in der Ägäis, war eigentlich das perfekte Reiseziel für einen traumhaften Urlaub in einem griechischen Fischerdörfchen.

Aber Imogen hielt sich dort nicht zum Vergnügen auf. Sie war auf einer wichtigen Mission.

Endlich bei der Kapelle angekommen, hielt sie erstaunt einen Moment inne. Das Gebäude mit seinen blendend weiß gekalkten Mauern, dem blauen Kuppeldach und der etwas eigenwilligen Fensteranordnung war wirklich wunderschön.

Doch wenn die Informationen, die sie erhalten hatte, der Wahrheit entsprachen, dann ging hinter den Mauern dieses pittoresken Bauwerks gerade etwas Ungeheuerliches vor.

Entweder ist das wieder eines seiner perfiden Spielchen, oder er hat endgültig den Verstand verloren!

Als die letzten Töne eines Kirchenliedes aus dem Inneren der Kapelle an ihr Ohr drangen, trat Imogen entschlossen auf das Eingangsportal zu.

Jetzt oder nie!

Sie zog energisch an dem eisernen Griff und zuckte zusammen, als die schwere Tür mit einem lauten Knarren aufschwang. Doch ein Rückzug kam nicht infrage. Nach unzähligen schlaflosen Nächten musste sie endlich Gewissheit haben.

Imogen trat ein und blickte sich um. Die Buntglasfenster wirkten wie ein Kaleidoskop und brachen das einfallende Sonnenlicht so geschickt, dass der Innenraum der vollbesetzten Kapelle in sanftes buntes Licht getaucht wurde. Nur das Paar, das am Altar stand, blieb im Halbschatten, sodass nur scherenschnittartige Umrisse sichtbar wurden. Doch das genügte zumindest, um zu erkennen, dass der Mann sehr groß und breitschultrig war. Als dieser sich, durch das Knarren der Tür alarmiert, in Imogens Richtung umwandte, fiel ein schwacher Lichtschein auf sein Gesicht. Seine ebenmäßigen Züge wirkten wie von einem begnadeten Bildhauer ­gemeißelt. Und dann spürte Imogen förmlich, wie sie von seinen laserscharfen Blicken durchbohrt wurde.

Sie erschauderte. Die überwältigende Anziehungskraft, die dieser Mann selbst aus der Entfernung ausstrahlte, war beängstigend und faszinierend zugleich. Und schien so vertraut! Und, soweit sie das sehen konnte, passten Statur und Profil ebenfalls. Doch dann ärgerte sie sich über ihr eigenes Vorpreschen.

Jetzt sehe ich schon Gespenster, nur weil ich will, dass es endlich vorbei ist!

Aber ihr Instinkt befahl ihr, nicht so schnell aufzugeben. Also richtete sie sich auf, hob das Kinn und marschierte unter den neugierigen Blicken der Gemeinde in Richtung Altar. Inzwischen hatte der Pfarrer ihre Anwesenheit ebenfalls bemerkt und stieg von seiner Kanzel.

„Ich weiß nicht, was hier gerade vor sich geht“, verkündete Imogen mit fester Stimme. „Aber auf jeden Fall ist jetzt Schluss mit dieser Farce!“

Die Gemeinde reagierte zuerst schockiert, unterbrach die peinliche Stille aber schnell mit aufgeregtem Geflüster. Niemand hatte erwartet, dass die Hochzeit solch eine Wendung nehmen würde.

Während sie weiter vorwärtsstrebte, bemerkte Imogen, wie die Stimmung von Überraschung erst in Unmut und dann in offene Feindseligkeit umschlug, als man sie mit bösen Blicken und unwirschen Gesten bedachte.

Doch sie ging unbeirrt weiter. Am Altar angekommen, trat der Pfarrer stirnrunzelnd an sie heran und bedachte sie mit einem missbilligenden Blick.

In ihrem kurzen smaragdgrünen Glitzerkleid und den schwindelerregend hohen Pumps wirkte sie in der traditionellen Umgebung einer griechischen Dorfkapelle völlig deplatziert. Das dramatische Abend-Make-up und die zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmte, wilde Lockenpracht trugen ihr Übriges zu diesem Eindruck bei. Aber daran war nun nichts mehr zu ändern.

Der Grund für Imogens Aufzug war die Tatsache, dass der Anruf des Privatdetektivs sie während einer geschäftlichen Verabredung in einem Club in Athen erreicht hatte. Seine Nachricht hatte sie so aus dem Konzept gebracht, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatte, sich umzuziehen, sondern sofort nach Efemia gereist war.

Die Ablehnung, die ihr nun von allen Seiten entgegenschlug, war so deutlich wahrzunehmen, dass sie sich am liebsten lautstark verteidigt hätte. Schließlich war sie eine ernstzunehmende Geschäftsfrau und kein männermordender Vamp! Doch dann entschied sie sich dagegen.

Ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig!

Imogen ignorierte den Pfarrer und bewegte sich zielsicher auf das Paar vor dem Altar zu, das sie, genau wie alle übrigen Anwesenden, mit unverhohlener Verachtung beäugte.

Doch der Pfarrer ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Schützend stellte er sich vor das Brautpaar und bedachte Imogen mit einem aufgeregten griechischen Wortschwall.

Sie antwortete mit einem vehementen Kopfschütteln. „Tut mir leid, ich spreche kein Griechisch. Aber ich hoffe inständig, dass hier jemand übersetzen kann. Denn diese Hochzeit darf auf keinen Fall stattfinden.“

„Wer zum Teufel sind Sie?“ Es klang wie ein Donnergrollen.

Diese Stimme war so furchteinflößend, dass sie selbst die einflussreichsten Firmenbosse mühelos in die Knie gezwungen hatte. Darunter auch Imogens Vater. Und das hatte dazu geführt, dass sie nun darum kämpfen musste, ihre Freiheit wiederzugewinnen.

Mit Grauen dachte sie daran zurück, wie sie geweint und gefleht hatte, damit die beiden Männer nicht wie bei einem Kuhhandel über ihr Schicksal entschieden. Doch der Mann mit der Donnerstimme hatte keine Gnade gezeigt.

Aber nun bot sich endlich die Chance, ihr Glück wieder in die eigene Hand zu nehmen.

„Ich habe Sie etwas gefragt! Wer sind Sie? Und warum stören Sie meine Hochzeit?“, ertönte da die unerbittliche Stimme erneut.

Meine Hochzeit.

Er muss wirklich verrückt geworden sein, dachte Imogen entgeistert. Oder habe ich mich verhört, und dieser Mann klingt einfach nur wie er?

Sie wandte sich dem angehenden Bräutigam zu und blickte direkt in tiefblaue Augen, aus denen grenzenlose Verachtung sprach. Und damit war auch der letzte Hauch von Zweifel ausgelöscht: Der Mann, der vor ihr stand, war eindeutig Zeph.

Imogen stockte der Atem. Sie war so vielen falschen Fährten durch ganz Europa gefolgt. Und jetzt stellte sich heraus, dass Zeph Griechenland überhaupt nicht verlassen hatte, sondern die ganze Zeit auf einer entlegenen Insel in der Ägäis gewesen war!

Was tut er hier bloß?

Plötzlich hörte Imogen, wie die Frau an Zephs Seite leise etwas auf Griechisch murmelte. Daraufhin legte er beschützend den Arm um sie.

Das versetzte Imogen einen kleinen Stich. Auch wenn sie nicht in Zeph verliebt war, ertrug sie es kaum, wie liebevoll er mit dieser fremden Frau umging. Wie hatte sie es geschafft, dass er ihr gegenüber Gefühle zeigte? Fast erschien sie ihr wie eine dieser Sirenen aus der griechischen Mythologie, die selbst die stärksten Männer mit dem Klang ihrer Stimme willenlos machten.

Imogen trat einen Schritt näher, um sich die Frau genauer anzusehen. Da trat Zeph vor und versperrte ihr den Weg.

Doch sie ließ sich nicht beirren.

„Du weißt ganz genau, wer ich bin und warum ich dieser Scharade Einhalt gebieten muss. Oder willst du jetzt behaupten, dass es sich um eine Verwechslung handelt? Oder, noch besser, dass du einen Zwilling hast?“, fragte Imogen.

Erstaunt stellte sie fest, dass ein flüchtiger Ausdruck von Verunsicherung über Zephs Gesicht huschte, bevor er hörbar ausatmete und dann herablassend zurückgab: „Mir ist nichts dergleichen bekannt.“

„Dann können wir ja endlich mit dem Theater aufhören, oder?“

„Das liegt ganz bei Ihnen. Schließlich sind Sie es, die hier gerade einen dramatischen Auftritt hinlegt, Miss …?“

Imogen starrte ihn fassungslos an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ Dann richtete sie ihren Blick auf die Gemeinde. Sah sich die Gesichter in der Menge genauer an, um zu sehen, ob sie jemanden wiedererkannte. Wo Zeph sich aufhielt, waren seine Lakaien für gewöhnlich nicht weit. Wenn sie einen davon zu fassen bekam, würde sich vielleicht alles aufklären. Doch unter den Gästen in der Kapelle befand sich kein einziger Anzugträger aus der Stadt. Diese Menschen, die sie da gerade mit großen Augen ansahen, waren einfache Leute vom Land. „Wenn das ein Witz sein soll, dann verstehe ich die Pointe nicht“, sagte sie daraufhin nüchtern.

„Glauben Sie mir, der einzige Witz hier sind Sie, Miss …?“ Beim zweiten Mal klang die Frage nach ihrem Namen deutlich schärfer. Beim Widerhall von Zephs Stimme zuckten einige der Gemeindemitglieder zusammen und wirkten konsterniert. Anscheinend zeigte er ihnen gerade eine Seite von sich, mit der sie nicht vertraut waren.

Vertraut. Und doch fremd …

Um Himmels willen!

War es möglich, dass Zeph Diamandis, Herrscher über ein gigantisches Geschäftsimperium und einer der mächtigsten Männer der Welt, an einer gespaltenen Persönlichkeit litt? Das würde erklären, warum er sich in den vergangenen zehn Monaten nicht gemeldet hatte. Denn unter normalen Umständen hätte nichts ihn davon abgehalten, sofort wieder in sein heißgeliebtes Unternehmen zurückzukehren.

Jeden Morgen war Imogen aufgewacht und hatte sich gefragt, was Zeph mit seiner Abwesenheit bezweckte. Und es hatte sie fast selbst in den Wahnsinn getrieben.

Sicher, es bestand immer noch die Möglichkeit, dass er seinen Zustand nur vorspielte. Aber sie glaubte nicht wirklich daran. Eine derartige Schwäche zu simulieren, vertrug sich nicht mit seinem überdimensionalen Ego.

Es gab nur einen Weg, um herauszufinden, was hier wirklich vor sich ging.

Imogen trat ganz nah an ihn heran. Die Vorstellung, dass sie diesem Mann, der sie nur als lebendigen Faustpfand betrachtete, praktisch nachgelaufen war, verursachte ihr Übelkeit. Doch nur wenn sie jetzt stark blieb, konnte sie dafür sorgen, dass die elendige Verbindung zwischen ihnen möglichst bald ein Ende nahm.

„Mein Name ist Imogen Callahan Diamandis. Und du bist Zephyr Diamandis.“ Für den Fall, dass er immer noch an ihren Worten zweifelte oder es zumindest weiter vorgab, hob sie ihre linke Hand, an der ihr Ehering mit dem obszön großen, geschmacklosen Brillanten steckte. „Und ich bin deine Ehefrau!“

Zephyr Diamandis.

Ja, das war definitiv ein griechischer Name.

Und ein bombastischer noch dazu. Kein Vergleich zu dem schlichten Vornamen Yiannis, den er sich zugelegt hatte, als er vor zehn Monaten ohne Gedächtnis in einem fremden Bett aufgewacht war.

Er hatte sich bei dem Versuch, sich an seine Vergangenheit zu erinnern, das Gehirn zermartert. Doch das einzige Ergebnis seiner Bemühungen waren rasende Kopfschmerzen gewesen.

Zephyr Diamandis.

Das klang in seinen Ohren genauso fremd wie Yiannis.

Yiannis Inkognitos. Yiannis mit dem falschen Namen.

So hatte ihn Theas yiayia, die Großmutter seiner Zukünftigen, noch Monate, nachdem er längst in die Familie Angelos aufgenommen worden war, scherzhaft genannt.

Auch wenn er tief in sich gespürt hatte, dass Yiannis nicht sein wirklicher Name war, hatte er daran festgehalten. Denn er vermittelte ihm zumindest die Illusion von Identität. Der neue Name war sein einziger Halt gewesen. Über seine wahre Herkunft wusste er nichts. Außer dass er wohl Grieche war, weil er die Sprache fließend beherrschte.

In den zehn Monaten, seitdem er schwer verletzt und ohne Erinnerung aus dem Meer gefischt worden war, hatte sich seine Situation entscheidend verbessert. Inzwischen hatte er Freunde auf Efemia gefunden, verstand sich gut mit den Nachbarn und half seinem Lebensretter Petros bei der Organisation seiner Fischfangflotte, die aus zehn kleinen Kuttern bestand. Yiannis hatte sich mit seinem Leben so weit abgefunden, dass er sich auf sein sanftes Drängen hin sogar bereit-erklärt hatte, Petros´ Tochter Thea zu heiraten.

Der Alltag auf der kleinen Insel sorgte dafür, dass die Frage nach seiner Herkunft zur Nebensache wurde. Außerdem hatte Petros ihm versichert, dass die Sache am besten in den Händen der örtlichen Polizei aufgehoben war. Allerdings hatte Yiannis erst viel später erfahren, dass es sich dabei nur um einen einzigen Beamten handelte, der den Großteil des Tages in Begleitung seiner besten Freunde Ouzo und Raki in der Taverne verbrachte.

Aber selbst da hatte Yiannis die Sache nicht weiterverfolgt. Und das schien sich jetzt zu rächen …

„Yiannis?“

Überrascht wandte er sich wieder der Frau zu, die seinen Arm fest umklammert hielt. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er fast vergessen hatte, dass Thea neben ihm stand. Der Auftritt dieser leicht bekleideten, dreisten Schönheit, die behauptete, seine Frau zu sein, hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht.

Yiannis sah wieder zu der Fremden. Diese Imogen war wirklich atemberaubend. Wilde kastanienbraune Locken umrahmten ihr makelloses Gesicht. Ihre strahlenden smaragdgrünen Augen blitzten kampflustig, und ihre sinnlichen Lippen formten einen entzückenden, trotzigen Schmollmund. Für einen Moment stellte er sich vor, wie es wäre, sie zu küssen …

Theós … Hatte er gerade tatsächlich darüber fantasiert, eine völlig Fremde zu küssen, während er mit seiner Zukünftigen vor dem Traualtar stand?

Was ist nur los mit mir?

Er dachte wieder über das nach, was diese Frau gesagt hatte. Es gab nur zwei mögliche Erklärungen für ihr Erscheinen: Entweder war ihr Auftritt ein Streich, den ihm seine Freunde quasi in Ausweitung des Junggesellenabends an seinem Hochzeitstag spielten. Oder sie sagte tatsächlich die Wahrheit. Dann war er gerade auf dem besten Weg, zum Bigamisten zu werden.

Da spürte er eine zarte Hand auf seiner Brust. Er wandte sich wieder seiner Beinahe-Braut zu.

Thea sah genauso verwirrt und verunsichert aus, wie er sich fühlte.

„Er heißt nicht Yiannis“, widersprach Imogen in diesem Moment.

Bei einem erneuten Blick bemerkte er die Eifersucht in Imogens Blick. Und seltsamerweise löste das ein prickelndes Gefühl tiefster Befriedigung in ihm aus.

Was zum Teufel …?

War er etwa froh, dass diese Frau eifersüchtig auf Thea war?

Für einen Moment versuchte er, Imogens Emotionen nachzuvollziehen. Und plötzlich war das angenehme Gefühl verschwunden.

Es musste schrecklich sein, den eigenen Mann mit einer fremden Frau vor dem Traualtar zu erwischen.

Vorausgesetzt, dass es stimmte, was Imogen da erzählte. Bisher hatte er keinen Beweis für ihre Aussagen.

„Soso, ich bin also Ihr Ehemann?“ Als er das Wort aussprach, verspürte er plötzlich ein mächtiges Gefühl der Erregung. Woher kam das nur?

„Ja, das bist du“, antwortete Imogen. Aber es klang alles andere als erfreut, und Yiannis fragte sich, warum.

Das löste eine neue Schmerzwelle in seinem Kopf aus, die den letzten Rest seiner Geduld wegfegte. Er fixierte Imogen mit einem strengen Blick. „Dann beweisen Sie es“, sagte er gedehnt und lächelte sardonisch.

Ihre Augen weiteten sich erstaunt. Als Yiannis sah, wie das bunte Licht, das durch die Fenster einfiel, darin reflektiert wurde, überkam ihn das Bedürfnis, noch näher zu treten, damit er sich ganz in ihrem Blick verlieren konnte. Nur mühsam widerstand er der Versuchung.

Es war von immenser Wichtigkeit, dass er in dieser Sache die Oberhand behielt. Schwäche zu zeigen, war gefährlich. Also demonstrierte er seine Dominanz, indem er Imogen mit seinen Blicken förmlich auszog. Sie sah betreten zu Boden.

„Warum so verlegen?“, fragte er hämisch. „Wenn wir wirklich verheiratet sind, brauchen Sie sich doch nicht vor mir zu schämen! Ich verlange ja auch nichts Unanständiges. Ich will nur sichergehen, dass Ihre Geschichte stimmt. Glauben Sie mir, mit den Touristinnen hier auf der Insel haben wir schon so einiges erlebt. Die lassen sich die aberwitzigsten Dinge einfallen, nur um Unruhe zu stiften.“

Imogen schnappte nach Luft. „Du unterstellst mir, eine Lügnerin zu sein?“

Yiannis schmunzelte. Ihre Empörung war entzückend. Imogen war offenbar gar nicht bewusst, dass sie so nur noch anziehender auf ihn wirkte … Wie sehr er sich danach sehnte, diesen süßen Schmollmund zu küssen!

Nein, das darf ich nicht …

Yiannis zog Thea noch fester an sich, um die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Er durfte seine Integrität unter keinen Umständen kompromittieren.

Und wieder bemerkte er, wie Imogen seine Demonstration der Vertrautheit gegenüber Thea mit einem eifersüchtigen Blick quittierte. Und dann schnell wieder wegsah, als er sie dabei ertappte.

Interessant …

Sie verhielt sich seltsam.

Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich deutlich zeigen, was ich davon halte, wenn mein Partner mir untreu zu werden droht …

Doch statt ihr das zu sagen, fuhr er damit fort, Imogen herauszufordern.

„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich diese Geschichte einfach so schlucke?“, fragte er, während er sah, wie Petros Angelos, sein zukünftiger Schwiegervater, sich von seiner Bank erhob und auf sie zukam.

Imogen kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. „Ich bin keine Lügnerin“, sagte sie mit zitternder Stimme und senkte bekümmert den Kopf. „Jedes Wort ist wahr.“

Dann griff sie nach der winzigen Handtasche, die an einem langen Riemen von ihrer Schulter baumelte. Dabei spannte sich der Stoff ihres Kleides ein wenig, und Yiannis stellte fasziniert fest, dass sich die Rundungen ihrer Brüste deutlich abzeichneten.

Imogen zog ein kleines Smartphone aus der Tasche und klappte es auf. Doch bevor sie ihm die entsprechenden Beweise für ihre Aussagen zeigen konnte, sprach Petros sie an.

„Miss, mein Sohn will Ihnen nichts Böses unterstellen. Er möchte lediglich wissen, welche Absichten Sie verfolgen“, meinte er beschwichtigend. „Sagen Sie ihm doch einfach, was Sie von ihm wollen.“

„Ihr Sohn?“, wiederholte Imogen und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann sah sie von Petros wieder zu ihm. „Das ist doch nicht dein Vater!“

Diese simple Aussage entfachte wieder das Verlangen in ihm, mehr über seine Herkunft zu erfahren. Fast hätte er von Imogen verlangt, dass sie ihm auf der Stelle alles erzählte, was sie über seine Vergangenheit wusste. Doch er konnte sich gerade noch bremsen. Schließlich stand immer noch nicht fest, ob sie die Wahrheit sagte.

Petros machte eine wegwerfende Handbewegung. „Meinetwegen. Schwiegersohn. Auf jeden Fall ist er jetzt Teil unserer Familie.“ Er bedachte Imogen mit einem vernichtenden Blick. „Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen würden? Ich habe nämlich eine Tochter zu verheiraten.“

Imogen verkniff sich einen Kommentar und sah von dem indignierten Petros zu Zeph, der sie selbstgefällig angrinste. Dir wird das Lachen gleich vergehen, dachte sie triumphierend, als sie ihr Handy einschaltete. Doch dann …

Verdammt!

„Es gibt Fotos von uns“, argumentierte sie hektisch. „Aber ich habe kein Netz.“

Yiannis amüsierte sich inzwischen köstlich über die Vorstellung, die Imogen hier bot. Sie war so entzückend, dass er sie unter anderen Umständen bestimmt zu einem Drink eingeladen hätte. Und, wer weiß? Vielleicht sogar … in sein Bett?

„Miss Diamandis, man braucht doch keine Internetverbindung, nur um ein paar Fotos zu zeigen“, meinte er süffisant. „Oder soll das etwa heißen, dass Sie keine Bilder von uns als Paar auf Ihrem Smartphone abgespeichert haben? Nicht mal einen einzigen Schnappschuss, auf dem Sie mit Ihrem geliebten Ehemann zu sehen sind?“

Er sah Imogen herausfordernd an, die jetzt mit hochrotem Kopf vor ihm stand. Ihm war aufgefallen, dass sie bei dem Wort geliebt merklich zusammengezuckt war. Das weckte sein Interesse. Vielleicht steckte doch mehr hinter ihrem dramatischen Auftritt als nur ein alberner Streich …

Doch bevor er der Sache weiter auf den Grund gehen konnte, ergriff Imogen wieder das Wort. „Es muss Mrs. Diamandis heißen“, sagte sie und richtete sich wieder zu voller Größe auf.

Doch da war kein Stolz in ihrer Stimme, eher eine Art … Widerwillen?

Wie seltsam, wunderte Yiannis sich insgeheim.

„Oder Miss Callahan, wenn dir mein Mädchenname lieber ist.“

Nein, dachte er. Wenn du wirklich meine Frau bist, dann wirst du nie mehr eine Callahan sein. Du wirst nur meinen Namen tragen! Er verstand selbst nicht, woher dieses plötzliche Bedürfnis kam, einen Besitzanspruch auf sie geltend zu machen.

„Nun, Mrs. Diamandis, wie mein Schwiegervater schon sagte: Wir stecken hier mitten in einer Hochzeitszeremonie. Ich glaube, für heute haben Sie nun wirklich genug Aufsehen erregt.“ Sein Blick fiel wieder auf den äußerst kurzen Rocksaum, der ihre langen Beine noch mehr betonte, und es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. „Geben Sie einfach zu, dass Sie mir nur einen Streich spielen wollten. Dann lasse ich Sie mit einer Entschuldigung davonkommen.“

Imogen hob den Kopf, und ihre grünen Augen funkelten gefährlich. „Das kannst du vergessen, du Mistkerl“, zischte sie.

Ein Raunen ging durch die Menge. Selbst diejenigen, die nur Griechisch sprachen, konnten an ihrem Tonfall erkennen, dass die ganze Angelegenheit zu eskalieren drohte.

„Yiannis, bitte mach, dass sie weggeht“, flehte Thea ihn an.

Er blickte seine Zukünftige nachdenklich an. Thea war attraktiv, aber schrecklich unsicher. Er war für sie eher ein Beschützer als ein gleichberechtigter Partner. Vielleicht war das der Grund, warum es bisher zwischen ihnen noch nicht zum Austausch irgendwelcher Zärtlichkeiten gekommen war. Sie hatten sich ja noch nicht einmal geküsst!

Wahrscheinlich bin ich für sie sowieso nur zweite Wahl, dachte er nüchtern. Denn er hatte das Gefühl, dass sie immer noch ihrem verstorbenen Verlobten nachtrauerte. Aber er konnte ihr das schlecht übel nehmen. Schließlich war sie auch nicht gerade seine Traumfrau.

Petros Angelos hatte Yiannis dazu ermuntert, sich mit seiner Tochter anzufreunden. Und irgendwann hatte Yiannis schließlich seinem Drängen nachgegeben, Thea einen Antrag zu machen. Denn er stand tief in Petros´ Schuld. Schließlich verdankte er ihm sein Leben.

Yiannis hatte keinen besonderen Typ von Frau, zu dem er sich besonders hingezogen fühlte. Doch er musste zugeben, dass ihm die temperamentvolle und unerschrockene Art von Imogen außerordentlich gut gefiel.

Diese Frau hat Feuer.

Doch diesen Gedanken musste er ganz schnell wieder vergessen. Er hatte Thea die Ehe versprochen, also musste er sie jetzt auch heiraten. Schließlich war er ein Ehrenmann.

Außerdem darf ich Petros nicht enttäuschen.

Also sprach Yiannis ein Machtwort. „Gut, dann regeln wir das anders. Die Polizei wird Sie jetzt nach draußen eskortieren. Und ich werde Anzeige gegen Sie erstatten. Wegen Belästigung.“

Er vertraute darauf, dass der Dorfpolizist, der sich unter den Anwesenden befand, seines Amtes walten würde, und wandte sich dem Pfarrer zu. Dieser bestieg sofort wieder die Kanzel. Doch bevor er mit der Zeremonie fortfahren konnte, ertönte erneut Imogens glockenklare Stimme.

„Du willst Beweise?“, rief sie. „Dann komm mit nach draußen. Von hier oben kann man deine Jacht sehen, die Ophelia. Sie ankert eine Meile vor der Küste.“

Das wird ja immer besser, dachte Yiannis amüsiert. Jetzt habe ich nicht nur eine Ehefrau, sondern auch noch eine Jacht?

Yiannis mit der Jacht, überlegte er. Das klingt deutlich besser als Yiannis mit dem falschen Namen.

Imogen fuhr fort. „Du hast das Boot nach deiner Mutter benannt. Es ist eine Superjacht, komplett mit Kapitän und dreißigköpfiger Besatzung. Und jede einzelne dieser Personen kann bestätigen, dass du Zephyr Diamandis bist. Der Mann, der angeblich vor zehn Monaten über Bord gegangen und ertrunken ist.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Entweder du kommst jetzt mit und wir klären das. Oder du bleibst hier, heiratest diese Frau und landest wegen Bigamie im Gefängnis. Such’s dir aus.“

Yiannis war verblüfft. Auch wenn die Sache mit der Jacht absolut verrückt klang, musste er doch zugeben, dass Imogens Geschichte von den zeitlichen Abläufen her passte. Und noch etwas anderes war stimmig: Wenn Petros und seine Männer ihn nicht gerade noch rechtzeitig aus dem Meer gefischt hätten, wäre er tatsächlich ertrunken.

Auf einmal kam Unruhe auf. Einige Gemeindemitglieder erhoben sich von ihren Plätzen und strebten zu den Fenstern, um hinaus aufs Meer zu sehen. Anscheinend wollten sie überprüfen, ob dort draußen tatsächlich eine große Jacht vor Anker lag.

Und als plötzlich große Aufregung ausbrach, ahnte Yiannis, dass sein Leben als Fischer auf Efemia nun wohl beendet war. Doch da war kein Bedauern. Eher hatte er das Gefühl, dass die nagende Unzufriedenheit, die er in den vergangenen Monaten verspürt hatte, endlich nachließ. Tief in seinem Innern hatte er stets gewusst, dass er zu mehr berufen war als nur tagein, tagaus mit dem Fischkutter auf dem Meer herumzuschippern.

Petros trat an seine Seite und legte eine Hand auf seine Schulter. Dann wandte er sich wieder an Imogen. „Sie behaupten, diesen Mann zu kennen. Dann können Sie mir sicher sagen, welche Kleidung er anhatte, als Sie ihn das letzte Mal gesehen haben“, sagte er forsch.

„Er trug einlangärmliges schilfgrünes T-Shirt, dazu hellbraune Jeans“, antwortete sie prompt. „Ach, und ein geflochtenes Lederarmband mit einer Titanschließe, aber das ging bei dem Sturz vielleicht verloren.“

Yiannis sah, dass Petros erstarrte, und er wusste auch, warum: Ihre Beschreibung traf nämlich bis ins Detail zu. Sogar das Lederband war noch vorhanden gewesen, als sie ihn, Yiannis, ins Boot gehievt hatten.

Nein, nicht Yiannis.

Zephyr.

Aus seinem Blick sprach tiefes Bedauern, als er zu Petros sah. „Es tut mir leid, alter Freund.“ Aber ich muss Gewissheit haben.

Der alte Mann zuckte bei dem Wort Freund zusammen. Erst vor Kurzem hatte er ihn gebeten, ihn patéras zu nennen. Doch jetzt erkannte er, dass es diesen Mann nie gegeben hatte. Jetzt gab es nur noch Zephyr Diamandis. Und der war ein Fremder.

Zeph stellte fest, dass inzwischen alle Hochzeitsgäste an den Fenstern standen. Er wollte den unbeobachteten Augenblick nutzen, um Thea zu beruhigen.

Doch als er sie ansah, entdeckte er keine Angst oder Empörung in ihrem Blick, sondern etwas ganz anderes: pure Erleichterung. Jetzt war er sicher: Thea wollte ihn gar nicht wirklich. Und sie machte es deutlich, indem sie seinen Arm losließ und an die Seite ihres Vaters trat.

Zeph akzeptierte ihre Entscheidung wortlos und drehte sich dann zu Imogen um. Und wie aus heiterem Himmel überfiel ihn wieder das Gefühl überwältigender Erregung, das er bereits zuvor verspürt hatte, als sie ihn als ihren Ehemann bezeichnet hatte.

Nach zehn langen Monaten, in denen er keinerlei Bedürfnis nach Sex verspürt hatte, meldete sich seine Libido plötzlich mit aller Macht wieder zurück. Und er jubilierte innerlich.

Dieses wunderschöne Wesen ist meine Frau. Sie gehört mir!

Niemand konnte ihm verbieten, sie zu küssen, sie zu berühren. Mit ihr zu schlafen. Außer Imogen selbst, natürlich.

Nur, warum sollte sie das tun? Sie will mich doch, sonst hätte sie mich nicht geheiratet!

Aber erst gab es noch etwas zu erledigen. „Also gut, Miss Callahan. Bringen Sie mich zur Jacht. Aber ich schwöre Ihnen: Wenn sich herausstellt, dass alles nur gelogen war, werde ich Ihnen das Leben zur Hölle machen!“

2. KAPITEL

Während das Motorboot sie in schnellem Tempo zur Ophelia brachte, zwang Imogen sich, den Blick stur auf den Horizont zu richten. Sie war verunsichert. Zeph hatte sich geweigert, neben ihr Platz zu nehmen. Jetzt stand er nur wenige Meter von ihr entfernt, die Hände fest um die Reling geklammert. Und warf ihr in regelmäßigen Abständen prüfende Blicke zu.

Imogen war immer noch aufgewühlt. Die Ereignisse in der Kirche hatten sich nach Zephs Zustimmung, mit ihr auf die Jacht zu kommen, überschlagen. Die Tatsache, dass Yiannis Inkognitos eigentlich Zeph Diamandis war, hatte wie eine Bombe eingeschlagen. Besonders herzzerreißend war die Reaktion der alten Frau gewesen, die nach der überraschenden Enthüllung so bitterlich geweint hatte, dass Zeph sie minutenlang im Arm halten musste, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Und auch wenn sie kein Griechisch sprach, hatte Imogen mitbekommen, dass Petros, der Patriarch der Angelos-Familie, verzweifelt versucht hatte, Zeph zum Bleiben zu überreden.

Nur die Frau, die am meisten Grund hatte, verzweifelt zu sein, war überraschend gefasst geblieben. Zwar hatte sie ihren Verwandten besorgte Blicke zugeworfen, doch Zeph gegenüber kaum Gefühlsregung gezeigt.

Und ich dachte, sie fällt vor Entsetzen in Ohnmacht! Oder kratzt ihm vor Wut die Augen aus …

Zephs Reaktion hingegen war voraussehbar gewesen. Er hatte es in weniger als einer Stunde geschafft, mit dem Leben abzuschließen, das er in den letzten zehn Monaten geführt hatte. Dann hatte er sich schnell umgezogen und es kaum erwarten können, zur Jacht zu fahren. Typisch Zeph: Er war noch nie ein Freund großer Sentimentalitäten gewesen.

Die Überfahrt zur Ophelia dauerte nur wenige Minuten, doch Imogen kam es wie eine Ewigkeit vor. Als sie die Jacht erreichten, war sie ein einziges Nervenbündel. Sie zögerte kurz, als Zeph ihr die Hand entgegenhielt, um ihr beim Umsteigen zu helfen. Doch dann griff sie beherzt zu … Und konnte nur mit höchster Willensanstrengung ein Keuchen unterdrücken. Es war das erste Mal, dass ihr Ehemann sie wirklich berührte. Selbst beim Ringtausch während ihrer standesamtlichen Hochzeit hatte er jeglichen Körperkontakt tunlichst vermieden. Ein karger Raum in einem Standesamt in Athen. Ein kalter Diamant an ihrem Finger. Ein emotionsloser Ehemann. Imogen fröstelte, als sie an die Zeremonie zurückdachte.

Damals war sie viel zu verstört gewesen, um Gefühle für Zeph zu entwickeln. Ihr Entsetzen darüber, dass ihr Vater sie quasi verkauft hatte, ließ sie alles andere ausblenden. Und auch die Tatsache, dass einer der begehrtesten und attraktivsten Männer der Welt sie zur Frau nahm, konnte sie nicht trösten. Schließlich hatte Zeph sie nicht erwählt, weil er sie liebte. Sondern weil er sich an ihrer Familie rächen wollte.

Die gemeinsame Geschichte der Callahans und der Diamandis reichte lange zurück. Ein geplatzter Deal mit Imogens Großvater hatte Zephs Familie in den Bankrott getrieben. Der einst so steinreiche Diamandis-Clan war quasi über Nacht völlig mittellos geworden. Zephs Großvater hatte diese Schmach nicht verkraftet und war kurz darauf einem Herzinfarkt erlegen. Doch damit nicht genug. Es schien fast, als würde ein Fluch über der Familie liegen. Denn nur wenig später verstarb auch Zephs Vater. Man munkelte, dass er sich beim Versuch, die Firma zu retten, totgeschuftet hatte. Das nahm seiner Frau Ophelia den Lebensmut. Sie erhängte sich, und Zeph blieb als Waise zurück. Da es keine engeren Verwandten gab, die sich um ihn kümmern konnten, schaltete sich das Jugendamt ein. Und so trat Zeph eine Odyssee durch zahlreiche Heime und Pflegefamilien an. Dort erfuhr er keinerlei Liebe oder Zuwendung. Es gab nur zwei Arten, wie man mit den Kindern dort verfuhr: Vernachlässigung oder Bestrafung. Und nur die Gewissheit, sich eines Tages an der Familie Callahan rächen zu können, hatte ihm die Kraft gegeben, diese Zeit durchzustehen.

Es war furchtbar, was mit Zephs Familie geschehen war. Doch das gab ihm nicht das Recht, ihr erst seinen Namen aufzuzwingen und sie dann eiskalt zu ignorieren.

Das war grausam!

Umso mehr verwirrte es Imogen, dass sie nun so stark auf seine Berührung reagierte. Es fühlte sich an, als würden winzige Feuerwerke in ihrem Inneren gezündet, die kleine, lustvolle Beben auslösten. Sie wagte es nicht, in seine Augen zu sehen, und sah erst wieder hoch, als sie sicher auf dem Deck der Ophelia stand. Noch lange danach spürte sie ein leichtes Prickeln in ihren Fingern. Und zwar genau dort, wo Zeph ihre Hand gehalten hatte.

Zeph.

Es war kaum zu glauben, dass er wieder da war. Aber noch viel unglaublicher war die Tatsache, dass er offenbar sein Gedächtnis verloren hatte.

Imogen konnte immer noch nicht fassen, dass sie ihn ansonsten wohlbehalten wiedergefunden hatte. Und nicht nur das: Er schien derart vor Vitalität zu strotzen, dass ihr von so viel Testosteron regelrecht schwindelig wurde.

Und gerade starrte er wie hypnotisiert auf ihre Lippen …

Will er mich etwa küssen?

Doch dann wandte er sich schnell ab und begab sich zum Achterdeck, auf dem die Besatzung der Ophelia vollzählig angetreten war. Als Imogen sich zu ihm gesellte, verfolgte sie aufmerksam die Reaktionen der einzelnen Crewmitglieder auf seine Rückkehr.

Für viele war es ein Schock, Zeph wiederzusehen. Denn eigentlich war es weniger eine Rückkehr als vielmehr eine Wiederauferstehung von den Toten, die hier stattfand.

Doch gelegentlich konnte sie auf den Gesichtern auch ein überraschtes Schmunzeln entdecken. Und sie wusste genau, warum. Die Männer wunderten sich über Zephs Aufzug. Alle hier kannten ihn als Geschäftsmann, der tagsüber ausschließlich in Anzug und Krawatte auftrat. Und jetzt stand er vor ihnen und trug T-Shirt, Shorts und … Flipflops! Der alte Zeph wäre eher tot umgefallen, als sich öffentlich in solchem Schuhwerk zu zeigen.

Und Imogen musste sich widerwillig eingestehen, dass ihr seine neue, legere Seite außerordentlich gut gefiel.

Sie ließ ihren Blick kurz über seinen durchtrainierten Körper schweifen. Zeph war bereits vor seinem Verschwinden in äußerst guter Form gewesen. Doch Imogen bemerkte, dass seine Schultern jetzt noch breiter waren und er enorm an Muskelmasse zugelegt hatte. Der Bizeps, der sich unter dem dünnen Baumwollstoff seines T-Shirts anspannte, als er den Arm hob, um seine Mannschaft zu begrüßen, war wirklich beeindruckend.

Aber noch viel erstaunlicher als seine körperliche Transformation war die Tatsache, dass Zeph der Crew zulächelte. Sie hatte ihn im Umgang mit seinen Untergebenen noch nie so entspannt gesehen.

Titos, der Kapitän der Ophelia, begrüßte Zeph mit einem aufgeregten griechischen Wortschwall und schüttelte dann enthusiastisch seine Hand. Zeph unterhielt sich eine Weile geduldig mit ihm, bevor er die Reihe der übrigen Crewmitglieder abschritt.

Nach dem Appell erteilte er Weisung an die Besatzung, vorerst Stillschweigen über seine Rückkehr zu bewahren. Erst als die Männer auf ihre Positionen zurückgekehrt waren, wandte er sich wieder Imogen zu. Und sie stellte fest, dass er immer noch lächelte.

Dann legte er den Kopf schief und fragte: „Stimmt etwas nicht?“

Erst da fiel ihr auf, dass sie ihn wohl mit verklärtem Gesichtsausdruck angestarrt haben musste. Und dann rutschte es ihr einfach so heraus: „Es ist nur … Du bist so fröhlich.

Da erstarb das Lächeln auf seinen Lippen wieder, und sein Blick wurde finster.

„Warum erstaunt Sie das so?“, fragte er misstrauisch.

Imogen war über seinen abrupten Stimmungswandel besorgt. Hatte sie nicht kürzlich irgendwo gelesen, dass man mit Amnesiepatienten sehr behutsam umgehen musste? Vor allem, was die Konfrontation mit der Vergangenheit betraf? Doch wie sollte sie ihm eine Antwort auf seine Frage geben, ohne zu sehr ins Detail zu gehen?

„Miss Callahan?“

Sie hasste es, wenn er sie so ansprach. Doch warum? War es nicht genau das, was sie eigentlich wollte? Endlich wieder Immie Callahan zu sein, die tun und lassen konnte, was sie wollte? Und nicht weiter ihr Dasein als Imogen Diamandis, ungeliebte Vorzeigefrau eines kaltherzigen Tycoons, zu fristen?

Ja, schon. Aber wenn Zeph sie mit ihrem Mädchennamen ansprach, hatte das einen unguten Beigeschmack, der ihr nicht gefiel. Offenbar glaubte er ihr immer noch nicht.

„Du kannst mich ruhig duzen. Schließlich sind wir verheiratet.“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Oder hast du das etwa schon wieder vergessen?“

„Keine Sorge, mein Kurzzeitgedächtnis funktioniert prima“, sagte Zeph mit bedrohlichem Unterton. „Aber mein Instinkt sagt mir, dass ich vielleicht nicht alles glauben sollte, was du mir erzählst.“

Ja, das klang schon viel eher nach dem Zephyr Diamandis, an den sie sich erinnerte. Dem skrupellosen Finanzier und Reeder, der stets von Misstrauen getrieben wurde. Wo ist plötzlich der neue, entspannte Zeph geblieben? fragte Imogen sich insgeheim und war erstaunt, wie traurig sie das stimmte.

„Warum sollte ich dich anlügen?“, fragte sie resigniert.

„Ja, das wüsste ich auch gern“, gab er zurück. „Und auch, warum du dich mir gegenüber so distanziert verhältst. Du scheinst dich gar nicht wirklich über meine Rückkehr zu freuen.“

Sein durchdringender Blick jagte ihr eiskalte Schauer über den Rücken.

Imogen versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Es tut mir leid, dass du diesen Eindruck gewonnen hast. Ich bin lediglich um dein Wohlergehen besorgt. Du hast in den letzten Monaten bestimmt viel durchgemacht. Vielleicht solltest du dich jetzt ein wenig ausruhen.“

Da lächelte Zeph wieder, aber es wirkte eher bedrohlich als heiter. „Keine Sorge, Imogen. Ich fühle mich bestens. Kein Grund, mir irgendetwas vorzuenthalten.“

Sie fühlte sich von ihm in die Enge getrieben.

Er wird keine Ruhe geben, bis er endlich Antworten bekommt.

„Wenn du mir misstraust, dann frag doch Titos, den Kapitän … Ihr kennt euch schon ewig. Er kann dir alles erzählen, was du über deine Vergangenheit wissen musst.“

Zeph schüttelte den Kopf. „Nichts gegen Titos. Er ist sicher ein anständiger Kerl. Aber es scheint mir nicht so, als wären wir besonders enge Vertraute oder gar beste Freunde.“

Und damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.

Zeph Diamandis war stets ein Autokrat gewesen, der sein Reich mit eiserner Faust regiert hatte. Und solche Menschen pflegten grundsätzlich keine Freundschaften.

Imogen räusperte sich. „Zugegeben, ihr steht euch nicht besonders nahe.“

„Na also. Da macht es doch viel mehr Sinn, wenn ich mit meiner geliebten Ehefrau spreche, die mich intimer kennen sollte als jeder andere, oder?“, drängte er und trat noch näher an sie heran.

Imogen geriet in Panik.

Wie wird er reagieren, wenn ich ihm sage, dass wir eigentlich Feinde sind? Dass er mich nur geheiratet hat, um sich an meiner Familie zu rächen?

Doch trotz ihrer Angst fand sie seine Nähe gleichzeitig auch unglaublich erregend. Als er das Wort intim aussprach, spürte sie, wie sich die zarten Knospen ihrer Brüste plötzlich aufrichteten und ein elektrisierendes Prickeln durch ihren ganzen Körper ging.

Worüber haben wir nochmal gesprochen? dachte sie benommen. Richtig … Über Freunde. Und intime Beziehungen …

„Ich weiß, dass du Antworten brauchst. Und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wirst du sie auch bekommen“, antwortete sie ausweichend.

„Nein!“, widersprach Zeph vehement. „Du wirst mir sofort alles sagen, was ich wissen will! Fangen wir doch mal gleich mit deinem Outfit an.“ Er musterte sie wieder von Kopf bis Fuß. „So kleidet sich keine Frau, die zu Hause sitzt und um das Leben ihres Ehemanns bangt. Du sagst mir jetzt auf der Stelle, wo du dich gestern Nacht herumgetrieben hast. Und mit wem.

„Wie kannst du es wagen?“, empörte sich Imogen. Eigentlich hatte er für diesen Affront eine Ohrfeige verdient. Doch seine Aussage löste neben Entrüstung auch noch ganz andere Empfindungen in ihr aus. Was das Sexuelle betraf, war sie sehr unerfahren. Die Tatsache, dass Zeph ihr zutraute, sich in seiner Abwesenheit mit anderen Männern zu vergnügen, gab ihr das Gefühl, begehrenswert zu sein.

Doch sie sehnte sich nicht nach anderen Männern. Plötzlich war ihr klar: Sie wollte Zeph.

Wie es sich wohl anfühlt, ihn zu küssen?

Aber ein Kuss war nicht genug. Sie wollte, dass er sie berührte, jeden Zentimeter ihres Körpers erforschte. Die Vorstellung von seinen Händen zwischen ihren Schenkeln war so erregend, dass es ihr fast die Sinne raubte.

Doch das durfte Zeph nie erfahren. Er war ihr Feind. Schwäche zu zeigen, war gefährlich.

Also versuchte sie, sich von ihren erotischen Gedanken abzulenken, indem sie auf seine Frage einging.

„Gut, wenn es dich so sehr interessiert: Ich habe das getan, was eigentlich deine Aufgabe gewesen wäre. Ich habe mich um Firmenkunden gekümmert.“

Er ließ wieder seinen Blick über sie schweifen. „Kommt das öfter vor, dass du dich so angezogen noch weit nach Büroschluss um Kunden kümmerst?“, fragte er anzüglich.

Sie zuckte mit den Schultern. „Nein, nicht oft …“ Dann verstand sie endlich, was er damit andeuten wollte, und wurde wieder wütend. „Was soll das? Es waren Kanadier, die schätzen es, wenn man sich in einer etwas ungezwungeneren Atmosphäre trifft. In einem Club hätte ich in biederem Kostüm und Stehkragenbluse absolut deplatziert gewirkt.“ Sie sah ihn prüfend an. Dann meinte sie überrascht: „Ich frage mich, warum du so darauf herumreitest. Man könnte fast meinen, du wärst … eifersüchtig.“

Er ging nicht darauf ein und bohrte weiter nach. „Warum hast du diesen Termin wahrgenommen? Gab es sonst niemanden, der das hätte übernehmen können?“

„Ich bin deine stellvertretende Geschäftsführerin“, sagte sie nicht ohne Stolz. Nur leider verschaffte ihr diese Position wenig Einfluss über die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats von Diamandis Shipping. Immer wenn es darum ging, besonders anspruchsvolle Kunden zu besänftigen, blieb alles an ihr hängen.

„Sind das besonders wichtige Kunden?“, wollte Zeph wissen. Zwar wusste er inzwischen, dass er Reeder und Herrscher über ein milliardenschweres Firmenimperium war, doch mit den Einzelheiten war er natürlich noch nicht vertraut.

„Ja, allerdings“, bestätigte Imogen.

Doch das hatte den Aufsichtsrat herzlich wenig interessiert. Und so hatten sich die Herren in ihre Villen und Sommerhäuser zurückgezogen, um dort ihren Urlaub zu genießen, während Imogen sich allein mit den Kanadiern herumgeschlagen hatte.

Diesen Umstand behielt Imogen allerdings für sich. Sie wollte nicht, dass Zeph erfuhr, wie hart sie in seiner Abwesenheit darum hatte kämpfen müssen, ihre Position in dem ansonsten ausschließlich männlich besetzten Gremium zu verteidigen.

Zeph schien erstaunt über die Nachricht, dass es Imogen gewesen war, die die Geschäfte weitergeführt hatte. Er sagte eine ganze Weile lang nichts.

Imogen nutzte die Gesprächspause und trat an die Reling. Dort schlüpfte sie aus ihren viel zu engen Stilettos und seufzte erleichtert. Dann blickte sie aufs Meer hinaus.

Es tat gut, einfach nur dazustehen, die leichte Brise auf der Haut zu spüren und dem Spiel der Wellen zuzusehen. Hier draußen war alles so friedlich. Doch der Moment der Harmonie dauerte nur kurz. Dann stürmte alles, was sie in den letzten paar Stunden erlebt hatte, wieder auf sie ein. Es gab so viel zu tun! Vor allem musste die Welt erfahren, dass Zeph Diamandis von den Toten auferstanden war.

Entschlossen drehte sie sich um und fuhr zusammen: Zeph stand direkt hinter ihr, die Hände in den Taschen seiner Shorts vergraben, und beobachtete sie aufmerksam.

„Was ist denn?“, fragte sie gereizt.

„Jetzt haben wir schon wieder nur über Firmenangelegenheiten geredet“, meinte er. „Denkst du nicht, dass wir endlich über uns sprechen sollten?“ Seine Stimme klang seltsam heiser.

„Keine Ahnung, was du damit meinst“, wich Imogen ihm aus und blickte verlegen zu Boden.

Zeph zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Oh, ich denke schon.“ Es gefiel ihm, wie sie sich wand. „Aber wir können gern später darauf zurückkommen“, lenkte er großmütig ein und kam wieder auf das vorige Gesprächsthema zurück. „Wie ist die Sache mit den Kanadiern denn ausgegangen?“

Imogen atmete erleichtert auf. Darüber ließ es sich viel leichter reden. „Die Verhandlungen haben bis in die frühen Morgenstunden gedauert. Aber dann ist der Deal endlich zustande gekommen. Unsere Anwälte prüfen gerade die Konditionen. Wenn es keine Einwände gibt, werden die Verträge Ende nächster Woche unterzeichnet.“

Imogen hatte erwartet, dass er diesem Umstand mit der üblichen Gleichgültigkeit begegnen würde. Wie er es eigentlich mit allen Dingen tat, bei denen sie involviert war.

Umso mehr überraschte sie die wilde Mischung aus Eifersucht und Stolz, die sie jetzt in Zephs Augen lesen konnte. Doch bevor sie nachforschen konnte, kam die Erklärung von ihm selbst.

„Nun, ich bin sehr erfreut, dass es zu einer Einigung gekommen ist“, gab er zu. „Ich werde mir die Ertragsprognose vor Vertragsabschluss natürlich noch genau ansehen. Allerdings gefällt mir die Art und Weise nicht, unter welchen Umständen dieser Deal besiegelt wurde.“

Imogen weigerte sich standhaft, seine Kritik anzunehmen. „Nur auf unkonventionellen Wegen gelangt man zum Erfolg“, verkündete sie und versuchte dabei, möglichst souverän zu wirken. Dabei brachte Zephs Nähe sie total aus dem Konzept.

Er kniff die Augen zusammen. „Wo hast du das denn her? Klingt wie ein Ratschlag aus einem Selbsthilfebuch.“

„Es ist ein Zitat von dir“, erklärte sie triumphierend. „Es stammt aus einem Interview, das du einem Wirtschaftsjournalisten nach deiner Wahl zum Unternehmer des Jahres gegeben hattest.“

Anstatt zufrieden zur Kenntnis zu nehmen, dass ihm eine so hohe Ehre zuteilgeworden war, rief Imogens Aussage nur weiteres Misstrauen hervor. „Sollte das ein Test sein, matia mou?“, fragte er aufgebracht. „Denkst du, ich spiele den Gedächtnisverlust nur vor?“

Nein, so war das nicht. Aber vielleicht hatte sie Zeph unbewusst mit seinen eigenen Worten konfrontiert, um damit eine Gefühlsregung hervorzurufen. Denn sie war sich nie sicher, mit welcher Variante von ihm sie es gerade zu tun bekommen würde: dem wohlbekannten, emotionslosen Zeph – oder dem neuen Zeph, der plötzlich Gefühle zeigte.

Zeph sah, wie Imogen errötete und wieder seinen Blick mied. Er fand es hinreißend, wenn sie so verlegen war. Und war es nicht sein gutes Recht, von ihr entzückt zu sein? Schließlich war dieses atemberaubende Wesen seine Ehefrau! Nur war dieser Umstand immer noch sehr ungewohnt für ihn. Genau wie die Tatsache, dass er kein einfacher Fischer, sondern ein erfolgreicher Unternehmer war, dessen Reederei Milliardengewinne einfuhr.

Das alles schien viel zu schön, um wahr zu sein. Die Sache musste irgendwo einen gewaltigen Haken haben …

„Es ist vielleicht besser, wenn wir im Moment nicht weiter über die Vergangenheit sprechen“, schlug Imogen schnell vor. „Es könnte dich überfordern. Du solltest dich erst von einem Arzt untersuchen lassen.“

Zeph winkte ab. „Es geht mir gut, Imogen.“

Doch sie schüttelte den Kopf. Ihre ganze Körpersprache vermittelte Entschlossenheit. Zeph fand das beeindruckend, wenn er daran dachte, mit welcher Unterwürfigkeit und Ehrfurcht ihm die ganze Schiffsbesatzung begegnet war.

Imogen taxierte ihn jetzt, als wollte sie sich durch bloßen Augenschein von seiner Unversehrtheit überzeugen. Und offenbar gefiel ihr nicht, was sie sah.

„Es kann auf jeden Fall nicht schaden, einen Spezialisten heranzuziehen“, meinte sie. „Oder warst du schon beim Facharzt?“ Sie hielt inne. „Gibt es auf Efemia überhaupt einen Doktor?“

Zeph schmunzelte. Imogen war offenbar ein typischer Stadtmensch.

„Efemia mag nur eine kleine Insel sein. Aber die Menschen dort leben nicht mehr im Mittelalter. Natürlich gibt es dort einen Arzt. Außerdem haben sich Petros’ und Theas Großmutter rührend um mich gekümmert.“

„Verzeih mir“, entschuldigte Imogen sich. „Ich wollte niemanden beleidigen.“

„Schon gut“, beschwichtigte Zeph. „Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Natürlich gibt es auf Efemia keine Fachklinik oder so etwas. Aber die medizinische Versorgung dort hat ausgereicht, um meine Verletzungen zu heilen. Allerdings hat es fast vier Monate gedauert, bis ich einigermaßen wiederhergestellt war.“

Er dachte mit Schrecken an die ersten Tage nach seiner Rettung zurück. Er hatte unter schrecklichen Schmerzen gelitten, die wohl von Verletzungen durch den Sturz von der Jacht stammten. Doch daran war ihm keine Erinnerung geblieben. Nach dem Unfall hatte in seinem Kopf nur entsetzliche Leere geherrscht. Und noch heute plagten Zeph rasende Kopfschmerzen, wenn er versuchte, sich seine Vergangenheit wieder ins Gedächtnis zu rufen. Doch das verschwieg er Imogen.

„Körperlich bin ich wieder total fit“, behauptete er stattdessen. „Und auch die Erinnerung wird sicher irgendwann wieder zurückkehren. Wenn nicht, ist das aber nicht weiter tragisch. Das Universum hat auch so dafür gesorgt, dass ich wieder dort gelandet bin, wo ich hingehöre. Immerhin hat es dich zu mir geschickt.“

Imogen glaubte kaum, was sie da hörte. „Du willst dich darauf verlassen, dass letztendlich alles nach einem perfekten, kosmischen Plan verlaufen wird?“, fragte sie überrascht.

Jetzt lachte er wieder. „Du kennst mich doch am besten, matia mou. Ich habe das Gefühl, dass es sich in meinem Leben schon einmal ausgezahlt hat, geduldig auf etwas zu warten. Liege ich damit richtig?“ Er sah sie erwartungsvoll an.

Imogen erstarrte. Sie dachte wieder mit Entsetzen daran, wie es ihm nach all den Jahren endlich gelungen war, sich an ihrer Familie zu rächen.

„Ja“, murmelte sie leise und verkrampfte innerlich. Doch Zeph fiel das nicht auf.

„Na also. Aber ich werde trotzdem einen Spezialisten konsultieren, wenn es das ist, was du dir wünscht?“ Gespannt wartete er auf ihre Reaktion.

Imogen nickte langsam. „Ja, das wäre … vernünftig.“

Zeph verzog das Gesicht. Besorgnis klang anders. „Gut, ich werde so bald wie möglich hingehen. Aber zuerst ...“ Er blickte sich um und sah dann wieder fragend zu Imogen.

Sie fuhr zusammen. „Oh, natürlich. Du willst, dass ich dir hier alles zeige“, meinte sie zerstreut. „Dann komm mal mit. Aber danach musst du dich ausruhen“, bestimmte sie. „Und ich werde mich dann mit deinem Arzt in Verbindung setzen.“

Sie hob ihre Stilettos vom Boden auf, zog sie aber nicht wieder an. Zeph fiel auf, dass sie so geradezu winzig wirkte. Und plötzlich stellte er sich die erregende Frage, wie es sich wohl anfühlte, mit so einer zierlichen Person Sex zu haben. Schließlich war er äußerst gut ausgestattet. Nun, es musste wohl irgendwie funktioniert haben. Schließlich hatten sie ein Jahr lang eine Beziehung geführt, bevor er verschwunden war.

Thea hatte sich ihm während ihrer ganzen Beziehung nie hingegeben. Sie hatte darauf bestanden, als Jungfrau in die Ehe zu gehen. Und dann war die Hochzeit geplatzt.

Langsam konnte er das Gerede vom Ausruhen nicht mehr hören. Er fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr. Alles, was er jetzt wollte, war, Imogen endlich ins Bett zu zerren, um all das nachzuholen, was ihm in den letzten Monaten entgangen war.

Himmel! Diese Frau weckt wirklich das Tier in mir …

Aber Imogen ließ ihm keine Zeit, diese Gedanken weiter zu verfolgen. Sie nahm die Sache mit der Erkundungstour über die Jacht ernst und marschierte zielstrebig auf den Lift zu, der die verschiedenen Ebenen des Schiffes miteinander verband. Zeph folgte ihr in die gläserne Kabine. Die Türen schlossen sich, und der Aufzug glitt lautlos nach unten.

In der engen Kabine fiel es Zeph noch schwerer, sich zu beherrschen. Wie berauscht von ihrem zarten, blumigen Duft ließ er seine Blicke hungrig an Imogens Körper herabwandern. Besonders ihr wohlgeformter, straffer Po erregte seine Aufmerksamkeit.

Als der Lift unter Deck Halt machte und die Türen sich wieder öffneten, trat Imogen hastig aus der Kabine. Auch für sie war die kurze Fahrt ein enormer Test ihrer Willensstärke gewesen. Doch sie versuchte, die sündigen Gedanken schnell wieder aus ihrem Kopf zu verbannen, indem sie sich auf ihre Rolle als Tourguide konzentrierte.

„Jedes Detail dieser Jacht wurde ganz nach deinen Wünschen konzipiert“, erklärte sie, als sie gemeinsam einen langen Korridor betraten. Zeph sah sich interessiert das Dekor aus dunklen Edelhölzern, dezenten cremefarbenen Kacheln mit Goldakzenten und Läufern mit Szenen aus der griechischen Mythologie an.

An einer Wand hing das gerahmte Porträt einer wunderschönen Frau. Laut Imogen war die Jacht nach seiner Mutter benannt. Plötzlich plagte ihn ein schlechtes Gewissen.

Ich habe völlig vergessen, nach meiner Familie zu fragen!

„Was ist mit meinen Eltern?“, fragte er Imogen. „Wo sind sie?“

Imogen blieb wie angewurzelt stehen. Als sie sich zu ihm umdrehte, konnte er den Blick in ihren Augen nur schwer deuten. War das etwa Panik?

Imogen verschränkte die Hände und sah zu Boden. „Es tut mir so leid, Zeph, aber deine Eltern leben beide nicht mehr.“

Damit hatte Zeph nicht gerechnet. Schockiert schnappte er nach Luft. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich.

„Was ist mit anderen Verwandten? Habe ich Geschwister?“ Dann sah er, dass Imogen ihre Hände immer noch vor ihrem Bauch verschränkt hielt, und eine andere brennende Frage kam ihm in den Sinn. „Imogen, haben wir Kinder?“

Sie riss erschrocken die Augen auf. Dann schluckte sie und schüttelte langsam den Kopf. „Nein, haben wir nicht. Und du hast auch keine Geschwister. Es gibt ein paar entfernte Verwandte, die für dich bei Diamandis Shipping arbeiten, aber ihr steht euch wohl nicht besonders nahe.“

Keine Kinder, keine engen Verwandten.

Zeph fühlte sich von aller Welt verlassen. Offenbar gab es nur eine Person, die ihm wirklich nahestand.

„Dann bist du also meine einzige Vertraute?“, mutmaßte er.

Imogen starrte ihn an. Dann sah sie ruckartig wieder weg und murmelte: „Ja, sieht ganz so aus.“

Es entstand ein Moment peinlicher Stille, der für beide kaum zu ertragen war. Imogen brach das Schweigen, indem sie wieder vorausstrebte.

„Sollen wir unseren Rundgang fortsetzen?“, fragte sie, um einen neutralen Tonfall bemüht.

„Eine Frage noch“, sagte Zeph. „Es mag albern klingen, aber wie alt bin ich eigentlich?“

„Oh. Ähm … du wirst nächsten Monat fünfunddreißig“, teilte Imogen ihm mit.

Zeph nickte langsam und trat dann auf sie zu. Aus einem Impuls heraus strich er ihr über die Wange und fragte dann: „Und du, holdes Weib?“

„I… ich? Ich werde an Weihnachten fünfundzwanzig“, stotterte sie, und es schien Zeph so, als würde ihr die enorme erotische Spannung, die in der Luft lag, ebenfalls schwer zu schaffen machen.

„Du bist so jung und managst schon einen Weltkonzern. Und findest nebenher noch Zeit, deinen verschollenen Ehemann aufzuspüren? Das ist beeindruckend“, lobte er.

Imogen sah ihn überrascht an und errötete sanft. „Wie nett von dir, das zu sagen.“ Doch dann stahl sich wieder dieser skeptische Ausdruck auf ihr Gesicht, und sie wandte sich schnell von ihm ab.

„So, jetzt müssen wir aber wirklich weiter“, meinte sie resolut.

Anscheinend bekommt sie nicht oft Komplimente, dachte Zeph, als er ihr weiter durch das Schiff folgte. Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn was sie ihm zeigte, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Die Jacht war ein Wunderwerk modernster Technik, ausgestattet mit den erlesensten Materialien, die der Bootsbau zu bieten hatte. Im Vergleich zu seinem bescheidenen Leben als Fischer auf Efemia schien ihm der Überfluss an Bord der Ophelia geradezu dekadent zu sein.

Gerade zeigte Imogen ihm eine Kajüte, die zu einem begehbaren Kleiderschrank umgebaut worden war. Darin befanden sich Reihen von Maßanzügen in gedeckten Farben, luxuriöse Uhren und auf Hochglanz polierte, maßgefertigte Schuhe, die wie die kostbare Kollektion eines Museums wirkten.

Doch selbst all dieser Reichtum konnte Zeph nicht über die Leere hinwegtrösten, die er tief in seinem Inneren verspürte.

Wenn doch nur endlich meine Erinnerung wiederkehren würde, dachte er verzweifelt. Dann würde ich sicher verstehen, was dieser Albtraum bedeutet, der mich ständig heimsucht!

Seit seiner Rettung träumte er jede Nacht von einem kleinen Jungen, der, gepeinigt von Angst, Trauer und Einsamkeit, vor einem mächtigen grünen Tor kauerte und vergeblich auf etwas wartete. Und ebendiese Emotionen brachen jetzt mit solcher Macht über ihn herein, dass er im verzweifelten Versuch, ihnen zu entkommen, etwas vollkommen Unüberlegtes tat.

Imogen fühlte sich völlig überrumpelt, als Zeph sie plötzlich an sich zog und auf den Mund küsste.

Sie keuchte auf und schob ihn schockiert von sich. „Was sollte das denn?“, fragte sie entrüstet.

„Das war ein Experiment“, meinte er achselzuckend. „Ich dachte, vielleicht kann ich so meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.“

Sie wich noch ein paar Schritte zurück und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Dann griff sie nach dem Smartphone in ihrer Handtasche.

„Was tust du da?“, wollte Zeph wissen.

„Ich rufe jetzt sofort den Neurologen an, damit er sich deinen Kopf ansieht“, meinte sie entschlossen.

Er verzog missbilligend das Gesicht. „Muss das wirklich sein? Es geht mir doch gut.“

Imogen wurde ungehalten. „Da bin ich anderer Meinung. Sonst müsstest du zum Beispiel nicht andere Leute fragen, wie alt du bist.“

„Und was versprichst du dir von dieser Konsultation? Dass der Arzt mir irgendeine Wunderkur verschreibt, und plötzlich erinnere ich mich wieder an alles?“,...

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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<p>Melody Summer hat bereits als Zwölfjährige davon geträumt, Bücher zu schreiben. Vorher wurde sie jedoch erst noch Schauspielerin, eröffnete ein freies Theater, arbeitete dort als Dramaturgin und schrieb über zwanzig Theaterstücke. Inzwischen hat sie auch zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen es um Geheimnisse, Liebe, Schicksal und Intrigen geht. Sie liebt...
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