Julia Weekend Band 129

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RENDEZVOUS MIT DEM BOSS von LIZ FIELDING

Der reiche Unternehmer Max Fleming ist baff: Bisher waren die Sekretärinnen, die ihm seine Schwester geschickt hat, ältere, diskrete Damen – nicht so Jilly Prescott! Sie ist blutjung und ausgesprochen direkt. Aber eins muss Max zugeben: Jilly ist genau das, was er nach dem Tod seiner Frau braucht …

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  • Erscheinungstag 05.04.2025
  • Bandnummer 129
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534444
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding

1. KAPITEL

Maxim Fleming war wütend. Und seine Schwester am anderen Ende der Leitung wusste auch genau, warum.

„Ich bitte dich doch nur darum, mir eine Aushilfssekretärin zu besorgen, Amanda. Ich bin nicht schwierig.“ Er ignorierte das spöttische Lachen seiner Schwester. „Ich will nur jemanden, der seinen Job beherrscht.“

„Max …“

Aber er schnitt ihr ungeduldig das Wort ab. „Ist das so ein großes Problem?“

„Max, Darling …“

Er ignorierte weiterhin den warnenden Unterton in ihrer beschwichtigenden Stimme. „Jemand, der korrekt tippen kann, ein bisschen Stenografie …“

„Deine Vorstellung von ‚ein bisschen‘ Stenografie entspricht leider weder meiner noch der von all den absolut kompetenten Sekretärinnen, die ich dir schon geschickt habe“, unterbrach sie ihn schroff. Dann seufzte sie leicht. „Heutzutage legt man auf Kurzschrift nicht mehr so viel Wert, Max …“ Jedenfalls galt das für die Mädchen, die sie ihrem Bruder bereits geschickt hatte. Sie und Max hatten eben völlig unterschiedliche Vorstellungen von den Fähigkeiten, die eine erstklassige Sekretärin besitzen sollte. „Wäre es nicht einfacher, wenn du – wie alle anderen im 20. Jahrhundert – endlich ein Diktiergerät benutzen würdest?“

„Willst du damit andeuten, dass die berühmte Garland-Agentur nicht in der Lage ist, eine fähige Sekretärin zu stellen, die stenografieren kann?“

„Das habe ich nicht gesagt, Max. Aber du musst mir schon ein bisschen Zeit geben. Deine Anforderungen sind einfach zu hoch.“

„Ich habe aber keine Zeit, und die Garland-Mädchen sind doch angeblich die besten“, erinnerte er sie. „Ich bin gern bereit, ein Topgehalt zu zahlen für eine Sekretärin, die richtig tippen kann und beim Steno eine Spur schneller ist, als wenn sie Langschrift schreiben würde. Das ist doch sicherlich nicht zu viel verlangt von Londons angesehenster Sekretärinnenagentur, oder?“

„Und außerdem bist du immer so ungeduldig“, fügte sie hinzu, ohne auf seine Frage einzugehen. „Allein in den letzten vierzehn Tagen hast du diverse von Londons besten Sekretärinnen zurückgeschickt.“

„Aha, von den besten!“ Wenn das die Besten waren, verzichtete er gern darauf, die anderen kennenzulernen.

„Bisher habe ich noch keine einzige Klage über meine Mädchen gehört. Ganz im Gegenteil, sie werden immer in den höchsten Tönen gelobt.“ Das war zwar richtig. Aber in den anderen Fällen hatte sie auch nie versucht, sowohl eine perfekte Sekretärin als auch passende Lebensgefährtin für den Kunden zu finden.

Max Fleming ließ einen für ihn charakteristischen verächtlichen Laut hören. „Deine Werbeabteilung hat gute Arbeit geleistet, da gebe ich dir recht. Jeder führende Manager ist heiß auf eins der fabelhaften Garland-Mädchen. Aber ich brauche solche Vorzeigedamen nicht, hin und wieder hätte ich gern etwas Solides. Jemanden mit Charakter.“

Du meine Güte! Sie mochte ja die Mädchen mehr nach ihrem Aussehen und Charme als nach ihren Fähigkeiten ausgesucht haben, aber so schlecht waren sie nun auch nicht. „Unsinn. Gib es zu, Max. Du bist das Problem! Warum sollen sich meine Mädchen mit deinen Launen und unmöglichen Arbeitszeiten abfinden?“

„Vielleicht wegen des Geldes, Schwesterherz? Oder hast du ihnen als Lohn nur in Aussicht gestellt, mein gebrochenes Herz zu heilen?“

„Du hast kein Herz.“

„Du weißt das, und ich weiß es auch. Aber wenn du es fertigbringst, ein Mädchen zu finden, das hinreichend schnell stenografiert, wer weiß, vielleicht bin ich dann zu jedem Opfer bereit.“ Er machte eine Pause. „Wenigstens bis es der Mutter meiner Sekretärin wieder besser geht. Es ist mir egal, wie die Aushilfe aussieht, und es interessiert mich wirklich nicht, mit wem sie zur Schule gegangen ist.“

„Max Fleming, du machst mich wahnsinnig.“

„Ich weiß“, sagte er barsch und unterbrach ihren Redefluss. „Meine Fehler sind bekannt. Wenn ich Besserung gelobe, schickst du mir dann jemand Geeigneten? Nur für ein paar Tage, bis ich den Bericht für die Weltbank fertig habe?“

„Ich sollte ihn dich selbst mit zwei Fingern tippen lassen, dann wärst du nicht so.“

„Kapitulierst du etwa?“

„Das hättest du wohl gern, großer Bruder. Also gut. Ich werde dir morgen jemanden schicken. Aber das ist deine letzte Chance. Wenn du das wieder vermasselst, stehst du allein da.“ Amanda Garland runzelte die Stirn, als sie den Hörer auflegte, und wandte sich dann ihrer eigenen Sekretärin zu. „Was um alles in der Welt soll ich nur mit ihm machen, Beth?“

„Vielleicht aufhören, die richtige Frau für ihn zu suchen, und dem armen Mann endlich eine kompetente Sekretärin schicken?“, schlug Beth grinsend vor. „Doch jemanden zu finden, der mit Lichtgeschwindigkeit stenografieren kann, dürfte schwieriger sein, als Ihren Bruder wieder vor den Altar zu bringen. Wir sind total ausgebucht.“

„Haben wir nicht kürzlich eine Bewerbung von einem Mädchen aus Newcastle bekommen, das erstaunlich schnell in Steno ist?“

„Mm, Jilly Prescott. Sie meinten doch, dass sie nicht wie ein Garland-Mädchen wirkt, Amanda“, sagte Beth zweifelnd und betrachtete kurz das Foto, bevor sie den Lebenslauf des Mädchens weiterreichte.

„Mein Bruder hat seinen Anteil an attraktiven Garland-Mädchen dieses Jahr gehabt. Er muss jetzt nehmen, was kommt.“

Beth sah nicht sehr überzeugt aus. „Sie ist schrecklich jung. Sie wird nicht lange bei ihm überleben.“

„Vielleicht“, sagte Amanda Garland nachdenklich. „Vielleicht auch nicht. Er glaubt, dass sich unsere Mädchen mehr um ihr Äußeres als um ihre Arbeit kümmern.“

„Das kommt, weil Sie ihm immer nur die gut Aussehenden geschickt haben.“

„Na ja, das wird er von Jilly Prescott nicht sagen können.“ Sie betrachtete das Foto einer durchschnittlich aussehenden jungen Frau mit einem Wust von dichtem schwarzem Haar, mit dem man auch eine Matratze hätte füllen können. „Er möchte jemanden mit Charakter.“ Sie sah nachdenklich zu Beth hinüber. „Frauen aus dem Norden sind angeblich charakterstark, oder?“

„Wenn Sie meinen, dass Ihr Bruder zu Kreuze kriechen wird, Amanda, dann kennen Sie ihn nicht so gut, wie Sie glauben.“

„Es ist einen Versuch wert.“ Amanda lächelte bei der Vorstellung, was so ‚ein bisschen‘ Charakter in der wohlgeordneten Welt ihres Bruders bewirken würde. „Prüfen Sie ihre Referenzen. Wenn sie etwas wert sind, rufen Sie sie an, und sagen Sie ihr Bescheid, dass sie morgen früh hier sein soll.“

Jilly Prescott wählte die Nummer ihrer Cousine. Es klingelte drei Mal, bevor sich ein Anrufbeantworter meldete. „Hallo, hier ist Gemma. Ich kann gerade nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie mir Namen und Rufnummer hinterlassen, rufe ich zurück.“

„Mist!“ Jilly strich sich eine Strähne ihres dunklen Haars aus der Stirn.

„Probleme, mein Schatz?“, fragte ihre Mutter, die ungeduldig an der Tür stand. Sie hasste es, wenn jemand lange Ferngespräche führte, und sie wollte sicher sein, dass Jilly sich kurz fasste.

„Nein, nein. Ich habe nur ihren Anrufbeantworter dran, das ist alles“, erwiderte Jilly und wartete auf den Piepton. „Gemma, hier ist Jilly. Wenn du da bist, nimm bitte ab. Es ist wichtig.“ Sie zögerte einen Moment und hoffte auf die unwahrscheinliche Chance, dass ihre Cousine zu Hause war. Warum war Gemma ausgerechnet heute Abend nicht da? Schließlich hinterließ Jilly ihre Nachricht: „Ich rufe dich nur an, um dir zu sagen, dass ich jetzt einen Job in London habe. Ich nehme den ersten Frühzug nach King’s Cross. Ich melde mich wieder, wenn ich in London bin.“ Sie legte auf und drehte sich zu ihrer Mutter um. „Es ist alles in Ordnung“, behauptete sie zuversichtlicher, als sie war. „Gemma hat immer gesagt, dass ich jederzeit bei ihr wohnen kann.“

Ihre Mutter blickte skeptisch. „Ich weiß nicht recht, Jilly. Was ist, wenn sie verreist ist?“

„Natürlich ist sie nicht verreist. Es ist Januar, wohin sollte sie schon im Januar gefahren sein? Ich nehme an, sie ist einkaufen. Sie wird später anrufen und wenn nicht, habe ich immer noch ihre Büronummer. Das geht in Ordnung, wirklich.“ Die Garland-Agentur war die beste ihrer Art in London, und die Leute dort wollten sie, und zwar schon am nächsten Tag, und wer weiß, wann sie jemals wieder so eine Chance bekommen würde. „Ich werde jetzt lieber weiter packen.“

„Gut, dann bügle ich deine beste Bluse noch einmal auf“, sagte Jillys Mutter. Jilly wusste, ihre Mutter wollte nicht, dass sie ging, und erst recht nicht, dass sie mit Gemma zusammen war. Jillys Mutter brauchte jetzt Ablenkung, um damit fertigzuwerden.

„Ich möchte nicht wissen, wie du aussiehst, wenn du dich selbst um deine Sachen kümmern musst!“

„Das schaffe ich schon.“

„Wirklich?“

„Ich bügle meine Sachen seit meinem zehnten Lebensjahr selbst, Mom.“

„Das habe ich nicht gemeint.“ Jillys Mutter machte eine Pause. „Versprich mir nur, wenn irgendetwas nicht klappt und Gemma dich nicht unterbringen kann, dass du dann sofort wieder nach Hause kommst.“

„Aber …“

„Es wird auch noch andere Jobs geben, Jilly“, unterbrach ihre Mutter sie und wartete einen Moment. Ein Versprechen ihrer Mutter gegenüber war für Jilly etwas, das sie nicht leichtfertig gab. Wenn sie versprach, nach Hause zu kommen, musste sie es tun, wenn etwas schiefging. Aber was sollte schon passieren?

„Ja, Mom, das verspreche ich.“

Beide schwiegen einen Augenblick. Dann fragte Jillys Mutter nachdenklich: „Du wirst sicher auch bei Richie Blake vorbeischauen, oder?“

„Ja, wahrscheinlich“, sagte Jilly so beiläufig wie möglich. Als würden beide nicht ganz genau wissen, dass sie, Jilly, nur seinetwegen nach London wollte.

„Na ja, er ist da jetzt ein ganz großes Tier. Vielleicht will er an seine Vergangenheit gar nicht erinnert werden.“

„Wir waren Freunde, Mom. Gute Freunde“, bemerkte Jilly leicht empört. Sie erinnerte sich immer noch an den Moment, an dem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Ein mitleiderregender Junge, klein für sein Alter, mit weißblondem Haar und einer Brille, die mit Klebeband zusammengehalten wurde. Eine Gruppe älterer Jungen hatte ihn ständig geärgert, und obwohl Jilly fast ein Jahr jünger war als er, hatte sie sich schützend vor ihn gestellt, den anderen furchtlos die Meinung gesagt und sich aufgeplustert wie eine Glucke, die ihr Küken verteidigte.

Danach war sie vernarrt in ihn gewesen. Vielleicht sah sie deshalb mehr in ihm als die anderen, eben etwas Besonderes.

Sie war diejenige gewesen, die das Festkomitee der Schulweihnachtsfeier überredet hatte, ihn als Discjockey zu nehmen. Sie hatte seine Fotos an die Lokalzeitungen geschickt, damit er kostenlos Werbung bekam. Sie hatte ihre Brüder dazu gebracht, auf ihren Computern Plakate zu entwerfen und Demobänder mit seinen ersten Moderationsversuchen aufzunehmen. Und dann hatte sie so lange die Radiostationen damit überschüttet, bis er schließlich für nicht mehr als ein Taschengeld in einer Jugendsendung seine erste Chance bekam.

Und sie hatte ihm auch das Geld für die Fahrkarte nach London geliehen, nachdem ihm ein Londoner Privatsender telefonisch einen Vertrag angeboten hatte.

„Du bist ein wundervolles Mädchen, Jilly“, hatte er gesagt, als sie wartete, dass der Zug losfuhr, und sich wünschte, mitfahren zu können. „Du bist die Einzige, die immer an mich geglaubt hat. Du bist die Beste. Ich werde dich niemals vergessen, das verspreche ich.“

„Sie haben unglaubliches Glück, so eine Chance zu bekommen, Jilly.“ Amanda Garland hörte sich skeptisch an.

Sie war offenbar nicht die Einzige, die Zweifel hatte. Doch im Gegensatz zu ihr hatten Jillys Bedenken nichts mit ihrer Fähigkeit zu tun, den Job zu meistern. Das beunruhigte sie ganz und gar nicht. Viel schlimmer war, dass Gemma sich noch nicht gemeldet hatte. Gleich nach ihrer Ankunft in London hatte Jilly ihre Cousine noch vom Bahnhof angerufen, aber wieder lief nur der Anrufbeantworter. Und das zu einer Zeit, zu der jedes berufstätige Mädchen, egal, wann es in der Nacht zuvor nach Hause gekommen war, sich langsam aus dem Bett gequält haben sollte.

Und nun, als wäre das nicht schon genug, saß sie auch noch einer Frau gegenüber, die sie erst in aller Eile aus Newcastle hatte kommen lassen und jetzt mit ihrer Entscheidung, Jilly den begehrten Job zu geben, offensichtlich nicht so recht glücklich zu sein schien. Sicherlich, ihre perfekt gebügelte Bluse – sie hatte am Bahnhof schnell ihre Jeans und den Pullover von der Fahrt gewechselt – machte nicht den von ihrer Mutter erhofften Eindruck. Aber in dieser kalten Glitzerwelt hätte alles, was sie besaß, schäbig ausgesehen.

Sie hatte ihr Bestes getan, um dem Bild einer intelligenten, effizient arbeitenden, gepflegten Sekretärin zu entsprechen – jedenfalls so gepflegt, wie es mit einer Haarmähne möglich war, die seit Jillys zehntem Lebensjahr keinen Haarschnitt von professioneller Hand mehr erfahren hatte. Jetzt trug Jilly ihr Haar als gedrehten, hochgesteckten Zopf. Einzelne lockere Strähnen hatte sie mit Haarkämmen befestigt. Aber wie sie so dasaß, spürte sie, dass sich ihre Kreation aufzulösen drohte.

Für ihre Heimatstadt hatte es genügt. Der Rechtsanwalt, für den sie gearbeitet hatte, bevor er vor wenigen Wochen in den Ruhestand ging, war sogar recht beeindruckt davon gewesen. Aber in der extravaganten Welt von Knightsbridge wurde schnell offensichtlich, was sie war: ein durchschnittliches Mädchen aus einer durchschnittlichen Kleinstadt aus dem Industriegebiet des Nordostens. Es brauchte mehr als eine gut gebügelte Baumwollbluse, eben mehr als Kleidung von der Stange, um diese Tatsache vergessen zu machen.

In Jeans, einem einfachen weißen T-Shirt und mit Pferdeschwanz hätte Jilly vermutlich einen besseren Eindruck gemacht. Für Mädchen wie Jilly war ein schlichter Stil besser als gar keiner. Nicht so für die Frau, der Jilly jetzt gegenübersaß an dem riesigen, makellos aufgeräumten Schreibtisch. Ihr glänzendes rabenschwarzes Haar war nach der neuesten Mode gestylt. Die zarten blassen Hände waren geradezu geschaffen für die erlesenen Diamantringe, die sie an den Fingern trug. Und das Etikett an ihrer Designerjeans zeigte deutlich, dass die Besitzerin nur in den teuersten Boutiquen Londons einzukaufen pflegte. Jillys Hose dagegen war eine, bei der man lieber gleich das Etikett herausschnitt, um bei den Freunden nicht an Ansehen zu verlieren.

Und nun sah Amanda Garland von der Garland-Agentur Jillys lange, gerade Nase an, und es schien, als könnte sie nicht recht glauben, dass sie Jilly Prescott überhaupt einen Job angeboten hatte – egal, wie brillant ihre Zeugnisse auch waren.

Und Jilly konnte es auch nicht glauben, jetzt, mit Blick auf all die teuren Möbelstücke, den dicken Teppich und die Powerfrau vor sich, wie sie sie nur aus amerikanischen Seifenopern kannte.

In der Bücherei ihrer Heimatstadt hatte sie sich aus den Tageszeitungen Londons Agenturen herausgesucht, die Zeitarbeit für Sekretärinnen anboten. Dann hatte sie allen ihren Lebenslauf geschickt und gehofft, dass jemand hinreichend beeindruckt von ihren Qualifikationen wäre, um ihr eine Chance zu geben. Schließlich waren ihre Zeugnisse hervorragend.

Jetzt aber beschlich sie das Gefühl, dass es vielleicht nicht so weit her war mit ihr. Doch ihr Newcastle-Stolz ließ sie gar nicht erst in Erwägung ziehen, dass sie vielleicht in allem nur die zweite Wahl war und deshalb sofort die Flucht ergreifen sollte. Ihr Stolz und Richie.

„Enormes Glück.“ Amanda Garland begann, Jilly ärgerlich zu machen. Glück, dachte sie, während sie insgeheim die Schultern straffte, Glück hatte damit nun wirklich nichts zu tun. Das war harte Arbeit.

Immerhin hatte sie an der Königlichen Akademie der Künste das Sekretärinnen-Diplom mit Auszeichnung bestanden, eine Leistung, an der auch die Amanda Garlands dieser Welt nicht vorbeikamen. Doch Jilly wusste auch, dass bei ihrer Bewerbung ihr außergewöhnliches Steno-Zeugnis den Ausschlag gegeben hatte. Kaum jemand schaffte es, hundertundsechzig Silben pro Minute zu stenografieren und fehlerfrei in Maschinenschrift zu übertragen.

„Gut. Ich werde Sie nicht länger aufhalten. Ich habe Max gesagt, dass Sie heute noch bei ihm anfangen können. Haben Sie schon eine Unterkunft, Jilly?“, fragte Amanda, wobei sie einen Blick auf Jillys Koffer warf.

„Ich wohne bei meiner Cousine, bis ich etwas Passendes gefunden habe. Da fällt mir ein, ich müsste sie mal anrufen, um ihr zu sagen, dass ich angekommen bin …“ Sie hatte schon viel früher fragen wollen, ob sie einmal telefonieren dürfe, doch die Sekretärin hatte Jilly sofort zu Amanda geführt. Und später hatte Jilly andere Dinge im Kopf gehabt.

Amanda Garland blieb an der Tür stehen. „Vielleicht sollte ich Sie warnen, Jilly. Max ist ein sehr anspruchsvoller Arbeitgeber, und Unfähigkeit kann er nur schlecht ertragen.“ Und? Die Frage war Jilly deutlich im Gesicht geschrieben, denn Amanda fuhr fort: „Er ist verzweifelt und braucht jemanden, der wirklich gut stenografieren kann, sonst …“

„Sonst?“, wiederholte Jilly.

Die andere Frau hob verwundert eine Augenbraue. So viel Offenheit hatte sie nicht erwartet. „Sonst, um ehrlich zu sein, hätte ich Sie nicht für diese Position ausgewählt.“

„Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund“, erwiderte Jilly, die es endgültig leid war, dass man auf sie herabsah. Die Frau konnte ihren Job behalten. Es gab noch Hunderte von anderen Agenturen in London, und wenn sogar die Garland-Agentur bereit war, sie nur wegen ihrer Stenofähigkeiten aus Newcastle zu holen, dann sollte sie wohl auch woanders eine echte Chance haben. „Liegt es an meiner Kleidung?“, wollte Jilly mit der Direktheit wissen, für die die Leute aus ihrer Heimat bekannt waren. „Oder ist mein Akzent das Problem?“

Daheim behaupteten alle, sie würde piekfein sprechen, aber Jilly war vom Gegenteil überzeugt. Ihre Mutter hatte sie sogar zum Sprechunterricht zu einer Schauspielerin geschickt, die seit dem Krieg nicht mehr aufgetreten war. Allerdings wagte niemand zu fragen, seit welchem. Doch immer noch verriet Jillys Aussprache ihre Herkunft.

Ms Garlands Augen weiteten sich leicht, und sie verzog belustigt die Lippen. „Sie sind sehr direkt, Jilly.“

„Was sehr hilfreich ist, wenn man die anderen wissen lassen will, was man von ihnen denkt. Was denken Sie, Ms Garland?“

„Ich meine … ich meine, Sie werden es vielleicht schaffen, Jilly.“ Und schließlich wurde aus ihrem anfänglichen Schmunzeln ein breites Lächeln. „Und machen Sie sich keine Gedanken wegen Ihres Akzents – mein Bruder stört sich nicht dran. Ihm ist nur wichtig, wie gut Sie Ihren Job machen. Ich fürchte, er ist beinahe ein Ungeheuer, wenn es um die Arbeit geht. Es wäre mir lieber, wenn Sie etwas älter wären. Ich werfe Sie ja regelrecht ins kalte Wasser.“

Ihr Bruder? Jillys Wangen begannen zu glühen. Amanda Garland traute ihr zu, für Mr Garland zu arbeiten? „Oh“, sagte sie. „Ich dachte …“ Und dann lächelte sie plötzlich: „Kein Problem, Ms Garland, ich bin eine ziemlich gute Schwimmerin, Goldmedaille, Rettungsschwimmerurkunde. Und was mein Alter betrifft, ich werde jede Minute älter.“

Amanda Garland musste lachen. „Bewahren Sie sich Ihren Sinn für Humor, und hören Sie nicht auf Max’ Unsinn. Wenn er Sie anbrüllt, dann seien Sie einfach geradeheraus.“

„Keine Sorge, das werde ich. Außerdem hilft es ungemein, wenn Männer besonders schwierig sind, dass man sie sich nur nackt vorstellt.“ Amanda lachte so, dass sie husten musste. „Wie lange wird er mich denn brauchen?“, fragte Jilly, als Amanda wieder antworten konnte.

„Seine Privatsekretärin muss sich um ihre kranke Mutter kümmern, und wir haben keine Ahnung, wann sie wiederkommen wird.“ Ihre Miene wurde ernst. „Aber ein paar Wochen wird es wohl dauern, denke ich. Grübeln Sie darüber nicht nach. Wenn Sie für Max arbeiten können, dann können Sie es für jeden anderen auch. Mit Ihren Qualifikationen dürfte es kein Problem geben, Ihnen eine neue Stelle zu verschaffen.“

„Oh, gut. Na dann, danke schön.“

„Danken Sie mir jetzt noch nicht. Denken Sie nur daran, was ich Ihnen zum Thema ‚Selbstbewusstsein‘ gesagt habe. Und nehmen Sie ein Taxi. Ich möchte nicht, dass Sie uns auf dem Weg nach Kensington verloren gehen.“

„Ich habe ein Ticket für …“, begann Jilly.

„Ich sagte, nehmen Sie ein Taxi, Jilly. Ich habe Max versprochen, dass Sie noch heute bei ihm sind, nicht erst, wenn es die öffentlichen Verkehrsmittel zulassen. Ich rufe ihn gleich an und sage ihm, dass Sie kommen.“

„Ja, aber …“

„Gehen Sie jetzt endlich!“ Als Jilly immer noch zögerte, sagte Amanda. „Das ist ein Notfall! Lassen Sie sich eine Quittung geben. Sie bekommen Ihr Geld schon von Max zurück.“

Jilly konnte es immer noch nicht fassen. Noch nie hatte ein Arbeitgeber sie so dringend gebraucht, dass er ihr das Taxi sogar bezahlen wollte. Wenn so die Arbeitswelt in London aussah, wunderte sie sich nicht mehr, dass es Gemma hier gefiel. Jilly nahm ihren Koffer in die eine Hand, hielt die Karte mit Max Flemings Adresse in der anderen und eilte hinunter auf die Straße, um eins dieser berühmten schwarzen Taxis heranzuwinken.

Das hatte sie schon tausendmal im Kino und Fernsehen gesehen, und sie konnte kaum glauben, dass sie es jetzt selbst tat. Den Koffer fest in der Hand, trat sie an den Gehsteigrand, hob die Hand und rief: „Taxi!“

Zu ihrem Erstaunen machte ein gerade vorbeifahrendes Taxi mitten auf der Straße kehrt. Der Fahrer hielt direkt neben ihr und riss die Tür auf. Es funktionierte! Sie kletterte auf den Rücksitz und lächelte zufrieden. Es war zwar ein schwacher Start gewesen, aber jetzt begann sie tatsächlich, das Ganze zu genießen.

Das Taxi hielt vor einem eleganten Haus in Kensington. Inmitten einer gepflegten Parkanlage wurde das Gebäude durch eine hohe Mauer vor neugierigen Blicken geschützt. „Da sind wir, Miss“, sagte der Fahrer und öffnete Jilly die Tür. Sie gab ihm, was er verlangte, und legte noch ein großzügiges Trinkgeld drauf. Er grinste sie an. „Danke. Brauchen Sie eine Quittung?“

„Oh, ja. Gut, dass Sie mich daran erinnern. Ich hab damit nicht so viel Erfahrung.“ Nachdem sie den Beleg bekommen hatte, ging sie auf das schwarz gestrichene Tor zu, das die Mauer teilte, und drückte auf die Klingel.

„Ja bitte?“, fragte eine Frauenstimme am anderen Ende der Sprechanlage.

„Jilly Prescott“, sagte Jilly energisch. „Ich komme von der Garland-Agentur.“

„Na wunderbar! Kommen Sie herein.“

Als der Summer ertönte, öffnete Jilly das Tor. Über einen geschmackvoll gepflasterten Gartenweg, vorbei an wertvollen Keramiktöpfen und einer kleinen Bronzenymphe, gelangte Jilly zu einem Haus mit einer prachtvollen Fassade.

Die grauhaarige Dame, die ihr geöffnet hatte, winkte sie eilig herbei. „Kommen Sie, Ms Prescott. Max wartet schon auf Sie.“ Sie führte Jilly durch eine weitläufige Eingangshalle, vorbei an einer gewundenen Treppe und blieb vor einer getäfelten Tür stehen. „Gehen Sie einfach hinein.“

Jilly stand an der Türschwelle zu einem kleinen, ebenfalls getäfelten Büro. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine Verbindungstür offen. Ein Mann sprach mit tiefer, ungehaltener Stimme. Offensichtlich telefonierte er, denn Jilly hörte sonst niemanden.

Sie blickte sich um. Auf dem Schreibtisch waren zwei Telefonapparate zu sehen sowie eine Gegensprechanlage, ein benutzter Stenoblock und ein Becher mit angespitzten Bleistiften. Auf einem speziell angefertigten Tisch dahinter standen ein hochmoderner Computer und ein ebenso neuer Drucker. Jilly fragte sich, mit welcher Software sie hier wohl arbeiten müsse. Also holte sie ihre Brille aus der Handtasche, setzte sie auf und lehnte sich vor, um den Computer anzuschalten.

„Harriet!“ Die körperlose Stimme hatte offensichtlich ihr Telefonat beendet. Jilly wandte sich sofort vom Computer ab, nahm den Stenoblock vom Schreibtisch und griff nach einigen Bleistiften. Schnell strich sie noch eine lose Haarsträhne zurück und stand auch schon an der Tür zum Nebenzimmer. Max Fleming wartete am Fenster und betrachtete den winterlichen Garten. Er drehte sich nicht um. „Ist dieses verdammte Mädchen immer noch nicht da?“, fragte er ungeduldig.

Was für ein hagerer Mann! dachte Jilly spontan. Viel zu dünn für seine Größe und erst recht für seine breiten Schultern. Das Jackett hing schlaff an ihm herunter. Er musste in letzter Zeit enorm abgenommen haben. Aber sein dunkles volles Haar war perfekt geschnitten, genau wie das seiner Schwester. Die feinen silbrigen Strähnen an den Schläfen ließen es sogar noch dunkler erscheinen.

Das war alles, was sie wahrnehmen konnte, bevor er gereizt mit seinem schmalen Ebenholzstock, auf den er sich gestützt hatte, auf den Fußboden klopfte. Dann drehte er sich halb um und nahm sie aus den Augenwinkeln wahr. Für einen Moment sagte er nichts, sondern starrte sie nur an, als könne er seinen Augen nicht trauen.

„Wer zum Teufel sind Sie denn?“, fragte er herrisch.

Wahrlich, dieser Mann kann einen einschüchtern, dachte Jilly. Aber seine Schwester hatte sie ja gewarnt, dass er sich manchmal wie ein Ungeheuer aufführte. Wenn sie in diese dunklen Augen sah, die sie aus seinem mageren Gesicht anblitzten, glaubte sie es. Als er sie jetzt von oben bis unten musterte, wurde ihr klar, was auf dem Spiel stand. Falls sie auch nur andeutungsweise nervös würde unter seinem harten und herausfordernden Blick, könnte sie genauso gut gleich wieder das Zimmer verlassen. Diese Schwäche würde er erbarmungslos ausnutzen. Was hatte seine Schwester noch gleich gesagt? „Wenn er brüllt, seien Sie geradeheraus.“

„Ich glaube, ich bin dieses verdammte Mädchen“, erwiderte sie mit fester Stimme so geradeheraus, wie es ihr möglich war, und hielt seinem Blick stand. Sie war zwar erst einundzwanzig Jahre alt, aber sie hatte noch nie Angst vor Spielplatz-Rowdys gehabt, und sie hatte garantiert nicht die Absicht, jetzt zu kneifen. Für einen Moment herrschte eine bedrohliche Stille. Dann, nachdem sie bewiesen hatte, dass sie nicht so schnell einzuschüchtern war, rückte sie ihre Brille zurecht und bot einen Waffenstillstand an. „Es tut mir leid, wenn Sie warten mussten. Der Verkehr war fürchterlich. Ich wollte eigentlich mit der U-Bahn fahren, aber Ms Garland sagte, ich solle ein Taxi nehmen.“

Max zog eine Augenbraue leicht hoch. „Hat sie sonst noch etwas geäußert?“

Eine Menge, aber das wollte Jilly jetzt lieber nicht wiederholen. „Dass Sie das Taxigeld übernehmen“, erwiderte Jilly.

„So, das hat sie gesagt?“ Jilly hatte gehofft, ihn mit dieser Bemerkung zum Lachen zu bringen. Aber den Gefallen tat er ihr nicht. Sie merkte, wie sie am ganzen Körper, einschließlich ihrer Wangen, unter der Intensität seines Blickes zu glühen begann. Es war, als könnte er bis in ihr Innerstes sehen. Für ein, zwei Sekunden wankte sie in ihrer Entschlossenheit, diesem Mann mutig zu begegnen.

„Nun, irgendjemand wird es bezahlen müssen, ich kann es mir jedenfalls nicht leisten, mich in Taxis herumchauffieren zu lassen“, sagte Jilly und zwang sich, wieder in die Offensive zu gehen. Sie überquerte, wie ihr schien, mehrere Meter auf einem dicken Orientteppich und legte die Taxiquittung auf Mr Flemings Schreibtisch. „Ich lasse sie hier, dann können Sie in Ruhe mit Ihrer Schwester darüber reden.“

Max Flemings erster Gedanke war, dass sie unmöglich eines dieser heiß begehrten Garland-Mädchen sein konnte. Bei ihr fehlte jede Spur von Stilgefühl und perfekten Umgangsformen, für die die Garland-Sekretärinnen so berühmt waren. Sie war nicht einmal hübsch. Ihre Augen waren hinter einer eulenhaft wirkenden Brille versteckt, und ihre Nase und ihr Mund waren viel zu groß. Ein breiter voller Mund, der bei der kleinsten Ermutigung ein warmes Lächeln zeigte. Und erst ihr Haar … Es war hellbraun wie Milchschokolade. Einige Strähnen hatten sich aus den Kämmen gelöst. Ganz zu schweigen von der Kleidung …

Sie trug eine schlichte weiße Bluse und einen einfachen, unmodischen grauen Rock, der sittsam über dem Knie endete. Das alles wirkte mehr wie eine Schuluniform. Nein, nicht wie eine Schuluniform, dafür war die Kleidung viel zu ordentlich. Es erinnerte ihn mehr an eine von diesen altmodischen Sekretärinnen, ja, dazu passte auch dieses Brillengestell aus Schildpatt.

Und plötzlich wurde ihm alles klar.

Seine Schwester erlaubte sich einen Spaß mit ihm. Es war die Rache für all die Mühe, die er ihr gemacht hatte. Jeden Moment würde sich dieses Mädchen die Brille herunterreißen, die Kämme aus dem Haar ziehen, und sich als das präsentieren, was sie zweifellos war: eine höchst attraktive, zum Küssen herausfordernde junge Frau.

Offensichtlich ungeduldig geworden unter seinem langen, forschenden Blick, sagte das Mädchen schließlich: „Können wir anfangen, Mr Fleming?“ Er wusste es genau. Was er jetzt auch immer antworten würde, es wäre der Startschuss, um das erbärmliche Theater in Gang zu bringen. Obwohl, es gab Zeiten, da hätte ihm so ein Scherz gefallen … „Ihre Schwester sagte, Sie wären verzweifelt …“

Verzweifelt. Einsam. Innerlich leer. Alles traf zu.

„Es kommt mir so vor, als wäre meine Schwester dieses Mal besonders geschwätzig gewesen.“ Aber selbst wenn sie, wie immer, recht gehabt hätte, er hätte ihr sagen können, dass all ihre Bemühungen nichts nützen würden. Er glaubte langsam, dass überhaupt nichts mehr helfen könnte.

Entschlossen verdrängte er diesen deprimierenden Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das Mädchen. War es eine Schauspielerin, die eine Pechsträhne hatte? Nein. Unwahrscheinlich. Eine Schauspielerin hätte sich mehr angestrengt, ohne Akzent zu sprechen. Sie hätte auch ihre Rolle stärker übertrieben. Dieses Mädchen musste irgendeine Studentin sein, die sich ein bisschen Geld nebenbei verdiente, um ihr Studium zu finanzieren.

„Wie heißen Sie?“, fragte Max.

„Jilly Prescott.“

Jilly. Das war doch kein Name für eine offensichtlich erwachsene Frau. Trotz der billigen Garderobe war ihre fabelhafte Figur zu erkennen, die in ihrer Silhouette an eine Sanduhr erinnerte. Ihre extrem schlanke Taille verleitete einen Mann regelrecht dazu, sie mit beiden Händen zu umfassen.

Max runzelte die Stirn, als er merkte, wie sehr ihm diese Vorstellung gefiel. Dann zuckte er einmal kurz die Schultern. Er war wütend über jegliche zusätzliche Zeitverschwendung, obgleich er zugeben musste, dass er mit seinem Verhalten dieses Theater selbst herausgefordert hatte. Er wusste auch, dass es schwierig war, für ihn zu arbeiten, und dass Amanda zweifellos die Nase voll hatte von seiner Forderung nach Perfektion. Er war sich fast sicher, dass Amanda gerade in dieser Minute draußen in der Eingangshalle stand und mit all den Mädchen, die er in den letzten vierzehn Tagen wieder weggeschickt hatte, darauf wartete, auf seine Kosten einmal herzlich zu lachen.

Nur dieser Gedanke hielt ihn davon ab, das Mädchen gleich wieder nach Hause zu schicken. Kein Auftritt, keine Bezahlung. Wer sich für so etwas hergab, hatte das Geld dringend nötig. Er musste diese Strafe wohl oder übel wie ein Mann ertragen, und vielleicht würde Amanda dann Mitleid haben und ihm die Sekretärin schicken, die sie ihm versprochen hatte.

Und vielleicht würde er in Zukunft daran denken und etwas geduldiger sein.

Vielleicht.

„Also gut, Jilly“, sagte er plötzlich. Er würde sich wohl damit abfinden müssen, aber es musste ihm ja nicht gefallen. „Lassen Sie uns anfangen. Ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“

Jilly setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, legte die Bleistifte bereit, wählte einen aus, zückte ihren Stenoblock und sah Max herausfordernd an.

„Ich bin so weit, Mr Fleming“, sagte sie. Jilly lächelte unsicher und fühlte sich, als sollte sie gleich einem unberechenbaren Tiger zum Fraße vorgeworfen werden. „Können wir, Mr Fleming?“

2. KAPITEL

Für einen Moment blickte Max gebannt auf dieses Lächeln, das Jillys Mund unerwartet sexy wirken ließ.

Ungläubig ging Max zur Tür und sah in die Eingangshalle. Sie war leer. „Harriet!“

Seine Haushälterin kam aus der Küche auf ihn zu. „Ja, Max?“

„Ist Jilly Prescott allein gekommen?“

„Ja. Haben Sie noch jemanden erwartet? Sie haben mir nicht gesagt …“

„Und sonst ist niemand in den letzten Minuten gekommen, meine Schwester vielleicht?“

„Amanda?“, fragte Harriet erstaunt. „Wieso? Erwarten Sie Amanda? Wird sie zum Lunch bleiben?“

„Nein, aber …“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich erwarte überhaupt niemanden. Bringen Sie uns bitte nur etwas Kaffee.“ Max wandte sich an Jilly. „Sie möchten doch auch eine Tasse, nicht wahr?“

„Ja, gern.“

Max ging zurück an seinen Schreibtisch, lehnte seinen Stock dagegen und setzte sich vorsichtig auf seinen Stuhl. Dann nahm er einen Stapel Notizen in die Hand.

Jetzt, da Jilly ihm gegenübersaß, merkte sie, dass er viel jünger war, als sie anfangs geschätzt hatte. Wie viel jünger, war schlecht zu sagen. Vielleicht war er krank gewesen? Oder er hatte einen Unfall gehabt, der ihn jetzt zwang, einen Stock zu benutzen? Doch Max gab ihr nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.

Es drängte ihn, zu wissen, woran er war. Zuerst diktierte er langsam. Bald jedoch merkte er, dass Jilly keinerlei Schwierigkeiten hatte, das Tempo zu halten. Es machte eher den Eindruck, als wartete sie geduldig auf ihn.

„Würden Sie das bitte einmal laut vorlesen, Jilly?“, fragte er, insgeheim etwas argwöhnisch.

Ohne das geringste Zögern trug Jilly alles vor, was Max diktiert hatte, und fügte hinzu: „Sie können ruhig schneller sprechen, wenn Sie möchten. Ich kann 160 Silben pro Minute aufnehmen.“

Er blickte sie ungläubig, aber auch neugierig an. „Wirklich?“, platzte er heraus. Jilly war überrascht. Seine Schwester hatte sie doch empfohlen. Traute Max nicht einmal Amanda? Wie sollte sie, Jilly, ihm dieses Misstrauen nehmen? „Wirklich.“

„Erstaunlich“, murmelte Max vor sich hin. Er war sich nicht einmal im Klaren, ob er ihre Stenokünste oder das Mädchen selbst meinte. Es musste einen Haken geben. „Können Sie tippen?“, fragte er sie so herausfordernd, als hätte er sie endlich ertappt.

„Eine Sekretärin ohne Schreibmaschinenkenntnisse macht nicht viel Sinn, oder?“, erwiderte Jilly ernst, aber auch ein bisschen schnippisch. Warum traute er ihr nichts zu? „Oder?“, fragte sie hartnäckig nach, als Max die Antwort schuldig blieb.

„Nein, ich glaube nicht“, antwortete er unbehaglich. Sollte er sich bei ihr für sein Verhalten entschuldigen? Schon im nächsten Augenblick verwarf er diese Idee. Nein, er durfte sich nicht wieder täuschen lassen. Noch hatte sie ihr Können nicht hinreichend unter Beweis gestellt. Also diktierte er weiter. Es war ein kompliziert zu schreibender Bericht mit vielen Spezialausdrücken und langen Zahlenkolonnen. Max sprach immer schneller. Er wollte, dass sie ihn bat, das Tempo zu verlangsamen. Aber Jillys Hand flog nur noch schneller über den Block.

Max ärgerte sich darüber. Wieso eigentlich? Solche Fähigkeiten hatte er bei einer Sekretärin doch immer gesucht. Er konnte auch damit leben, dass sie es manchmal am gewohnten Respekt fehlen ließ. Na ja. Wenigstens fingerte sie nicht ständig an ihrem Haar herum. Sie war viel zu sehr in ihre Arbeit vertieft, als dass sie die lose Haarsträhne über ihrem rechten Ohr bemerkt hätte. Trotzdem. Max hatte das Gefühl, verloren zu haben, wobei und gegen wen, wusste er auch nicht genau. „Das wäre für den Moment alles. Wie lange werden Sie zum Tippen brauchen?“

„Das hängt ganz von Ihrer Software ab“, erwiderte Jilly. Max nannte ihr das Programm. „Mm, das sollte kein Problem sein.“ Nach einem kurzen Blick auf ihre Uhr sagte Jilly dann mit unerschütterlicher Miene „Um drei Uhr haben Sie den Bericht auf dem Schreibtisch liegen.“

Lächerlich, dachte Max und sagte: „Korrektheit ist mir lieber als Schnelligkeit.“

Jilly hatte keine Lust auf weitere Debatten. „Gut, sagen wir fünf Minuten nach drei.“ Sie stand auf, ging zur Tür und drehte sich dort kurz um. „In den letzten fünf Minuten mache ich mir eine Tasse Tee. Der Kaffee ist inzwischen kalt. Ich mache Ihnen auch eine Tasse, wenn Sie möchten“, bot Jilly entgegenkommend an.

„Nein“, wehrte Max hastig ab. „Nein, danke. Das wird nicht nötig sein. Und Sie brauchen auch nur Harriet Bescheid zu sagen. Sie macht alles, was Sie möchten.“ Die Uhr auf dem Kaminsims schlug zur vollen Stunde. „Es ist bald Mittag. Sie können auch gern ein Sandwich oder so etwas haben. Sie haben relativ spät angefangen. Ich nehme an, es macht Ihnen nichts aus durchzuarbeiten?“

„Nein, ganz und gar nicht“, sagte Jilly. Und wieder konnte Max nicht einordnen, ob es höflich oder ironisch gemeint war. „Ich hab mich sowieso schon gefragt, was ich in meiner Pause machen soll. Damit wäre das Problem ja auch gelöst.“ Also doch Ironie. Kein Zweifel.

Jilly ging in ihr kleines Büro, und Max folgte ihr. „Woher kommen Sie, Jilly?“ Kaum ausgesprochen, bereute er seine neugierige Frage schon.

„Sagen Sie’s mir.“ Jilly hatte die Brille abgenommen, und ihre Augen funkelten Max herausfordernd an. „Ihre Schwester konnte es mir nach dem ersten Wort sagen!“

„Vermutlich irgendwo aus der Nähe von Watford?“, erwiderte er schnell, und darüber verwirrt, welche Richtung seine Gedanken einschlugen.

Sehr witzig! dachte Jilly. Jeder konnte ihre nordenglische Herkunft daran erkennen, wie sie die Konsonanten betonte. Und Watford lag in unmittelbarer Nähe von London! „Nicht schlecht getippt. Ich komme aus einem kleinen Ort in der Umgebung von Newcastle, dessen Namen sowieso noch keiner gehört hat. Ach, dabei fällt mir ein. Könnte ich vielleicht kurz telefonieren? Ich zahl es auch.“

Bezahlen? Er glaubte nicht richtig gehört zu haben. Amandas Garland-Mädchen hatten in den letzten Wochen pausenlos die Leitung mit Privatgesprächen lahmgelegt und so getan, als wäre das selbstverständlich.

„Wissen Sie“, versuchte Jilly zu erklären, „ich wollte eigentlich bei meiner Cousine wohnen, bis ich etwas in London gefunden habe. Ich habe sie gleich heute Morgen noch vom Bahnhof aus angerufen. Aber sie war nicht da. Um diese Uhrzeit ist man doch eigentlich zu Hause!“

„Und sie war es nicht?“

„Nein.“

„Vielleicht war sie ausgegangen.“

„Um die Zeit?“

Ist diese Ms Prescott wirklich so naiv, oder tut sie nur so? fragte sich Max. Wie auch immer, es war nicht seine Aufgabe, sie über das Londoner Nachtleben aufzuklären. „Vielleicht war sie joggen“, schlug er mit leicht sarkastischem Unterton vor.

„Ja. Das wäre denkbar“, stimmte Jilly wenig überzeugt zu. „Es ist bestimmt besser, ich warte noch etwas und rufe meine Cousine dann in ihrem Büro an. Ich hätte ja auch von einer Telefonzelle angerufen, aber Ihre Schwester sagte, Sie seien …“

„Verzweifelt?“ Ein leichter rötlicher Schimmer legte sich auf ihre Wangen, als Max Fleming das Wort sagte, das sie jetzt nicht mehr aussprechen wollte. „Ja. Ich war … Ich bin verzweifelt“, hörte er sich plötzlich gestehen und spürte, als sie ihn mit ihren großen braunen Augen ansah, so etwas wie Verletzlichkeit. Aber eben nur einen Augenblick. Im nächsten Moment fuhr er sachlich fort: „Ich schlage vor, Sie rufen Ihre Cousine sofort an. Ich möchte nicht, dass Sie mit Ihren Gedanken ganz woanders sind, während Sie meinen Bericht tippen.“ Er war schon auf dem Weg zur Tür, als er sich noch einmal umdrehte. „Geben Sie lieber auch Ihrer Familie Bescheid, dass Sie gut angekommen sind.“ Verdammt noch mal! Er klang schon wie eine alte Glucke. „Vielleicht macht sich ja jemand Sorgen um Sie“, fügte er etwas schärfer hinzu.

„Vielleicht?“ Jilly kniff die Augen leicht zusammen, bevor sie herzlich lachte. Dabei tauchte für eine Sekunde ein Grübchen in ihrem Kinn auf. Sofort war es wieder verschwunden, und Max musste sich zusammenreißen, die Stelle nicht zu berühren, um sich davon zu überzeugen, dass er nicht geträumt hatte. „Meine Mutter hat sicher schon ein Loch in den Teppich gelaufen vom ewigen Hin- und Hertigern.“

„Na, dann rufen Sie sie lieber sofort an, bevor der Schaden nicht mehr zu reparieren ist.“

„Jetzt kann ich das nicht tun.“

„Warum nicht?“ Er wusste, dass er diese Frage bereuen würde. Aber das Gespräch hatte inzwischen ein Eigenleben entwickelt.

„Ich kann sie nicht anrufen, bevor ich nicht meine Cousine Gemma erreicht habe. Ich habe meiner Mutter versprochen, dass ich sofort nach Hause komme, wenn irgendetwas mit dem Job oder der Wohnung schiefgeht.“ Jilly zuckte kurz die Schultern. „Ich bin zum ersten Mal von zu Hause weg, und sie macht sich eben Sorgen.“

Das kannte Max. Seine Mutter machte sich auch stets Sorgen um ihn, noch immer. Aber inzwischen war sie erfahren genug, ihre Bedenken ihm gegenüber nicht zu äußern. „Dann wollen wir mal hoffen, dass Ihre Cousine nur kurz etwas zu erledigen hatte. Wenn sie weggefahren ist, haben Sie ein Problem.“

„Weggefahren? Im Januar?“, fragte Jilly ungläubig.

Max folgte ihrem Blick in den Garten, der einen ungemütlichen, nasskalten Anblick bot, typisch für London im Winter. „So unglaublich es scheinen mag, aber es soll Orte geben, wo selbst jetzt die Sonne scheint.“

„Teure Orte!“

„Heutzutage nicht mehr“, erwiderte er, und ihm war bewusst, dass seine und ihre Vorstellung von teuer sich erheblich voneinander unterschieden. „Vielleicht ist sie zum Skifahren.“

„Gemma ist nicht gerade sehr sportlich.“

„Nicht jeder fährt wegen des Sports dorthin“, erwiderte er genervt, was ihm im nächsten Augenblick bereits leidtat. Das Mädchen konnte nichts dafür, dass es ihn an Dinge erinnerte, die er für immer hatte vergessen wollen. „Manche sind mehr am Après-Ski interessiert.“

Jilly dachte an die Wintersportprospekte, in denen gut aussehende junge Leute in Skianzügen, mit einem Glas Glühwein in der Hand, lachend um einen riesigen Kamin in einer Berghütte standen. Ja. Das konnte sie sich bei Gemma schon eher vorstellen. „Aber wenn Gemma nicht da ist, wo soll ich dann wohnen? Dann muss ich wieder nach Hause!“

„Aber doch hoffentlich nicht, bevor Sie für mich diesen Bericht getippt haben“, erwiderte Max Fleming. Manchmal sollte er sich mit seinen Bemerkungen wirklich zurückhalten. Jetzt würde sie ihm gleich ihren Block und eine entsprechende Antwort an den Kopf werfen.

„Ja klar. Das mache ich natürlich noch. Ich fange gleich an.“

Jilly saß schon vor dem Computer. Ihre Finger flogen über die Tasten. Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, mit Gemma zu telefonieren. Max wollte sie eigentlich dazu ermuntern. Aber als er sie so aufrecht und stolz dasitzen sah, hatte er plötzlich keine Lust mehr. Früher wäre das anders gewesen. Damals …

„Kann ich jetzt den Lunch servieren, Max?“ Harriet unterbrach seine Gedanken.

„Das hätten Sie schon vor zehn Minuten tun können“, erwiderte Max Fleming unwillig. „Und machen Sie doch auch etwas für Jilly zurecht.“ Jilly! Wie konnte man auch Distanz wahren zu jemandem, der Jilly hieß? Er sollte wieder zu Ms Prescott übergehen. „Und zeigen Sie ihr, wo alles ist.“

Jilly hörte, wie die Verbindungstür geschlossen wurde. Endlich konnte sie sich etwas entspannter zurücklehnen und – leise aufschluchzen. Sie nahm ihr Taschentuch, trocknete sich die Tränen, und schimpfte sich energisch aus. Was heulte sie jetzt herum? Das war doch sonst nicht ihre Art. Nur, gestern schien alles noch so einfach, und wenn sie jetzt Gemma nicht erreichte … Ach, dieses blöde Versprechen ihrer Mutter gegenüber!

Als Harriet mit einem Tablett in den Händen erschien, hatte Jilly bereits ihren alten Kampfgeist wiedergefunden. Sie eilte zur Tür, um Harriet zu helfen.

„Danke, Ms Prescott.“

„Ach, nennen Sie mich doch Jilly.“

Harriet nickte zustimmend und kehrte wenig später aus Max Flemings Raum wieder zu Jilly zurück. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo das Badezimmer ist. Sie wollen sich nach der Reise doch sicherlich etwas frisch machen.“

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände mache. Ich hatte vorgeschlagen, irgendwo etwas essen zu gehen, aber Mr Fleming war so in Eile …“

„Das ist er immer“, versuchte Harriet Jilly zu beruhigen. „Es macht überhaupt keine Umstände, Jilly. Was möchten Sie?“

„Irgendetwas. Was hat Mr Fleming denn?“

„Geräucherten Lachs. Mögen Sie Lachs?“

Jilly zögerte. „Könnte ich vielleicht ein Käse-Sandwich mit Gurke haben?“

Harriet lächelte warmherzig. „Ich glaube, das lässt sich machen. Dort drüben ist das Badezimmer. Kommen Sie doch gleich in die Küche, wenn Sie fertig sind. Da ist es gemütlicher.“

Jilly öffnete die Badezimmertür und schluckte. Apricotfarbene Marmorwände, ein dazu passender dicker, flauschiger Teppich, ein antiker vergoldeter Spiegel und ein Stapel exklusiver Handtücher. Bei ihrer letzten Stelle vor Weihnachten hatte der Toilettenraum etwas anders ausgesehen. Sie erinnerte sich noch gut an den kleinen kaputten Spiegel und die renovierungsbedürftigen Toiletten. Und in ein solches Milieu würde sie sofort wieder zurückkehren müssen, wenn sie nicht endlich Gemma erreichte. So in Gedanken versunken, fand sie sich vor der Küchentür wieder.

„Setzen Sie sich, und essen Sie erst einmal in Ruhe“, forderte Harriet sie freundlich auf.

„An sich müsste ich mit dem Bericht weitermachen …“

„Nur weil Max sich nicht von seinem Schreibtisch trennen kann, heißt das noch lange nicht, dass Sie seinem Beispiel folgen müssen. Außerdem können Sie nicht gleichzeitig tippen und essen, oder?“ Sie winkte Jilly an einen Kiefertisch mit Eckbank. Harriet war groß und schlank. Das stahlgraue Haar trug sie in einer modischen Kurzhaarfrisur. Sie wirkte sehr elegant und entsprach so gar nicht Jillys Vorstellung von einer Haushälterin. Aber, um ehrlich zu sein, Jilly hatte vorher auch noch keine getroffen.

„Nein. Das wohl nicht“, gab sie lächelnd zu. „Aber ich muss noch ein paar Telefonate führen. Mr Fleming hat es mir erlaubt.“

„Wenn es Privatgespräche sind, rufen Sie doch gleich von hier aus an. Da können Sie wenigstens sicher sein, dass er Sie nicht stört.“ Wie sie daraufhin lachte, verriet, dass sie Max Fleming genau kannte. Sie führte Jilly zu einer Tür in einer Ecke der Küche. Der Raum war nicht viel größer als eine Speisekammer, trotzdem fanden darin ein Stuhl, mehrere Regale und ein Telefon Platz. „Bedienen Sie sich.“

„Danke. Es tut mir leid. Ich habe vorhin Ihren Namen nicht ganz verstanden. Mrs …?“

„Jacobs. Aber nennen Sie mich doch Harriet, wie die anderen auch.“

„Okay, Harriet.“ Kurz darauf erreichte Jilly Gemmas Büro und erfuhr, dass ihre Cousine bis zum Endes des Monats verreist sei. Jilly saß nach dem Gespräch wie erstarrt da. Letzte Rettung konnte jetzt nur noch Richie sein. „Hi, ich arbeite jetzt in London und dachte, ich rufe dich mal an“, hatte sie ganz locker sagen wollen. Doch jetzt war keine Zeit für falschen Stolz, und außerdem hatte er sie doch seine beste Freundin genannt. Also wählte sie seine Nummer.

„Rich Productions.“

„Kann ich bitte Richie Blake sprechen?“

„Wen?“

„Richie …“ Da fiel ihr plötzlich ein, dass er jetzt Rich war, Rich Blake und ein berühmter Fernsehstar. „Rich Blake“, versuchte es Jilly erneut. „Ich bin Jilly Prescott, eine Freundin.“ Na prima. Es klang, als hätte sie den berühmten Star irgendwo mal kurz gesehen und versuchte nun, über ihn schnell ins Showbusiness zu kommen.

Und die Person am anderen Ende der Leitung schien genau das zu denken. „Ich bedauere, Mr Blake ist in einer Besprechung.“

„Würden Sie ihm dann bitte ausrichten, Jilly Prescott hat angerufen.“ Sie wiederholte ihren Namen nochmals langsam. „Ich muss in einer wirklich dringenden Angelegenheit mit ihm sprechen und bin unter folgender Nummer zu erreichen.“ Ihre Gesprächspartnerin antwortete nicht. „Haben Sie das notiert?“, fragte Jilly schärfer als beabsichtigt.

„Ja, sicher.“ Die Stimme klang genervt, und Jilly war klar, dass ihre Nachricht soeben im Papierkorb dieser Sekretärin landete. Langsam legte Jilly auf.

Ihre Mutter hingegen zeigte mehr Begeisterung, als ihre Tochter anrief. „Jilly. Na endlich! Wie geht es dir? Ich hab mir schon solche Sorgen gemacht. Ich hab gerade herausgefunden, dass Gemma verreist ist!“ Na typisch, dachte Jilly. Irgendwie fand ihre Mutter immer alles heraus. „Deine Tante war gerade da und hat mit einer Postkarte von Gemma angegeben. Sie ist mit ihrem Freund in Florida.“ Aus Mrs Prescotts Stimme klang Missbilligung. „Ich wusste, dass es ein Fehler war, einfach so nach London zu fahren, ohne eine Unterkunft zu haben. Was willst du jetzt tun?“

Jilly horchte überrascht auf. Ließ ihr ihre Mutter tatsächlich eine Wahl? Für Mrs Prescott jedoch war eindeutig die Notsituation eingetreten, die Jilly wieder nach Hause führen würde. Sie wollte eigentlich nur nach dem Zug fragen, den Jilly nehmen wollte.

Aber Jilly sah die Situation etwas anders als ihre Mutter. Sie war jetzt fast einundzwanzig Jahre alt. Sie hatte einen Job, von dem sie bisher nur träumen konnte. Mr Fleming brauchte sie wirklich dringend, und endlich einmal wollte sie, wie Gemma, alle Bedenken über Bord werfen und Dinge einfach tun. „Weißt du, Mom, ich hab hier einen unheimlich langen Bericht zu tippen, und bevor der nicht fertig ist, kann ich mich wirklich um nichts anderes kümmern.“ Insgeheim dachte Jilly weiter an Gemma, die fern von der Kontrolle ihrer Familie in London lebte und ihr Haar färbte. Das allein brachte Jillys Mutter regelmäßig zu der Schlussfolgerung, dass es mit Gemma mal ein schlimmes Ende nehmen würde. Aber Gemma war mit ihrem Freund in Florida, und Jilly hatte nicht einmal einen Freund. Nicht, dass es da keine Angebote gegeben hätte. Aber die Bewerber kamen eben nie an das Idol Richie heran, an diesen alten Freund, in dessen Leben es für sie jetzt keinen Platz mehr zu geben schien.

Jillys Mutter konnte ihre Neugierde nicht länger zügeln: „Und wie ist dein neuer Job?“

„Der Job. Der ist toll.“ Eigentlich hatte Jilly jetzt keine Lust auf Small Talk, weder mit ihrer Mutter noch mit sonst jemandem. „Mr Fleming brauchte mich so dringend, dass Ms Garland mir extra ein Taxi gerufen hat. Und mein Gehalt ist viermal so hoch wie das letzte, und die Angestelltentoilette hat Marmorwände.“

„Wirklich?“, sagte Mrs Prescott kurz, was darauf schließen ließ, dass sie beeindruckt war.

„Und dieser Mr Fleming, wie ist der so?“

„Mr Fleming?“, fragte Jilly nach, um Zeit zu gewinnen. Sie musste unwillkürlich an ihre erste Begegnung denken. Doch davon wollte sie ihrer Mutter lieber nichts erzählen. „Ich glaube, er war sehr krank. Er braucht einen Stock.“

„Oh, der arme Mann.“ Jillys Mutter reagierte sofort mit der erwarteten Anteilnahme.

„Ja, und er war schon völlig verzweifelt, weil es hier in der Umgebung keine Sekretärin zu geben scheint, die vernünftig Steno kann.“

„Na, da wird er sich bei dir ja nicht beschweren können!“ Jilly wunderte sich, wie stolz und zufrieden ihre Mutter klang. „Was macht Mr Fleming eigentlich?“

„Er ist Wirtschaftsexperte und arbeitet im Bereich der Entwicklungshilfe. Zusammen mit der Weltbank versucht er, Gelder für den Bau von Bewässerungssystemen in Afrika zu organisieren. Du weißt doch, für die armen Kinder, die du immer im Fernsehen siehst, Mom. Ich weiß wirklich nicht, wie der arme Mann ohne eine Sekretärin mit seiner Arbeit weiterkommen will. Aber ich kann ihm ja leider auch nicht länger helfen, wenn ich keine Wohnung habe.“ Jilly drückte voll auf die Tränendrüsen ihrer Mutter. „Aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr. Ich muss diesen Bericht bis drei Uhr fertig haben.“

Doch ihre Mutter wollte noch nicht aufhören. „Hast du denn schon mit Richie Blake gesprochen?“

„Nein, noch nicht“, antwortete Jilly wahrheitsgemäß.

„Gut. Dann lass ich dich jetzt weiterarbeiten. Ruf mich an, wenn du weißt, mit welchem Zug du kommst.“

Der unerschütterliche Glaube ihrer Mutter, dass sie, Jilly, die größte Chance ihres Lebens einfach so vorübergehen ließ, nur weil sie noch keine Unterkunft hatte, machte Jilly rebellisch.

Pünktlich um drei Uhr klopfte Jilly an Max Flemings Bürotür, ging hinein und legte ihm den fertig getippten Bericht auf den Schreibtisch.

Max sah auf den Bericht, dann zur Uhr auf dem Kaminsims, lehnte sich in seinem großen Ledersessel zurück und blickte sie wieder durchdringend an. „Sagen Sie mir, Jilly, haben Sie wirklich bis drei Uhr gewartet oder ist es purer Zufall?“

„Purer Zufall“, antwortete Jilly, ohne zu zögern.

„Unsinn!“

Jilly zuckte kurz zusammen. Aber er hatte natürlich recht. Sie war schon lange vor drei Uhr fertig gewesen und hatte inzwischen nochmals versucht, Richie zu erreichen. Er war gerade außer Haus. „Wie Sie meinen, Sir.“

Er blätterte schnell die Seiten durch. „Max. Nennen Sie mich Max, und setzen Sie sich, während ich den Bericht auf Fehler überprüfe.“

„Sie werden keine finden.“

„Gut. Dann wird es ja auch nicht lange dauern, oder?“

Sie antwortete nicht, sondern sah gespannt zu, wie er ihre getippten Zahlen mit seinen Notizen verglich. Dann lächelte er. „Diese Zahlen sind sehr wichtig. Lassen Sie sie noch einmal ausdrucken und machen Sie mir sechs Kopien davon. Dann rufen Sie einen Fahrradkurier, der alles zur ODA bringen soll.“ Er sah ihren fragenden Gesichtsausdruck. „Zur Overseas Development Agency“, erklärte er. „Auf Ihrem Schreibtisch finden Sie eine Adressenkartei. Und bitte schnell!“

Jilly nahm den Bericht und war schon fast in ihrem Büro, als sie Max rufen hörte:

„Und bringen Sie gleich Ihren Block mit. Ich möchte Ihnen noch etwas diktieren, sobald ich meine Notizen von gestern Nacht durchgesehen habe. Das können Sie dann morgen früh tippen. Ich bin bis Mittag nicht da.“

Jilly blieb stehen, drehte sich zu Max um und spürte, wie ihr Herz immer schneller klopfte. Es hatte keinen Sinn, es noch länger aufzuschieben. „Es tut mir leid, Mr Fleming, aber ich fürchte, ich werde morgen früh nicht hier sein.“

Max blickte von dem Stapel Post hoch, den er gerade durchgesehen hatte. „Wie, Sie sind nicht hier? Natürlich werden Sie hier sein. Hat Amanda Ihnen nicht gesagt, dass ich Sie mindestens für zwei Wochen brauche?“

„Doch, das hat sie. Aber meine Cousine ist verreist, nach Florida. Und jetzt habe ich keine Wohnung.“

„Aber das ist doch kein Grund, einfach wieder zurückzugehen nach …“ Max machte eine Pause und versuchte angestrengt, sich an den Namen von Jillys Heimatort zu erinnern.

„Nördlich von Watford“, bemerkte Jilly ironisch.

„Eben. An einen Ort zurückzugehen, von dem noch niemand gehört hat“, beendete Max den Satz. „Und außerdem wird Ihre Cousine nicht für immer in Florida bleiben, oder?“

„Noch zwei Wochen.“

„Na, sehen Sie. Für die zwei Wochen können Sie doch auch im Hotel wohnen.“

„Ich bin sicher, Sie meinen es gut, Mr Fleming …“

„Max“, erinnerte er sie.

„Max“, wiederholte sie. Sie fühlte sich nicht ganz wohl dabei. Bisher hatte sie noch keinen ihrer Arbeitgeber beim Vornamen genannt. „Seit November hatte ich nur Zeitstellen, dann war Weihnachten, und ich musste auch noch meine Fahrkarte nach London bezahlen …“

„Mit anderen Worten: Ich bin ein Idiot, nicht wahr?“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Jilly peinlich berührt.

„Gesagt nicht, aber gedacht. Und Sie haben recht. Aber Sie werden nirgendwo hingehen, Jilly. Seit zwei Wochen sind Sie die Erste, die annähernd Lauras Fähigkeiten besitzt.“ Er sah, wie Jilly die Stirn runzelte. „Meine Sekretärin, die sich um ihre kranke Mutter kümmern muss“, fuhr Max fort.

„Ja, davon hat Ms Garland gesprochen.“ Jilly nickte.

Er blickte sie fragend, fast bittend an: „Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, dass Sie hierbleiben.“

„Klar. Jede Parkbank in London. Und wenn ich meinen eigenen Pappkarton mitbringe, könnte ich vielleicht auch unter der Waterloo Bridge schlafen …“

„Ach, seien Sie doch nicht albern“, erwiderte er ärgerlich. Er war überrascht, doch nur die bloße Vorstellung, dass sie ungeschützt in irgendeiner Absteige wohnen könnte, verursachte ihm körperliches Unbehagen. Es musste eine Lösung geben. Er würde Amanda anrufen. Wenn sie in der Lage war, ihm endlich die richtige Sekretärin zu schicken, dann sollte es ihr doch wohl auch möglich sein, für eine entsprechende Unterkunft zu sorgen. „Setzen Sie sich“, wies er Jilly an.

„Und was ist mit dem Bericht und den Kopien?“

Er antwortete nicht, sondern sah sie nur streng an, bis Jilly folgsam an seinem Schreibtisch Platz nahm. Dann griff er zum Telefonhörer. „Amanda, du musst mir noch einen Gefallen tun!“

„Bitte erzähl mir nicht, dass du das arme Ding jetzt schon aus deinem Büro vertrieben hast. Ich hab dich gewarnt …“

„Das ‚arme Ding‘ braucht nicht dein Mitleid, sondern für die nächsten zwei Wochen ein Dach über dem Kopf.“

„Ach …?“

„Schaffst du das?“

„Ich führe eine Sekretärinnenagentur, mein Lieber, keine Wohnungsvermittlung.“ Er wartete. „Ich verstehe nicht, warum du da gerade mich anrufst.“

„Wen sollte ich sonst fragen?“

„Sieh dich doch mal um. Du könntest in deinem riesigen Haus doch zwanzig Sekretärinnen unterbringen. Dann ist sie auch immer zur Stelle, wenn dir nachts mal wieder ein brillanter Gedanke kommt.“

„Das kann ich doch nicht machen.“

„Und warum nicht? Also wirklich, Max! Wenn du Angst hast, sie könnte denken, du seist hinter ihrem jungen Körper her, dann sag ihr, du seist schwul.“

„Mandy!!“

„Was ist? Geht das gegen deinen Macho-Stolz? Nun, in diesem Fall wirst du sie wohl davon überzeugen müssen, dass Harriet eine hervorragende Anstandsdame abgibt.“ Dann legte Amanda auf.

3. KAPITEL

Max betrachtete gedankenvoll das Mädchen, das vor ihm saß. Amanda hatte recht, was die Größe seines Hauses betraf. Aber er wollte weder, dass Jilly ihn für einen Wüstling hielt, noch wollte er – und das wurde ihm erst jetzt klar – mit dieser überaus attraktiven jungen Frau unter einem Dach zusammenleben, wenn ihre Verbindung ausschließlich beruflicher Art war. Max spürte, dass Jilly ihn erwartungsvoll ansah. „Ja. Meine Schw...

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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