Julia Winterträume Band 12

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GEGEN ALLE VERNUNFT von HEWITT, KATE
Hingebungsvoll schmiegt Emily sich in Jasons Arme, dabei ist Jason Kingsley ihr Boss! Er will eine nette Frau, die ihm einen Erben schenkt, keine Romantikerin wie Emily. Aber wieso küsst er sie dann so? Nur um ihr zu beweisen, dass er doch nicht so vernünftig ist, wie sie denkt?

IM ZWIESPALT DER GEFÜHLE von COX, MAGGIE
Ihr neuer Job als Haushälterin auf dem abgeschiedenen Anwesen von Adrian Jacobs ist nicht gerade einfach: Der berühmte Bestseller-Autor spricht nur das Nötigste mit Liadan und scheint sich hinter einer undurchdringlichen Mauer zu verbergen - bis er sie zum ersten Mal küsst …

JUNGES HERZ - SO VERLIEBT von KENDRICK, SHARON
Nach nur einer gemeinsamen Nacht mit Daisy fliegt ihre Jugendliebe Marcus wieder in die USA. Daisy stürzt sich in einen Job als Werbetexterin. Als Marcus nach zwei Jahren zurückkehrt und ihr einen Heiratsantrag macht, lässt sie ihn abblitzen. Doch nur anfangs …


  • Erscheinungstag 01.11.2017
  • Bandnummer 0012
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709457
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hewitt, Maggie Cox, Sharon Kendrick

JULIA WINTERTRÄUME BAND 12

1. KAPITEL

„Sieht so aus, als hätte ich die Party verpasst.“

Emily Wood betrachtete missmutig die Überreste der Feier, doch nun drehte sie sich überrascht um. Stephanie hatte den Partyraum neben den Büros schon vor einer Stunde verlassen, in ausgelassener Stimmung und voller Pläne für ihre Hochzeit, die in einem Monat stattfinden würde. Auch die anderen Angestellten waren nach und nach gegangen und hatten Emily zwischen ein paar Tischen voller krümelübersäter Teller und halb leerer Champagnergläser zurückgelassen.

„Jason!“, stieß sie hervor, als sie den Mann entdeckte, der in der Tür lehnte. „Du bist wieder in London!“

„Mein Flugzeug ist vor einer Stunde gelandet“, erwiderte Jason und betrachtete zerknirscht das Durcheinander. „Ich dachte, ich würde es noch rechtzeitig zur Party schaffen, aber offensichtlich habe ich mich geirrt.“

„Du kommst gerade richtig zum Aufräumen“, antwortete Emily leichthin. Sie ging quer durch den Raum und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen. „Wie schön, dich zu sehen.“ Seine Haut war warm, und die kräftige Zitrusnote seines Aftershaves stieg ihr in die Nase.

Sie war überrascht, dass der unerschütterliche geradlinige Jason so einen intensiven Duft trug. Als Junge hatte er sie aus vielen Schwierigkeiten befreit und Highfield später für eine hochkarätige Karriere im Bauwesen verlassen. Er war ihr Chef und der älteste Freund der Familie. Ob er auch ihr Freund war, stand auf einem ganz anderen Blatt. Sein kühler Gesichtsausdruck erinnerte sie daran, dass Jason sie schon immer leicht missbilligend betrachtet hatte.

Sie lächelte und trat einen Schritt zurück. Jason hatte sich nicht vom Fleck gerührt, doch Emily bemerkte ein leises Zucken in seinen Mundwinkeln. Es sah beinahe wie ein Lächeln aus.

„Ich wusste gar nicht, dass du in der Stadt bist“, sagte sie.

Als Gründer und Generaldirektor von „Kingsley Engineering“ befand sich Jason den größten Teil des Jahres auf Reisen. Emily konnte sich nicht erinnern, wann sie von ihm mehr als einen schnell über den Flur huschenden dunklen Anzug gesehen hatte; vielleicht war sie ihm auch einmal im Chaos eines Familientreffens in Surrey begegnet. Ganz bestimmt aber hatte er nie zuvor den Kontakt zu ihr gesucht.

Er ist nicht meinetwegen hier, sondern wegen der Party, dachte Emily und begann, die mit Zuckerguss verschmierten Teller einzusammeln.

„Ich dachte, es wäre allmählich Zeit für mich, nach Hause zu kommen.“ Jason betrachtete die abgeräumten Tische. „Die Party scheint ein Erfolg gewesen zu sein. Aber etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.“

Ein Erfolg, kein Spaß. Typisch Jason. Sie runzelte die Stirn. „Ach, und warum?“

„Weil du ein ziemlich fleißiger kleiner Promi bist, Em.“

Emily fuhr verärgert auf. Aus Jasons Mund hörten sich diese Worte nicht nach einem Kompliment an. Dass sie sich auf einem Fest amüsierte, machte schließlich noch kein oberflächliches Partygirl aus ihr. Es überraschte sie, dass er sie mit ihrem Spitznamen aus Kindertagen rief.

„Kleine Em“, hatte er sie gehänselt und an ihren Zöpfen gezogen. Inzwischen waren sie sich allerdings kaum noch begegnet. Obwohl Emily seine Angestellte war, hatte sie ihn in den fünf Jahren, die sie schon bei Kingsley Engineering arbeitete, nur selten zu Gesicht bekommen. Schließlich war er fast ständig auf Geschäftsreise.

„Ich wusste nicht, dass du über mein gesellschaftliches Leben Buch führst“, sagte sie halb amüsiert.

„Nun, in Anbetracht unserer gemeinsamen Geschichte sehe ich das als meine Pflicht an. Außerdem tauchst du so oft in den Klatschspalten auf, dass man dich unmöglich übersehen kann.“

Emily lächelte ihn kess an. „Sag bloß, du liest die Klatschpresse?“

„Ich lese sie täglich, und ich kann es morgens kaum erwarten.“

Sie brach in helles Gelächter aus. Die Vorstellung, wie Jason über Fotos von alternden Playboys brütete, war einfach zu komisch. Allerdings war seine Bemerkung wohl kaum scherzhaft gemeint – er machte nie Witze. Emily hatte sich schon oft gefragt, ob Jasons Sinn für Humor vielleicht operativ entfernt worden war.

„Meine Assistentin sieht die Klatschspalten für mich durch“, fuhr Jason ernst fort. „Ich muss schließlich wissen, was meine Mitarbeiter im Schilde führen.“

Ja, so war er. Das war der wahre Jason, den sie kannte und an den sie sich erinnerte. Er hatte nie gezögert, mit ihr zu schimpfen oder sie mit einem strengen Blick zu strafen.

Emily zauberte ein süßes Lächeln auf ihr Gesicht. „Nun, wie du siehst, war es eine ziemlich wilde Party. Es gab Kuchen und Luftschlangen, und irgendwer hat sogar die Karaoke-Maschine rausgeholt. Skandalös!“

„Vergiss den Champagner nicht.“

Emily griff nach einem leeren Sektglas. „Wie hast du das erraten?“

„Ich habe ihn bestellt.“

„Tatsächlich?“ Sie konnte ihr Erstaunen nicht verbergen, und wieder zuckte es sachte um Jasons Mundwinkel.

Er lehnte lässig in der Eingangstür. „Also wirklich, Emily. So ein strenger Vorgesetzter bin ich nun auch nicht. Außerdem habe ich ernsthaft versucht, rechtzeitig auf diese Party zu kommen. Schließlich hat Stephanie mehr als fünf Jahre für Kingsley gearbeitet.“

„Ach, deshalb bist du hier. Wahrscheinlich verleihst du in solchen Fällen eine Art Ehrenmedaille.“

„Die gibt es erst nach zehn Jahren Firmenzugehörigkeit“, gab Jason zurück. Emily blieb der Mund offen stehen. Er machte wohl Witze. Als sie das verräterische Glitzern in seinen Augen sah, begriff sie, dass er tatsächlich gescherzt hatte. Zwei Witze an einem Tag! Was war in Afrika nur mit ihm passiert?

Emily fühlte sich bei dem ungewohnten Geplänkel etwas unbehaglich. Sie unterbrach ihre Aufräumarbeiten und sah Jason genauer an. Natürlich trug er einen Anzug aus edler grauer Seide und dazu eine dezente marineblaue Krawatte. Sein schokoladenbraunes Haar war kurz geschnitten und hatte dieselbe Farbe wie seine Augen. Er sah frisch, sauber und gepflegt aus. Sein kleines überlegenes Lächeln ließ ihn distanziert und unerreichbar wirken. Emily hatte dieses Lächeln nie gemocht, aber sie hatte es als Teil von Jason akzeptiert. Es gehörte einfach zu ihrem zwölf Jahre älteren Schwager, der stets unnahbar und ein bisschen geringschätzig wirkte.

Er hatte sich nie an ihren albernen Kinderspielen beteiligt. Wenn sie, ihre Schwester Isobel und Jasons jüngerer Bruder Jack sich in die unmöglichsten Situationen manövrierten, war es stets Jason, der ihnen aus der Klemme half und hinterher die verdiente Standpauke hielt. Wenn sie sich auch manchmal über ihn ärgerte, so stellte Emily doch nie Jasons natürliche Autorität infrage.

Als Emily vor fünf Jahren nach London kam und einen Job suchte, schickte er sie zu Stephanie, die damals bereits die Personalabteilung leitete. Er hielt sich gerade so lange in London auf, wie sie als Sekretärin eingearbeitet wurde, und verschwand dann nach Asien, um ein Bauprojekt zu leiten. Seitdem hatte er sie nur im Büro getroffen, wo er stets kühle professionelle Distanz wahrte.

Manchmal sahen sie sich in Surrey bei einem Familientreffen. Und dort war Jason, wie er immer gewesen war – rechthaberisch und ein bisschen langweilig, aber eben … Jason.

Emily drehte sich wieder zu dem Tisch mit den Papptellern um. „Bleibst du diesmal länger in der Stadt?“

„Ein paar Monate hoffe ich. Ich muss mich um einige Dinge hier vor Ort kümmern.“ Er plauderte scheinbar zwanglos, doch in seiner Stimme lag ein Unterton, der Emilys Neugier weckte. Jasons verschlossenes Gesicht gab nichts preis.

„Dinge vor Ort?“, wiederholte Emily und versenkte einen weiteren Stapel Pappteller im Papierkorb. „Ich wusste gar nicht, dass ‚Kingsley Engineering‘ ein lokales Projekt betreut.“ Jason war auf Bewässerungssysteme für Entwicklungsländer spezialisiert. Soweit sie wusste, führte er keine Bauvorhaben in London durch.

„Es hat nichts mit der Firma zu tun“, antwortete Jason leise.

„Ist es etwas Familiäres?“ Emily dachte an Jasons schweigsamen Vater und seinen rüpelhaften Bruder, der nun mit ihrer eigenen Schwester verheiratet war. War jemand in Schwierigkeiten oder krank? Sie runzelte die Stirn, und wieder zuckten Jasons Mundwinkel vielsagend, als er den Kopf schüttelte.

„Du bist ganz schön neugierig, weißt du das? Wenn du es unbedingt wissen willst: Es hat nichts mit der Familie zu tun. Es ist etwas Persönliches“, sagte er ironisch, und sie fühlte sich wieder wie das ungezogene kleine Mädchen, das sie für den lässigen Teenager Jason zweifellos gewesen war. Und auch für den jungen Mann. Als sie eine Zahnspange bekam, hatte er schon seine eigene Firma gegründet und die erste Million verdient.

„Sorry, keine weiteren Fragen.“ Sie lächelte ebenso ironisch zurück, entschlossen, locker zu wirken, obwohl sie ihre Neugier kaum noch zügeln konnte. Was für persönliche Angelegenheiten konnte Jason Kingsley haben? Im Büro brodelte die Gerüchteküche um das Privatleben des Chefs, denn wenn er sich in London aufhielt, ließ er sich bei offiziellen Anlässen mit ständig wechselnden Begleiterinnen sehen. Meistens handelte es sich um glamouröse oberflächliche Frauen, die in Emilys Augen überhaupt nicht zu Jason passten.

Doch Emily interessierte sich nicht besonders für Jasons private Angelegenheiten. Warum sollte sie auch? Sie sah ihn schließlich kaum. Zwar waren ihre Familien durch die Ehe ihrer älteren Schwester mit Jasons jüngerem Bruder verbunden, doch Jason ließ sich so gut wie nie in Highfield blicken, dem Dorf, in dem sie beide aufgewachsen waren. Und er hatte schon erwähnt, dass es nicht um die Familie ging. Was konnte es also sein?

Es hatte auf keinen Fall etwas mit ihr zu tun, so viel war klar. Wahrscheinlich ging es um etwas so Langweiliges wie alte Schulden oder einen eingewachsenen Zehennagel. Plötzlich sah sie vor ihrem geistigen Auge, wie Jason beim Arzt auf dem Untersuchungstisch saß. Er war mit einem dieser scheußlichen Nachthemden aus Papier bekleidet. Die Vorstellung war lächerlich, doch zugleich faszinierte sie Emily, denn ihre blühende Fantasie machte es ihr leicht, sich vorzustellen, wie Jasons nackte Brust aussah.

Sie schlug die Hand vor den Mund, um das hervorbrechende Gelächter zu ersticken.

Jason sah sie an und schüttelte den Kopf. „Es fiel dir schon immer leicht, das Leben von seiner heiteren Seite zu nehmen, stimmt’s?“, fragte er sarkastisch.

Emily ließ die Hand sinken und schenkte Jason ein strahlendes Lächeln. „Oh ja, auch wenn es in Gesellschaft mancher Menschen etwas mühsam ist.“

Seine Augen wurden schmal, doch er schwieg.

Emily wusste, dass Jason ihr freches Auftreten missbilligte. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie skeptisch er sie gemustert hatte, als sie nach London gekommen war und ihn nach einem Job gefragt hatte. Rückblickend musste sie zugeben, dass sie tatsächlich leichtsinnig gewesen war. Völlig unbekümmert hatte sie angenommen, dass Jason ihr Arbeit geben und sie auch dafür bezahlen würde. Dabei war völlig klar, dass er an ihren beruflichen Fähigkeiten große Zweifel hatte – die sie in den vergangenen fünf Jahren hoffentlich zerstreuen konnte. Sie war bereit, die jüngste Chefin der Personalabteilung zu werden, die „Kingsley“ je gehabt hatte. Stephanie behauptete, Jason selbst hätte ihren Aufstieg angeordnet. Doch als er sie nun ironisch anlächelte, fühlte sie sich wieder wie das dumme kleine Mädchen, das sie einmal gewesen war.

„Stephanie heiratet also nächsten Monat.“ Jason dachte laut nach. „Dieser Timothy – ist der okay?“

„Er ist wundervoll.“ Emily bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen. „Ehrlich gesagt: Ich bin nicht ganz unschuldig daran, dass die beiden zusammen sind.“

Skeptisch zog Jason eine Augenbraue hoch. „Tatsächlich?“

„Ja, tatsächlich“, antwortete sie leicht gereizt. „Tim ist der Freund eines Freundes von Isobel, und sie hat mir erzählt, dass Annie ihr gesagt hat …“

„Das hört sich viel zu kompliziert an.“

„Für dich vielleicht“, gab Emily zurück. „Ich fand es ziemlich einfach. Annie sagte also …“

„Erzähl mir die Kurzfassung“, unterbrach Jason sie, und Emily verdrehte die Augen.

„Also gut. Ich war zu einer Party eingeladen und habe die beiden gefragt, ob sie nicht auch hingehen wollten …“

„Das kann ich mir gut vorstellen.“

„Also, es war eine Spendenparty“, erklärte Emily weiter. „Für unheilbar kranke Kinder. Jedenfalls haben sie sich dort das erste Mal gesehen und …“

„Es war Liebe auf den ersten Blick, richtig?“, warf Jason spöttisch ein.

Emily runzelte die Stirn. „Nein, natürlich nicht. Aber wenn ich nicht ein bisschen nachgeholfen hätte, wären sie sich nie über den Weg gelaufen. Außerdem war Timothy nach dem Tod seiner Frau ein bisschen schüchtern, und Steph verabscheut Blind Dates und …“

„Du musstest also Händchen halten?“

„Ich musste sie dazu bringen, miteinander Händchen zu halten. Natürlich lässt sich Liebe nicht erzwingen …“

„Allerdings.“

Emily sah Jason neugierig an, verwundert über den dunklen Unterton in seiner Stimme. „Jedenfalls werden sie in wenigen Wochen heiraten, es hat sich also alles gut entwickelt.“

„Sehr gut sogar.“ Jason war näher an sie herangetreten, und wieder nahm sie den intensiven Duft seines Aftershaves wahr. Plötzlich spürte sie die Hitze seines Körpers, und ein erregendes Prickeln lief ihr über die nackten Arme und den Rücken hinab. Er war wirklich sehr nah gekommen.

„Du hast Zuckerguss im Haar.“ Sanft strich er ihr eine klebrige Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Berührung war nur ein Hauch, doch Emily erstarrte. Sie wusste, dass sie völlig zerzaust aussah. Aus ihrer Frisur hatten sich ein paar Strähnen gelöst, und ein Kaffeefleck prangte auf ihrem Rock.

Lachend schob sie sich eine weitere widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich weiß, ich sehe verheerend aus. Ich muss nur schnell noch die Reste hier aufräumen.“

„Lass das doch die Putzfrau machen.“

„Alice? Sie hat sich einen Tag freigenommen.“

„Du weißt, wie die Putzfrau heißt?“

„Ich werde bald die Personalabteilung leiten“, erinnerte Emily ihn. „Ihre Mutter ist krank, und sie ist über das Wochenende nach Manchester gefahren, um sie in einem Pflegeheim unterzubringen. Die Entscheidung ist ihr furchtbar schwergefallen, aber ich glaube, dass es richtig …“

„Sicher“, unterbrach Jason sie.

„Tut mir furchtbar leid, wenn ich dich mit Details langweile, aber ich dachte, du führst Buch über das Leben deiner Angestellten. Oder gilt das nur für diejenigen, die in der Klatschpresse auftauchen?“

„Ich mache mir eher Sorgen, dass ein Skandal ein schlechtes Licht auf ‚Kingsley Engineering‘ werfen könnte. Ob eine Putzfrau sich freinimmt, ist mir dagegen ziemlich gleichgültig. Aber es ist faszinierend, wie sehr du dich für das Leben anderer Leute interessierst.“

Emily fühlte, wie sie rot wurde. Sie mochte gelegentlich leichtsinnig sein, doch sie war noch nie in einen richtigen Skandal verwickelt gewesen. Aber für Jason ist das wahrscheinlich ein und dasselbe, dachte sie.

„Ich nehme an“, bemerkte sie spitz, „genau aus diesem Grund passe ich so gut in die Personalabteilung.“

„Ja, und nicht nur deshalb.“ Diesmal lächelte er wirklich, und auf seiner Wange zeichnete sich ein Grübchen ab. Das habe ich ganz vergessen, und ich wusste auch nicht mehr, dass seine Augen honigfarben werden, wenn er lächelt, dachte Emily. Abrupt drehte sie sich wieder zum Tisch um.

„Planst du auch Stephanies Hochzeit? Die ganz große Party?“

Emily blickte Jason an und strich sich erneut eine Haarsträhne zurück. „Die Hochzeit? Um Himmels willen, nein. Damit wäre ich völlig überfordert. Außerdem heiratet sie in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist.“

„Aber du wirst dort sein? Als Trauzeugin nehme ich an?“

„Ja, natürlich.“

Jasons Lächeln wurde breiter, und das Grübchen vertiefte sich. In seinen Augen blitzte etwas Dunkles, Beunruhigendes auf. „Du wirst tanzen, stimmt’s? Auf der Hochzeit?“, murmelte er heiser. Nie zuvor hatte er so mit ihr geredet. Der Klang seiner Stimme ließ sie erschauern. Sie runzelte die Stirn, und als sie verstand, worauf Jason mit seiner kleinen Bemerkung anspielte, erstarrte sie …

Die Hochzeit von Isobel und Jack, auf der Emily und Jason miteinander getanzt hatten. Sie war erst siebzehn und noch sehr dumm gewesen. In den sieben Jahren, die seitdem vergangen waren, hatten weder Jason noch sie selbst dieses Ereignis je erwähnt. Sie nahm an, dass er es vergessen hatte – genau wie sie. Beinahe … bis jetzt. Nun machte die Erinnerung daran sie äußerst verlegen.

„Natürlich“. Emily versuchte, unbekümmert zu wirken. Sie würde seine Anspielung einfach übergehen.

„Ich tanze furchtbar gern.“ Sie sah ihn forschend an, und trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre fühlte sie sich wieder wie ein unsicherer Teenager. Damals hatte sie sich ziemlich lächerlich gemacht, aber wenigstens konnte sie heute darüber lachen. Sie würde darüber lachen.

„Ich weiß“, erwiderte Jason. „Ich weiß noch sehr gut, wie wir miteinander getanzt haben.“ Und eine Sekunde lang umspielte ein Lächeln seinen Mund, während er ihren Blick erwiderte. Die Farbe seiner Augen war erstaunlich … wie Whisky oder Schokolade, aber mit goldenen Sprenkeln darin.

„Erinnerst du dich nicht mehr?“, fragte er mit gepresster Stimme. Es klang beinahe herausfordernd.

Er wollte sie also wirklich zwingen, darüber zu sprechen. Das dunkle Glitzern in seinen Augen verriet ihr, dass er sich über sie lustig machte. Sie setzte ein ironisches Lächeln auf und war entschlossen, diese Begegnung heil zu überstehen. „Aber ja. Wie könnte ich das vergessen?“

Jason schwieg.

Emily schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen, als handelte es sich um eine amüsante kleine Anekdote. Dabei war es eine ziemlich dumme Geschichte, die da vor sieben Jahren passiert war, die sie aber heute nicht mehr in Verlegenheit bringen konnte, auch wenn sie sich damals beschämt und gedemütigt gefühlt hatte.

Es ist nur, redete Emily sich ein, dass wir noch nie darüber gesprochen haben, nicht, als er mich eingestellt hat, und auch nicht, als er mich bei der Taufe unserer Nichte auf die Wange geküsst hat. Er war immer auf Distanz geblieben, und erst jetzt wurde Emily bewusst, wie froh sie darüber gewesen war. Doch nun war er hier, ganz nahe. Er holte all diese Erinnerungen ans Tageslicht und benahm sich so merkwürdig, dass sie ihn kaum wiedererkannte. Es brachte sie völlig aus der Fassung.

Sie bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln. „Ich habe mich wohl ziemlich lächerlich gemacht.“

Jason hob eine Augenbraue. „So siehst du das?“

Ja, klar. Er würde es ihr nicht leicht machen. Sie kannte sein spöttisches Lächeln und die ironisch hochgezogene Augenbraue seit Kindertagen, doch die Distanz der letzten Jahre hatte sie vergessen lassen, wie stark seine Wirkung auf sie war.

„Erinnerst du dich wirklich nicht?“, fragte Emily mit gespieltem Schaudern. „Da kannst du aber froh sein.“

Jason schwieg einen Moment, während Emily das schmutzige Besteck zu einem ordentlichen Stapel aufzutürmen versuchte.

„Ich erinnere mich sehr gut daran“, sagte er schließlich ernst, und sie fühlte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Noch heute errötete sie bei dem Gedanken, wie jung und glücklich sie gewesen war – und wie furchtbar dumm.

Jason hatte sie zum Tanzen aufgefordert, wie es sich für den Bruder des Bräutigams gehörte. Für sie, das naive siebzehnjährige Mädchen, war er ein erfahrener Mann von neunundzwanzig Jahren, und sie war atemlos und euphorisch von drei Gläsern Champagner, als er sie in seine Arme nahm und einen Walzer mit ihr zu tanzen begann. Emily wusste, dass es sich um einen Pflichttanz handelte – sie hatte eigentlich mit dem langweiligen Jason Kingsley nicht einmal tanzen wollen.

Doch als er sie in die Arme nahm und im genau richtigen Abstand über die Tanzfläche führte, fühlte sie etwas ganz anderes. Das Gefühl war neu, prickelnd und beunruhigend schön. Sie war noch unberührt und hatte dieses süße Drängen nie zuvor empfunden. Und obwohl Jasons Blick ernst und der Walzer langweilig war, hob sie ihr Kinn und lächelte ihn mit ihrem ganzen Charme an. Dann sagte sie kokett zu ihm: „Du siehst ziemlich gut aus, weißt du.“

Jason schaute auf sie herab, der Blick verdrießlich und ernst, das Gesicht versteinert. „Danke.“

Das war nicht die Antwort, die sie erwartet hatte. Zwar war sie nicht sicher, was man in einer solchen Situation zu sagen hatte, aber sie wusste, dass ihr nicht gefiel, was sie hörte. Dabei war er mit seinem dunklen Haar und den braunen Augen wirklich attraktiv. Sie konnte seine Wärme und Kraft fühlen, und die Wirkung des Champagners, der durch ihre Adern kreiste, ließ sie hinzufügen: „Möchtest du mich vielleicht küssen?“

Sie streckte ihm ihr hübsches kleines Kinn noch weiter entgegen, und sie war dumm genug, die Lippen zu spitzen und auf seinen Kuss zu warten. Ihre geschlossenen Augenlider flatterten vor Verlangen, sosehr wünschte sie sich, dass er sie küsste. Es wäre ihr erster Kuss gewesen, und in diesem Moment wollte sie ihn so sehr. Sie wollte Jason, und das war lächerlich, denn bevor er sie zum Tanzen aufgefordert hatte, war ihr niemals ein derartiger Gedanke in den Sinn gekommen.

Der Moment dauerte zu lange.

Nach einigen qualvollen Sekunden kam die Ernüchterung über Emily wie eine kalte Dusche. Sie öffnete die Augen und sah, dass Jason sie geradezu zornig anstarrte. Seine Augen waren schmal, die Lippen fest zusammengepresst, und er wirkte überhaupt nicht mehr freundlich – oder langweilig. Ihre Koketterie war verflogen. Sie fühlte sich so schal wie der Bodensatz in ihrem Champagnerglas. Beinahe fürchtete sie sich.

Dann änderte sich Jasons Gesichtsausdruck. Er blieb stehen und lächelte schwach. „Ich würde gern. Aber ich werde es nicht tun.“ Und bevor der Tanz richtig begonnen hatte, schob er sie sanft und bestimmt von sich und verließ die Tanzfläche.

Reglos stand Emily einige Sekunden da. Sie konnte nicht glauben, dass er sie auf der Tanzfläche stehen ließ und sie damit in aller Öffentlichkeit bloßstellte, aber noch demütigender war es, dass Jason sie so brüsk zurückgewiesen hatte. Sie war damals sicher, dass er sie nicht küssen wollte. Und weil sie siebzehn, betrunken und noch vollkommen unschuldig war, brachte sie es nicht fertig, die Tanzfläche hoch erhobenen Hauptes und mit straffen Schultern zu verlassen, wie sie es gern getan hätte. Betrunken stolperte sie über das Parkett, schon in Tränen aufgelöst, bevor sie den Tanzsaal verlassen hatte.

Wirklich eine Idiotin.

Jetzt lächelte sie Jason strahlend an und verbannte die Erinnerungen – und ihre Demütigung – in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses. „Keine Angst, ich werde dich ganz sicher nicht bitten, noch einmal mit mir zu tanzen, versprochen!“

Ein sanftes Lächeln lief über Jasons Gesicht. Er betrachtete sie aufmerksam, als nähme er die Maße ihres Körpers. „Aber Em, ich habe mich darauf verlassen, dass du mich heute zum Tanzen aufforderst.“

Emily lachte unsicher. „Nun, dann werde ich dich jedenfalls nicht bitten, mich zu küssen.“

„Darüber bin ich ganz besonders enttäuscht“, antwortete Jason mit weicher Stimme. Emily fuhr erschrocken zusammen und brachte kein Wort heraus. Dann wurde ihr klar, dass Jason sie einfach aufzog, wie sie es von jeher gewohnt war. Nur hatte er sie noch nie so geneckt.

Jason sah Emilys schreckgeweitete jadegrüne Augen und beobachtete, wie sie mit der Zunge die Unterlippe befeuchtete. Die unschuldige Geste ließ jäh heftiges Begehren in ihm aufwallen. Er ärgerte sich über sich selbst. Keinesfalls wollte er so für Emily empfinden … nicht noch einmal. Er hatte sie heute Abend nicht einmal treffen wollen.

Es blieben ihm nur wenige Monate in London, und Zeit, mit Emily Wood zu verbringen stand ganz unten auf seiner Prioritätenliste. Eigentlich war es nur wichtig, keine Zeit mit ihr zu verbringen. Er kannte genug passendere Frauen, mit denen er ausgehen konnte. Vernünftige, sachliche, geschäftsmäßige Damen, die seinen Ansprüchen genügten. Emily mit ihren Katzenaugen, dem koketten Lächeln und den endlos langen Beinen war nichts von alldem. Und vor allem: Sie war tabu. Und dafür gab es mehr Gründe, als er aufzählen konnte.

„Nun, wie fühlst du dich als angehende Abteilungsleiterin?“ Jason war entschlossen, das Gespräch wieder auf berufliche Themen zu lenken. „Die Jüngste, die wir je hatten.“

„Eigenartig.“ Emily zögerte. „Ich hoffe, ich bin der Aufgabe gewachsen.“

„Das bist du ganz bestimmt“. Er hatte aus der Ferne verfolgt, wie sie in ihren Job hineinwuchs. Er war überrascht und erfreut, wie gut sie ihre Aufgabe meisterte, und fühlte sich darin bestärkt, dass ihm mit ihrer Beförderung ein eleganter Schachzug gelungen war, auch wenn einige Mitarbeiter – darunter Emily selbst – zu glauben schienen, dass er sie begünstigte, weil sie zur Familie gehörte. Jason ließ sich jedoch in Geschäftsdingen nicht von Gefühlen leiten. Er ließ sich nie von seinen Gefühlen leiten.

„Deine erste Aufgabe wird es sein, am Montag ein Vorstellungsgespräch zu führen. Eine Frau hat sich um eine Stelle als Empfangssekretärin beworben.“

Emily sah ihn scharf an. „Ach ja?“, fragte sie vorsichtig.

„Ihr Name ist Helen Smith. Sie ist gerade nach London gezogen und könnte gut jemanden gebrauchen, der ihr ein bisschen unter die Arme greift.“

„Ist sie eine Freundin von dir?“ Emilys Stimme klang schrill, und Jason unterdrückte ein Lächeln. Manchmal war sie so leicht zu durchschauen. War sie etwa eifersüchtig? Verbarg sich tief in ihrem Innern vielleicht noch ein bisschen von der jugendlichen Schwärmerei, die sie vor sieben Jahren für ihn empfunden hatte?

Der Gedanke war verführerisch … und gefährlich.

Er dachte an den Moment, als sie ihr hübsches Gesicht zu ihm erhob und sagte: „Möchtest du mich vielleicht küssen?“ Und er wollte es, mehr, als er sich selbst eingestehen konnte.

Die plötzliche Begierde war so stark, dass Jasons Knie zitterten. Sie war siebzehn, fast noch ein Kind, vollkommen unschuldig und sehr naiv. Die Stärke seines Verlangens hatte ihn schockiert und beschämt; er hatte die Hochzeit sofort verlassen und noch lange vor heftigem unterdrücktem Begehren gezittert.

Es war ihm gelungen, Emily vollständig aus seinen Gedanken zu verbannen. Er hatte sie fast völlig vergessen, bis sie drei Jahre später fröhlich, planlos und ohne Arbeit in London aufgetaucht war und er ihr widerstrebend einen Job besorgt hatte.

Er dachte daran, wie sie sich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch gerekelt hatte. Das honigblonde Haar fiel ihr über die Schultern, und die grünen Katzenaugen leuchteten vor Übermut. Sie trug einen unanständig kurzen Minirock und ein grünes Top, dessen kräftige Farbe zu ihren Augen passte. Wahrscheinlich hielt sie diesen Aufzug für bürotauglich. Er konnte den Blick nicht von ihren langen gebräunten Beinen abwenden. Fasziniert beobachtete er, wie sie einen hochhackigen Schuh mit Pfennigabsatz von ihren dunkelrot lackierten Zehen baumeln ließ.

Jason stand hinter dem Schreibtisch, die Hände in den Hosentaschen, und tat sein Bestes, um so streng und missbilligend wie möglich zu wirken. Sie war zu der Zeit erst zwanzig, arglos, schön und sehr jung. Zwar hatte er vergessen, wie stark ihre Wirkung auf ihn war, doch in diesem Moment kehrte die Erinnerung daran mit aller Macht zurück.

„Ich mache alles, was du willst“, behauptete sie, als sie in seinem Büro saß. „Ich bin nicht anspruchsvoll.“

Er stand ihr gegenüber und versuchte streng auszusehen. Seine Miene sollte nicht verraten, was er sie am liebsten hätte tun lassen.

Das war drei Jahre nach ihrem Tanz auf der Hochzeit gewesen. Er hatte sie in diesen drei Jahren kaum gesehen, und doch wallte dieselbe wilde Begierde wieder in ihm auf. Als sie sich vorbeugte, umspielte ihr Haar ihr Gesicht, und er roch den Duft ihres Shampoos. Erdbeere.

Ihre Augen unter den dichten Wimpern funkelten ihn amüsiert an. „Nun guck nicht so böse, Jason! Ich bin wirklich nicht so schlimm.“

Er lächelte gezwungen. „Und was immer du für mich tun sollst – du möchtest auch dafür bezahlt werden, nehme ich an?“

Plötzlich sah sie verwirrt aus, schutzlos und verletzlich, und mit einem Anflug von Selbstverachtung begriff er, wie jung und in jeder Hinsicht unerfahren sie war. Doch dann lachte sie, und Jasons Hände fuhren tiefer in seine Hosentaschen. Emily hatte das Lachen einer reifen Frau, sexy und heißblütig. Seit wann hatte sie dieses Lachen? Wann war aus ihr eine erwachsene Frau geworden?

„Nun, ein bisschen Geld könnte ich schon gebrauchen“, gab sie mit argloser Aufrichtigkeit zu, die ihn gleichzeitig ärgerte und rührte.

Er hatte ihr also einen Job gegeben und war dann sofort auf Abstand gegangen. Auf keinen Fall wollte er sich auf eine naive Unschuld wie Emily einlassen, vor allem, wenn er an die Beziehungen zwischen ihren Familien dachte. Und das war ihm gelungen … bis jetzt.

Bis zu diesem Abend, wo er sie im Partyraum antraf und sie ein so kurzes bonbonrosa Kostüm trug, dass er beinahe ihren Po sehen konnte, wenn sie sich nach den Abfällen auf dem Boden bückte.

Er hätte gehen sollen, bevor sie ihn bemerkte. Es wäre weiß Gott nicht das erste Mal gewesen. Doch irgendetwas brachte ihn dazu, den Raum zu betreten, sie anzusprechen – und zu bleiben. Als er Emily nach so langer Zeit sah, fühlte er sich wie ein Wanderer in der Wüste, der endlich auf eine Quelle stößt. Ihre Wärme und ihr Lachen hüllten ihn ein, und er wollte mehr. Also blieb er, sie scherzten und flirteten, und er war unvorsichtig genug, jenen Beinahe-Kuss von damals zu erwähnen. Jason verstand sich selbst nicht mehr. Er war froh, nicht mehr daran denken zu müssen – warum brachte er das Vorkommnis dann überhaupt zur Sprache?

Sicherlich ging es Emily genauso … oder war noch etwas von ihrer schulmädchenhaften Schwärmerei geblieben? Dieser Gedanke hätte ihn alarmieren sollen, doch stattdessen malte er sich voller Verlangen aus, wie das Grün ihrer Augen dunkler wurde und sie ihre Zunge noch einmal über ihre üppigen Lippen gleiten ließ.

Verärgert rief er sich zur Ordnung. Er musste sich endlich beherrschen. Er hatte Emily vor sich. Emily. Unangemessen, unpassend und tabu. Punkt.

„Helen Smith“, wiederholte Emily, und Jason bemerkte, dass sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte. „Ich sehe mal nach, wo ihr Lebenslauf ist.“

„Meine Assistentin hat ihn dir heute Nachmittag per E-Mail geschickt.“

„Ich verstehe.“ Sie blickte ihn neugierig an und drehte sich schnell zur Seite. „Ich werde es mir notieren.“

„Gut.“ Jason würde sich für den Rest dieses Gesprächs streng auf Geschäftliches beschränken. Er betrachtete ihr prächtiges blondes Haar, das sich aus dem Chignon gelöst hatte. Entschlossen wandte er den Blick ab.

„Schön“, gab Emily munter zurück. „Ich werde mein Bestes tun.“

„Gut.“

Nachdenklich ließ er seinen Blick über den aufgeräumten Partyraum wandern. Er musste noch ein paar Telefonate führen und eine Spendenaktion eröffnen. Alles wegen der persönlichen Angelegenheit, die Emily so neugierig machte … und über die er ihr ganz bestimmt nichts erzählen würde. Sein Mund wurde schmal. Sie würde es noch früh genug erfahren.

Jason sah wieder so ernst und streng aus wie immer, und Emily entschied, dass das ein gutes Zeichen war. Einen Moment lang war es ihr vorgekommen, als sei er nicht mehr er selbst, und der Gedanke beunruhigte sie. Noch bedenklicher fand sie jedoch ihre eigene Reaktion, als Jason mit heiserer Stimme murmelte, er sei enttäuscht …

Abrupt beendete Emily ihre Träumerei. Daran musste sie nun wirklich keinen Gedanken verschwenden. Zufrieden betrachtete sie den aufgeräumten Raum und vermied es, Jason anzusehen. Dann schaltete sie das Licht aus.

Inzwischen hatte sich die Dämmerung sanft über die Stadt gelegt, und als Emily auf den Lichtschalter drückte, war der Raum plötzlich vollkommen finster.

„Ups …“ Sie lachte verlegen. In der Dunkelheit erschien ihr die Situation beinahe … intim. Sie hörte Jason leise atmen, und als sie nach dem Lichtschalter tastete, spürte sie stattdessen, wie sich seine harte Brust unter ihrer Handfläche spannte. Sie hatte nicht bemerkt, dass er so dicht bei ihr stand. Hastig zog sie ihre Hand zurück. Der Abdruck seiner muskulösen Brust brannte auf ihrer Haut. Sie wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass sie sich ihm an den Hals warf … schon wieder.

„Entschuldigung“, murmelte sie und blieb wie angewurzelt stehen, unfähig zu denken oder zu handeln. „Ich … ich muss nur den Schalter finden …“, stammelte sie verlegen.

„Der ist hier.“ Jason griff hinter sie und legte den Schalter um. Emily trat einen Schritt zurück, als der Raum in kaltem Neonlicht erstrahlte.

Sie fühlte heiße Röte in ihren Wangen aufsteigen, was sinnlos war, denn es gab nichts, was ihr peinlich sein musste. Und doch fühlte sie sich genau wie vor sieben Jahren, als sie sich ihm so unschuldig anbot – und zurückgestoßen wurde.

Genau wie damals starrte Jason sie auch jetzt wieder fast zornig an. Erleichtert fühlte Emily, wie Ärger in ihr aufflammte. Dies war wenigstens ein vertrautes Gefühl.

Sie trat noch einen Schritt zurück. „Danke.“ Energisch strich sie ihr Haar hinter die Ohren. „Ich nehme an, wir werden uns hin und wieder sehen, jetzt, wo du in London bist.“

„Ganz sicher.“ Jasons Gesicht war ausdruckslos, doch er blickte sie intensiv an. „Du hast sicher noch zu tun“, sagte sie spröde. „Und ich muss jetzt nach Hause. Gute Nacht, Jason.“ Ohne sich umzudrehen, eilte sie über den Flur davon in den Schutz ihres Büros, so verwirrt wie das siebzehnjährige Mädchen, das tränenüberströmt aus dem Ballsaal geflüchtet war.

2. KAPITEL

Emily beobachtete, wie die junge Frau vor ihrem Schreibtisch nervös den Stoff ihres billigen schwarzen Rocks in Falten legte. Helen Smith war schön und nur wenige Jahre jünger als Emily selbst. Prächtiges dunkles Haar umrahmte ihr blasses Gesicht, über dessen feine Züge ein schüchternes Lächeln huschte.

„Also …“ Emily überflog Helens dürftigen Lebenslauf und lächelte sie ermutigend an. „Sie haben in Liverpool als Kellnerin gearbeitet …“

„Und als Aushilfe im Büro“, fügte Helen eifrig hinzu. „Mr. Kingsley meinte, ich könnte eine Empfangsmitarbeiterin vertreten, die im Erziehungsurlaub ist.“

Nicht zum ersten Mal fragte sich Emily, was für ein Verhältnis Jason zu der hübschen Helen Smith hatte. Gehörte sie zu der persönlichen Angelegenheit, um die er sich kümmern musste?

„Ja, Sally hat gerade einen Jungen zur Welt gebracht.“ Emily legte den Lebenslauf zurück auf ihren Schreibtisch. „Mr. Kingsley hat also recht, wir haben eine freie Stelle.“

„Er ist wirklich sehr nett“, flüsterte Helen und senkte den Kopf. Das dunkle Haar fiel nach vorn und verdeckte ihr Gesicht. Obwohl sie Helens abgekaute Fingernägel und ihre verschlissene Jacke bemerkte, spürte Emily eine Welle der Zuneigung zu der jungen Frau.

„Er ist ein sehr guter Arbeitgeber“, sagte sie mit fester Stimme, und Helen nickte schüchtern.

„Ich bin froh, dass Richard mit ihm über mich sprechen konnte.“

Emily zog neugierig die Augenbrauen hoch. „Richard?“

Helen wurde rot, und die rosigen Wangen brachten ihren reizvollen Porzellanteint noch stärker zur Geltung.

„Mein … also, Richard ist ein Freund. Wir sind in Liverpool zusammen aufgewachsen und …“ Sie zog die Ärmel ihrer abgetragenen Wolljacke über die Hände. „Na ja, jetzt bin ich erwachsen“, fuhr Helen zögernd fort. „Und Richard meinte, wenn ich nach London ziehe und wir uns hin und wieder treffen …“ Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe. „Na ja, vielleicht funktioniert es ja mit uns.“

„Das hat er gesagt?“, entfuhr es Emily unwillkürlich. Es hörte sich äußerst unromantisch an!

Helen blickte sie aus großen grauen Augen an, in denen sich traurige Ungewissheit spiegelte. „Na ja, Sie wissen schon, um zu sehen, ob wir gut zusammenpassen.“

Wie ein Paar Schuhe. Emily schauderte – etwas Reizloseres konnte sie sich kaum vorstellen. Dabei durfte gerade sie sich kein Urteil erlauben. Sie hatte sich zwei Mal halbherzig auf eine Beziehung eingelassen, und beide Male endete es zwar nicht katastrophal, aber enttäuschend.

Doch wer sich auf eine Beziehung einließ, erwartete sicher mehr als das, was dieser Richard zu bieten hatte.

„Das hört sich sehr vernünftig an“, antwortete Emily. Zu vernünftig. Wo blieb da die Romantik? Die Liebe? Dabei war sie noch nie verliebt gewesen und bezweifelte, dass sich das je ändern würde. Echte Liebesheiraten – wie die ihrer Mutter und ihres Vaters – waren selten, und darum war Emily glücklich, dass sie Steph und Tim zusammengebracht hatte. Für sich selbst hatte sie die Hoffnung auf die große Liebe fast aufgegeben.

„Arbeitet Richard bei uns?“, fragte sie Helen und überflog im Geiste die enorme Anzahl von Angestellten, die auf Jasons Gehaltsliste standen.

„Ja, er war vor Kurzem mit Mr. Kingsley in Afrika“, antwortete Helen. „Er ist gerade wieder da.“

Nun wusste Emily, um welchen Richard es sich handelte. Richard Marsden war ein solider und vollkommen humorloser Ingenieur. Klar, dass der solche Vorschläge machte. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie Helen auf seinem Sofa saß und er ihr den Fünf-Jahres-Plan für ihre Beziehung präsentierte.

„Nun, es ist sicher schön für Sie, wenn Sie etwas Zeit mit ihm verbringen können“, sagte Emily diplomatisch.

„Ja …“ Helen zögerte, und Emily entschied, dass der persönliche Teil ihres Gespräches nun beendet war.

„Da Mr. Kingsley Sie empfohlen hat, will ich Sie gern einstellen. Wir müssen noch einige Formulare ausfüllen, und dann zeige ich Ihnen den Empfangsbereich.“

Helen strahlte. „Danke, Miss Wood.“

„Ach, bitte nenn mich Emily. Wir gehen hier locker miteinander um.“

Sie beobachtete, wie Helen sich über die Papiere beugte, und wünschte sich plötzlich, sie zu beschützen. Die unerfahrene junge Frau konnte sicher jemanden gebrauchen, der ihr zeigte, wo es langging – und mit dem sie sich amüsieren konnte.

„Komm“, sagte Emily, als Helen die Formulare ausgefüllt hatte. „Wir schnappen uns einen Kaffee, und dann führe ich dich herum, damit du ein paar Leute kennenlernst.“ Leute, die nicht so langweilig sind wie Richard Marsden, fügte sie im Stillen hinzu.

Emilys erster Tag als Personalchefin verlief ansonsten ohne besondere Vorkommnisse. Sie war überrascht, dass es schon nach fünf Uhr war, als sie ihre letzte E-Mail beendete und auf Senden klickte.

„Das scheint ein erfolgreicher erster Tag gewesen zu sein.“

Verwundert blickte Emily auf und sah Jason in der Bürotür stehen. Warum hatte sie ihn nicht kommen hören? Eine Sekunde lang setzte ihr Herz aus.

„Jason, hast du mich erschreckt!“ Sie lächelte ihn an. Um seine Augenwinkel hatten sich neue Linien eingegraben. Die afrikanische Sonne hatte ihn ein wenig altern lassen, doch das reifere Aussehen stand Jason ausgezeichnet. Schließlich war er um einiges älter als sie … beinahe vierzig. Zeit, ans Heiraten zu denken. Wahrscheinlich sucht er sich eine passende Frau, so wie Richard es mit Helen macht. Emily konnte sich gut vorstellen, dass Jason eine Liste aufstellte: Sie muss geschickt mit dem Bügeleisen, dem Golfschläger und dem Rasenmäher sein …

„Klar war er erfolgreich. Aber etwas anderes hast du ja auch nicht erwartet“, gab Emily ironisch zurück.

„Genau“. Jason schlenderte in ihr Büro, den Mantel über dem Arm. Wie üblich trug er einen dunklen Anzug, ein frisches Hemd und eine dunkelblaue Seidenkrawatte. Er sah gepflegt aus und so unnahbar wie immer, und doch war etwas anders. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden, als sie den intensiven Duft seines Aftershaves wahrnahm.

Emily stand vom Schreibtisch auf und war froh, dass sie für ihren ersten Tag als Chefin das kirschrote Kostüm mit taillierter Jacke und Minirock gewählt hatte. Sie sah, wie Jasons Blick ihre nackten Beine streifte und sein Mund schmal wurde.

Schelmisch hielt Emily ihm einen Fuß hin. „Gefallen dir meine Schuhe?“, fragte sie mit unschuldigem Augenaufschlag. Sie trug rote High Heels mit strassbesetzten Riemchen.

Betont gelangweilt betrachtete Jason ihr ausgestrecktes Bein. „Sehr hübsch“, bemerkte er trocken. „Aber nicht gerade passend fürs Büro.“

„Tja, ich musste mein Kostüm irgendwie auflockern“, sagte Emily kess.

Für Sekundenbruchteile sah Jason zornig aus. Dann lächelte er sie an, und seine Augen wurden so honigfarben wie am Abend zuvor. „Glaub mir, Emily, deine Kleidung ist locker genug. Aber wie wäre es mit einem Happen zu essen, und du erzählst mir, wie dein erster Tag war?“

Emily blinzelte erschrocken. „Dinner?“, fragte sie, als hätte sie Jason nicht verstanden, und er sah sie amüsiert an.

„Warum nicht? Gegen sechs Uhr abends essen viele Menschen gern etwas. Du weißt schon, Nahrungsaufnahme, Kontaktpflege und so.“

Emily lächelte. Sie hatte Jasons trockenen Humor ganz vergessen. Und obwohl die Einladung sie überraschte, freute sie sich und war neugierig zu erfahren, was es mit dieser persönlichen Sache auf sich hatte.

„Ich bin ehrlich gesagt ziemlich hungrig“, sagte sie und griff nach ihrem Mantel. „Du kannst mich also gern zum Dinner einladen.“

Jason sah, wie Emily einen schmalen Mantel über ihr eng anliegendes Kostüm zog, der nicht einmal ihre Beine bedeckte. Unwillkürlich runzelte er die Stirn. Eigentlich hatte er gar nicht in Emilys Büro vorbeischauen wollen. Doch anstatt direkt in sein Auto zu steigen, hatte er diesen kleinen Umweg gemacht, und als Emily ihm lachend ein goldbraunes, perfekt geformtes Bein hinhielt, war es um seine Entschlossenheit geschehen.

Sieben Jahre lang hatte er sich von ihr ferngehalten. Nun war sie beinahe fünfundzwanzig, und, wenn man den Klatschspalten Glauben schenken konnte, eine erfahrene Frau. Ein kleiner Flirt beim Dinner würde also nicht schaden. Es würde keine Fortsetzung geben.

Mit der Fernbedienung öffnete er die Wagentür, und Emily blieb unvermittelt stehen. „Du fährst Porsche?“, fragte sie überrascht.

Als Jason ihr die Beifahrertür öffnete, atmete er den Erdbeerduft ihres Haars ein und noch etwas anderes, etwas Warmes, Weibliches. Jäh durchfuhr ihn Begierde. Nur Dinner. „Scheint so“, sagte er. Emily verdrehte die Augen und ließ sich auf das kostspielige Lederpolster gleiten. „So einen schicken Schlitten hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

„Ach ja?“ Jason setzte sich auf den Fahrersitz. „Ich wusste nicht, dass du Erwartungen hinsichtlich meines Transportmittels hattest.“

„Aber genau das ist es, oder?“, sagte Emily lachend. Sie schüttelte ihre blonde Mähne über die Schultern zurück. „Dein ‚Transportmittel‘. Ich hätte etwas Schlichtes oder … Langweiliges von dir erwartet. Nur das Marineblau ist öde.“

Jason starrte sie einen Moment lang verblüfft an. Und er hatte sich eingebildet, dass Emily noch immer für ihn schwärmte!

„Langweilig“, echote er nachdenklich und ließ den Motor an. „Eigentlich sollte ich jetzt beleidigt sein.“

„Aber wenn es doch stimmt!“

Jetzt war er gekränkt. Langweilig … Gestern Nacht hatte sie ihn anders angesehen. Er brachte den Motor auf Touren, und Emily tastete instinktiv nach dem Türgriff.

„Ach ja?“, fragte er leise.

„Also, ehrlich gesagt“, fuhr Emily fort, als sie die Tiefgarage der Firma verließen und langsam auf die Euston Road fuhren, „warst du schon immer ein bisschen …“

„Langweilig?“ Jason versuchte, nicht gereizt zu klingen.

„Das nicht direkt“, räumte Emily ein. „Aber … vorhersagbar. Spießig eben.“

Jasons Gesicht blieb ausdruckslos, nur die Brauen hatte er vor Ärger zusammengezogen.

„Du hast dich nie an unseren Streichen beteiligt …“, fügte sie hinzu.

„Mit ‚uns‘ meinst du dich, Isobel und Jack, nehme ich an“, erwiderte Jason trocken. Emily nickte, und er fuhr fort: „Vielleicht solltest du nicht vergessen, Em, dass du zwölf Jahre jünger als ich bist. Während du noch Streiche gespielt hast, war ich schon auf der Universität.“ Er umklammerte das Steuer fester, als ihm klar wurde, wie groß der Altersunterschied zwischen ihnen war.

„Das weiß ich doch“, sagte Emily. „Aber trotzdem, du warst schon immer ziemlich streng, Jason. Sogar Jack gegenüber …“

„Du musstest ja nicht mit ihm leben“, antwortete Jason ruhig. Klar, jeder mochte Jack. Er war lustig – wenn Jason ihn nicht mal wieder von einer Party abholen musste, auf der er sich heillos betrunken hatte.

„Trotzdem“, stichelte Emily weiter. „Ich kann mich gut an deine Gardinenpredigten erinnern. Als ich ein paar Blumen aus deinem Garten gepflückt habe, hast du richtig getobt.“

„Das waren sämtliche Narzissen!“ Er war wütend, weil Emily den Lieblingsblumen seiner Mutter die Köpfe abgerissen hatte.

„Habe ich wirklich alle Blumen geköpft?“ Emily runzelte die Stirn. „Oh je, ich war ein richtiges kleines Biest, stimmt’s?“

„Das habe ich nicht gesagt“, antwortete Jason leise. Emily lachte ihr volles kehliges Lachen, und Begierde pulsierte durch seinen Körper. Dieser Abend war wirklich ein Fehler. Er spielte mit dem Feuer, und auch wenn es ihm nichts ausmachte, sich zu verbrennen – für Emily galt das nicht.

Sie starrte aus dem Fenster auf die Lichter, die sich in Londons regennassen Straßen spiegelten. Obwohl es erst Anfang November war, erstrahlte Regent Street schon in voller Weihnachtsbeleuchtung.

„Wohin fahren wir?“, fragte Emily, als Jason in die Brook Street einbog.

„Zu ‚Claridge’s‘“, sagte er, und Emily lachte.

„Hab ich’s mir doch gedacht. Teuer, elegant und ein bisschen spießig.“

„So wie ich?“, fragte Jason, als sie vor dem angesagten Hotel hielten.

Emily lächelte ihn schief an. „Das hast du gesagt.“

„Das ‚Claridge’s‘ hat sich ziemlich verändert. Und ich auch.“

Er warf dem Hotelpagen die Autoschlüssel zu und reichte Emily die Hand. Es war nicht einfach, auf Stöckelschuhen und im Minirock aus dem tiefergelegten Porsche auszusteigen. Jason hielt Emilys Hand noch, als er sie ins Restaurant führte.

Sie dachte daran, wie sie sich als Teenager darauf verlassen konnte, dass er sie aus jeder unangenehmen Situation rettete. Auch wenn Jason mit ihr schimpfte, hatte sie immer gewusst, dass sie bei ihm sicher war. Doch als er Emily jetzt anblickte, glitzerten seine Augen dunkel, und sie wurde verlegen.

Der Oberkellner führte sie zu einem Tisch in einer abgeschiedenen Ecke des Restaurants. Lächelnd befreite sie sich aus Jasons Griff.

„Was gibt es eigentlich zu feiern?“, fragte Emily und begann die Speisekarte zu studieren.

„Zu feiern?“, fragte Jason verwundert.

„Du hast mich noch nie zum Essen eingeladen.“

„Es gibt immer ein erstes Mal“, sagte er und seine Mundwinkel zuckten.

„Da hast du recht, aber …“ Emily legte den Kopf schief und schaute Jason forschend an. Aufmerksam studierte er die Weinkarte. Der dunkle Bartschatten ließ ihn erstaunlich attraktiv aussehen. Aber es war lächerlich, so über Jason zu denken … Das hatte sie nur einmal getan, und dabei würde es bleiben.

„Kontrollierst du mich eigentlich?“, fragte Emily, und Jason blickte von der Weinkarte hoch.

„Ob ich dich kontrolliere? Hast du ein schlechtes Gewissen, Em? Zu viele Partys?“

„Nein, es ist nur …“ Emily schwieg. Wie sollte sie ausdrücken, wie merkwürdig es war, hier mit ihm zu sitzen, als hätten sie ein Date. Schließlich wusste sie, dass er nichts von ihr wollte. Und sie war erwachsen geworden und hatte die alberne Schwärmerei für den farblosen Jason längst überwunden. Es freute sie, mit einem alten Freund der Familie zu essen, aber sie wollte nicht kontrolliert werden. Oder hatte ihr Vater ihn etwa gebeten, auf sie aufzupassen?

„Bitte keine Moralpredigten mehr!“ Sie drohte ihm scherzhaft mit dem Finger.

„Ich glaube, dafür bist du mittlerweile ein bisschen zu alt, Em. Es sei denn, du benimmst dich daneben.“

Jasons Augen glitzerten im Kerzenschein.

„Okay, ich benehme mich“, antwortete Emily und warf ihr Haar über die Schultern zurück. Jason winkte den Ober heran, und Emily bestellte. Als Jason leise mit ihm sprach, sah sie sich in dem Restaurant um. Die meisten Gäste waren Geschäftsleute oder gut betuchte Rentner. Es war wirklich ziemlich spießig.

Als der Ober gegangen war, lächelte Jason sie amüsiert an. „Du nimmst Huhn? Das ist aber mutig, Em.“

Emily lächelte frech zurück. Als Kind war sie eine äußerst heikle Esserin, das hatte Jason nicht vergessen. „Die geschmorte Kalbsleber mag ich nicht.“

„Immer noch so anspruchsvoll?“

„Ich würde es eher wählerisch nennen. Ich habe mich auch ziemlich verändert“, sagte sie.

„Wahrscheinlich gibt es vieles, was ich nicht über dich weiß. Ich war ja meistens verreist“, erwiderte er nachdenklich.

„Und jetzt? Bleibst du hier?“

„Solange es nötig ist.“ Jason zuckte die Achseln.

Emily nickte. „Wegen dieser persönlichen Sache?“

Unwillkürlich runzelte Jason die Stirn, doch dann lächelte er vielsagend. „Ja.“

Emily musste lachen. Klar, dass Jason nichts verraten würde. Doch bisher hatte sie ihm nicht einmal zugetraut, dass er etwas zu verbergen hatte. „Du bist ein geheimnisvoller Mann, stimmt’s?“

„Ich dachte, ich bin langweilig?“, gab Jason mit hochgezogener Augenbraue zurück.

„Habe ich dich damit etwa gekränkt?“

„Nur ein bisschen. Und zur Strafe habe ich dir die geschmorte Leber bestellt.“ Sein Lächeln verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in ein breites Grinsen. Emily war verwirrt. Wie weiß seine Zähne sind, und dieses Grübchen in der Wange …

„Du hast mir immer die Wahrheit gesagt, Jason, egal, wie unerfreulich sie war“, erinnerte sich Emily in einem Anflug von Aufrichtigkeit.

„Hätte ich dich etwa anlügen sollen?“

Als sie fünfzehn war und ihre Mutter vermisste, die zwölf Jahre zuvor gestorben war, fragte sie Jason, ob diese Sehnsucht jemals aufhören würde.

„Nein, es hört nicht auf. Aber es wird leichter, jedenfalls manchmal“, hatte Jason ernst geantwortet.

„Ich bin froh, dass du immer ehrlich warst“, sagte sie nun, selbst überrascht von ihrer Offenheit. „Ich glaube, jeder braucht einen Menschen, der ihm die Wahrheit sagt.“

„Das werde ich auch weiterhin tun.“ Jason schaute sie lange an, und Emily fühlte, wie heiße Schauer über ihre Beine liefen. Es war beunruhigend. Schließlich war es Jason, der ihr hier gegenübersaß!

Als der Ober den Wein brachte, atmete sie erleichtert auf. Jason hob das Glas.

„Auf alte Freundschaften und neue Anfänge“, sagte er und sah ihr in die Augen.

„Ja, genau.“ Auch Emily prostete ihm zu, und sie tranken einen Schluck.

„Und, wie schlägt Helen sich?“, fragte Jason.

„Wusste ich’s doch, du hast Hintergedanken!“

„Ganz und gar nicht“, antwortete Jason ruhig. „Aber du hast heute Morgen das Vorstellungsgespräch mit ihr geführt, da dachte ich, ich frage mal nach.“

„Nun, ich habe sie eingestellt, wie du es wolltest. Sie wird schon klarkommen. Obwohl sie kaum Berufserfahrung hat.“

„Das habe ich auch nicht erwartet.“

Emily runzelte die Stirn. „Hast du ihr etwa aus Mitleid einen Job gegeben?“

„Eher aus Gefälligkeit“, antwortete Jason ruhig.

Emily griff nach ihrem Weinglas und versuchte, eine unangenehme Regung von … irgendetwas zu unterdrücken. Sie wollte das Gefühl nicht beim Namen nennen. „Sie ist ziemlich schön, weißt du.“

„Nein, das weiß ich nicht. Ich habe dir gestern erst gesagt, dass ich sie noch nie gesehen habe.“

Emily schürzte die Lippen. „Ja, stimmt. Du wolltest sie einstellen, um Richard Marsden einen Gefallen zu tun.“

Jason legte den Kopf schief. „Ich habe seinen Namen zwar nicht erwähnt, aber ja, so ist es.“

„Weil Helen und Richard sehen wollen, ob es mit ihnen funktioniert.“ Emilys Stimme klang bissig.

Jason schwieg und hielt inne, das Glas auf halbem Weg zum Mund. „Gefällt dir das etwa nicht?“

„Wen interessiert das schon?“, antwortete Emily und zog unschuldig die Stirn kraus.

„Sehr vernünftig“, sagte Jason in dem nüchternen Ton, den Emily so verabscheute.

„Oh ja, sehr vernünftig“, stimmte sie zu. „Aber nicht gerade romantisch.“

„Wieso?“ Jason runzelte die Stirn. „Muss das sein?“

Er wirkte so verlegen, dass Emily am liebsten gelacht hätte. Doch sie amüsierte sich nicht wirklich. Stattdessen fühlte sie sich beinah … gekränkt.

„Also, Jason, normalerweise ist die Art von Beziehung, um die es sich bei Richard und Helen handelt, romantisch und nicht vernünftig“, sagte Emily in einem Ton, als würde sie einem begriffsstutzigen Kind eine Rechenaufgabe erklären. „Schließlich geht es nicht darum, sich ein paar Schuhe zu kaufen …“

„Ich halte sehr viel von vernünftigen Schuhen.“

Emilys Augen wurden schmal. Sie hatte nicht den Eindruck, dass Jason einen Witz machen wollte. „Eine Frau möchte erobert werden, weißt du.“

„Das hört sich ja gefährlich an“, erwiderte Jason ungerührt. „Wenn du erobert wirst, wirst du besiegt. Du verlierst die Kontrolle über dich selbst.“

„Genau“, antwortete Emily. „Vielleicht verliebst du dich sogar. Aber darum geht es doch, oder? Und nicht darum, ob es funktioniert.“

Jason musterte sie nachdenklich. „Du scheinst dieses Wort nicht zu mögen.“

„Stimmt“, gab Emily zu, und ihre Stimme verriet mehr Leidenschaft, als ihr lieb war. Der Wein musste ihr zu Kopf gestiegen sein. Seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen. „Ich würde lieber mein Leben lang allein bleiben, als mit jemandem zusammen zu sein, der erst testen will, ob es funktioniert“, sagte sie zu laut.

„Wenn du meinst. Dann hast du also vor, Single zu bleiben?“

„Ja, genau“, sagte Emily und freute sich, dass er überrascht war. „Ich wüsste nicht, warum ich heiraten sollte.“

„Nein?“

„Ich bin nicht einsam.“ Emily hoffte, überzeugend zu klingen, denn sie wollte nicht zugeben, dass sie noch niemanden getroffen hatte, für den sie genug empfand, um vor den Traualtar zu treten. „Ich werde bestimmt nicht darauf warten, dass der Märchenprinz kommt und mich rettet.“ Ihre Stimme klang schrill.

Amüsiert hob Jason die Augenbrauen.

„Ich möchte einfach Spaß haben“, fügte sie hinzu.

„Das glaube ich dir gern!“

Emily schnitt eine Grimasse. „Was ist falsch daran? Ich habe noch viel Zeit, bis ich mich endgültig festlegen muss.“

„Ja, du vielleicht.“

„Ach ja, fast hätte ich vergessen, wie alt du bist. Du stehst ja schon mit einem Fuß im Grab.“ Sie lächelte ironisch, entschlossen, locker zu bleiben. „Jedenfalls habe ich Freunde, einen tollen Job und einen Mann, der mich abgöttisch liebt“, sagte sie von oben herab.

Jason schwieg. „Ein Mann, der dich abgöttisch liebt?“, fragte er höflich.

Emily musste über seinen argwöhnischen Blick lachen. „Ich rede von meinem Vater!“ Sie grinste ihn frech an. „Was hast du denn gedacht?“

„Ich war mir nicht sicher“, gab er zu. „Aber du plapperst ja die ganze Zeit über deinen Entschluss, Single zu bleiben, da dachte ich mir schon, dass es nicht um eine romantische Affäre geht.“

„Ich habe nicht geplappert.“ Emily war beleidigt.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Du hast deine Ansichten in blumigen Worten dargelegt.“

Sie verzog das Gesicht. „Das hört sich ja noch schlimmer an.“ Überrascht bemerkte Emily, dass sie diesen kleinen Schlagabtausch genoss. Sie beugte sich vor und fragte frech: „Und was ist mit dir, Jason? Hast du vor, dich erobern zu lassen?“

Er verzog den Mund zu einem Lächeln, und seine Grübchen wurden sichtbar.

„Ich sollte wohl besser selbst erobern.“

Emily lachte bitter. „Das hört sich an, als wolltest du eine Firma übernehmen. Hast du nicht vor zu heiraten? Dich zu verlieben?“

Ihr Ton war zwanglos, doch plötzlich klangen ihre Fragen aufdringlich.

Gebannt beobachtete Emily, wie Jason das Weinglas zwischen seinen schlanken Fingern hin- und herdrehte.

„Das eine hat nicht unbedingt etwas mit dem anderen zu tun“, sagte er schließlich.

„Und was wäre dir lieber?“, fragte sie enttäuscht. „Liebe ohne Ehe oder eine Ehe ohne Liebe?“

Jason trank einen Schluck Wein. „Meiner Meinung nach wird Liebe überbewertet.“

„Ein ziemlich zynischer Standpunkt“, gab Emily zurück. Sie versuchte, ihre Enttäuschung zu unterdrücken. Was interessierten sie Jasons Ansichten über die Liebe? „Und warum glaubst du das?“

„Aus Erfahrung. Von Liebe reden kann jeder. Das sind nur leere Worte.“ Er verstummte plötzlich und runzelte die Stirn, als erinnerten ihn seine Worte an ein unangenehmes Erlebnis. Dann riss er sich aus seinen trüben Gedanken und lächelte Emily an.

„Es ist doch besser, zu heiraten und zu sehen, ob es funktioniert, als dauernd über Liebe zu plappern …“ Seine Augen funkelten vielsagend, und Emily lächelte versöhnlich. Sie fragte sich, warum er so zynisch war … und worüber er nachgedacht hatte.

„Wie dem auch sei, ein bisschen Romantik kann nicht schaden“, bemerkte Emily.

„Aber du hast die Liebe trotzdem abgeschrieben?“, fragte Jason.

Dich habe ich abgeschrieben, dachte Emily. „Wie ich schon sagte, ich bin auch allein glücklich.“

„Du willst also Spaß.“

„Ganz genau.“ Trotzig starrte sie ihn an. Emily wusste, dass Jason sie für oberflächlich hielt, und sie genoss es, ihn zu provozieren. Obwohl sie auch ein bisschen gekränkt war.

„Aber wie man an Stephanie und Tim sieht, suchst du die große Liebe für andere“, bemerkte Jason trocken.

„Nur weil ich Single bleiben will, müssen das andere noch lange nicht wollen“, sagte Emily forsch. „Ich glaube an die große Liebe. Aber nicht für mich. Und nicht jetzt.“ Sie nippte an ihrem Wein und wich Jasons Blick aus. Ganz aufrichtig war sie nicht, aber sie wollte nicht zugeben, dass sie nicht nach Liebe suchte, weil sie Angst hatte, enttäuscht zu werden.

Ein einziges Mal nur hatte Emily eine Liebesheirat erlebt. Zwar konnte sie sich kaum an ihre verstorbene Mutter erinnern, doch sie hatte viele Geschichten über Elizabeth Wood gehört. Emilys Eltern hatten sich sehr geliebt, das bewies die Trauer ihres Vaters, die seit dem Tod seiner Frau nicht enden wollte.

Emily lenkte die Unterhaltung wieder auf ein unverfängliches Thema. „Aber wir sprachen gerade über Helen und Richard. Und ich glaube, ich weiß mehr über diese Dinge als du.“

„Diese Dinge?“

„Na ja, was Frauen wollen. Liebe, Romantik und so.“ Oft genug hatte sie spät in der Nacht mit Freundinnen eine Flasche Wein geleert oder im Büro dem Geschwätz in der Teeküche gelauscht. Sie wusste, wie die Dinge liefen.

„Tatsächlich?“ Jason machte sich über sie lustig.

„Ja, tatsächlich“, sagte sie spitz. „Frauen wollen einen Mann, der sie umgarnt, Jason. Er soll sie mit Blumen und Komplimenten umwerben … und mit vielen anderen Dingen“, beendete sie nuschelnd den Satz. Der Wein war ihr wirklich zu Kopf gestiegen. „Was Frauen nicht wollen, ist jemand, der testen will, ob man vielleicht zusammenpasst.“

„Ich glaube kaum, dass Marsden sich so ausgedrückt hat.“

„Aber er hat es so gemeint.“

Jason sah sie ungläubig an. „Glaubst du nicht, dass Helen sich wehren würde, wenn ihr sein Vorschlag nicht gefiele?“

Widerstrebend lachte Emily. „Vielleicht – wenn sie mutiger und erfahrener wäre. Aber ich glaube, ein anderer wird sie erobern, während Richard noch grübelt. Helen ist sehr schön.“

„Das sagtest du bereits.“ Er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Aber wenn du mich fragst, ist Richards Vorschlag sehr vernünftig. Und auf lange Sicht viel romantischer als Blumensträuße und leere Komplimente.“

„Du redest, als hätte Helen einen Schnupfen und Richard wäre eine Tablette“, protestierte Emily empört. Blumensträuße und leere Komplimente! Schon jetzt tat ihr Jasons zukünftige Frau leid. „Das stellen sich Frauen bestimmt nicht unter Liebe vor, Jason!“

Er beugte sich vor, und seine Augen funkelten. Sie haben die Farbe von dunklem Honig, dachte Emily benommen. Sie schluckte. Ich sollte keinen Wein mehr trinken.

„Hast du nicht gerade gesagt, Liebe interessiert dich nicht?“, erinnerte Jason sie mit sanfter Stimme.

Wieder schluckte Emily, denn ihre Kehle war ganz trocken. Wie konnte diese Unterhaltung so persönlich und … intim werden?

„Ich habe gesagt, ich bin auch allein glücklich.“

„Du willst dich also nicht verlieben?“

Vor allem will ich dir nichts über mein nicht vorhandenes Liebesleben erzählen, dachte Emily. „Vielleicht wird Liebe wirklich überschätzt. Ich hatte zwei Beziehungen, und obwohl ich keinen der Männer geliebt habe, war ich am Ende ziemlich enttäuscht. Ich will nicht nach etwas suchen, das vielleicht gar nicht existiert.“ Vor allem möchte ich nicht verletzt werden.

Zufrieden lehnte Jason sich zurück. „Das klingt sehr vernünftig.“

„Also auch für dich keine Liebe und keine Hochzeit?“ Emily wollte ihn necken, doch ihre Stimme klang ernst.

„Das habe ich nicht gesagt“, antwortete Jason stirnrunzelnd. „Irgendwann muss ich heiraten. Schließlich brauche ich einen Erben für Weldon.“

Das hörte sich wirklich mittelalterlich an! Emily stellte sich Jason auf einer steifen Hochzeit mit einer schmallippigen Dame der feinen Gesellschaft vor. Sie schauderte.

„Wie vernünftig“, sagte sie spöttisch. „Hoffentlich stehe ich nicht auf deiner Liste.“

Jasons blickte sie finster an. „Keine Angst, Em. Du bist definitiv nicht im Rennen.“

Emily war beleidigt. So eindeutig hätte er ihr nicht sagen müssen, dass er sie als Ehefrau nicht in Betracht zog.

„Da bin ich aber froh“, sagte sie leichthin. „Und was für eine Frau suchst du?“

„Eine, die meine Ansichten über die Liebe teilt.“

„Eine Vernünftige also.“

„Ganz genau.“

Emily schüttelte sich. „Na, dann viel Glück“, sagte sie ein bisschen zu scharf.

„Danke.“

Emily lächelte, doch der Gedanke an Jason und seine zukünftige Ehefrau gefiel ihr ganz und gar nicht.

3. KAPITEL

Der Rest des Dinners verlief harmonisch. Das Huhn schmeckte köstlich, und Emily genoss es, mit Jason über das Wetter oder den letzten Kinofilm zu plaudern.

„Wird dir das Reisen nicht fehlen, wenn du jetzt in London bleibst?“, fragte sie, als der Ober die Teller abräumte.

„Ich bin mit anderen Dingen beschäftigt“, antwortete Jason, ohne zu zögern.

Emily schürzte die Lippen. „Ach ja, diese persönliche Sache.“

„Das lässt dir keine Ruhe, was?“

„Nur, weil ich mir nicht vorstellen kann, worum es geht. Du warst immer wie ein offenes Buch für mich, Jason.“

Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Was für schöne Hände er hat, dachte Emily verträumt.

„Tja, langweilig eben.“

„Du bist ja eingeschnappt!“ Sie lachte, und Jason verzog das Gesicht.

„Ich wusste nicht, dass du mich so spießig findest“, sagte er und goss Emily noch ein Glas Wein ein.

„Ich sollte nichts mehr trinken“, protestierte sie. „Ich bin schon ganz beschwipst.“ Jedenfalls bin ich angeheitert genug, um so etwas zu sagen.

Jason verzog den Mund zu einem vielsagenden Lächeln. „Du sagst interessante Dinge, wenn du ein oder zwei Gläser zu viel hattest.“

Emily fühlte, wie sie rot wurde, denn sie wusste genau, worauf er anspielte. Du siehst ziemlich gut aus, weißt du. Möchtest du mich vielleicht küssen?

„Hör auf damit“, sagte sie. Als Jason sie im sanften Kerzenlicht anblickte, konnte sie nicht länger die unbekümmerte Lässigkeit vortäuschen, die sie wie ein Schutzschild vor sich hergetragen hatte.

„Ich bin da ein bisschen empfindlich“, gab sie zu.

Jason lehnte sich zurück und blickte sie nachdenklich an. „Warum denn?“

Emily unterdrückte ein empörtes Lachen. „Weil du mich gedemütigt hast, darum!“

Jason starrte sie verblüfft an. „Gedemütigt?“, echote er ungläubig. „Sorry, Em, aber das musst du mir erklären.“

Emily schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht mehr darüber sprechen. „Nein, Jason. Es ist sieben Jahre her, und ich war fast noch ein Kind.“

„Ich weiß“, erwiderte er leise. „Und damals wusste ich es auch.“

Da sie sich äußerst unbehaglich fühlte, wechselte sie schnell das Thema. „Wie auch immer. Haben wir nicht gerade über Helen und Richard gesprochen?“

„Was gibt es denn über die beiden noch zu sagen?“

„Vielleicht siehst du das anders, aber jemand wie Helen, der gerade nach London gekommen ist, möchte bestimmt viel erleben und interessante Menschen …“

„Oh nein, Emily, das wirst du schön bleiben lassen!“ Jason stellte sein Glas ab und sah sie streng an. Zwar mochte Emily diesen Blick nicht, aber dennoch war sie erleichtert. Das war der Jason, den sie kannte.

„Du hast doch wohl nicht vor, Helen zu verkuppeln?“

„Verkuppeln?“ Emily riss die Augen weit auf.

„Ja, so wie du Stephanie verkuppelt hast. Sie war zwar deine Chefin und ein paar Jahre älter als du, aber nach ein paar Monaten hat sie dir aus der Hand gefressen.“

Emily starrte Jason verblüfft und ein bisschen beleidigt an.

„Woher willst du das denn wissen?“, fragte sie aufgebracht. „Wenn ich mich richtig erinnere, hast du dich zu der Zeit in Asien herumgetrieben.“

„Herumgetrieben?“ Jason traute seinen Ohren nicht. „Ich habe zwölf Stunden am Tag an einem Flutbecken in Burma gearbeitet.“

„Trotzdem, woher willst du wissen, was ich getan habe?“

Ungerührt erwiderte Jason ihren Blick. „Ich habe meine Quellen. Und ich weiß, dass du Stephanie zu Dinnerpartys mitgeschleppt hast, und Tim war nicht das erste Blind Date, das du für sie arrangiert hast.“

Emily blieb der Mund offen stehen. „Spionierst du mir nach?“

„Ich habe dich beobachtet“, unterbrach Jason sie. „Ich habe dich eingestellt, als du nach London kamst, und natürlich hatte ich ein berechtigtes Interesse daran, dass dir nichts zustieß. Isobel und Jack hätten mir den Kopf abgerissen, wenn dir etwas passiert wäre, schon wegen eures Vaters.“

„Mir ist aber nichts passiert“, sagte Emily säuerlich. Der Gedanke, dass Jason stets wusste, was sie vorhatte, gefiel ihr gar nicht.

„Wie auch immer“, fuhr Jason fort. „Ich habe nichts dagegen, wenn du Helen hilfst, sich bei ‚Kingsley Engineering‘ einzuleben, aber ich will nicht, dass du Heiratsvermittlerin für sie spielst.“

„Du gibst also zu, dass Stephs und Tims Hochzeit auch mein Verdienst ist!“, sagte Emily triumphierend.

Jason griff nach seinem Weinglas. „Zweifellos, aber ich möchte, dass du Richard und Helen in Ruhe lässt.“

Emily seufzte und verdrehte die Augen. „Na gut. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass du überhaupt keinen Sinn für Romantik hast.“

„Ganz im Gegenteil“, erwiderte Jason gleichmütig. „Ich bin sehr sensibel, denn sonst würde ich mir gar keine Gedanken über die beiden machen.“ Er lächelte schwach. „Aber du musst dich nicht um sie kümmern.“

„Als Personalchefin bin ich dafür verantwortlich, dass Helen sich gut einlebt …“

„Ich bin sicher, dass Richard das in die Hand nehmen wird.“

„Ach“, Emily schüttelte den Kopf. „Der meint doch, es reicht, wenn er Helen zum Fernsehen einlädt und den Pizzadienst bestellt.“

Jasons Augen wurden schmal. „Ich glaube, du hast wirklich etwas gegen ihn.“

„Nein …“ Emily wollte protestieren, doch Jason fiel ihr ins Wort.

„Oder ist es leichter, sich in das Leben anderer Leute einzumischen, als sich um das eigene zu kümmern?“

Emily blinzelte gekränkt. Ihre zwanglose Plauderei war schon wieder viel zu persönlich geworden. „Soll das heißen, dass du mich für eine Wichtigtuerin hältst?“

„Ich bin nur ehrlich“, stellte Jason richtig. Sein schwaches Lächeln konnte die harten Worte kaum mildern. „Misch dich nicht ein.“ Er winkte den Ober heran. „Und jetzt bringe ich dich nach Hause.“

Emily war verstimmt. Ohne Rücksicht darauf, ob sie noch etwas sagen wollte, hatte er die Unterhaltung einfach beendet. Typisch Jason! Sie fühlte sich mal wieder wie ein unartiges kleines Mädchen mit Zöpfen und Zahnspange.

So anmutig wie möglich erhob sie sich vom Tisch. Zwar war sie nicht betrunken, aber sie spürte deutlich ihren Schwips. „Danke für das Dinner.“

„Ganz meinerseits.“ Ein Lächeln umspielte Jasons Mundwinkel. Er betrachtete Emily aufmerksam. Sie sah mürrisch aus.

„Das meine ich ernst“, fügte er hinzu.

„Ich mische mich nicht ein!“, platzte sie heraus.

„Und ich bin nicht langweilig“, flüsterte Jason. Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr, als er ihr die Hand ins Kreuz legte und sie aus dem Lokal führte. „Ich glaube, wir beide müssen uns ganz neu kennenlernen, Em.“

Bevor Emily begriff, was Jason damit sagen wollte, fuhr der Hoteldiener den Porsche vor. Sie ließ sich in das Innere des Wagens gleiten und lehnte den Kopf an den Sitz. Um sie herum drehte sich alles.

„Arme Em! Ich hoffe, du musst dich nicht hier im Wagen übergeben.“

Das war nicht ganz unwahrscheinlich. Emily versuchte zu lachen. „Dann aber, weil das Huhn verdorben war und nicht, weil ich zu viel getrunken habe.“

Jason lächelte. „Vielleicht hättest du doch die Kalbsleber probieren sollen.“ Er drehte sich zu ihr und legte eine kühle Hand auf ihre Stirn. Geschickt massierte er mit den Fingern ihre Schläfen. Die Berührung beruhigte Emily, aber sie erregte und verwirrte sie auch.

„Schließ doch die Augen“, schlug er vor.

Emily gehorchte. Sie nahm ein paar tiefe Atemzüge, und allmählich beruhigte sich ihr Magen. Jasons Hand lag noch immer auf ihrer Stirn.

„Sorry“, sagte sie schließlich. Und in einem Anflug von Aufrichtigkeit fügte sie hinzu: „Eigentlich wollte ich dir heute zeigen, wie erfahren und selbstsicher ich bin.“

„Erfahren?“

Zu spät wurde Emily klar, dass sie das besser nicht gesagt hätte.

„Erfahrung wird überbewertet, Em.“

„So wie Liebe?“, konterte sie schlagfertig.

Jason zögerte. „Ja“, sagte er und zog die Hand von ihrer Stirn zurück.

Sie standen vor dem Apartmenthaus, in dem Emily wohnte. Plötzlich kam ihr der Wagen eng und dunkel vor. Nur ihr Atem war zu hören. Emily tastete nach dem Türgriff. „Dann also Gute Nacht.“

„Ich bringe dich noch zu deiner Wohnung“, sagte Jason und öffnete die Fahrertür.

Blind suchte Emily in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel und schob schließlich den falschen ins Schloss der Eingangstür. Vergeblich drückte sie gegen die Tür.

„Lass mich mal.“ Jason legte seine Hand um ihre und fand den passenden Schlüssel. Das Schloss klickte leise und ließ sich leicht öffnen.

Die elegante kleine Empfangshalle wurde nur von einer Tischlampe erleuchtet, in deren schwachem Schein Emily sein ernstes Gesicht erkennen konnte. Jasons aufmerksamer Blick verunsicherte sie.

„Du musst nicht mit hinaufkommen.“ Sie wurde rot, als sie merkte, dass ihre Worte anzüglich klangen. „Mir geht es gut.“

„Dann lasse ich dich jetzt allein.“ Einen Moment lang sahen sie sich wortlos an. Jason hob die Hand und hielt einen Fingerbreit vor Emilys Gesicht inne. Ihr stockte der Atem. Was hatte er vor?

Sanft strich Jason ihr mit den Fingern über die Wange und lächelte. Doch bevor sie begriff, was geschah, wurden seine Lippen wieder schmal, und er zog schnell die Hand zurück.

„Gute Nacht, Em“, sagte er forsch und verschwand.

Emily ließ sich auf eine Treppenstufe sinken. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, und diesmal war daran nicht der Wein schuld.

Jason stieg in seinen Porsche und verwünschte sich selbst, weil er sie fast geküsst hätte. Oder weil er es nicht getan hatte. Unerfülltes Verlangen quälte ihn. Er hatte diesen Abend unglaublich genossen, und gerade deshalb war er ein großer Fehler gewesen. Warum verschwendete er seine Zeit mit Emily? Das führte nirgendwohin.

Doch es war wahnsinnig amüsant, mit ihr zu plaudern, ihr kehliges Lachen zu hören und ihr Haar im Kerzenlicht golden schimmern zu sehen. In ihrer Gegenwart vibrierte er vor Lebendigkeit, und als sie sich ihm näherte, musste er sie einfach berühren.

Autor

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