Kalter Verrat, heiße Verführung

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Seit die schöne Eve seine Liebe verriet, sinnt Milliardär Gage Caron nach Rache. Jetzt ist der Moment gekommen: Er wird Eves Familie nur die nötige Hilfe gewähren, wenn Eve öffentlich als seine Braut auftritt. Ein eiskalter Business-Deal! Aber warum knistert es dann so heiß zwischen ihnen? Als Eve sich ihm für eine Nacht der Lust hingibt, beginnt Gage beim Blick in ihre Augen zu zweifeln. Ist sie gar nicht so berechnend, wie er gedacht hat? Oder ist er gerade dabei, sein Herz erneut an eine besonders raffinierte Betrügerin zu verlieren?


  • Erscheinungstag 01.06.2021
  • Bandnummer 2495
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718770
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Damals

„Bist du verletzt?“

Ein Zittern durchlief Eve, als Gage seinen Mantel um sie schlang. Ihre Kleidung war tropfnass und klebte an ihrem Körper. Eisiges Regenwasser rann über ihr Haar und ihren Rücken hinunter. Sie hob eine Hand an die Schläfe und befühlte die Stelle, hinter der es schmerzhaft pochte. „Nur eine kleine Beule, aber es ist wirklich nicht so schlimm.“

„Wo?“, fragte Gage eindringlich. Er knipste seine Taschenlampe an, und sie blinzelte, als plötzlich ein grelles Licht die Dunkelheit durchschnitt.

„Hier.“ Sie berührte erneut die schmerzende Stelle, und er schob sanft ihre Finger beiseite, um dort zu fühlen, wo es am meisten wehtat. Erneut zitterte sie – doch dieses Mal war es nicht vor Kälte. Seine Berührung ließ Wärme in ihr aufsteigen, vermischt mit einem wohligen Gefühl.

„Tut mir leid“, sagte er und küsste sie sanft auf die Stirn. Dann bückte er sich und stellte die Lampe auf dem Boden ab, sodass ein kleiner Kreis ringsum in Licht getaucht wurde. „Tut es sonst noch irgendwo weh?“

Sie schüttelte den Kopf. „Und was ist mit dir?“

Er hatte hinter dem Steuer gesessen, als sie mitten in dem sintflutartigen Regen von der Straße abgekommen waren. Sie hatten es eilig gehabt, wegzukommen. Eves Schwester Veronique hatte sicher beobachtet, wie sie sich aus dem Haus geschlichen hatte, um mit Gage durchzubrennen.

„Mir geht es gut“, versicherte er. „Mach dir um mich bitte keine Sorgen.“

Sie musterte ihn eindringlich. Sein Gesicht lag im Schatten, denn das verlassene Gebäude, in das sie sich nach dem Unfall mit ihren Sachen geflüchtet hatten, war – abgesehen vom schwachen Licht der Taschenlampe – stockfinster.

Er sah tatsächlich okay aus, aber sie wusste auch, dass er nie etwas sagen würde, auch wenn es anders wäre. Gage versuchte immer, sie vor allem zu beschützen. Sie wünschte sich, er würde zumindest ab und an zulassen, dass sie dasselbe für ihn tat.

„War es wirklich nötig, den Wagen zu verlassen?“

„Leider ja. Mit dem Schaden können wir nicht weiterfahren, und das Wrack wird Aufmerksamkeit erregen. Wenigstens ist es von der Straße runter, sodass es keine Gefahr für andere darstellt.“

Gage schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Sie schmiegte sich an ihn und lauschte dem Prasseln des Regens auf dem Dach.

„Alles wird gut, ma chère“, sagte er. „Wir haben Geld.“ Er klopfte auf die Tasche des Mantels, den sie jetzt trug. Ein paar Tausend Dollar war nicht viel, aber es würde sie eine Weile über Wasser halten. Gage hatte es versprochen, und er hielt stets sein Wort. „Für heute Nacht haben wir hier ein Dach über dem Kopf, und gleich morgen früh nehmen wir den ersten Bus nach Montgomery. Es sind nur ein paar Stunden bis dorthin. Dann können wir heiraten, und niemand kann uns davon abhalten. Nicht deine Familie, nicht Mom und Dad …“

Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit. Gage liebte seine Eltern, aber die Familien Caron und Chevalier hassten einander mit solcher Inbrunst, dass es einfach keine Alternative gab. Seine Mutter und sein Vater hatten ohne jeden Zweifel klargemacht, dass sie die Beziehung niemals akzeptieren würden. Er hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass Eve und er sich liebten, auch wenn sie erst zwanzig und dreiundzwanzig Jahre alt waren, und dass das alles war, was zählte. Doch es hatte ihre Haltung nicht geändert.

Was die Mitglieder ihrer eigenen Familie betraf … Eves Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie wollte nicht einmal daran denken, was geschehen wäre, hätten sie die Wahrheit erfahren.

Eve schmiegte sich enger an Gage. „Bist du dir wirklich sicher, dass du das hier willst?“, fragte sie. Sie mochten sich lieben, aber er gab eine Menge auf, um mit ihr zusammen zu sein: die Unterstützung seiner Familie, die ihm viel bedeutete.

Gage lehnte sich zurück und sah sie an. Der schwache Schein der Taschenlampe nahm seinen Augen etwas von dem unglaublich intensiven Blau, das sie so sehr liebte. „Ich liebe dich. Und wir brauchen keine Einwilligung von irgendjemandem, wenn wir in Alabama heiraten – nicht wie zu Hause.“

Wenn sie nur schon einundzwanzig gewesen wäre! Dann hätten sie nicht davonzulaufen brauchen. Aber sie konnten nicht mehr länger warten. Ihr Vater hatte ihr einen Heiratskandidaten nach dem anderen präsentiert, aber es war ihr gelungen, alle Verkupplungsversuche abzuwehren. Doch als er sie auf einem französischen Mädchenpensionat angemeldet hatte, war sie gezwungen gewesen, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Sie konnte entweder davonlaufen oder musste akzeptieren, Gage für ein Jahr oder länger nicht mehr wiederzusehen.

Kein Kontakt. Allein der Gedanke war ihr unerträglich.

Es hatte ihr die Entscheidung erleichtert. Für Gage war es schwieriger gewesen, auch wenn er es nicht zugab.

Er fuhr sich mit der Hand durch sein nasses Haar, dessen Blond durch den Regen dunkler wirkte. Sie sah die Anspannung in seinen Zügen.

„Du kriegst keine kalten Füße, oder?“

„Niemals.“

Er lächelte, und bei dem Anblick ging ihr das Herz auf. Wärme breitete sich in ihr aus und vertrieb die Kälte von innen heraus. Sein Lächeln machte jeden Tag besser. Selbst die, an denen sie die Musik so laut aufdrehen konnte, wie sie wollte, und dennoch ihre Eltern miteinander streiten hörte. Die Tage, an denen ihre Mutter sich auf ihr Zimmer zurückzog und Trost in ihren Pillen und mit Gin verschnittenem Eistee suchte.

Gage umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Er war so sanft und liebevoll, dass sie regelrecht dahinschmolz. Doch sie wollte mehr als das. Mehr als Küsse in einem schäbigen, heruntergekommenen Gebäude. Wenn sie erst einmal verheiratet wären, könnten sie sich ein Hotel suchen und sich in einem richtigen Bett lieben, so wie sie es vor ein paar Wochen getan hatten: im Gästehaus auf dem Grundstück seiner Eltern.

Verlangen erwachte in ihr, als sie daran zurückdachte, wie Gage ihren Körper und ihre Seele ausgefüllt hatte. Es war perfekt gewesen, unglaublich. Er hatte sie gehalten – und für eine Weile war all das, was mit ihrem Leben nicht in Ordnung war, vergessen gewesen.

Als ihre Zungen aufeinandertrafen, vergrub sie die Hände in seinem Haar und vertiefte den Kuss. Sie wollte ihm so nah sein wie irgend möglich. Sie brauchte ihn. Er war ihr Ein und Alles, der einzige Mann, den sie je begehrt hatte. Und bald würde niemand sie mehr aufhalten können. Bei dem Gedanken, dass sie schon in ein paar Tagen Mrs. Gage Caron sein würde, bebte ihr Körper.

Und dann machte er sich plötzlich los von ihr, und alles wurde in Dunkelheit getaucht, als er die Taschenlampe ausschaltete.

„Was …?“

Gage legte ihr einen Finger auf die Lippen. Hinter ihm sah sie für einen kurzen Moment Helligkeit aufflackern, irgendwo in einem anderen Teil des Gebäudes.

Sie erstarrte, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Gages Atem streifte ihr Ohr. „Da ist jemand.“

Dann war seine Wärme plötzlich verschwunden. Sie wusste nicht, wo er war, aber er würde sie hier nicht allein zurücklassen. Nein, niemals. Als es ganz in der Nähe raschelte, schrak sie zusammen. Zum Glück gewöhnten sich ihre Augen langsam an die veränderten Lichtverhältnisse, und sie konnte ihn in der Nähe erkennen, wo er Sachen in seinen Rucksack stopfte.

„Versteck dich“, flüsterte er so leise, dass er fast vom Prasseln des Regens übertönt wurde.

„Vielleicht ist es gar nicht mein Vater.“

„Ich will lieber kein Risiko eingehen.“

„Und was ist mit dir?“

Er schüttelte den Kopf. „Nimm du das Geld, und sieh zu, dass du nach Montgomery kommst. Ich treffe dich dort. Ruf mich an, wenn du da bist. Und jetzt hoch mit dir.“

Das Gebälk über ihr war in Dunkelheit gehüllt und sah alles andere als vertrauenserweckend aus.

Sie zögerte.

„Hast du Angst?“, fragte Gage.

Obwohl sie außer sich war vor Furcht, entfachten seine Worte ein Feuer in ihr. Als Kinder hatten sie einander zum ersten Mal gesehen – durch ein mit Efeu überwuchertes Loch in der Mauer, die das Grundstück der Chevaliers von dem der Carons trennte. Seitdem stellte er ihr genau diese Frage, wenn sie wegen irgendetwas zögerte, und sie war nicht ein einziges Mal vor der Herausforderung zurückgescheut, ganz gleich wie angsteinflößend sie auch gewesen sein mochte.

„Das ist auch nicht anders, als auf die alte Magnolie zu klettern. Erinnerst du dich?“

Es war zu dunkel, als dass sie Gages Gesicht hätte sehen können, doch sie hörte, wie seine Stimme brach, und wusste, dass er ebenfalls Angst hatte. Sie nickte und blickte wieder nach oben.

„Ich erinnere mich.“

Wie sollte sie es je vergessen? Sie hatte in den knorrigen Ästen gesessen, auf die Welt hinabgeblickt und sich gefühlt, als könnte sie alles erreichen. Ihre Mutter wäre durchgedreht, wenn sie gewusst hätte, dass ihre kleine Prinzessin auf Bäume kletterte – noch dazu mit einem Caron! –, doch mit Gage war ihr nichts unmöglich erschienen. Dort oben, in ihrer Fantasiewelt, hatten sie die Realität hinter sich lassen können. Dort hatte sich aus einer kindlichen Verliebtheit echte Liebe entwickelt.

Gage stopfte einige seiner Habseligkeiten in seinen Rucksack. Ihre versteckte er in einem Freiraum hinter einem Loch in der Wand, sodass sie nicht auf den ersten Blick zu sehen waren.

„Du solltest jetzt wirklich besser losklettern, ma chère“, flüsterte er dann. Die Geräusche kamen näher, die gedämpften Stimmen mehrerer Männer und leises Lachen …

„Kommt raus, kommt raus, wo immer ihr euch auch verstecken mögt.“

Es war wie in einem kranken Spiel. Sie waren auf der Jagd, und Eve war die Beute des Tages. Sie schluckte die Übelkeit hinunter, die bei dem Gedanken in ihr aufstieg.

Gage trat auf sie zu, zog sie an sich und küsste sie. Dieses Mal war der Kuss nicht zärtlich, sondern hart und energisch, und er holte sie abrupt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Nicht jetzt und überhaupt niemals.

„Ich locke sie von hier fort, und dann läufst du so schnell, wie du kannst.“

Er ließ sie los, beugte sich zu ihr und machte mit den Händen eine Räuberleiter. Sie setzte den Fuß darauf, so wie früher, als er ihr auf den Baum geholfen hatte. Gage hob sie hinauf, und sie umklammerte den Holzbalken über ihr mit den Fingern. Obwohl sich Splitter in ihr Fleisch bohrten, hielt sie sich fest und zog sich weiter hoch, bis sie im Gebälk hocken konnte. Dort machte sie sich so klein wie möglich. Sie war gut darin, sich klein zu machen.

Von der Straße sickerte Licht durch die schmutzigen zerbrochenen Fenster. Gage warf ihr einen letzten Blick zu. Das Licht kam näher.

„Bald“, flüsterte er, zog seinen Rucksack über und schlich davon, bis er fast außer Sichtweite war. Er war die Ablenkung. Die Entenmutter, die die Jäger von ihren Jungen weglockte.

Eve hatte das Geld in ihrer Tasche. Und wenn Gage und die Männer ihres Vaters fort wären, würde sie hinunterklettern und sich auf den Weg nach Montgomery machen.

Sie würden sich wiederfinden. Sie würden heiraten, genau wie geplant. Alles würde gut werden.

Schreie zerrissen die Stille der Nacht.

„Dort! Da ist er!“

Schritte, ein Gerangel – ein Durcheinander von Geräuschen, das sie nicht entwirren konnte.

„Ich hab ihn!“

„Lass mich los!“

Das war Gages Stimme, doch so hatte sie ihn noch nie gehört. Er klang genauso entsetzt und panisch, wie sie sich fühlte.

Sie umklammerte den Balken unter sich so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, und schloss die Augen. Verzweifelt versuchte sie über das Prasseln des Regens hinweg zu verstehen, was gesprochen wurde.

„Wo ist sie?“

Eve erstarrte, ihr stockte der Atem.

Sie kannte diese Stimme nur zu gut … ihr Vater!

Kurz herrschte Stille, dann war ein dumpfer Aufschlag zu hören und anschließend ein Keuchen. Ein Knacken, wie vom Zerbrechen eines Zweigs, gefolgt von Gages Stimme, die gepresst und schmerzerfüllt klang.

„Sie ist fort.“

Hatten sie ihm wehgetan? Eves Herz raste, und in ihrem Kopf drehte sich alles, doch sie versuchte verzweifelt, die Ruhe zu bewahren. Wenn sie ohnmächtig würde und aus ihrem Versteck fiele, wäre alles verloren.

„Sie hat dich zurückgelassen?“

„Sie werden sie niemals finden, dafür habe ich gesorgt.“

Sie konnte die Antwort ihres Vaters nicht hören, nur das Murmeln der Männer, das immer lauter und lauter wurde. Mehr Taschenlampen, jetzt direkt unter ihr. Sie zuckte zusammen, als ein Mann gegen eine alte Kiste stieß. Er nieste laut, und sie hielt den Atem an, als der Staub auch ihre Nase kitzelte.

Sie durften nicht nach oben blicken. Nicht nach oben. Bitte.

Es regnete jetzt stärker, jeder Tropfen auf dem Dach klang wie eine kleine Explosion. Es war so laut, dass sie kaum etwas anderes hören konnte – was bedeutete, dass es den Männern unten nicht anders ging.

„Hier ist niemand, Boss!“, rief einer der Leute ihres Vaters und ließ noch einmal den Strahl seiner Taschenlampe durch den Raum wandern. Dann war das Licht fort, und sie hörte schwere Schritte, die sich entfernten.

Eve schloss die Augen. Tränen brannten hinter ihren Lidern, doch sie hielt sie zurück. Sie würde nicht weinen. Nicht jetzt. Sie musste stark bleiben – für Gage. Wenn sie wieder zusammen wären, könnte sie sich fallen lassen.

„Junge, dein Großvater war ein Lügner, und dein Daddy ist ein Dieb.“ Wieder die Stimme ihres Vaters, kalt und grausam. Der Tonfall war ihr nur zu gut bekannt. „Und jetzt willst du mir auch noch meine Tochter stehlen? Ich werde dich und deine Familie ruinieren, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich werde alles zerstören, was du liebst.“

Die Stimme ließ eisiges Entsetzen durch ihre Adern kriechen. Sie biss sich auf die Lippe, um ein Keuchen zurückzuhalten. Hugo Chevalier war kein Mann leerer Worte, das wusste sie. Was hatte sie getan? Sie hätte nicht davonlaufen dürfen. Sie hätte Gage oder seine Familie niemals einer solchen Gefahr aussetzen dürfen.

Jemand spuckte. Sie drängte sich näher an den Balken, doch sie konnte noch immer nichts sehen. Die Splitter, die sich in ihre Haut gebohrt hatten, brannten.

Ein leises Lachen. Gage. Sie erzitterte. Er verstand nicht. Ihr Vater war kein Mann, den man straflos herausforderte.

„Sie können niemals alles zerstören, was ich liebe, Chevalier, denn Sie werden Eve niemals wiedersehen. Sie ist in Sicherheit.“

Ein dumpfes Geräusch, es klang wie eine Faust, die auf Fleisch traf, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie durfte sich nicht bewegen, auch wenn sie verzweifelt wissen wollte, ob Gage okay war. Gebrüll, Lärm, Schmerzensschreie. Jetzt konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass er ihretwegen zusammengeschlagen wurde.

Sie sollte ihr Versteck verlassen und ihn beschützen, so wie er immer versuchte, sie zu beschützen. Er behauptete, dass sie einer der mutigsten Menschen war, die er kannte, doch heute Nacht fühlte sie sich ganz und gar nicht mutig. Im Gegenteil – sie fühlte sich wie ein Feigling.

Eve barg ihr Gesicht im Ärmel von Gages Mantel und inhalierte den Duft des Mannes, den sie liebte. Sein Geruch erinnerte sie an alles, was sie verlieren würden, wenn etwas schiefging.

Es gab kein Zurück mehr.

Das Prasseln des Regens verschluckte ihr verzweifeltes Schluchzen.

1. KAPITEL

Heute …

Eve saß an einem langen Konferenztisch mit spektakulärem Ausblick über die Skyline von Seattle. Der Sitzungsraum war ein einziges Statement, mit all seinem Glas, auf Hochglanz polierten Holz und funkelnden Chrom. Er strahlte Erfolg und die Macht einer Firma aus, die nach oben strebte und auf ihrem Weg keine Gefangenen machte. Es war der letzte Ort auf Erden, an dem sie sein wollte, und zugleich genau der, an dem sie sein musste.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Zehn Minuten. Er ließ sie warten. Sie trommelte mit den Fingern auf die Papiere, die vor ihr auf dem Tisch lagen. In ihrem Inneren herrschte ein Gefühlschaos, das sich nicht entwirren lassen würde, ganz gleich, wie sehr sie es auch versuchte.

„Ich bin nicht sicher, ob das hier eine gute Idee ist, Miss Chevalier.“

Sie warf ihrem Anwalt einen scharfen Blick zu. Der Mann arbeitete schon seit vielen Jahren für die Firma ihrer Familie. Er war ein Teil des Problems, nicht die Lösung für all die Dinge, die auf so katastrophale Art und Weise schiefgegangen waren. Dennoch war sie gezwungen gewesen, ihn mitzunehmen. Dem Vorstand fiel es noch immer schwer, sie anstelle ihres Vaters am Ruder des Unternehmens zu akzeptieren. Man traute ihr nicht – und das würde ihr hier auch nicht anders ergehen.

„Wir haben keine andere Wahl.“ Das Familienunternehmen – Knight Enterprises – stand am Rande des Abgrunds. Eve selbst würde es überleben, wenn die Firma einen schnellen und öffentlichen Tod starb. Sie hatte Schlimmeres durchgestanden, das hier war nichts dagegen.

Sie ignorierte den scharfen Schmerz, der sie durchzuckte, als die Erinnerung an einen kleinen weißen Sarg in einer leeren Kirche in ihr aufflackerte. Der Konkurs einer Firma war kein Weltuntergang für sie. Doch für ihre Mutter und ihre jüngere Schwester sahen die Dinge anders aus. So überbehütet – kontrolliert –, wie sie bisher gelebt hatten, würde der Ruin des Familienunternehmens sie mit in den Abgrund reißen. Und das würde Eve nicht zulassen.

Sie hatte in ihrem Leben einige entsetzliche, verletzende Dinge getan. Aber ihre Mutter und ihre Schwester würde sie nicht im Stich lassen. Niemals.

„Ihr Vater würde das anders sehen. Ihr Vater …“

Mit einem schneidenden Blick brachte sie den Anwalt zum Schweigen. Sie war wirklich gut darin geworden, andere in ihre Schranken zu weisen. Wie der Vater, so die Tochter. Ob ihr Vater wohl stolz auf sie wäre? Sie hasste den Gedanken, dass er es möglicherweise wäre.

„Mein Vater liegt bewusstlos im Krankenhaus. Er hat hier nichts zu sagen.“

Was seinen Feinden nie gelungen war, hatte ein simpler Moskito geschafft: Eine Sepsis infolge eines harmlos wirkenden Stichs hatte ihn niedergestreckt, und nun lag er auf der Intensivstation im Krankenhaus von Jackson. Sie suchte tief in sich nach einem Funken Mitgefühl, doch sie war zu sehr damit beschäftigt, die Wahrheit über den Zustand ihres Vaters zu vertuschen und zugleich Knight Enterprises über Wasser zu halten.

Dass sie auf einer tickenden Zeitbombe saßen, hatte ihnen ihr Vater vor sieben Jahren eingebrockt. Und wenn es ihr jetzt nicht gelänge, die Situation zu entschärfen, würde sie ihnen allen um die Ohren fliegen. Aber Eve war gut darin, Situationen zu entschärfen. Sie tat es schon ihr ganzes Leben lang, und sie würde es wieder tun.

„Caron ist Ihrem Vater nun schon seit Jahren dicht auf den Fersen. Wenn Sie das tun, wird es das Ende von Knight Enterprises sein. Können Sie das wirklich verantworten?“

Caron Investments war ihnen nicht nur auf den Fersen, das Unternehmen hatte bereits seine Fänge um sie geschlungen und war bereit, sie mit Haut und Haaren zu schlucken. Der Hass zwischen den beiden Familien und Konkurrenten hatte dazu geführt, dass sie sich heute in diesem Sitzungssaal wiederfand. Doch wenn sie ehrlich sein sollte, war sie selbst nicht ganz unschuldig daran, denn sie hatte die Feindseligkeiten noch weiter angefacht. In gewisser Weise war sie der Grund dafür, dass sie heute hier saßen.

Letzten Endes würde eine Firma die andere schlucken – sie hatte nur nicht erwartet, dass Caron Investments am Ende als Sieger aus dem Rennen gehen würde. Aber genau danach sah es heute aus.

„Wenn mich jemand darüber informiert hätte, was hier vor sich geht, stünden wir jetzt vielleicht nicht an diesem Punkt“, fauchte sie. „Aber das ist nicht geschehen, wofür ich übrigens noch immer keine Erklärung erhalten habe. Das ist eine grobe Nachlässigkeit vonseiten des Vorstands – was Sie wissen sollten, als Rechtsbeistand der Firma.“

Sie griff nach dem Wasserglas, das vor ihr stand. Gages Verspätung war mehr als unhöflich und sendete eine unmissverständliche Botschaft: Du bist nichts. Du hast keinerlei Bedeutung für mich. Du bist hier, weil ich dich herzitiert habe, und du bist mir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Sie konnte natürlich aufstehen und gehen, hocherhobenen Hauptes, und alles um sich herum den Bach hinuntergehen lassen. Der Gedanke entbehrte nicht eines gewissen Reizes. Die einzig wahre Liebe ihres Vaters – seine Firma – zerstört, ganz einfach weil es ihr gefiel. Aber Gage hatte sie angerufen und um ein Treffen gebeten. Das reichte, um sie ausharren zu lassen, denn sie hatte ihn seit jener Nacht vor sieben Jahren nicht mehr gesehen. Damals, als er in dem baufälligen Gebäude zu ihr aufgeblickt, ihre Finger geküsst und dann davongelaufen war, um ihren Vater und seine Männer von ihr wegzulocken.

Die Tür wurde geöffnet, und Eves Herz schlug einen Purzelbaum. Sie schluckte hart und straffte die Schultern. Sie würde sich nicht anmerken lassen, dass ihre Pulsfrequenz kritische Höhen erreichte. Stattdessen holte sie tief Luft und hüllte sich in eine Aura aus Eis. Es war wie ein Schutzpanzer, durch den sie nichts berühren konnte. Sie hatte keine Tränen mehr. Die letzten hatte sie als naive Zwanzigjährige vergossen, die Quelle war versiegt.

Endlich erschien er im Türrahmen, und der Anblick raubte ihr schier den Atem. All die Jahre, in denen sie seine Karriere übers Internet verfolgt hatte, all die Bilder und Artikel hatten sie nicht darauf vorbereiten können, ihn wiederzusehen.

Er trat in den Raum, den Blick auf sein Handy gerichtet, ohne ihre Anwesenheit auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Doch nicht einmal das konnte sie berühren.

Sie musterte ihn von oben bis unten. Er trug einen dunkelblauen Anzug, dazu ein weißes Hemd und eine blau-rote Krawatte. Maßgeschneidert, selbstverständlich. Das blonde Haar schimmerte im Licht, das durch die Fensterfront fiel. Er war ganz und gar der Goldjunge, als den die Presse ihn bezeichnete. Seine Präsenz erfüllte den Raum.

Eve bemühte sich zu verbergen, welche verheerende Wirkung er auf sie ausübte. Doch auch nach all den Jahren reagierte ihr Körper instinktiv auf ihn, und sie hasste ihn dafür.

Gage zog sich einen Stuhl zurück, ohne das Display seines Handys aus den Augen zu lassen, und setzte sich. Erst dann sah er zu ihr herüber.

Es fühlte sich an, als würde sich ein Dolch aus Eis mitten durch ihr Herz bohren. Seine frostblauen Augen strahlten eine solche Kälte aus, dass Eve ein Zittern durchlief. Erinnerte er sich an das letzte Mal, als sie miteinander gesprochen hatten? Das schreckliche Telefonat, zu dem ihr Vater sie gezwungen hatte? Sie musste sich zusammenreißen, um nicht aufzuspringen und die Flucht zu ergreifen.

Sie hatte nicht erwartet, ihn jemals wiederzusehen. Nachdem sie nach Frankreich verbannt worden war, hatte sie die vergangenen sieben Jahre dort verbracht. Es war eine Vereinbarung gewesen, um Gage zu beschützen – vor Geheimnissen, die er niemals erfahren durfte. Vor Geheimnissen, die ihn zerstören würden. Ihn und seine Familie.

Eve würde sie für immer für sich behalten, aber sie war lange genug davongelaufen. Das machte am Ende alles nur noch schlimmer, wie Gage und sie aus Erfahrung wussten.

„Miss Chevalier.“ Seine Stimme klang tief und seidenweich, und sie ließ Eves Herz schneller schlagen. „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.“

Eve zwang sich, ihm geradewegs ins Gesicht zu blicken. Es hatte alle Weichheit verloren und bestand nur noch aus Ecken und Kanten, ein Abbild männlicher Perfektion. Der einzige Makel bestand in einer kleinen Narbe unter seinem rechten Auge und einem winzigen Höcker dort, wo seine Nase zweifelsohne von ihrem Vater oder einem seiner Handlanger gebrochen worden war.

„Gage. Danke, dass du uns eingeladen hast.“

Seine Augen verengten sich. Vermutlich nannte ihn sonst jeder Mr. Caron, aber Eve weigerte sich, dieses Spielchen mitzuspielen. Sie mochte darauf vorbereitet sein, ihn am Ende um Hilfe anzuflehen, doch für den Moment verhandelten sie noch auf Augenhöhe.

„Danke mir, wenn du weißt, was ich dir anbieten will“, wechselte er, ohne mit der Wimper zu zucken, in die vertraulichere Anrede.

„Du kommst gleich zur Sache, das gefällt mir.“

„Hättest du nicht so lange gezögert, dich um die geschäftlichen Belange eurer Firma zu kümmern, würde sich Knight Enterprises jetzt vielleicht nicht in einer so verzweifelten Lage befinden.“

Eve presste die Lippen zusammen. Sie hatte ja versucht, die Zügel in die Hand zu nehmen, als die Dinge aus dem Ruder zu laufen begannen, aber niemand hatte auf sie hören wollen. Man hatte sie in Frankreich mit dem dortigen Zweig des Unternehmens herumspielen lassen, doch die USA waren die Domäne ihres Vaters, und der war einige unvorhersehbare Risiken eingegangen. Zu viele seiner Experimente hatten nicht zum Erfolg geführt, und nun befand sich die Firma in der Lage, dass sie den aufziehenden Sturm nicht überstehen würde.

„Mein Vater und der Vorstand waren für die Geschäfte in den Staaten zuständig.“

„Und trotzdem bist du jetzt an seiner Stelle hier.“

Eve versteifte sich. Sie hatte die Nachricht von der Erkrankung ihres Vaters zurückgehalten, um zunächst das wahre Ausmaß des Schadens zu ergründen, den er angerichtet hatte.

„Genau dort, wo du mich haben willst?“

„So ist es. Und? Wirst du mich anflehen, dir zu helfen, aus dem Schlamassel herauszukommen, in den du dich gebracht hast?“

Der Anwalt machte Anstalten, sich von seinem Stuhl zu erheben, doch wenn er sich jetzt einmischte, würde sie an Boden verlieren. Sie war kein kleines Mädchen, das verteidigt werden musste. Seit Jahren trug sie ihre Kämpfe nun schon allein aus – und entschied sie für sich.

Sie hob eine Hand, und der Anwalt setzte sich nach kurzem Zögern wieder, wobei er leise vor sich hingrollte.

Gage sagte nichts. Er würde bald sehen, dass sie sich nicht einfach so herumschubsen ließ – nicht mehr.

„Die Fehler hat mein Vater begangen. Seine Entscheidungen sind nicht meine, und aus diesem Grund weigere ich mich auch, für sie einzustehen.“

„Schön zu hören, dass du zu deinen eigenen Entscheidungen stehst, Eve. Heißt das, du übernimmst die Verantwortung für das, was auf dich zukommt?“

Sie griff nach ihrem Glas und nippte daran. Das kalte Wasser sorgte dafür, dass sich ihr Magen schmerzhaft zusammenkrampfte, doch sie ließ sich nichts anmerken. Sie war aus härterem Holz geschnitzt und hatte sich schon gegen ganz andere Dämonen aus ihrer Vergangenheit zur Wehr gesetzt als gegen Gage Caron.

„Ich übernehme immer die Verantwortung für meine Taten.“

Er lachte freudlos. „Lassen wir die Plänkeleien und kommen zum Punkt. Knight Enterprises befindet sich in einer desaströsen finanziellen Lage. Ihr seid nicht auf natürliche Weise gewachsen, sondern habt alles aufgekauft, was ihr in eure gierigen Finger bekommen konntet – ganz besonders solche Unternehmen, an denen Caron ein Interesse angemeldet hatte.“

„Nun, wenn du daran interessiert gewesen bist, hat es sich doch sicher um solide Investitionen gehandelt.“

Gages Augen blitzten. „Es hatte seinen Grund, dass ich mich letztlich gegen sie entschieden habe. Die Risiken haben die zu erwartenden Renditen bei Weitem überwogen.“

Autor

Kali Anthony
<p>Als Kali Anthony mit vierzehn ihren ersten Roman las, wurde ihr einiges klar: Es kann nie zu viele Happy Ends geben, und eines Tages würde sie diese selbst schreiben.Wie in einer perfekten Liebesromanze heiratete sie ihren eigenen großen, dunklen und gutaussehenden Helden, dann wagte sie den Sprung ins kalte Wasser...
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