Kein Tag ohne ihn

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In der romantischen Kulisse des australischen Tropenwaldes würde Eve den Liebesschwüren von Drew nur zu gern glauben. Aber es gibt noch einen anderen Drew außerhalb dieses Zwielicht-Paradieses - den, der mit der schönen Susan flirtet und auch sonst ein Frauenversteher ist. Eve hat ihre Erfahrungen gemacht. Sie ist vorsichtig geworden. Und doch würde sie am liebsten alle Sorgen und jeden Schmerz vergessen, Drew für immer glauben und sich ganz auf ihn einlassen!


  • Erscheinungstag 15.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775865
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eve brauchte zu Fuß zehn Minuten von der Handelsbank „Pearce Musgrave“, bei der sie arbeitete, zum neu errichteten Gebäude der „Trans Continental Resources“. Es war genau ein Uhr mittags, als sie den Eingang erreichte. Sie hatte also noch Zeit, um ihre Gedanken für das bevorstehende Vorstellungsgespräch zu sammeln. Eve überließ nur ungern etwas dem Zufall.

Die subtropische Hitze in Brisbane war beinahe unerträglich. Keine Wolke zeigte sich am blauen Himmel, und die heiße feuchte Luft flimmerte in der Mittagshitze über den überfüllten Straßen, sodass man das Gefühl hatte, durch Wasser zu gehen. Auch Eve litt unter der Hitze, doch als die automatischen Glastüren mit dem Logo von TCR lautlos auseinanderglitten, schlug ihr wunderbar kühle Luft entgegen.

Aufatmend trat sie ein und sah sich neugierig in der großen Eingangshalle um. Der ultramoderne Wolkenkratzer, der erst vor Kurzem das alte Hauptquartier der Firma abgelöst hatte, bot einen beeindruckenden Anblick, besonders wenn sich die Sonne in den gläsernen Fassaden spiegelte. Er zeugte davon, dass TCR in der Erschließung von Bodenschätzen, der Mineralien- und Erdgasgewinnung eine der bedeutendsten Firmen des Landes war, und zudem eine der wenigen, die Frauen hohe Positionen einräumte. Eine Frau war beispielsweise Vizepräsidentin des Unternehmens.

Beförderung aufgrund von Leistung – das war für Eve ein enormer Anreiz. Mit ihren vierundzwanzig Jahren war sie fest entschlossen, Karriere zu machen. Ehe und Familie – das war etwas für hoffnungslose Romantiker, für Frauen, die in ihrer Familie nur Liebe und Sicherheit kennengelernt hatten und nichts von Verrat und Betrug wussten. Es gab andere Frauen, die weniger Glück hatten, die zugrunde gingen, weil ihnen die Liebe entzogen wurde. Eve hatte das zu ihrem Leidwesen kennengelernt. Ihr Vater, der ihr immer so nahe gewesen war, brach ihrer Mutter das Herz, als Eve dreizehn und ihr Bruder Ben neun war. Eines Abends kam Brad Copeland nach Hause und sagte seiner ahnungslosen Frau einfach: „Ich will die Scheidung, Maureen. Ich weiß, wie sehr ich dich damit verletze, aber ich habe mich verliebt.“ Der Zeitpunkt war besonders gut gewählt – zwei Wochen vor Weihnachten.

Eine Andere, eine Kollegin, kaum halb so alt wie er. „Ich brauche sie!“, rief er leidenschaftlich, ohne seiner entsetzten Frau in die Augen zu sehen. „Ich kann ohne sie nicht leben. Unsere Ehe war doch ohnehin nicht mehr die beste.“ Diese Auffassung brachte Maureen endgültig aus der Fassung. Seltsamerweise hatte sie bisher angenommen, ihr gemeinsames Leben basiere auf gegenseitiger Liebe und auf der Liebe zu ihren Kindern.

Während ihr Vater sich über die Freuden ausließ, die so unerwartet in sein Leben getreten waren, und ihre Mutter vor sich hin schluchzte, saßen Eve und Ben eng umschlungen auf der Treppe. Ben weinte laut, doch Eve war einfach nur wütend. Bisher hatte sie immer gedacht, dass ihre Familie unzerstörbar sei, dass ihre Eltern sich liebten, auch wenn sie sich ab und zu stritten.

Und jetzt – nur noch Chaos und Einsamkeit. Und das alles, weil die Hormone eines Mannes verrücktspielten, weil er Leidenschaft mit Liebe verwechselte.

Eve rannte die Treppe hinunter, schlug mit den Fäusten auf ihren Vater ein und belegte ihn mit sämtlichen Schimpfworten, die ihr einfielen. Im Gegensatz zu Ben hatte sie nie mit ihren Gefühlen hinter dem Berg gehalten. Ihr Vater hatte Mühe, sie abzuwehren. „Es tut mir leid, Evie, wirklich. Du kannst es ja nicht verstehen!“ Aber sie glaubte nicht, dass er echte Trauer empfand, obwohl ihm Tränen in den Augen standen.

Jetzt, in der Eingangshalle von TCR, erinnerte Eve sich an diese Szene. Sie hatte sich ihr ins Gedächtnis eingebrannt, wie es so oft mit schmerzlichen Erinnerungen war. Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, um über das katastrophale Ende der Ehe ihrer Eltern nachzudenken. Sie musste sich auf ihr Vorstellungsgespräch konzentrieren, das richtige Bild bieten: Haltung und Selbstvertrauen, die Fähigkeit und den Willen, etwas zu bewegen. Eine junge Frau mit einem Trauma dagegen bedeutete für jede Firma ein potenzielles Risiko.

Entschlossen umklammerte Eve ihre Aktenmappe und ging zu den Fahrstühlen. In den glänzenden Marmorboden der Halle war ein weiteres Firmenlogo eingelassen – zwei ineinander verschlungene silberfarbene und blaue Ringe. Anscheinend wusste man hier, wie man sich darzustellen hatte.

Eve unterdrückte das kindliche Verlangen, über den polierten Boden zu schlittern, und dachte stattdessen über ihre Bewerbung nach. Natürlich wusste sie, dass „Assistent der Geschäftsführung“ alles Mögliche bedeuten konnte, vom Handlanger bis zu einer wirklich verantwortlichen Position. Eigentlich war es ein Risiko, die Stelle zu wechseln, und sie ging nicht gern Risiken ein. Aber diesmal war sie ihrem Instinkt gefolgt.

Vor drei Jahren hatte sie ihr Studium in Wirtschaftswissenschaften mit Auszeichnung abgeschlossen und die Stelle bei Pearce Musgrave angetreten. Obwohl man ihre hervorragende Arbeit anerkannte, musste sie bald einsehen, dass sie wahrscheinlich nicht weiter aufsteigen würde. In der Führungsetage von Pearce Musgrave gab es keine Frauen. Eve würde also ewig in der zweiten Reihe stehen, und damit wollte sie sich nicht abfinden. Als sie bei der Beförderung übergangen wurde – zugunsten eines Mannes, der zwar fähig war, aber nicht halb so gut wie sie, was jeder wusste – stand ihr Entschluss fest: Sie würde sich einen neuen Job suchen. Ben brauchte noch mehrere Jahre für sein Medizinstudium. Auch er hatte eine glänzende Karriere vor sich. Beide arbeiteten von früh bis spät, und dennoch schien das Geld nie zu reichen.

Nach der Scheidung hatte ihr Vater sich „anständig“ verhalten, zumindest seiner Auffassung nach. Er bezahlte Eves und Bens Ausbildung, bis seine zweite Frau Sally selbst zwei Kinder bekam. Danach wurden die Zahlungen spärlicher.

Eve verdiente sich während des Studiums den Lebensunterhalt selbst, als Kellnerin und als Buchhalterin für einen alten Freund der Familie, der ein Juweliergeschäft besaß und ihr den Job nur aus Freundlichkeit gab. Sie revanchierte sich, indem sie seine marode Firma in einen florierenden Betrieb verwandelte.

Ihre Mutter hatte keine inneren Reserven, auf die sie zurückgreifen konnte. Ihre Mutter litt. Und wie sie litt! Eve machte schon früh die Erfahrung, wie sehr eine Frau leiden konnte, wenn der Mann sie verließ. Eve war es, die für ihre Mutter und ihren kleinen Bruder sorgte, wild entschlossen, allen zu zeigen, dass sie es auch allein schaffen konnten.

Alle, die Eve als Mädchen gekannt und beobachtet hatten, wie sie die Last auf ihre jungen Schultern nahm, bewunderten sie dafür, doch Eve wusste, dass sie versagt hatte. Sie war erst zwanzig, als ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall getötet wurde.

„Sie ist einfach auf die Straße gelaufen, ohne nach rechts und links zu sehen“, berichtete der erschütterte Autofahrer der Polizei.

Eve und Ben beschlossen, es als tragischen Unfall anzusehen. Ihre Mutter hätte sie niemals freiwillig verlassen. Aber sie fühlten sich einfach verloren. Ihr Vater wollte sich um sie beide kümmern, doch Eve in ihrem Schmerz gab ihm deutlich zu verstehen, dass er auf der Beerdigung nicht erwünscht sei, dass sie ihm seinen „verdammten Verrat“ niemals verzeihen würden.

Damals schwor sie sich, keinem Mann jemals die Chance zu geben, sie so zu betrügen. Lieber würde sie ihr Leben lang allein bleiben, als das zu ertragen, was ihre Mutter ertragen hatte. Nach außen hin gab sie sich kühl und tapfer, damit niemand ahnte, wie verwundbar sie war.

Nur Ben war ihre Achillesferse. Eve liebte ihren Bruder von ganzem Herzen, und ihr Leben drehte sich nur um ihn. Ohne den Grund zu wissen, wollte sie unbedingt, dass er die richtige Frau fand, dass er heiratete und eine Familie gründete. Obwohl er so brillant in seiner Arbeit war, konnte er im Leben nicht allein bestehen. Der Verrat ihres Vaters hatte auch ihn tief verletzt, und notgedrungen hatte er sich danach ein dickes Fell zugelegt. Aber seitdem lauerte die Angst vorm Verlassenwerden auch in ihm.

Eve wartete noch immer auf den Lift, vor dem sich inzwischen eine Gruppe von Geschäftsmännern und – frauen eingefunden hatte. Eve wusste, dass einige Stockwerke des TCR-Gebäudes von einer bekannten Anwaltskanzlei und TCRs eigener Rechtsabteilung belegt waren. Von Sir David Forsythe, dem legendären Firmeninhaber, war nichts zu sehen. Auch nicht von Drew, seinem Sohn und Erben, der erst kürzlich vom Vorstand in die Geschäftsleitung berufen worden war. Sir David war angeblich sehr stolz auf seinen Sohn, dessen Fähigkeiten dem Namen der Familie alle Ehre machten.

Drew Forsythe, der Frauenheld. Da Eve sich nicht in den Kreisen der High Society bewegte, war sie ihm nie begegnet, aber sie glaubte, alles über ihn zu wissen. Vor Kurzem hatte er sich nach vier Jahren Ehe von seiner jungen und schönen Frau scheiden lassen. Wahrscheinlich hatte er die Finger nicht von anderen Frauen lassen können – widerlich! Eves beste Freundin, die aus einer wohlhabenden Familie stammte, hatte ihn kennengelernt. „Gefährlich – das ist das richtige Wort für ihn“, sagte sie. „Glatt und doch mit Ecken und Kanten. Weißt du, was ich meine?“ Und Lisa hatte ihr spielerisch den Ellbogen in die Rippen gestoßen, um ihre allzu beherrschte Freundin endlich einmal aus der Reserve zu locken.

Eves Vater war auch charmant und gut aussehend, immer noch. Eve sah ihn ab und zu, wenn er sie auf dem Heimweg von der Arbeit abpasste. Er versuchte verzweifelt, alles an ihr und Ben wieder gutzumachen, doch dieser Teil ihres Lebens war vorbei. Ihr Vater hatte durch seinen Betrug ihre Welt ins Wanken gebracht und den vorzeitigen Tod ihrer Mutter verursacht. Er hatte in ihrem Leben keinen Platz mehr.

Der Lift kam und schreckte Eve aus ihren Gedanken auf, die sie sonst ins Unterbewusstsein verdrängte. Während Leute aus dem Fahrstuhl stiegen und andere sich hineindrängten, trat Eve zurück. Sie würde auf den nächsten Lift warten und ihn mit etwas Glück für sich haben.

Ein dezenter Summton zeigte die Ankunft des zweiten Lifts an, und sie stellte sich davor. Außer ihr wartete jetzt niemand mehr. In einiger Entfernung standen mehrere Leute, die lebhaft miteinander diskutierten. Eve schnappte einige Wortfetzen auf: Die Finanzkrise in Asien, und wie sie sich auf TCR auswirken würde. Gerüchte besagten, dass die Firma sich durch langfristige Verträge gegen derartige Fälle abgesichert habe.

Die Lifttüren glitten langsam auf, und der Anblick, der sich Eve bot, traf sie völlig unvorbereitet. Es waren nur Bruchteile von Sekunden, doch sie reichten, um unangenehme Erinnerungen aufzuwühlen. Durch den Spalt sah sie im Innern des Fahrstuhls einen Mann und eine Frau, die sich hastig aus einer leidenschaftlichen Umarmung lösten. Die Frau hatte den Kopf zurückgeworfen, Tränen hingen in ihren langen dunklen Wimpern. Das dichte dunkelbraune Haar fiel ihr schimmernd bis auf die Schultern, ihre Haut war hell und makellos, und das elegante Kostüm betonte ihre schlanke Figur.

Lady Forsythe! Eve fiel es wie Schuppen von den Augen. David Forsythes zweite Frau.

Den Mann hätte Eve überall wiedererkannt. Drew Forsythe, groß und schlank, geschmeidig wie ein Raubtier. Der Mann, der alles besaß, außer Ehre. Eve fühlte Ekel und Ablehnung in sich aufsteigen.

Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre fortgerannt, doch sie war wie erstarrt, gefangen in ihren düsteren Erinnerungen und in hilfloser Wut. Was für eine erbärmliche Verschwörung, hier, in dieser allmächtigen Firma! Warum hatte man sie nicht gewarnt? Oder wusste noch niemand etwas von diesem Skandal?

Ruhig, befahl sie sich und atmete tief durch. Der Anblick mochte schockierend sein, aber ihre Reaktion stand wirklich in keinem Verhältnis dazu. Schließlich war sie nicht persönlich beteiligt.

Die Türen hatten sich jetzt ganz geöffnet, und die Frau stand immer noch benommen und stocksteif da, als müsste sie erst die Fassung zurückgewinnen. Kein Wunder, bei diesem Mann, der so gefährliche Spiele trieb.

Sir David, seit vielen Jahren verwitwet, hatte erst vor etwas mehr als einem Jahr wieder geheiratet. Eve erinnerte sich an die Berichte in den Klatschspalten. Seine Braut war Mitinhaberin einer erfolgreichen PR-Firma und erst Mitte dreißig, ungefähr so alt wie sein Sohn. Sir David war Anfang sechzig, sah allerdings immer noch sehr gut aus.

Aber Geld und Macht ließen jeden Mann gut aussehen, oder? Viele Frauen wurden davon magisch angezogen, auch wenn am Ende immer die Männer die Gewinner waren. Eve wurde beinahe schlecht vor Verachtung. Wenn Drew Forsythe eine unmögliche, vielleicht tödliche Affäre mit der Frau seines Vaters hatte, dann durfte er nicht so einfach davonkommen.

Endlich löste sich die Frau aus ihrer Erstarrung. Sie drehte den Kopf und lächelte Eve an, ein wenig schmerzlich, doch in ihren schimmernden blauen Augen lag kein Ausdruck von Schuldbewusstsein. Na ja, vielleicht war es in diesen Kreisen üblich, sich leidenschaftlich vom Stiefsohn umarmen zu lassen.

„Du kommst zurecht?“ Drew Forsythe schien sich von ihrem Anblick nicht losreißen zu können.

„Ja, keine Sorge.“ Lady Forsythe hob die Hand und streichelte ihm die Wange – eine sehr intime Geste. Dann trat sie aus dem Lift und hinterließ den zarten Duft ihres Parfüms. Van Cleef & Arpels. Eve erkannte es schmerzlich. Es war das Lieblingsparfüm ihrer Mutter gewesen.

„Dann bis heute Abend.“ Forsythe lächelte der Frau seines Vaters strahlend nach. Dieses Lächeln verwandelte seine ernsten Gesichtszüge völlig und machte ihn unglaublich attraktiv. Um seinen Mund erschienen Fältchen, und seine Zähne hoben sich weiß von der sonnengebräunten Haut ab. Eve hatte gelesen, dass er ein begeisterter Segler war.

Jetzt erst bemerkte er Eve. „Nach oben?“ Er warf ihr einen gleichgültigen, aber forschenden Blick zu. Himmel, diese grünen Augen waren kälter als Eis. Doch was für einen Grund konnte eine Fremde haben, ihn so anzublicken?

„Ja, vielen Dank.“ Sie sprach leise, höflich, eine Spur zu spröde, als müsste sie sich zwingen, gleichmütig zu erscheinen.

Er runzelte die Stirn und versuchte, sie einzuschätzen. Adrett. Hochgeschlossene Bluse, knielanger Rock. Groß, zu dünn. Helle Haut ohne Make-up. Sie sah aus wie eine Nonne, die aus dem Kloster entflohen war. Doch hinter dem biederen Äußeren schienen ungeahnte Kräfte zu liegen. „Welche Etage?“, fragte er.

„Fünfte, danke.“ Ihr dunkelblondes Haar war streng im Nacken zusammengefasst. Er bemerkte, wie schön es war. Warum trug sie es nicht offen?

Er drückte auf einen Knopf, und die Türen schlossen sich. Eve zuckte unwillkürlich zusammen. Nimm dich zusammen, befahl sie sich. Er war zwar ein Frauenheld, aber kein Ungeheuer. Starr blickte sie auf die Wandverkleidung über der Tür und versuchte, das Gefühl zu unterdrücken, das sie in diesem engen Käfig plötzlich überkam. Es war instinktiv, beinahe elementar. Sie hatte sich noch nie so sehr als Frau gefühlt.

„Dann sind Sie hier, um sich vorzustellen?“, fragte er und überlegte, wie diese kleine, zartgliedrige Nonne es wohl mit der harten Geschäftswelt aufnehmen wollte.

Sie nickte und sah ihn immer noch nicht an. „Assistent der Geschäftsführung. Ich habe um Viertel nach eins ein Gespräch.“

„Wirklich?“ Er lehnte sich lässig gegen die Wand und betrachtete ihr Profil. Sie hatte feine, fast klassische Gesichtszüge. „Dann können Sie ja noch …“, er warf einen Blick auf seine goldene Rolex-Armbanduhr, „ganze acht Minuten nachdenken über das, was Sie angeblich gesehen haben.“

Eve stieg Zornesröte in die Wangen. Wie konnte dieser Betrüger es wagen, ihr etwas zu verbieten? Sie wusste ganz genau, was sie gesehen hatte! Aber eine innere Stimme riet ihr, lieber vorsichtig zu sein. Dies war Drew Forsythe, und er konnte all ihre Chancen zunichtemachen.

Sie zwang sich zu einem gelassenen Ton. „Wie bitte?“

„Ich denke, Sie wissen genau, wovon ich rede.“ Es klang kurz angebunden, ein krasser Gegensatz zu seiner warmen, verführerischen Stimme von vorhin. „Darauf würde ich sogar wetten.“

„Ich kann es mir nicht leisten, zu wetten.“ Trotz aller Vorsicht waren ihr die Worte herausgerutscht.

„Ich glaube eher, Sie sind ein Musterbeispiel an Tugend.“ Er lächelte sardonisch. „Hier müssen Sie aussteigen.“ Wie seltsam, dass er nicht aufhören konnte, sie anzusehen, da sie doch kaum mehr war als ein magerer, aufmüpfiger Teenager. Jetzt drehte sie den Kopf und sah ihn an. Welch ein Unterschied! Ihr Mund war weich und sinnlich, der Mund einer leidenschaftlichen Frau. Und dabei wirkte sie, als wäre sie noch nie im Leben richtig geküsst worden!

Die Lifttüren öffneten sich. „Wollen Sie mir nicht Glück wünschen, Mr Forsythe?“, fragte Eve spöttisch. Warum sah er sie so neugierig und amüsiert an? Glaubte er, keine Frau könnte seiner sinnlichen Ausstrahlung widerstehen? Aber wahrscheinlich war er sich seines Ranges in der Firma bewusst und akzeptierte ohne Weiteres, dass sie seinen Namen kannte.

„Oh, das haben Sie sicher nicht nötig“, erwiderte er glatt, während die Türen sich vor ihr schlossen.

„Verdammt!“ Eve bemühte sich, die Fassung zurückzugewinnen. Sie hatte Selbstbeherrschung zu ihrem Lebensprinzip erkoren, aber jemandem mit solcher Ausstrahlung war sie noch nie begegnet. Wie er sie angesehen hatte! Noch in der Erinnerung daran stieg ihr das Blut in die Wangen. Sie war nicht wunderschön wie die Frauen, an die er gewöhnt war. Sie schminkte sich nicht und hatte keine elegante Kleidung. Sie arbeitete für ihren Lebensunterhalt, und sie arbeitete gut, wie ihre Bewerbungsunterlagen bewiesen. Sie legte Wert auf gutes Aussehen und bevorzugte klassische Blusen und knielange Röcke. Für extravagante Kleidung, wie viele ihrer Kolleginnen sie trugen, hatte sie ohnehin kein Geld.

Als sie Tom Whelans Büro betrat, hatte er noch Besuch. Seine Sekretärin bat sie lächelnd, Platz zu nehmen und einen Moment zu warten. Es war eine junge, so ungewöhnlich attraktive Frau, dass Eve sich geradezu farblos vorkam.

Sie setzte sich in einen der Ledersessel. Im Internet hatte sie sich alles angelesen, was es dort über diese Firma und den legendären Sir David zu erfahren gab. Sie wusste sogar einiges über seinen Sohn, der so schändlich das Vertrauen seines Vaters missbrauchte. Dieser Verrat machte sie wütend, doch sie beherrschte ihren Zorn, denn sie brauchte diesen Job. Eve wollte vorankommen, wollte mehr Geld verdienen, um Ben das Leben zu erleichtern. Er arbeitete so hart, an der Universität und nebenbei, um Geld zu verdienen. Es war ein Wunder, dass er noch nicht zusammengebrochen war, wie einer seiner Kommilitonen, ebenfalls ein brillanter Student. Eve war sehr stolz auf Ben. Neidlos gab sie zu, dass er intelligenter war als sie, und das hieß schon etwas.

Sie nahm eine Ausgabe der „Financial Times“ vom Tisch und überflog die Titelseite. Allmählich wurde sie nervös, auch bei der Erinnerung an die Begegnung im Lift. Gefährliche Männer wie Drew Forsythe waren ihr völlig fremd. Aber angenommen, sie bekam den Job – wie konnte sie ihm dann aus dem Weg gehen? Es musste seiner Frau das Herz gebrochen haben, als er sie verließ. Von ihrer Freundin Lisa wusste Eve, dass er seine Frau verlassen hatte, nicht umgekehrt. Lisas Mutter verkehrte ab und zu in diesen Kreisen.

Schließlich wurde die Tür zu Tom Whelans Büro geöffnet, und ein selbstbewusst aussehender Yuppie erschien. Tom Whelan, ein untersetzter Mann mit geschäftsmäßig freundlichem Gesichtsausdruck, schüttelte ihm die Hand. „Sie hören dann von uns.“

Der junge Mann warf Eve einen kurzen, abschätzenden Blick zu, beschloss, dass sie keine Bedrohung darstellte, und verabschiedete sich auf dem Weg nach draußen von der Sekretärin.

„Miss Copeland?“ Tom Whelan schüttelte Eve die Hand und bedeutete ihr, ihm in sein großes, elegant eingerichtetes Büro zu folgen. Der Ausdruck in seinen Augen war ihr nicht neu, und sie wusste sofort, was er dachte. Zu jung. Zu unerfahren. Fast noch Studentin. Obwohl er wenig Zeit mit Höflichkeitsfloskeln verschwendete, war er kaum zur Sache gekommen, als das Telefon klingelte.

Whelan meldete sich. „Ellie, ich hatte doch gebeten …“ Er schwieg. „Ach, ich verstehe“, sagte er ein wenig verblüfft, legte auf und wandte sich an Eve. „Sehr interessant. Normalerweise schaltet Mr Forsythe sich nicht in Bewerbungsgespräche ein, sondern überlässt die erste Auswahl mir. Sie haben Glück, Miss Copeland. Unser Geschäftsführer wird sich persönlich mit Ihnen unterhalten. Sie brauchen nicht nervös zu werden“, fügte er schnell hinzu, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. „Mr Forsythe beißt nicht.“

Gleich darauf hörten sie, wie Drew Forsythe die Sekretärin im Vorzimmer begrüßte. Als er das Büro betrat, sprang Whelan auf und ging ihm entgegen. Sein warmes Lächeln schien echt, wie Eve feststellte.

„Seit wann mischen Sie sich in diese Dinge ein, Drew?“

„Ich wollte Ihnen einfach mal eine Pause gönnen.“ Forsythe betrachtete Eve aus durchdringend blickenden dunklen Augen. „Obwohl ich die junge Dame damit anscheinend ziemlich beunruhige.“

„Dazu besteht kein Grund.“ Whelan lächelte breit, als wäre Forsythe ein wahrer Teufelskerl.

„Also, Tom, holen Sie sich einen Kaffee.“

„Ich kann einen gebrauchen.“ Whelan warf Eve einen erleichterten Blick zu. „Viel Glück, Miss Copeland.“

Nachdem er gegangen war, setzte Drew Forsythe sich in den Sessel hinter dem riesigen Schreibtisch und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Ich glaube, wir beide sollten uns ein wenig unterhalten, oder?“ Seine dunklen Augen glitzerten.

„Mit dem größten Vergnügen, Mr Forsythe.“ Eve beschloss, ganz bei der Sache zu bleiben – im Gegensatz zu ihm. „Mein Lebenslauf liegt vor Ihnen. Mr Whelan hatte das Gespräch gerade erst begonnen.“

„Ich rede nicht von Lebensläufen, Miss … Copeland, nicht wahr?“

„Ja. Eve Copeland.“ Er würde schon sehen, dass sein Charme auf sie nicht wirkte.

„Ah ja.“ Forsythe öffnete die Mappe, überflog den Inhalt und schob sie dann beiseite. „Lebensläufe sind schön und gut, aber sie verraten einem nicht alles, was man wissen muss.“

Was sollte sie darauf sagen? „Ihr Geheimnis ist bei mir sicher“? Wollte er nicht darauf hinaus?

„Eigentlich möchte ich mit Ihnen über das reden, was Sie vorhin angeblich gesehen haben.“

Na also! Eve war nahe daran, den Kopf zu verlieren, aber sie nahm sich zusammen. „Ich weiß nicht ganz, was Sie meinen.“

„Natürlich wissen Sie das, Miss Copeland. Ich habe Ihren Gesichtsausdruck gesehen. Aufgrund eines angeblichen Indizes haben Sie sich zum Richter aufgeschwungen und Ihr Urteil gefällt.“

Sie blickte ihm direkt in die dunklen Augen, überzeugt, dass er ihre wahren Gefühle nicht erraten würde. „Das alles geht mich überhaupt nichts an, Mr Forsythe.“

„Und warum haben Sie mich dann derart kalt und selbstgerecht angesehen, Miss Copeland?“

Er schien es zu genießen. Sie hatte noch nie solchen Spott, solche Verschmitztheit in den Augen eines Mannes gesehen. „Das bilden Sie sich ein, Mr Forsythe. Ich war in Gedanken schon bei meinem Bewerbungsgespräch.“

Er zuckte die Schultern. „Haben Sie die Dame erkannt, die bei mir war?“

Eve nickte. „Natürlich. Fast jeder in der Stadt kennt sie doch. Lady Forsythe.“ Am liebsten hätte sie hinzugefügt: „Die Frau Ihres Vaters“, aber das war dann doch zu gefährlich.

„Und als Sie sie in meinen Armen sahen, stand für Sie sofort fest, dass wir eine Affäre haben?“

„Verzeihung, aber etwas so Gefährliches würden Sie sicher nie tun“, erwiderte Eve sanft.

„Oder etwas so Unmoralisches.“ Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Es ging Lady Forsythe nicht gut. Sie brauchte jemanden zum Reden, und ich habe sie getröstet. Das war alles.“

So eine Lüge! „Sicher, Mr Forsythe.“ Eve senkte den Blick. „Wie gesagt – es geht mich nichts an.“

„Warum haben Sie dann reagiert, als hätte jemand Sie ins Gesicht geschlagen?“ Er klang ehrlich interessiert.

„Ich war einfach nur … überrascht“, wich Eve aus.

„Es würde mir gar nicht gefallen, wenn Sie eine Klatschbase wären.“

„Ich habe nicht die Absicht herumzutratschen“, sagte Eve kühl. „Das ist nicht meine Art, besonders nicht, wenn jemand dadurch verletzt werden könnte.“

„Aber Sie sind unerbittlich in Ihrem Urteil.“ Forsythe betrachtete sie abschätzend.

„Erst nach gründlicher Überlegung. Wirklich, die ganze Geschichte ist nicht wert, darüber zu reden.“

Er lachte. „Das dachte ich auch – bevor ich den Ausdruck in Ihren Augen gesehen habe. Wenn Sie diese Stelle bekommen, werden Sie mich wahrscheinlich auf Schritt und Tritt überwachen“, fügte er trocken hinzu und öffnete noch einmal die Mappe mit Eves Unterlagen. „Ihr Lebenslauf klingt recht vielversprechend.“

„Ich bin bei Pearce Musgrave schnell aufgestiegen“, sagte Eve betont.

Er überflog die erste Seite. „Stimmt. Warum wollen Sie dann gehen?“

„Aus zwei Gründen. Erstens will ich mehr Geld, und zweitens möchte ich in einer Firma arbeiten, die mir echte Aufstiegschancen gibt.“

„Sie sind also eine Karrierefrau.“ Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß, die Miene undurchdringlich. „Und wozu brauchen Sie unbedingt mehr Geld?“

„Es würde mir das Leben erleichtern. Mein jüngerer Bruder ist ein brillanter Medizinstudent, aber er hat noch einige Jahre vor sich“, erwiderte Eve kühl.

Forsythe zog nachdenklich die Stirn in Falten. „Können Ihre Eltern ihn nicht unterstützen?“, fragte er schließlich.

Eve seufzte unwillkürlich. „Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als wir noch Kinder waren. Meine Mutter kam bei einem Autounfall vor einigen Jahren ums Leben. Ben und ich sind allein.“

Drew Forsythe empfand plötzlich Mitleid mit ihr und zog die Mappe näher zu sich. „Er kann sich glücklich schätzen, eine Schwester wie Sie zu haben. Sie haben also die Refinanzierung für ‚Hertford’s‘ abgewickelt.“ Das warf ein ganz neues Licht auf sie.

„Einer meiner Erfolge.“ Eve verbarg ihren Stolz nicht. „Ich habe auch die Fusion von ‚Newton Ransome‘ vorbereitet, wie Sie weiter unten lesen können.“

„Pearce Musgrave hat Ihnen also schon erhebliche Verantwortung übertragen?“ Er hob den Kopf und betrachtete sie scharf.

„In gewissem Umfang, ja. Aber es würde sehr lange dauern, bis man mich mit einer wirklich großen Sache betrauen würde. Anfangs habe ich am ‚State Wide Airlines‘-Vertrag mitgearbeitet, aber man hat ihn mir aus der Hand genommen. Und am Ende wurden alle meine Ideen doch verarbeitet.“

„Können Sie das beweisen?“, fragte er in geschäftsmäßig knappem Ton.

„Ich glaube schon“, erwiderte Eve überzeugt. „Ich habe meine ursprünglichen Vorschläge noch.“

„Also eine tiefe Enttäuschung?“ Wieder dieser durchdringende Blick.

Sie zuckte die Schultern. „Das passiert eben.“

Forsythe las weiter, sah sie ab und zu an und klappte die Mappe schließlich zu. „Sie wollen also eine höhere Position, Miss Copeland?“

„Auf Dauer ja. Ich weiß, dass ich gute Arbeit geleistet habe und noch bessere leisten kann, und ich möchte die Chance, es zu beweisen. Das wollte ich schon, seitdem ich siebzehn war. Damals habe ich ein kleines Geschäft vor dem Konkurs gerettet.“

Er zog amüsiert die dunklen Brauen hoch. „Tatsächlich?“

„Sie kennen das Geschäft vielleicht. Klein, aber lukrativ. ‚Stewart Strafford‘, der Juwelier.“ Eve ließ sich nicht beirren.

Forsythe warf ihr einen überraschten Blick zu. „Charlie Strafford ist ein Bekannter von mir. Wir spielen ab und zu Golf zusammen. Ich habe auch seinen Vater kennengelernt, ein fast zu gutherziger Mensch. Aber Charlie ist ein intelligenter Bursche. Wollen Sie behaupten, dass Sie es waren, die das Geschäft aus den roten Zahlen geführt hat?“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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