Keine Duchess für den Earl?

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Schon mit der kostbaren Perlenkette, die Cassandra trägt, könnte er sein Anwesen retten! Soren York, verarmter Earl of Dewsberry, würde die bürgerliche, überaus vermögende Holwell-Erbin am liebsten sofort heiraten. In Cornwall sind sie gemeinsam aufgewachsen, und schon damals versprach Cassandra die Schönheit zu werden, die sie jetzt ist: goldfarbenes Haar, groß, stolz und darüber hinaus geistreich. Aber aus ihm unerklärlichen Gründen scheint sie ihn zu hassen. Kann Soren ihre Feindseligkeit in berauschende Sinnlichkeit verwandeln? Vielleicht flüstert sie nach einer leidenschaftlichen Umarmung endlich das heiß ersehnte Ja …


  • Erscheinungstag 03.12.2019
  • Bandnummer 347
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736644
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Mayfield, Landsitz des Duke of Camberly, 12. Mai 1813

Soren York, Lord Dewsberry, war fest entschlossen, die Holwell-Erbin zu ehelichen. Er brauchte ihr Geld. Dringend.

Das Problem war nur, dass Miss Cassandra Holwell offenbar ebenso erpicht darauf war, ihm aus dem Weg zu gehen.

Allerdings verstand er nicht, warum.

Soren stand in dem kurzen Flur zwischen dem Speiseraum und dem Empfangssaal, wo die übrigen Gäste das vor dem Essen übliche Geplänkel genossen und einander vorgestellt wurden. Es war ein guter Platz, um Cassandra unauffällig im Auge zu behalten und seine nächsten Schritte zu planen. Vermutlich wusste sie nicht einmal, dass er hier war. Er hatte so gut es ging geheim gehalten, dass sein Name auf der Gästeliste stand. Allmählich wurde die Zeit knapp. Er musste möglichst bald eine reiche Gemahlin finden, und er hoffte, dass er irgendwie zu ihr durchdringen und ihr sein Anliegen vortragen konnte.

Sie würde ihm nur eine Weile gut zuhören müssen. Eine Ehe mit ihm wäre auch zu ihrem Vorteil. Dies war nun schon ihre dritte Saison, seit man sie offiziell in die Gesellschaft eingeführt hatte. Sie brauchte ebenso sehr einen Ehemann wie er eine Ehefrau.

Die anderen Gäste entstammten der Crème de la Crème der vornehmen Gesellschaft. Sie waren der Einladung der Dowager Duchess of Camberly zu ihrer alljährlichen Zusammenkunft auf dem Land gefolgt. Wer eine solche Einladung von der Witwe des früheren Dukes erhielt, war wichtig, und alle hier Versammelten waren äußerst zufrieden mit sich selbst. Besonders Cassandras Vater, der aufgeblasene Abgeordnete Holwell. Er hatte sich zu einer Gruppe adliger Herren gesellt und tat lautstark seine Meinung über alles und jeden kund. Seine Frau Helen, Cassandras Stiefmutter, stand an seiner Seite und hatte ihre scharfen Gesichtszüge zu einer Aufmerksamkeit heischenden Miene geordnet.

Cassandra saß auf einem Sofa mitten im Raum. Die Hände hatte sie sittsam im Schoß gefaltet. Ihr Benehmen war tadellos.

Was ebenso für ihre äußere Erscheinung galt. Ihr Haar hatte die Farbe eines hellen Ales, und es war zu einer kunstvollen Lockenfrisur auf ihrem Kopf aufgetürmt und mit Diamantspangen festgesteckt. Das Licht fing sich in den kostbaren Steinen, und es war, als wollten sie ihm auffordernd zuzwinkern.

Dieses Glitzern allein hätte ausgereicht, um alle Blicke auf Cassandra zu lenken. Doch sie trug außerdem noch die berühmten Bingham-Perlen um den Hals. Eine lange, schimmernde Kette, die Cassandras vollkommene Haut zur Geltung brachte.

Auch ihre Größe war auffällig. Cassandra Holwell war größer als die meisten Männer, wenn auch noch ein gutes Stück kleiner als Soren, wie er zufrieden hatte feststellen können. Darüber hinaus war sie ein bekennender Blaustrumpf. Die Art von Frau, die Wert auf ihre eigene Meinung legte und sich für ebenso klug hielt, wie es die Männer waren. Außerdem hatte sie eine entschiedene Vorliebe für Bücher. Glücklicherweise hatte sie zwar ihren eigenen Kopf, legte jedoch nicht das pompöse Gehabe ihres Vaters an den Tag.

Ihre Neigungen schreckten Soren nicht ab. Er konnte sich an keine Zeit während ihrer Bekanntschaft erinnern, in der sie ihre Nase nicht in irgendeinem Buch vergraben oder nicht gewusst gehabt hätte, was sie wollte. Im Grunde bewunderte er kühne Frauen, die etwas zu sagen hatten. Er fand sie anziehend.

Es schadete auch nicht, dass er Cassandra Holwell einmal für eines der hübschesten Mädchen in ganz Cornwall gehalten hatte, damals. Und seither hatte sich daran nichts geändert …

Zwei große Hände senkten sich von hinten auf seine Schultern. „Bist du bereit, es anzugehen?“ Es war der frisch ernannte Duke of Camberly, und er sprach leise und nahe an Sorens Ohr, damit niemand sie dabei ertappte, wie sie Pläne schmiedeten. „Besser wäre es jedenfalls. Minerva hat lange und nachdrücklich darüber gewettert, dass ich darauf bestanden habe, den Abgeordneten Holwell zu ihrem hoch geschätzten Gesellschaftsereignis einzuladen. Jedenfalls bis sie erfahren hat, dass wir auf eine Heirat aus sind. Seitdem ist sie unsere Verbündete.“

Minerva war die Dowager Duchess. Niemand war überraschter gewesen als sie selbst, als der Enkel eines zweitgeborenen Sohnes nach einer Reihe verfrühter Todesfälle zum neuen Erben geworden war. Davor war Matthew Addison nur ein bescheidener Tutor in Eton gewesen und ein hoffnungsvoller Dichter.

Zu Matthews Gunsten musste gesagt werden, dass er tatsächlich das dunkle und gute Aussehen eines Dichters besaß und einen wachen Verstand hatte. Darüber hinaus war er arglos und wusste noch nicht, dass die vornehme Gesellschaft einem Wolfsrudel glich. Soren machte sich manchmal Sorgen um ihn, aber er beneidete ihn auch.

„Oder vielleicht ist die Dowager Duchess ja auch nur erleichtert, weil du Miss Holwell nicht als deine Duchess in Betracht ziehst“, antwortete Soren. Auch Camberly konnte eine vermögende Gemahlin brauchen. Das Herzogtum war groß, und Geld wäre durchaus willkommen gewesen.

„Das hat sie tatsächlich befürchtet. Sie schwört, dass sie es nicht ertragen könnte, mit jemandem verwandt zu sein, der über Holwells Tischmanieren verfügt. Ist es wirklich so schlimm mit ihm?“

„Jedes Mal, wenn ich mit ihm gespeist habe, hat er große Reden geschwungen und dabei sein Essen quer über den Tisch gespuckt.“

„Aha, dann stimmt es also, was ich gehört habe. Er ist ein Dummkopf.“

„Ein gewählter Dummkopf“, erklärte Soren. „Die schlimmste Sorte. Vor jeder Wahl kehrt Holwell nach Cornwall zurück, um sich mit Fässern voller Ale und Spanferkeln am Spieß bei den Bewohnern einzuschmeicheln. Außerdem schmiert er jede Hand, die ihm hingestreckt wird. Immer wieder stimmen sie für ihn. Es ist der reine Hohn. Alle halten ihn für einen netten Kerl. Oder, wie ich die Leute aus Cornwall kenne, ist er ihnen weit entfernt in London lieber als in ihrer Nachbarschaft.“

„Bist du sicher, dass du mit ihm verwandt sein willst? Hast du mir nicht einmal erzählt, dass es zwischen deiner Familie und den Holwells böses Blut gibt?“

„Holwell zufolge sind wir Todfeinde.“

Der Duke hob die Brauen. „Da steckt doch was dahinter. Was hast du ihnen angetan?“

„Sie waren es, die uns etwas angetan haben. Oder besser, wir haben es uns selbst angetan. Mein Großvater hat ein Vermögen beim Kartenspiel verloren, und er brauchte rasch Geld. Er hat es sich von Toland Holwell geliehen, und als Sicherheit hat er ihm einen sehr bedeutenden Teil unserer Ländereien geboten.“

„Als Sicherheit? Hat ihm das Wort deines Großvaters denn nicht gereicht? Immerhin war er ein Ehrenmann.“

„Wenn es um Geld geht, reicht Bergleuten niemals ein bloßes Ehrenwort. Es gab sogar einen Vertrag, den mein Großvater unterschreiben musste.“

„Bergleute?“

„Ja. Toland hat mit Minen angefangen, aber das große Geld hat er dann mit Schmuggel gemacht. Er hat eine Schmuggelroute zwischen der cornischen Küste und London entwickelt. Hat sich damit gebrüstet, dass er zehn Fässer Brandy von Land’s End bis nach Edinburgh schaffen könnte, ohne dass die Steuereintreiber Wind davon bekommen würden. Er war gerissen und der Einzige, der bereit war, meinem Großvater Geld zu leihen. Ich vermute, aber sicher bin ich da nicht, dass mein Großvater tatsächlich genug zusammenbekam, um Toland die Schulden zurückzuzahlen. Allerdings musste er dann herausfinden, dass Holwell ihm so hohe Zinsen berechnet hatte, dass er ihm nun doppelt so viel schuldete wie zu Anfang. Er ging vor Gericht, aber der Vertrag war rechtsgültig. Dann, als wir nicht zahlen konnten, machte Holwell die Demütigung vollkommen, indem er einen großen Teil unserer Ländereien beanspruchte und sich ein schönes Haus darauf baute.“

Sorens Blick wanderte zurück zu der goldenen Cassandra. „Seit damals ist das Vermögen der Holwells immer weiter gewachsen, während das unsere immer weiter zusammenschrumpft. Hauptsächlich durch unsere eigene Schuld“, musste er noch anfügen. Es war seine Lebensaufgabe, den Schaden, den sein Großvater und sein Vater dem Familienanwesen Pentreath Castle zugefügt hatten, wieder zu beheben. „In poetischer Hinsicht wäre es doch durchaus gerecht, wenn ich die Erbin von Holwell heirate, findest du nicht? Miss Holwell ist das einzige Kind ihres Vaters. Also würden Tolands Ländereien letztendlich wieder an meine Familie fallen.“

„Aber wird sie das dir gegenüber denn nicht misstrauisch machen?“

Cassandra beugte sich im Empfangssaal ein Stück vor, um besser hören zu können, was Miss Willa Reverly, die Tochter des Bankiers Leland Reverly, gerade sagte. Sowohl Miss Reverly als auch Cassandra waren als schon zu lang unverheiratete Erbinnen bekannt. Sie waren junge Frauen, deren Väter um den Wert ihrer Töchter wussten, die jedoch bisher noch keinen der vorgebrachten Anträge angenommen hatten. Man munkelte, dass die beiden Männer darauf aus waren, einen möglichst ehrenhaften Titel für ihre Familien zu sichern. Sie wussten, dass die Macht und Verlockung ihres Geldes ihren Nachkommen einen rechtmäßigen Platz in den Reihen des Adels sichern konnten.

Soren wandte den Blick vom Sofa ab. „Vielleicht. Früher waren wir einmal Freunde.“

Dies schien Camberlys Interesse zu wecken. „Welche Art von Freunden?“

„Kindheitsfreunde. Bevor ich vor ein paar Wochen nach London gekommen bin, habe ich sie bestimmt zehn Jahre nicht mehr gesehen. Damals hat man mir eingebläut, mich von ihr fernzuhalten.“

„Dann war sie also die verbotene Frucht.“

„Verbotene Frucht? Ja, eindeutig. Meine Eltern haben sich alle nur erdenkliche Mühe gegeben, damit ich begreife, dass ein York sich niemals mit einer Holwell abgeben darf.“

„Aber du hast dich trotzdem zu ihr hingezogen gefühlt.“

Soren musste lachen. „Manchmal bist du ein wenig zu dramatisch.“

„Ich mag gute Geschichten, besonders wenn sie mich an die der Capulets und der Montagues erinnern.“

„Wir waren ganz und gar nicht so. Ich habe sie bei einem Gemeindepicknick kennengelernt. Sie saß in der Kirche und hat gelesen, während wir anderen uns draußen vergnügt haben.“

„Wie alt wart ihr damals?“

„Ich war dreizehn und sie elf. Ich weiß noch, dass sie sehr einsam gewirkt hat.“ Ein bisschen so, wie sie es auch in diesem Moment tat, wie er auf einmal begriff. Sie gab sich den Anschein, entspannt zu sein, aber da war etwas an der steifen Haltung ihrer Schultern, das ihm verriet, dass es nicht so war. In Cornwall hatte er ihre Beklommenheit verstanden. Dort konnte es für eine Frau ihrer Klasse recht einsam sein, aber dies hier waren Londoner. Trotzdem schien sie sich immer noch nicht recht wohl in ihrer Haut zu fühlen.

„Tja, über diese Blutsfehde brauchst du dir jedenfalls keine Sorgen mehr zu machen“, versicherte der Duke ihm. „Ich habe Letty gebeten, deinen Namen ein paarmal zu erwähnen und die eine oder andere Bemerkung darüber zu machen, was für einen großartigen Ehemann du doch abgeben würdest.“

„Das hast du nicht getan.“ Soren war teils erschrocken, teils beschämt.

„Doch, das habe ich“, erwiderte Camberly stolz. „Wenn ihr heiratet, wollen wir dafür die gesamte Anerkennung bekommen.“

„Das ist etwas, das ich auf meine Art tun muss, Euer Gnaden“, gab Soren betont förmlich zurück.

„Aber mit deiner Art wirst du die holde Dame nicht für dich gewinnen. Und hast du nicht gesagt, du müsstest bald nach Cornwall zurückkehren?“

Das hatte er tatsächlich. Seine Anwesenheit in Pentreath war unerlässlich.

„Wir helfen dir“, sagte der Duke. „Nur ein kleiner Schubs hier und da. Letty weiß schon, was sie tut.“

„Letty? Meinst du etwa Lady Bainhurst? Du klingst viel zu vertraulich, wenn du sie bei ihrem Vornamen nennst, Matthew.“

Camberlys Ungezwungenheit verflog.

Nein, dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für eine solche Unterhaltung, aber Soren würde diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sein Freund war in letzter Zeit sehr geheimniskrämerisch. Tagelang war er einfach verschwunden. Und das sicherlich nicht allein. Wenn Matthew zurückkehrte, hatte er stets sehr zufrieden mit sich gewirkt. Trotz der Erhabenheit seines Titels war Camberly weder weltgewandt noch abgestumpft, ganz besonders nicht in romantischer Hinsicht. Herrgott, immerhin war der Mann ein Poet.

Was wäre Soren für ein Freund gewesen, wenn er ihn nicht wenigstens gewarnt hätte? „Du solltest lieber vorsichtig sein, Matthew. Du magst vielleicht ein Duke sein, aber ihr Ehemann brüstet sich gerne mit seiner Macht. Er ist nicht die Sorte Mensch, die gerne teilt.“

„Er ist zwanzig Jahre älter als sie. Zu alt für eine so junge Frau.“

„Trotzdem ist sie immer noch seine Frau. Und ein Mann in den Vierzigern ist kein Greis.“

„Er weiß sie nicht zu schätzen.“

„Das muss er auch gar nicht. Er ist mit ihr verheiratet, Matt. Ich kenne dich jetzt seit beinahe zwanzig Jahren. Du bist nicht für solche Spielchen geschaffen. Sie schon. Du bist nicht ihr erster Liebhaber.“

Bei dieser Enthüllung biss Matthew sichtlich die Zähne zusammen. Er wich einen Schritt zurück.

Soren legte einen Hauch von Einfühlungsvermögen, das er nicht besaß, in seine Stimme und fuhr fort. Er hatte der Dowager Duchess versprochen, mit Matthew zu sprechen. „Es gibt Gerüchte. Letty Bainhurst ist nicht diskret.“

Camberly öffnete den Mund, als wollte er alles leugnen, doch dann schloss er ihn wieder. Sein ernster Blick wanderte zu seiner Geliebten. „Ich kann nicht anders. Ich liebe sie.“

„Du wilderst auf dem Territorium eines anderen. Wenn das herauskommt, wird es kein gutes Ende nehmen.“

„Wir sind vorsichtig.“

„Ach ja, vorsichtig“, wiederholte Soren. „Wenn ich ein Pfund bekommen hätte für jedes Mal, wenn ich das gehört habe, dann würde ich jetzt nicht des Geldes wegen heiraten müssen.“

Kaltes Schweigen folgte dieser Bemerkung.

Soren beugte sich zu seinem Freund vor. „Ein freundliches Lächeln kann nur allzu schnell zu bösem Gerede werden. Bainhurst ist für seine Kampflustigkeit bekannt. Er würde dich freudig mit dem Schwert durchbohren und alle würden denken, dass sein Verhalten gerechtfertigt war.“

„Ich habe keine Angst vor ihm.“

„Du bist kein Kämpfer. Du bist ein Gelehrter. Du kennst dich mit Worten aus, nicht mit Waffen.“

„Ich war zugegebenermaßen kein Soldat wie du, aber ich bin kein Feigling …“

„Das habe ich auch nicht gesagt.“

„Wir sind vorsichtig“, beharrte der Duke.

„Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich die Finger. Das ist das älteste Sprichwort der Menschheit, aber niemand handelt danach.“

Camberly verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wirkte ganz und gar wie ein Duke, als er erklärte: „Ich habe noch nie eine Frau wie sie getroffen. Sie trägt so viel Leidenschaft in sich, die entfesselt werden will.“

„Und du bist gerne bereit, ihr dabei zu helfen“, murmelte Soren.

Sein Freund achtete nicht auf diesen Kommentar. „Ich kann mich nicht von ihr fernhalten. Es ist unmöglich. Gegen das, was zwischen uns ist, kommt kein menschlicher Wille an.“ Er wandte sich ab. „Es kann nicht falsch sein. Es ist nicht falsch.“

Soren zuckte mit den Schultern, wobei die Nähte seines Gehrocks sich gefährlich spannten. Er war ein wenig zu eng. Er hatte seine Kleider von der Witwe des Mannes erstanden, für den sie angefertigt worden waren. Eine weitere notwendige Maßnahme, um Geld zu sparen. Ihm fehlten die Mittel, um zu einem Schneider zu gehen. Sobald er Cassandra erst einmal erobert hatte, würde er diese Kleider als erste Tat verbrennen.

„Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte“, schloss Soren. „Ab jetzt halte ich den Mund.“ Matthew würde seine Erfahrungen selbst machen müssen.

In diesem Moment trat Minerva, die Witwe des früheren Dukes, aus dem Speiseraum, wo sie ein letztes Mal alles überprüft hatte. Die violetten Federn in ihrem Haar wippten auf und ab, als sie Matthew ins Visier nahm: „Mein lieber Enkelsohn, warum versteckst du dich hier draußen, wenn du dich doch unter die Gäste mischen solltest? Dreh deine Runden, Camberly, na los.“

„Ja, Großmutter, natürlich“, entgegnete er rasch. „Besonders weil die Luft zwischen Dewsberry und mir zunehmend dicker wird.“ Damit marschierte er in den Empfangssaal, ohne sich die Mühe zu machen, sich zuvor von dem am Haupteingang bereitstehenden Butler ankündigen zu lassen. Er lenkte seine Schritte zielgerichtet auf Lady Bainhurst zu.

„Haben Sie gerade mit ihm gesprochen?“, fragte Minerva, womit sie auf ihre Bedenken anspielte, was die Liebesneigungen des Dukes betraf.

„Wie Sie mich gebeten haben.“

„Hat er Ihnen zugehört?“

Soren blickte sie vielsagend an. „Sehen Sie, wo er gerade ist?“

Mit düsterer Miene beobachtete sie, wie sich der Erbe ihres verstorbenen Mannes über die moralisch fragwürdige Lady Bainhurst beugte. „Ja. Er ist soeben in ihr Dekolleté gefallen.“ Sie seufzte kopfschüttelnd. „Ist euch Männern denn nicht klar, wie durchschaubar ihr seid?“

„Offenbar nicht. Allerdings könnte man dieses Dekolleté auch beim besten Willen nicht übersehen. Sie serviert es ihm wie auf dem Silbertablett.“

„Was anscheinend nur ihrem Ehemann entgeht.“

„Er badet gern in seiner Eifersucht. Immerhin liefert sie ihm einen guten Grund, andere Männer zum Kampf zu fordern.“

Minerva wurde blass. „Der Titel übersteht keinen weiteren plötzlichen Todesfall. Sie waren immer Matthews Freund, Mylord. Bitte lassen Sie ihn nicht im Stich.“

„Wenn ich ihm irgendwie helfen kann, dann werde ich es tun, Euer Gnaden. Aber vor sich selbst kann ich ihn nicht beschützen.“

„Es wäre klüger, wenn er seine Aufmerksamkeit stattdessen Miss Reverly und ihrem gewaltigen Vermögen widmen würde. Dasselbe gilt im Übrigen auch für Sie. Sich mit den Holwells zusammenzutun ist eine Dummheit.“ Sie erschauderte, so zuwider war ihr der Gedanke an den Abgeordneten.

„Miss Holwell wird eines Tages die Ländereien erben, die an meine grenzen. Darüber hinaus erhält sie am Tag ihrer Hochzeit das Bingham-Vermögen. Allein die Perlen um ihren Hals würden reichen, um meine Schulden zu begleichen und Pentreath zu retten.“

„Schon gut.“ Mütterlich tätschelte sie ihm den Arm. „Aber Holwell ist trotzdem ein grässlicher Mann. Denken Sie daran, dass Sie sich mit einer Hochzeit nicht nur an Ihre Ehefrau binden, sondern auch an ihre ganze Familie.“

Ein weiteres Mal wanderte Sorens Blick zu Cassandras schimmerndem Haar. War er zu stur? Sie hatte bisher jeden seiner Versuche, ihr den Hof zu machen, zurückgewiesen.

Dennoch waren sie einmal Freunde gewesen – bis sie sich auf einmal geweigert hatte, mit ihm zu sprechen.

Plötzlich fiel es ihm wieder ein.

Dieses Detail hatte er vollkommen vergessen. Die Erinnerung war eine merkwürdige Sache. Doch nun wusste er es wieder. Auf einmal hatte sich ihr ganzes Verhalten ihm gegenüber verändert. Sie waren auf einer häuslichen Gesellschaft gewesen, und sie war plötzlich kühl und abweisend geworden. Bevor er den Grund dafür herausfinden konnte, hatte sein Vater ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass er nicht zur Schule zurückkehren, sondern stattdessen zu einem Onkel nach Kanada geschickt werden würde.

Konnte das, was sie vor so vielen Jahren gegen ihn aufgebracht hatte, auch jetzt noch der Grund für ihre Zurückweisung sein?

Er wollte es nicht glauben. In seiner Erinnerung gab es nichts, was er getan hatte, das sie so gegen ihn hätte aufbringen können. Außerdem war Cassandra eine vernünftige Frau. Sie würde ihren Groll nicht jahrelang mit sich herumtragen … oder doch?

So oder so, er würde sie für sich gewinnen. Denn sonst würde er Pentreath verlieren, und dieses Geburtsrecht würde er nicht kampflos aufgeben. Denn damit stand auch die Zukunft seines Sohnes auf dem Spiel.

„Ich bin bereit, es mit Holwell aufzunehmen“, versicherte er der Witwe.

„Sie und mein Enkel, ihr seid beide verliebte Dummköpfe.“

„Ich bin nicht verliebt. Verlockt vielleicht, aber nicht verliebt.“

Sie seufzte müde. „Reichen Sie mir Ihren Arm, Dewsberry, und führen Sie mich herum, damit ich die Gäste angemessen begrüßen kann. Mein Enkel wird es nämlich nicht tun, jedenfalls nicht, solange sich nicht alle in Letty Bainhursts Mieder versammeln. Wenn es Miss Holwell nicht beeindruckt, dass Sie die Gunst meiner Gesellschaft vor allen anderen genießen, dann ist sie Ihre Aufmerksamkeit nicht wert.“

Soren wusste es besser, als einer Duchess zu widersprechen.

2. KAPITEL

Er ist hier, ich weiß, dass er hier ist“, flüsterte Cassandra ihrer Freundin Willa ins Ohr, damit weder Lady Bainhurst, die neben ihnen auf dem Sofa saß, noch der anbetungswürdige Duke of Camberly sie hörten. Er stand zwar näher bei Lady Bainhurst, aber Cassandra spürte, dass seine Aufmerksamkeit in Wahrheit Willa und ihr galt.

„Wer? Dewsberry?“, brachte Willa heraus, ohne dass ihr strahlendes Lächeln ins Wanken geriet, das sie zu Gunsten des Dukes aufgesetzt hatte. Sie war weit mehr an ihm interessiert als an Cassandras plötzlicher Eingebung, dass sich Soren York in der Nähe befand.

Willa war so klein wie Cassandra groß und in jeder Hinsicht von vollendeter Schönheit mit ihrem rabenschwarzen Haar. Sie waren die besten Freundinnen – nun ja, wenn es nicht gerade um den Duke of Camberly ging, um dessen Aufmerksamkeit zwischen ihnen ein regelrechter Wettstreit entbrannt war.

Sie hatten tatsächlich ein Spiel daraus gemacht, bei dem es Punkte zu gewinnen gab. Ein Punkt für eine Vorstellung, drei Punkte für jeden Tanz, fünf Punkte für einen Besuch. Wenn man schon so lange auf dem Heiratsmarkt war wie sie beide, dann konnte ein bisschen Konkurrenz nicht schaden, damit sie ihre Fertigkeiten verfeinerten … Nicht, dass eine von ihnen diesen zusätzlichen Anreiz gebraucht hätte, wenn es um Camberly ging.

Er war jung und sah umwerfend gut aus. Er hatte breite Schultern, ein elegantes Kinn und dunkles Haar, das seine saphirblauen Augen strahlen ließ. Welche Frau wäre nicht gerne seine Duchess geworden?

Cassandra lag in ihrem Spiel mit einem Punkt vorn. Gerade hatte sie sich gefragt, wie viele Punkte ihr wohl die Einladung zu dieser Gesellschaft einbringen würde, als Willa den Empfangssaal betreten hatte. Sie hatten nicht gewusst, dass auch die jeweils andere hier sein würde.

Und nun stand Camberly vor ihnen und missachtete seine übrigen Gäste, nur um ihnen beiden seine Aufmerksamkeit zu schenken.

Jeder wusste, dass er eine vermögende Frau heiraten musste, und soweit sie es sah, waren Willa und sie die beiden einzigen heiratsfähigen Mädchen im Haus der Dowager Duchess. Bedeutete das, der Duke würde sich zwischen ihnen beiden entscheiden? Vielleicht noch in dieser Woche?

Allein bei dem Gedanken wurde ihr ganz schwindlig. Sie wollte Camberly. Er war „der Eine“. Die Verkörperung all ihrer romantischen Fantasien. Kein anderer kam an ihn heran. Und sie würde nicht zulassen, dass Soren York ihr diese Gesellschaft und damit auch ihre einzige Chance auf eine glückliche Ehe verdarb.

Willa bewies, was für eine gute Freundin sie war, indem sie den Blick für einen Moment von den Lippen des Dukes losriss und Cassandra zuflüsterte: „Ich sehe Dewsberry nirgendwo.“

„Er ist hier“, beharrte Cassandra. Sie richtete sich etwas auf, um sich unauffällig im Raum umsehen zu können.

Irgendjemand hatte im Flur vor dem Speiseraum herumgelungert. Als sie das bemerkt hatte, war ihr zum ersten Mal der Verdacht gekommen, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Allerdings war sie von Willa und der Überlegung, was die Anwesenheit ihrer Freundin für ihre Aussichten auf eine Heirat mit dem Duke bedeutete, so abgelenkt gewesen, dass sie ihre Ahnung ignoriert hatte.

Dann war auf einmal der Duke auf sie zugekommen, und sie waren so überrascht gewesen wie alle anderen, weil er sich nicht hatte ankündigen lassen. Trotzdem … Soren war hier.

Das Prickeln in ihrem Nacken war bisher immer ein verlässliches Zeichen gewesen, und während des vergangenen Monats war es häufiger aufgetreten, als ihr lieb war. Soren schien einfach überall zu sein, trotz ihrer Bemühungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Denn sie wusste, was er von ihr wollte: eine Hochzeit.

Dewsberry mochte ein alter und ehrwürdiger Titel sein, aber die Grafschaft war heruntergewirtschaftet. Ruiniert nach mehreren Generationen von Männern, die schlechte Entscheidungen getroffen und ihr Vermögen am Spieltisch verloren hatten. Soren stellte ihr wegen des Geldes nach, das sie bei ihrer Hochzeit erben würde, und weil die Ländereien ihres Vaters an seine grenzten. Er war so durchschaubar. Hier hatte sie sich allerdings vor ihm in Sicherheit geglaubt. Warum sollte Camberly, der schließlich ebenfalls eine reiche Gemahlin brauchte, einen Konkurrenten einladen?

Es sei denn, er beabsichtigte, die Erbin, die er nicht erwählte, an Dewsberry weiterzureichen.

Auf einmal schienen die Wände näher zu kommen.

Sie würde Dewsberry nicht heiraten. Sie konnte es nicht.

Ihr Vater würde es niemals erlauben. Die Yorks waren seine Feinde. Sie verachteten die Holwells, und weder ihr Vater noch sie selbst würden sich so von oben herab behandeln lassen.

Außerdem hatte Soren sie verraten. Sie konnte sich noch überraschend gut daran erinnern, wie weh diese Enttäuschung getan hatte.

Da fing sie den Blick ihres Vaters von der anderen Seite des Raumes auf. Er war durchschnittlich groß, hatte einen buschigen Schnurrbart und einen schon früh ergrauten Haarschopf. An seiner Seite stand Helen, wie immer. Ihre Nase war klein, ihr Kinn dafür entschlossen. Ihr Haar war früher einmal rot gewesen, doch inzwischen war es zu einem langweiligen Braunton verblasst. Cassandras Vater war aufgefallen, dass sie dem Duke nicht zuhörte. Er machte eine finstere Miene und ruckte mit dem Kopf, um ihr still zu verstehen zu geben, dass sie sich gefälligst auf ihre Aufgabe konzentrieren sollte. Es war sein erklärtes Ziel, dass sie einen Adligen heiratete. Er wollte, dass seine Nachfahren zu den höchsten Rängen der Gesellschaft gehörten.

Und er hatte recht, sie hatte Camberly nicht zugehört.

Rasch setzte sie ein Lächeln auf und schützte Interesse vor. Der Duke sprach gerade über Freundschaften. Sie tat so, als könnte sie dem Gespräch folgen. Anscheinend war er bei einem Pferderennen gewesen? Oder er war im Park ausgeritten? Sicher war sie sich da nicht.

Glücklicherweise hörten sich der Duke und Lady Bainhurst selbst gern reden, weshalb Willa und sie kaum etwas zur Unterhaltung beitragen mussten. Außerdem sollten Frauen, die nach einem Gemahl suchten, lieber zuhören, als ständig zu „plappern“, womit ihr ihre Stiefmutter ständig in den Ohren lag.

„Du hast zu viele Meinungen, Cassandra“, sagte sie oft. „Wir werden nie einen Ehemann für dich finden. Zwei Töchter habe ich problemlos verheiratet, aber dich? Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht.“

Während dieser Saison bemühte sich Cassandra ehrlich, sich genau so zu benehmen, wie es von ihr erwartet wurde. In der Vergangenheit hatte es durchaus Anwärter auf ihre Hand gegeben, aber ihre Verehrer waren allesamt verarmte jüngere Söhne gewesen oder, schlimmer noch, Geschäftsmänner. Ihr Vater hatte jeden davon abgewiesen.

Die nächsten Worte des Dukes rissen sie aus ihren Tagträumereien. „… zum Beispiel mein guter Freund Dewsberry. Es gibt nicht viele, die besser reiten können. Er hat die Gabe, ein Pferd wirklich zu verstehen.“

Schließlich wagte Willa die Frage zu stellen, die Cassandra nicht über die Lippen brachte, und sie war ihrer Freundin dankbar für deren Mut. „Ist Lord Dewsberry denn hier?“

„Natürlich“, antwortete der Duke. „Ein guter Mann.“

„Das ist er“, trällerte Lady Bainhurst fröhlich. „Und so gut aussehend. Nicht wahr, Miss Holwell?“

Aha. Ihr Gefühl hatte sie also nicht getrogen.

Cassandra bewunderte die männliche Schönheit des Dukes und senkte dann den Blick, bevor sie ein „Ich denke schon“ herausbrachte.

Es klang wenig begeistert, aber immerhin hatte sie soeben einen schlimmen Schlag hinnehmen müssen. Nun war offensichtlich, dass sich der Duke für Willa interessierte. Warum sonst sollte er sich in einem Raum voller wichtiger Menschen ausgerechnet mit ihnen so vertraulich unterhalten?

Und was sie anging, so spielte Camberly anscheinend den Ehestifter.

In diesem Moment betrat der Butler den Raum.

Erwartungsvoll sahen alle in seine Richtung. „Minerva, die Duchess of Camberly“, verkündete er. „In Begleitung des Earl of Dewsberry.“

Willa beugte sich zu ihr. „Du bist unheimlich.“

„Ich wünschte, ich hätte mich geirrt“, flüsterte Cassandra zurück, während Willa und sie sich wie die anderen erhoben, um der Duchess die Ehre zu erweisen.

Der Butler machte einen Schritt beiseite, und Soren trat ein, mit der betagten Witwe an seiner Seite.

„Sollten nicht eigentlich Sie Ihre Großmutter begleiten?“, fragte Lady Bainhurst an den Duke gewandt.

„Ich bin lieber hier“, antwortete dieser.

Ja, hier … bei Willa, dachte Cassandra.

Ihre Freundin musste ihre bittere Enttäuschung gespürt haben, denn sie drückte ihr kurz, aber mitfühlend die Hand, bevor sie aufblickte und dem Duke ein strahlendes Lächeln schenkte. Und sie musste ein gutes Stück hinaufblicken, denn sie war winzig und er sehr groß. Sie würden ein merkwürdiges Paar abgeben.

Ja, ich bin eifersüchtig, und das ist nicht schön. Trotzdem konnte Casandra nicht anders. Denn Camberly und sie hätten ein so viel hübscheres Paar abgegeben. Sie waren beide groß. Er würde sich immer bücken müssen, wenn er Willa einen Kuss geben wollte.

Lady Bainhurst machte es noch schlimmer, indem sie sich zu Cassandra vorbeugte. „Sie wissen doch, dass Dewsberry nach einer Gemahlin sucht? Sie stammen beide aus Cornwall, nicht wahr?“

„So ist es.“

Cassandra hätte noch hinzufügen können: „Ich würde mich allerdings lieber auf eine Steinsäule spießen und mir von den Vögeln die Augen aushacken lassen, als Soren York zu heiraten.“ Aber das hätte grob geklungen.

Diese Worte würde sie sich für Soren persönlich aufheben.

Er führte die Duchess nun durch den Raum, damit sie ihre Gäste einzeln begrüßen konnte. Cassandra wusste jetzt schon, dass sie am Ende hier landen würden. Sie gab zu, dass Lady Bainhurst nicht unrecht hatte. Soren war gut aussehend. Und Ihre Ladyschaft war auch nicht die erste Frau, die das festgestellt hatte.

Er konnte zwar nicht mit der Ausstrahlung des Dukes mithalten, aber Soren hielt sich gut. Er war beim Militär gewesen, was zu ihm passte, wenn man an seine Abenteuerlust dachte.

Seine Augen waren blaugrau und erfassten oft mehr, als sie sollten, ohne dabei jedoch etwas preiszugeben. Früher war sein Haar einmal weißblond gewesen, doch mittlerweile war es dunkler geworden und wies nun einen sanften Braunton auf. Irgendwann während seiner Abenteuerreisen hatte ihm jemand die Nase gebrochen, was im Profil noch deutlich zu sehen war.

Außerdem waren seine Schultern mindestens ebenso breit wie Camberlys. Wenn nicht sogar breiter. Trotzdem war er nicht der Richtige für sie. Abgesehen davon, dass sie beide aus Cornwall stammten – einem Ort, den sie nie wieder zu sehen hoffte –, hatten sie nichts gemeinsam.

Auch ihr Vater beobachtete Soren. War er überrascht, dass ein York die Duchess begleitete? Jahrelang hatte ihr Vater immer wieder vergeblich versucht, die Gunst der Duchess zu erringen. Was in ihm vorging, wurde deutlich, als er sich ein Stück entfernte, um einem York keinen Respekt erweisen zu müssen.

Falls es der Duchess auffiel, ließ sie es sich nicht anmerken. Stattdessen tippte sie Soren auf den Arm, damit er sie zum Sofa geleitete. „Und hier haben wir drei bezaubernde englische Rosen“, verkündete sie, während sie näher kam.

Cassandra, Willa und Lady Bainhurst standen auf und knicksten. Cassandra weigerte sich, Soren in die Augen zu sehen. Das war alles, was sie tun konnte, ohne unhöflich zu wirken, aber sie wusste, dass es ihm nicht entgehen würde. Er war kein Dummkopf.

Willa und Lady Bainhurst waren jedoch nicht so zurückhaltend. „Wie schön, dass Sie ebenfalls hier sind, Lord Dewsberry“, flötete Lady Bainhurst und hielt ihm ihre behandschuhten Finger hin.

Galant beugte er sich darüber. „Es ist mir ein Vergnügen.“

Seine Stimme war tief und unverwechselbar. Ein wenig rau, ein wenig heiser, ganz und gar männlich und unvergesslich.

Cassandra wünschte, sie müsste dieser Stimme in den kommenden Tagen nicht lauschen.

„Miss Reverly, wie schön, Sie wiederzusehen“, sagte er.

Willa knickste ein weiteres Mal. „Danke, Mylord. Es ist mir eine Freude.“

Dann wandte er sich an Cassandra.

Eindringlich sah er sie an. Schlimmer noch, die Duchess, der Duke und offenbar auch alle anderen im Raum schienen sie nun anzusehen. Cassandra hatte keine andere Wahl, als Soren ebenfalls zur Kenntnis zu nehmen.

„Miss Holwell, es freut mich auch sehr, Sie wiederzusehen.“

Sie lieh sich Willas Manieren. „Danke, Mylord“, zwitscherte sie und sank in einen knappen Knicks. Ihr Vater würde sie nicht aus den Augen lassen.

Die Dowager Duchess schürzte die Lippen und stieß einen überraschten, freudigen Laut aus. „Ach herrje, was für ein hübsches Paar ihr doch abgebt. Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen.“ Sie unterstrich ihre Worte, indem sie so tat, als wollte sie Cassandra näher zu Soren schieben. „Beide groß und helläugig. Ich frage mich, ob sich eure Stammbäume vielleicht bis zu der gleichen Wikingerhorde zurückverfolgen lassen. Wäre das nicht etwas?“ Die letzten Worte sprach sie laut in den Raum hinein.

Es gab zustimmendes Gemurmel und eine Menge Kopfnicken, bis Cassandra antwortete: „Ich glaube nicht, dass in meinen Adern Wikingerblut fließt.“ Es klang viel schnippischer, als sie beabsichtigt hatte.

Mehrere der Anwesenden hoben die Augenbrauen, ganz besonders die Duchess.

Es wurde ein peinlicher Moment.

Soren kam ihr zur Hilfe. „Niemand in Cornwall ist sonderlich stolz auf unsere Plünderervergangenheit, Euer Gnaden. Besonders nicht jene unter uns, deren Namen tatsächlich so klingen, als könnten sie von den Wikingern abstammen.“

„Ach, natürlich, York.“ Sie lächelte Soren großmütig an und ließ ihn und alle anderen im Raum so wissen, dass er in ihrer Gunst stand. Dann senkte sich ihr wässriger Blick auf Cassandra. „Ich bin sicher, dass Hoewell kein nordischer Name ist. Er klingt nicht sonderlich melodisch.“

Aber York schon?

Klugerweise behielt Cassandra ihre Gedanken für sich und brachte ein dünnes Lächeln zustande.

Zum Glück betrat in diesem Moment wieder der Butler den Raum. „Das Essen ist serviert.“

„Danke, Marshall“, antwortete die Duchess. Sie sah den Duke an. „Euer Gnaden, Sie werden mich hineingeleiten.“

„Natürlich, Großmutter.“

„Ach, und da ist ja Bainhurst – Sie sind sicher gekommen, um Ihre Frau zu holen“, sagte sie zu einem hart aussehenden Mann Mitte vierzig. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten und grau meliert. Er war durchschnittlich groß und hatte tiefe Linien um die tief liegenden Augen. Früher musste er einmal ziemlich attraktiv gewesen sein, aber diese Zeit war Cassandras Meinung nach vorbei. Er kam ihr zu überheblich und zu stolz vor. Diesen Wesenszug spürte sie sofort an ihm. Diesem Mann kam man lieber nicht in die Quere.

Er schien zufrieden mit sich zu sein, weil er eine so junge und schöne Ehefrau an seiner Seite hatte, und er zeigte seinen Anspruch auf sie, indem er ihr schwer eine Hand auf die Schulter legte.

Seine Gemahlin zuckte nicht mit der Wimper. Cassandra ahnte auf einmal, dass die freundliche Lady Bainhurst, mit der sie sich so angenehm unterhalten hatte, eine eiskalte Person war, die sehr gut auf sich selbst achtgeben konnte. Es gab keinen greifbaren Grund für diese Annahme, nur eine starke Ahnung und das Gefühl, dass irgendetwas vor sich ging, das sie nicht verstand.

Die Duchess machte sich daran, Willa mit dem reichlich plumpen und redseligen Mr. Bullock zusammenzutun. Er war ein anstrengender Mensch und schien stets auf Zehenspitzen herumzulaufen. Willas Vater lächelte zufrieden, denn Mr. Bullock war ein überzeugter Junggeselle. Wahrscheinlich glaubte Mr. Reverly genau wie Cassandra, dass Willa so weiterhin für die Pläne des Dukes zur Verfügung stand.

Dann verkündete die Duchess das, wovor sich Cassandra so gefürchtet hatte: „Lord Dewsberry, würden Sie Miss Holwell bitte zum Essen geleiten?“

„Es wäre mir eine Ehre“, antwortete Soren.

Cassandra hatte gemerkt, wie er sich hinter ihr in Position gebracht hatte. Er hatte es gewusst.

Sie wagte nicht, ihren Vater anzusehen. Hier unter aller Augen würde er keinen Aufruhr veranstalten, aber sie würde seine Meinung später zu hören bekommen, da war sie sicher.

Er hätte sich jedoch keine Sorgen zu machen brauchen. Sie hatte Soren einmal hinter ihre Abwehrmauern gelassen, und er hatte sie so grausam verletzt, wie es nur ging. Eine kluge Frau würde sich gegen ihn wappnen, und dumm war sie nicht. Ohne Soren anzusehen, legte sie die Hand so federleicht auf seinen Arm, dass sie ihn kaum berührte.

Die Duchess war mit den Zuteilungen fertig. Sie würden alle gemeinsam zum Essen gehen. Im Augenblick mochten sie sich zwar auf dem Land befinden, aber die in London geltenden Regeln mussten auch hier befolgt werden, wenngleich sie eine Stunde früher speisen würden als üblich. Die Duchess und der Duke gingen voraus, gefolgt von Lord Bainhurst und seiner Gemahlin, mit all dem Pomp eines formellen Ereignisses.

Alle Übrigen reihten sich hinter ihnen ein. Soren machte einen Schritt, und Cassandra tat es ihm nach. Dabei stolperte sie jedoch über den Saum ihres Kleides und wäre gefallen, wenn sie sich nicht an seinem Arm hätte festhalten können.

Es war beschämend. Soren wusste, was geschehen war, und er wusste auch, dass er sie gerettet hatte.

Sie sah ihn nicht an, erkannte jedoch aus dem Augenwinkel die feste Linie seines Kinns … und den Anflug eines Lächelns um seinen Mund, so als wäre er äußerst zufrieden mit sich selbst.

Ihr fiel auf, dass er dringend einen Haarschnitt brauchte. Was stimmte mit ihm oder mit seinem Diener nicht, dass er so herumlief?

Dann rügte sie sich selbst dafür, dass sie überhaupt auch nur einen Gedanken an seine Frisur verschwendete.

Die Reihe der Paare kam zum Stillstand, damit alle Zeit hatten, sich zu setzen. Da drehte er sich zu ihr um und musterte sie mit seinem zu wissenden Blick.

Doch sie weigerte sich weiterhin, ihn anzusehen. Sie spürte die Wärme seines Blicks, konzentrierte sich jedoch ganz auf die kahle Stelle an Lord Rawlins Hinterkopf vor ihr.

„Gern geschehen“, sagte er leise und mit dem Hauch eines Lachens in der Stimme.

Er bedeutet mir nichts, betete sie sich ein weiteres Mal vor. Überhaupt nichts.

Das durfte sie nicht vergessen.

3. KAPITEL

Der Esstisch war für vierzig Personen gedeckt. Die Teller waren mit einem Goldrand verziert und der Tafelaufsatz war aus Silber. Das Licht von Hunderten von Kerzen spiegelte sich in den Gläsern. Bedienstete in waldgrüner und cremeweißer Livree standen bereit, um den Gästen die Stühle zurechtzurücken. Es war alles ein klein wenig übertrieben, und doch zeigte es, wie mächtig das Haus Camberly war und wie erlesen die Gäste.

Soren wusste, dass diese Gesellschaft Camberly mehr kostete, als er im Grunde erübrigen konnte. Er hatte Soren sein Leid über die Extravaganz seiner Großmutter geklagt. Offenbar konnte man Minerva nicht zur Vernunft bringen. Sie wollte, was sie wollte, und sie überließ es dem Duke, dafür zu sorgen, dass sie es auch bekam. Soren war froh, dass seine Mutter nicht ebenso leichtsinnig war. Sie mochte eine etwas unterkühlte Frau sein, aber sie war keine Verschwenderin.

Die Gäste umrundeten die Tafel und suchten nach ihren Namen auf den Platzkarten. Es duftete nach frisch gebackenem Brot und gebratenem Fleisch, und die festliche Stimmung wurde noch dadurch verstärkt, dass jeder der hier Anwesenden glaubte, er wäre seiner wertvollen gesellschaftlichen Stellung wegen eingeladen worden. Die Menschen hier fühlten sich wichtig.

Cassandra hatte die Hand von seinem Arm genommen, sobald sie konnte. Und die ganze Zeit über hatte sie ihn nicht einmal angesehen.

Er beobachtete, wie sie nach ihrem Platz suchte. Der Duke saß natürlich am Kopf der Tafel, mit Miss Reverly auf der einen und Lady Bainhurst auf der anderen Seite. Cassandra wirkte enttäuscht, als sie es sah. Offenbar hatte sie gehofft, einen Platz weiter oben an der Tafel zugewiesen zu bekommen, doch dann erkannte sie, dass es nur noch einen freien Platz gab. Den neben ihm.

Sie straffte die Schultern und nahm diesen erneuten Schlag mit der Würde einer verurteilten Heldin hin, die man gerade zum Galgen führt.

Soren zog ihr persönlich den Stuhl hervor.

„Du gestattest doch“, sagte er.

Sie zögerte, als wüsste sie noch nicht, ob sie sich setzen oder lieber hinausstürmen sollte. Die Duchess und die anderen Damen saßen bereits. Alle Gentlemen warteten nun auf Cassandra. Selbst die Bediensteten reihten sich an der Tür, mit voll beladenen Tabletts in den Händen.

„Danke“, murmelte sie schließlich und ließ sich schwer wie ein Amboss auf ihren Platz sinken. Er wollte den Stuhl noch ein kleines Stückchen näher an den Tisch heranrücken, doch es ging nicht. Sie musste die Fersen in den Boden gestemmt haben. Eine weitere stumme Botschaft, die besagte, wie unzufrieden sie mit ihrem Tischnachbarn war. Als ob ihre eisige Art das nicht schon mehr als deutlich gemacht hätte.

Sobald sie ihren Hintern zu guter Letzt auf dem Sitzpolster niedergelassen hatte, konnten sich auch die Gentlemen setzen, und – endlich! – hatte das Spektakel, das sie hier veranstaltete, ein Ende, und alle wandten sich wieder anderen Dingen zu.

Was auch bedeutete, dass nun glücklicherweise niemand mehr Soren ansah, der für sie die Aufgabe eines der Bediensteten übernommen hatte.

Warum zum Teufel hatte er das getan? Sie brachte immerhin sehr deutlich zum Ausdruck, was sie von ihm hielt.

Einige der Gäste sahen ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, andere grinsten wissend. Ja, die ganze Welt ahnte offenbar, dass er sein Glück bei der Holwell-Erbin versuchen wollte, und ihre Unfreundlichkeit unterstrich, dass er es tun musste, weil er keine andere Wahl hatte. Zum Teufel damit.

Die Suppe wurde aufgetragen und die Weingläser wurden gefüllt. Gut, denn er konnte jetzt wirklich etwas zu trinken vertragen.

Das Essen begann. „Das ist köstlich, nicht wahr?“ Er sprach ganz allgemein zu seinen Tischnachbarn.

Lord Rawlins, der auf Cassandras anderer Seite saß, nickte. „Camberly tischt immer nur das Beste auf.“ Der beinahe taube Lord Crossley, der Cassandra gegenübersaß, nickte zustimmend, aber Soren bezweifelte, dass er auch nur ein Wort verstanden hatte.

„Ich finde, da fehlt ein wenig Salz“, verkündete die verwitwete Marchioness of Haddingdon. Sie saß zu Sorens Rechten. In ihrer Jugend war sie eine gefeierte Schönheit gewesen, und sie kleidete sich noch immer dementsprechend in kühne Farben. Ein juwelenbesetzter violetter Turban ruhte auf ihrem Kopf, gekrönt von zwei gewaltigen Federn, von denen jede die Ausmaße eines ausgewachsenen Straußes hatte. Ihre Korsage war so schamlos tief ausgeschnitten, dass ihre leicht erschlafften, aber noch immer üppigen Brüste überzuquellen drohten. „Ich brauche Salz“, wiederholte sie, als spräche sie mit der Luft.

Ein Bediensteter trat vor, griff nach dem Salzschälchen, das direkt vor ihr stand, und besprenkelte ihre Suppe mithilfe eines Silberlöffelchens. Konzentriert folgte sie seinen Bewegungen, und Soren änderte seine Meinung. Er hatte geglaubt, sie wäre zu hochmütig, um ihre Suppe selbst zu salzen, doch nun kam ihm der Verdacht, dass sie vielleicht eine sehr starke Brille besaß, die sie jedoch aus Eitelkeit nicht trug.

„Ist es so besser, Mylady?“, fragte der Bedienstete.

Sie kostete die Suppe und schmatzte dann mit den Lippen. „Ja, so ist es besser. Viel besser.“

„Und wie ist es mit Ihnen, Miss Holwell?“, fragte Soren höflich und formvollendet. „Ist die Suppe nach Ihrem Geschmack?“

Sie wollte ihn ignorieren. Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Wut in ihren ausdrucksstarken Augen auf. Dann sah sie weg. „Sie ist gut.“

Tja, wenigstens hatte sie geantwortet.

Doch dann rümpfte sie die Nase und schnüffelte diskret. „Riecht es hier nach Kampfer?“ Sie betrachtete Sorens Gehrock und furchte verwirrt die Stirn.

Lady Melrose, die Schwester der Duchess und eine vogelartige Frau, sog ebenfalls die Luft ein. Sie saß Soren gegenüber. „Ich rieche nichts.“

„Ich auch nicht“, bestätigte Lady Haddingdon und aß noch einen Löffel Suppe.

Aber Soren roch es.

Als er den Gehrock erstanden hatte, war der Kampfergeruch äußerst aufdringlich gewesen, ein bewährtes Mittel gegen Motten. Er hatte ihn gut ausgelüftet und schon mehrfach bei Bällen und Abendgesellschaften getragen, ohne dass sich jemand beschwert hätte, trotzdem war er sich des leichten Mottenkugelgeruchs stets bewusst gewesen. Kampfer war für ihn mittlerweile zu einem Sinnbild für seine verfluchten leeren Taschen geworden.

Allerdings konnte die Tatsache, dass Cassandra es wahrgenommen hatte, auch bedeuten, dass sie ihm mehr Aufmerksamkeit schenkte, als er geglaubt hatte, nicht wahr?

Vielleicht ging der Plan der Duchess und des Dukes ja doch auf.

Der schwerhörige Lord Crossley wandte sich mit der Frage „Was? Was haben Sie gesagt?“ an seine Tischnachbarn, doch niemand antwortete ihm.

Nach einem letzten irritierten Blick auf ihn wandte sich Cassandra wieder ihrer Suppe zu.

Lady Melrose meldete sich zu Wort. „Wenn ich das richtig verstanden habe, dann sind Sie erst kürzlich aus dem Krieg in Amerika zurückgekehrt, Lord Dewsberry. Was halten Sie von den Dingen, die dort vor sich gehen?“

„Ach, Sie waren beim Militär?“, meldete Lord Rawlins sich zu Wort. Bisher hatte er Cassandras herrliches Dekolleté verstohlen, aber unablässig gemustert, und Soren hätte ihm am liebsten einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt.

„Ich war es eine Zeit lang“, antwortete Soren.

„Eine Zeit lang? Was soll das heißen?“ Rawlins hob sein Weinglas, damit es aufgefüllt wurde. Einer der Bediensteten trat vor und schenkte auch Soren nach.

„Ich habe mein Offizierspatent vor ein paar Jahren verkauft.“

„Warum das?“

„Mir haben sich andere Möglichkeiten eröffnet.“

„Welche anderen Möglichkeiten?“

„Ich habe ein Unternehmen gegründet.“ Auf diese Ankündigung hin starrten ihn die Gäste in seiner Hörweite verständnislos an.

„Sprechen Sie vom Handel?“, hakte Lady Haddingdon nach. „Sie haben Ihr Offizierspatent verkauft, um zu arbeiten?“

Soren wusste, dass dies in den Augen der älteren Generation merkwürdig wirken musste. Dasselbe galt im Übrigen auch noch für seine eigene Generation, aber die Dinge änderten sich. Wenn die Gäste hier die ganze Wahrheit über seinen Aufenthalt in Kanada gewusst hätten, wären sie entsetzt gewesen.

Er fragte sich, ob auch Cassandra entsetzt wäre. Das Mädchen, das sie früher einmal gewesen war, hätte jedenfalls nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Doch die Frau, die aus ihr geworden war, heulte offenbar mit den Wölfen.

Oder doch nicht? Sie war dafür bekannt, dass sie ihren eigenen Kopf hatte. Nun gab sie sich den Anschein von kultivierter Langeweile, aber er spürte, dass sie ihm zuhörte.

Genau aus diesem Grund fuhr er fort: „Ich habe Kapitalanlagen in Kanada. Ich besitze einen Handelsposten, einen Gemischtwarenladen und ein Wirtshaus. Außerdem habe ich ein kleines Schifffahrtsunternehmen auf dem Lake Huron gegründet.“

Er war stolz darauf, was er erreicht hatte. Soweit er wusste, war er der erste York, der Geld verdiente, anstatt es nur auszugeben. Dies war der Grund, warum er seinen Stolz beiseiteschieben und die Kleider eines anderen Mannes kaufen konnte, um die Schulden seiner Familie nicht noch zu vergrößern. Natürlich wäre es auch nicht leicht geworden, einen Schneider zu finden, der bereit gewesen wäre, ihm Kredit einzuräumen. Mittlerweile horchten die Geschäftsleute auf, wenn der Name York fiel.

„Wozu braucht man ein Schifffahrtsunternehmen auf einem See?“, fragte Lady Melrose.

„Der Lake Huron ist breiter als der Kanal“, entgegnete Soren. Er verstand, wie schwer es für einen Engländer war, die gewaltigen Ausmaße der kanadischen Weiten zu begreifen.

„Und Sie besitzen ein Geschäft?“, hakte Rawlins nach.

„ICH HABE GEHÖRT, ER IST BANKROTT“, sagte Lord Crossley zu Rawlins und nickte unverblümt zu Soren hinüber.

„Sie sprechen zu laut“, wies Lady Melrose ihn zurecht.

„WIE BITTE?“

„SEIEN SIE STILL“, fuhr Lady Haddingdon ihn an, und ihren Kommentar hörte man offenbar am ganzen Tisch. Es gab Gekicher, und Blicke wurden getauscht.

Soren wünschte sie alle zum Teufel.

Lady Melrose bewies jedoch, dass sie ihm tatsächlich zur Hilfe kommen wollte, indem sie erklärte: „Mein verstorbener Ehemann war ein guter Geschäftsmann. Das gehörte zu den Dingen, die ich an ihm am meisten gemocht habe. Sagen Sie, Dewsberry, sind Ihre Unternehmungen lukrativ?“

„Da liegt der Haken. Als ich noch dort war und selbst ein Auge auf alles haben konnte, liefen die Dinge gut. Aber dann ist mein Vater gestorben. Ich musste nach England zurückkehren und mir einen Partner vor Ort suchen.“ Er beschrieb es so schlicht wie möglich. „Er überwacht alles für mich. Aber solange der Krieg andauert … Nun, man weiß nie.“

„Ihr Mann könnte Sie hintergehen“, warnte Rawlins.

„Schon möglich.“ Bei Sorens Glück in letzter Zeit tat er vermutlich genau das. Oder er steuerte das Geschäft in den Untergang. „Ich hoffe es nicht.“

„Haben Sie irgendwelche Wilden gesehen?“, fragte die unverblümte Lady Haddingdon. Es war eine Frage, die in London sehr beliebt war und die Soren verabscheute.

„Ich habe viele der Ureinwohner kennengelernt“, antwortete er. „Meiner Meinung nach sind sie äußerst kluge Menschen.“

„Wie ich gehört habe, laufen sie halb nackt herum. Ist das wahr? Sind sie alle nackt?“

Autor

Cathy Maxwell
Cathy Maxwell beschäftigt sich am liebsten mit der Frage, wie und warum Menschen sich verlieben. Obwohl sie bereits über 35 Romane veröffentlicht hat, bleibt die Liebe für sie weiterhin eines der größten Mysterien! Um weiter zu diesem Thema zu forschen, verlässt sie gerne ihr gemütliches Zuhause in Texas und reist...
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