Keine Lady für Lord Strensham?

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Tag für Tag verrichtet die neue Dienstmagd Hetty Smith sorgfältig ihre Aufgaben auf Rosecombe Park. Niemand ahnt, wer sie wirklich ist - am wenigsten Marcus Ashfield, Viscount Strensham! Allerdings wundert er sich, dass sie so gebildet ist, so feinsinnig, so … bezaubernd! Dabei hat Marcus für eine leichtfertige Sommertändelei keine Zeit: Möglichst schnell muss er eine reiche, standesgemäße Erbin ehelichen, denn er hat einen verschuldeten Besitz geerbt. Doch sein Herz schlägt nur für Hetty - die die Stunden zählt, bis sie ihm endlich verraten darf, wer sie wirklich ist …


  • Erscheinungstag 06.07.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767303
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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„Jetzt wirst du Granby heiraten müssen“, bemerkte Lady Winforde mit unverhohlener Genugtuung.

„Eher heirate ich den Stiefeljungen!“

„Deine Vorliebe für die niedrigen Stände ist nicht von Bedeutung.“ Lady Winforde betrachtete die schlanke junge Frau vor sich voller Abneigung, und Thea zwang sich, den kalten Blick aus den farblosen Augen zu erwidern, als koste es sie nicht die geringste Überwindung. „Du kannst schließlich kaum behaupten, du seiest von Stand. Für meinen Sohn – immerhin ein Baron – bedeutet die Heirat mit der Enkelin eines Findelkinds eindeutig einen gesellschaftlichen Abstieg.“

„Immerhin ließen Sie sich herab, Madam, aus Geldgier in zweiter Ehe den Bruder meines Großvaters zu heiraten, der auch ein Findelkind war! So wie Sie auch die Gastfreundschaft meines Großvaters annahmen. Sie befinden sich unter seinem Dach, vergessen Sie das nicht, auch wenn er nicht mehr am Leben ist, Lady Winforde.“ Thea betonte den Namen verächtlich, denn eigentlich stand der Titel ihrer angeheirateten Großtante nach der Vermählung mit Miles Hardy nicht mehr zu. Sie war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. „Außerdem ist Ihr Sohn ein Spieler, der bereits in kürzester Zeit das Geld, das Sie von meinem Großonkel geerbt haben, durchgebracht hat, und ein Trunkenbold. Keine Frau, der ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden wichtig ist, würde ihn aus freien Stücken heiraten, ganz gleich, ob sie von Stand ist oder nicht.“

Lady Winforde ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Nun, eine solche Dame würde allerdings auch nicht die Nacht im Schlafgemach eines Gentleman verbringen. Leugnen kannst du nicht, selbst der Vikar war Zeuge“, fügte sie triumphierend hinzu. „Dir bleibt gar keine andere Wahl, als den Antrag meines Sohnes anzunehmen. Der arme Junge. Auf eine so geschmacklose Art und Weise in die Ehefalle gelockt zu werden, noch dazu von einem Ränke schmiedenden Geschöpf wie dir.“

„Zweifellos wird ihm die Aussicht auf den uneingeschränkten Zugriff auf mein Erbe helfen, diesen Umstand zu ertragen.“

„Wie gut du doch die Lage verstehst“, spottete Lady Winforde. „Jetzt ist es höchste Zeit für dich, dich auf dein Zimmer zurückzuziehen und über dein unverdientes Glück nachzudenken. Nach eurer Heirat kannst du mit Granby ein Schlafgemach teilen, ohne den Anstand zu verletzen.“

„Ich würde lieber einen Schlafsaal mit den Geisteskranken des Bethlehem-Hospitals teilen!“

„Ach, wirklich, liebe Nichte? Das lässt sich einrichten, wenn du weiterhin darauf beharrst, die Konventionen zu missachten. Schließlich ist mein Sohn auch dein Vormund.“

„Ich bin nicht Ihre Nichte!“ Thea verabscheute Lady Winforde, seit diese mit ihrem Sohn hierher zu ihr und ihrem Großvater gezogen war. „Und die Treuhänder meines Vermögens würden solchen schamlosen Lügen niemals Glauben schenken.“

„Wenn du dich da mal nicht täuschst. Deine Weigerung, einen so ehrenhaften Heiratsantrag anzunehmen, nachdem man dich im Schlafgemach meines Sohnes aufgefunden hat, wird sie wohl kaum von deinem gesunden Menschenverstand überzeugen. Ganz besonders, da Zeugen dich in dieser kompromittierenden Lage fanden, die über jeden Verdacht erhaben sind.“

„Wie kam es eigentlich, dass der Vikar und seine Frau ausgerechnet zu diesem so günstigen Zeitpunkt zugegen waren?“

„Ein Mann Gottes ist in seiner Nächstenliebe immer bereit, einer besorgten Witwe in einem solch schwierigen Moment zu Hilfe zu eilen.“

„Seine Frau ließ sich allerdings eher von Neugier als Nächstenliebe leiten, darauf verwette ich meinen Kopf.“

„Was für eigenartige Ausdrücke du doch benutzt. Zweifellos eine Folge deiner seltsamen Erziehung.“

„An meiner Erziehung gibt es nichts auszusetzen“, fuhr Thea sie unbeherrscht an.

Lady Winforde hob spöttisch die dünnen Augenbrauen. „Vielleicht nicht für die Enkelin eines Bürgerlichen“, fuhr sie höhnisch fort. „Dennoch müssen wir das Beste aus dem Unvermeidlichen machen. Du gehst auf dein Zimmer zurück und sammelst dich für die Hochzeit mit meinem Sohn. Eine Braut muss sich auf ein so ernstes Ereignis vorbereiten.“

Während sie einem der ungeschlachten Diener der Winfordes, der zweifellos verhindern sollte, dass sie flüchtete, zu ihrem Zimmer folgte, überlegte Thea schon fieberhaft, wie sie sich aus ihrer verzweifelten Lage retten könnte. Lady Winforde hat erreicht, was sie wollte, dachte, ich bin vor der ganzen Welt kompromittiert, mein guter Ruf ist ruiniert.

Bedrückt ließ sie sich auf das schmale Bett fallen – bis auf einen zerbrochenen Hocker das einzige Möbelstück in ihrem trostlosen Dachzimmer –, riss sich aber sofort wieder entschlossen zusammen. Irgendwie würde sie einen Weg aus dieser Falle finden, und wenn es ihren Tod bedeutete! Auf diese Weise würden die hinterhältigen Winfordes wenigstens nicht an ihr Vermögen kommen, denn im Falle ihres Ablebens, so hatte ihr Großvater verfügt, würde es an eine mildtätige Stiftung gehen.

„Zum Kuckuck, Nick, ich hätte dich in Southampton lassen sollen“, beklagte sich Major Marcus Ashfield, der neue Lord Strensham, und betrachtete seinen mageren Begleiter unter leicht gesenkten Lidern.

Selbst im schwachen Licht dieses Märznachmittags war die auffallende Blässe seines Cousins nicht zu übersehen. Marcus bereute, dass er Nick nachgegeben und ihn mitgenommen hatte.

„Ich hätte ihnen doch erlauben sollen, dir den Arm abzunehmen.“

„Keiner nimmt mir den Arm ab“, brachte sein Cousin mühsam hervor. „Dem fehlt nichts.“

„Nein, natürlich nicht. Nur eine eiternde Hiebwunde von einem französischen Degen. Als hätte die Schussverletzung in der Schulter nicht gereicht.“

Es entging ihm nicht, dass sein dickköpfiger Cousin Gefahr lief, vom Pferd zu fallen. Offensichtlich mussten sie ihre Reise unterbrechen. Aber wo sollten sie hier in dieser Wildnis eine sichere Unterkunft finden?

„Wie dem auch sei, du kannst nicht mehr weiter.“

„Doch, klar kann ich. Die ganze Nacht, wenn es sein muss. Beim Ritt über die Pyrenäen habe ich auch nicht schlappgemacht.“

„Nur dass du damals weder Fieber hattest noch zwei Wunden, die dich schwächten.“

„Du warst schon immer ein lästiger Mensch“, flüsterte Nick, dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

Marcus gelang es im allerletzten Augenblick, den Ohnmächtigen aufzufangen und das erschrockene Pferd zu beruhigen.

„Dem Himmel sei Dank für deine guten Manieren, Herkules, alter Junge“, lobte er sein Pferd, das dem Schenkeldruck seines Herrn sofort gehorcht und bewegungslos stehen geblieben war. Der temperamentvolle Hengst tat zwar seinen Unmut durch ein Schnauben kund, machte aber sonst keinen Versuch davonzugaloppieren, als Marcus aus dem Sattel rutschte und dabei gleichzeitig Nick auf dessen Pferd zu halten versuchte.

„Wir stecken ganz schön in der Klemme, mein Alter“, sagte Marcus und seufzte auf.

Er schaffte es sogar, dass Nicks kostbarer schwarzer Hengst sich wieder so weit beruhigte, wie es einem so nervösen Tier überhaupt möglich war. Jetzt blieb Marcus nur, Nick an seinem Sattel festzubinden – wie sie es im Regiment häufig mit den Verletzten taten, wenn sie weiterreiten mussten – und zu hoffen, in der Nähe irgendeine behelfsmäßige Unterkunft für die Nacht zu finden.

Es war dunkel zwischen den Bäumen, und ein Blick zum Himmel zeigte, dass kein freundlicher Mond ihnen den Weg weisen würde. Marcus überlegte, ob es besser wäre, gleich hier am Wegesrand Halt zu machen, da erhaschte er einen schwachen Geruch nach brennendem Holz in der kühlen Luft. Er lauschte angestrengt. Nur gewohnte Geräusche drangen an sein Ohr, und er führte die Pferde vorsichtig weiter durch die Dunkelheit. Der Geruch führte ihn einen Reitweg hinunter und tiefer in den Wald hinein. Nick fing in seiner Benommenheit an zu stöhnen, und Marcus’ Besorgnis wuchs. Wenn er ihn doch in den Händen der Ärzte in Frankreich gelassen hätte, statt ihn auf seiner Rückreise nach England mitzunehmen.

So sehr war er in Gedanken versunken, dass er die Hütte fast übersehen hätte. Selbst im schwachen Licht der Abenddämmerung fiel ihm auf, wie schäbig sie war. In der Not frisst der Teufel Fliegen, dachte er trocken und klopfte an die windschiefe Tür. Nach einigen Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, wurde er ungeduldig.

„Wir sind Reisende, die von der Dunkelheit überrascht wurden, und wollen euch nichts Böses“, rief er. „Zum Teufel, wir brauchen Hilfe!“

„Wir ha’m nichts. Geht weg!“, ertönte eine ängstliche Stimme.

„Öffne einfach die Tür, Kind“, befahl Marcus etwas sanfter.

Doch die Tür blieb weiterhin verschlossen, und schließlich war Marcus es leid. Ein weiteres verhaltenes Stöhnen Nicks gab den Ausschlag. Marcus erzwang sich den Zutritt, indem er die wacklige Tür einfach aufstieß.

„Ich sagte, wir brauchen Hilfe“, sagte er scharf, als er auf der Schwelle stand.

„Und ich sag, wir ha’m nichts und geb’n nichts“, antwortete ihm jemand, den Marcus in der Dunkelheit nicht sehen konnte, mürrisch.

Ein Geräusch warnte ihn im letzten Augenblick, sodass Marcus blitzschnell den Arm hob und sich vor einem Hieb mit einem Holzknüppel schützte, der ihn sonst hart am Kopf getroffen hätte. Unbarmherzig umfasste er ein schmales Handgelenk, bis der Knüppel auf den Boden fiel, und zwang schließlich den Arm seines Angreifers nach hinten.

„Oh! Sie Rohling!“, kreischte das Kind.

Als ihm schließlich bewusst wurde, dass es sich um ein Mädchen handelte, dessen schlanken und unmissverständlich weiblichen Körper er an seinen presste, hätte Marcus beinahe losgelassen.

„Zu deinem Glück irrst du dich in dieser Annahme völlig.“

„Das würd’ ich ja glauben, wenn Sie die Finger von mir nehmen.“

„Ich bin vielleicht nicht der Schurke, den du erwartetest, aber genauso wenig ein Hohlkopf, du Fratz. Versprichst du mir, dich zu benehmen?“

„Was’n sonst? Sind schließlich zweimal so groß wie ich, Eure Lordschaft.“

„Versuche nicht, mich einzulullen, Mädchen. Versprich mir einfach, dass du mich nicht wieder angreifst, und ich lasse dich los.“

„Ja doch, versprech’ ich“, fuhr sie ihn an.

Misstrauisch standen sie einander gegenüber und beäugten sich wie zwei Duellanten, die den Gegner in fast völliger Dunkelheit auszumachen versuchten.

„Es muss doch eine Möglichkeit geben, hier ein wenig Licht zu bekommen. Sonst hättest du kein Feuer anzünden können“, sagte Marcus ungeduldig.

Sie suchte nach der Laterne, die sie schon beim ersten Klopfen gelöscht hatte. Kurz darauf enthüllte das schwache Licht einer einzigen Talgkerze das trostlose Innere der Hütte.

„Hier gibt es ja überhaupt nichts“, rief Marcus und sah seine Hoffnung enttäuscht, Nick aus der Kälte und der Feuchtigkeit eines englischen Frühlings in behagliche Wärme zu bringen.

„Hab ich doch gesagt“, spottete das Mädchen und verschränkte die Arme vor dem zierlichen Körper.

„Was aber heißt, dass du auch in keiner besseren Lage bist als wir“, gab er zu bedenken.

„Stimmt“, sagte sie nur ungerührt und wies mit einem Nicken auf die offene Tür. „Die Straße liegt in der Richtung.“

„Ich habe nicht die Absicht, die ganze Nacht mit einem verletzten Mann durch die Gegend zu ziehen. Also wirst du uns hier Obdach gewähren oder selbst verschwinden.“

„Ich war aber zuerst hier.“

„Und unter normalen Umständen hätte ich dich auch nicht weiter belästigt. Aber heute Nacht habe ich größere Sorgen als die empfindsamen Gefühle eines ausgerissenen Hausmädchens, das keinen Penny in der Tasche hat.“

Thea war schon im Begriff, dem hassenswerten Eindringling zu verraten, dass sie sogar ganze zwei Pfund und neuneinhalb Pennys ihr Eigen nannte, verbiss es sich aber im letzten Augenblick. Es war immerhin alles, was ihr von den wenigen Guineas geblieben war, die sie vor den Winfordes hatte verbergen können. Da war es sicher besser, wenn sie es auch jetzt geheim hielt.

„Vermute ich richtig, dass du allein bist?“, fragte er.

Thea erschauderte. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen, wenn sich dieser Mann nicht als der Gentleman erwies, der er auf den ersten Blick zu sein schien.

„Vielleicht“, wich sie ihm aus.

„In jedem Fall bist du der einzige Mensch, der mir helfen kann. Also halte die Laterne etwas höher und leuchte mir den Weg zu den Pferden, ja?“ Als sie sich nicht rührte, stieß er gereizt den Atem aus, holte einen Shilling aus der Tasche und hielt ihn mit einer müden Geste hoch.

Da Thea seit drei Wochen auf der Flucht war, gezwungen, sich zu verstecken und viele Meilen zu laufen, bis ihr die Füße schmerzten, empfand sie großes Mitleid für jeden erschöpften Menschen. Um sich jedoch ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen, fasste sie die Münze neugierig ins Auge, als würde sie eine unwiderstehliche Versuchung darstellen, nickte und bedeutete dem Mann, ihr zu folgen.

In der Zwischenzeit war die Nacht hereingebrochen, und Thea musste sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, bevor sie bemerkte, dass sich am Rand des Waldes etwas bewegte. Sie schluckte und kämpfte gegen den Wunsch an, auf dem Absatz kehrtzumachen und in die Hütte zurückzulaufen.

„Mein Pferd fragt sich nur, wo ich abgeblieben bin“, beschwichtigte der Offizier neben ihr sie.

Seine Gegenwart wirkte sogar noch beruhigender auf sie als seine Worte, und die Angst fiel ganz von Thea ab. Gewöhnlich hasste sie es, herumkommandiert zu werden, aber in diesem Moment fand sie es seltsamerweise angenehm.

„Oh, was für ein schönes Tier“, sagte sie, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Sanft strich sie dem edlen Pferd, das so geduldig auf seinen Herrn gewartet hatte, über das Fell.

„Ich unterbreche nur ungern eine so rührende Szene, aber mit etwas mehr Licht könnte ich besser nach meinem Cousin sehen.“

„Sie brauchen deswegen nicht gleich unangenehm zu werden.“ Schnell hielt sie die Laterne hoch, deren Licht die goldenen Litzen einer Husarenuniform aufleuchten ließ, allerdings auch die Magerkeit und die Blässe des Mannes betonte, der sie trug.

„Es gibt einen Schuppen hinter der Hütte, wo die Kohlenbrenner ihre Tiere unterstellen“, sagte Thea und wollte schon die Zügel des braunen Hengstes nehmen, aber der Gentleman hielt sie zurück.

„Leuchte mir nur. Ich führe die Pferde.“

Offenbar fürchtete er, sie könnte versuchen, mit seinem Pferd davonzureiten. Thea zeigte ihm den Weg zu dem Unterstand, wo sich die Tiere zwischen den uralten Heuballen wenigstens etwas ausruhen konnten, wenn sich das Heu auch nicht zum Fressen eignete. Der Offizier band das schwarze Pferd seines verletzten Begleiters an den kräftigsten Pfosten und löste seinen Reiter behutsam vom Sattel. Thea hängte kurz entschlossen die Laterne an einen Nagel.

„Ich kann seine Füße nehmen, während Sie ihn bei den Schultern packen“, schlug sie vor, aber schon hatte er den bewusstlosen Mann aus dem Sattel gehoben und ihn sanft auf einen der Heuballen gelegt.

Noch bemerkenswerter als die große Kraft, mit der der Gentleman seine schwere Bürde trug, war die Behutsamkeit, die er dabei an den Tag legte. Es war eine Entdeckung, die allem widersprach, was Thea bisher in ihrem Leben erfahren hatte. Aber sie war nicht bereit, sich sanfter stimmen zu lassen für das männliche Geschlecht. Ohne ein Wort ging sie auf das schwarze Pferd zu und sprach leise auf das Tier ein, bis es sich genügend beruhigt hatte, um mit etwas Heu trocken gerieben zu werden.

„Du kannst gut mit Pferden umgehen“, meinte der Mann anerkennend.

„Ich mag sie“, antwortete Thea nur ungefällig.

„Das scheint er zu spüren. Ich habe ihn oft ausschlagen sehen, wenn er schlecht gelaunt war.“

Er befreite die Pferde von dem Gepäck, das sie getragen hatten – darunter zwei Futterbeutel und einen Sack Hafer.

„Sobald wir es Ihrem Freund etwas bequem gemacht haben, geben wir den Tieren Wasser“, sagte Thea. „Mir scheint, er wacht gleich auf.“

„Je eher wir ihn in die Hütte bekommen, desto besser. Kannst du mit Menschen genauso gut umgehen?“

„Nein, denn die kann ich nicht ausstehen.“

Er lachte leise. „Dachte ich mir schon. Bring mein Gepäck mit herein, sei ein gutes Kind.“

Mit finsterem Blick sah sie ihm nach. Zu ihrem Ärger erwachte unwillkürlich Bewunderung in ihr, während sie ihm dabei zusah, wie er seinen schlaksigen Gefährten aufnahm, als wiege der kaum so viel wie ein Kind.

2. KAPITEL
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„Zünde das Feuer an“, wies der Offizier sie an, als sie in der Hütte waren, die Tür sicher verschlossen.

„Es wird uns verraten“, gab Thea zu bedenken.

„Ein Gewehr, vier Pistolen, ein Degen und der Säbel eines Kavallerieoffiziers stehen mir zur Verfügung, also denke ich, wir werden mit jedem etwaigen Eindringling fertig, meinst du nicht auch?“

„Boney ist heute Abend sicher zu sehr beschäftigt, um noch vorbeizukommen, folglich haben Sie wohl recht.“

„Ein Frauenzimmer mit Sinn für Humor, wie erfrischend“, sagte er trocken. „Nach allem, was ich von dir gesehen habe, traue ich dir zu, dass du nur vor Bonaparte persönlich Angst haben würdest.“

Sie griff nach dem kostbaren Anmachholz, das sie gesammelt hatte, für den Fall, dass sie die Nacht nicht ohne ein wärmendes Feuer überstehen konnte. So würde der Gentleman nicht reden, wenn er ihr früher begegnet wäre. Wie hätte das verwöhnte junge Mädchen, das sie vor nur wenigen Wochen noch gewesen war, diese Lage gemeistert? Thea konnte es sich nicht vorstellen. Sehr wahrscheinlich hätte die vornehme Miss Hardy einen dunkelhaarigen Fremden in der grünen Uniform eines Infanterieoffiziers unwiderstehlich gefunden und sich auf den ersten Blick in ihn verliebt.

„Alberner Dummkopf“, sagte sie leise.

„Wer?“

„Wer was?“

„Ich mag ja ein Dummkopf sein, aber taub bin ich nicht.“

„Nein, ich meinte jemand anders“, beteuerte sie hastig.

„Eine junge Dame in meinem letzten Haushalt. Sie bestand darauf, man solle ihr Feuer drei Stunden, bevor sie morgens aufwachte, anzünden, damit ihre zarten Füßchen auf keinen Fall kalt werden konnten. Die … wir Hausmädchen mussten im Winter sehr früh aufstehen, um zu tun, was sie verlangte.“

Die Erinnerung daran ließ Thea vor Scham erröten. Was für eine rücksichtslose, unangenehme Person sie gewesen war, bevor die Winfordes ihre heile Welt zerstört hatten.

„Kaltherzige Hexe“, bemerkte der Offizier dazu.

Thea errötete noch heftiger. „Sie hat wohl inzwischen ihre Lektion gelernt. Man sagt, jemand will sie wegen ihres Vermögens zur Frau nehmen.“

Zu ihrer Verblüffung war er es, der jetzt leicht errötete. Aber vielleicht bekam er nur Farbe in seine schmalen Wangen, weil das Feuer endlich aufloderte und den Raum mit angenehmer Wärme erfüllte.

„Wir brauchen heißes Wasser. Meine Satteltasche liegt dort drüben. Darin ist eine Rasierschale. Wenn du nichts anderes findest, worin du das Wasser erhitzen kannst, müssen wir uns eben damit begnügen.“

„Dann finden Sie es doch. Ich stecke meine Hand nicht da rein. Wer weiß, was mich beißen könnte.“

Er lachte leise über ihre mädchenhafte Scheu, in den Sachen eines Soldaten herumzustöbern, und war dieses Mal so freundlich, zu tun, was man ihm sagte. „Du bist wirklich ein ungewöhnliches Mädchen.“ Er reichte ihr die Zinnschale und klang fast so, als wäre er angenehm überrascht von ihrem seltsamen Benehmen.

„Weil ich auf meine Finger aufpasse?“ Sie füllte die Schale mit Wasser aus einem Krug, den sie vorhin wohlweislich bereitgestellt hatte.

„Weil es dir nichts ausmacht, es auszusprechen.“

„Man behauptet gemeinhin, dass ich ein zu großes Mundwerk habe“, gab sie mit einem Lächeln zu.

Als er wieder lachte, spürte Thea eine seltsame Hitze in sich aufsteigen. Plötzlich konnte sie sich ihn vorstellen, wie er unbeschwert und gut gelaunt Gäste in seinem Haus willkommen hieß. Der Krieg hatte ihn wohl ernsthaft werden lassen, doch Thea sah ihn vor ihrem inneren Auge im Sattel seines großen Pferdes zufrieden über die Wiesen galoppieren und der glücklichen Frau zulächeln, die an seiner Seite reiten durfte. In ihrer Vorstellung war sie selbst diese Frau. Ihr Lächeln wurde weich, die Hitze in ihr nahm sogar noch zu.

„Jetzt sehen Sie sich das an!“, rief sie abrupt, um sich aus ihren Gedanken zu reißen. Ein Funke war aus dem Feuer auf ihren schäbigen Rock übergesprungen und brannte ein Loch hinein, bevor sie ihn ausklopfen konnte. „Man behauptet auch, ich sei recht ungeschickt.“

„Man?“, fragte er freundlich, nur allzu froh, von der Sorge um Nick abgelenkt zu werden.

„Die Leute im Findelhaus“, antwortete sie aus dem Stegreif und hoffte, der Mann wusste genauso wenig über diese wohltätigen Einrichtungen wie sie.

„Sicherlich sehr ehrenwerte Leute, aber sie sind nicht dafür bekannt, dass sie ihre Schützlinge verwöhnen, nicht wahr?“

Seine Stimme klang sanft, als fühlte er Mitleid mit dem harten Los einer Waisen, und Thea errötete wieder schuldbewusst. Bis vor kurzer Zeit hatte sie ein mehr als behütetes Leben geführt, geliebt und vergöttert von ihrem Großvater. Es hatte nichts gegeben, das er ihr nicht geschenkt hätte. Nur in einem Punkt war er bis an sein Ende dickköpfig geblieben: Sie musste einen Mann mit Adelstitel heiraten. Sogar in seinem Testament war festgelegt, dass sie diesen Wunsch erfüllen musste, wenn sie sein Vermögen erben wollte. Und Granby besaß einen Titel. Der Schurke war vor nichts zurückgeschreckt, um sie zu einer Heirat mit ihm zu zwingen. Der Gedanke, wie man sie in Granbys Schlafzimmer gelockt hatte, ließ sie unwillkürlich erschaudern, und sie rückte ein wenig dichter an das warme Feuer.

„Sie haben dir doch nicht wehgetan, hoffe ich?“

Offenbar hatte er ihr Zusammenzucken beobachtet. Das schlechte Gewissen begann Thea zu quälen. Die Lüge lag ihr wie eine schwere Bürde auf den Schultern. Allerdings hing zu viel davon ab, dass sie sich noch vier Monate vor den Winfordes verbergen konnte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, mit der Wahrheit hausieren zu gehen.

„Nein, aber mir blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen.“

„Da du sogar diese schäbige Hütte deiner letzten Anstellung vorzuziehen scheinst, kann ich mir vorstellen, dass es unerträglich gewesen sein muss.“

„Das war es auch“, antwortete sie aufrichtig, und der Gedanke an Granbys schmierige Hand an ihrem Ausschnitt ließ sie wieder schaudern.

„Nicht alle Männer sind Rohlinge, weißt du“, sagte er leise.

„Nein, manche versuchen es zuerst mit Honig, bevor sie einem Essig zu trinken geben“, erwiderte sie sarkastisch.

„Irgendwo gibt es bestimmt einen ehrlichen jungen Mann, der deine Jugend und deinen Witz zu schätzen weiß. Und wenn du eine neue Stellung findest, stehen deine Chancen auch besser, einen solchen netten Burschen kennenzulernen.“

„Tja, ‚wenn das Wörtchen wenn nicht wär‘“, unterbrach sie ihn spöttisch. „Was ist jetzt mit dem armen Mann, um den Sie angeblich so besorgt sind?“

„Ist das Wasser schon heiß?“

„Wenn es noch heißer wird, wird es ihm eher schaden als nützen.“

„Halte das Licht so ruhig wie möglich, während ich nachschaue, was der Dummkopf jetzt wieder angerichtet hat“, sagte er mit einem Seufzer.

Thea schluckte unbehaglich und erinnerte sich streng daran, dass sie immerhin die Tochter eines Soldaten war, selbst wenn sie sich kaum noch an ihn oder ihre Mutter erinnern konnte. Ihre Mutter war mit einem attraktiven Unteroffizier durchgebrannt, also lag diese seltsame Begeisterung für das Militär vielleicht in der Familie. Nur wenige Jahre später waren ihre beiden Eltern tot. Da ihre Großeltern väterlicherseits nichts mit ihr zu tun haben wollten, gab der Vater ihrer Mutter ihr seinen Namen und machte das Beste aus einer verfahrenen Situation.

Und jetzt kostete es Thea allen Mut, den sie aufbringen konnte, um dasselbe zu tun. Erschrocken hielt sie den Atem an, als das warme Wasser die Verbände des Verletzten aufweichte, sodass sie entfernt werden konnten. Darunter zeigte sich eine übel aussehende Wunde, die von der Schulter bis fast zum Ellbogen reichte. Thea starrte die Stiche an, die den tiefen Schnitt zusammenhielten, und fragte sich, wie der Mann den Ritt hatte ertragen können, bevor er das Bewusstsein verlor.

„Er sollte im Bett liegen!“, rief sie entgeistert.

„Ich weigerte mich zunächst, ihn mitzunehmen. Aber ich hatte Angst, er würde sich allein auf den Weg machen, sobald ich ihm den Rücken zukehrte. Es wäre ihm zuzutrauen, denn er ist ein unglaublicher Dickkopf.“

Thea hob nur spöttisch die Augenbrauen. In der kurzen Zeit, die sie diesen Mann kannte, hatte er sich nicht gerade durch ein besonders nachgiebiges Wesen ausgezeichnet. Also war er wohl der Letzte, der einen anderen dickköpfig nennen dürfte. Er schien ihre Gedanken zu ahnen und lächelte nur amüsiert. Doch bevor sie sich über das seltsame Herzklopfen wundern konnte, das sein Lächeln bei ihr verursachte, beugte er sich über seinen Schützling und schnupperte an der Wunde.

„Seinem langmütigen Arzt zufolge, soll ich Nick sofort behandeln lassen, wenn seine Wunde anfängt, einen süßen Geruch von sich zu geben. Sonst droht der Dummkopf nicht nur, seinen Arm zu verlieren, sondern auch sein Leben.“

„Mit anderen Worten, es geht ihm besser?“

„Das nahm ich jedenfalls an. Aber als er mir heute Abend ohnmächtig wurde, fing ich an zu glauben, dass er genauso ein großer Dummkopf ist wie sein Arzt.“

„Stattdessen ist er jetzt doch nur ein gewöhnlicher Dummkopf?“

Er lachte. „Nichts am verrückten Nick kann gewöhnlich genannt werden.“

„Sie haben ihn trotzdem sehr gern, oder?“

„Vielleicht“, gab er zu. „Wir haben beide für die Sünden unserer Mütter büßen müssen, also verstehe ich ihn besser als andere Menschen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie so gelitten haben“, entfuhr es Thea unwillkürlich, als sie an ihren Großvater und dessen Zwillingsbruder dachte, die auf den Stufen eines Waisenhauses ausgesetzt worden waren.

„Nein, sicher nicht so, wie du gelitten haben musst. Lassen wir das Thema“, fügte er leise hinzu und fuhr dann entschlossen fort: „Jedenfalls muss ich jetzt die Wunde reinigen und verbinden und möchte dich bitten, Nicks Empfindsamkeit zuliebe die Pferde zu tränken, damit du nicht Zeuge seiner Qualen wirst. Nicht einmal er kann weiterschlafen, wenn er solche Schmerzen ertragen muss, und deine Anwesenheit würde ihm unangenehm sein.“

Thea zögerte bei dem Gedanken, allein in den Wald hineinzugehen.

„Nimm dies mit, wenn du dich dann besser fühlst“, bot er an und reichte ihr eine mörderisch aussehende Pistole, die sie ängstlich betrachtete, als könnte sie von ihr gebissen werden. „Sie ist geladen. Zieh einfach das hier zurück und drück ab, wenn du dicht genug bist, um deinen Angreifer außer Gefecht zu setzen.“

Die Vorstellung ließ Thea entsetzt schlucken. Selbst auf Granby würde sie nicht schießen, obwohl sie allen Grund hatte, ihn zu hassen. „Könnte ich Sie nicht einfach zu Hilfe rufen?“, fragte sie ängstlich.

„Bis ich dich erreichen könnte, wäre es vielleicht zu spät. Aber keine Sorge. Wir sind hier in England, und vermutlich bist du sicher.“

„Ja, vermutlich“, wiederholte sie zaghaft.

„Wenn es dir also nichts ausmacht, kleine Miss … Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Der Gentleman auf dem Boden ist mein Cousin Captain Nicholas Prestbury vom zehnten Husarenregiment, und ich bin Major Marcus Ashfield von der 95. Schützenbrigade und zu Ihren Diensten, Ma’am“, schloss er mit einer spöttischen Verbeugung.

Sie knickste flüchtig, wie sie es bei den Zofen und Hausmädchen im Hardy House gesehen hatte. „Hetty Smith, Major“, log sie.

„Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Hetty.“

„Das bezweifle ich, Sir.“

„Wie kommst du darauf, meine Liebe?“, fragte er mit einem plötzlichen Interesse, das seine dunklen Augen aufleuchten ließ.

„Ich bin nicht ‚Ihre Liebe‘“, fuhr sie ihn an und fügte hastig hinzu: „Und wieso sollt’ ich auch, nich’? Bin ja nur ’n armes Dienstmädchen.“

„Ja, manchmal klingst du auch so. Und manchmal, als wärst du deine eigene Herrin. Seltsam, nicht wahr?“

Thea verwünschte ihre Nachlässigkeit. Auf diese Weise würde sie es nicht schaffen, ihre Tarnung glaubhaft zu machen.

„Na, na, Kinder, seid friedlich. Ich fühle mich noch nicht gut genug, um den Schiedsrichter zu spielen“, erklang eine schwache Stimme hinter ihnen.

„Was zum Teufel … wie lange bist du schon wach?“

„Lange genug, um zu erkennen, dass du dieses hübsche Mädchen mitten in der Nacht mit einem Verhör quälst.“

„Wenn du uns bitte kurz entschuldigen willst, Hetty“, sagte Marcus und beugte sich über seinen Cousin.

„Sie werden kommen, wenn ich Sie rufe?“

„Du kannst dich auf mich verlassen“, sagte er mit einem Lächeln, das ihr Herz zum Klopfen brachte.

Etwas benommen ging Thea in die Dunkelheit hinaus, ohne wie üblich bei jedem Schritt vor Angst zu beben. Granbys Schläger wären ihrem Offizier und dessen Furcht einflößenden Waffen nicht gewachsen. Heute Nacht konnte sie also kaum ergriffen und gezwungen werden, einen Widerling wie Granby zu heiraten.

Sanft auf die Pferde einredend, führte sie sie aus dem Schuppen heraus und zu dem Bach, das gleich hinter der Hütte plätscherte. Der Major hätte sie niemals hierher geschickt, wenn er annehmen müsste, ihr drohe Gefahr. Allerdings wusste er ja nicht, welcher Teufel ihr auf den Fersen war.

Sie ertappte sich bei dem Gedanken, wie anders ihr Leben doch verlaufen wäre, wenn ihr Großvater einen Mann wie Marcus Ashfield nach Hardy House geladen und ihr als möglichen Gatten vorgestellt hätte. Seufzend rief sie sich zur Ordnung. Es nützte nichts zu träumen, außerdem besaß der Major keinen Titel. Und wenn sie keinen Lord heiratete, kämen erst ihre Enkelkinder an ihr Vermögen.

Und als wäre das nicht genug, hatten die Winfordes ihren Ruf gründlich ruiniert. Kein Gentleman, der etwas auf sich hielt, würde sich bereit erklären, Miss Alethea Hardy zu heiraten. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Major Ashfield nicht zu den Männern gehörte, die von ihrer Frau viel in Kauf nehmen würden. Aber auf ein Wunder konnte sie nicht hoffen. Ihre einzige Chance lag darin, sich bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag vor den Winfordes zu verstecken. Danach konnte sie dann irgendwo zurückgezogen mit einhundert Pfund im Jahr ihr Leben fristen. Es war so viel weniger als das riesige Vermögen, mit dem sie immer gerechnet hatte. Fast wäre sie in Tränen ausgebrochen.

„Ich dachte schon, ich hätte Sie mir in meinem Fieberwahn nur eingebildet“, scherzte Nick mit schwacher Stimme, als Thea nach einer Weile in die Hütte kam.

„Komisch, und ich hatte gehofft, Sie wären mir nur in einem Albtraum erschienen und ich wäre endlich aufgewacht“, erwiderte sie trocken und fragte sich, warum ihr Herz beim dunkelhaarigen, romantisch aufregenden Cousin des Majors nicht aus dem Takt geriet.

„Deine Kleine gefällt mir, Marcus.“

„Dir hat noch jedes weibliche Wesen gefallen.“

„Na ja, es beruht ja auch auf Gegenseitigkeit“, antwortete er selbstzufrieden.

Thea lachte leise und erntete dafür einen finsteren Blick vom Major. Ungerührt fragte sie: „Wird der Captain morgen in der Lage sein zu reiten?“

„Das war er heute auch nicht, und trotzdem hat es ihn nicht davon abgehalten“, antwortete Marcus trocken.

„Also werden Sie sich morgen in aller Frühe auf den Weg machen?“

Er runzelte die Stirn. „Ich ja, aber ich hoffe, du bleibst noch ein bisschen, bis ich die Kutsche geholt habe, die meinen Cousin nach Rosecombe bringen soll.“

„Nach Rosecombe Park?“

„Ja, kennst du es?“

„Ich bin daran vorbeigekommen“, antwortete sie leichthin und hoffte, sie klang nicht allzu sehnsüchtig.

Von der Straße aus hatte sie einen Blick auf das schöne klassizistische Herrenhaus werfen können. Es verkörperte für sie alles das, was sie niemals bekommen würde – Eleganz und Harmonie und den Schutz im Schoße ihrer eigenen Familie. Offenbar konnte sie den bitteren Zug um ihren Mund nicht ganz unterdrücken, denn der Major betrachtete sie aufmerksam.

„Du lehnst den Adel ab?“

„Nein, ich wünschte nur, ich könnte in einem ihrer großartigen Herrenhäuser arbeiten. Aber keine respektable Familie stellt eine Streunerin wie mich ein.“

„Die seltsamste und hübscheste Streunerin, die ich je zu Gesicht bekommen habe“, bemerkte Nick von seinem behelfsmäßigen Lager aus.

„Ach, schlaf endlich, Nick“, befahl ihm sein liebevoller Cousin ungeduldig.

„Wie soll ich schlafen, wenn ihr ständig weiterschwatzt?“

„Ich gehe hinaus, und du tätest gut daran, mit deinen Kräften hauszuhalten. Lydia wird dir schon böse sein, ohne dass du dir auch noch ein Fieber einhandelst.“

„Ja, der kleine Liebling wird mir ohne Zweifel noch die Hölle heißmachen“, sagte Nick nicht im Geringsten beunruhigt und schloss zufrieden die Augen.

Schon wenige Minuten später hörten sie ihn tief und regelmäßig atmen und wussten, dass er jetzt wirklich eingeschlafen war. Marcus legte einen Finger an die Lippen und verließ die Hütte nach einem letzten Blick auf seinen Cousin.

In der letzten Zeit hatte Thea lernen müssen, wie es war, mit Unachtsamkeit behandelt zu werden. Doch aus irgendeinem ihr unverständlichen Grund störte es sie, wenn der Major keine Rücksicht auf sie nahm. Dabei konnte sie sich nicht erklären, warum sie sich so sehr wünschte, von ihm beachtet zu werden. Sie legte vom schnell schwindenden Vorrat Holz im Kamin nach, bevor sie sich danebensetzte und an die Wand lehnte.

Der Major hatte sein zusammengerolltes Bettzeug als Unterlage für seinen Cousin benutzt und seinen Mantel zusammen mit dem von Nick über ihn gelegt. Auch Thea hatte ihre geliebte Decke hergegeben, um den Patienten warm zu halten, aber sie rechnete auch nicht damit, schlafen zu können. Außerdem würde es weder ihr noch dem Major schaden, eine Nacht in einer zugigen Hütte zu verbringen, während es für den Captain böse Folgen haben könnte. Nachdenklich betrachtete sie das blasse Gesicht des Schlafenden. Sie sollte auf den Mann aufpassen und nicht ständig an seinen überheblichen Cousin denken.

Stunden später wurde Thea sanft gerüttelt. Sie erwachte sofort und hielt erschrocken den Atem an. Lieber Himmel! Sie musste eingeschlafen sein. Dicht an ihrem Rücken spürte sie die breite Brust des Majors. Sie lag in seinen Armen wie eine schamlose Dirne in den Armen ihres Geliebten. Unwillkürlich versuchte sie, so viel Abstand zwischen sich und ihn zu legen wie möglich. Dabei fielen die wenigen Haarnadeln, die sie noch besaß, aus ihrem unordentlichen Knoten, und schimmernde braune Locken ringelten sich auf ihren schmalen Schultern.

Errötend wandte sie sich zu ihm um und sagte mit atemloser Stimme: „Was tun Sie da, Major?“

Ihn schien die unschickliche Lage nicht im Geringsten in Verlegenheit zu stürzen. „Ich halte dich und mich warm.“

Zu ihrem Ärger enttäuschte sie seine Antwort. „Ach so. Natürlich“, sagte sie bedrückt, rieb sich verschlafen die Augen und streckte sich in seiner Umarmung.

„Ich konnte doch nicht zulassen, dass du dir in der Kälte den Tod holst, Hetty.“

„Nein, sicher nicht. Sonst müssten Sie für den Rest Ihres Lebens ein schlechtes Gewissen haben.“

Thea gefiel die Vorstellung nicht, der Major könnte in ihr nur eine Verpflichtung sehen. „Sie brauchen sich wegen mir keine Gedanken zu machen“, sagte sie schnippisch. „Ich kann gut allein auf mich aufpassen.“

Er lachte. „Das sieht man, wie gut du auf dich aufpassen kannst. Du bist ein armes Dienstmädchen ohne Stellung und ohne Heim.“

„Ich besitze immerhin noch meinen Stolz“, erwiderte sie gereizt und fragte sich, warum er ihr so rücksichtslos ihre Lage unter die Nase reiben musste.

„Kann dein Stolz dich warm halten?“, fragte er mit rauer Stimme.

Autor

Elizabeth Beacon
<p>Das ganze Leben lang war Elizabeth Beacon auf der Suche nach einer Tätigkeit, in der sie ihre Leidenschaft für Geschichte und Romane vereinbaren konnte. Letztendlich wurde sie fündig. Doch zunächst entwickelte sie eine verbotenen Liebe zu Georgette Heyer`s wundervollen Regency Liebesromanen, welche sie während der naturwissenschaftlichen Schulstunden heimlich las. Dies...
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