Kühle Rache - heißes Herz

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Die Nachricht von Macon McCanns Rückkehr nach Pine Hills lässt bittersüße Erinnerungen in Nester aufsteigen - und die Entdeckung, dass er per Annonce eine Frau sucht, wilde Rachegelüste! Denn vor Jahren war sie die Frau, die er heiraten wollte, blutjung und bereit, bei Nacht und Nebel mit ihm durchzubrennen. Ihn stattdessen in den Armen einer anderen zu finden, hat alles zerstört - und ihm jetzt einen Strich durch die Rechnung zu machen, ist Balsam für Hesters verletzte Seele. Bis sie Macon gegenübersteht - und ohnmächtiger Zorn sich in brennendes Begehren verwandelt. Wie die Motte ins Licht, so zieht es sie in seine Arme - selbst wenn die Glut sie ein zweites Mal versengen sollte ...


  • Erscheinungstag 17.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719654
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Macon McCann sucht eine Braut per Anzeige? So etwas sollte doch verboten werden.“ Hester Moody schüttelte den Kopf. Sie zog sich den Blazer ihrer dunkelblauen Postuniform aus und rollte die Ärmel ihrer weißen Bluse hoch. Geschickt band sie ihr schulterlanges aschblondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Hester trank einen Schluck von dem Kaffee, den sie sich im Supermarkt gekauft hatte, und sah zu ihrer einzigen Kundin. Lois Potts vom Futtermittelladen schien sich nicht entscheiden zu können, welche Sondermarken sie nun kaufen wollte.

Lois war der letzte Mensch, mit dem Hester jetzt reden wollte, und das war auch verständlich, denn Lois und sie waren schon früher aneinandergeraten. Zum Glück war Lois gerade sehr beschäftigt, und so konnte Hester sich in Ruhe das pinkfarbene Briefpapier anschauen, das sie sich vorhin gekauft hatte, zusammen mit der Zeitschrift „Texas Men“.

„Nicht zu fassen, dass Macon auf diesem Weg eine Braut sucht“, murmelte sie.

Ihre hellblauen Augen blickten sehr ernst, als sie das Foto betrachtete, das den Mann in voller Größe zeigte, der der Vater ihres sechzehnjährigen Sohns war. Reicher Rancher, männliches Prachtstück stand unter dem Bild. „So etwas kann sich auch nur Macon als Bildunterschrift ausdenken“, flüsterte sie und verdrehte die Augen. Gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst, weil sie ihn trotz allem noch so attraktiv fand.

Aber bei welcher Frau würde bei diesem Mann nicht sofort das Herz schneller schlagen?

Das Leinenhemd spannte sich über seinen muskulösen Schultern, und Macon hatte die obersten Knöpfe geöffnet. Seine breite gebräunte Brust, die kräftigen Arme und die schmalen Hüften waren Hester noch gut in Erinnerung. Auf dem Foto trug Macon eine neue Jeans und polierte Stiefel. Den Cowboyhut hielt er sich vor die Brust und lächelte dabei, als wollte er sagen, dass alle Frauen, die auf die Anzeige antworteten, ihm schon von vornherein das Herz brachen.

„Haare wie ein Engel, ein Charakter wie der Teufel“, stellte Hester verärgert fest. Das honigblonde Haar war leicht wellig, und es schimmerte so seidig, dass sie es am liebsten berührt hätte.

Entnervt seufzte sie. Macon sah aus wie jeder andere Cowboy. Abgesehen von seinen Augen. Sein scharfer Blick wirkte so durchdringend, dass jede Frau wie gebannt das dunkle Braun seiner Augen bewunderte.

Hester wurde klar, dass sie viel über Macon wusste, was man nicht mit der Kamera festhalten konnte. Ja, dachte sie, und fast jede andere Frau in Pine Hills. Sie fand es immer noch richtig, dass sie Macon nicht die Wahrheit über Cordy erzählt hatte. Aber in letzter Zeit befürchtete sie manchmal, dass ihr irgendetwas Schreckliches zustoßen könnte. Vor zwei Jahren war Bruce ganz unerwartet gestorben. Was war, wenn Cordy vielleicht nach ihrem Tod aus irgendeinem Grund die Wahrheit erfahren musste?

Hester verdrängte ihre Angst, die sie seit Bruce’ Tod fast auffraß, und dachte angestrengt nach. Ach Bruce, dachte sie, wir beide wollten doch zusammen alt werden! Du solltest nicht sterben! Ebenso wenig wie Macon McCann sich hier in Pine Hills niederlassen und eine Frau heiraten sollte, die er über diese Zeitschrift kennengelernt hatte.

In Houston hatte Macon eine erfolgreiche Baufirma gegründet. Weshalb kehrte er zurück? Und warum setzte er gleich eine Anzeige in „Texas Men“, um eine Frau zu suchen, wenn er doch ausreichend Gelegenheiten besaß, um auf anderem Weg eine Frau kennenzulernen.

Sie blickte zum Eingang. Draußen herrschte glühende Hitze, obwohl es noch Vormittag war, und die Leute standen Schlange vor „Happy Lick’s Ice Cream Parlor“, um sich ein Eis zu kaufen.

„Guten Morgen, Hester, wie geht’s?“

Das war Lois. Hastig schob Hester einen großen Umschlag über Macons Anzeige und alles andere, was sie auf dem Tresen ausgebreitet hatte, und nahm ihren Kaffeebecher von der Waage, damit Lois ihr Paket darauf legen konnte. „Bestens, Lois. Heute keine Briefmarken?“

„Ich konnte mich nicht entscheiden, welche ich nehmen soll.“ Lois lachte geziert. „Bestimmt hast du gehört, dass Macon McCann wieder in der Stadt ist und mit allem ausgeht, was sich bewegt. Wart ihr beide nicht auf der High School befreundet?“

„Nur platonisch“, log Hester.

„Ich auch“, versicherte Lois ihr hastig.

Fast hätte Hester laut aufgelacht. „Wie ich gehört habe, seid ihr beide letzte Woche drüben in Opossum Creek zum Bowlen gewesen.“ Sie konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen und stellte fest, dass anscheinend noch niemand von Macons Anzeige in „Texas Men“ erfahren hatte. Sollte sie es Lois verraten? Dann machte die Neuigkeit sicher innerhalb von einem Tag die Runde. Kein Mann hatte es gern, wenn jeder erfuhr, dass er sich per Anzeige eine Frau suchen musste, und wenn es Macon richtig peinlich war, dann hatte Hester vielleicht Glück, und er verließ die Stadt wieder.

„Macon und ich waren in Opossum Creek“, gestand Lois. „Aber wir waren zu mehreren.“

Hester hob nur die Augenbrauen. Nachdem sie bezahlt hatte, ging Lois noch einmal zu den Briefmarken, und Hester blickte aus dem Fenster zu den Bergen mit dem Aussichtspunkt, der „Star Point“ genannt wurde. Wenn doch nur das einzige Kino in Pine Hills etwas neuere Filme zeigen würde! Oder wenn die nächste Bowlingbahn nicht fast vierzig Meilen entfernt in Opossum Creek wäre! Oder wenn Happy Lick’s Ice Cream Parlor nicht pünktlich um acht Uhr schließen würde! Dann hätte Hester nicht so viel Zeit damit verbracht, sich mit Macon heimlich irgendwo draußen zu treffen.

Aber der Star Point war unwiderstehlich schön mit den alten Eichen, Mesquitbäumen und Platanen, die den Platz säumten. Dort oben war es gewesen, als Hester, zwei Monate, bevor sie Bruce heiratete, mit Macon ihr Baby gezeugt hatte.

Jetzt sah sie kritisch auf Macons Foto und las den Anzeigentext:

Texaner (34) will heiraten. Mit ihm als Ehemann bekommt die Braut auch eine erfolgreiche Rinderranch in Texas Hill Country und ein eigenes Reitpferd.

Gereizt verschränkte Hester die Arme. Sie bedauerte jetzt schon die arme unglückliche Frau, die auf das Märchen von der heilen Welt der Cowboys hereinfiel. „Na ja, wenigstens lernt sie ihn ja vor der Hochzeit noch kennen“, flüsterte Hester. „Ein eigenes Pferd. Ts, ts, ts.“ Sie schüttelte den Kopf.

Lois war bereits auf dem Weg nach draußen. „Sagtest du etwas?“

Errötend schüttelte Hester den Kopf. „Ich rede nur mit mir selbst.“

„Da muss man wenigstens nicht mit frechen Antworten rechnen“, erwiderte Lois schnippisch und schloss die Tür.

Kluge Sprüche von Lois Potts konnte Hester im Moment wirklich nicht gebrauchen, deshalb nickte sie nur und las weiter.

Hier ist mein Angebot, Lady. Komm auf die Rock ‚n’ Roll-Ranch in Pine Hills in Texas und lass Dich von der friedlichen Natur verzaubern, während Du Dich in mich und das Leben hier verliebst. Zur Ranch gehört ein Swimmingpool, und ich hoffe, dass Du eine familiäre Atmosphäre liebst, denn Du wirst das große gemütliche Ranchhaus mit Deinen Schwiegereltern teilen. Also schreib schnell an Macon McCann. Ich bin ein Cowboy, der es nicht erwarten kann, Dein liebender Ehemann zu werden.

Das ergab doch keinen Sinn! Macon hatte Pine Hills vor sechzehn Jahren verlassen, um sich seine Träume zu erfüllen, und er hatte diesen Schritt nie bereut. Niemals hatte er sich anmerken lassen, dass er heiraten wollte, und jetzt wollte er eine Fremde zur Frau nehmen? Dabei hatte er sich doch mit so vielen Frauen aus dem Ort getroffen.

Hester musste schlucken, als sie die Briefe hervorholte, die sie unter die Zeitschrift geschoben hatte. Heute früh waren aus aller Welt sechzehn Antworten auf Macons Anzeige eingetroffen. An den meisten Tagen waren es sogar noch mehr.

Statt sie in Macons Postfach zu legen, öffnete sie die Umschläge über Wasserdampf und las sie. Sogar aus China, Russland und den Niederlanden hatten Frauen geschrieben. Alle erzählten Geschichten von Eltern, Liebhabern oder Ehemännern, die sie verlassen wollten. Einige lebten in Krisengebieten und wollten dem Krieg, dem Elend oder dem Hunger entkommen. Manche suchten angeblich einen Ehemann, der ihnen half, ihre Kinder großzuziehen, oder sie wollten das Leben auf einer Ranch kennenlernen. Aber in Wirklichkeit waren alle nur auf der Suche nach jemandem, der sie liebte und dessen Liebe sie erwidern konnten.

Voller Mitgefühl zog Hester einen Brief hervor, der in sauberer Handschrift auf kariertem Ringbuchpapier geschrieben war.

Lieber Mr. Macon McCann,

ich möchte sehr gern Ihre Braut sein. Ich kann Ihnen versichern, dass ich hübsch bin und aus einem anständigen Elternhaus stamme. Leider ist meine Familie im Moment wütend auf mich, weil ich ungewollt schwanger geworden bin. Ich habe über andere Wege nachgedacht, aber ich werde das Baby bekommen, obwohl mein Freund mich belogen hat, als er sagte, er würde mich lieben. Ich habe Angst, weil ich erst siebzehn bin und wir nicht viel Geld haben.

Bitte Mr. McCann, wenn Sie nichts dagegen haben, ein farbiges Mädchen zu heiraten, das gerade die Schule abgebrochen hat und in zwei Monaten ein Baby bekommt, dann hoffe ich, dass Sie mir bald schreiben. Ich hasse meine Familie jetzt und will aus Missouri wegziehen. Obwohl ich sehr gute Noten habe, musste ich von der Schule abgehen, weil die Mädchen, die ich für meine Freundinnen gehalten habe, nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Sie haben mir böse Dinge auf mein Schließfach geschrieben. Hier in Missouri fühle ich mich ganz elend. Bitte, Mr. McCann, helfen Sie mir.

Ich weiß, dass es dafür eigentlich noch zu früh ist, aber ich werde Sie trotzdem lieben.

Ihre zukünftige Braut, Chantal Morris

Wie selbstsüchtig kann Macon sein? fragte Hester sich. Erkannte er denn nicht, dass er verzweifelten jungen Mädchen falsche Hoffnungen machte? Chantal Morris war nur eines von vielen Mädchen, das auf Macons Anzeige geantwortet hatten. Diese Mädchen waren außer sich vor Angst, und wenn Chantal nicht aufpasste, dann war sie am Ende noch voll und ganz von Macon abhängig.

Anscheinend lag es an Hester, Chantal zur Vernunft zu bringen. Schließlich war Hester noch jünger als Chantal gewesen, als sie von Macon schwanger wurde. Hester überlegte, mit wie vielen Frauen Macon sich seit seiner Rückkehr aus Houston getroffen hatte. Mit der neuen Lehrerin aus Idaho, Betsy, mit Lois Potts und nicht zu vergessen Nancy Ludell, eine erst vor Kurzem geschiedene Klatschtante, die am Ende derselben Straße wohnte, in der auch Hester lebte. Seit ihrer Scheidung hing Nancy wie eine Klette an Macon.

Chantal Morris muss ihren Schulabschluss machen, dachte Hester. Sie ist kaum älter als mein Sohn, und ohne Abschluss wird es ihr sehr schwer fallen, ihr Kind aufzuziehen.

Nachdenklich klopfte Hester mit dem Kugelschreiber auf Chantals Brief und überlegte, wie sie der jungen Frau helfen konnte. Natürlich war es ein Verbrechen, das Postgeheimnis zu verletzen, andererseits saß Hester in der Schule im Elternrat und spendete regelmäßig für die Jugendmannschaft des Football-Teams. Sicher würden die Mitglieder des Stadtrats ein gutes Wort für sie einlegen, damit sie nicht ins Gefängnis kam, falls Macon jemals Wind davon bekam, was sie tat. Außerdem würde sie bestimmt vom Schicksal beschützt, weil sie genau das Richtige tat. Nein, dachte Hester, Chantal ist nicht das erste minderjährige Mädchen, dass irrtümlich meint, Macon heiraten zu wollen. Denselben Unsinn habe ich selbst mal geglaubt.

Langsam las sie den ganzen Brief noch einmal und grübelte stirnrunzelnd über jedem Wort. Dann griff sie nach dem Briefpapier, das sie vorhin gekauft hatte. Die pinkfarbenen Bögen rochen leider nach Kaugummi, doch das würde Chantal sicher nicht stören. Hester schloss die Augen und überlegte, was sie schreiben sollte. Dann fing sie an.

Liebe Chantal,

aus eigener Erfahrung kann ich mir vorstellen, wie unwohl Du Dich in Missouri fühlst, und so hoffe ich, Du nimmst meinen Ratschlag an: Beende auf jeden Fall die High School! Du wirst es nicht bereuen, Dein Baby zu behalten, und Dein Schulabschluss wird Dir in der Zukunft noch sehr viel nützen. Ich habe mein Baby bekommen, kurz nachdem ich siebzehn wurde, und es hat Spaß gemacht, eine so junge Mom zu sein. In meinem Alter hätte ich dazu nicht mehr die nötige Energie! Ich bin jetzt dreiunddreißig, und im Herbst kommt mein Sohn in die elfte Klasse. Seit Jahren schon ist er meine größte Freude. Ich weiß, dass es Dir genauso gehen wird. Der richtige Mann für Dich wird schon kommen, also bleib stark. Lass Dich von diesen schrecklichen Mädchen auf der Schule nicht unterkriegen. Du musst die Schule unbedingt beenden, Dein Baby bekommen und auf den Mann deiner Träume warten!

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und Hester biss sich auf die Unterlippe. Weil sie zwei Mal eine Klasse übersprungen hatte, war sie immer jünger als die anderen Mädchen auf der Schule gewesen, und genau wie Chantal hatte sie nur wenige Freundinnen gehabt. Sie hatte ihren Ehemann wirklich geliebt, das stimmte, und trotzdem … Sie schob diesen Gedanken beiseite und sagte sich, dass ihre Gefühle für Macon nichts als mädchenhafte Schwärmerei gewesen waren. Dann schrieb sie weiter:

Chantal, zum Glück für Dich lese ich die Antworten auf die Anzeige von Mr. McCann in „Texas Men“. Eine wundervolle Zukunft liegt vor Dir, das spüre ich tief in mir drin. Aber glaub mir, diese Zukunft findet nicht in Pine Hills in Texas statt. Macon McCann ist nicht der richtige Mann für dich, und er wäre auch kein guter Vater für Dein Baby. Weder für Deines noch für das einer anderen Frau.

1. KAPITEL

Macon McCann ging ruhelos durch das Büro auf der Ranch. Seine Bewegungen wirkten wie die einer Raubkatze, und seine tiefe Stimme hatte einen drohenden Unterton. „Ich hätte es mir denken können, dass unsere Postamtsleiterin dahinter steckt.“

Diego, der Vormann, wischte sich mit einem Stirnband den Schweiß ab. „Jetzt bleib doch mal locker.“

Locker bleiben, das passte schlecht zu Macon und der Witwe Moody. Er hatte sich von seinem Vater dazu drängen lassen, diese Anzeige aufzusetzen, um eine Frau zu finden. Das war schon schlimm genug, aber als niemand auf die Einladung in der Anzeige antwortete, hätte Macon gleich Verdacht schöpfen müssen.

Er hatte der Zeitschrift ein Foto von sich geschickt. Das war kein Problem, denn er sah besser aus als die meisten anderen Inserenten, und er war auch wohlhabender.

Trotzdem gab es keine Antworten auf seine Anzeige.

Jetzt allerdings war dieses Rätsel gelöst. „Hester Moody!“, stieß Macon zwischen den Zähnen hervor und zwang sich dazu, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Füße auf dem Tisch. Teilnahmslos blickte er auf die pinkfarbenen Briefbögen, die er vor einer Stunde von Hesters Schreibtisch in der Poststelle genommen hatte. Nicht einmal der Duft von Heu und Pferden konnte den Kaugummigeruch überdecken, der von den Bögen ausging. Vor allem beunruhigte Macon allerdings, dass er auch noch einen anderen Duft wahrnahm, den er am liebsten für immer vergessen wollte: Hesters Duft.

Da jede Postsendung in Pine Hills durch ihre Hände ging, hätte Macon sich denken können, dass sie etwas unternehmen würde, wenn er auf einmal Berge von Briefen mit weiblichen Absendern erhielt. Aber dass sie tatsächlich die eingehenden Briefe öffnete und seinen möglichen Bräuten antwortete, war schon ein starkes Stück.

Als die Tür aufging, hob Macon den Blick und sah seinen Vater, Cam McCann, zusammen mit Ansel Walters, dem Besitzer der Nachbarranch, hereinkommen. Er hatte den beiden bereits kurz von Hesters Aktion erzählt. Ansel sah zu den Briefen und dann scherzend zu Diego und Cam. „Als Macon die Anzeige in die Zeitung gesetzt hat, dachte er sicher, dass die Frauen hier in Scharen auftauchen.“

„Wahrscheinlich glaubte er, sie stoßen Begeisterungsschreie aus und kämpfen um ihn“, fügte Diego hinzu. Seine funkelnden dunklen Augen schimmerten so schwarz wie die Locken, die unter seinem alten Strohhut hervorlugten. „Ja“, fuhr er fort, zog sich das schweißnasse T-Shirt vom drahtigen Körper, legte es über die Rückenlehne eines Schaukelstuhls und ließ sich ausatmend darauf nieder. „Alle Frauen träumen davon, sich einen reichen Rancher wie dich zu angeln, stimmt’s, Macon?“

„Da kannst du jede Frau fragen.“ Cam warf seine Arbeitshandschuhe neben die Briefe. „Es gibt nichts Schöneres für sie, als meinen Sohn zu heiraten. Ihr Jungs würdet es nicht glauben, wie viele Bräute ich von der Straße vertreiben musste, nur um heute Morgen zur Arbeit zu kommen.“

Wütend sah Macon seinen Vater an.

Cam lachte. „Ach, komm, reg dich nicht auf, Macon. Ich habe dir nie gesagt, du sollst eine Anzeige aufgeben.“

„Nein, das hast du nicht.“ Besorgt fuhr Macon sich über den Kopf und strich sich die blonden Strähnen nach hinten. „Aber du hast gesagt, dass du mir die Ranch nicht überschreibst, solange ich nicht verheiratet bin.“

„Allmählich begreifst du’s.“ Seit einem Schlaganfall konnte Cam seine linke Hand fast nicht mehr bewegen, doch mit der anderen schlug er sich lebhaft aufs Knie.

Lange blickte Macon seinen Vater an. Cams Schultern waren einst so breit und kräftig wie die von Macon gewesen, aber jetzt wirkten sie schmal und eingefallen. Sein schütteres Haar war stahlgrau; sein Gesicht wirkte alt und faltig wie ein altes Paar Stiefel. Als er jetzt so deutlich sah, wie sehr sein Vater gealtert war, wünschte Macon sich, er hätte die Ranch nie verlassen. Er bereute die Jahre, die er nicht hier gewesen war, um gemeinsam mit Cam die Ranch zu bewirtschaften. Macon war ein Einzelkind, und seine Eltern waren bei seiner Geburt schon vergleichsweise alt gewesen. Jetzt war Cam dreiundsiebzig.

In Gedanken hörte er seine Mutter sagen: „Ich kann ihn nicht zur Vernunft bringen, Macon. Sein Blutdruck ist viel zu hoch, und wenn er auf der Ranch keine Hilfe bekommt, droht ihm der nächste Schlaganfall, sagt Doc Dickens.“ Seine Mutter hätte auch direkt sagen können, dass sein Vater sterben würde, wenn Macon nicht nach Hause kam.

Aus einem anderen Grund wäre er auch niemals nach Pine Hills zurückgekommen, denn der letzte Ort, wo er leben wollte, war dieselbe Stadt wie Hester. „Der Doc sagt, du musst dich wegen deines Bluthochdrucks zur Ruhe setzen.“

„Meinen Blutdruck treibt nur die Erkenntnis in die Höhe, dass du mir meine Ranch wegnehmen willst“, beschwerte Cam sich. „Zum Glück haben die Frauen genug Verstand, um dich nicht zu heiraten.“

„Wenn ich heirate, setzt du dich zur Ruhe“, stellte Macon klar. „Das hast du versprochen.“

„Und Cam bricht nie sein Wort“, bestätigte Ansel.

„Nein, das tue ich nicht“, stimmte Cam zu. „Aber ich bezweifle, dass ich jemals die Hochzeitsglocken für meinen Sohn läuten höre, denn Hester hat ja sogar bis nach China Briefe geschickt, um die Frauen vor Macon zu warnen.“

„Und hier in Pine Hills sind die Frauen sowieso schon vor dir auf der Hut“, fügte Ansel lachend hinzu.

„Moment mal“, warf Cam ein. „Nancy Ludell versucht es immer noch. Und die süße Lehrerin, Betsy, die aus Idaho kommt. Und auch die beste Freundin deiner Frau, Ansel, wie heißt die noch?“

„Lois Potts.“ Ansel nickte.

„Stimmt. Du bist mit ihr beim Bowling gewesen, oder, Macon?“ Cam bemühte sich um einen ernsthaften Tonfall. „Immerhin ist Lois eine gute Partie, denn sie wird mal das Futtermittelgeschäft erben. Wieso willst du sie nicht heiraten?“

„Vielleicht tue ich ja noch.“ Andererseits überlegte Macon, dass er dann auch genauso gut eine Fremde zur Frau nehmen konnte. Er brauchte sich ja nicht zu verlieben, und im Grunde wusste er auch gar nicht, ob er dazu überhaupt in der Lage war.

Mit einemmal fuhr Ansel herum, schirmte die Augen mit einer Hand ab und sah blinzelnd durch das schmutzige Fenster zur Pferdekoppel hinüber. „Beeil dich, Macon!“, zog er ihn auf. „Ein paar Frauen in Brautkleidern kommen auf das Haus zugerannt.“

Diego lief zur Tür. „Seht doch! Jetzt heben die Frauen die Schleier, damit sie sich gegenseitig die Augen auskratzen können! Wie Wildkatzen kämpfen sie um Macon.“ Der Mexikaner hob die Stimme zu einem schrillen Sopran. „Bitte, bitte“, kreischte er und strich sich über den schwarzen Schnurrbart. „Lass mich Macon heiraten, damit ich ihm die Hemden bügeln und mit ihm schlafen kann!“

„Haltet euch zurück!“, warnte Macon die Männer, obwohl er selbst grinsen musste. Erschöpft streckte er die kräftigen Arme über den Kopf. Heute Mittag war er in der Stadt gewesen, um die Post abzuholen. Und dabei hatte er die Briefe entdeckt.

Diego verdrehte die Augen. „Was wird in den Briefen denn Schlimmes über dich erzählt?“

Macon zuckte mit den Schultern, hob ein pinkfarbenes Blatt hoch und begann laut vorzulesen: „Liebe Gong Zhu, Sie sollten wirklich wissen, dass Macon McCann es aus gutem Grund nötig hat, sich per Anzeige eine Frau zu suchen. Denken Sie einmal gründlich nach. Welcher amerikanische Mann hat es nötig, seine Suche nach einer Frau bis nach China auszudehnen?“

Ansel, Diego und Cam lachten.

Ungeduldig wühlte Macon in den Briefen. „Hier ist noch einer.“ Er räusperte sich.

„Liebe Carrie Dawn Bledscoe! In Pine Hills gibt es mehr Frauen als Männer. Wenn Macon McCann ein so guter Fang wäre, hätte er doch bestimmt schon eine Partnerin gefunden, glauben Sie nicht? Er ist jetzt vierunddreißig, hatte also genug Gelegenheiten.“

Wieder wieherte die Männer, und trotz seiner Wut musste Macon auch lachen. „Und wisst ihr, wie sie die Briefe unterschreibt? Mit schwesterlichen Grüßen …“

„Mit Worten kann diese Frau wirklich gut umgehen“, stellte Ansel fest.“

Diese Frau kann noch mit ganz anderen Dingen gut umgehen, dachte Macon. „Wollt ihr mehr hören? Dieser Brief bringt es wirklich auf den Punkt. Liebe Anna Gonzales, kommen Sie nicht nach Amerika! Bleiben Sie in Mexico und halten Sie sich von Macon McCann fern. Er ist eine wahre Plage, und Pine Hills ist nichts als ein großer Haufen Dreck. Hier gibt es keinen Regen, und die Hitze ist unerträglich. Pine Hills“, fuhr Macon fort und las einfach beim nächsten Brief weiter: „Das klingt schon langweilig, finden Sie nicht, Mirabella Morehead? Aber hier gibt es außer Macon noch weitaus Schlimmeres. Im Gegensatz zu Los Angeles haben wir hier eine ganze Reihe verschiedener Giftschlangen. Was Kultur angeht, tut sich in Pine Hill allerdings nichts. Die Filme, die hier im Kino laufen, sind alle schon ein Jahr alt, und Konzerte kennen wir hier nur aus dem Fernsehen.“

„Da hat sie recht.“ Diego wischte sich die Lachtränen von den Wangen. „Die Einzigen, die hier Musik machen, sind Frösche und Grillen.“

„Es ist doch niemand schuld daran, dass ihr das alles nicht gefällt“, regte Ansel sich auf. „Sie hätte die Stadt doch verlassen können. Aber sie und ihre Mutter sind hiergeblieben. Dabei hat Hester ein Schuljahr übersprungen, und sie hatte auch ein Stipendium für irgendein College im Osten.“

„Sie ist bloß geblieben, um weiter gegen Macon kämpfen zu können“, vermutete Cam.

„Genau deswegen bin ich ja auch nach Houston gezogen.“ Macon nickte. Keiner der Anwesenden wusste, wie ernst es ihm damals mit Hester gewesen war.

„Tja, Amigo.“ Diego sah ihn mitfühlend an. „Jetzt bist du zurück, und zwischen dir und dieser Ranch steht nur eines– Hester.“

Ansel grinste. „Ein Hindernis, das man nicht unterschätzen sollte.“

Macon reichten die ständigen Scherze auf seine Kosten. Er stand auf und ging zur Tür. Er lehnte sich an den Rahmen und blickte auf die rauen Felsen und sanften grünen Hügel der Ranch. Im Schatten der Bäume auf der Koppel grasten die Pferde. Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen, Hester? fragte er sich.

Als er sich entschloss, in „Texas Men“, zu inserieren, war er nur seiner Vernunft gefolgt, doch als niemand darauf antwortete, fühlte er sich so einsam, dass er sich eine Tatsache eingestehen musste: Er sehnte sich nach einer Frau. Lange Jahre hatte er versucht, über Hester hinwegzukommen. Er hatte doch wirklich lange genug gewartet. Verdiente er es nicht allmählich, nachts neben einer Frau zu schlafen, die sich nach seinen Berührungen sehnte? Hester hatte sechzehn Jahre lang einen Mann an ihrer Seite gehabt und es genießen können, von ihm geliebt zu werden und gemeinsam mit ihm einen Sohn großzuziehen.

Autor

Jule Mc Bride
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