Küss mich, bis der Sommer geht

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So haben wir nicht gewettet, denkt Luke Evans erstaunt. Dass seine neue Haushälterin Emily hübsch ist, hat er sofort festgestellt. Dass sie gut kochen kann, hat er gehofft. Aber dass sie einen kleinen Sohn mit auf die Ranch bringt, hat er nicht geahnt! Doch Luke muss zugeben, dass das ausgelassene Kichern des kleinen Sam ansteckend ist. Dennoch: Eine Familie ist das letzte, was er um sich haben will, aus einem Grund, den er niemandem verraten kann … Warum bloß trifft ihn dann der Gedanke, Sam und seine bezaubernde Mom am Ende des Sommers zu verlieren, mitten ins Herz?


  • Erscheinungstag 19.03.2013
  • Bandnummer 1877
  • ISBN / Artikelnummer 9783954464289
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Sind wir jetzt da, Mama? Kommt Daddy auch?“

Emily lächelte ihrem Sohn zu, obwohl sich ihr bei seinen unschuldigen Fragen das Herz zusammenzog. Sam wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass Rob irgendwann zu ihnen zurückkehren würde.

„Ja, wir sind da“, erwiderte sie schließlich. „Aber Daddy wohnt jetzt woanders, das weißt du doch. Ich fange hier eine ganz neue Arbeitsstelle an.“

Sie lenkte den Wagen auf das Gelände von Evans & Son. So weitläufig hatte sie sich die Ranch gar nicht vorgestellt. Die Gebäude waren von schier endlosen Weideflächen umgeben. Emily fuhr langsam die Auffahrt entlang, die auf das weiße, zweistöckige Wohnhaus zuführte. Links davon stand eine riesige Scheune, in dem Gebäude rechts war offenbar eine Werkstatt untergebracht.

Es gab noch ein paar weitere Nebengebäude, und alle machten einen ordentlichen, gepflegten Eindruck. Evans & Son stand wirtschaftlich offenbar nicht schlecht dar. Was man von Emily im Moment nicht gerade behaupten konnte, aber daran wollte sie genau jetzt etwas ändern.

Sie parkte das Auto rechts vom Wohnhaus und atmete tief durch, um ein bisschen ruhiger zu werden. Dann sah sie im Rückspiegel nach Sam. Der Junge blickte sich mit großen Augen um.

„Aber ich will, dass Daddy bei uns ist!“

„Das weiß ich, mein Schatz“, erwiderte Emily geduldig. Sam wusste es nicht besser, er war ja erst fünf. „Wenn wir uns hier erst mal eingerichtet haben, kannst du ihm einen Brief schreiben. Ich helfe dir auch dabei. Vielleicht malst du ihm noch ein schönes Bild dazu, wie findest du das?“

Zu sehen, wie traurig und verwirrt Sam noch immer war, versetzte ihr jedes Mal einen Stich. In der letzten Zeit war ihr Sohn viel anhänglicher gewesen als sonst. Kein Wunder – innerhalb kürzester Zeit hatte sich für sie beide alles verändert: Rob war ausgezogen, sie hatte das gemeinsame Haus verkauft, und jetzt waren sie aus Calgary weggezogen. Sam hatte sich von seinen Kindergartenfreunden und seiner gewohnten Umgebung verabschieden müssen. Aber von einem Fünfjährigen konnte sie nicht verlangen, dass er ihre Beweggründe verstand. In dem Haus in Calgary steckten ebenso viele schöne wie schmerzliche Erinnerungen, sie konnte dort einfach nicht mehr wohnen. Nach seinem Auszug hatte Rob ihnen nicht nur die finanzielle Unterstützung entzogen, sondern – was viel schlimmer war – sich auch persönlich vollständig von ihnen gelöst.

Emily konnte nicht fassen, wie er ihrem gemeinsamen Sohn so etwas antun konnte. Aber es gab im Moment Dringenderes, als sich darüber Gedanken zu machen. Sie konnte es sich nicht leisten, der Vergangenheit nachzutrauern. Sie musste und wollte für sich und Sam eine neue gemeinsame Zukunft aufbauen, eine glückliche Zukunft. Dass sie nun alle Entscheidungen alleine treffen musste, bedeutete eine große Verantwortung, aber irgendwie fühlte sie sich auch befreit.

„Wartest du eben im Auto?“ Sie stieg aus. „Ich spreche nur kurz mit Mr Evans, dann gehen wir rein.“

„Ist gut, Mama.“ Sam griff nach einem Bilderbuch.

Emily seufzte traurig. Manchmal kam es ihr so vor, als wäre ihr Sohn viel zu vernünftig für sein Alter. Ob Robs und ihre Trennung wohl seine Kindheit verkürzt hatte?

„Ich beeile mich, mein Schatz.“ Sie warf ihm eine Kusshand zu und strich sich das T-Shirt glatt, zu dem sie eine siebenachtel Jeans trug. Jetzt bloß nichts falsch machen, dachte sie und probierte ein freundliches, möglichst natürliches Lächeln. Mr Evans sollte ihr nicht anmerken, wie nervös sie war. Sie ging die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf, nahm all ihren Mut zusammen und klopfte an.

Keine Reaktion.

Das ging ja schon mal nicht besonders gut los. War das etwa ein Zeichen dafür, dass sie die falsche Wahl getroffen hatte? Dass sie nicht hätte herkommen sollen? Mit der Entscheidung, das Haus zu verkaufen und die Stadt zu verlassen, hatte sie Sams und ihr Leben ganz schön auf den Kopf gestellt, das war ihr durchaus bewusst.

Unwillkürlich drehte sie sich zu ihrem Sohn um, der immer noch ruhig im Auto saß, den Kopf über das Bilderbuch gebeugt. Doch, dachte sie. Ich habe mich genau richtig entschieden. Für mich ist es das Wichtigste, dass ich immer für Sam da sein kann. Und das kann ich hier. Außerdem bringe ich die besten Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Haushälterin mit.

Vielleicht hatte Mr Evans sie einfach nicht gehört? Sie klopfte erneut. Dass sie ihren Auftraggeber vorher nie gesehen hatte, machte sie etwas nervös. Bisher hatte sie sich nur bei der Vermittlungsagentur persönlich vorgestellt, aber das letzte Wort sprach natürlich Mr Evans.

Emily konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ihr letztes richtiges Vorstellungsgespräch geführt hatte. Im vergangenen Jahr hatte sie zwar einige Bewerbungen losgeschickt, aber auf keine eine Reaktion erhalten. Kein Wunder! Wer wollte schon eine medizinisch-technische Assistentin einstellen, die seit fünf Jahren nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet hatte?

Auch auf das zweite Klopfen kam keine Antwort. Emily zwang sich dazu, ruhig zu bleiben.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Eine Männerstimme. Sie kam von rechts, aus der Werkstatt.

Emily zog sich der Magen zusammen, als der dazugehörige Mann mit großen Schritten auf sie zukam und sich dabei die schmutzigen Hände an einem alten Lappen abwischte. Dann war das also Mr Evans? Er wirkte ja jünger als sie selbst! Obwohl das schwer zu sagen war, weil der Schirm einer Baseballkappe seine Augen verdeckte. Ihr Blick fiel auf staubige Westernboots, eine ausgeblichene Jeans und ein ölverschmiertes T-Shirt, das sich über einer muskulösen Brust spannte. Alles an ihm sah nach harter, ehrlicher Arbeit aus. Und so etwas hatte sie in letzter Zeit sehr zu schätzen gelernt. Auf gutes Aussehen gab sie nicht mehr viel.

„Ich … mein Name ist Emily Northcott“, begann sie. „Die Agentur hat mich hergeschickt.“ Schrecklich, wie unsicher ich gerade klinge, dachte sie und fügte laut hinzu: „Sie haben eine Haushaltshilfe gesucht.“

Er blieb stehen. Emily ging die Stufen wieder hinunter und reichte ihm die Hand.

Der Mann hob seine ölverschmierten Finger. „Und ich bin Luke Evans, aber geben Sie mir lieber nicht die Hand. Sonst machen Sie sich noch schmutzig.“

Emily spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Die ganze Situation war ihr unangenehm – erstens, weil sie hätte wissen müssen, dass er schmutzige Hände hatte, und zweitens, weil sein Tonfall nicht gerade herzlich war. Also ließ sie den Arm wieder sinken und bemühte sich zu lächeln. „Oh, ach so. Ich hoffe, wir kommen nicht gerade zu einem ungünstigen Zeitpunkt.“

„Ich repariere gerade ein paar Geräte und habe Ihr Auto gehört. Ich hatte aber nicht mit Ihnen gerechnet.“

„Hat die Agentur mich denn nicht angekündigt?“

„Vielleicht hat sie’s versucht, aber ich bin nun mal nicht oft im Haus, also höre ich das Telefon oft nicht.“ Er sagte das so, als wäre es völlig selbstverständlich.

Emily runzelte die Stirn. Hatte er denn gar kein Handy, so wie die meisten Leute? Oder zumindest einen Anrufbeantworter? Oder stellte er sich mit Absicht stur?

„Ich will Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen, Mr Evans, aber die Agentur hat mir ganz ausdrücklich gesagt, dass ich heute hier anfangen soll.“

Er steckte sich den alten Lappen in die Gesäßtasche. „Wahrscheinlich hat die Agentur meine Schwester benachrichtigt. Sie hat die Anzeige ja auch aufgegeben.“

„Ach, das waren gar nicht Sie?“

„Nein, meine Schwester Cait. Vielleicht haben sie bei ihr auf Band gesprochen. Sie ist allerdings gerade im Krankenhaus.“

„Oh, das tut mir leid. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes.“ Alles, was er sagte, gab Emily nur noch mehr Rätsel auf. Allerdings lud sein Tonfall nicht gerade dazu ein, weitere Fragen zu stellen.

Auf einmal lächelte er doch. Nur ein bisschen zwar, und dazu noch ziemlich angestrengt … aber immerhin. Sofort war sein Gesicht wie verwandelt. Die eisblauen Augen wirkten auf einmal viel wärmer, und links und rechts von seinem Mund bildeten sich zwei sehr charmante Lachfalten. „Nein, wirklich schlimm ist es nicht“, erklärte er. „Sie bekommt gerade ein Baby.“

Sein Lächeln wirkte irgendwie ansteckend, und Emily lächelte zurück. Aber dann wurde sie doch wieder nervös. Mit so einem jungen Arbeitgeber hatte sie nicht gerechnet … und einigermaßen attraktiv war er noch dazu! Eigentlich komisch, dass ihr so etwas überhaupt auffiel, wo sie doch gerade eine ziemlich unschöne Trennung hinter sich hatte und fest entschlossen war, Liebschaften jeglicher Art erst mal aus dem Weg zu gehen.

Im Grunde sah dieser Luke Evans nicht einmal besonders gut aus, zumindest nicht im klassischen Sinne. Aber irgendetwas an ihm sprach sie an. Außerdem kam es ihr so vor, als könnte er ihr mit einem Blick direkt in die Seele sehen. Für einen Mann hat er wirklich umwerfend schöne Augen, dachte sie. Und dass sie ihn in Gedanken nur als „einigermaßen attraktiv“ bezeichnet hatte, war schamlos untertrieben. Er war groß, schlank und gleichzeitig sehr muskulös. Seine Stimme klang angenehm rau. Insgesamt wirkte er umwerfend männlich … dabei fiel gar nicht mehr auf, dass er nicht dem klassischen männlichen Schönheitsideal entsprach.

„Die Agentur schickt mich“, wiederholte sie.

Er lachte kurz auf. „Das haben Sie eben schon mal gesagt.“

Emily schloss verlegen die Augen. Oje, ich bin schon völlig verwirrt, dachte sie. Hoffentlich merkt er nicht, warum. „Stimmt.“

„Und können Sie gleich heute mit der Arbeit anfangen?“

Als sie die Augen wieder öffnete, stellte sie fest, dass er sie eindringlich musterte. Immerhin wollte er sie nicht sofort wieder wegschicken. „Ja, natürlich.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich kann sofort loslegen.“

„Mom, darf ich endlich rauskommen? Es ist so heiß im Auto!“

Sam! Emily merkte, wie ihr Puls schneller schlug. Überrascht drehte sich Luke Evans zu ihrem Wagen um.

Verdammt, dachte sie. Sie war noch nicht einmal dazu gekommen, mit ihrem Arbeitgeber über die Rahmenbedingungen zu sprechen – geschweige denn über ihren Sohn.

„Das ist mein Sohn Sam“, erklärte sie verlegen.

„Dann haben Sie also Kinder.“

„Nein, ich habe nur ein Kind: Sam. Er ist fünf Jahre alt und wirklich sehr lieb. Wie ein kleiner Engel.“

Na ja, damit habe ich jetzt etwas übertrieben, dachte sie. Wie ein Engel benahm Sam sich nämlich nicht immer. Er war eben ein ganz normaler Fünfjähriger, der hin und wieder mal einen Wutanfall bekam oder seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen.

Emily beobachtete aufmerksam Luke Evans Reaktion. Sie musste ihn unbedingt davon überzeugen, dass sie und Sam hier bleiben durften. Erstens hatte sie keine echte Alternative, und zweitens wollte sie auch gar nicht mehr weg. Irgendwie gefielt es ihr hier, sie konnte gar nicht sagen, warum.

Natürlich würden sie und Sam immer bei ihren Eltern unterschlüpfen können … aber dazu war Emily zu stolz. Nein, sie wollte es allein schaffen, wollte sich beweisen, dass sie Sam eine gute Mutter sein konnte. Ohne fremde Hilfe.

„Mrs Northcott, ich lebe hier auf einer Ranch, das ist kein Kindergarten.“ Eben hatte sein Lächeln sie noch verzaubert, jetzt wirkte Luke Evans Gesicht wie erstarrt.

„Ms Northcott, bitte. Ich bin nicht mehr verheiratet“, gab sie zurück. „Außerdem ist Sam schon fünf Jahre alt und muss nicht mehr auf Schritt und Tritt betreut werden.“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Und soweit ich weiß, haben Frauen es schon immer hinbekommen, den Haushalt zu erledigen und gleichzeitig Kinder großzuziehen.“

Ihr war durchaus bewusst, wie scharf ihr Tonfall gerade klang, aber dieser Mann sollte ruhig merken, dass sie sich über seine Worte ärgerte. Wenn Sam für ihn ein Problem darstellen sollte, dann würde sie eben auf diesem Job verzichten. Entweder sie zog hier mit ihrem Sohn ein oder gar nicht.

„Das ist mir schon klar. Ich möchte Sie trotzdem darauf hinweisen, dass ich in meiner Annonce ganz explizit nach einer Haushälterin gesucht habe – ohne Anhang.“

„Ihre Schwester hat eine Anzeige bei der Agentur Maid on Demand aufgegeben.“ Emily betonte das Wort „Schwester“, um den Unterschied ein für alle Mal klarzustellen. „Daraufhin wurde ich ausgewählt. Wenn ich Ihrem Anforderungsprofil nicht entspreche, sagen Sie das am besten der Agentur. Die wissen nämlich, dass ich einen Sohn habe. Vielleicht sollten Sie die Suchanzeige dann noch einmal überarbeiten.“ Sie hob das Kinn. „Möglicherweise ist es auch besser, wenn Sie gar nicht erst eine Agentur dazwischenschalten und gleich selber suchen.“

Ich bin ganz schön bissig, dachte sie. Wahrscheinlich verbaue ich mir damit alle Chancen auf den Job. Aber ich sehe nicht ein, warum ich mich von diesem Mann abkanzeln lassen soll. Wenn er mich nicht einstellen will, soll er das doch einfach sagen.

„Das habe ich ja schon versucht! Ich habe schon in der Lokalzeitung inseriert, aber … Ach was, ich muss mich vor Ihnen doch nicht rechtfertigen.“ Er seufzte und schob die schmutzigen Hände in die Jeanstaschen.

„Tja, wenn Sie keine Kinder mögen …“, gab sie scharf zurück. Dann würde sie sofort wieder abreisen! Für sie kam es absolut nicht infrage, in einem Haus zu wohnen, in dem Sam nicht willkommen war. So wichtig konnte ein Job gar nicht sein.

„Das habe ich nie behauptet.“

Jetzt klang er schon nicht mehr so verärgert, eher verzweifelt. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren? „Und was spricht dann dagegen, dass mein Sohn mit mir hier einzieht?“

„Mom!“, rief der Junge ihr wieder vom Auto aus zu. Es klang ungeduldig.

„Einen Moment, bitte“, sagte Emily und ging zum Wagen.

Im Auto herrschte eine brütende Hitze. „Komm, du kannst jetzt aussteigen“, wies sie Sam sanft an und hielt ihm die Tür auf. „Es tut mir leid, dass du so lange warten musstest.“

„Bleiben wir denn hier?“

„Das weiß ich noch nicht.“

Er stieg aus dem Wagen und nahm ihre Hand – das hatte er schon lange nicht mehr getan. Nicht, seit er in die Vorschule gekommen war und darauf bestand, dass er jetzt ein „großer Junge“ war. Vielleicht musste Luke Evans ihn ja auch erst mal ein bisschen kennenlernen, dann legte er seine Vorbehalte wahrscheinlich schnell ab. Emily liebte ihren Sohn über alles und wünschte sich nur das Beste für ihn. Und das Jobangebot der Agentur hatte sich perfekt angehört: Sie beide würden einen ganzen Sommer auf dem Land verbringen, an einem völlig fremden Ort, der keine bösen Erinnerungen barg.

„Mr Evans, das hier ist mein Sohn Sam.“

Seine Gesichtszüge blieben unbewegt. „Hallo Sam.“

„Guten Tag, Sir“, erwiderte der Junge und hob sein Kinn ein Stück. Ein Zeichen dafür, dass auch er sich nicht unterkriegen ließ, obwohl er absolut höflich blieb.

Emily war unendlich stolz auf ihren Sohn. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich habe der Agentur genau erklärt, dass ich nur im Doppelpack zu haben bin“, wiederholte sie. „Aber wenn Sie damit nicht einverstanden sind, sagen Sie das bitte gleich und handeln etwas Neues mit ihnen aus. Abgesehen davon erfülle ich alle Ihre Kriterien. Ich kann gut kochen, weiß, wie man ein Haus in Ordnung hält und den Garten pflegt. Außerdem habe ich keine Angst davor, mir die Hände schmutzig zu machen.“

Luke Evans schüttelte den Kopf, dabei fielen ihr erneut seine strahlendblauen Augen auf, und Emily erschauerte. Sein Blick wirkte geradeheraus und sehr ehrlich. Das gefiel ihr. Plötzlich hatte sie den Impuls, sich das Haar zu richten und ihr T-Shirt zurechtzustreichen. Das wiederum gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Es tut mir leid“, sagte er schließlich.

Also hatte sich die Sache damit erledigt. Emily wandte sich schlagartig zum Gehen. Auf gar keinen Fall sollte er mitbekommen, wie enttäuscht sie war.

„Mir tut es leid, dass ich Sie so lange aufgehalten habe“, erwiderte sie höflich. Dann nahm sie Sams Hand und ging mit ihm in Richtung Wagen.

„Moment mal, wo wollen Sie denn hin?“ Luke Evans klang verblüfft.

Abrupt blieb Emily stehen und drehte sich zu ihm um. Inzwischen hatte er seine Baseballkappe abgenommen und fuhr sich durch das raspelkurze Haar. Es hatte den gleichen sandfarbenen Ton wie sein T-Shirt.

„So hatte ich das nicht gemeint, ich wollte Sie nicht wieder wegschicken. Ich wollte mich nur entschuldigen“, erklärte er.

Ach, wirklich?, dachte Emily, beschloss aber, nichts darauf zu erwidern. Im Moment sah es so aus, als stünden die Dinge doch nicht so schlecht, da wollte sie lieber kein Risiko eingehen. Also nickte sie bloß.

„Sie hatten angegeben, dass Sie auch Unterkunft und Verpflegung stellen würden“, sagte sie schließlich. Das jetzt anzusprechen war vielleicht etwas gewagt. Aber dieser Punkt musste dringend geklärt werden, bevor sie sich auf weitere Verhandlungen einließ. Sanft drückte sie Sams Hand. Sein Leben hatte sich drastisch geändert und würde nie mehr so sein wie früher. Sie wollte alles dafür tun, dass ihr Sohn endlich wieder einen unbeschwerten Sommer verbringen konnte. Diese Ranch schien der ideale Ort dafür zu sein. Die Luft duftete süß nach Flieder, und auf den riesigen Grasflächen würde Sam sich wunderbar austoben können.

„Das stimmt, die Stelle war mit Kost und Logis ausgeschrieben“, antwortete Luke Evans. „Allerdings galt das nur für eine Person. Mit zwei neuen Mitbewohnern hatte ich nicht gerechnet.“

„Ich werde dafür sorgen, dass Sam Ihnen nicht in die Quere kommt“, entgegnete sie. Er war kurz davor, sich mit der Sache einverstanden zu erklären, das spürte sie deutlich. „Und was die Verpflegung mit meinem Sohn angeht … wenn Sie möchten, können wir mein Gehalt entsprechend anpassen.“ Er sollte es auf gar keinen Fall merken, aber Emily war willens, ihm ein großes Stück entgegenzukommen … wenn sie nur hier bleiben durften. War dieser Luke Evans ebenfalls kompromissbereit?

„Na ja, der Junge wird mir schon nicht die Haare vom Kopf fressen. Und wenn Sie mir versprechen, dass er mich nicht bei der Arbeit stört … Ich habe hier nämlich verdammt viel zu tun, Ms Northcott.“

Emilys Herzschlag beschleunigte sich. Also war er einverstanden, und sie konnte hier einziehen, mit Sam! Endlich würde sie wieder ihr eigenes Geld verdienen, zum ersten Mal seit fünf Jahren. Ein erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit – und den hatte sie ganz ohne fremde Hilfe geschafft. Danach konnte es weitergehen. Und immer weiter. „Heißt das, dass wir hierbleiben dürfen?“, vergewisserte sie sich.

„Na ja, Sie sind doch wohl qualifiziert, als Haushälterin zu arbeiten, oder? Sonst hätte die Agentur Sie kaum vorbeigeschickt.“ Seine Stimme klang schon wieder abweisend, also nickte sie bloß.

„Dann gehe ich davon aus, dass Sie wirklich kochen können und wissen, wie man so ein Haus in Ordnung hält.“

Das wusste sie allerdings, und das stimmte sie zuversichtlich. Aber warum war dieser Mann bloß so unnahbar? Vielleicht würde es ihr ja gelingen, ihn hin und wieder zum Lächeln zu bringen. „Auf dem Gebiet bin ich sozusagen Expertin“, versicherte sie ihm lächelnd. „Ich habe mich seit Sams Geburt ausschließlich um unseren Haushalt gekümmert, gekocht, Wäsche gewaschen und geputzt. Das kann ich alles im Schlaf.“

„Schön, aber Ihnen ist hoffentlich klar, dass das hier kein Ferienlager ist, sondern eine Ranch, auf der hart gearbeitet wird, zum Teil auch mit schweren Gerätschaften. Also achten Sie bitte darauf, dass der Junge nicht unter die Räder kommt oder mir irgendeinen Ärger macht.“

„Der Junge heißt übrigens Sam, und ja, ich verspreche, gut auf ihn aufzupassen.“

„Gut, dann sollten Sie jetzt Ihre Sachen ins Haus bringen. Ich werde Ihnen alles zeigen, muss dann aber wieder in die Werkstatt, um die Heupresse zu reparieren. Wie gesagt, ich habe nicht mit Ihnen gerechnet, es ist also kein Zimmer für Sie vorbereitet. Darum müssten Sie sich leider selbst kümmern.

Emily zögerte. „Sind Sie sich auch wirklich sicher, dass wir hierbleiben sollen, Mr Evans? Wir haben Sie ja offenbar völlig überrumpelt. Wenn Sie wollen, können wir uns auch eine andere Unterkunft in der Gegend suchen, und Sie überlegen sich das alles noch mal in Ruhe.“

Er sah ihr direkt in die Augen. „Sie brauchen den Job dringend, stimmt’s?“

Emily blickte zu Boden. Dem Mann entging wirklich nichts. Ja, sie hatte diesen Job bitter nötig: Bis der Verkauf ihres Hauses vollständig abgewickelt war, waren sie und Sam auf jeden Cent angewiesen. Und selbst danach würde sie mit ihrem Geld sehr gut wirtschaften müssen. Rob hatte ihr seit seinem Auszug nicht einen Cent Unterhalt gezahlt, also waren ihre wenigen Ersparnisse schnell dahingeschmolzen. Den modernen, geräumigen Wagen hatte sie vor einem halben Jahr gegen ein schlichtes, älteres Modell eintauschen müssen, und sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt ein neues Kleidungsstück gekauft hatte.

Luke Evans deutete ihr Schweigen als Zustimmung. „Okay, Sie brauchen einen Job, und ich brauche jemanden, der sich um mein Haus kümmert. Das passt doch. Und ja, ich hatte auch Unterkunft und Verpflegung angeboten, also dürfen Sie hier beide wohnen und essen. Der Junge dürfte da nicht groß ins Gewicht fallen.“

Er bemühte sich darum, möglichst entspannt zu bleiben, während er seiner neuen Haushälterin und ihrem Sohn die Fliegengittertür aufhielt. Das war allerdings gar nicht so einfach: Diese Emily Northcott duftete einfach zu gut! Das dezente, sehr angenehme Parfüm passte perfekt zu ihr. Ihre großen braunen Augen waren von dichten, langen Wimpern gesäumt. Das lockige Haar trug sie kurz – Topmodels wurden lange und aufwendig gestylt, um genau so ungekünstelt hübsch auszusehen wie sie. Bei ihr war das alles von Natur aus so.

Seiner Vorstellung von einer Haushälterin entsprach sie allerdings ganz und gar nicht. Als er vor einiger Zeit im Lokalblatt inseriert hatte, hatte er eine deutlich ältere Frau vor Augen gehabt. Einen eher mütterlichen Typ mit grauen Haaren, jedenfalls nicht eine so schöne, junge Frau wie Emily. Vielleicht eine Frau aus der Nachbarschaft, die einfach morgens vorbeikommen würde, um abends wieder nach Hause zu fahren. Nachdem über Wochen keine einzige Reaktion auf sein Inserat gekommen war, hatte er seine Schwester Cait mit der Suche beauftragt. Im Verlauf ihrer Schwangerschaft war sie immer stärker um ihn herumgeschwirrt, hatte sich immer mehr in sein Leben eingemischt. Es war zum Verrücktwerden gewesen. Um sich wieder ein bisschen Freiraum zu verschaffen und ihr etwas zu tun zu geben, hatte er sie darum gebeten, ihm eine Haushaltshilfe zu suchen. Die er auch dringend gebrauchen konnte.

Anfangs war er von Caits Idee mit der Agentur absolut überzeugt gewesen. Und jetzt? Jetzt saß er in der Klemme. Er hatte nicht nur eine wunderschöne Frau am Hals, sondern auch noch ein Kind. Und zwar rund um die Uhr.

Warum habe ich sie nicht gleich wieder weggeschickt?, fragte er sich. Aber wie hätte er das begründen sollen? Damit, dass sie zu jung und zu hübsch war? Er schätzte sie auf höchstens dreißig. Das Kind konnte er auch schlecht als Hinderungsgrund aufführen, das wäre ganz schön kaltherzig gewesen. Bisher hatte der Junge kaum einen Laut von sich gegeben. Außerdem sollten die beiden ja nur für ein paar Monate hierbleiben. Im Herbst war die schwerste Arbeitsphase vorbei, dann würde er auch gut wieder alleine zurechtkommen.

„Schauen Sie sich gern schon mal um“, forderte er Emily und ihren Sohn auf, als die Tür hinter ihnen zuschlug. „Ich wasche mir inzwischen den Dreck von den Händen. Danach kann ich Ihnen das Haus zeigen.“

Er ließ die beiden im Eingangsbereich stehen und ging weiter in die Küche, um sich am Wasserhahn die Hände mit Waschpaste einzureiben und anschließend die Finger mit der Nagelbürste zu bearbeiten.

So unwohl ihm auch dabei war, diese junge Frau mit ihrem Kind bei sich aufzunehmen – er hatte keine andere Wahl. Im Moment schuftete er von morgens bis abends auf der Ranch, während der Haushalt größtenteils liegen blieb. Und Emily war offenbar die Einzige, die für den Job zur Verfügung stand. Sonst hätte sich die Agentur schon viel früher bei ihm gemeldet.

Als Luke aus der Küche kam, schaute sich Emily gerade im Wohnzimmer um. Sie strich über einen alten Plattenspieler, der schon lange seinen Geist aufgegeben hatte. Luke hatte den Holzdeckel zugeklappt und ein paar Familienbilder darauf gestellt. Er erschauderte, als er beobachtete, wie ihre schlanken Finger über das Familienerbstück strichen. Dann fing er sich wieder. Für Sentimentalitäten war derzeit kein Platz. Mit einem Räuspern machte er sich bemerkbar. „Sind Sie so weit?“

„Das ist ja ein wunderschönes altes Stück.“

Er nickte. „Ja, der Plattenspieler hat meinen Großeltern gehört. Ich habe sogar noch ein paar alte Platten, aber das Gerät ist leider kaputt.“

„Und die Fotos? Ist das Ihre Familie?“

Luke beugte sich vor, um die Bilder zu betrachten. Auf Dreien davon waren er und seine beiden Schwestern bei ihren Schulabschlussfeiern zu sehen. Dann gab es noch zwei Fotos von Caits und Liz’ Hochzeiten, außerdem Bilder von Liz’ Kindern. In der Mitte stand ein Foto, auf dem seine Eltern zu sehen waren: Sein Vater saß auf einem Stuhl, seine Mutter stand dahinter und legte ihm die Hand auf die Schulter. Es fiel ihm schwer, das Bild zu betrachten. Es war in dem Jahr aufgenommen worden, in dem sich alles verändert hatte. Zwei schwere Schicksalsschläge hatten sie verkraften müssen: erst seine Mom, dann sein Dad.

„Ja, das ist meine Familie“, erwiderte er. „Meine Eltern hatten hier immer Fotos stehen, und meine Schwester Cait hat sie nach und nach ergänzt.“

Luke merkte, wie die Anspannung in ihm stieg. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die kleine Familiengalerie längst in einer Schublade verstaut. Denn sie weckte immer wieder quälende Erinnerungen in ihm. Aber wenn er die Bilder weggeräumt hätte, wäre Cait verletzt, und Liz auch.

„Ihr Dad ist ein attraktiver Mann, er sieht Ihnen sehr ähnlich. Besonders um die Mundpartie.“

Luke schluckte. Sollte er sie darüber aufklären, dass sein Vater inzwischen längst nicht mehr so gut aussah wie auf dem Foto? Die Krankheit hatte ihn nach und nach ausgelaugt … und es war schmerzhaft, diesen Prozess mitzuerleben. So etwas wollte Luke nie am eigenen Leib erfahren müssen. Allerdings blieb ihm dieses schreckliche Schicksal womöglich nicht erspart. Dieser Gedanke verfolgte ihn Tag für Tag.

„Wenn Sie einverstanden sind, dann würde ich Ihnen jetzt gerne das Haus zeigen. Ich habe heute noch viel zu erledigen, Ms Northcott.“

Lächelnd drehte sie sich zu ihm um. Komisch, eigentlich hatte er sich ihr gegenüber bisher nicht besonders freundlich verhalten, warum strahlte sie ihn dann so an? So ungern er es sich eingestand – bei jedem Blick in ihre wunderschönen Augen schien es ihm, als würde ein Sonnenstrahl sein Herz erwärmen.

„Sehr gern“, gab sie zurück.

Autor

Donna Alward

Als zweifache Mutter ist Donna Alward davon überzeugt, den besten Job der Welt zu haben: Eine Kombination einer „Stay-at-home-mom“ (einer Vollzeit – Mutter) und einem Romanautor. Als begeisterte Leserin seit ihrer Kindheit, hat Donna Alward schon immer ihre eigenen Geschichten im Kopf gehabt. Sie machte ihren Abschluss in Englischer Literatur...

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