Küss mich in Manhattan

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Die Skyline von New York wird kleiner, die Wolkenkratzer verschwinden im Nebel – und Mirandas Sehnsucht wächst mit jedem Meter, den die Fähre zurücklegt. Was an ihrem Bodyguard liegt. Eigentlich soll Tyler sie beschützen. Stattdessen bringt er ihr Herz in Gefahr …


  • Erscheinungstag 09.01.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536271
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tyler war nicht der einzige Mann, der sie beobachtete. Unter normalen Umständen hätte er ihren Anblick durchaus genossen. Doch er war nur hier, weil ihm leider keine andere Wahl blieb.

Diese Tatsache dämpfte sein Vergnügen gewaltig.

Bunte Lichtpunkte huschten über die Tanzfläche, als sie sich zur Seite bewegte und ihre Hüften sinnlich kreisen ließ. Ihr Körper war die reinste Versuchung: groß, schlank, Rundungen an den richtigen Stellen und makellose, sonnengebräunte Haut. Als sie die nackten Arme über den Kopf hob, rutschte der Saum ihres silbernen Minikleids nach oben und gab einige zusätzliche Zentimeter der schier endlos langen Beine frei, die in weißen, kniehohen Stiefeln steckten. Mit der blonden Pagenkopfperücke, die sie trug, um ihr auffälliges Haar zu verstecken, den dunkel geschminkten Augen und den rubinrot betonten Lippen könnte sie als Tänzerin auf einer Bühne sicher ein Vermögen verdienen.

Dem Spaß nach zu urteilen, den es ihr offenbar machte, potenzielle Tanzpartner abzuwehren, würde sie das vermutlich sogar genießen. Obwohl sie sich im Zentrum von so viel männlicher Aufmerksamkeit anscheinend sehr wohl fühlte, stach sie für seinen Geschmack unter den anderen Tänzern zu deutlich hervor. Ihr Glück, dass sie bis jetzt noch niemand erkannt hatte. Aber auf Glück konnte man nicht ewig bauen.

Ohne Vorwarnung sah sie ihn direkt an. Hatte sie etwa die ganze Zeit gewusst, dass er dort stand? Das konnte nicht sein. Sie blickte ihm weiter tief in die Augen. Fast hatte er das Gefühl, dass sie dadurch einen Funken entzündete, denn plötzlich flammte Hitze in ihm auf. Er weigerte sich, das als natürliche Reaktion eines Mannes auf eine attraktive Frau zu akzeptieren. Gespannt wartete er, was sie als Nächstes tun würde.

Sie leckte sich über die glänzenden Lippen und warf ihm ein träges, sinnliches Lächeln zu. Diese stille Anmache hätte ihn vielleicht auf die Tanzfläche gelockt, wenn er schon jemals in seinem Leben getanzt hätte. Aber selbst dann gehörte er nicht zu den Männern, die sofort angelaufen kamen, sobald sich eine Frau das wünschte. Wenn sie mit ihm reden wollte, konnte sie zu ihm kommen.

Er war sich sicher, dass sie unglaublich erfreut sein würde, wenn sie herausfand, mit wem sie da flirtete.

Als ihre Freundin ihr etwas ins Ohr brüllte, lachte sie und drehte sich weg. Einen Augenblick später warf sie ihm über ihre Schulter erneut ein Lächeln zu und wiegte sich zur Musik, um seinen Blick auf ihren sexy Po zu lenken.

Tyler zwang sich wegzusehen. Man musste kein Genie sein, um zu merken, dass sie eine Menge Schwierigkeiten machen würde. Aber das hatte er schließlich schon gewusst, bevor er sie überhaupt das erste Mal gesehen hatte.

Er nahm einen großen Schluck aus seiner Bierflasche und verzog angewidert das Gesicht. „Light“ war einfach nicht sein Stil, und im Zusammenhang mit Bier sowieso nicht.

Obwohl sein Körper quasi drängte, sie erneut zu beobachten, zwang Tyler sich, woanders hinzusehen. Selbst im Dienst wurde er nicht dafür bezahlt, jede ihrer Bewegungen zu verfolgen. Er musste sich auf die Umgebung konzentrieren: den Raum nach potenziellen Gefahren absuchen und die Menge beobachten. Sich von ihr angezogen zu fühlen, war ein Problem, das er ganz bestimmt nicht brauchte. Besonders nachdem es seit einiger Zeit in seinem Leben vor Problemen nur so wimmelte.

Früher hatte er mehr Kontrolle über sein Leben gehabt. Was war nur schiefgelaufen?

Da führte man einmal zu oft eine freundliche Unterhaltung mit einer zwielichtigen Gestalt, und schon hieß es „Innendienst“ und „vorübergehende Beurlaubung“. Gut, die Tatsache, dass er wenig Einsicht bewiesen hatte, mochte auch etwas damit zu tun haben. Trotzdem verstand er nicht, warum zu seiner Strafe auch noch Babysitting gehörte.

Obwohl er ihr durchaus hätte geben können, wonach sie offenbar suchte, dachte er nicht im Mindesten daran. Er hatte Besseres und vor allem Wichtigeres zu tun, als sich mit einer verwöhnten reichen Frau zu amüsieren, die ihrem langweiligen Leben etwas mehr Spannung verleihen wollte.

Gerade als die Musik unter den begeisterten Rufen der Menge in einen schnelleren Rhythmus wechselte, fiel sein Blick auf ein bekanntes Gesicht. Sofort war Tyler alarmiert und suchte schnell den Rest des Raumes ab. Dabei entdeckte er zwei mögliche Kandidaten und ein weiteres bekanntes Gesicht.

Er musste sie hier rausbringen.

Rasch stellte er seine Flasche auf einen Tisch und blickte hinunter auf die Tanzfläche. Sie war nicht mehr da. Er umfasste die metallene Brüstung vor sich und suchte systematisch den ganzen Raum ab, bevor er sie mit ihrer Freundin auf dem Weg zur Bar entdeckte. Nachdem er die Entfernung zum nächsten Ausgang abgeschätzt hatte, bewegte er sich schnurstracks in ihre Richtung.

Tyler war nur noch zwei Schritte von ihr entfernt, als die Musik plötzlich abgeschaltet wurde und eine Stimme laut rief: „NYPD – Polizei! Alle bleiben, wo sie sind!“

Gespannt beobachtete sie das Geschehen auf der anderen Seite des Raumes und zuckte überrascht zusammen, als er nach ihrer Hand griff. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an: „Was …?“

„Hier entlang.“

Sie wehrte sich gegen seinen festen Griff. „Lassen Sie mich los!“

„Wollen Sie verhaftet werden?“

„Nein, aber …“

„Dann kommen Sie mit.“

Er stieß eine Tür auf, die in einen spärlich beleuchteten Flur führte, und sah sich um. In Sekundenschnelle registrierte er Toiletten, einen Münzfernsprecher und links ein paar Stufen, über die es vermutlich in den Keller ging. Hinter ihnen wurden die Geräusche immer lauter und ließen ahnen, dass sie bald Gesellschaft bekommen würden. Der Keller schien die beste Option, falls er über eine Verladerampe verfügte, die auf die Straße führte. Bevor er das jedoch überprüfen konnte, hörte er ein lautes Krachen. Jetzt blieb keine Zeit mehr – er brauchte eine Ablenkung. Er drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand und presste seine Lippen auf ihre.

Ein ganz großer Fehler.

Die Zündschnur, die sie auf der Tanzfläche in Brand gesteckt hatte, führte jetzt quasi zu einer Explosion. Er stand regelrecht in Flammen, konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen, als er seine Zunge zwischen ihre einladend geöffneten Lippen gleiten ließ. Verlangen pulsierte durch seinen Körper, während auch sie genießerisch stöhnte. Er umschlang ihre Taille, tastete nach ihrer Hüfte. Sie winkelte ein Bein an und schmiegte es an ihn, sodass er ihren seidigen Schenkel umfassen und noch höher heben konnte.

Es war ihnen egal, dass sie jederzeit in einer höchst kompromittierenden Situation entdeckt werden konnten. Seine Gedanken kreisten nur um die Position, in der sein Körper jetzt zu gerne gewesen wäre.

„Siehst du das?“, fragte eine Stimme.

„Hey! Schluss da drüben!“, verlangte eine weitere.

Tyler löste seinen Mund von ihren Lippen und atmete tief ein, bevor er in den Lichtstrahl blinzelte. Er ließ ihren Schenkel los und trat einen Schritt vor, um den Blick auf sie zu verdecken.

„Bleib, wo du bist, mein Freund“, warnte ihn die erste Stimme.

Taylor erkannte den Mann und hob die Arme seitlich an, mit den Handflächen nach vorne. Würde der schwer bewaffnete Polizist ihn verstehen? Er verzichtete darauf, dem jüngeren Mann zu raten, nichts Dummes zu tun – das hatte noch nie geklappt. Stattdessen versuchte er es mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln. Als sich die Taschenlampe ein wenig auf und ab bewegte, nahm er an, dass er verstanden worden war, und senke seine Hände wieder. Als der Polizist aber näher kam, um zu sehen, wen Tyler da versteckte, runzelte er die Stirn: „Gibt es ein Problem, Officer?“

„Nebenan findet eine Razzia statt.“

„Ist mir nicht aufgefallen …“

„Ich ahne schon, warum.“ Der Polizist räusperte sich, ehe er fragte: „Vielleicht sollten wir auch hier mal auf Drogen überprüfen?“

Sehr witzig. „Wir sind zwar berauscht, aber nicht von Drogen“, antwortete Tyler grinsend.

Eine feingliedrige Hand glitt plötzlich unter seinem Arm hindurch und legte sich auf seine Brust. „Können wir dafür verhaftet werden, dass wir die Finger nicht voneinander lassen können?“, fragte die Frau hinter ihm mit passabel verstelltem sinnlichem Akzent.

Tyler vermutete, dass sie sich nicht zum ersten Mal aus einer kniffligen Situation herausschauspielerte. „Falls doch, dann gehe ich gerne ins Gefängnis.“ Er blickte über seine Schulter. „Was ist mit dir?“

„Gibt es in New York denn Gemeinschaftszellen?“ Sie lachte kehlig, und der Klang spielte mit den straff gespannten Saiten seiner Libido. „Wir könnten viel Spaß haben, wenn wir uns dort eine Zelle teilen.“

Als sie vorsichtig sein Ohrläppchen zwischen die Zähne nahm und es mit ihrer feuchten Zunge berührte, spürte er die Auswirkungen bis in seine Zehenspitzen.

„Sich irgendwo ein Zimmer zu suchen, klingt nach einer guten Idee“, sagte der Polizist vor ihnen, ehe er seine Taschenlampe senkte. „Verschwindet, bevor ich meine Meinung ändere.“

Tyler griff nach der Hand auf seiner Brust und zog seine Gefährtin mit sich durch die aufgebrochene Tür. Sie betraten eine Gasse, die vom Blaulicht der wartenden Polizeiwagen hell erleuchtet war. Einer der Polizisten nahm seine Hand vom Funkgerät auf seiner Schulter und winkte sie durch. Tyler dachte, dass er sich an ihrer Stelle gewundert hätte, warum sie so leicht davonkamen, aber vermutlich war sie zu beschäftigt, in ihren hochhackigen Stiefeln mit seinem forschen Schritt mitzuhalten.

„Meine Freundin …“

„Wenn sie nicht gerade Drogen dabei hat, wird ihr nichts passieren.“

Als sie stolperte, zog er sie einfach an der Hand und lief weiter. Er war wütend – auf sich selbst genauso wie auf sie. Immer noch konnte er sie auf seinen Lippen schmecken, eine Kombination aus Erdbeeren, Feuer und Freiheit. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine Frau so sehr gewollt hatte, dass er bereit gewesen war, alles für einen Moment der gegenseitigen Befriedigung zu riskieren. An was er sich jedoch erinnern konnte, waren die Zeiten, als sein Timing – ganz zu schweigen von seiner Urteilsfähigkeit – besser gewesen war.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie atemlos, als sie um eine Ecke auf eine breite Straße bogen.

Mit jeder anderen Frau, die so auf seinen Kuss reagiert hätte, wäre er sofort in seiner Wohnung verschwunden. Aber er konnte sie nicht einfach benutzen, um sich für ein paar Stunden abzulenken und besser zu fühlen – selbst wenn sie dabei nicht zu kurz kommen würde. Zuerst musste er seinen Auftrag beenden und dorthin zurückkehren, wohin er gehörte. Dann musste er sich darum kümmern, dass er vollständig rehabilitiert wurde. Solange beides nicht erledigt war, hatte er nicht das Recht, sein Leben so zu leben, als wäre nichts passiert.

„Ich bringe Sie nirgendwo hin.“ Als er etwas Gelbes erspähte, hob er einen Arm, um das Taxi anzuhalten. „Aber er.“ Als der Wagen am Fahrbahnrand zum Stehen kam, fischte Tyler mehrere Geldscheine aus seiner Hosentasche. Er reichte sie dem Fahrer durch das geöffnete Fenster: „Das müsste reichen.“

Er hielt ihr die hintere Tür auf und wartete, bis sie eingestiegen war. Als sie sich graziös setzte, glitt sein Blick über ihre langen Beine, bevor er ihr in die dunkel umrandeten Augen sah.

„Bekomme ich keinen Namen?“, fragte sie.

„Sie haben doch schon einen.“

Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Ich meinte Ihren Namen.“

Tyler ignorierte ihre weiche Stimme und schüttelte den Kopf. Als Nächstes würde sie ihn noch nach seiner Telefonnummer fragen und wann sie ihn wiedersehen könnte. Für sie war das nur ein Spiel. Er hätte alles Mögliche sein können – Drogendealer, Entführer, Serienmörder. Sie hatte keine Ahnung, wie schlecht die Menschen sein konnten.

Er schon.

„Gern geschehen.“ Er schloss die Tür und drehte sich um, ohne ihr zu sagen, dass sie ihn sehr bald wiedersehen würde.

Warum sollte er die Überraschung verderben?

Da es für eine ganze Weile ihr letztes Abenteuer sein würde, hoffte er, dass sie es genossen hatte. Ab Montag würde er neue Spielregeln aufstellen.

Und falls sie versuchen sollte, sich ihm zu widersetzen, würde es ihr leidtun, dass sie sich je begegnet waren.

Zu Hause angekommen griff Miranda sofort zum Telefonhörer. Sie musste sich unbedingt vergewissern, dass Crystal den Club unbeschadet verlassen hatte. Und sie musste sich gleich mehrmals entschuldigen, dass sie einfach ohne ihre Freundin gegangen war.

Anschließend verbrachte Miranda den Rest des Wochenendes damit, ausgiebig über ihren Retter zu fantasieren.

Sie hatte seinen Blick gespürt, schon bevor sie ihn überhaupt gesehen hatte. Das war ungewöhnlich, wenn man bedachte, dass sie den Großteil ihres Lebens unter den aufmerksamen Augen anderer verbrachte. So war sie neugierig geworden und hatte sich nach ihm umgesehen. Als sie ihn schließlich entdeckte, stockte ihr der Atem.

Er war der interessanteste Mann, den sie je gesehen hatte.

Auf eine raue Art war er sehr attraktiv, aber das war es nicht, was ihn so anziehend machte. Er wirkte wie ein Raubtier, das darauf lauerte, sich auf seine Beute zu stürzen. Dass sie auf sein offensichtliches Interesse an ihr mit einem aufreizenden Lächeln reagiert hatte, war, wie Öl ins Feuer zu gießen. Sie hatte den Adrenalinrausch genossen.

Und erst der Kuss …

Schade nur, dass man sie gestört hatte.

Keine ihrer kleinen Rebellionen hatte auch nur einen ähnlichen Rausch in ihr ausgelöst wie die Vorstellung, was sie außer Küssen mit diesem Mann noch anstellen könnte. Aber wie sollte sie ihn in einer Stadt von der Größe New Yorks jemals finden, wenn sie nicht einmal seinen Namen kannte?

Ein vertrautes dreimaliges Klopfen an ihrer Zimmertür holte sie zurück in die Realität.

„Herein“, rief sie, während sie sich vor ihren Schminktisch setzte.

„Guten Morgen, Miranda.“

„Guten Morgen, Grace“, antwortete sie fröhlich, als die persönliche Assistentin ihres Vaters das Zimmer betrat. „Ist heute nicht ein wundervoller Tag? Der Park sieht so einladend aus. Aber vermutlich gibt es in meinem Zeitplan keine Lücke, die einen kleinen Bummel erlaubt?“

„Nein.“ Grace lächelte entschuldigend. „Doch Sie werden sich wenigstens ein bisschen im Freien aufhalten können.“

„Nun ja, besser als nichts.“

Während Miranda die kleinen, perlenförmigen Ohrringe befestigte, öffnete die dienstbeflissene Mittfünfzigerin ihren Ordner und ging zur Tagesordnung über.

„Um 9 Uhr haben Sie eine Anprobe bei Ms Wang. Um 10 Uhr werden Sie bei einem Gemeindeprojekt in der Bronx erwartet. Dort ist auch ein öffentliches Treffen mit Bürgern geplant. Um 11.30 Uhr …“

„Glauben Sie, die Welt würde aufhören, sich zu drehen, wenn wir einmal einen Tag freimachen würden?“, sinnierte Miranda, während sie eine makellose Perlenkette umlegte und ihr Haar mit einigen Handgriffen in Form brachte. „Wir könnten uns einen Picknickkorb packen, ein paar Klatschmagazine mitnehmen und den ganzen Vormittag im Park Leute beobachten.“

Grace betrachtete Mirandas begeistert strahlendes Gesicht im Spiegel und schloss ihren Ordner. „Wollen wir jetzt oder später die Stellenanzeige für meine Nachfolgerin aufgeben?“

„Nur ein einziges Mal“, bettelte Miranda und formte die Lippen zu einem Schmollmund.

„Ihr Vater möchte Sie sprechen, bevor Sie gehen.“

„Vermutlich um mich daran zu erinnern, die Babys zu küssen.“

„Ich glaube nicht, dass Babys schon wählen dürfen.“

„Nein. Aber mit etwas Glück haben sie Väter zum Flirten oder Mütter, denen ich versichere, wie gern ich selbst eines Tages Kinder hätte.“ Sie stand auf, nahm ihre Tasche und hakte sich bei Grace unter.

Das war die Art einfache Geste, über die sie bei Grace nicht nachdenken musste. Miranda hatte einmal gehört, dass die meisten Menschen etwa 50 Zentimeter Platz zwischen sich und anderen brauchten, aber in ihrem Leben war der Abstand meistens größer. Vermutlich war das eine Erklärung dafür, warum der enge Körperkontakt mit diesem Mann so schwer zu vergessen war.

Ganz abgesehen von den anderen Gründen.

„Es war sehr nachlässig von mir, bisher kein passendes Enkelkind produziert zu haben“, fuhr Miranda im selben fröhlichen Ton fort. „Pausbäckige Kleinkinder gehören zu den Lieblingen der Wähler.“

„Wenn Sie rechtzeitig mit der Planung beginnen, können Sie das terminlich mit der angeblichen Kandidatur zum Gouverneur abstimmen.“

„Ja, man muss sich immer noch ein Türchen offen halten.“ Miranda nickte zustimmend und lächelte, als sie den Flur betraten. „Guten Morgen, Roger. Ist das eine neue Krawatte?“

„Die hat mir meine Frau zum Geburtstag geschenkt“, bestätigte der Pressesprecher ihres Vaters lächelnd.

„Sie hat einen ausgezeichneten Geschmack.“

„Wo wir gerade von Ehepartnern sprechen, vielleicht wäre es eine gute Idee, sich vor der Planung des pausbäckigen Säuglings nach einem Ehemann umzusehen“, flüsterte Grace verschwörerisch.

Miranda beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte ebenfalls: „Ich habe gehört, dass man das eine nicht zwingend für das andere braucht.“

„Doch, wenn man die Tochter des Bürgermeisters ist.“

Ein weiteres bekanntes Gesicht erschien im Flur und wurde ebenfalls lächelnd begrüßt: „Guten Morgen, Lou. Wie war das Spiel am Wochenende?“

„Mein Sohn hatte zwei Strikes und einen Homerun“, antwortete der Sicherheitschef ihres Vaters und ließ einen unsichtbaren Schläger durch die Luft sausen.

„Richten Sie Tommy aus, das war super!“, bat Miranda und streckte die Faust in die Luft.

Als sie am Arbeitszimmer ihres Vaters angekommen war, klopfte Miranda kurz an die Tür. Sie wartete auf das flüchtige „Herein“ und betrat den Raum.

„Ah, da ist sie ja“, begrüßte sie ihr Vater, der an seinem großen Mahagonischreibtisch saß. „Miranda, das ist Detective Brannigan. Er ist während des restlichen Wahlkampfs für deine Sicherheit verantwortlich.“

Obwohl sie nicht gewusst hatte, dass Veränderungen geplant gewesen waren, lächelte sie auch weiterhin, während sie darauf wartete, dass der Mann aufstand und sich zu ihr umdrehte. Zuerst fiel ihr seine Größe auf – er maß mindestens einen Meter neunzig und war sehr athletisch gebaut.

Alle weiteren Gedanken zu diesem Thema wurden jedoch im Keim erstickt, als sie schockiert in die vertrauten kobaltblauen Augen blickte. Sie musste praktisch ihre gesamte Selbstbeherrschung aufbringen, damit ihr nicht die Kinnlade herunterfiel.

„Miss Kravitz“, begrüßte er sie in einem tiefen Bariton, während er ihre Hand schüttelte.

Das war nicht gerade das, was sie sich für ein Wiedersehen ausgemalt hatte, aber allein der Klang seiner Stimme reichte aus, um sie an jedes erträumte Wort zu erinnern. Sie schluckte schwer, während die Wärme aus seinem Händedruck in ihren Arm strömte. Hatte er gewusst, wer sie war, als er ihr zur Hilfe geeilt war? Hatte er sie nur deshalb beobachtet? Wie lange folgte er ihr schon?

Als sie ihre Hand zurückzog, blickte sie zu ihrem Vater hinüber. Solange er seinen Politikergesichtsausdruck zeigte, gab es keine Möglichkeit festzustellen, ob sie in Schwierigkeiten war. Allerdings wäre das eine neue Taktik, falls er tatsächlich sauer auf sie war. Normalerweise gehörte zur Bestrafung für angebliches Fehlverhalten auch eine Predigt zum Thema Verantwortungsbewusstsein. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, diese stoisch über sich ergehen zu lassen. 

„Er untersteht Lou genauso wie Ron vorher“, sagte er. „Sie haben dir neue Sicherheitskräfte zugeteilt.“

All ihre Leute waren ausgetauscht worden – seit wann, und noch wichtiger, warum?

„Detective Brannigan hatte vorgeschlagen, ein paar Veränderungen vorzunehmen“, erklärte ihr Vater. Jetzt wusste sie, wer der Schuldige war.

Während ihr Vater seine Aufmerksamkeit den Papieren auf seinem Schreibtisch zuwandte, blickt Miranda zu dem Mann neben ihr, um zu sehen, ob er ihren Träumen gerecht wurde. Kurze, dunkelblonde Haare, lange Wimpern um intensiv wirkende Augen. Ja, er war genauso attraktiv, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

In ihren heimlichen Fantasien war er alles Mögliche gewesen, vom Mafiaboss, der Polizisten bestach, bis hin zu einer Kombination aus geheimnisvollem Milliardär bei Tag und Freiheitskämpfer bei Nacht. Dass er ein Polizist war, ergab mehr Sinn, aber warum hatte er ihr das nicht gesagt? Warum hatte er sie geküsst, anstatt ihr seine Dienstmarke zu zeigen?

Er zwinkerte ihr belustigt zu. „Soweit ich weiß, haben Sie um 9 Uhr einen Termin?“

Miranda ignorierte ihn, ging um den Schreibtisch herum, und küsste ihren Vater auf die Wange. „Bis später, Daddy.“

„Bis später, meine Liebe. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

„Ich dir auch“, entgegnete sie, bevor sie mit hocherhobenem Kopf zur Tür ging. „Jetzt können wir gehen.“

Mit wenigen, langen Schritten hatte er sie überholt und hielt ihr die Tür auf, aber sie dankte ihm nicht für diese höfliche Geste. Sie war sauer über sein doppeltes Spiel im Club.

„Neuer Bodyguard?“, flüsterte Grace ihr im Vorbeigehen zu.

Miranda verzog in vermeintlicher Begeisterung das Gesicht. „Was habe ich doch für ein Glück.“

Sie waren die mit Teppich belegten Stufen bereits halb hinuntergegangen, als sie ihre Stimme senkte und ihn leise fragte: „Wussten Sie, wer ich war?“

„Ja.“

„Hat mein Vater Sie angewiesen, mir zu folgen?“

„Nein.“

Je länger sie schweigend nebeneinander hergingen, desto mehr stieg die Spannung zwischen ihnen. Miranda versuchte, seinen intensiven Blick zu ignorieren, der jeder ihrer Bewegungen folgte.

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