Küss mich wie damals

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Was ist süßer als die erste Liebe? Lächelnd denkt die schöne Frances, Countess of Corringham, zuweilen an ihren Jugendschwarm Marcus zurück. Nur noch nostalgische Erinnerungen - bis sich ihre Wege in London erneut kreuzen. Marcus, inzwischen Duke of Loscoe, gibt Frances zärtlich zu verstehen, dass er sie genauso bezaubernd findet wie damals, und sein erster Kuss lässt Frances glauben: Die Zeit der Liebe ist für sie beide nicht vorbei - sie fängt gerade erst an! Doch ihre Romanze wird von einer geheimen Mission überschattet, von deren glücklichem Ausgang viel für Marcus abhängt …


  • Erscheinungstag 22.04.2009
  • Bandnummer 13
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953745
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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1817

Frances hielt beim Malen inne und seufzte im Stillen über das unattraktive Modell. Lady Willoughby war ausgesprochen fett. Ihr wulstiges Kinn wurde noch durch das protzige Diamantkollier betont, und die kleinen Augen verschwanden fast in dem feisten Gesicht. Rotbraunes Haar quoll unter dem mit einer wallenden Feder verzierten Satinturban hervor. Das Porträt hatte nur entfernte Ähnlichkeit mit Ihrer Ladyschaft, da Frances wusste, dass sie ihr schmeicheln musste, um das verlangte Honorar in voller Höhe zu bekommen. Nase, Brauen und Augen hatte sie wahrheitsgemäß widergegeben, den Teint der Dame jedoch aufgehellt, ihr weniger Falten ins Gesicht gemalt und das Doppelkinn nur angedeutet.

Eines Tages würde sie ein der Realität entsprechendes Bild malen und sich nicht um die Konsequenzen scheren. Für heute hatte sie jedoch genug. Sie nahm den Lappen zur Hand, um die Farbe vom Pinsel zu entfernen, und hörte Ihre Ladyschaft sagen: „Angeblich ist der Duke of Loscoe in der Stadt und hat vor, für die Saison zu bleiben.“

Frances ließ sich nicht anmerken, dass sie plötzlich aufgeregt war, auch wenn es sie viel Selbstbeherrschung kostete. „Ach, tatsächlich?“, erwiderte sie leichthin und begann, die Quaste zu reinigen.

„Ja, mein Sohn Benedict hat das vom Marquis of Risley erfahren, dem Sohn Seiner Gnaden, der wie er in Eton zur Schule geht“, fuhr Lady Willoughby fort. „Beide sind sehr gut miteinander befreundet. Und Lady Lavinia wird bald ihr gesellschaftliches Debüt geben.“

„Lady Lavinia?“, wiederholte Frances und gab sich den Anschein, nicht zu wissen, dass es sich bei dieser Person um die Tochter des Duke of Loscoe handelte. Sie wollte nicht, dass der alte Skandal wieder zur Sprache kam, wenngleich die Sache ihr jetzt, da sie verwitwet und fast fünfunddreißig Jahre alt war, nichts mehr bedeutete. Sie betrachtete sich als gefeit gegen das Geschwätz der Klatschmäuler, konnte indes nicht leugnen, ein gewisses Bedauern und gleichzeitig eine leichte Verärgerung zu empfinden.

„Sie wissen doch, dass Lady Lavinia Stanmore die vollkommen verzogene siebzehnjährige Tochter Seiner Gnaden ist“, antwortete Lady Willoughby. „Seit dem Tod seiner Gattin darf sie alles, sogar im Herrensitz reiten und eigenhändig kutschieren, ohne einen Lakai bei sich zu haben. Außerdem hat ihr Vater nichts dagegen, dass sie ihre Nase in seine geschäftlichen Angelegenheiten steckt, mit seinen Freunden und Bekannten diniert und bei der Unterhaltung kein Blatt vor den Mund nimmt.“

„Ich bin überzeugt, Seine Gnaden weiß, was er tut.“ Frances stand auf und begann, ihre Malutensilien einzusammeln.

„Das bezweifele ich, meine Liebe. Lady Lavinia braucht wieder eine Mutter, die ihr Zügel anlegt, denn sonst wird sich nie ein Mann für sie interessieren. Und genau das ist der Grund, weshalb der Duke of Loscoe in die Stadt kommt. Er will sich wieder vermählen.“

Innerlich zuckte Frances zusammen. Lady Willoughby schien das nicht bemerkt zu haben, denn sie redete weiter und streute dadurch noch mehr Salz in die Wunde, die eigentlich längst hätte verheilt sein müssen. „Er ist jetzt vierzig Jahre alt, hat sich gut gehalten und sieht noch sehr attraktiv aus. Bestimmt ist er die beste Partie der Saison.“

„Ich bin froh, dass meine Stieftochter bereits glücklich verheiratet ist“, erwiderte Frances, während sie ihre Malsachen im Kasten unterbrachte. „So, ich muss fort, Madam. Ihr Porträt wird in wenigen Tagen fertig sein.“

„Gut! Dann bringen Sie es mir am Donnerstag, wenn mein Gatte zu Hause ist. Ich bin sicher, es wird ihm gefallen. Sie genießen schließlich einen ausgezeichneten Ruf, meine Liebe, denn sonst hätte ich Ihnen diesen Auftrag nicht erteilt.“

„Danke, Madam.“

„Kommen Sie dann zum Tee.“

„Das tue ich gern“, sagte Frances und verabschiedete sich. Ein Lakai geleitete sie ins Entrée, wo der Butler ihr in den Mantel half und ihr dann die Handschuhe reichte. Ein weiterer Diener trug ihr den Kasten und die Staffelei nach draußen zu ihrer Karosse, stellte beides auf dem Boden zwischen den Sitzen ab und klappte den Tritt herunter, damit sie einsteigen konnte. Sobald sich der Schlag hinter ihr geschlossen hatte, trieb Harker, ihr Kutscher, das Gespann an, lenkte es durch die Upper Brook Street und hielt, nachdem er in die Duke Street abgebogen war, eine Weile später vor Corringham House.

„Ich brauche Sie heute nicht mehr, Harker“, sagte Frances, während ein herbeigeeilter Bediensteter ihr beim Aussteigen behilflich war und anschließend Kasten und Staffelei aus der Chaise nahm, um beides ins Haus zu tragen.

„Sehr wohl, Mylady.“ Der Kutscher fuhr zum Stall weiter. Sie begab sich in die Eingangshalle, nahm den Hut ab und übergab ihn ihrer Zofe. Dann suchte sie ihr Atelier auf, wo der Butler die Staffelei an die Wand gelehnt und den Kasten auf den Tisch gestellt hatte.

„Vielen Dank, Creeley“, sagte Frances. „Richten Sie in der Küche aus, dass ich in einer halben Stunde essen möchte.“

„Wie Sie wünschen, Madam.“

Das Atelier war mit so vielen Erinnerungen verbunden, die sie manchmal unerträglich, hin und wieder jedoch recht angenehm fand. Die Malerei war ihr Lebensinhalt geworden. Auf die Einnahmen war sie nicht angewiesen, denn ihr verstorbener Mann hatte gut für sie gesorgt. Aus ihrem angeborenen Unabhängigkeitsbedürfnis hatte sie jedoch den Wunsch gehabt, sich irgendwie zu betätigen. Und außerdem hielt diese Beschäftigung sie vom Grübeln ab.

Sie schlenderte unentschlossen durch den Raum, in dem einige ihrer frühen Werke hingen. Die meisten Bilder, die sie in den letzten siebzehn Jahren geschaffen hatte, befanden sich bei den Auftraggebern und schmückten deren Säle, Boudoirs und Speisezimmer. Schließlich zog sie das Porträt des damaligen Marquis of Risley zwischen einer Reihe an der Wand lehnender Gemälde hervor und betrachtete es. Sie hatte es gemalt, als er dreiundzwanzig Jahre alt und sie sehr in ihn verliebt gewesen war. Er besaß dunkle, fast kupferfarbene Locken, von denen eine ihm in die hohe Stirn fiel, und war in einer gelösten Pose dargestellt, durch die seine männliche Ausstrahlung besonders gut zur Wirkung kam. Das Porträt war ihm sehr ähnlich und ließ Frances’ Meinung nach durch den sinnlichen Ausdruck in den hellbraunen Augen und das etwas anzügliche Lächeln deutlich erkennen, in welcher Beziehung sie seinerzeit zu Marcus gestanden hatte.

Plötzlich fiel ihr eines ihrer alten Skizzenbücher ein. Sie holte es, setzte sich und blätterte es durch, bis sie auf die Zeichnung stieß, die sie anlässlich einer Landpartie, kurz vor der Trennung, von ihm gemacht hatte. Er war mit offenem Hemd dargestellt, lag im Gras und hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt. Seine Miene war schwer zu deuten. Es konnte Zuneigung sein, die aus ihr sprach, aber Frances war nie ganz sicher gewesen, ob er sie tatsächlich von Herzen liebte.

Sie klappte das Skizzenbuch zu, legte es auf den Tisch und verließ das Atelier. Rasch ging sie in ihr Ankleidezimmer, wo die Zofe bereits ihrer harrte, ließ sich von ihr beim Umziehen helfen und überlegte dabei, was Marcus wohl von ihr denken würde, könnte er sie jetzt sehen. Sie war nicht mehr gertenschlank, aber auch nicht rundlich, und ihr schwarzes Haar hatte den Glanz bewahrt. Die blauen Augen, von denen Marcus stets behauptet hatte, sie seien sehr ausdrucksvoll, waren das Bemerkenswerteste an ihr.

Sobald sie zum Dinner hergerichtet war, suchte sie das Speisezimmer auf, nahm Platz und ließ sich servieren. Beim Essen sann sie über ihr bisheriges Leben nach und fand, sie könne sich nicht beklagen. Sie hatte viele Freunde, wurde oft eingeladen und empfing häufig Gäste, mit denen sie sich angeregt über die schönen Künste, Politik und wissenschaftliche Themen unterhalten konnte. Zum Glück war ihr die Gabe eigen, bei heftigen Debatten vermitteln zu können, sodass es nie zu Missstimmigkeiten kam.

Mit siebzehn Jahren hatte sie, nachdem ihre Hoffnungen und Träume durch die Trennung von Marcus, die ihr wie Verrat an ihr vorgekommen war, ein jähes Ende fanden, geglaubt, keinen Tag länger leben zu können. Nacht für Nacht war sie in Tränen aufgelöst gewesen und hatte sich gefragt, warum er sie so schmählich hintergangen hatte. Trotz all seiner Liebesschwüre war er, nur weil sein Vater es so bestimmt hatte, die Ehe mit Margaret Connaught eingegangen. Sie hatte ihm vorgeworfen, schwach zu sein, nur mit ihr gespielt und sie mit falschen Beteuerungen getrogen zu haben, und dann wütend hinzugefügt, sie gedenke nicht, seine Mätresse zu werden, falls das seine Absicht sein sollte. Sie hasse ihn, hatte sie ihm ins Gesicht geschrien, und wolle ihn nie wieder sehen.

Schließlich hatte er Miss Connaught geheiratet, eine gut situierte Schottin, zu deren Mitgift ein Schloss im Hochland gehörte. Frances hatte nie begriffen, warum ihm an diesem alten Gemäuer gelegen gewesen war, denn ihm gehörten bereits ein ausgedehnter Landsitz in Derbyshire, eine Londoner Stadtresidenz, ein Haus in Bath und ein Jagdschloss in Leicestershire. Mittlerweile war alles sein Eigentum und er zu einem der reichsten Männer des Landes geworden. Natürlich hatte sie nie seine damaligen Vermögensverhältnisse in Betracht gezogen, ihn nur um seiner selbst willen geliebt.

Alles war in dem Jahr geschehen, in dem ihr gesellschaftliches Debüt stattfand. Sie hatte die Saison damit vergeudet, einem Tunichtgut nachzutrauern. Die meisten der anderen Heiratswilligen, die ohnehin nicht mit Marcus zu vergleichen gewesen waren, hatten am Ende der Saison ihre Wahl getroffen. Die Mutter, die viel Geld dafür ausgegeben hatte, Frances in gebührendem Rahmen zu präsentieren, war wütend auf sie gewesen. Sie hatte ihr vorgeworfen, viel zu wählerisch zu sein. Gewiss, sie sähe passabel aus, doch ihr Äußeres mache den Umstand nicht wett, dass sie keine große Mitgift habe. Im Übrigen könne sie aus Kostengründen nicht damit rechnen, eine weitere Saison in London zu verbringen. Sie müsse in diesem Jahr heiraten oder sich den Gedanken an eine Ehe aus dem Kopf schlagen.

Frances hatte erwidert, sie könne nichts daran ändern, dass kein anderer Mann um ihre Hand angehalten habe. Daraufhin hatte die Mutter ihr vorgehalten, sie habe sich viel zu sehr auf den Marquis of Risley konzentriert. Es sei schon schlimm genug, dass er sich nicht für sie entschieden hatte, doch noch erniedrigender fände sie, dass ihre Tochter überhaupt keinen Mann abbekommen habe. Schließlich hatte Frances, damit die Mutter zufrieden war, den ein Jahr zuvor verwitweten Earl of Corringham erhört, der einen fast achtjährigen Sohn und eine zwei Jahre jüngere Tochter hatte. Die Hochzeit hatte in sehr kleinem Rahmen zwei Wochen vor dem Tag stattgefunden, an dem Marcus mit Miss Connaught getraut worden war.

Frances hatte ihren Mann nicht geliebt und das nicht einmal vorgetäuscht. Sie war zufrieden mit ihm gewesen und hatte gelernt, ihm Freude zu machen und seine Kinder zu lieben, nachdem ihr klar geworden war, dass sie keine eigenen haben würde.

Sie war zehn Jahre verheiratet gewesen, als er nach einem Herzanfall gestorben war. Seither hatte sie ihr Leben selbst gestaltet und nur das getan, was ihr genehm war. Sie hatte die ihr angeborene Begabung genutzt und junge Damen im Malen und Zeichnen unterwiesen und war sehr erfreut gewesen, wenn sie Fortschritte machten. Das Wichtigste war für sie indes die Wohltätigkeitsarbeit, die ein Ausmaß angenommen hatte, das nur der Kutscher und ihr Finanzverwalter kannten. Alles in allem genommen, war sie sehr mit ihrem Dasein zufrieden und sträubte sich gegen alles, was den geregelten Ablauf durcheinanderzubringen drohte.

Zu Lebzeiten des Gatten hatte sie die meiste Zeit in Twelvetrees gewohnt, dem Landsitz der Familie in Essex. Bei den wenigen Aufenthalten in London war sie dem Duke of Loscoe nicht begegnet, da er selten in der Stadt weilte. Er zog es vor, auf seinem Landsitz oder in seinem schottischen Schloss zu residieren. Seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren hatte er sich angeblich sehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Nach dem Essen ging Frances in ihr Atelier, vollendete Lady Willoughbys Porträt und begab sich dann zu Bett.

Das Wetter war stürmisch, die Luft jedoch mild. Die Knospen an den Bäumen begannen sich zu öffnen, und in den Gärten blühten die ersten Krokusse und Narzissen.

Sir Percival, ein eingefleischter Junggeselle, mit dem Frances gut befreundet war, hatte ihr zu Beginn des Ausritts gesagt, sie sähe sehr hübsch aus.

Nach ungefähr einer Stunde erblickte sie plötzlich den Duke of Loscoe, der ihr und Sir Percival in einem Phaeton entgegenkam. Neben ihm saß eine junge Dame, die kupferfarbenes Haar hatte und sich sehr straff hielt.

„Du meine Güte! Wenn das nicht der Duke of Loscoe ist!“, murmelte Percival und hob das Einglas ans rechte Auge. „Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wen hat er bei sich?“

„Ich glaube, das ist seine Tochter“, antwortete Frances.

„Seine Tochter! Du lieber Himmel, wie die Zeit vergangen ist. Was mag Seine Gnaden nach London geführt haben?“

„Angeblich ist er auf Brautschau.“ Frances fragte sich, ob er sie erkennen würde. Schließlich war sie kein linkisches siebzehnjähriges Mädchen mehr und er auch nicht mehr dreiundzwanzig. Natürlich war er fülliger geworden und wirkte reifer, hatte sich jedoch das gute Aussehen bewahrt. Die Fältchen um Augen und Mund verliehen seinem Gesicht einen charaktervollen Ausdruck, den es früher nicht gehabt hatte. Sein Kinn war markanter, als Frances es in Erinnerung hatte, und wirkte sehr energisch.

„Möchten Sie Seiner Gnaden ausweichen, Lady Corringham?“, erkundigte sich Percival. „Noch ist uns das möglich.“

„Nein“, antwortete sie lachend, denn inzwischen waren zu viele Jahre verstrichen, als dass sie Marcus noch böse hätte sein können. „Verließen wir jetzt die Allee, sähe das aus, als wollten wir Seine Gnaden absichtlich meiden. Ich habe keinen Grund, ihm aus dem Weg zu gehen.“

„Es ist viel Wasser die Themse hinabgeflossen.“

„Ja.“ Mittlerweile war man fast auf gleicher Höhe mit dem Phaeton. Frances zügelte das Pferd und schenkte Marcus ein Lächeln, das ihr ganzes Gesicht zum Strahlen brachte und die meisten Männer der vornehmen Gesellschaft, wenn sie es sahen, in hellstes Entzücken versetzte. „Guten Tag, Euer Gnaden“, begrüßte sie ihn höflich.

„Madam.“ Er hielt den Phaeton an und zog den Hut. Sein Haar war noch so voll und glänzend wie früher. Er lächelte zwar, doch sein Blick war kühl, und um seine Lippen lag ein leicht ironischer Zug, den er früher nicht gehabt hatte. „Wie geht es Ihnen?“

„Sehr gut, Euer Gnaden. Vielen Dank für die Nachfrage. Kennen Sie Sir Percival Ponsonby?“

„Ja. Guten Tag, Sir.“

„Guten Tag, Euer Gnaden“, erwiderte Percival. „Was hat Sie in die Stadt geführt? Ich glaube, es ist Jahre her, seit Sie hier waren.“

„Ja“, bestätigte Marcus. „Madam, das ist meine Tochter Lavinia“, stellte er die junge Dame neben ihm vor. „Lavinia, das ist Lady Frances, die Countess of Corringham.“ Er hatte kühl und unpersönlich geklungen und durch nichts zu erkennen gegeben, dass er sich an den heißen Sommer erinnerte, in dem er und Frances alles füreinander gewesen waren. Alles, aber vielleicht auch nichts. „Und das ist Sir Percival Ponsonby.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Lady Lavinia“, sagte Frances, derweil Sir Percival sich verneigte. „Ich hoffe, Sie genießen den Aufenthalt in London.“

Das Mädchen murmelte etwas Unverständliches und krauste die Stirn, ein Umstand, der ihrem hübschen Gesicht abträglich war und ihr einen strafenden Blick des Vaters einbrachte. Frances wunderte sich über sein Verhalten, schaute ihn an und fragte: „Werden Sie längere Zeit in der Stadt bleiben, Euer Gnaden?“

„Ja, für die ganze Saison. Ich habe geschäftliche Dinge zu regeln, und meine Tochter muss etwas weltgewandter werden.“

In diesem Punkt stimmte Frances ihm zu. Das Mädchen war ausgesprochen schön, und alle jungen Kavaliere würden ihm zu Füßen liegen, falls es lernte, sich etwas manierlicher und charmanter zu betragen. Statt sich an der Unterhaltung zu beteiligen, betrachtete Lady Lavinia die vorbeireitenden Herrschaften, ganz so, als sei sie nicht im Mindesten daran interessiert, mit den Bekannten ihres Vaters zu plaudern.

„Dann werden wir Sie sicher in Gesellschaft wieder sehen.“

„Ja, denn ich habe vor, Lavinia zu weniger bedeutenden Geselligkeiten mitzunehmen, damit sie einen Vorgeschmack dessen bekommt, was sie bei ihrem gesellschaftlichen Debüt im nächsten Jahr erwartet.“ Plötzlich lächelte der Duke, und wider Willen merkte Frances, dass sie doch nicht so gegen seinen Charme gefeit war, wie sie gehofft hatte. „Lady Willoughby hat uns morgen Nachmittag zum Tee gebeten.“

Im Stillen verwünschte Frances Ihre Ladyschaft. Ausgerechnet zu der Zeit, da sie ihr das Bild liefern sollte, war Marcus eingeladen. Aber sie konnte das Gemälde am Vormittag vorbeibringen und sich unter einem Vorwand für den Nachmittag entschuldigen. Das wäre jedoch feige, und sie war kein Feigling. Außerdem war nicht davon auszugehen, dass sie Marcus während der ganzen Saison nicht mehr begegnen würde. Folglich konnte sie gleich damit anfangen, ihm zu verstehen zu geben, dass sie Distanz zu ihm wahren wollte. „Wie nett“, erwiderte sie. „Ich freue mich schon darauf, Sie beide bei Lady Willoughby zu sehen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag, Euer Gnaden, Lady Lavinia.“

„Auf Wiedersehen, Madam.“ Er verneigte sich leicht und zog die Zügel straffer. Frances ritt mit Sir Percival weiter. Die Begegnung mit Marcus war rein zufällig gewesen, ein Austausch von Höflichkeiten unter Bekannten. Frances überlegte, ob sie etwas anderes erwartet hatte, vielleicht das Aufbrechen alter Gefühle, fand jedoch, es sei dumm, solchen Gedanken nachzuhängen, und wandte die Aufmerksamkeit ihrem Begleiter zu.

„Was haben Sie damit gemeint, es sei viel Wasser die Themse hinabgeflossen?“

„Ach, spielen Sie nicht die Ahnungslose, Fanny. Ich weiß sehr gut, dass man eine Saison lang geglaubt hat, der heutige Duke of Loscoe werde sich Ihnen erklären.“

„Ach ja?“, äußerte sie etwas verstimmt. „Manchmal irren sich die Leute.“

„Ja, aber ich frage mich, wie enttäuscht Sie damals gewesen sind.“

„Ich war überhaupt nicht enttäuscht“, log sie, „weil ich wusste, dass er und ich nicht zusammenpassen.“

„Aha! Und daher haben Sie Corringham geheiratet.“

„Ja, ich mochte ihn sehr gern, Sir Percy. Doch genug davon. Die Sache ist nicht mehr von Bedeutung.“

„Ich bitte um Entschuldigung. Ich werde nicht wieder darauf zu sprechen kommen, falls Sie das Thema nicht anschneiden.“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie, sollten Sie jemanden darüber reden hören, es sei viel Wasser die Themse hinabgeflossen oder etwas in der Art, diese Leute dann über den wahren Sachverhalt aufklärten.“

„Ja, gewiss. Ich bezweifele indes, dass man heute noch über diese Angelegenheit reden wird, denn das ist doch alles sehr lange her. Reiten wir nach Hause, oder lassen wir die Pferde sich auslaufen?“

„Ein Galopp wäre mir recht“,antwortete Frances lachend.

An sich schickte es sich nicht für eine Dame, im Galopp zu reiten, aber sie hatte nie Rücksicht auf gesellschaftliche Regeln genommen. Und da sie sehr beliebt und außerdem viel zu alt war, um noch auf dem Heiratsmarkt eine Rolle zu spielen, nahm niemand von ihr Notiz, als sie mit Sir Percival quer über die Wiese zur Mitte des Hyde Parks galoppierte.

Eine halbe Stunde später kehrte man nach Hause zurück. Frances fühlte sich wohl und hatte alles verdrängt, wodurch sie nachts beunruhigt worden war.

Am Nachmittag nahm sie, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, ihr Skizzenbuch und ihre Malutensilien und ließ sich von Harker zum East End kutschieren. Dort stellte sie die Staffelei auf einem Kai auf und zeichnete einen Teeschoner, der entladen wurde. Die Takelage stellte eine Herausforderung für sie dar, auf die sie sich sehr konzentrieren musste, bis es an der Zeit war, nach Hause zurückzukehren. Sie hatte nicht mehr an Marcus gedacht und wurde erst wieder am nächsten Nachmittag an ihn erinnert.

Sie hatte das Porträt zu Lady Willoughby gebracht und schaute beim Aufhängen des Gemäldes im großen Salon zu. Ihre Ladyschaft war unschlüssig, wo es am besten zur Geltung kam.

„Vielleicht würde es in einem anderen Raum mehr wirken“, meinte Frances.

„O nein!“, widersprach Ihre Ladyschaft. „Es soll hier hängen. Ich möchte, dass jeder meiner Besucher es sieht. Vielleicht sollte ich den Spiegel da abnehmen und es dort anbringen lassen.“

„Die aus dem Kamin dringende Hitze würde die Farben rissig machen“, wandte Frances ein.

Lord Willoughby betrat den Salon und strich sich, nachdem man ihn um seine Meinung gebeten hatte, nachdenklich über das Kinn. Dann zeigte er zu einer leeren Stelle vor der linken Wand, weit vom Kamin entfernt, und sagte: „Stellt das Bild auf der Staffelei dort hin.“

„Es soll nicht aufgehängt werden?“, wunderte sich Ihre Ladyschaft. „Wird es dann nicht so aussehen, als sei es noch nicht vollendet?“

„Nein, warum?“ Lord Willoughby lachte. „Du kannst es ganz nach Gutdünken immer wieder an einem anderen Platz aufstellen. Vielleicht kreierst du dann sogar eine neue Mode.“

Entzückt klatschte Ihre Ladyschaft in die Hände. „Ich werde deinen Rat befolgen. Meine liebe Lady Corringham“, fügte sie hinzu, „darf ich mir Ihre Staffelei ausleihen, bis ich mir eine besorgt habe?“

„Oh, Sie müssen sie sich nicht ausleihen“, antwortete Frances und dachte an das hohe Honorar, das sie zuvor bekommen hatte. „Ich schenke sie Ihnen mit dem größten Vergnügen.“

„Ich werde das Bild verhängen, bis alle Leute hier sind“, äußerte Lady Willoughby glücklich. „Dann kann ich es wirkungsvoll enthüllen. Es ist ausgezeichnet und wird Sie noch berühmter machen, meine liebe Lady Corringham. Mir ist es ein Rätsel, wie Sie es schaffen, so lebensecht zu malen. Ich konnte nie gut zeichnen.“

Frances unterdrückte ein Schmunzeln. Das Bild stellte zweifellos Lady Willoughby dar, aber eine viel schlankere als in natura. Und die gute Frau konnte den Unterschied nicht sehen. Ihr Gatte würde ihn bestimmt erkennen, und auch jeder andere Betrachter des Gemäldes. Nicht zum ersten Mal überlegte Frances, ob sie nicht mehr Selbstrespekt beweisen sollte, wenn sie solche Auftragsarbeiten ausführte.

Ein Diener kündete die Ankunft der ersten Gäste an, die einer nach dem anderen den Salon betraten, begrüßt wurden und Platz nahmen. Man servierte ihnen Tee und Gebäck. Das Bild auf der Staffelei war mit einem Tuch verhängt worden. Am liebsten wäre Frances vor der Enthüllung des Porträts gegangen. Sie fühlte sich nie wohl, wenn sie oder eines ihrer Kunstwerke im Mittelpunkt standen. Bereits im Begriff, sich von den Gastgebern zu verabschieden, sah sie den Duke of Loscoe und dessen Tochter erscheinen.

Gelassen betrat Seine Gnaden den Raum, obwohl er wusste, dass alle Leute ihn anschauten. Bei seinem Anblick seufzten die Damen leise, Frances ausgenommen.

Er verneigte sich vor Lady Willoughby und sagte: „Ihr untertänigster Diener, Madam.“

„Wir fühlen uns geehrt, Euer Gnaden, dass Sie gekommen sind“, hauchte Ihre Ladyschaft beeindruckt.

„Das ist meine Tochter Lavinia“, stellte er das junge Mädchen an seiner Seite vor.

Lavinia begrüßte die Herrschaften, mit denen sie von Lady Willoughby bekannt gemacht wurde, lächelte dabei jedoch so verkrampft, dass Frances sich fragte, welche Warnungen ihr Vater vor dem Besuch ausgesprochen haben mochte.

„Lady Frances, die Countess of Corringham“, stellte Ihre Ladyschaft sie vor. „Ich glaube, Sie kennen sich bereits.“

„Ja“, bestätigte der Duke und verneigte sich. „Wie geht es Ihnen, Madam?“

Sie rang sich ein Lächeln ab und überlegte, ob es ebenso verkrampft wirken mochte wie Lady Lavinias. „Danke, sehr gut, Euer Gnaden.“

„Lady Frances ist unser Ehrengast, von Ihnen, Euer Gnaden, natürlich abgesehen. Ihretwegen haben wir uns hier versammelt“, erklärte Lady Willoughby.

„Ach ja?“ Marcus zog eine Augenbraue hoch und schaute belustigt die Countess of Corringham an. Sein amüsierter Blick verwirrte sie, und irritiert fragte sie sich, ob er die Beziehung zu ihr vergessen oder sich wie sie den Anschein geben mochte, es habe nie etwas zwischen ihnen gegeben.

Lady Willoughby drehte sich um und klatschte in die Hände. „Meine lieben Freunde“, sagte sie. „Dieser Anlass ist nicht formeller Natur. Daher werden keine Reden gehalten. Ich möchte, dass Sie die ersten Leute sind, die das hier sehen.“ Mit schwungvoller Geste zog sie das Tuch vom Gemälde fort. „Das ist Lady Frances’ letztes Werk.“

Einige Augenblicke lang herrschte Stille, in der Frances sich wünschte, sie könne in der Erde versinken. Dann wurde applaudiert, und man begann, der Hausherrin die ersten Komplimente zu machen. Sie sei sehr lebensnah getroffen, hieß es, und man könne jedes einzelne Haar ihrer Frisur erkennen. Außerdem sei ihr Teint sehr gut wiedergegeben, und auch die Hände sähen naturgetreu aus. Schließlich könne nicht jeder Maler Hände so gut darstellen.

„Ich fühle mich geschmeichelt“, äußerte Frances und stand unter großem Beifall auf.

„Geschmeichelt?“, raunte der Duke of Loscoe ihr zu. „Mir scheint, Sie sind diejenige, die jemandem geschmeichelt hat.“

„Warum nicht?“, flüsterte sie. „Das richtet keinen Schaden an.“ Sie versuchte, das seltsame Gefühl nicht zu beachten, das sie plötzlich in Marcus’ Nähe empfand. Die vergangenen siebzehn Jahre kamen ihr wie ausgelöscht vor. Im Stillen ermahnte sie sich zur Vernunft und hielt sich vor, Wasser flösse nie rückwärts.

„Ich glaube, das ist nicht gut für Sie.“

„Unsinn! Und außerdem wüsste ich gern, welche Bedeutung es für Sie hat, was ich tue.“

„Sind Sie derart auf Geld angewiesen, dass Sie so billiges Zeug wie das Bild da produzieren müssen?“

„Es entzückt Lady Willoughby. Und das bedeutet, dass andere Leute …“

„… das Bedürfnis verspüren werden, auch gegen ein exorbitant hohes Honorar von Ihnen gemalt zu werden.“

„Was spricht gegen ein gutes Honorar?“

„Nichts, aber ich dachte, Sie hätten mehr Selbstwertgefühl.“ Der Duke of Loscoe lächelte die sich ihm nähernde Hausherrin an.

„Wie finden Sie das Porträt, Euer Gnaden?“, fragte sie. „Es ist mir ungemein ähnlich, nicht wahr?“

„Oh, es ist ausgezeichnet“, antwortete er. „Lady Corringham ist wirklich sehr talentiert.“

„Haben Sie sich je porträtieren lassen, Euer Gnaden?“, wollte Ihre Ladyschaft wissen.

„Ja, aber das ist Jahre her“, antwortete er leichthin. „Modell zu sitzen kann sehr langweilig sein, und ich habe nicht die Zeit dafür.“

„Nun, da Sie jetzt in der Stadt sind, werden Sie gewiss etwas Muße haben. Ich kann Ihnen Lady Frances sehr empfehlen.“

„Oh, bitte, Madam!“, warf Frances ein. „Sie bringen mich in Verlegenheit.“

„Ach, zieren Sie sich nicht, meine Teure. Und nun werde ich Sie zu den anderen Gästen entführen, Euer Gnaden. Meine Tochter brennt darauf, Lady Lavinias Bekanntschaft zu machen.“

Der Duke of Loscoe verneigte sich vor Frances. „Ihr untertänigster Diener, Madam.“ Und dann entfernte er sich, gefolgt von seiner Tochter.

Frances schaute ihm hinterher, doch ihre Aufmerksamkeit wurde schnell von anderen Gästen, die bei ihr ein Porträt in Auftrag geben wollten, in Anspruch genommen. Sie wurde eine Weile aufgehalten, vereinbarte Termine mit den jeweiligen Herrschaften und bekam daher nicht mit, dass der Herzog und seine Tochter gingen. Einige Minuten später verabschiedete sie sich.

Geschäftlich war der Nachmittag ein großer Erfolg für sie gewesen. Irritiert überlegte sie jedoch, warum Lady Willoughby sie so warm empfohlen hatte. Vielleicht glaubte Ihre Ladyschaft, sie sei auf die Honorare angewiesen. Falls die Vermutung zutraf, hatte Ihre Ladyschaft recht.

Abends besuchte Frances ein Wohltätigkeitskonzert und sah in der Pause überrascht, dass auch der Duke of Loscoe anwesend war. Er unterhielt sich angeregt mit einer anderen Besucherin. Unwillkürlich überlegte sie, ob er wirklich aus Interesse an der Musik gekommen war oder nur, weil er eine Gattin suchte. Andererseits waren die anwesenden Damen entweder verheiratet oder zu alt oder nicht standesgemäß. Er würde gewiss keine weitere Mesalliance eingehen, nachdem er bereits vor siebzehn Jahren weit unter seinem Stand geheiratet hatte.

Es dauerte ein Weilchen, bis er Frances bemerkte. Dann zog er erstaunt die Augenbrauen hoch, ganz so, als habe er nicht damit gerechnet, sie hier zu sehen. Er entschuldigte sich bei der älteren Dame und kam auf Frances zu.

„Ich habe nicht erwartet, Sie so schnell wiederzusehen, Madam.“

„Das trifft auch auf mich zu. Ich hätte nicht gedacht, ein solcher Anlass könne Sie interessieren.“

„Wieso nicht?“, fragte Marcus scharf. „Das Los von Kriegswaisen, für deren Unterhalt dieses Konzert veranstaltet wird, geht uns alle etwas an. Dieser Meinung müssen auch Sie sein, denn sonst wären Sie nicht hier.“

„Sie haben recht.“

„Dann teilen wir ein gemeinsames Interesse.“

Frances enthielt sich einer Erwiderung. Fragend schaute Marcus sie an. „Finden Sie das inakzeptabel?“, erkundigte er sich leise.

„Was meinen Sie?“

„Ich bezog mich darauf, dass Sie und ich Interesse an Kriegswaisen nehmen und das Bedürfnis haben, deren Dasein zu verbessern.“

„Nein, das finde ich ganz und gar nicht inakzeptabel“, erwiderte sie und ärgerte sich, weil ihr Herz plötzlich schneller schlug. Sie fand, sie reagiere wie ein naives junges Mädchen, und dabei würde sie in wenigen Wochen ihren fünfunddreißigsten Geburtstag begehen. „Je mehr Hilfe die Kinder haben, desto besser. Einigen geht es wirklich sehr schlecht.“

„Gut. Es wäre mir unangenehm gewesen, glauben zu müssen, meine Anwesenheit könne Sie von Ihrer Wohltätigkeitsarbeit abhalten.“

„Warum in aller Welt sollte das der Fall sein?“, fragte Frances verdutzt. „Sie sind unerträglich eingebildet, Euer Gnaden, wenn Sie glauben, Ihre Anwesenheit könne mich irgendwie beeinflussen.“

„Dann bitte ich um Entschuldigung.“

Ehe Frances etwas äußern konnte, hatte die Gastgeberin sich hinzugesellt. „Wie ich sehe, haben Sie schon Bekanntschaft geschlossen“, bemerkte Mrs. Butterworth.

„Oh, wir kennen uns seit Langem“, erwiderte der Duke. „Allerdings haben wir uns seit Jahren nicht mehr gesehen und soeben über alte Zeiten geplaudert.“

„Wie nett! Sie müssen sehr zufrieden sein, Mylady, dass Seine Gnaden sich unserem Komitee angeschlossen hat. Sein Name wird andere Leute dazu ermutigen, sich ebenfalls an unserer Arbeit zu beteiligen.“

„Davon bin ich überzeugt“, murmelte Frances.

„Wir suchen nach einem Anwesen, wo wir die Kinder vorübergehend unterbringen können, bis wir eine endgültige Unterkunft für sie gefunden haben“, erklärte Mrs. Butterworth. Prüfend schaute Frances Marcus an, fand jedoch kein Anzeichen dafür, dass er gelangweilt war. „Zurzeit leben die Kinder in einem schäbigen Gebäude in der Monmouth Street. Der Mietvertrag läuft jedoch aus, sodass wir genötigt sind, baldigst eine andere Unterbringungsmöglichkeit zu finden.“

„Dann können Sie sich auf meine finanzielle Unterstützung verlassen, Madam“, sagte der Duke of Loscoe und schenkte ihr ein Lächeln, das sie voll und ganz für ihn einnahm. Es täuschte darüber hinweg, dass er ein Herz aus Stein hatte. Doch das wusste Mrs. Butterworth nicht.

„Oh, vielen Dank, Euer Gnaden. Das Konzert war ein so großer Erfolg, dass wir jetzt überlegen, ob wir einen Ball veranstalten sollen, um noch mehr Geld zu bekommen. Kann ich damit rechnen, dass Sie ein Billett kaufen?“

„Falls ich an dem fraglichen Abend nicht anderweitig beschäftigt bin, komme ich gern“, antwortete der Duke höflich.

Das Orchester stimmte die Instrumente, und man begab sich wieder zu den Plätzen. Marcus lächelte dünn und verneigte sich vor Frances. „Auf Wiedersehen, Madam.“

„Auf Wiedersehen, Euer Gnaden.“

Sie kehrte zu ihrem Sessel zurück. Ihre Gefühle und Gedanken waren in Aufruhr geraten. Betroffen fragte sie sich, ob sie überall auf Marcus stoßen würde. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn bei dieser musikalischen Soiree zu sehen. Das war ein viel größerer Schreck gewesen als die Begegnung im Hyde Park oder die in Lady Willoughbys Haus. Vielleicht war Frances nirgendwo vor ihm sicher. Aber sie konnte sich nicht daheim verstecken. Schließlich hatte sie dem Duke erklärt, seine Anwesenheit sei für sie nicht von Bedeutung, und nun musste sie sich zwingen, sich dementsprechend zu verhalten.

Sie hielt sich vor, sie wäre längst gegen seinen Charme gefeit gewesen, hätte er sich nicht so lange London ferngehalten, sondern in den verflossenen siebzehn Jahren mehr in Gesellschaft sehen lassen. Sein plötzliches Erscheinen hatte sie aus der Fassung gebracht und an den Sommer des Jahres 1800 erinnert. Diese kurze Zeitspanne von damals konnte jetzt jedoch nicht mehr von Bedeutung sein. Sie machte aus einer Mücke einen Elefanten. Und das Leben hatte mehr zu bieten als nur Erinnerungen.

Beim allgemeinen Aufbruch nach dem Konzert begegnete sie dem Duke wieder. Ein Lakai wollte ihr soeben in den Mantel helfen, als jemand ihn ihm abnahm. Sie drehte sich zu dem Herrn um und sah sich Marcus gegenüber, der sie lächelnd anschaute. „Vielen Dank, Euer Gnaden“, äußerte sie kühl, als er ihr in die Pelisse half.

„Sie scheinen nicht in Begleitung hier zu sein, Madam. Darf ich mich erbieten, Sie nach Hause zu bringen?“

„Danke, ich bin in meiner Kutsche hergekommen.“

„Nun, dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Abend.“ Er ließ sich den Zylinder geben, setzte ihn auf und verließ das Haus. Bei seiner Karosse angekommen, sagte er: „Fahren Sie heim, Brown. Ich werde laufen.“

Er hatte einen langen Weg vor sich, mehr als zwei Meilen durch einen der weniger angesehenen Stadtbezirke. Er meinte jedoch, es sei gut, sich Bewegung zu verschaffen. Seit er in London war, vermisste er die langen Spaziergänge und Ausritte, die er auf seinem Besitz in Derbyshire unternommen hatte. Er fand, er werde faul und lege an Gewicht zu. Vielleicht sollte er wieder boxen, es sei denn, dass er mittlerweile zu alt dafür war. Aber es konnte interessant werden, herauszufinden, ob er immer noch so wendig und geschickt war wie früher.

Unwillkürlich fiel ihm in diesem Zusammenhang Frances ein, die ihn einmal mit bloßer Brust gezeichnet hatte. Damals war er über ihr Talent erstaunt gewesen und wollte die Skizze unbedingt für sich. Er hatte sie nicht bekommen. „Ich werde mich nie davon trennen“, waren Frances’Worte gewesen.

Er überlegte, ob sie die Zeichnung aufgehoben oder nach seinem schäbigen Verhalten ihr gegenüber vernichtet haben mochte. Er hatte jedoch nicht geahnt, dass sie damit rechnete, er werde um ihre Hand anhalten. Damals war er nicht imstande gewesen, sie zu bitten, ihn zu heiraten, da sein und Miss Connaughts Vater bereits die Ehe mit dessen Tochter vereinbart hatten und ihm in dieser Hinsicht die Hände gebunden gewesen waren.

In jenem Sommer hätte er sich nicht so viel mit Frances befassen, ihr nie sagen dürfen, dass er sie liebte, obwohl seine Gefühle für sie echt gewesen waren. Damals jedoch, mit dreiundzwanzig, hatte er noch nicht gelernt, seine inneren Regungen zu verbergen oder die Folgen seines Tuns zu berücksichtigen. Er hatte mit Frances zusammen sein wollen und jede Gelegenheit genutzt, um mit ihr allein zu sein, ihre Hand zu halten, sie zu küssen und ihr zu erklären, er könne ohne sie nicht leben. Es war ihm sogar gelungen, mit ihr in seiner Karriole eine Landpartie nach Richmond zu unternehmen. In der Kutsche war nur Platz für sie beide gewesen, sodass man ohne Zofe oder Diener ausgefahren war.

Er hatte nicht überlegt, was er Frances antat, bis dann die Connaughts aus der Nähe von Edinburgh nach London gekommen waren und er für den Rest der Saison seiner zukünftigen Gattin als Begleiter zur Verfügung stehen musste. Es war so gut wie unmöglich gewesen, sich davonzustehlen, um Fanny zu treffen. Und als er sie dann bei einem Ball der Duchess of Devonshire getroffen hatte, war es zu einem Streit gekommen.

Er hatte versucht, ihr die Sache mit Margaret zu erklären, und ihr gesagt, diese Verbindung sei seit Langem arrangiert worden. Das ändere indes nichts an seinen Gefühlen für Frances. Sie hatte ihm jedoch nicht zuhören wollen und geäußert, er habe sich gewaltig geirrt, falls er glaube, sie sei bereit, seine Mätresse zu werden.

Autor

Mary Nichols
Mary Nichols wurde in Singapur geboren, zog aber schon als kleines Mädchen nach England. Ihr Vater vermittelte ihr die Freude zur Sprache und zum Lesen – mit dem Schreiben sollte es aber noch ein wenig dauern, denn mit achtzehn heiratete Mary Nichols. Erst als ihre Kinder in der Schule waren,...
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