Küsse und andere Katastrophen

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Sie stehen sich gegenseitig im Weg und gehen sich auf die Nerven! Aber Taylor hat dem ehemaligen Sheriff in einer weichen Minute nun einmal erlaubt, bei ihr zu wohnen. Wie hätte sie auch ahnen können, dass der aufregend männliche Mac ihr Leben derart durcheinander bringt …


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783955761158
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jill Shalvis

Liebe kommt vor dem Fall

Küsse und andere Katastrophen

 

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Tangling With Ty

Copyright © 2003 by Jill Shalvis

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Corbis GmbH, Düsseldorf; pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-115-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Eines Tages, dachte Taylor Wellington, werde ich alt und runzlig sein. Und dann hören meine besten Freundinnen vielleicht endlich damit auf, mir einreden zu wollen, dass ich eine große Liebe brauche.

Niemand brauchte die große Liebe.

Taylor hatte geliebt, aber sie hatte auch lange Zeit ohne Liebe gelebt, deshalb war sie sich ihrer Sache sehr sicher. Im Moment presste sie sich gerade ihr Handy ans Ohr und lauschte Suzanne und Nicole, die ihr per Konferenzschaltung endlose Vorträge darüber hielten, wie wunderbar das Leben durch die Liebe wurde.

“Du musst es unbedingt ausprobieren.”

Und so etwas von Nicole! Bei ihr war es gerade erst ein paar Monate her, dass sie sich Hals über Kopf in Ty Patrick O’Grady verliebt hatte, den eigenwilligen Architekten aus Irland, den Taylor engagiert hatte.

“Liebe ist noch besser als Eiscreme.”

Diese Erkenntnis kam von Suzanne, bei der Eis essen als Lösung für alle Probleme hatte herhalten müssen. Suzanne hatte sich auch erst vor Kurzem verliebt. Sie war sogar noch einen Schritt weiter gegangen als Nicole und hatte geheiratet.

“Gib dir einen Ruck, Taylor, und mach Schluss mit dem Singledasein. Probier’s zur Abwechslung mal mit einem Mann. Das wird dein Leben komplett verändern.”

Taylor glaubte keine Sekunde lang daran. Liebe, das wusste sie aus eigener Erfahrung, war etwas, wobei man am Ende nur litt. Aber das würden ihre Freundinnen nicht verstehen. Taylor hatte es ihnen nie zu erklären versucht, denn sie kannte die beiden noch gar nicht so lange. Sie hatte die beiden Frauen kennengelernt, als sie die zwei Apartments in dem Haus, das sie kurz zuvor geerbt hatte, vermieten musste. Sie hatte das Geld gebraucht, denn von irgendetwas musste sie ja schließlich leben. Suzanne war als Erste eingezogen, und später Nicole. Beide hatten zusammen mit Taylor geschworen, niemals ihr Singledasein aufzugeben.

Leider hatten die beiden ihren Schwur schon bald gebrochen. Erst kürzlich waren sie wieder ausgezogen, denn natürlich wollte jede mit ihrer großen Liebe zusammenleben.

“Nur weil ihr zwei freiwillig eure Freiheit aufgebt, heißt das doch noch nicht, dass auch ich …” Taylor verstummte, weil sie ein seltsames Geräusch hörte. Lauschend neigte sie den Kopf zur Seite. “Wartet mal einen Moment.”

Das ganze Haus erzitterte. Einen Augenblick lang fürchtete sie, das Haus würde zusammenbrechen, und das war gar nicht so abwegig, denn das alte Gebäude hatte eine grundlegende Renovierung dringend nötig. Aber ein zusammenbrechendes Haus stand für heute nicht auf Taylors Plan, und in ihrem Leben passierte selten etwas, das nicht von ihr geplant war.

Doch da war wieder dieses Zittern. Und gleich darauf noch einmal. Irgendetwas hämmerte regelmäßig gegen die Wände, genau im selben Rhythmus wie Taylors Kopfschmerzen. “Mädels, ich würde euch liebend gern weiter zuhören. Es interessiert mich brennend, was alles in meinem Leben nicht stimmt, aber ich muss jetzt auflegen.”

“Warte! Höre ich da etwa Geräusche von Bauarbeiten?”, fragte Suzanne.

Taylor ließ sich von dem beiläufigen Ton nicht täuschen. Sowohl Suzanne als auch Nicole hatten ihre große Liebe durch Bauarbeiten kennengelernt. Bauarbeiten, die sie, Taylor, in Auftrag gegeben hatte. Jetzt hofften Suzanne und Nicole, dass Taylor das Gleiche passierte.

Da muss ich euch enttäuschen, dachte Taylor. Ich werde mich in niemanden verlieben. Sie hatte zwar ein schlechtes Gewissen, dennoch hielt sie den Hörer ein wenig vom Kopf weg und ahmte mit dem Mund ein Rauschen und Knacken in der Leitung nach. Das ist nicht nett von mir, dachte sie. Schließlich sind das hier die beiden einzigen Menschen auf der Welt, denen ich wirklich etwas bedeute. Aber von dem ganzen Gerede über Liebe bekomme ich Schweißausbrüche, auch wenn die zwei es nur gut meinen.

Und eine Wellington geriet nie ins Schwitzen, schon gar nicht, wenn sie Seide auf der Haut trug. Das hatte Taylor von ihrer Mutter gelernt. “Ich muss auflegen, die Verbindung ist ganz schlecht!”, verkündete sie und beendete das Gespräch.

Mist. Sie liebte Suzanne und Nicole wie die Schwestern, die sie sich immer anstatt der beiden gewünscht hatte, die sie tatsächlich hatte. Trotzdem hätte sie bestimmt laut geschrien, wenn sie sich ihr Loblied auf die große Liebe noch länger hätte mit anhören müssen. Und im Moment konnte sie sich einen solchen Ausbruch nicht erlauben, denn sie brauchte ihre ganze Kraft, um ihre neuen Lebensumstände zu meistern.

Es kostete sie schon genug Energie, das nötige Geld für die umfangreichen Umbauarbeiten aufzutreiben. Allein aus diesem Grund bekam Taylor nachts oft kein Auge zu. Ihr Großvater hatte ihr ein Erbe mit einem großen Haken hinterlassen: dieses renovierungsbedürftige alte Haus, in dem sie jetzt stand. Nur das Haus und keinen Cent mehr. Keine Wertpapiere, kein Barvermögen, nichts.

Taylors teure Ausbildung hatte er komplett finanziert, und sie hatte gut von seinem Geld gelebt, bis er eines Tages starb und alles außer diesem Haus ihrer Mutter hinterließ, die gar nicht einsah, warum sie teilen sollte. Taylors Mutter war schon ihr ganzes Leben lang so geizig gewesen, dass jeder Schotte vor Neid erblassen würde.

Tja, es war eben Pech. Taylor wollte darüber genauso wenig nachgrübeln wie über die Tatsache, dass ihre Familie, mit der sie nichts außer der Blutsverwandtschaft verband, bestimmt überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen würde, wenn sie die vor ihr stehende Aufgabe mit Erfolg bewältigte. Aber wenn sie es nicht schaffte, würden es ganz sicher alle mitbekommen. Wenn sie das Haus verkaufte, wäre sie frei und könnte tun, was sie wollte, doch sie hatte auch ihren Stolz. Sie stand vor der ersten großen Herausforderung ihres Lebens, und da wollte sie nicht kneifen.

Ich werde es schaffen, dachte sie. Ich werde dieses Haus renovieren lassen und meinen Platz im Leben finden. Schon vor Monaten hatte sie angefangen, ein Zimmer nach dem anderen wieder herzurichten, aber dann hatte sie sich dazu durchgerungen, einige ihrer wertvollen Antiquitäten zu verkaufen. Sie hatten ihr mehr eingebracht als erwartet, und sie wollte mit diesem Geld das ganze Haus in einem Zug renovieren lassen.

Und zwar ab morgen.

Auch wenn es ihr auch noch so schwerfallen mochte, sie würde ganz ruhig bleiben. Entschieden steckte sie das Handy wieder in die Tasche. Prüfend blickte sie zu den Wänden, die immer noch unter den rhythmischen Schlägen erbebten. Taylor war sich ziemlich sicher, dass sie sich mit dem Bauunternehmer darauf geeinigt hatte, erst morgen mit den Arbeiten zu beginnen, und nicht schon heute.

Eins konnte sie nicht leiden, und das war die Störung ihrer wohldurchdachten Pläne. Sie wollte diesen letzten Tag der Ruhe genießen, um Kraft für die vor ihr liegende Aufgabe zu sammeln. Damit sie ab morgen der Welt zeigen konnte, aus welchem Holz sie geschnitzt war.

Ihr Haus war um die Jahrhundertwende im viktorianischen Stil erbaut worden und besaß den altmodischen Charme der damaligen Zeit. Allerdings war das Haus seit mittlerweile hundert Jahren vernachlässigt worden. Putz rieselte von den Wänden, die elektrischen Leitungen waren in einem katastrophalen Zustand, über die Holzbalken hatten sich die Termiten hergemacht, und im letzten Jahr hatte ein Wasserrohrbruch eine Überschwemmung herbeigeführt, deren Schäden immer noch nicht beseitigt waren.

Im Erdgeschoss gab es zwei Geschäftsräume mit großen Schaufenstern, im Dachgeschoss befanden sich ein Apartment und ein Dachboden. Dazwischen lagen im ersten Stock zwei Apartments, von denen Taylor eines bewohnte. Im Moment schloss sie die Tür dieses Apartments und ging die Treppe hinunter, dem Lärm folgend.

Auf den Straßen des South Village tobte bereits das Leben. Den Geschäftsleuten des Viertels stand ein weiterer ertragreicher Tag bevor. Los Angeles lag keine zehn Kilometer entfernt, und der berüchtigte Smog machte natürlich nicht an der Stadtgrenze Halt. Doch Taylor fand die heißen, stickigen Sommer nicht so lästig wie viele andere. Ihr gefiel es hier blendend, und sie fühlte sich inmitten der jungen trendbewussten Leute wohl, die sich von diesem Vorort mit seinen vielen Theatern, Straßencafés, Boutiquen und Galerien angezogen fühlten.

Auf diese Leute setzte Taylor ihre Hoffnungen. Schon bald würde sie die beiden Geschäftsräume vermieten können. Suzanne hatte bereits angekündigt, dass sie einen der kleinen Läden für ihren Party-Service nutzen wollte. Zum Glück. Aber was sollte aus dem zweiten werden? Die Vermietung wäre eine wahre Erleichterung für ihr strapaziertes Bankkonto. Allerdings wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben, diese Räume eines Tages für ein eigenes Geschäft zu nutzen. Vorausgesetzt, ihr blieben noch Antiquitäten übrig, nachdem sie die ganzen Umbauten bezahlt hatte. Im Moment war das das jedoch ein sehr weit entfernter Traum.

Das Hämmern war jetzt lauter, und es kam ganz eindeutig aus einem der schmutzigen und staubigen Ladenräume. Von der Straße her hörte Taylor Menschen, die vorbeigingen, sich unterhielten und lachten. Shopping war früher mal ihr liebstes Hobby gewesen, und insgeheim sehnte sie sich manchmal danach zurück.

Doch auch das musste sie auf einen fernen Tag verschieben.

Taylor wandte sich den Geschäftsräumen auf der linken Seite zu, und das Hämmern wurde noch lauter. Sie öffnete die Tür zu einem kurzen Flur und wurde in den hinteren Zimmern von einer gigantischen Staubwolke empfangen. Der Lärm war hier so laut, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte, doch sobald sie eintrat, verstummte das Hämmern.

Verwundert blieb sie stehen und atmete den Schmutz ein. Die Luft war an diesem heißen Frühlingstag in Kalifornien ohnehin schon schwül und drückend, und Taylor überlegte, wie lange es dauern würde, bis ihr sorgfältig gelocktes Haar, von dem sie einige Strähnen unter ihrem Strohhut hervorgezupft hatte, ihr in schlaffen Strähnen ins Gesicht hängen würde.

“Sie sind mir im Weg”, erklang eine tiefe barsche Stimme hinter ihr.

Taylor fuhr herum und blinzelte, um trotz des Staubs, der sich langsam senkte, etwas zu erkennen. Inmitten von all dem Schmutz und Staub stand ein Mann. Eine Hand hatte er auf die Hüfte gestützt, in der anderen hielt er einen riesigen Vorschlaghammer, dessen Stiel an seine Schulter gelehnt war.

Einen Moment lang war sie sprachlos, und das kam bei ihr nur sehr selten vor.

Als sich der Staub noch mehr senkte, erkannte Taylor in dem Mann Thomas Mackenzie, ihren Bauunternehmer. Den größten Teil ihrer bisherigen Abmachungen hatten sie per Telefon und E-Mail erledigt, aber ein paar Mal hatten sie sich auch getroffen. Da war er aber sauber und ordentlich angezogen gewesen. Im Moment war er keines von beidem.

Obwohl sie immerhin knapp einen Meter siebzig groß war, musste Taylor den Kopf in den Nacken legen, um dem mindestens zehn Zentimeter größeren Mackenzie ins Gesicht zu sehen. Beim letzten Treffen hatten sie beide am Tisch gesessen, und Taylor hatte ihn nicht als so groß, so muskulös, so beeindruckend in Erinnerung.

Im Moment zog er die Mundwinkel abfällig nach unten. Seine Augen hatten den goldbraunen Farbton von gutem alten Whiskey, und sein Blick wirkte verärgert. Sein Haar wies fast denselben Farbton auf wie seine Augen. Seine Stirn wurde teilweise von einem blauen Schweißband verdeckt. Der Mann machte einen sehr ernsten Eindruck und wirkte mit seinem wilden Äußeren mehr als nur ein bisschen gefährlich.

Bei diesem Gedanken lief Taylor ein Schauer über den Rücken, obwohl sie sich für dieses seltsame Prickeln fast schämte. Weshalb fiel ihr denn ausgerechnet jetzt ein, dass sie sich zwar für ein Leben als Single entschieden hatte, keineswegs aber für das einer Nonne? Sie mochte schöne Dinge und wusste alles zu schätzen, was eine schöne Form besaß. Dieser Mann war trotz seines mürrischen Blicks ein wahres Prachtexemplar, und bei seinem Anblick erwachten ihre Sehnsüchte und Begierden schlagartig zum Leben.

Andererseits stand sie gar nicht auf wilde Kerle, und ihr entging nicht, dass dieser Mann hier genau zu wissen schien, wie er sich zur Geltung bringen konnte. Taylor griff auf denselben Trick zurück, den sie anwandte, wenn sie auf Flohmärkten ein Möbelstück sah, von dem sie auf den ersten Blick begeistert war, das sie sich aber nicht leisten konnte.

Geh einfach weg, sagte sie sich. Langsam trat sie einen Schritt zurück und riskierte einen letzten Blick auf dieses Musterbeispiel männlicher Schönheit, wobei sie alle Einzelheiten registrierte.

Lange kräftige Beine in weicher abgetragener Jeans. Abgenutzte Arbeitsstiefel mit Profilsohle. Die muskulösen Arme und die breite Brust waren ihr schon aufgefallen. Das T-Shirt spannte sich wie eine zweite Haut über dem Oberkörper. Der Mann war groß und schlank, voller Energie und ungekünstelt. Genau solche Männer mochte sie, vorausgesetzt, sie legte es darauf an, einen kennenzulernen. Was momentan nicht der Fall war.

“Sie stehen mir immer noch im Weg”, stellte er fest.

“Ihnen auch einen guten Morgen, Mr. Mackenzie.”

Er stieß die Luft aus. “Mac.”

“Wie bitte?”

“Nennen Sie mich Mac. Der Name passt zu mir.”

“Wirklich? Zu Ihnen passt eher etwas wie Mr. Überheblich.”

Seine Lippen verzogen sich zum Anflug eines Lächelns. “Aber wenn man mich mit Mac anspricht, antworte ich eher.”

“Also gut. Mac.”

Reglos stand er da, als wartete er auf etwas. Und als er auffordernd die Augenbrauen hob, merkte Taylor, dass sie gehen sollte.

Schade, dachte sie, dass er mich nicht besser kennt. Sonst wüsste er, dass ich nur das tue, was mir passt, und mich nicht darum kümmere, was andere von mir erwarten. “Ich war nicht damit einverstanden, dass die Arbeiten heute schon beginnen”, erklärte sie.

“Aber Sie haben den Vertrag unterschrieben.”

Das hatte sie allerdings. Ihre geliebte Kommode hatte sie verkaufen müssen, um die erste Anzahlung leisten zu können, und es würden noch viele Zahlungen fällig werden. Aber die Arbeiten sollten erst morgen beginnen, und Taylor brauchte noch diesen einen Tag der Ruhe.

Anscheinend war Mac der Ansicht, es sei alles geklärt, denn er wandte sich ab und ging mit der Gelassenheit eines Mannes, der gelernt hat, geduldig zu sein, zurück an seine Arbeit. Erneut hob er den Vorschlaghammer und schlug damit gegen die Südwand. Seine Arme streckten und beugten sich, und die deutlich ausgeprägten Muskeln bewegten sich in perfektem Gleichklang. Taylor wurde in keiner Weise mehr beachtet, während Mac die Mauer bis auf die Stahlträger herausschlug.

Fassungslos sah sie zu und war gegen ihren Willen fasziniert von der körperlichen Gewalt, die Mac ausübte. Sein Körper kam ihr wie eine perfekte Maschine vor. “Äh … entschuldigen Sie.”

Der Vorschlaghammer hob und senkte sich vollkommen gleichmäßig. Was für eine Kraft mag dazu nötig sein, überlegte sie und betrachtete wie gebannt Macs Muskeln. Wieder überkam sie ein Schauer, und das lag mit Sicherheit nicht daran, dass es in dem Raum zu kühl war. Im Gegenteil. Der Mann schwitzte, und auch Taylor wurde es heiß.

Ganz offensichtlich war es zu lange her, seit sie in den Armen eines Mannes Erfüllung gefunden hatte. “Mac?”

Er blickte nicht einmal zu ihr hin, und das verunsicherte sie. Taylor hatte ihre Wirkung auf Männer schon früh erkannt, als ihr schlaksiger Teenagerkörper sich in etwas verwandelt hatte, wovon alle Männer träumten. Seit jener Zeit schaffte sie es spielend, dass jedes Wesen mit Bartwuchs sich nach ihr umdrehte.

Im Augenblick wurde sie allerdings vollkommen ignoriert. Verdammt!, dachte sie, als in diesem Moment auch noch ihr Handy klingelte. Sie hielt es sich ans Ohr und steckte sich einen Finger in das andere, weil Mac solchen Lärm machte.

“Hallo?”

“Ich habe schlechte Neuigkeiten”, verkündete Mrs. Cabot, die Besitzerin eines exklusiven Antiquitätengeschäfts am anderen Ende der Stadt.

“Schlechte Neuigkeiten?”, wiederholte Taylor überrascht.

Der Vorschlaghammer sank zu Boden, und Mac drehte sich um.

Taylor und er blickten sich in die Augen.

Es kam ganz unvermittelt, und Taylor empfand es wie eine Explosion im Kopf. Dieser Mann hatte so faszinierende Augen, dass sie zum ersten Mal im Leben bei einem Gespräch den Faden verlor. Sie biss sich auf die Unterlippe und suchte krampfhaft nach einer wenigstens halbwegs vernünftigen Erwiderung. Ihr Puls begann zu rasen, als Mac den Blick zu ihrem Mund wandern ließ.

Das bildest du dir alles ein!, sagte sie sich. Er fühlt sich nicht zu dir hingezogen und du dich nicht zu ihm. Das wäre vollkommen unpassend. Andererseits hatte sie sich nach ihrem entsetzlichen Verlust von damals zwar geschworen, ihr Herz nie wieder zu verschenken, aber Enthaltsamkeit musste damit ja nicht zwangsweise verbunden sein.

Nervös befeuchtete sie die Lippen mit der Zunge, als der Blick ihres Bauunternehmers noch tiefer glitt. Ganz unverhohlenes Verlangen sprach aus diesem Blick.

Oh Mann! Mühsam konzentrierte Taylor sich auf das Telefonat. “Was gibt’s denn?”

Mac stellte den Hammer hin.

Tat er das ihretwegen? Taylor konnte das kaum glauben. Das würde ja heißen, dass er zu so etwas wie Umsicht und Rücksichtnahme fähig war! Wahrscheinlich war er nur fertig mit seinem heutigen Arbeitspensum.

“Tut mir leid”, sagte Mrs. Cabot, “was den Kerzenleuchter aus dem neunzehnten Jahrhundert betrifft, so sind Sie überboten worden.”

Schlagartig vergaß Taylor Mac. Sie umklammerte den Hörer. “Was wollen Sie damit sagen? Hat noch jemand ein Angebot für den Kerzenleuchter abgegeben?”

“Sie wurden überboten von …”, Taylor hörte leises Rascheln am anderen Ende der Leitung, “… von einer Isabel W. Craftsman.”

Darauf hätte Taylor eigentlich selbst kommen können. Nur ein Mensch in der Stadt konnte den Wert des Leuchters genauso gut einschätzen wie sie selbst – ihre Mutter.

Taylor hatte es sich so sehr gewünscht, diesen Leuchter zu besitzen, aber das wusste ihre Mutter sicher auch. Ihre Mutter war hochgebildet, unglaublich gescheit, und ihr entging nichts. Mit dem Ergebnis, dass sie immer alles wusste. Das war auch schon früher so gewesen.

Nur eines wusste sie nicht: Was eine gute Mutter ausmachte. In dieser Rolle hatte sie schmählich versagt.

Nach dem College war Taylor zu Hause ausgezogen und hatte beschlossen, damit einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit zu ziehen und sich wie eine Erwachsene zu verhalten. Und deshalb hatte sie mit ihrer Mutter gesprochen. Sie hatte ihr sagen wollen, sie verziehe ihr all die vergessenen Geburtstage und die mangelnde Herzlichkeit. Was genau sie sich genau von dieser Erklärung erhofft hatte, wusste Taylor nicht, aber sie hatte bestimmt nicht damit gerechnet, vom Klingeln des Handys ihrer Mutter unterbrochen zu werden. Ihre Mutter hatte eine Hand gehoben, damit Taylor wartete, während sie den Anruf entgegennahm. Es drehte sich um irgendetwas Berufliches, und nach dem Gespräch hatte ihre Mutter ihr einen Kuss auf die Wange gegeben und war einfach gegangen. Dass ihre Tochter ihr gerade etwas Wichtiges hatte sagen wollen, hatte sie vollkommen vergessen.

Schließlich hatte Taylor nur mit den Schultern gezuckt und war auch gegangen. Sie hatte es überlebt und sich damit abgefunden, dass nicht jede Mutter warmherzig und gefühlvoll war.

Vor ein paar Jahren hatte Isabel dann das Undenkbare getan und wieder geheiratet. Ihrem neuen Ehemann zuliebe hatte sie alles andere aufgegeben. Dr. Edward Craftsman war ein kaltherziger Gehirnchirurg und genauso ehrgeizig wie sie selbst. Taylor war zur Hochzeit eingeladen gewesen und hätte nicht glauben können, was sie dort erlebte, hätte sie es nicht mit eigenen Augen gesehen.

Ihre Mutter lebte förmlich für diesen Mann und wich ihm nicht von der Seite. Isabel, die ihre Töchter nie umarmte, küsste und herzte ihren Edward, als gäbe es nichts Schöneres für sie.

Allein der Gedanke daran tat weh. Und genauso schmerzte die Vorstellung, dass ihre Mutter ihr den Kerzenleuchter weggeschnappt hatte. “Ich danke Ihnen.” Taylor unterbrach die Leitung und steckte das Handy wieder weg. Verdammt! Diesen Leuchter hatte sie sich so sehr gewünscht! Natürlich musste so etwas passieren, wenn sie ihr Herz an etwas hängte. Hatte sie nicht längst gelernt, dass es ihr nur Schmerzen brachte, wenn sie sich nach etwas sehnte?

Sie hatte schließlich andere Sorgen. Zum Beispiel war da ein Haus, was sie instand setzen lassen musste. Und Mac rief ihr Dinge ins Gedächtnis, an die sie sich lieber nicht erinnern wollte.

Er hatte den Vorschlaghammer beiseitegelegt, doch er war nicht untätig. Er schaufelte Schutt in eine Schubkarre und wirkte dabei genauso entschlossen wie beim Einreißen der Wand.

Taylor runzelte die Stirn und stemmte ungeduldig die Hände in die Seiten. “Wir haben immer noch nicht geklärt, weswegen Sie einen Tag zu früh anfangen.”

Er schaufelte weiter, bis die Schubkarre unter ihrer Last fast zusammenbrach. Langsam richtete er sich auf, und Taylor konnte nicht die kleinste Spur von sexuellem Interesse in seinem Blick erkennen. Hatte sie sich das Knistern zwischen ihnen etwa nur eingebildet?

“Ich dachte mir, ein Tag früher dürfte für Sie kein Problem sein.” Er warf die Schaufel zur Seite und packte die Griffe der Schubkarre. Die Muskeln an seinen Oberarmen spannten sich an.

Mühsam riss Taylor den Blick von ihm los. “Ich brauche diesen letzten Tag, bevor in den nächsten drei Monaten hier nur noch Lärm und Chaos herrschen. Diesen Ruhetag haben Sie mir verdorben.”

Mit dem Unterarm wischte er sich über die Stirn. Taylor erkannte, dass er erschöpft, verschwitzt und schlecht gelaunt war. “Ich glaube eher, dass dieser Anruf Ihnen den Tag verdorben hat.”

Trotz ihrer Verärgerung empfand sie immer noch dieses erotische Prickeln. “Mir wäre es wirklich sehr lieb, wenn Sie jetzt gehen und erst morgen wieder kommen würden.”

“Das ist ein Scherz, oder?”, entgegnete Mac.

“Nein.”

“Ihre Ruhe ist Ihnen wichtiger als der Beginn der Renovierungsarbeiten, die Sie selbst in Auftrag gegeben haben?”

“Allerdings.”

“Na schön.” Er ließ die Schubkarre stehen und stützte die Hände in die Seiten. “Wie Sie wollen, Prinzessin. Dann eben morgen, aber treiben Sie dieses Spielchen nicht noch einmal mit mir. Ich werde diesen Job nicht weiter aufschieben, egal in welcher Laune Sie gerade sind.”

Hatte er sie wirklich gerade Prinzessin genannt? Der Kerl konnte was erleben! Taylor riss sich den Strohhut vom Kopf, für den sie seinerzeit ein hübsches Bündel Scheine hingeblättert hatte. Diesen Mann ging es nichts an, dass sie ihre helle Haut vor der Sonne schützen musste. Auch wenn er sie vermutlich wegen dieses Huts für zimperlich hielt. “Morgen ist mir sehr recht”, stieß sie hervor.

Mac reckte sich, und das T-Shirt spannte sich über seiner Brust. Taylor sah lieber nicht genauer hin, um nicht abgelenkt zu werden. Dann rieb er sich die Augen. “Gut, ich verschwinde. Aber wenn Sie ohnehin schon vor Wut kochen, dann könnten Sie uns beiden doch einen Gefallen tun.” Er hob den Vorschlaghammer hoch und hielt ihn Taylor hin. “Schlagen Sie den alten Putz von den Wänden. Betrachten Sie es als eine Art Therapie.”

Taylor blickte auf den schweren Hammer. Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals in ihrem Leben auch nur einen Schraubenzieher benutzt zu haben. Das lag zwar in erster Linie an ihrer vornehmen Familie, doch sie lebte jetzt schon so lange allein, dass sie sich den Umgang mit Werkzeugen längst hätte beibringen können.

Es wäre bestimmt eine Genugtuung, jetzt den Hammer zu schwingen und diesen Mann dadurch zu verblüffen. Liebend gern würde sie sehen, wie ihm das überhebliche Grinsen verging.

Einladend wedelte er mit dem Vorschlaghammer.

Seltsam, dachte Taylor. Es juckt mir in den Fingern, dieses Werkzeug zu halten, mit aller Kraft zu schwingen und gegen die Wand krachen zu lassen, mag es auch noch so roh und gewalttätig sein.

“Sie wollen es doch”, forderte Mac sie mit leiser tiefer Stimme auf. “Fassen Sie ihn an.”

Taylor hob die Augenbrauen und blickte den Mann mit aufreizendem Augenaufschlag an. “Haben die alle dieselbe Größe?”

Sofort blitzte es in seinen Augen auf, und Taylor erkannte, dass sie sich die erotische Spannung vorhin nicht bloß eingebildet hatte. “Ich dachte, die Größe spielt keine Rolle?”

Sie hob eine Schulter. “Das ist nur so eine Geschichte, die eine Frau in die Welt gesetzt hat, um ihren armen Ehemann zu trösten, der … nicht richtig ausgestattet war.”

“So, so.” Wieder hob Mac den Vorschlaghammer, und jetzt lächelte er belustigt. “Auf die richtige Ausstattung kommt es also an, ja?”

Autor

Jill Shalvis
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