Lass die Finger von Quinn

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Molly fasst es nicht! Erst küsst der charmante Rechtsanwalt Quinn Spencer sie heiß, dann kommt er zu ihrer Party mit der sexy Clarisse. Obwohl ihr fast das Herz bricht, beschließt sie, Quinn zu vergessen ...


  • Erscheinungstag 22.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777289
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Völlig außer Atem lief Molly Blake über den Marktplatz des Städtchens Tyler.

Du machst dich lächerlich, fuhr es ihr durch den Sinn, trotzdem rannte sie weiter. Neben dem Messingschild der Anwaltskanzlei „Trask & Spencer“ lehnte sie sich kurz an die Hauswand und holte zitternd Luft. Dann stieß sie die Tür auf und betrat das Büro. Die Heizung lief auf vollen Touren, und Molly brach der Schweiß aus. Da es Anfang Dezember war und ziemlich kalt in Wisconsin, war sie entsprechend warm gekleidet: mit einer Wollmütze über ihrer dicken Haarmähne, einem marineblauen Anorak, Handschuhen und Stiefeln.

„Was kann ich für Sie tun?“ fragte die Empfangsdame mit verbindlichem Lächeln.

„Ich muss sofort Mrs. Trask sprechen. Es ist sehr dringend!“

Die Sekretärin schien nicht gewillt, ihre gewohnte Routine zu durchbrechen. „Sind Sie eine Klientin von Mrs. Trask?“

Molly kochte innerlich, aber die Frau konnte schließlich auch nichts dafür, dass sie es so eilig hatte. Nachdem sie ihre kleine Tochter im Kindergarten abgesetzt und ein paar Besorgungen gemacht hatte, wollte Molly so schnell wie möglich nach Hause, um die Holztische, die sie für den Frühstücksraum ihrer geplanten Pension erstanden hatte, fertig zu restaurieren.

„Ja!“ erwiderte sie und versuchte ruhig durchzuatmen.

„Ihren Namen bitte und den Grund Ihres Besuchs“, fuhr die Sekretärin ungerührt fort.

„Molly Blake. Und den Grund meines Besuchs werde ich Mrs. Trask selbst erklären. Sagen Sie ihr bitte, dass ich hier bin.“

„Das geht nicht, Mrs. Blake.“

„Warum nicht?“

„Weil sie nicht da ist.“

„Was?“ rief Molly völlig außer sich. Wenn sie nicht sofort Hilfe bekam, konnte sie für nichts garantieren.

Gerade als die Sekretärin zu einer abweisenden Bemerkung ansetzte, öffnete sich die Tür links vom Empfang, und ein gut aussehender Mann trat heraus.

„Gibt’s Probleme, Mrs. Allen?“

Molly hatte ihn schon ein paar Mal gesehen und etliches über ihn gehört, zum Beispiel, dass er keine Kinder mochte. Nein, mit Quinn Spencer, dem Partner von Amanda Trask, wollte sie nichts zu tun haben. Er würde sie sowieso nicht verstehen.

„Ja, Sir“, sagte die Sekretärin. „Die Dame hier scheint etwas überhitzt.“

„Eine beachtliche Leistung bei diesem Wetter“, bemerkte der Anwalt gedehnt.

Molly hätte ihn umbringen können. Der Typ hatte gut reden! Reiche Familie, sicherer Job, ein Leben im Jetset. Sie holte tief Luft und wandte sich demonstrativ wieder an Mrs. Allen. „Wann kommt Mrs. Trask zurück?“

Das hatte sie doch wirklich in ruhigem Ton hervorgebracht, warum zögerte die Sekretärin dann noch? Erst als der Anwalt ihr zunickte, schlug diese ihren Terminkalender auf. „Am 11. Januar hätte ich noch einen Termin.“ Sie blickte Molly über den Rand ihrer Brille kühl an. „Soll ich Sie eintragen?“

„Nein!“ entfuhr es Molly entsetzt. Das war doch viel zu spät! „Ich kann nicht warten.“ Fast flehentlich fügte sie hinzu: „Bitte, könnten Sie nicht mit Amanda sprechen, ich bin sicher …“

„Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind“, murmelte Quinn Spencer.

Molly fuhr herum und starrte ihn an. Wie konnte er eine so nebensächliche Bemerkung machen, wo für sie derart viel auf dem Spiel stand? Sie versuchte noch einmal, den Drachen hinter dem Schreibtisch umzustimmen. „Bitte …“

„Ich bin der Partner von Mrs. Trask. Sind Sie eine Klientin von Amanda?“ fragte Quinn.

„Ja“, erwiderte Molly ungehalten.

Er wandte sich an die Sekretärin. „Mrs. Allen, bringen Sie bitte Mrs. Blakes Akte in mein Büro. Vielleicht kann ich ihr helfen, da sie es anscheinend so eilig hat.“

Molly blieb keine andere Wahl, auch wenn sie diesen Mann überhaupt nicht mochte. Immerhin hieß es, er sei ein brillanter Anwalt.

„Danke“, sagte sie leise. Er hielt ihr galant die Tür auf, und sie betrat eilig sein Büro.

Als Quinn die Tür hinter ihr schloss, kamen ihm erste Zweifel, ob es eine gute Idee war, sich um diesen Fall zu kümmern. Die Frau schien ziemlich hysterisch zu sein.

Molly blieb in angespannter Haltung stehen.

„Bitte setzen Sie sich doch, Mrs. Blake. Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen? Es ist ziemlich warm hier.“ Höflich konnte er ja wenigstens sein.

„Sie scheinen nicht zu verstehen!“ Molly rang die Hände und begann ungeduldig in dem großen, geschmackvoll eingerichteten Raum auf und ab zu gehen. Sie hatte eine finstere Miene aufgesetzt, aber die wunderschönen blonden Haare und ihre strahlend blauen Augen wollten nicht so recht dazu passen.

„Nein, aber wenn Sie aufhören, wie wild hin und her zu laufen, und mir die Sache erklären, werde ich es bestimmt verstehen.“

„Ich werde alles verlieren! Ich kann nicht … ich habe alles genau durchkalkuliert! Es ist … es geht nicht! Ich werde dieser Frau nicht …“

Wie oft hatte Quinn solche Ausbrüche bei seinen Klienten erlebt!

„Sie haben also finanzielle Probleme?“ So viel zumindest hatte er aus ihrem Gestammel herausgehört.

„Nein!“ rief sie und wirbelte herum. „Mein Problem ist diese verdammte Ursula Wilson!“ Sie biss sich auf die Lippen und blickte ihn schuldbewusst an.

Quinn wünschte, er hätte nicht auf ihren wunderschönen Mund geschaut. Er riss sich zusammen. „Was ist passiert?“

„Ich hätte das nicht sagen sollen.“

Er blinzelte verständnislos. „Sie meinen, es stimmt nicht? Mrs. Wilson ist nicht …“

„Doch, es stimmt. Sie will sich an mir rächen wegen … Egal, ich hätte nicht so über sie reden sollen.“

Fast hätte er lauthals losgelacht. Obwohl sie so außer sich war, hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie „verdammt“ gesagt hatte? Nicht zu fassen!

Er hielt sich die Hand vor den Mund und hüstelte. „Warum setzen Sie sich nicht und erzählen mir alles über Mrs. Wilson? Ich kenne sie flüchtig, und außerdem bin ich auf Kommunalrecht spezialisiert.“ Er schmunzelte in sich hinein. Auf Kommunalrecht, ja, aber auch auf Landesrecht und nationales und internationales Recht.

Er hatte wohl den richtigen Ton getroffen, denn sie ließ sich in einen der bequemen Ledersessel fallen und fing an zu reden.

„Mrs. Wilson versucht zu verhindern, dass ich einen Gewerbeschein bekomme. Außerdem hat sie sich beim Bauaufsichtsamt beschwert. Dabei habe ich alle Auflagen genau erfüllt. Ich habe schon mit der Industrie- und Handelskammer gesprochen und auch mit Joe und Susannah Santori und den Kelseys. Ich habe alles getan, was ich konnte, aber sie …“

„Moment!“ Quinn hob die Hand. „Erst mal sehen, ob ich so weit alles verstanden habe. Um welche Art von Geschäft handelt es sich überhaupt?“

Bed and Breakfast. In der Ivy Lane.“ Ein leiser Anflug von Stolz lag in ihrer Stimme.

Jetzt sah er schon etwas klarer. Ursula Wilson wohnte in der Ivy Lane. Sie war also eine Nachbarin. Joe und Susannah Santori führten die einzige Pension in der Stadt, waren also Mrs. Blakes Konkurrenten. Ebenso wie die Kelseys, die ein kleines Hotel besaßen.

„Hat Mrs. Wilson bereits rechtliche Schritte unternommen?“

Er sah das Zögern in ihren großen blauen Augen. „Ich … ich bin nicht sicher. Lydia hat gesagt …“

„Lydia?“

„Lydia Perry. Sie hat gesagt, Mrs. Wilson sammelt Unterschriften, um die Nutzungsänderung für mein Haus zu verhindern.“

Er machte sich Notizen. Lydia Perry gehörte zu einem Kreis von netten älteren Damen, die sich die Herstellung prachtvoller Patchwork-Decken zur Berufung gemacht hatten. „Wann hat sie Ihnen das erzählt?“

„Heute Morgen! Ich habe sie im Lebensmittelgeschäft getroffen. Sie hat gesagt, sie hätte mich deswegen schon anrufen wollen. Ich habe versucht, ruhig zu bleiben, aber plötzlich fing mein Herz wie wild zu klopfen an, und dann habe ich sie einfach stehen lassen und … und bin hierher gerast. Verstehen Sie, ich muss unbedingt … Es muss klappen. Ich verfüge über ein finanzielles Polster, das ein Jahr lang ausreichen müsste. Ich habe das Haus renoviert und Möbel gekauft. Ich habe sogar ein paar Patchwork-Decken bestellt, damit ich … Egal, nicht so wichtig. Jedenfalls muss es klappen! Ich werde nicht zulassen, dass diese Frau alles zerstört, wofür ich gearbeitet habe, nur weil sie eifersüchtig ist!“

„Ganz ruhig“, sagte Quinn in seinem sanftesten, charmantesten Ton. Aber diesmal bewirkte er damit genau das Gegenteil. Molly sprang auf und beugte sich erbost über seinen Schreibtisch. „Haben Sie mir eigentlich zugehört? Wenn ich ruhig bleibe, bringt mich das kein bisschen weiter. Ich muss etwas tun! Und ich möchte wissen, was ich tun soll … ach, ich werde Amanda fragen!“ Sie wandte sich Richtung Tür.

„Sie ist weggefahren und kommt erst nächste Woche zurück. Und da Ihre Angelegenheit so dringend ist, möchte ich Ihnen helfen. Also nehmen Sie sich bitte noch eine halbe Stunde Zeit, damit wir zusammen überlegen können, wie wir vorgehen.“

Sie hasste ihn.

Diese Gelassenheit, diese Vernunft! Einfach unerträglich! Molly kam sich vor wie ein hysterisches Weib. Aber dieser Quinn Spencer hatte ja keine Ahnung, wie schwer die beiden letzten Jahre für sie gewesen waren. Wie ihr der Plan zur Eröffnung einer Frühstückspension neuen Auftrieb gegeben hatte. Und er hatte keine Ahnung von Sara, ihrer süßen kleinen Tochter, für die sie jetzt ganz allein verantwortlich war.

Molly holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Mr. Spencer hatte ihr bis jetzt zumindest zugehört. Und falls sie alles verlieren sollte – sie schluckte –, dann würde sich schon ein Weg finden. Dann würde sie eben nach Chicago zurückgehen und einen Job suchen. Sie und Sara würden schon irgendwie überleben.

Sie setzte sich wieder und sah ihn ruhig an. „Bitte entschuldigen Sie, dass ich so aufgebracht war, Mr. Spencer. Sie haben natürlich Recht.“

Er lächelte sie gewinnend an, und sie hätte ihn dafür am liebsten geohrfeigt. Dieses Lächeln kannte sie nur zu gut von Christopher. Allerdings hatte der es vor allem bei anderen Frauen ausprobiert.

„Danke, Mrs. Blake.“

„Glauben Sie, dass Sie mir helfen können?“

„Selbstverständlich, dafür sind wir ja da. Wenn Sie, wie Sie sagen, alles Nötige getan haben, dann hat Mrs. Wilson nichts gegen Sie in der Hand. Ich muss Ihnen nur noch ein paar Fragen stellen.“

„Ja?“ Sie versuchte zu lächeln. Das würde einen besseren Eindruck machen.

„Sie könnten mir erklären, warum Sie von Rache gesprochen haben.“

Sie schloss die Augen und versuchte, ein hysterisches Lachen zu unterdrücken. „Ich hoffe, Sie nehmen meinen Gefühlsausbruch von vorhin nicht allzu ernst. Ich bin sicher, Mrs. Wilson hat andere Gründe …“

„Mrs. Blake, ich weiß, dass Ihre Gefühle nichts mit Tatsachen zu tun haben. Aber es ist meine Aufgabe zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Also lassen Sie mich bitte an Ihren Vermutungen teilhaben.“

Sie wandte verlegen den Blick ab und räusperte sich. „Mein Mann Christopher ist … war aus Tyler.“

„Sie sind Christopher Blakes Frau?“ fragte Quinn überrascht.

Das klang so gar nicht geschäftsmäßig. Molly wappnete sich innerlich. „Seine Witwe. Haben Sie meinen Mann gekannt?“

Diese Frage war überflüssig. Molly erinnerte sich jetzt, dass Christopher gelegentlich von Quinn Spencer gesprochen hatte, meist in bitterem Ton, weil Quinn im Gegensatz zu ihm ziemlich wohlhabend war. Das machte es Christopher so viel einfacher, sein Playboy-Dasein zu rechtfertigen.

„Natürlich kannte ich ihn“, erwiderte Quinn betroffen. „Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Ich wusste gar nicht, dass er gestorben ist. Wann …“

„Vor zwei Jahren.“

Als sie nichts hinzufügte, fragte er: „Und was hat das mit Mrs. Wilson zu tun?“

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. „Sie hasst mich, weil sie ihre Tochter – Layla, Linda, Lannie, irgend so ein Name mit L – mit ihm verheiraten wollte.“

Er hielt sich wieder die Hand vor den Mund und hüstelte. „Ich glaube, sie heißt Lila.“

„Wie auch immer. Ihre Tochter hat anscheinend jemand anderen geheiratet, obwohl sie in Christopher verliebt war. Und Mrs. Wilson denkt, ich hätte ihn Lila weggeschnappt.“

„Ich verstehe.“ Er nickte sehr anwaltsmäßig und stützte das Kinn auf die Hände.

Sehr schöne Hände. Groß, kräftig, gepflegt. Molly riss sich von dem Anblick los – und sah geradewegs in seine haselnussbraunen Augen. Oder waren sie grün?

Was war los mit ihr? Was hatte die Farbe seiner Augen mit ihrem Anliegen zu tun?

„Haben Sie noch weitere Fragen?“

Er stand auf und lächelte sie höflich an. „Nein, im Augenblick nicht. Ich werde mir Ihre Akte noch mal ansehen und dann prüfen, ob Mrs. Wilson schon offiziell Einspruch erhoben hat.“

Sie holte tief Luft und stand ebenfalls auf. „Gut.“ Als sie ihm die Hand entgegenstreckte, registrierte sie peinlich berührt, dass ihre Finger voller Flecken waren. „Oh!“ Rasch zog sie die Hand zurück. „Tut mir Leid. Ich bin dabei, einige Möbel zu restaurieren, und …“

„Das macht doch nichts“, versetzte er beschwichtigend.

Doch Molly war alles andere als beschwichtigt. Was musste er nur für einen Eindruck von ihr haben?

„Tut mir Leid. Ich weiß, ich sehe furchtbar aus, aber ich lasiere gerade einen Tisch …“

„Ja, das erwähnten Sie, glaube ich, bereits. Machen Sie sich keine Gedanken, Mrs. Blake. Wir sind nicht in New York. Hier gibt es keine Kleiderordnung für Klienten.“

Diese Bemerkung war sicher gut gemeint. Warum hätte Molly dann am liebsten laut aufgeschrien? Vielleicht, weil er in einem Nadelstreifenanzug vor ihr stand, der vermutlich so viel gekostet hatte, wie ihr Haushaltsgeld für ein halbes Jahr betrug? Oder wegen der sonnengebleichten Strähnen im modisch geschnittenen braunen Haar, die bestimmt von seinem letzten Karibik-Urlaub stammten?

Sie zog ihre Jacke an, steckte die Hände in die Taschen und sagte zu dem Mann mit der tadellosen Kleidung und den tadellosen Manieren: „Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, Mr. Spencer. Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören. Was die Rechnung betrifft, Ihre Sekretärin hat meine Adresse.“

Kein schlechter Abgang, fand sie. Bis sie kurz vor der Tür gegen einen Tisch mit einer teuren Vase darauf stieß.

Sie konnte die Vase gerade noch retten. Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte Molly sich noch einmal um, bevor sie machte, dass sie wegkam.

2. KAPITEL

„Guten Tag, meine Damen.“ Quinn hatte sein liebenswürdigstes Lächeln aufgesetzt. „Haben Sie es auch warm genug?“

Die Damen lächelten zurück, und eine nach der andern hob ihm die Wange entgegen. Er küsste sie, und sie tätschelten seinen Arm.

Quinn war ein gern gesehener Gast in „Worthington House“. Normalerweise hielten die meisten Leute ihn für einen Playboy. Doch für die alten Damen, die in dem sonnendurchfluteten Zimmer saßen und in die kalte Welt hinausblickten, war er einfach nur ein netter junger Mann.

Vielleicht, so musste er sich eingestehen, waren sie für ihn so etwas wie Ersatzmütter, denn seine eigene Mutter hatte ihn im Stich gelassen, als er erst sieben gewesen war. Sechs Monate zuvor waren sie nach Tyler gezogen. Sein Vater Elias hatte seinen aufreibenden Börsenjob in New York aufgegeben, um ein ruhigeres Leben in der Kleinstadt zu führen. Er hatte gehofft, dass seine nervöse Frau sich erholen würde, sobald sie aus dem New Yorker Trubel herauskäme. Aber Violet hielt es auf dem Land nicht aus. Sie verließ ihren Mann und ihre drei Söhne und kehrte zurück nach New York zu ihrem Liebhaber.

„Wir hatten heute gar nicht mit dir gerechnet, mein Lieber“, sagte Martha Bauer und holte Quinn in die Gegenwart zurück. Sie tippte auf den Stuhl neben sich. „Setz dich zu mir.“

„Nur, wenn Sie mir etwas von Ihren Pralinen abgeben“, neckte er sie. Martha hatte eine Schwäche für Süßes, und er sorgte dafür, dass ihr Vorrat nie ausging.

Tillie Phelps nickte. „Heute gibt es sogar Plätzchen. Bea hat welche gebacken.“

Bea Ferguson war mit siebenundsechzig eine der Jüngeren der Runde. Errötend schob sie Quinn einen Teller hin.

„Die sehen ja köstlich aus, Bea.“ Er langte herzhaft zu.

Während er genüsslich ein Plätzchen nach dem andern verzehrte, beobachtete er, wie die Damen mit winzigen Stichen bunte Flicken auf der Decke befestigten, die sie gerade in Arbeit hatten. Die Patchwork-Decken wurden entweder direkt an wohltätige Einrichtungen verschenkt oder aber verkauft, um mit dem Erlös der Gemeinde zu helfen. Der Handarbeitszirkel war mittlerweile über die Grenzen von Tyler hinaus berühmt für seine Kunstfertigkeit.

„Wo geht denn diese hin?“ fragte Quinn, während er darüber nachdachte, wie er am geschicktesten auf den Grund seines Besuchs zu sprechen kam.

Merry Linton strich zärtlich über die Decke. „Sie ist wundervoll, nicht wahr? Wir nennen sie Junggesellen-Puzzle.“

Bea beantwortete seine Frage. „Die hübsche junge Frau von der neuen Frühstückspension hat ihn bestellt.“

Fast hätte er sich an einem Krümel verschluckt. Er räusperte sich. „Sie meinen Molly Blake?“

Tillie und Martha wechselten einen Blick, den er nicht so recht zu deuten wusste.

Martha lächelte. „Ja, wieso? Kennst du sie? Sie ist wunderbar, findest du nicht?“

Quinn runzelte die Stirn. Er hatte Molly durchaus attraktiv gefunden, aber das Wort wunderbar passte nicht so recht zu der aufgebrachten Frau, die heute Morgen in sein Büro geplatzt war. Er schüttelte den Kopf.

„Hast du sie noch nicht kennen gelernt?“ fragte Tillie, die sein Kopfschütteln offenbar falsch interpretierte.

„Doch, heute Morgen. Und wie gefällt Ihnen die Idee mit dem Bed and Breakfast?“

„Oh, sehr gut“, seufzte Emma Finklebaum verträumt. „Eine romantische kleine Pension. Und in jedem Zimmer als besondere Attraktion eine unserer Decken.“

„Aha“, sagte er. „Sie freuen sich schon darauf, viel Geld zu verdienen!“

Ein verhaltenes Kichern ging durch die Runde.

„Nicht nur“, sagte Martha. „Es ist auch, weil sie so nett ist … und die beste Mutter der Welt.“

„Mutter?“ Davon war heute Morgen keine Rede gewesen.

„Ja, sicher“, sagte Merry. „Die kleine Sara ist so süß. Molly bringt sie manchmal mit.“

„Sara ist ganz wild auf meine Bonbons“, schwärmte Martha.

Quinn lächelte. Er würde ihr nicht verraten, dass alle Kinder ganz wild auf Bonbons waren.

„Warum ist sie zu dir gekommen? Hat sie Schwierigkeiten?“ wollte Tillie mit einem Anflug von Besorgnis wissen.

Er hob die Hand. „Berufsgeheimnis.“ Aber insgeheim wartete er darauf, mehr zu erfahren, und er wurde nicht enttäuscht.

„Ursula!“ rief Bea empört aus.

„Ich weiß nicht, warum sie nicht endlich Ruhe gibt“, seufzte die gutmütige Merry.

„Worum geht es denn?“ warf Emma irritiert ein.

Quinn formulierte seine Frage vorsichtig. „Ist eine von Ihnen schon gebeten worden, ein Gesuch zu unterschreiben?“

„Natürlich!“ Martha schnaubte verächtlich. „Diese Person glaubt, wir würden ihr helfen, Mollys Pläne zu durchkreuzen. Wie kämen wir dazu!“

„Warum will Ursula die Eröffnung der Pension verhindern?“ fragte er.

Tillie beugte sich zu ihm. „Sie sagt, dass so ein Geschäft die Ruhe und den Frieden der Ivy Lane stört.“

„Aber Sie glauben das nicht, oder?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Bea ungewöhnlich lebhaft. „In Wirklichkeit will sie sich rächen, weil sie denkt, Molly hätte ihrer Lila Christopher weggeschnappt.“

„Als ob er ein Traummann gewesen wäre“, spöttelte Emma.

„War er das denn nicht?“ fragte Quinn.

Die Frauen wechselten viel sagende Blicke. Schließlich antwortete Martha. „Nein, Quinn, das war er nicht. Er war egoistisch und selbstgefällig. Und ein Playboy!“ Sie legte ihre ganze Verachtung in die letzten Worte.

Quinn räusperte sich. „Angeblich bin ich ja auch einer.“

Martha beugte sich zu ihm und tätschelte ihm die Wange. „Aber wir wissen es besser.“

Er schüttelte lächelnd den Kopf. Deshalb mochte er die alten Damen so gern. Sie sahen ihn mit den liebenden Augen einer Mutter.

„Glaubt ihr, die Nachbarn werden sich Ursula anschließen?“ fragte er.

Alle verneinten. Und Emma fügte hinzu: „Ursula langweilt sich einfach.“

Quinn lächelte über diese Bemerkung der achtzigjährigen Emma. „Wahrscheinlich haben Sie Recht. Ich werde mal überlegen, was ich dagegen unternehmen kann.“

Während die Damen ihm begeistert zustimmten, war er schon halb an der Tür. Er versprach, bald wieder hereinzuschauen.

Auf dem Weg ins Büro dachte er darüber nach, was er inzwischen herausgefunden hatte. Im Rathaus hatte man ihm bestätigt, dass Ursula Wilson fest entschlossen war, Einspruch zu erheben. Sie musste dafür innerhalb einer Woche hundert Unterschriften beibringen.

Seiner Ansicht nach war das Ganze ein Sturm im Wasserglas, aber er wollte nichts außer Acht lassen. Molly Blake hatte ihre Sache mit solcher Leidenschaft vorgetragen, dass er sehr beeindruckt gewesen war. Eine bemerkenswerte Frau! Sie sah zwar etwas mitgenommen aus, aber er hatte Hochachtung vor ihrer Tatkraft. Nur schade, dass sie eine Tochter hatte.

Molly starrte ihr Spiegelbild an. Unglaublich, diese Veränderung!

Nach dem Gespräch mit Quinn Spencer hatte sie zufällig in eine Schaufensterscheibe geblickt und war über ihr nachlässiges Aussehen erschrocken. Die ganze Zeit schon hatte sie sich vorgenommen, mehr aus sich zu machen. Das wäre sehr wichtig für ihr Geschäft. Aber sie hatte es auf später verschoben. Es gab wichtigere Dinge.

Bis sie sich dann plötzlich mit Quinn Spencers Augen gesehen hatte. Kurz entschlossen war sie in den Schönheitssalon an der nächsten Ecke gegangen. Der Tisch zu Hause musste eben warten.

Jetzt stand sie vor dem Spiegel in der Umkleidekabine des örtlichen Kaufhauses und konnte es nicht fassen. Ihr Haar lag kurz und fedrig um den Kopf, und sie sah viel jünger aus. Das Make-up tat ein Übriges. Sie schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie Quinn Spencer sie überrascht anstarrte. Plötzlich musste sie lachen. Was für eine Idee!

Die Verkäuferin fragte verwirrt: „Stimmt etwas nicht?“

„Doch, doch, Mrs. Bell. Sie haben mir sehr geholfen. Diese Sachen sind genau das, was ich gesucht habe. Ich nehme alles und auch noch die andere Hose hier. Und den blauen Pullover.“

Die Verkäuferin strahlte sie an. „Sie haben wirklich einen guten Geschmack.“

Quinn Spencer wäre da vermutlich anderer Meinung, aber das nächste Mal, wenn sie ihn traf, würde sie wenigstens nicht wie Aschenputtel aussehen.

Nachdem Molly bezahlt hatte und mit ihren Einkaufstaschen beladen nach draußen trat, stellte sie fest, dass sie noch eine Stunde Zeit hatte, bis sie Sara abholen musste. Statt also nach Hause zu fahren, ging sie kurz entschlossen in Richtung „Wor-thington House“.

Das Damenkränzchen war für Molly eine Art Refugium geworden. Da sie selbst keine Familie hatte, tat ihr die Wärme der alten Damen unglaublich gut. Besonders jetzt, wo Ursula Wilson ihr so viel Ärger machte.

„Hallo, meine Lieben“, rief sie, als sie eintrat.

„Molly!“ riefen die Damen und lächelten sie an.

„Du siehst aber hübsch aus!“ rief Martha. Und Merry strahlte: „So jung und schick.“

Molly lächelte. „Na ja, zumindest besser als vorher. Ich war so mit dem Haus beschäftigt, dass ich mein Aussehen ziemlich vernachlässigt habe.“

Emma fragte: „Und was hat dich dazu gebracht, das zu ändern?“

Molly merkte, wie sie rot wurde. „Hm, ich dachte, wo Ursula jetzt versucht, mit allen Mitteln meine Inkompetenz zu beweisen, könnte es nicht schaden, etwas professioneller auszusehen“, erwiderte sie nicht ganz wahrheitsgemäß.

Tillie tätschelte ihr die Hand. „Gute Idee. Du siehst wirklich fabelhaft aus!“

Die andern nickten eifrig. „Bestimmt gefällt das auch den Männern“, sagte Bea.

Molly wurde noch verlegener. „Ach, wissen Sie, dafür habe ich im Moment überhaupt keine Zeit.“

Glücklicherweise kam gerade Lydia Perry dazu und zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. „Molly, meine Liebe“, sagte sie. „Tut mir Leid, dass ich dich heute Morgen so durcheinander gebracht habe.“

„Aber nein, Lydia, Sie können doch nichts dafür“, beeilte Molly sich zu widersprechen. „Ich hätte mich nicht so aufregen sollen, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass Mrs. Wilson schon so weit gegangen war.“

„Hast du mit Amanda Trask gesprochen?“ fragte Lydia.

Alle warteten gespannt auf ihre Antwort, und Molly fühlte sich ziemlich unbehaglich. „Amanda ist verreist, aber ich habe mit ihrem Partner gesprochen. Er wird sich um die Sache kümmern.“

Die Damen wechselten viel sagende Blicke.

Bea nickte. „Du kannst ihm vertrauen. Er ist ein furchtbar netter Junge.“

„Und so klug“, versicherte Martha.

„Er ist ein ganz Lieber“, fügte Merry versonnen lächelnd hinzu.

„Ja, alle mögen ihn“, bekräftigte Tillie.

„Er wird sich um dich kümmern, mach dir keine Sorgen.“ Martha lächelte ihr aufmunternd zu.

Der Gedanke, dass Quinn Spencer sich um sie kümmerte, berührte Molly seltsam. „Nur so lange, bis Amanda nächste Woche zurückkommt“, erwiderte sie leichthin und wunderte sich, warum sie bei dem Gedanken fast so etwas wie ein Gefühl der Enttäuschung empfand.

Am nächsten Morgen verließ Quinn mit zufriedenem Lächeln das Rathaus. Der Bürgermeister hatte ihm versichert, dass der Stadtrat sich einstimmig für Mollys Frühstückspension ausgesprochen hatte. Daran würde auch Ursula Wilsons Eingabe nichts ändern, selbst wenn sie die hundert Unterschriften zusammenbrachte.

Er blieb auf dem Gehweg stehen und atmete tief durch. Es war ein wunderschöner Wintertag, kalt und sonnig, und die Luft prickelte. Spontan entschloss er sich, in Richtung Ivy Lane zu gehen. Schließlich musste er möglichst gut über seine Klientin informiert sein. Außerdem würde ihm der Spaziergang gut tun.

Er war lange nicht in dieser Gegend gewesen. Die Ivy Lane war ein ziemlich breiter Boulevard, gesäumt von prachtvollen alten Häusern. Quinn blieb vor dem Haus der Blakes stehen und bemerkte, dass es neu gestrichen und renoviert war.

„Das hat bestimmt eine Kleinigkeit gekostet“, murmelte er. Plötzlich war er neugierig, wie es von innen aussah. Ein paar Mal hatte er Christopher hier besucht, als sie noch Schulkameraden gewesen waren.

Er ging die Stufen zur Veranda hoch und klopfte an die Eingangstür. Als er noch überlegte, was er sagen sollte, wurde die Tür aufgerissen.

Überrascht riss er die Augen auf. Wo war die wütende, frustrierte, nachlässig gekleidete Frau von gestern? Vor ihm stand eine hübsche Blondine mit einer pfiffigen Kurzhaarfrisur, die aussah wie aus einem Modemagazin. Das Blau ihres Pullovers harmonierte perfekt mit der Farbe ihrer Augen.

Autor

Judy Christenberry
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