Lass uns die Liebe genießen

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Ganz unverhofft landet Kari, Tochter eines Senators, auf der Ranch von Dillon Tracy in Arizona. Es knistert so heftig zwischen ihnen, dass Kari am liebsten bleiben würde. Sie will mit Dillon zusammen sein, mit ihm leben, die Liebe genießen. Und niemals darf er erfahren, wer sie in Wirklichkeit ist ...


  • Erscheinungstag 02.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754396
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Kari Sinclair saß auf dem Podium und unterdrückte ein Gähnen. Es war ein langer Tag gewesen, an dem sie schon viele Hände geschüttelt hatte und ständig lächeln musste – und der Höhepunkt des nicht enden wollenden Abends sollte ihre Rede hier im Bonaventure-Hotel in Phoenix werden. Das Abendessen auf der Veranda hatte wieder einmal aus Hühnchenbrust mit Reis und einer Reihe langatmiger Reden übereifriger Lokalpolitiker bestanden. Kari sollte die Hauptrednerin sein, aber sie war alles andere als übereifrig. Tatsächlich hatte sie die Befürchtung, dass ihre Wangen Risse bekämen, wenn sie noch länger lächeln musste.

Die Veranda war wunderhübsch angelegt: Winzige Lichter waren kunstvoll in den Bäumen drapiert worden; der Mond verströmte sein blasses Licht über dem Garten; leise, unaufdringliche Musik tönte aus den geöffneten Türen. Es gab zwanzig Tische, allesamt mit feinem, blütenweißen Linnen, kostbarem Porzellan und funkelnden Gläsern gedeckt, an denen Politiker aus ganz Arizona Platz genommen hatten und geduldig darauf warteten, dass die jüngste Tochter ihres beliebtesten und erfolgreichsten Kollegen das Wort an sie richtete. Es war Mitte März, und die Kampagne zur Wiederwahl ihres Vaters, U. S. Senator James Sinclair, lief auf vollen Touren.

Kari wünschte, sie wäre zu Hause in ihrem Bett und läse einen guten Roman. Oder auch einen schlechten.

Auf den Streichholzbriefen auf dem Tisch standen Name und Adresse des Hotels, wie Kari erleichtert feststellte. Sie war sich im Augenblick überhaupt nicht sicher gewesen, wo genau sie sich befand. Das hatte sie einer Woche harten Wahlkampfes zu verdanken. Sie war sich sicher, dass Phoenix die siebte Station einer Tour durch zwölf Städte war – was bedeutete, dass sie nur noch fünf Städte vor sich hatte. Dem Himmel sei Dank.

Karis Blick fiel auf Norma Brice, ihre Privatsekretärin, die links von ihr bei einer Palme stand und wie stets einen Notizblock an die Brust presste. Als sie gleich nach dem College damit begonnen hatte, für ihren Vater durch den Staat zu reisen, hatte Kari es als seltsam empfunden, eine Privatsekretärin zu haben. Schließlich würde sie es schon alleine schaffen, von einer Stadt zur nächsten zu reisen und pünktlich ihre Termine einzuhalten. Das war aber, bevor ihr klar wurde, dass ihr Job Interviews im Frühstücksradio, Besprechungen beim Frühstück, Gastauftritte bei lokalen TV-Sendern, Geschäftsessen zu Mittag, Kaffeekränzchen mit Frauengruppen, Dienstessen und so weiter beinhaltete. Man musste stets wissen, wann das nächste Flugzeug ging und welche Garderobe in den Koffer gehörte. Selbst mit Normas Hilfe war das nicht einfach, ohne sie wäre es schlichtweg unmöglich.

Kari seufzte und blickte zum Pult, wo sich der Parteivorsitzende Al Rawlings richtig in Fahrt geredet hatte und seine Rede mit ausladenden Gesten und einem gelegentlichen Lächeln untermalte. Er schien es so sehr zu genießen, im Rampenlicht zu stehen, dass er nicht einmal bemerkte, wie sein blondes Toupet leicht nach links rutschte und ihm ein komisches Aussehen verlieh. Sein buschiger Bart hingegen war echt, und er strich sich immer wieder darüber, wenn er eine kleine Pause machte.

Karis Lippen zuckten. Sie musste schon erfinderisch werden, wenn sie während solcher zweiwöchigen Touren etwas zum Lachen finden wollte. Nach vier Jahren ständigen Umherreisens empfand sie das immer gleiche Ritual als entsetzlich langweilig. Ihr Vater war in Arizona Justizminister gewesen, hatte dann in den Senat gewechselt und strebte nun seine vierte Amtszeit als Senator an.

Manche Politiker hüteten ihr Privatleben wie ihren Augapfel und erlaubten nur selten, dass ihre Familie fotografiert wurde oder ein Interview gab. Es war Karis Pech, dass ausgerechnet ihr Vater der Meinung war, es sei gut für sein Image, als Familienmensch aufzutreten. Seine große Beliebtheit gab ihm darin durchaus recht, und daher musste die ganze Familie daran arbeiten, dass er sein Mandat erneuern konnte. In einem Wahljahr hieß das, von Januar bis November auf Stimmenfang zu gehen.

Da ihre Familie das Leben auf der politischen Bühne offenbar sehr genoss, hatte Kari sich schon oft gefragt, ob sie adoptiert oder im Krankenhaus als Baby verwechselt worden war. Oder wie sollte es sonst zu erklären sein, dass sie die Einzige war, die es hasste, auf dem Präsentierteller zu sitzen und ständig die intimsten Fragen im Fernsehen oder im Radio gestellt zu bekommen? Vielleicht fehlte ihr ja ein wichtiges Gen.

Kari holte tief Luft und unterdrückte ein Niesen. Irgendwann in den letzten Stunden musste sie sich eine Erkältung eingefangen haben. Schnell suchte sie nach einem Taschentuch in ihrer kleinen Handtasche, als es in ihrer Nase schon verdächtig zu kitzeln begann.

Gerade in diesem Moment wurde Kari angekündigt. Sie nahm das Taschentuch in die Hand, setzte ein Lächeln auf und schob den Stuhl zurück. Donnernder Applaus begleitete sie auf ihrem Weg zum Podium, und gerade, als sie am Mikrofon angekommen war, musste sie laut und heftig niesen. Am liebsten wäre sie an Ort und Stelle in den Erdboden versunken. Doch sie riss sich zusammen und lächelte. „Dad hat mir schon immer gesagt, ich solle meine Reden mit einem Paukenschlag beginnen“, sagte sie scherzend. Das Publikum lachte und applaudierte begeistert.

Eine Stunde später betrat Kari ihre großzügige Hotelsuite mit zwei Schlafzimmern. Norma hielt ihr dienstbeflissen die Tür auf und sah zu, wie Kari schnellstens aus ihren hochhackigen Schuhen schlüpfte und zum Nachttisch stürzte, um sich ein Päckchen Papiertaschentücher herauszuholen. Vier Niesanfälle später ließ Kari sich auf das Bett fallen. „Norma, wir haben doch hoffentlich meine Grippetabletten eingepackt, oder?“

Norma war schon ins Badezimmer geeilt und wühlte in Karis Toilettenartikel. „Ja, natürlich. Hier sind sie.“ Sie brachte ein Glas Wasser und Karis Pillendose mit.

Kari setzte sich auf und schluckte gehorsam ihre Medikamente. „Ich muss ja toll aussehen mit meinen geschwollenen Augen und der laufenden Nase.“ Vielleicht konnte sie ja ihren nächsten Termin absagen. „Wo wollten wir noch morgen hinfahren?“, fragte sie und hoffte, es wäre ein kleiner Ort mit nur einer Handvoll Leute, die sie sicherlich nicht sehr vermissen würden.

Norma saß im Lehnstuhl am Kamin und blätterte in ihrem Kalender. „Tempe. Sieht nach einem harten Tag aus.“

Kari stöhnte. „Lassen Sie hören.“

„Sie haben einen Termin im Frühstücksfernsehen bei ‚Guten Morgen Arizona‘ um sechs Uhr früh. Allerdings sollen Sie bereits um halb sechs dort sein.“

„Natürlich.“ Kari schloss müde die Augen.

„Anschließend frühstücken Sie mit dem Politikredakteur der Lokalzeitung. Danach folgt ein Interview im Radio, das Mittagessen mit dem amerikanischen Kriegsveteranenverein …“

Diesmal stöhnte Kari noch lauter.

Norma, die an Karis Verdrießlichkeit auf Wahlkampftouren gewöhnt war, fuhr unbeirrt fort. „Am Nachmittag werden Sie im Seniorenzentrum von Scottsdale erwartet, wo Sie Mitarbeiter für treue Dienste auszeichnen werden und kurze Zeit mit den Senioren plaudern sollen.“

„Wie kurz?“

„Fünfzehn bis zwanzig Minuten. Um sechs ist eine Kundgebung im America-West-Stadion angesetzt, kurz vor einem Basketballspiel mit den Phoenix Suns. Es ist ausverkauft, kann also nicht so schlecht sein. Wir bekommen Plätze in der ersten Reihe und dürfen uns das Spiel ansehen.“

„Steht nicht noch kurz vor Mitternacht ein Zapfenstreich an, bei dem ich teilnehmen muss? Das wäre doch die Krönung eines solch wundervollen, unterhaltsamen Tages.“

Norma prüfte mit ernstem Blick den Notizblock. „Nein, ich glaube nicht.“

„Na bravo.“ Kari rieb sich die Schläfen. „Wollen Sie nicht lieber mit einem Bekannten zum Basketballspiel gehen? Bis dahin sind meine Augen bestimmt schon zugeschwollen.“

Norma blickte zu Boden. „Aber man will doch Sie sehen, nicht mich.“

Nicht zum ersten Mal fragte sich Kari, ob Norma überhaupt noch ein Privatleben hatte. Sie war eine engagierte und gewissenhafte Mitarbeiterin James Sinclairs und hatte dadurch nur wenig Zeit für sich. Kari wusste, dass Norma zweiunddreißig und ledig war, doch noch nie hatte sie von einer Verabredung erzählt. Dabei sah sie nicht einmal schlecht aus. Vielleicht hätte ihr Kleiderschrank etwas Abwechslung vertragen, denn sie trug ausschließlich Kostüme in dezenten Farben zu weißen Blusen.

Kari seufzte. Natürlich hatte sie am allerwenigsten ein recht, Norma deswegen zu kritisieren. Ihre letzte Verabredung lag ein halbes Jahr zurück, und sie war nur mit dem Freund eines Freundes ausgegangen. Die meisten Männer, die sie bei der Arbeit für ihren Vater kennen lernte, waren entweder verheiratet, zu eng mit James Sinclair befreundet oder zu sehr von ihm eingeschüchtert.

„Sie wollen mich auch nicht sehen, Norma. Sie wollen sich nur mit jemandem brüsten, der Dad nahe steht.“ Kari zog ihr gelbes Jackett aus und schob den Reißverschluss am Rock herunter. „Ich werde jetzt erst mal ein heißes Bad nehmen. Das soll ja bei Erkältungen helfen.“

„Wir könnten morgen noch einen Termin beim Arzt einschieben“, schlug Norma vor. „Ich weiß nicht, ob diese Grippetabletten wirklich etwas helfen – außer, dass man davon ziemlich benebelt wird.“

„Mein Zeitplan morgen ist so dicht, ich glaube kaum, dass wir noch einen Arzttermin einschieben können“, bemerkte Kari und ließ heißes Wasser in die Wanne laufen.

„Also gut. Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht“, sagte Norma und wollte sich schon in ihr Zimmer zurückziehen. In diesem Moment klingelte das Telefon, und Norma nahm ab. Einen Augenblick später wandte sie sich an Kari. „Es ist Ihr Vater.“

Kari lächelte. Ihr Vater liebte seine Frau und seine beiden Töchter innig und ging nie zu Bett, ohne mit allen dreien gesprochen zu haben. Die enge Beziehung zu ihrem Vater war auch der Grund dafür, dass Kari immer noch auf die verhassten Wahlkampfreisen ging.

„Hi, Dad. Rufst du mich an, um mir zu sagen, dass du in den Umfragen meilenweit vorne liegst und ich nicht mehr für dich Wahlkampf machen muss?“

„Noch nicht ganz, Liebes.“ James hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme voller Wärme. „Wie geht es meinem kleinen Mädchen?“

Kari setzte sich auf das Bett und seufzte. „Ich muss mir wohl eine Erkältung eingefangen haben. Meine Nase ist zu, mein Kopf tut weh.“

„Ich kann mir gut vorstellen, dass du sprichwörtlich die Nase voll hast.“ James wusste, wie ungern Kari auf Stimmenfang ging, und liebte sie umso mehr dafür. „Nach der Wahl kannst du erst mal ausspannen und tun und lassen, was du willst.“

„Okay. Wie wäre es mit einem Trip nach Europa? Am liebsten würde ich in Italien ein Auto mieten, damit in die Schweizer Alpen fahren, und dann will ich nach Berlin und mir anschauen, wie es ohne Mauer aussieht – völlig ohne Plan und Zeitdruck.“

„Nein, das ist mir zu gefährlich. Weißt du, ich habe ein Reisebüro an der Hand, das dir eine Reise ausarbeiten könnte, und ich rede mit Mom und Dana. Vielleicht kann dich eine von beiden begleiten.“

„Nein, Dad. Ich möchte alleine fahren. Es wird Zeit, dass ich mich endlich von deinem Rockzipfel losmache. Ich bin sechsundzwanzig, Dad.“ Und lebe immer noch zu Hause, dachte Kari. Wenn die Wahl erst vorbei ist, suche ich mir eine eigene Wohnung.

„Na gut, reden wir erst wieder darüber, wenn es so weit ist. In der Zwischenzeit möchte ich wissen, wie es Pinocchio geht.“

Kari musste unwillkürlich lächeln, als ihr Vater ihr Geheimwort benutzte. Damit teilten sie einander mit, ob es ihnen wirklich gut ging. James hatte noch eines für Dana und ein weiteres für seine Frau. „Pinocchio gehts gut.“

„Na, dann gute Nacht. Ich liebe dich, Kleines.“

„Ich dich auch, Dad.“ Kaum hatte Kari aufgelegt, musste sie schon wieder heftig niesen. Sie nahm die Schachtel mit den Grippetabletten zur Hand und las aufmerksam den Begleitzettel durch. Nichts, das auf eine gefährliche Substanz hinwies. Was konnte eine weitere Tablette schon schaden? Schließlich war sie schon sicher auf ihrem Zimmer. Schnell nahm sie eine weitere Pille ein und ließ sich im Badezimmer in die warme Wanne sinken.

Etwas später stand Kari warm eingepackt in ihrem langen Bademantel am Fenster und spähte in die warme Nacht hinaus. Viele bunte Lichter glitzerten im Garten, und Musikfetzen klangen herauf. Etwas weiter entfernt lag ein künstlich angelegter See, auf dem schwarze Gondeln entlangglitten. Verliebte Paare lauschten dem Gesang der Gondoliere, die italienische Arien schmetterten. Am Ufer wogen sich Palmen im Wind.

Kari fühlte plötzlich das starke Verlangen, mit den glücklichen Menschen draußen tauschen zu können. Am liebsten wäre sie jetzt ein Teil eines verliebten Paares gewesen, das dort unten an einem abseits gelegenen Tisch unter dem Schutz eines Baums ein schickes Essen genoss. Warum konnte sie kein solches Leben führen?

Und wie würde ihre Zukunft aussehen? Schon hatte es zwischen der Parteispitze und ihrem Vater Gespräche über seine mögliche Kandidatur bei der nächsten Präsidentenwahl gegeben. Man hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er als Kandidat für das Präsidentenamt oder mindestens als Vizepräsident infrage kam. Kari wusste, dass ihr Vater diese Aufgabe gerne übernehmen würde, doch sein Aufstieg in der Politik würde sie nur weiter einschränken.

Ihre Mutter war für die Rolle der First Lady wie geboren. Dorothy Sinclair, kurz Dusty genannt, war noch immer eine brünette Schönheit, die Washington und die Politik fast genauso liebte wie ihren Mann. Ja, Mom wäre im Weißen Haus in ihrem Element. Und ihre Schwester Dana auch. Sie war eine modebewusste, aufgeschlossene junge Frau, welche die Wahlkampagnen in vollen Zügen genoss und ausschließlich mit jungen Männern ausging, die politisch korrekt und ihrem Vater angenehm waren.

Allerdings hatte dieses Leben auch seine Schattenseiten. James war Vorsitzender des mächtigen Militärausschusses und hatte schon einige Morddrohungen bekommen. Zwar ließ er sich dadurch nicht einschüchtern, aber er hatte für sich und seine Familie Personenschutz bekommen. Kari schätzte das Gefühl der Sicherheit, das ihr die Bodyguards vermittelten, aber sie empfand ein Leben im Glashaus als unnatürlich.

Zu Hause im Anwesen der Sinclairs gab es ein ausgeklügeltes elektronisches Überwachungssystem. Auf Reisen wurden Kari mindestens zwei Leibwächter zugeteilt. Vermutlich schlief Hilda Whitney, eine einsachtzig große, stämmige Frau, bereits in ihrem angrenzenden Zimmer. Kari nannte sie heimlich nur Brunhilde. Und Tony Bolognese, der dunkelhäutige kleine Mann mit den unruhig umherblickenden Augen hätte sie wohl eher für einen Gangster als einen Sicherheitsbeamten gehalten, wenn sie ihm auf der Straße begegnet wäre.

Kari öffnete das Fenster und atmete die kühle Nachtluft ein. Was könnte es schon schaden, wenn sie ihrem Leben im goldenen Käfig für ein paar Stunden entkam? Nur eine kleine Weile spazieren gehen, ohne Norma mit ihrem ewigen Notizblock zur Seite und ihren zwei Wachhunden im Schlepptau – allein schon der Gedanke daran ließ ihr Herz höher schlagen.

Kari eilte zum Kleiderschrank. Sie müsste sich lässig kleiden, man durfte ihr die Senatorentochter nicht ansehen. Wenn sie doch nur eine Jeans eingepackt hätte! Wenigstens fand sie eine weiße Leinenhose, ein schwarzes Baumwoll-T-Shirt und ein Paar flache Lederschuhe.

Der Zimmerschlüssel lag auf dem Nachttisch, und Normas dunkler Regenmantel hing über einem Stuhl. Perfekt, dachte Kari, als sie in den Mantel schlüpfte. Er war ebenso schlicht und unauffällig wie Normas restliche Garderobe. In der Tasche befanden sich etwas Kleingeld und ein gelbes Kopftuch.

Schnell steckte Kari ihr langes Haar hoch und band sich das Kopftuch um. Sie verknotete es hinten, so dass sie aussah wie Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“. Fehlte nur noch die Sonnenbrille.

Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, dass sie von weitem durchaus als Norma durchgehen könnte. Sie spähte zur Tür hinaus und stellte erleichtert fest, dass niemand auf dem Gang Wache stand. Karis Herz schlug wie wild vor Aufregung, als sie rasch auf die Treppe zuging.

Sie ging unerkannt durch das Foyer des Hotels und auf die Straße hinaus. Erst an der künstlichen Lagune blieb sie stehen und sah zu, wie der Gondoliere einem älteren Paar aus der Gondel half. Ein jüngeres Pärchen wartete schon auf einen freien Platz, und die junge Frau betrachtete versonnen den goldenen Ring an ihrem Finger. Bestimmt waren die beiden auf Hochzeitsreise.

Die hell erleuchtete Einkaufsmeile zog Kari magisch an. Viele Läden waren noch geöffnet und versprachen sich gute Geschäfte mit den zahlreichen Touristen. Kari schlenderte an einer Boutique vorbei und musterte die Schaufensterpuppen mit der neusten Frühlingsmode. In dieser Saison war Apfelgrün der letzte Schrei.

Es wurde deutlich kühler, während Kari unbekümmert weiterschlenderte – es waren jede Menge Leute unterwegs, was sollte ihr schon passieren? Der Regen hatte aufgehört, es hatte sich aufgeklärt, und Tausende Sterne funkelten am klaren Abendhimmel.

Kari hatte ganz vergessen, eine Uhr umzubinden, aber da noch so viele Geschäfte geöffnet hatten, konnte es noch nicht so spät sein. Sie ging immer weiter und fühlte sich so frei und ungezwungen wie schon seit Jahren nicht mehr. Sonst konnte sie nicht einmal einkaufen gehen, ohne mindestens zwei bis drei Leute im Schlepptau zu haben. Eines Tages, so schwor sie sich, würde sie aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen. Sie musste nur noch ein bisschen Geduld haben.

Kari unterdrückte mühsam ein Gähnen. Die Anstrengungen des Tages und die Grippetabletten zeigten langsam ihre Wirkung. Sie musste jetzt schon fast zwei Kilometer weit gelaufen sein. Sie beschloss, noch einen Häuserblock weiter zu gehen und dann umzukehren.

Die meisten Läden in dieser Gegend waren schon geschlossen. Vielleicht habe ich es etwas übertrieben und habe mich zu weit vom Hotel entfernt, dachte Kari etwas benommen und musste ausgiebig gähnen. Ein Stück weiter vorne war ein Geschäft noch hell erleuchtet. Bestimmt wäre es am Besten, hineinzugehen und ein Taxi zu rufen. Sie griff nach dem Kleingeld in der Manteltasche. Ja, sie durfte es nicht übertreiben. Schließlich hatte sie am nächsten Tag ein dicht gedrängtes Programm.

Mit wankenden Schritten näherte sie sich dem Laden und kniff die Augen zusammen, um das Namensschild lesen zu können. „Wilson – Futtermittel und Saatgut“ stand darauf. Komisch, dass es so einen Laden in der Nähe eines Hotels wie des Bonaventure gab! Ein Kleinlaster mit Pferdeanhänger stand direkt in der Einfahrt. Wer parkte denn so blödsinnig, dass die Kunden kaum noch in den Laden gehen konnten? Kari fühlte sich schon ziemlich benebelt.

Sie ging langsam um den Kleinlaster herum und fuhr erschrocken zusammen, als sie eine Autotür klappen hörte. Gleichzeitig begann sie zu zittern und bemerkte, wie kalt die Nachtluft plötzlich geworden war.

Ein Mann ging um den Kleinlaster herum und kam direkt auf sie zu. Selbst in ihrem benebelten Zustand nahm sie wahr, dass er ein typischer Rancher war. Auf ihren Fahrten durch Arizona war sie immer wieder diesen hart arbeitenden Menschen begegnet. Er trug abgenutzte Arbeitsstiefel, verblichene Jeans, ein kariertes Hemd und einen Ledergürtel mit einer silbernen Schnalle. Solche riesigen Silberschnallen wurden sonst nur bei Rodeos als Preise vergeben, oder?

Als er näher kam, bemerkte sie, dass er strahlend blaue Augen hatte, die sie unfreundlich musterten. Er hatte lockiges, schwarzes Haar, das bis auf den Kragen reichte, und ein kantiges, unrasiertes Kinn. An den Händen trug er große, schwarze Lederhandschuhe. Nicht gerade ein Typ, dem man gerne in einer dunklen Straße begegnet wäre, dachte Kari und musste unwillkürlich kichern. Der Mann sah sie stirnrunzelnd an.

„Ein Taxi“, sagte Kari mühsam und wunderte sich, dass ihre Zunge so schwer war, „Ich brauche ein Taxi.“ Langsam griff sie in ihre Manteltasche und holte ein paar Münzen hervor. „Muss anrufen.“ Sie fing an zu zittern und fragte sich, ob der Mann, der vor ihr stand und sie mit finsterer Miene musterte, überhaupt begriff, was sie ihm sagen wollte.

Dillon Tracy war schon vielen Betrunkenen begegnet, und sie widerten ihn an. Besonders, wenn es Frauen waren. Diese hier war jung und hatte ein hübsches Gesicht. Was für ein Jammer. Sie hatte ganze neunundfünfzig Cent in der Hand. Was glaubte sie wohl, wie weit ein Taxi sie dafür fahren würde? Plötzlich wankte sie, und ihre Augen wurden glasig.

Schnell fasste er sie an den Schultern und drückte sie auf eine Bank, die neben dem Eingang zum Laden stand. „Sie setzen sich besser erst mal hin, Lady.“

Sie schwankte auf der Bank hin und her. „Ist das Ihr Wagen?“, fragte sie undeutlich.

„Ja“, antwortete er und fragte sich, warum er sich überhaupt mit einer Betrunkenen abgab.

„Rück … rücksichtslos. Einfach rücksichts… sein Auto so zu parken.“ Sie wies mit einer unsicheren Geste auf seinen Kleinlaster. „Blockiert den Eingang.“

„Ja, so bin ich nun mal. Den lieben langen Tag nur rücksichtslos.“ Vielleicht kannte jemand aus dem Laden die Lady. Er würde mit Jack sprechen und ihn darum bitten, die Frau abholen zu lassen. Er betrat das Geschäft und suchte nach dem Besitzer. „Hey, Jack, ist meine Bestellung fertig?“

Dillon kaufte normalerweise in der Nähe seiner Ranch im Norden Arizonas ein, doch er war in die Stadt gefahren, um einen preisgekrönten Zuchthengst zu kaufen. Da er Jack seit Jahren kannte, hatte er beschlossen, bei dieser Gelegenheit eine Bestellung bei ihm aufzugeben. Jack Wilsons Familie stammte aus Prescott, wo Dillons Vater noch immer ein Lebensmittelgeschäft betrieb, das weit und breit für die gute Qualität der Waren und für faire Preise bekannt war. Dan Tracy war irischer Abstammung und in die USA ausgewandert. Er war ein hart arbeitender, stolzer Mann und hatte seine beiden Söhne nach dem Tod seiner Frau ganz alleine großgezogen.

„Aber sicher“, antwortete Jack und wischte sich die Hände an seinem Schurz ab. „Hast du den Hengst bekommen?“

Dillons Gesicht, das von jahrelanger Arbeit im Freien braungebrannt war, verzog sich zu einem Lächeln. „Und ob. Domino ist ein wahrer Prachtbursche. Meine Stuten zu Hause werden begeistert sein.“

Jack grinste verschmitzt. „Bestimmt. Wie viele Pferde hast du denn inzwischen?“

„Einen Wallach, eine Appaloosa, fünf Zuchtstuten, zwei Fohlen und jetzt noch den Hengst. Es hat eine Menge Geld gekostet, die Stuten decken zu lassen. Domino reißt zwar auch ein großes Loch in meinen Geldbeutel, aber ich glaube, dass es sich auf Dauer auszahlen wird.“

Jack schlug seinem Freund auf die Schulter. „Da hast du sicher recht.“ Er wies auf mehrere große Säcke und eine große Kiste. „Da ist deine Bestellung. Sieh nur mal kurz nach, ob alles stimmt, dann helfe ich dir beim Aufladen.“

„Nein, ich vertraue dir“, wehrte Dillon ab. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es schon nach neun Uhr war. „Ich habe im Radio gehört, dass sich im Norden ein Sturm zusammenbraut, und ich habe drei volle Stunden Fahrt vor mir. Es hat länger gedauert, Dominos Papierkram zu erledigen, als ich geplant hatte.“ Dillon griff in seine Hemdtasche und holte einen Scheck hervor. „Ich denke, das sollte genügen.“

„Danke.“ Jack hievte einen der schweren Futtersäcke hoch.

„Übrigens“, bemerkte Dillon und nahm einen anderen Sack, „draußen auf deiner Bank sitzt eine Betrunkene.“

„Was du nicht sagst! Wo kommt die denn her?“

„Keine Ahnung. Ich dachte, du kennst sie vielleicht. Jemand muss sie nach Hause fahren. Sie hat etwas von einem Taxi gemurmelt, aber sie hat nur ein bisschen Kleingeld.“

„Das muss ausgerechnet mir passieren“, stöhnte Jack und stieß die Tür auf. Er sah zur Bank und ging weiter. „Wo war sie gleich noch mal?“

Dillon sah sich um. „Na ja, sie saß genau hier auf der Bank.“

„Sieht so aus, als seien wir sie los.“ Jack stellte den Sack auf der Ladefläche des Kleinlasters ab.

Nachdem alles aufgeladen war, breitete Dillon eine große Plane über seine Besorgungen und befestigte sie mit einem Seil. Er schaute noch kurz nach Domino, um sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war, und stieg in die Fahrerkabine.

„Gute Fahrt“, rief Jack, winkte zum Abschied und schloss seinen Laden ab.

Dillon fuhr los und hielt ein paar Häuserblocks noch Ausschau nach einer schlanken Person mit gelbem Kopftuch. Doch nachdem er sie nirgends finden konnte, gab er Gas und fuhr in Richtung Schnellstraße.

2. KAPITEL

Dillon fuhr langsam und vorsichtig, um Domino nicht zu gefährden. Manchen Pferden machte eine Fahrt im Anhänger überhaupt nichts aus, aber er kannte den Hengst noch nicht. Der Verkehr war nicht sehr dicht – vielleicht hatten sich viele von der Sturmwarnung davon abhalten lassen, nach Norden zu fahren. Heute Nacht waren nur die unterwegs, die unbedingt nach Hause fahren mussten.

Er hatte ursprünglich vorgehabt, in Prescott eine Pause zu machen und seinen Vater zu besuchen, aber das Wetter und die späte Stunde hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dabei wusste er, wie sehr sich sein Vater über die wenigen Besuche seines jüngsten Sohnes freute. Er hatte viele Jahre lang hart gearbeitet, um seinen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Terry hatte sich für Medizin und Dillon für Jura entschieden. Terry arbeitete offenbar sehr gern als praktischer Arzt in seiner Praxis in Prescott. Bei Dillon lagen die Dinge anders.

Er dachte daran, wie schwer es ihm gefallen war, den Wunsch seines Vaters zu erfüllen. Aber er hatte es durchgezogen: vier Jahre College, vier Jahre Jurastudium. Kurz, nachdem er seine Zulassung als Anwalt bekommen hatte und sich gerade niederlassen wollte, geschah etwas, das Dillons Leben vollkommen verändern sollte.

Quinn Tracy, sein verwitweter Onkel, starb kinderlos und hinterließ ihm seine kleine Ranch in DeWitt, zwanzig Meilen nordöstlich des Flusses Hennessy. Dillon war schon immer Quinns Liebling gewesen und hatte in seiner Jugend regelmäßig die Sommerferien auf der Ranch verbracht. Er hatte seinem Onkel mit Begeisterung bei den Pferden und allen anderen Arbeiten auf der Ranch geholfen. Begierig lernte er alles, was sein Onkel ihm über das Landleben beibringen konnte. Dillon hatte für diese Sommerferien gelebt, war aber gehorsam im Herbst zur Schule zurückgekehrt, um seinen Vater nicht zu enttäuschen.

Als er jedoch die Ranch geerbt hatte, schlug er seinem Vater einen Handel vor. Er bat sich eine Gnadenfrist von drei Jahren aus, innerhalb welcher er die Ranch zu einem profitablen Betrieb ausbauen wollte. Falls es ihm nicht gelang, würde er wieder als Anwalt arbeiten. Sein Vater hatte – wenn auch widerwillig – zugestimmt.

Autor

Pat Warren
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