Lauf vor der Liebe nicht davon

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LAUF VOR DER LIEBE NICHT DAVON von JUDY CHRISTENBERRY 

Unerkannt ist Robert Morris, vermögend und adlig, in den USA unterwegs. In England ist der Herzog von Hereford daran gewöhnt, dass die Frauen ihn heftig umschwärmen. Doch als er in einer Notlage auf einer einsamen Straße in Ohio landet und dort die aparte Lastwagenfahrerin Sydney kennenlernt, spürt er schnell: Sie ist da ganz anders. Geld und Titel beeindrucken Sydney kein bisschen. Für sie zählt nur ehrliche Liebe – die er schon bald für die junge Truckerin empfindet. Aber kann er die unkonventionelle Schönheit von seinen Gefühlen überzeugen, bevor er wieder zurückfliegt?  


  • Erscheinungstag 26.03.2024
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524162
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein Geräusch weckte sie.

Sydney Thomas runzelte die Stirn, während sie aufmerksam lauschte. Sie nahm aber nur die Laute wahr, die sie jede Nacht hörte.

Nach einer Weile schloss sie wieder die Augen und kuschelte sich noch tiefer in das behagliche Nest, das sie sich aus Decken und Kissen im Bett hinter dem Fahrersitz gemacht hatte.

Knirsch!

Dieses Mal setzte sie sich abrupt auf und starrte in die Dunkelheit hinaus. Wieder dieses knirschende Geräusch! Es waren Schritte auf dem Kies neben der Straße. Hatte er sie gefunden?

Vielleicht wäre sie auf dem Fernfahrerrastplatz sicherer gewesen, aber sie konnte sich zurzeit einfach nicht dazu überwinden, sich in die Gesellschaft der anderen Trucker zu begeben.

„Atme tief durch“, murmelte sie. Schließlich waren Türen und Fenster geschlossen. Der Motor lief, um die Klimaanlage des riesigen Trucks zu betreiben. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch etwas anderes hörte.

Aber zweifellos war da draußen irgendwer oder irgendetwas.

Ich bin vollkommen sicher. Keiner kann hier eindringen, machte sie sich Mut. Der Mann, der das versuchen sollte, würde es schnell bereuen.

Sydney griff unter das Bett und holte die Schachtel heraus, die sie darunter verbarg. Nachdem sie den Deckel zur Seite geschoben hatte, holte sie die kleine Pistole heraus, die für ihre Sicherheit sorgen würde.

Das Geräusch kam näher, und dieses Mal hörte es sich so an, als ob es mehr als nur eine Person wäre. Sie hatte bereits von Gangs gehört, die harmlose Reisende überfielen. Und es hatte sie auch schon mal jemand bedroht. Nun, wer auch immer da draußen war, er oder sie würden sich auf eine nette Überraschung gefasst machen müssen. Sydney war bereit, sich zu verteidigen.

Sie zog rasch die Jeans an, das einzige Kleidungsstück, das sie am Abend ausgezogen hatte, und schlüpfte in ihre Slipper. Dann schaute sie vorsichtig durch den Vorhang hinaus, der den Schlafraum von der Fahrerkabine trennte und den sie stets vor dem Schlafengehen zuzog.

Rechts vom vorderen Kotflügel des Lasters sah sie einen hellen Lichtschein, der von einer Taschenlampe stammen musste. Durch die beträchtliche Höhe des Trucks konnte sie allerdings nicht die Person sehen, die diese Lampe hielt.

Was sollte sie tun, wenn man ihre Reifen zerstach? Das Klügste wäre es, sofort hinter das Lenkrad zu schlüpfen und auf der Stelle loszufahren. Doch bevor sie noch eine Bewegung machen konnte, wurde der Wagen leicht erschüttert. Irgendjemand war offensichtlich auf das Trittbrett ihres Lasters geklettert. Geistesgegenwärtig sprang sie auf den Beifahrersitz, die Pistole entsichert in der Hand. Sie würde es nicht zulassen, dass jemand ihren Truck beschädigte.

Sie starrte in das Licht, das jetzt direkt auf sie gerichtet war.

„Geh sofort von meinem Laster runter, oder du hast eine Kugel im Kopf“, schrie Sydney.

„Du darfst meinen Dad nicht erschießen!“, antwortete eine hohe, ängstliche Stimme.

Robert Morris, der Herzog von Hereford, hielt in seinem Aufstieg inne, so abrupt, dass er rückwärts auf dem Kies landete.

„Dad, ist alles in Ordnung?“ Penelope kam hinter dem Baum hervor, hinter dem sie sich versteckt hatte, und rannte zu ihrem Vater hinüber.

„Mir geht es gut, Kleines. Geh wieder hinter den Baum.“ Er erhob sich und schaute in das Fenster des Lasters, der vor ihm stand.

Die Scheibe wurde heruntergedreht. Doch statt eines stämmigen Fernfahrers schaute eine junge Frau zum Fenster heraus.

„Was tun Sie hier?“, fragte sie ihn. Nur ein leichtes Beben in ihrer Stimme verriet ihm, dass sein nächtlicher Besuch sie beunruhigte. Das und die Pistole in ihrer Hand, deren Lauf genau auf ihn zielte.

„Ich suche Hilfe.“

„Sie sind Engländer.“

Verflixt! Er hatte vergessen, seinen Akzent zu verbergen. „Hm … ja“, sagte er und gab sich Mühe, wie die Cowboys auf der Ranch seines Bruders zu klingen. „Aber ich bin schon lange hier.“

Die Pistole war immer noch auf ihn gerichtet.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, dieses Ding zur Seite zu legen? Es macht mich nervös.“

Die Frau starrte erst ihn und dann die Pistole an. Sie folgte nicht seiner Bitte, sondern senkte nur den Lauf. Falls die Waffe losging, würde er wenigstens nur ein paar Zehen verlieren.

„Hilfe wofür?“, fragte die Frau. „Und wo ist das Kind?“

Er wollte auf keinen Fall, dass Pen in die Nähe dieser Frau kam. Mitten in der Nacht jemanden um Hilfe zu bitten war offensichtlich nicht eine seiner besten Ideen gewesen.

„Sie ist dort drüben“, sagte er und zeigte mit einer vagen Geste in die Dunkelheit.

„Warum sind Sie mitten in der Nacht mit einem Kind unterwegs?“

„Ich versuche ein Hotel zu erreichen“, murmelte er verärgert. Wofür hielt diese Frau ihn? Dachte sie vielleicht, er wäre ein Krimineller?

„Was ist passiert?“

Höflichkeit war für sie wohl ein Fremdwort, dabei hatte ihn während seiner Aufenthalte in diesem Land gerade die Freundlichkeit der Amerikaner immer wieder beeindruckt.

„Hören Sie zu, Miss. Ich entschuldige mich für die Störung. Wir werden uns wieder auf den Weg machen.“ Er trat von dem Truck zurück und schaltete die Taschenlampe aus.

„Sie müssen ungefähr fünfzehn Meilen in diese Richtung gehen“, sagte sie, und ihre Stimme schallte durch die stille Nacht.

„Es muss doch noch irgendwo ein Haus in der Nähe geben.“

„Wie sind Sie denn bisher gereist?“

„Mit dem Auto. Aber es ist einige Meilen entfernt von hier liegen geblieben. Wie weit müssen wir laufen, wenn wir in die andere Richtung gehen?“, fragte er.

„Ungefähr zwanzig Meilen“, sagte sie leichthin. Es wunderte ihn nicht, dass sie so gelassen war. Immerhin hatte sie ja ihre fahrbare Unterkunft.

„Verdammt noch mal“, fluchte er leise.

„Oh, Dad, Grandma sagt, du sollst nicht …“

„Ruhe, Pen“, befahl er streng.

„Wie alt bist du?“, fragte die Frau, und erst jetzt fiel ihm auf, wie angenehm ihre Stimme klang.

Zu seinem Ärger antwortete Penny sofort. „Ich bin sechs. Wie alt bist du?“

„Pen, du sollst Erwachsene nicht duzen“, ermahnte der Vater sie.

Die Frau lachte. Ein wirklich angenehmes Lachen, wie er fand. „Das ist schon in Ordnung.“ Dann wandte sie sich dem Kind zu. „Sehr viel älter als du.“

„Komm schon, Penelope.“ Er nahm das Gepäck auf und ging los.

„Ich bin aber so müde, Dad.“

„Daran kann ich leider im Moment nichts ändern, Liebling. Komm schon.“

„Warten Sie“, sagte die Frau in dem Truck.

Er blieb stehen und schaute über die Schulter zu dem riesigen Lastwagen hinüber. „Ja?“

„Sie könnten …“ Sie zögerte. „Sie könnten hier in meinem Truck bleiben. Ich fahre um sechs Uhr weiter und kann Sie dann in Toledo absetzen, wenn ich dort zum Frühstücken anhalte.“

„Oh ja, Dad, bitte. Ich bin so müde“, bettelte Penelope.

Robert überlegte, ob seine Tochter wieder einmal nur schauspielerte, aber schließlich war sie erst sechs Jahre alt, und sie waren bereits einige Meilen gegangen. Er sah wieder zu der Frau hinüber. „Wir wissen Ihr großzügiges Angebot sehr zu schätzen und werden versuchen, Ihnen so wenig wie möglich zur Last zu fallen.“

„Das hatte ich mir schon gedacht.“

Ihre seltsame Antwort machte ihn neugierig, aber er war zu sehr damit beschäftigt, die übereifrige Pen zurückzuhalten, um sich weiter Gedanken darüber zu machen.

„Einen Moment, Pen.“ Er hielt seine Tochter fest und stellte sein Gepäck vor dem Truck ab, dessen Tür jetzt weit geöffnet war. „Warum haben Sie sich so plötzlich entschieden, uns zu vertrauen?“

Schließlich könnte sie ja diejenige sein, die schlechte Absichten hatte.

„Weil Verbrecher normalerweise nicht ihre Kinder mitbringen und dazu noch ihr Louis-Vuitton-Gepäck.“

Er war überrascht, dass sie diese berühmte Marke kannte, und schämte sich dann sofort seiner snobistischen Gedanken. Jetzt benahm er sich ja fast schon wie seine Mutter! Taschen und Koffer von Louis Vuitton waren unglaublich teuer, aber für seine Mutter war nie ein anderes Gepäck in Frage gekommen.

Er entschloss sich, den Naiven zu spielen. „Louis Vuitton? Ist das eine gute Marke? Ich habe diese Sachen günstig im Ausverkauf erstanden.“ Würde die Frau ihm diese lächerliche Geschichte abnehmen?

„Na, da haben Sie aber großes Glück gehabt.“ Sie nickte Penelope zu. „Warum helfen Sie Ihrer Tochter nicht einzusteigen?“

Sydney hätte fast gelacht, als sie darauf wartete, dass er ihrer Aufforderung folgte. Sein misstrauischer Blick bestätigte ihre Vermutung. Offensichtlich wusste er nicht, ob er ihr trauen sollte.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, beruhigte sie ihn. „Ich werde Sie schon nicht einsperren, sobald ich Sie in meinen Klauen habe.“

Dabei war sie eigentlich diejenige, die nervös sein sollte. Schließlich brach sie eine ihrer Hauptregeln: Fahre immer allein und nimm nie Fremde mit. Aber aus gewissen Gründen war sie sogar erleichtert, eine Weile nicht allein sein zu müssen.

Außerdem konnte sie ein sechsjähriges Mädchen nicht mitten in der Nacht allein auf der Straße stehen lassen. Und konnte ein Mann, der so gut aussehend wie der Vater des Kindes war, tatsächlich ein Schurke sein?

Nein, sie tat genau das Richtige.

Er umarmte seine Tochter kurz und hob sie dann hoch, damit Sydney das Kind entgegennehmen konnte. Das kleine Mädchen wirkte im Mondlicht wie eine Puppe, als Sydney sie auf den Sitz setzte.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen jetzt das Gepäck reiche?“, fragte der Vater.

„Nein, natürlich nicht. Geben Sie es mir nur, ich werde es verstauen.“

Sie bat Penelope, aufs Bett zu gehen, und wandte sich dann wieder der offenen Tür zu. In wenigen Minuten stand das Gepäck hinter den Sitzen, und während der Fremde einstieg, schob Sydney den größten Teil unter das Bett. Als der Mann sich auf den Beifahrersitz gesetzt hatte, griff sie zur Tür hinüber, um sie zu schließen.

Er zuckte zurück wie eine Jungfrau, die man unsittlich berühren wollte.

Sie setzte sich auf den Fahrersitz und wunderte sich. Hatte sie sich seine Reaktion nur eingebildet? Sie wollte nichts von diesem Mann, auch wenn er ungewöhnlich attraktiv war. Und sie wusste, dass die meisten Männer sie anziehend fanden. Warum war er dann zurückgezuckt?

„Ich halte meine Türen immer verschlossen“, erklärte sie ein wenig atemlos.

„Natürlich, eine weise Vorsichtsmaßnahme. Penelope?“

Sein Kind steckte den Kopf durch die Vorhänge. „Ich bin hier, Dad. Hier hinten ist ein richtiges kleines Zimmer mit einem Bett und allem Drum und Dran.“

Sydney schob eine Seite des Vorhanges zurück. „Das ist richtig. Dort schlafe und wohne ich, während ich auf Tour bin.“ Sie wandte sich dem Mann zu, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß. „Ich bin Sydney.“

Für einen Moment sah er sie nur überrascht an, dann antwortete er: „Ich bin Robert, und wie Sie bereits wissen, ist das dort Penelope.“

Sydney spürte, wie jemand an ihrem Ärmel zupfte.

„Es gibt hier kein Badezimmer“, flüsterte Penelope mit besorgtem Gesichtsausdruck.

Sydney begriff sofort, worum es ging. „Ach so. Nein, das gibt es leider nicht. Auf so abgelegenen Straßen müssen wir uns mit der Natur begnügen.“

„Was soll das bedeuten, Dad?“ Das Mädchen sah ihren Vater an, als ob Sydney eine Fremdsprache gesprochen hätte.

Vielleicht hatte sie das auch. Obwohl der Mann behauptete, sich seit langem in Amerika aufzuhalten, hatte das Mädchen noch einen reinen englischen Akzent. Sie war bestimmt erst vor kurzem aus England gekommen.

„Äh, sie meint, dass du hinter einen Baum gehen musst.“

„Draußen?“, fragte Penelope ungläubig, während ihre Augen sich weiteten. „Wo mich jeder sehen kann?“

„Außer deinem Vater und mir gibt es hier niemanden, und ich verspreche dir, dass wir beide wegschauen werden“, warf Sydney ein. „Nun komm schon.“

„Aber es ist so dunkel!“

„Ja, aber du warst doch eben auch im Dunkeln draußen, und dir ist nichts passiert.“ Als ihre Logik dem Mädchen nicht einzuleuchten schien, wandte sie sich dem Mann zu. „Könnten wir Ihre Taschenlampe haben? Vielleicht fühlt Penelope sich dann besser.“

Er reichte ihr die Lampe. „Ich könnte …“

„Nein, das ist schon in Ordnung. Versprechen Sie mir nur, dass Sie uns in ein paar Minuten wieder in den Truck reinlassen.“ Sie hatte einen Witz machen wollen, aber sie spürte tatsächlich ein Unbehagen bei dem Gedanken, diesen Mann allein in ihrem Wagen zurückzulassen. Doch sie verdrängte dieses unangenehme Gefühl sofort. Natürlich würde er sie einlassen. Seine Tochter war schließlich bei ihr.

Nachdem sie einen Baum erreicht hatten, schaltete Sydney die Taschenlampe aus und wartete. Als Penelope wieder hervorkam, begann sie sofort zu plappern. „Gehst du immer hinter Bäume, wenn du mal musst?“, fragte die Kleine.

„Selten. Normalerweise halte ich an Tankstellen an.“

„Tankstellen? Da, wo du Benzin kaufst? Warum gehst du dahin?“

„Dort gibt es immer öffentliche Toiletten und Waschräume, die ich benutzen kann.“

„Ach so, sind die hübsch?“

„Nein, nicht besonders“, erwiderte Sydney mit einem Lächeln. Diese kleine Dame hatte offensichtlich keine Lebenserfahrung.

„Dads Taschenlampe ist toll, nicht wahr? Ich habe gar keine Angst, wenn sie an ist. Ich kann alles sehen.“

„Ja, es ist eine sehr gute Taschenlampe. Beeil dich jetzt. Ich muss noch etwas Schlaf bekommen, damit ich morgen weiterfahren kann.“ Sie benutzte die Taschenlampe, um auf ihre Armbanduhr zu schauen. Es war fast zwei Uhr. „Warum bist du mit deinem Vater so spät unterwegs gewesen? Werdet ihr morgen irgendwo erwartet?“

„Nein, ich glaube nicht. Aber diese Frau wollte uns einfach nicht in Ruhe lassen.“

Da Penelope nicht besonders besorgt wegen dieser Frau – wer immer es auch gewesen sein mochte – zu sein schien, maß Sydney den Worten des Kindes keine große Bedeutung bei. Sie stiegen wieder in den Truck ein.

„Du hast nicht geguckt, Dad, nicht wahr?“, fragte Penelope sofort.

Sydney hätte fast gelacht, als der ahnungslose Vater durch die Frage des Kindes aus dem Schlaf gerissen wurde. „Was?“

„Dein Vater hat geschlafen, also glaube ich kaum, dass er geschaut hat.“

„Oh, gut.“ Das kleine Mädchen klopfte ihm leicht auf die Schulter, eine rührende Geste, die viel über die Beziehung zu ihrem Vater aussagte. Sie erinnerte Sydney an ihre eigene Kindheit. In Penelopes Alter hatte sie geglaubt, für das Wohl ihres Vaters verantwortlich zu sein.

„Du musst dich jetzt ausruhen, weil du unser Gepäck geschleppt hast“, sagte Penelope. „Sitzt du auch bequem?“

Der Mann warf Sydney einen ironischen Blick zu. „Sie will einmal Stewardess werden und übt jetzt schon“, brummte er.

„Oh ja, das würde mir Spaß machen“, bestätigte Penelope. „Aber Grandma fände das gar nicht gut.“

„Kein Wort über deine verflixte Großmutter, Penelope!“, fuhr er seine Tochter verärgert an.

Als Sydney seinen schroffen Tonfall hörte, stellte sie sich unwillkürlich die Frage, ob sie die beiden nicht zu vorschnell aufgenommen hatte.

Er musste ihre Reaktion gespürt haben. „Entschuldigen Sie“, sagte er. „Meine Mutter hat mich in eine schreckliche Lage gebracht.“

„Zumindest haben Sie eine Mutter, die …“ Sie unterbrach sich abrupt, unfähig, den Satz zu Ende zu bringen. Sie wusste nicht, warum sie dieses Thema überhaupt angeschnitten hatte, normalerweise vermied sie es, darüber zu sprechen.

„Falls es Ihnen nichts ausmacht, werde ich Ihnen einige Kissen geben, und Sie können auf dem Sitz schlafen. Es ist nicht sehr bequem, aber …“

„… aber immer noch besser, als die ganze Nacht eine dunkle, einsame Straße entlangzulaufen“, beendete er ihren Satz. „Danke.“

„Penelope kann bei mir schlafen. Ich fahre dann in ein paar Stunden los und bringe Sie in kurzer Zeit wieder in die Zivilisation zurück“, versicherte sie ihm. „Kommst du mit, Penny?“

„Ich soll im Bett schlafen?“

„Ja. Du bist so klein, dass du kaum Platz wegnimmst.“

Das Kind schien über die Aussicht, mit Sydney in einem Bett zu schlafen, begeistert zu sein. Sydney öffnete den Wandschrank und holte ein T-Shirt heraus, das Penelope als Nachthemd benutzen sollte. Sie half dem Kind, sich umzuziehen, und Penelope bestand darauf, das improvisierte Nachthemd ihrem Vater zu zeigen.

„Sehr hübsch, Kleines. Ich hoffe, du hast unserer Gastgeberin gedankt.“

„Natürlich. Grandma sagt immer, dass ich nie vergessen darf, mich zu bedanken.“

„Es hört sich so an, als ob deine Grandma eine sehr nette Frau wäre“, sagte Sydney und lächelte das Mädchen an.

„Das behaupten Sie nur, weil Sie sie nicht kennen“, murmelte Robert.

Sydney warf ihm einen kühlen Blick zu. Diese Bemerkungen über seine Mutter waren sehr unverschämt.

Nachdem Penelope ins Bett geschlüpft war und sie das Mädchen zugedeckt hatte, reichte sie ihrem anderen Gast zwei Kissen und eine Decke. Dann zog sie den Vorhang zu und streifte ihre Slipper und die Jeans ab.

„Ziehst du keinen Pyjama an?“, flüsterte eine Kinderstimme.

„Nein. Ich habe nicht mehr viel Zeit zum Schlafen. Ich werde versuchen, morgen früh ganz leise aufzustehen, damit ich dich nicht wecke.“

Sie hörte das Rascheln von Laken in der Dunkelheit und spürte dann warme, weiche Lippen auf ihrer Wange. „Gute Nacht.“

Sydney lag ganz still da, überwältigt von dem Vertrauen, das das Kind ihr entgegenbrachte. Es dauerte nur einen Moment, bis der tiefe, regelmäßige Atem des Mädchens ihr verriet, dass es eingeschlafen war.

Sydney legte die Hand auf ihre Wange und spürte noch die Wärme der Kinderlippen. Wie lange war es her, seit jemand sie so liebevoll behandelt hatte! Wie lange würde es dauern, bis es erneut geschah?

Sie wollte gar nicht darüber nachdenken.

„Sydney?“

Erschrocken hob sie den Kopf. Dieser Mann hatte doch nicht etwa vor, sich jetzt, da seine Tochter eingeschlafen war, an sie heranzumachen?

„Es ist wohl besser, wenn Sie das hier wieder sicher verstauen. Penelope ist ein schrecklich neugieriges Kind.“

In der Dunkelheit konnte sie seine Hand kaum erkennen, die er durch den Spalt des Vorhanges geschoben hatte. Aber die silberne Pistole reflektierte das blasse Mondlicht, das durch das Seitenfenster fiel.

„Oh, die habe ich ganz vergessen. Danke.“

„Ich habe Ihnen zu danken“, erwiderte er ruhig und zog die Hand sofort zurück, nachdem sie ihm die Pistole abgenommen hatte.

Dass er ihr die Waffe zurückgegeben hatte, bewies einmal mehr, dass er keine schlechten Absichten hatte. Nachdem sie die Pistole in der Schachtel unter dem Bett verstaut hatte, legte sie sich wieder in ihr Kissen zurück.

Robert rekelte sich und fragte sich, was ihn dieses Mal geweckt haben könnte. Die Stunden, die er auf dem Sitz des Trucks verbracht hatte, waren eine Marter für seinen Körper gewesen.

Und seine Mutter trug die Schuld an all seinen Schwierigkeiten. Dabei hatte sie ihn bereits einmal dazu gebracht, eine Ehe einzugehen, die ihn nur unglücklich gemacht hatte.

Doch dieses Mal war er fest entschlossen, sie auszutricksen. Ein zweites Mal würde sie ihn nicht verkuppeln. Sein Bruder stellte den notwendigen Erben für das Herzogtum, also gab es für Robert keinen Grund mehr zu heiraten. Außerdem änderten sich die Zeiten. Er war davon überzeugt, dass sein eigenes Kind, Penelope, ebenfalls ein Anrecht auf das Erbe der Familie haben sollte. Natürlich hatte er für sie vorgesorgt, aber es war nicht gerecht, dass der Familiensitz, der Titel und die Farmen Petes Sohn zufallen würden, nur weil ein uraltes Erbrecht besagte, dass nur Jungen die Erbfolge antreten können.

Weil kein Erbe vorhanden gewesen war, hatte er sich vor acht Jahren von seiner Mutter überreden lassen, die bildhübsche Celia zu heiraten. Sie war elegant, kam aus gutem Haus und schien dafür geschaffen zu sein, die Rolle einer Herzogin zu übernehmen. Und bis zu einem gewissen Punkt traf das auch zu.

Seine Eltern hatten eine ungewöhnliche Ehe geführt, in der es oft hitzige Auseinandersetzungen gab. Seine Mutter, die Tochter eines reichen Ranchers aus Montana, hatte sich geweigert, sich in die strenge Etikette der königlichen Traditionen einzufügen, ihren Ehemann aber aufrichtig und leidenschaftlich geliebt. Robert hatte gehofft, dass seine Ehe ebenso werden würde.

Stattdessen hatte er eine herzlose Frau bekommen, die sich strikt an die alten Traditionen hielt, ihre Leidenschaft aber anderen Männern schenkte.

Jetzt hoffte seine Mutter, ihn in eine neue Ehe drängen zu können. Nur dass sie diesmal erwägte, ihm eine amerikanische Braut zu suchen. Ein Bild der jungen Fernfahrerin erschien vor seinen Augen. Natürlich war das nicht der Typ von Frau, den seine Mutter vor Augen hatte, aber Sydney war sogar in T-Shirt und Jeans eine Schönheit. Sie besaß eine natürliche Eleganz, die ihn faszinierte.

Sofort verdrängte Robert diesen Gedanken wieder. Sydney war eine flüchtige Reisebekanntschaft, nicht mehr. Er wollte die Ranch seines Bruders erreichen, bevor der Erbe von Hereford geboren wurde. Dann würde er nach England zurückkehren und sein dortiges Leben wieder aufnehmen.

Stellte sich nur die Frage, ob er der Falle, die die Herzogswitwe für ihn aufgestellt hatte, entkommen konnte. Nun, zumindest war es ihm heute Nacht gelungen. Und wenn er die Hauptstraßen und alle größeren Hotels mied und den nächsten Wagen mietete, ohne seine Kreditkarten zu benutzen, dann … Verflixt, er wusste nicht, was er tun sollte.

Gerade als er aus purer Verzweiflung wieder die Augen schloss, nahm er in seiner Nähe eine Bewegung wahr. Er schlug genau in dem Moment die Augen wieder auf, als der Vorhang hinter ihm geöffnet wurde.

Als die Frau in das frühe Morgenlicht trat, bemerkte Robert, dass das Licht seiner Taschenlampe nur einen Bruchteil ihrer Schönheit preisgegeben hatte. Ihre Haut war so rein und zart, dass man den Wunsch hatte, sie zu berühren, und ihr glänzendes Haar, ein warmes Braun mit einem leichten Rotschimmer, hing zu einem dicken Zopf geflochten über ihren Rücken. Zarte Strähnchen fielen lose um ihr schönes Gesicht und gaben ihr ein fast ätherisches Aussehen.

Sie wirkte wie ein Engel.

Robert setzte sich auf, und sie zuckte zusammen.

„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken.“

„Und ich wollte Sie nicht aufwecken. Wenn Sie wollen, können Sie nach hinten gehen und sich neben Penelope ins Bett legen. Ich bin sicher, dass es Ihrem Rücken guttut, wenn Sie sich endlich einmal ausstrecken können.“ Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, verschwand aber sofort wieder.

Er wehrte sich gegen die plötzliche Anziehungskraft, die von dieser Frau ausging, und dachte über ihr Angebot nach. Einerseits war er versucht, es anzunehmen, denn sein Rücken schmerzte tatsächlich, aber er wollte nicht so unhöflich sein, zu schlafen, während seine Retterin arbeitete. „Ganz und gar nicht. Ich habe gut geschlafen.“

Ihr gutmütiges Lächeln zeigte ihm, dass sie ihm nicht glaubte. „Wie Sie wollen.“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ließ sie den Motor an und lenkte den langen Truck auf den Highway.

„Ich dachte immer, man müsste Muskeln haben, um solch einen Koloss zu lenken“, bemerkte Robert, während er sie fasziniert beobachtete.

Sydney zog eine Augenbraue hoch. „Die habe ich auch.“

Ihm war zunächst nicht klar, ob er lachen oder sie herausfordern sollte. Doch stattdessen entschloss er sich, den Mund zu halten. Würde eine Unterhaltung sie beim Fahren stören? Er wusste nichts über diese Frau, nur, dass sie sehr hilfsbereit und freundlich war.

Um seine Gedanken von dieser schönen Frau abzulenken, schaute er sich in der Fahrerkabine um. Sein Blick fiel auf das Titelblatt einer Zeitung, die auf der Ablage zwischen den beiden Sitzen lag und auf dem ihm sein eigenes Bild entgegenlachte. „Herzog sucht Frau“, stand in dicken fetten Buchstaben darunter.

Auch das noch! Jetzt war alles ruiniert.

Er griff nach der Zeitung und legte sie rasch auf seinen Schoß. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich die Zeitung lese?“

„Natürlich nicht, allerdings ist sie von gestern.“ Ihr Blick war weiterhin auf die Straße gerichtet.

Ohne die Augen von Sydney zu nehmen, faltete er die Zeitung so um, dass sie die fettgedruckten Schlagzeilen und das Foto nicht sehen konnte. „Lesen Sie jeden Tag Zeitung?“

„Nur manchmal. Ich schaffe es nicht, sie jeden Tag zu lesen.“

Und er würde dafür sorgen, dass sie diese niemals las.

2. KAPITEL

Sydney fuhr in die Parklücke, die sie normalerweise immer auf dieser Autobahnraststätte am Rande von Toledo benutzte. Nachdem sie den riesigen Laster zum Halt gebracht, schaute sie zu ihrem Fahrgast hinüber.

Auf dem halben Weg hierher war er wieder eingeschlafen. Die Zeitung, die er gelesen hatte, war zu Boden gefallen. Penelope hatte sich bisher nicht gerührt und schlief wahrscheinlich auch noch.

Sydney musste sich mit einem Seufzer eingestehen, dass es ihr nicht geschadet hatte, ihre Regel zu brechen. Sie würde die beiden jetzt sich selbst überlassen können, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass ihnen auf dem einsamen dunklen Highway etwas passieren könnte.

Sie ignorierte das Unbehagen, das sie bei dem Gedanken befiel, wieder auf sich allein gestellt zu sein.

Als sie den Motor abstellte, umgab sie eine ungewohnte Stille. Dann erhob sie sich, nahm die heruntergefallene Zeitung auf und legte sie unten in den Wandschrank, wo sie das Altpapier sammelte. 

Es war an der Zeit, ihre Fahrgäste zu wecken. Sie schob den Vorhang zur Seite und betrachtete das schlafende Mädchen. Eine bittersüße Sehnsucht befiel Sydney. Sie liebte Kinder. Eigentlich war sie Grundschullehrerin und unterrichtete während des laufenden Schuljahres Kinder aus aller Welt. Einige von ihnen hatten schon die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt und waren nicht mehr so unbedarft, wie sie es gern gehabt hätte, aber alle waren voller Hoffnung und Liebe.

Sydney hatte immer davon geträumt, eines Tages ihre eigene Familie zu haben. Aber jetzt glaubte sie nicht mehr, dass das einmal Wirklichkeit werden würde.

Autor

Judy Christenberry
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