Leidenschaftliche Küsse unterm Mistelzweig

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DAS WUNDER DIESER EINEN NACHT

"Du willst das Baby, aber nicht mich?" In seinem ganzen Leben war Forde Masterson noch nicht so fassungslos! Sieht Melanie denn nicht, welch überwältigendes Geschenk ihnen die letzte gemeinsame Liebesnacht beschert hat - eine Chance, ihre Ehe zu retten, zu dritt für immer glücklich zu sein? Doch die Verzweiflung in den Augen seiner Frau ist nicht gespielt: Melanie kann ihm einfach nicht vertrauen. Aber Forde beschließt, mit Herz, Seele und seiner ganzen Liebe um das Glück zu kämpfen. Schließlich steht Weihnachten vor der Tür, die Zeit der Wunder …

DAS, WAS MAN LIEBE NENNT

Wie jedes Jahr um die Weihnachtszeit ist bei Vicky Moreton das liebe Geld mal wieder sehr knapp. Um ihre karge Haushaltskasse ein wenig aufzubessern, vermietet sie eins der vielen Zimmer des alten Pfarrhauses an den Bauunternehmer Jay Brentford. Dieser kühle Geschäftsmann zieht sie magisch an - schon ewig hat Vicky nicht mehr ein so starkes Verlangen gespürt. Seit sie sich mit achtzehn - vom ersten Champagner berauscht - einem Fremden hingegeben hat, ist Liebe kein Thema mehr für sie gewesen. Ihre ganze Fürsorge galt ihren Zwillingen Julie und Jamie - gezeugt in jener Liebesnacht. Vickys heiße Gefühle werden anscheinend erwidert - Jay lässt keine Gelegenheit aus, mit ihr allein zu sein...

WEIHNACHTEN MIT EINEM ENGEL?

Tiefblaue Augen, die sie verzweifelt anschauen, ein markant-schönes Gesicht, und auf dem Arm ein weinendes Kind: Dieser Mann ist überfordert, denkt die junge Nanny Ashley. Ihre eigenen Probleme sind vergessen - arbeitslos in London gestrandet, Weihnachten vor der Tür und keine Bleibe - als sie ihre Hilfe anbietet. Und damit Dario Vantanis Herz stürmt! Der Millionär bittet sie, seinen rettenden Engel, bei ihm und seinem kleinen Neffen zu bleiben. Und noch während die Festtage die City verzaubern, macht Dario ihr einen Heiratsantrag. Nur aus Vernunft - oder etwa aus Liebe?

LASS NUR DEIN HERZ ENTSCHEIDEN!

Wie kann er es nur wagen, ihr so ein Ultimatum stellen? Nach allem, was er ihr angetan hat? Miriam ist empört: Jay fordert allen Ernstes von ihr, dass sie zu ihm zurückkehrt und bis Weihnachten bei ihm wohnt. Erst, wenn sie nach diesen zwei Monaten immer noch davon überzeugt ist, dass ihre Ehe keine Zukunft mehr hat, wird der Millionär sie freigeben. Miriams Verstand rät ihr, nicht in das Londoner Luxus-Apartment zurückzukehren - Jay wird sie doch nur wieder betrügen und verletzen. Doch ihr Herz fordert eine andere Entscheidung. Denn es sehnt sich immer noch nach Jays Liebe …

ZUM FEST DER LIEBE

Für die alleinstehende Emily scheint es ein einsames Weihnachtsfest zu werden - bis sie zufällig dem attraktiven Ray Brewster begegnet. Während leise der Schnee auf Boston rieselt, beginnt in ihrem Herzen eine warme Flamme zu lodern. Denn Rays Blicke versprechen ihr ein zärtliches Geschenk: Liebe … Rays Bruder Charles jedoch findet, dass Weihnachten abgeschafft gehört. Wie jedes Jahr flieht er vor dem schwärzesten Tag des Jahres. Doch diesmal hat die Rechnung ohne Emilys Freundin Faith gemacht, eine ebenso schöne wie entschlossene Weihnachts-Romantikerin …

ICH SEH DICH IN MEINEN TRÄUMEN

Alessandro ist kein Freund von Weihnachten, und so zieht er sich auch dieses Jahr in eine einsame Berghütte zurück. Vielleicht hilft ihm die Ruhe dort, endlich diesen Traum loszuwerden, den er fast jede Nacht hat: Eine hinreißende Frau, die er nicht kennt, verführt ihn. Doch dann passiert etwas, das ihn zunächst alle Träume vergessen lässt: Eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm steht vor seiner Tür und erklärt, der Kleine sei sein Sohn. Maureen behauptet, dass sie ihrer Schwester Meg, der Mutter des Babys, versprechen musste, Alessandro zu finden. Unglaublich - aber wahr? Unerklärlich ist auch, warum die Schöne in seinen zärtlichen Träumen Maureen so täuschend ähnlich sieht.


  • Erscheinungstag 02.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773137
  • Seitenanzahl 896
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Helen Brooks, Penny Jordan, Carol Marinelli, Debbie Macomber, Day Leclaire

Leidenschaftliche Küsse unterm Mistelzweig

Helen Brooks

Das Wunder dieser einen Nacht

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de

© 2012 by Helen Brooks
Originaltitel: „Just One Last Night“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2105 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Anike Pahl

Fotos: Jose Luis Pelaez / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2013 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733700164

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Melanie starrte auf den Brief in ihrer Hand. Das tiefschwarze Gekritzel verschwamm allmählich vor ihren Augen, und sie musste blinzeln, um es noch einmal entziffern zu können. Ihr Verstand vermochte den Inhalt trotzdem nicht zu erfassen.

Begriff Forde denn nicht, wie unmöglich sein Anliegen war? Wie absolut lächerlich? Es machte so wenig Sinn, dass sie den Brief sogar ein drittes Mal las, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht träumte. Seine Handschrift hatte sie gleich erkannt, als sie den Umschlag vor ihrer Haustür gefunden hatte, und ihr Herz war vor Freude aufgegangen. Dabei musste sie befürchten, dass er ihr nur wegen der Scheidung schrieb, doch dann …

Melanie atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

Forde schlug ihr vor, für ihn zu arbeiten. Also nicht direkt für ihn, sondern vielmehr für seine Mutter. Aber das kam auf das Gleiche hinaus. Seit Monaten hatten sie kein Wort miteinander gewechselt, ihr Verhältnis war völlig abgekühlt, und nun flatterte aus heiterem Himmel dieser Brief ins Haus. Allein Forde Masterson konnte derart dreist sein! Wirklich unglaublich!

Sie schleuderte den Umschlag auf den Esstisch und sah den Rest ihrer Post durch. Währenddessen aß sie den Rest ihres Croissants und gönnte sich noch eine Extratasse Milchkaffee.

Ihr kleines Esszimmer war gleichzeitig ihr Arbeitszimmer. Dieses Arrangement hatte seine Nachteile, wenn sie Freunde zum Essen einladen wollte. Aber momentan blieb ihr sowieso keine Zeit für soziale Kontakte. Seit sie sich Anfang des Jahres von Forde getrennt hatte, arbeitete sie unablässig am Aufbau ihrer Firma für Landschaftsgestaltung. Ihrer gemeinsamen Firma, die sie gegründet hatten, kurz nachdem …

Innerlich schob sich ein eiserner Riegel vor die schmerzhaften Erinnerungen. Seit der Trennung von Forde vermied sie es, an die Zeit mit ihm zu denken. Es war besser so.

Seufzend leerte sie ihre Tasse Milchkaffee und ging nach oben, um zu duschen und sich anzuziehen. Dann rief sie ihren Assistenten James an, um mit ihm die Aufgaben des Tages zu besprechen. James war ein großartiger Mitarbeiter: voller Enthusiasmus für die Sache, und er scheute auch nicht vor harter Arbeit zurück. Mit seinem extrem muskulösen Körper und seinem südländischen Aussehen wirkte er ausgesprochen attraktiv, und Frauen umkreisten ihn wie Bienen einen Honigtopf. Aber das tat seiner Arbeit keinen Abbruch, demnach konnte Melanie sich nicht beschweren.

Ihre Arbeitskleidung bestand aus alten Jeans und einer Weste, die sie über einem engen T-Shirt trug. Die schulterlangen, aschblonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, und ihre helle, typisch englische Haut hatte sie dick mit Sonnenschutz eingecremt. Momentan litt das ganze Land unter einer Hitzewelle, und die Augustsonne war auch um acht Uhr morgens schon ziemlich stark.

Bevor sie ins Erdgeschoss zurückkehrte, machte sie ihr Schlafzimmerfenster sperrangelweit auf, um die nach Rosen duftende Luft von draußen in den Raum zu lassen. Das Cottage war winzig, im Obergeschoss befanden sich nur das eine Schlafzimmer und das Bad. Unten grenzte ein gemütliches Wohnzimmer an das kleine Esszimmer. In einem Anbau befand sich die kleine Küche, von der aus man in den gepflegten, übersichtlichen Garten gehen konnte. Melanie fühlte sich unglaublich wohl hier!

Die Grundstücksgrenze bestand aus einer alten Steinmauer, die – ebenso wie die Außenwand des Hauses – von Kletterrosen und Geißblatt überwuchert war. Auf der gepflasterten Terrasse stand ein Gartentisch mit Stühlen, umsäumt von bunt bepflanzten Blumenkübeln. Am Abend konnte man dort die warme, duftende Luft genießen in Gesellschaft von Bienen und Schmetterlingen. Es war nicht übertrieben zu behaupten, dass dieses Cottage Melanies wunde Seele geheilt hatte, nachdem sie aus dem Palast ausgezogen war, in dem sie bis dahin mit Forde gelebt hatte.

Das Cottage gehörte zu einer Siedlung mit zehn Häusern, alle bewohnt von Singles oder kinderlosen Paaren. Die meisten von ihnen, unter anderem auch die direkten Nachbargebäude, wurden sogar nur als Wochenendsitz genutzt. Hier im Südwesten des Londoner Umlands verfügten die Dörfer und Städtchen noch über einen zeitlosen Charme, der entspannend auf die Menschen wirkte.

Außerdem war das Cottage ganze sechzig Meilen von Fordes Haus in Kingston entfernt. Eine notwendige Bannmeile, wie Melanie fand, um ihm nicht zufällig über den Weg zu laufen.

Sie hatte ernsthaft Sorge gehabt, ob ihr relativ junges Unternehmen den Standortwechsel überleben würde, doch die Geschäfte liefen sogar so gut, dass sie kurz darauf einen Mitarbeiter einstellen konnte: James. Die Art und Weise ihrer Arbeit hatte sich verändert. Damals in Kingston an der Themse hatte sie hauptsächlich Wohnanlagen mit Spielplätzen und kleinen Parks entworfen. Heute ging es bei ihren Aufgaben eher um öffentliche und private Gartenanlagen und deren Pflege, Forstwirtschaft und Landgewinnung.

Manchmal arbeiteten sie und James mit einem Team zusammen, das aus Architekten, Planern, Ingenieuren und Bürokraten bestand, je nachdem, was der jeweilige Job erforderte. Bei anderen Projekten arbeiteten sie getrennt voneinander in Privatgärten oder auf größeren Anwesen. Der Papierkram gehörte natürlich ebenfalls zu Melanies Aufgabenbereich, genauso wie die Kundenakquise und die Koordination der Beteiligten in einer Projektgruppe.

Melanie merkte, wie sie sich in Tagträumen verlor, und sie wandte sich energisch vom Fenster ab. Ihr Verstand sprang an und fokussierte die Anforderungen des heutigen Tages. James musste den Abriss einiger alter Schweineställe beaufsichtigen, weil ein Kunde an der gleichen Stelle einen Wildblumengarten anpflanzen wollte. Damit sollte das ökologische Gleichgewicht auf dem traditionellen Bauernhof unterstützt werden, den er sich angeschafft hatte. Melanies Idee war eine Wildwiese mit Blumen, die auf dem Rasen wuchsen und sich regelmäßig selbst aussäen konnten, bevor gemäht wurde. Auf diese Weise würde ein richtiges Biotop für Insekten entstehen, das sich nach und nach perfektionierte.

Ihr eigener Tag stellte ein Kontrastprogramm dar. Sie würde einem neu angelegtem Garten, an dem sie und James bereits seit drei Wochen werkelten, den letzten Schliff verpassen. Die Anlage bestach durch eine ruhige Ordnung, klare Linien und eine ausgewogene Symmetrie, bei der auf Details höchsten Wert gelegt wurde. Ein pensionierter Banker und seine Frau hatten sich das Grundstück kürzlich gekauft. Und sie waren begeistert von dem Entwurf gewesen, den Melanie ihnen nach ihren Wünschen vorgelegt hatte.

Ja, sie liebte ihren Job. Dankbar schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel. Sie freute sich täglich über ihr Talent, für jeden Menschen individuelle Welten erschaffen zu können. Das war eine zutiefst befriedigende Berufung, auch wenn der Alltag nicht immer einfach war. Ganz besonders anstrengend wurde es, wenn ein Kunde seinen perfekten Garten in einer Zeitschrift oder einem Buch entdeckte. Denn die Vorlage war meistens aus schlichten Platzgründen nicht eins zu eins umsetzbar, was viele Laien nicht einsehen wollten. Aber auch das war Teil der beruflichen Herausforderung und machte letztendlich Spaß.

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlenderte Melanie die Treppe hinunter und blieb in der Tür zum Esszimmer stehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sich jedes geschriebene Wort aus Fordes Brief in ihr Gehirn eingebrannt hatte.

Liebe Melanie,

ich schreibe, weil ich Dich um einen Gefallen bitten möchte. Nicht für mich, sondern für Isabelle.

Typisch, dachte Melanie mit Herzklopfen und starrte den Brief auf ihrem Esstisch an. Er will gar nicht wissen, wie es mir ergangen ist oder was ich gerade mache. Ohne irgendwelche Floskeln kommt er gleich zum Punkt.

In letzter Zeit ging es ihr nicht besonders gut, und der Garten in Hillview wird zu viel für sie. Nicht, dass sie das zugeben würde. Die ganze Anlage müsste umgestaltet werden, wobei das Augenmerk auf einer möglichst pflegeleichten Lösung liegen sollte. Immerhin ist sie inzwischen fast achtzig. Nur leider lässt sie keinen Gärtner aufs Grundstück, und es ist mir unmöglich, ihr Hilfe an die Seite zu geben. Dir allerdings würde sie vertrauen. Würdest du bitte über meinen Vorschlag nachdenken? Du kannst mich dann anrufen.

Forde

Würdest du bitte über meinen Vorschlag nachdenken? Sie schüttelte den Kopf. Darüber brauchte sie nicht nachzudenken. Sie wusste ganz genau, was sie tun wollte – und dass sie Forde keinesfalls anrufen würde. Schließlich hatte sie nach der Trennung auf eine Kontaktsperre bestanden, und das galt immer noch.

Mit wenigen Schritten war sie am Schreibtisch und zerriss Brief und Umschlag in unzählige kleine Fetzen, die sie anschließend in den Papierkorb rieseln ließ. Fertig! Sie hatte heute genug zu tun, auch ohne sich den Kopf über Forde und seine wahnwitzige Anfrage zu zerbrechen.

Sie blieb noch einen Moment stehen und blickte ins Leere. Was meinte er wohl damit, es ginge Isabelle nicht besonders gut? Vor ihrem inneren Auge tauchte das Antlitz von Fordes liebenswürdiger Mutter auf, und Melanies Herz zog sich zusammen. Für sie war es schlimm gewesen, auch ihrer Schwiegermutter Lebewohl sagen zu müssen. Andererseits war Melanie sicher gewesen, die Trennung nicht durchziehen zu können, wenn sie nicht alle bestehenden Verbindungen zu Forde rigoros kappte.

In einem Brief hatte sie sich von Isabelle verabschiedet und der alten Dame versichert, wie viel Liebe und Respekt sie ihr gegenüber empfand. Melanie erwartete nicht, dass Isabelle verstand, warum sie gehen musste. Und sie hatte ausdrücklich darum gebeten, den Brief nicht zu beantworten. Isabelle schrieb trotzdem, und Melanie schickte den Umschlag ungeöffnet zurück. Es kostete sie unglaubliche Überwindung, trotzdem schien es ihr die einzig richtige Entscheidung zu sein. Die alte Dame hatte es nicht verdient, zwischen den Fronten aufgerieben zu werden.

Isabelle vergötterte ihren Sohn, ihr einziges Kind, und die beiden standen sich seit dem Tod des Vaters – damals war Forde kaum zwanzig gewesen – ganz besonders nah.

In diesem Moment klingelte Melanies Handy und riss sie aus ihren trüben Gedanken. Es war James. Er stand im Stau und würde es nun nicht mehr rechtzeitig zum Abriss der Ställe schaffen. Also fragte er, ob Melanie zum Ortstermin fahren und die Arbeiter des Abrissunternehmens einweisen könne, bevor sie sich an ihre eigene Arbeit machte. Der Auftrag war zwar auch schriftlich fixiert, doch es war erfahrungsgemäß ratsamer, persönliche Anweisungen zu geben, wenn alles reibungslos laufen sollte.

Melanie stimmte zu. Seitdem bei einem früheren Projekt ein einwandfreier Wintergarten eingerissen und das schrottreife Gewächshaus verschont worden war, traute sie den meisten Bauarbeitern nicht mehr über den Weg. Und James hatte von Anfang an ihre Meinung geteilt.

Seufzend organisierte sie im Kopf den Vormittag um und beschloss, gleich loszufahren, anstatt zuerst ihre Buchhaltung zu machen. Kurz darauf saß sie schon in ihrem rostigen Pick-up und holperte über die Landstraße. Es würde ein hektischer Tag werden, aber das passte ihr ganz gut. So blieb ihr wenigstens kaum Zeit, um über Fordes Brief nachzugrübeln.

Es wurde tatsächlich ein höchst hektischer Tag. Melanie kam erst spät am Abend wieder nach Hause, dafür steckte in ihrer Tasche ein ausgesprochen großzügiger Scheck. Das Bankerpaar war von ihrem Werk hingerissen und hatte sich dementsprechend erkenntlich gezeigt.

Sie parkte ihren Wagen auf dem reservierten Parkplatz, der den Bewohnern der Cottagesiedlung zur Verfügung stand, und ging auf dem Weg hinter den Häusern entlang bis zu ihrem eigenen Gartentor. Noch zwei Schritte und dann war sie in ihrem privaten, kleinen Paradies und atmete tief den schweren Rosenduft ein.

Ihr geliebtes Zuhause! Jetzt wünschte sie sich nur noch ein schönes heißes Bad, um die schmerzenden Muskeln zu lockern. Melanie war wild entschlossen gewesen, ihren Auftrag heute fristgerecht zu Ende zu bringen, und hatte sich daher nicht einmal die Zeit für eine Mittagspause genommen.

Durch die Küchentür trat sie ins Haus, streifte ihre Stiefel und ihre Strümpfe ab und schleppte sich barfuß die Treppe hinauf ins Badezimmer. Dort riss sie als Erstes das Fenster auf, um die milde Abendluft ins Haus zu lassen und ließ dann das Badewasser ein.

Wenige Minuten später lag sie in einem duftenden Schaumbad und sah durch das große Fenster in den Nachthimmel hinauf, wo bereits die ersten Sterne funkelten. Wieder einmal dankte sie im Stillen den Leuten, die diese kleine Cottagesiedlung einst renoviert hatten. Man hatte die freistehende Badewanne so installieren lassen, dass der jeweilige Bewohner von dort aus durch eine klare Glasscheibe das Farbenspiel am Himmel beobachten konnte. An Tagen wie diesen genoss Melanie es, einfach dort im Dunkeln zu liegen und nichts zu tun. Allerdings schaffte sie es nicht, ihre kreisenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen …

Immer wieder drang das Bild von Forde in ihr Bewusstsein vor, so sehr sie auch versuchte, es zu ignorieren. Es gelang ihr einfach nicht, ihn aus ihrem Kopf zu verdrängen. Aber sie wollte auf keinen Fall Kontakt zu ihm aufnehmen, auch nicht für Isabelle. Er und seine Mutter gehörten der Vergangenheit an, und für sie beide gab es in Melanies Gegenwart und Zukunft keinen Platz mehr. Das hatte viel mit einem gesundem Überlebensinstinkt zu tun.

Sie hörte das Telefon unten klingeln und ließ den Anrufbeantworter anspringen, anstatt die Treppe hinunterzujagen. Energisch befahl sie jedem einzelnen ihrer Muskeln, sich vollkommen zu entspannen, Stück für Stück, dann schloss sie die Augen. Wenige Minuten später spielte das Handy in ihrer Arbeitshose seinen melodischen Klingelton ab. Vermutlich war es James, der mit ihr die letzten Dinge des Tages besprechen wollte, aber das war ihr jetzt egal. Diese freie Zeit gehörte ihr ganz allein. Der Rest der Welt konnte wohl für einen Augenblick warten!

Genüsslich gönnte sie sich noch eine halbe Stunde in der heißen Wanne, bevor sie ihre Haare wusch und sich anschließend in einen kuscheligen Bademantel hüllte. Unten hatte der Anrufbeantworter inzwischen zwei weitere Nachrichten aufgezeichnet. Ihr Magen fühlte sich flau und leer an, und sie konnte es kaum erwarten, sich endlich etwas zu essen zu machen.

Gerade berührte ihre Fußspitze die letzte Treppenstufe auf dem Weg nach unten, da klopfte es laut an der Haustür. Melanie wäre vor Schreck beinahe gestolpert. Das konnte eigentlich nur James sein. Bestimmt hatte er irgendeine Katastrophe zu berichten und kam nun vorbei, nachdem er sie telefonisch nicht erreicht hatte. Das war schon in Ordnung, schließlich war sie der Boss.

Entschlossen setzte sie eine freundliche Miene auf und zog den Bademantelgurt fester um ihre Taille. Dann öffnete sie die Tür.

Der große, gut aussehende Kerl auf der Schwelle war nicht James.

Melanie erstarrte.

„Hallo.“ Forde lächelte nicht. „Störe ich gerade?“

„Wie bitte?“ Verständnislos sah sie ihn an. Er sah einfach großartig aus. Weißes Hemd, schwarze enge Jeans und so muskulös wie eh und je.

Seine silberblauen Augen leuchteten im Kontrast zu den tiefschwarzen Wimpern. Er begutachtete ihren Aufzug und legte den Kopf schief. „Hast du gerade Besuch?“

Die Bedeutung hinter dieser Frage war klar. Melanie wurde rot bis zu den Haarspitzen, und das Adrenalin schoss wie Feuer durch ihre Adern. Der Gesichtsausdruck wurde allerdings regelrecht eisig. „Was hast du da gerade gesagt?“

Forde entspannte sich etwas, froh darüber, sich geirrt zu haben. Den ganzen Tag über hatte er vergeblich auf eine Antwort von ihr gewartet. Und nachdem sie auch nicht ans Telefon gegangen war, wollte er nachsehen, ob sie ihn absichtlich ignorierte oder ob sie einfach nicht zu Hause war.

Im Obergeschoss brannte Licht, und sie öffnete im Bademantel die Tür. Was sollte er da wohl denken?

„Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass jemand bei dir ist“, erklärte er und bereitete sich darauf vor, zügig einen Schritt nach vorn zu kommen, falls sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen wollte. „Und du bist nicht an dein Telefon gegangen.“

„Weil ich heute sehr lange gearbeitet habe und erst mal ein ausgiebiges Bad nehmen wollte“, verteidigte sie sich. „Aber wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen? Und wie kommst du darauf, ich hätte einen Mann bei mir?“

„Es war das Offensichtliche.“

„Für dich vielleicht. Du solltest nicht zu voreilig von dir auf andere schließen.“ Herausfordernd kniff sie die Augen zusammen.

„Ich schäme mich ja auch in Grund und Boden dafür.“ Spott war seine übliche Masche in einer solchen Situation. Und für Melanie war es, als würde er Öl ins Feuer ihrer Wut schütten. Forde hatte es als einziger Mensch auf der Welt geschafft, ihre kühle Fassade – hinter der sie sich schützend verbarg – zum Schmelzen zu bringen. Bei ihm verlor sie allzu schnell die Kontrolle über sich und ihre Emotionen.

Da sie ihre Kindheit in verschiedenen Heimen verbracht hatte, musste sie früh lernen, ihr wahres Ich und ihre Gefühle sicher zu verstecken. Nur bei Forde funktionierte das leider nicht.

„Würdest du bitte gehen?“, verlangte sie mit gepresster Stimme und wollte die Tür schließen, doch er machte einen Satz nach vorn und stellte seinen Fuß in den Weg.

„Hast du meinen Brief bekommen?“ Im Gegensatz zu ihr wirkte er völlig ruhig und unbekümmert.

Das nervte sie mindestens ebenso sehr wie seine Annahme, sie hätte einen Lover im Bett. Ergeben ließ sie die Klinke los und nickte.

„Und?“, drängte er.

„Was und?“

Sein starrer Blick schien sich bis in ihre Seele vorzuarbeiten. „Tu nicht so, als würde es dir nichts ausmachen, wie es um Isabelle steht!“

Ihr Ärger verflog, und sie blinzelte. „Was ist mit ihr?“

Er zuckte die Achseln. „Stur wie ein Esel. Du kennst sie ja.“

Fast hätte Melanie gelächelt. Fordes Mutter war eine mildere, feminine Version ihres starrsinnigen Sohnes, aber mindestens genauso durchsetzungsstark. Gleichzeitig war sie ihrer Schwiegertochter eine äußerst liebevolle Unterstützerin gewesen – wie die Mutter, nach der Melanie sich immer gesehnt, die sie aber nie gehabt hatte.

Melanie schluckte, und ihre Besorgnis wuchs. „Du meintest, ihr würde es nicht besonders gut gehen?“

„Sie ist in ihrem verdammten Garten gestürzt und hat sich die Hüfte gebrochen. Und dann sind während der Operation Komplikationen aufgetreten. Sie hat etwas am Herzen.“

Ihre Augen wurden größer. Nach Fordes Brief war Melanie davon ausgegangen, die alte Dame hätte sich eine Grippe eingefangen oder Ähnliches. Aber einen Bruch und eine Operation … Isabelle hätte sterben können, ohne dass Melanie überhaupt eine Ahnung hatte. Ihre Kehle wurde trocken. „Das tut mir wahnsinnig leid.“

„Nicht so sehr wie mir“, erwiderte er grimmig. „Sie hört nicht auf das, was man ihr sagt, und legt es darauf an, wieder ins Krankenhaus eingewiesen zu werden. Um keinen Preis der Welt will sie sich bei mir einquartieren lassen oder eine Reha in Anspruch nehmen. Nach der OP hat sie sich auf eigenen Wunsch entlassen – gegen den Rat der Ärzte, wohlgemerkt! Das einzige Zugeständnis ihrerseits war eine Pflegekraft, die ich gnädigerweise einstellen durfte. Sie wird bei ihr bleiben, bis Mutter wieder mobil ist. Aber auch das war nur unter starkem Protest machbar. Meine Mutter führt sich wirklich unmöglich auf!“

Amüsiert sah Melanie ihn an. Forde würde sich unter vergleichbaren Umständen ganz genauso benehmen, kein Zweifel. In seinen guten Zeiten führte er sich unmöglich auf, es ging aber noch weitaus schlimmer. Trotzdem gab es keinen Mann auf Erden, der mehr Sexappeal besaß …

Energisch zog sie ihren Bademantelgurt noch fester.

Zeig ihm nicht, dass dich sein plötzliches Auftauchen durcheinanderbringt! ermahnte sie sich. Es ist ein für alle Mal vorbei. Sei stark!

„Tut mir ehrlich leid“, wiederholte sie. „Aber du musst einsehen, wie lächerlich deine Idee ist, Forde. Ich kann nicht für deine Mutter arbeiten. Wir sind mitten in der Scheidung.“

„Ja, wir schon. Das sollte jedoch keinen Einfluss auf dein Verhältnis zu Isabelle haben. Du hast sie übrigens extrem verletzt, als du ihren Brief einfach zurückgeschickt hast“, fügte er hinzu.

Wie unfair. Das ging unter die Gürtellinie. Aber so war Forde eben. „Es war besser so.“

„Ach, wirklich?“ Er machte eine kurze Pause. „Für wen?“

„Forde, ich habe jetzt keine Lust auf eine Auseinandersetzung mit dir.“ Sie zitterte, obwohl der Abend recht warm war.

„Du frierst ja.“ Mit einer kräftigen Armbewegung stieß er die Tür ganz auf. „Lass uns das Ganze drinnen besprechen!“

„Entschuldige mal!“ Wenigstens war sie besonnen genug, ihm den Weg zu versperren. „Ich erinnere mich nicht, dich hereingebeten zu haben.“

„Melanie, wir beide sind seit zwei Jahren verheiratet. Und falls du keine perfekte Schauspielerin bist und dich die ganze Zeit über verstellt hast, liebst du meine Mutter genau wie ich. Ihretwegen bitte ich dich um deine Hilfe. Okay? Willst du mir das tatsächlich abschlagen?“

Zwei Jahre, vier Monate und fünf Tage, um genau zu sein. Und die ersten elf Monate waren der Himmel auf Erden gewesen. Danach allerdings … „Geh jetzt bitte“, bat sie ihn und klang dabei schwächer als beabsichtigt. „Unseren Anwälten wäre diese Diskussion hier auch nicht recht.“

„Ach, vergiss die Anwälte!“ Ohne zu zögern, betrat er den Flur und schloss die Haustür hinter sich. „Das sind doch alles Blutsauger! Ich muss hier und jetzt mit dir reden, allein das zählt.“

Weil er so dicht vor ihr stand, nahm sie seinen Duft wahr, der alte Erinnerungen in ihr weckte. Erinnerungen, die allesamt ziemlich verführerisch und intim waren. Sie ließen Melanie erneut erzittern – und wieder nicht vor Kälte. Forde war der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte. Und seine Macht über sie war heute noch beängstigend. „Bitte verschwinde!“

„Hör mal, Nell!“, begann er sanft, „Lass uns zusammen einen Kaffee trinken. Wir setzen uns hin, und du lässt mich reden. Mehr verlange ich doch gar nicht. Mir geht es allein um Isabelle.“

Obwohl er sie nicht berührte, fühlte es sich für Melanie an, als würde Forde ihr körperliche Schmerzen zufügen. Jetzt kam ihr die Disziplin, die sie sich schon als Kind erarbeitet hatte, zugute. Da brachte es sie auch nicht ins Wanken, dass er sie mit ihrem alten Kosenamen ansprach. „Das halte ich für keine gute Idee, Forde.“

„Ganz im Gegenteil, es ist sogar eine exzellente Idee!“

Seine dunklen Haare fielen ihm tief in die Stirn. Es war offensichtlich, dass er kein Nein gelten lassen würde. Und da er viel größer und kräftiger war als sie, würde Melanie ihn wohl kaum gegen seinen Willen aus ihrem Haus bugsieren können. Ergeben ging sie voraus in ihr winziges Wohnzimmer.

„Mir bleibt ja keine andere Wahl, oder?“, rief sie über die Schulter.

Forde folgte ihr und freute sich insgeheim darüber, ohne weitere Diskussionen Einlass gewährt zu bekommen. Allerdings sollte man den Tag nicht vor dem Abend loben. Eine Schlacht war gewonnen, aber der Krieg war noch lange nicht entschieden.

Rasch sah er sich im Zimmer um und bemerkte, dass jedes Detail der Einrichtung Melanies ganz persönliche Handschrift trug. Die cremefarbenen Vorhänge passten zu den beiden kuscheligen Sofas und dem dicken kaffeebraunen Teppich. Ein offener, viktorianischer Kamin war aufwändig restauriert worden, wurde um diese Jahreszeit jedoch nicht benötigt. Der große Spiegel an der gegenüberliegenden Wand ließ den Raum viel größer wirken und reflektierte mit Sicherheit tagsüber das Licht aus den beiden Fenstern. Geschickt geplant, hübsches Interieur, modern und gleichzeitig gemütlich … trotzdem fehlten persönliche Dinge wie Fotos und dergleichen.

„Setz dich, ich hole Kaffee!“ Genervt zeigte sie auf ein Sofa. Dann verschwand sie wieder im Flur und zog sich dabei den Handtuchturban vom Kopf.

Doch Forde folgte ihrer unfreundlichen Einladung nicht, sondern kam ihr in die Küche hinterher. Hier sah es gleich bewohnter aus: vollgestopfte Regale, zahllose Papiere und Unterlagen auf dem Küchentresen, und in der Spüle lag schmutziges Geschirr. Wahrscheinlich verbrachte Melanie auch zu Hause die meiste Zeit mit Arbeiten.

Hektisch drehte sie sich zu ihm um. „Ich hatte noch keine Zeit zum Abwaschen“, sagte sie giftig.

„Vor mir brauchst du dich nicht zu rechtfertigen.“

„Habe ich auch nicht. Es sollte bloß eine Erklärung sein.“

Um die Wogen zu glätten, wechselte Forde das Thema. „Nett hast du es hier.“

Ihre Blicke trafen sich, und er merkte, dass Melanie seine Aufrichtigkeit infrage stellte. Dann sackten ihre Schultern ein Stück nach unten. Offenbar war sie innerlich zum dem Schluss gekommen, dass dieses Kompliment sein Ernst war.

„Danke. Mir gefällt es selbst sehr gut. Ein wahrer Glücksgriff.“

„Übrigens soll ich dich von Janet grüßen.“

Janet war Fordes Köchin und Haushälterin. Sie kam täglich für mehrere Stunden, putzte, kümmerte sich um die Wäsche und bereitete das Abendessen vor. Sie war die gute Seele seines Hauses, obwohl sie sich obendrein um einen arbeitsfaulen Ehemann und ihre drei Teenager kümmern musste. Melanie mochte sie sehr. Janet war am Tag des Unfalls bei ihr gewesen und hatte ihre Hand gehalten, bis der Krankenwagen eintraf …

Schnell schlug sie sich diesen Gedanken aus dem Kopf. „Bitte grüß Janet von mir zurück“, erwiderte sie steif und öffnete den Kühlschrank. Im Augenblick brauchte sie etwas Stärkeres als Kaffee. „Ich habe Weißwein da. Möchtest du auch ein Glas anstelle von Kaffee?“

„Großartig, danke.“ Er schlenderte am Arbeitstresen vorbei und sah durch die Hintertür auf die kleine, schwach beleuchtete Terrasse. „Das ist ja hübsch. Sollen wir uns hier nach draußen setzen?“ Forde machte sich an der Tür zu schaffen.

Mit aller Kraft versuchte sie die Tatsache zu ignorieren, dass sie unter ihrem Bademantel splitterfasernackt war. Zu allem Überfluss reagierte ihr Körper wie immer heftig auf Fordes Nähe. Er brauchte sie nur anzusehen, und schon wurde ihr heiß. Forde gehörte zu den wenigen Männern, die eine angeborene, männliche Anziehungskraft besaßen. Das erkannte man an seinem Gang, an seinem Lächeln und an praktisch jeder Bewegung von ihm.

Seine Größe und sein muskulöser Körperbau waren ziemlich beeindruckend. Aber vor allem sein Gesicht – zu markant geschnitten, um nur als schön zu gelten, und trotzdem atemberaubend attraktiv – zog Frauen von jung bis alt an. Pechschwarze Haare und silberblaue Augen, einen zynischen Zug um den erotischen Mund und ein sexy Grübchen im Kinn.

Pures Dynamit. So hatte eine ihrer Freundinnen Forde getauft, nachdem Melanie regelmäßig mit ihm ausging. Und diese Freundin sollte recht behalten.

Aber Dynamit kann unberechenbar und gefährlich sein, überlegte Melanie und fuhr sich nachdenklich mit gespreizten Fingern durch das feuchte Haar.

Mit der Weinflasche und zwei Gläsern in den Händen trat sie auf die schattige Terrasse hinaus, wo es herrlich nach Blüten duftete. Forde saß schon am Bistrotisch, hatte seine langen Beine vor sich ausgestreckt und schien die Kletterrosen zu bewundern, die an der Rückseite des Hauses emporrankten.

An dem Tag, als sie Forde verlassen hatte, hatte es geschneit. Seitdem waren sieben Monate vergangen. Sieben Monate, in denen er kein Teil ihres Lebens war … in denen er nicht in ihrem Bett lag …

Stumm setzte sie sich zu ihm an den Tisch und stellte die Gläser ab. Dann wickelte sie sich den Bademantel fester um den Körper und ärgerte sich darüber, nicht nach oben gegangen zu sein und sich umgezogen zu haben. Andererseits hätte das nur ausgesehen, als würde sie sich auf einen längeren Besuch von Forde einrichten. Nein, sie wollte, dass er endlich ging – und zwar so schnell wie möglich.

Ein Teil von ihr hatte sich aber danach gesehnt, ihn wiederzusehen. Seit der Trennung träumte sie fast jede Nacht von ihm. Manchmal wachte sie nach einer besonders erotischen Fantasie auf und lag stundenlang in der Dunkelheit wach, während der Rest der Welt friedlich vor sich hinschlummerte.

„Wie geht es dir so?“ Seine tiefe Stimme klang wie Samt und Seide.

Zur Stärkung schenkte Melanie sich selbst einen besonders großen Schluck Wein ein. „Gut. Und dir?“

„Großartig. Einfach großartig.“ Sein Ton bebte vor Sarkasmus. „Meine Ehefrau packt wegen angeblicher unüberbrückbarer Differenzen ihre Sachen und droht mir damit, eine einstweilige Anordnung zu erwirken, sollte ich auch nur versuchen, mit ihr Kontakt aufzunehmen.“

„Du hast mich jeden Tag zig Mal angerufen und bist mir ständig überall nachgelaufen“, unterbrach sie ihn. „Das war doch schon nicht mehr normal.“

„Was hast du denn erwartet? Mir ist klar, dass sich die Dinge nach dem Unfall geändert haben, aber …“

„Hör auf!“ Mit einem gehetzten Blick in den Augen sprang sie auf. „Darüber will ich nicht reden, Forde. Wenn du deshalb gekommen bist, kannst du sofort gehen.“

„Verdammt nochmal, Nell!“ Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte, und er biss die Zähne zusammen, um ruhig zu bleiben. „Setz dich wieder hin und trink deinen Wein! Ich bin hergekommen, um mit dir über den Garten in Hillview zu sprechen. Das ist alles. Wir müssen es hinbekommen, dass die Arbeit für meine Mutter leichter wird.“

„Du solltest besser gehen.“

„Vergiss es!“

Ihre Augen wurden schmal. „Also, du bist wirklich der arroganteste Mann auf diesem Planeten!“ Leider auch der attraktivste.

Forde zuckte die Achseln. „Damit kann ich leben.“ Er hob sein Glas. „Und jetzt setz dich hin und benimm dich nicht wie eine viktorianische Heldin in irgendeinem schlechten Film! Ich möchte dir in Ruhe erklären, wie es um meine Mutter steht. Danach kannst du deine Entscheidung treffen, in Ordnung?“

Melanie ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. Nicht weil sie es wollte, sondern weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte.

„Zusätzlich zu ihrer gebrochenen Hüfte hat sie ernstzunehmende Herzprobleme, Nell. Aber das größte Problem ist wohl ihre Einstellung. Vor ein paar Tagen habe ich sie dabei erwischt, wie sie einen Busch zurückschneiden wollte. Sie hatte sich aus dem Haus geschlichen, als die Schwester beschäftigt war. Ich wollte ihr einen Gärtner besorgen, ich wollte die Arbeiten sogar selbst übernehmen, aber sie lässt mich nicht. Sobald man sie aber unter Druck setzt, gibt sie zu, hoffnungslos überfordert zu sein. Und das macht ihr schwer zu schaffen. Als ich vorschlug, den Garten generalüberholen zu lassen, stimmte sie erst zu, doch dann wollte sie auf keinen Fall eine Horde Fremder über ihr Land trampeln lassen. Jede Wette, wenn die Schwester in zwei Wochen überflüssig ist und auszieht, wird Isabelle die Gartenarbeit selbst in die Hand nehmen. Eines Tages finde ich sie noch mit einem Kreislaufzusammenbruch oder Schlimmerem. Du weißt, wie riesig ihr Stück Land ist. Es ist zu viel für sie.“

Er machte sich wirklich große Sorgen, das war nicht zu übersehen. Wie gebannt starrte Melanie ihn an. Ihr war nicht neu, wie sehr die alte Dame ihren Garten liebte, und wie gern sie ihn hegte und pflegte. Früher hatten sie und Isabelle etliche Stunden auf dem herrlich angelegten Grundstück verbracht.

Fordes Mutter würde ihren Lebenswillen verlieren, wenn sie nicht mehr in ihrem Garten herumwerkeln durfte. Man bräuchte eine völlig neue Planung für das Gelände, es musste übersichtlich und pflegeleicht gestaltet werden. Aber wenn Isabelle ihre geliebten alten Bäume behalten wollte, musste sie letztendlich zustimmen, wenigstens zweimal im Jahr einen Gärtner kommen zu lassen. Alles konnte sie nicht allein machen. Aber würde Isabelle damit einverstanden sein?

Melanie fasste sich ein Herz. „Erst einmal müsste ich eine genaue Aufstellung machen“, überlegte sie laut. „Was die Umsetzung angeht … mein Mitarbeiter James hat einen ziemlichen Schlag bei älteren Damen.“ Bei jüngeren ebenfalls. „Wenn Isabelle ihn erst einmal kennengelernt hat, lässt sie ihn vielleicht ein oder zwei Tage im Monat kommen, um den neuen Garten mit in Schuss zu halten. Ich werde ihn so entwerfen, dass man ihn mit einem minimalen Aufwand pflegen kann.“

Forde setzte sich aufrecht hin. „Dann machst du es?“, fragte er. „Du nimmst den Job an?“

Ihr war vollkommen klar, dass sie mit dem Feuer spielte. „Unter einer Bedingung.“

Seine Augenbrauen schossen nach oben. „Damit musste ich rechnen. Mit dir verläuft keine Verhandlung reibungslos. Okay, worum handelt es sich bei deiner Bedingung? Du wirst mich ja wohl vor keine unlösbare Aufgabe stellen, was?“

Die ganze Atmosphäre zwischen ihnen wurde Melanie bei Weitem zu intim. Forde war in ihre friedliche, kleine Welt eingedrungen, und jetzt gab es nur noch ihn und seine unglaublich maskuline Anziehungskraft. Und sie selbst war unter ihrem Bademantel nackt! Sie hätte Forde niemals in ihr Haus lassen dürfen …

Zügig leerte sie ihr Glas und schenkte gleich noch einmal nach. Fordes Glas war noch halb voll, und er legte eine Hand auf den Rand, als sie es auffüllen wollte.

„Ich muss noch fahren“, sagte er knapp und schlug ein Bein über das andere Knie. „Spuck aus, worauf es dir ankommt! Nur keine falsche Bescheidenheit.“

Sein Sarkasmus half ihr, sich zusammenzureißen. Sie fühlte sich wie am Rand einer steilen Klippe. Ein falscher Schritt, und sie war verloren.

„Ach, bevor du was sagst …“, fuhr er fort und beugte sich vor, um ihre Hand zu nehmen. „Liebst du mich noch, Nell?“

2. KAPITEL

Das war so typisch für Forde Masterson! Damit hatte Melanie eigentlich rechnen müssen, früher oder später erwischte er sie immer auf dem falschen Fuß.

Seine gnadenlose psychologische Kriegsführung hatte ihm auch beruflich zu großem Erfolg verholfen. Mit achtzehn Jahren hatte Forde das Erbe seiner Großmutter benutzt, um quasi von seinem Kinderzimmer aus in die Immobilienbranche einzusteigen. In mittlerweile sechzehn Jahren hatte er sich vom Amateur zu einem millionenschweren Unternehmer gemausert.

Freunde nannten ihn erbarmungslos, zu fokussiert und zu unbeweglich – seine Feinde benutzten wesentlich negativere Begriffe, um Forde zu beschreiben. Doch selbst sie mussten zugeben, dass seine Methoden weitaus fairer waren als die anderer Immobilienhaie. Er konnte zwar unerbittlich sein, wenn die Situation es erforderte, trotzdem war er ein Ehrenmann. Eine Seltenheit in dieser Branche.

In der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht erst erkennen, als er ihr ganz nahe kam. Sie schluckte. „Ich meine es ernst, Forde. Ich will nicht über uns reden.“

„Das verlange ich auch gar nicht. Ein einfaches Ja oder Nein reicht mir schon.“

Melanie wandte sich von ihm ab und entzog ihm energisch ihre Hand. „Wozu das Ganze? Es ist vorbei. Uns gibt es nicht mehr als Paar. Akzeptiere das endlich! Ich habe es auch getan.“ Eine glatte Lüge.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

„Muss ich auch nicht.“ Mit zitternder Hand nahm sie ihr Weinglas und trank einen großzügigen Schluck. „Dies ist mein Haus, und ich stelle hier die Regeln auf.“

„Du hast nie an Happy Ends geglaubt, Nell, oder?“

Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Forde konnte beobachten, wie Melanie innerlich dicht machte. Diese Fähigkeit hatte sie schon immer besessen. Sobald es ihr zu viel wurde, zog sie eine schützende Mauer um ihre wahren Gefühle. Allerdings gelang es ihm in neun von zehn Fällen, diese Mauer zu überwinden.

Er wusste, was für eine schwere Kindheit sie gehabt hatte. Da sie schon mit drei Jahren zur Vollwaise geworden war, konnte sie sich an ihre leiblichen Eltern nicht mehr erinnern. Zuerst nahm sie die Großmutter mütterlicherseits auf, doch tragischerweise starb auch sie nur ein Jahr später. Niemand aus Melanies Familie sprang ein, und so wurde das kleine Mädchen von einem Kinderheim ins nächste abgeschoben.

Sie hatte selbst einmal zugegeben, ein ziemlich schwieriges Kind gewesen zu sein. Wer konnte es ihr verdenken? Als Forde sich in sie verliebte, wollte er alles für sie besser und leichter machen. Das wünschte er sich immer noch. Nur leider wehrte sie sich mit Händen und Füßen dagegen!

„Vom ersten Tag unserer Beziehung an hast du darauf gewartet, dass wir uns entzweien“, fuhr er in ruhigem Ton fort. „Du hast gewartet, bis endlich alles schief geht. Das ist mir erst kürzlich klar geworden. Keine Ahnung warum, denn Anzeichen dafür gab es ja genug.“

„Ich weiß nicht, wovon du da sprichst“, erwiderte sie leise.

Nachdenklich sah er dabei zu, wie sie ihr zweites Glas Wein leerte. Ihre Körpersprache und ihre zittrige Stimme standen im Kontrast zu ihrer ausdruckslosen Miene. Hinter der Maske einer souveränen und fähigen Geschäftsfrau hatte Melanie fürchterliche Angst. Vor ihm.

Forde wusste, dass sie ihn geliebt und ihm vertraut hatte. Und genau das hatte sie verletzlich und unsicher gemacht. Ihr ganzes Leben lang war sie emotional auf sich allein gestellt gewesen, ganze fünfundzwanzig Jahre. Es war schwierig gewesen, ihre harte Schale zu durchbrechen, aber er hatte es geschafft. Sie hatte es zugelassen … sich ihm geöffnet. Aber nicht weit genug, sonst würden sie wohl kaum in diesem Dilemma stecken.

Er versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Nach dem Unfall habe ich mir selbst die Schuld an allem gegeben, weißt du? Weil wir beide so distanziert waren. Jedes Gespräch verwandelte sich blitzschnell in einen Streit. Ich konnte trotzdem nicht begreifen, warum du mich einfach ausgeschlossen hast und mir permanent nur die kalte Schulter zeigtest.“

Sie sagte keinen Ton. Ebenso gut hätte sie aus Stein sein können. Eine wunderschöne Steinskulptur …

„Dieser Unfall …“

„Hör endlich auf, dauernd vom Unfall zu reden!“, herrschte sie ihn an. Dabei war sie es damals gewesen, die diesen Begriff ausgesucht hatte, um das Unfassbare zu beschreiben. „Es war eine Fehlgeburt. Ich war bescheuert genug, die Treppe hinunterzufallen, und dabei habe ich unseren Sohn umgebracht.“

„Nell …“

„Nein.“ Abwehrend hob sie die Hand. „Lass uns bitte bei den Tatsachen bleiben. Genau so war es, Forde. Der Kleine wurde zu früh geboren, und sie konnten ihn nicht retten. Ein paar Wochen später wäre alles anders gekommen, und er hätte überlebt. Aber in der zweiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche hatte er kaum eine Chance. Ich hätte für ihn da sein müssen, sein kleines Leben beschützen sollen, aber ich habe versagt.“

Einerseits war er heilfroh, dass sie endlich über die Tragödie sprach. Bis jetzt hatte sie sich ihm und jedem anderen gegenüber geweigert, Gefühle zuzulassen. Andererseits erschreckte ihn, wie viel Schuld sie sich selbst an der Fehlgeburt gab.

Es war jetzt sechzehn Monate her …

Melanie hatte sich unwohl gefühlt und war deshalb im Bett geblieben, während er zur Arbeit aufbrach. Um etwa zehn Uhr vormittags brachte Janet ihr ein Frühstückstablett hinauf. Genau um halb elf hörte die Haushälterin einen entsetzlichen Schrei, gefolgt von lautem Gepolter. Sie stürzte aus der Küche in die Eingangshalle und fand Melanie am Fuß der Treppe. Sie lag zusammengekrümmt in den Überresten ihres Frühstückstabletts.

Es war ein Unfall. Ein tragischer, furchtbarer Unfall. Aber nachdem ihr gemeinsamer Sohn wenige Stunden später tot zur Welt gekommen war, hatte Melanie sich in das Innerste ihrer Seele zurückgezogen.

Zu keinem Zeitpunkt war es Forde gelungen, sie zu trösten oder überhaupt mit ihr über den Vorfall offen zu reden. Sie ließ ihn kaum in ihre Nähe, und wenn sie es tat, bekam er den Eindruck, sie würde ihn regelrecht hassen. Und zwar weil er sie an das erinnerte, was sie verloren hatte.

Monat für Monat hatten sie mit diesem Verlust gekämpft. Melanie vergrub sich in ihrer Arbeit, und Forde bekam sie schließlich höchstens eine Stunde am Abend zu Gesicht. Und er selbst … nun, für ihn war es die Hölle.

Gern hätte er jetzt gesagt, Unfälle geschehen eben. Aber das wäre den traurigen Umständen nicht gerecht geworden. Stattdessen stand er auf und zog Melanies starren, unwilligen Körper in seine Arme. „Du hättest dein Leben für ihn gegeben, wenn es möglich gewesen wäre“, raunte er. „Niemand macht dich für das verantwortlich, was passiert ist. Siehst du das denn nicht, Nell?“

Ein verzweifelter Schluchzer durchdrang die Stille. „Lass mich bitte allein!“

In der Tat war sie viel dünner als früher, außerdem schwankte sie leicht. Forde fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden. „Was ist los mit dir?“, fragte er besorgt. „Bist du krank?“

Melanie klammerte sich haltsuchend an ihn. „Nur ein bisschen beschwipst, denke ich. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen, und dann zwei Gläser Wein …“

Nur deshalb hatte sie auch über die Fehlgeburt sprechen können, wurde ihm jetzt klar. Allerdings konnte er seine Noch-Ehefrau wohl kaum permanent betrunken machen, damit sie ihren Schutzwall endgültig fallen ließ! „Komm mit rein! Ich mach dir was zu essen.“

„Nein, geht schon. Ich rufe dich dann morgen oder so an“, versuchte sie sich zu wehren.

Keine Chance. Niemals würde er sie jetzt allein lassen. Nicht nachdem sie zum ersten Mal über Matthews Tod gesprochen hatte. Für einen kurzen Moment durchzuckte ihn ein scharfer Schmerz, als er an seinen kleinen Sohn dachte.

Dann schob er Melanie sanft durch die Tür ins Innere des Hauses und führte sie zu einem Stuhl im Esszimmer. Anschließend ging er in die Küche und machte sich einen Überblick, was der Kühlschrank hergab. „Also, ich könnte dir ein ganz passables Käseomelette zaubern“, rief er, da hörte er sie plötzlich leise weinen.

In Sekundenschnelle war er bei ihr und schloss sie fest in seine Arme. Immer wieder murmelte er ihr all die Dinge ins Ohr, die er ihr schon seit Monaten hatte sagen wollen. Dass er sie liebte, dass sie alles für ihn war, dass ihm ein Leben ohne sie nichts bedeutete, dass der Unfall nicht ihre Schuld war …

Und Melanie schmiegte sich voller Verzweiflung an ihn. Ihre Abwehr war durchbrochen, und sie hatte das Gefühl, Forde mehr zu brauchen als jemals zuvor. Keinen anderen könnte sie so lieben wie ihn. Er war alles, was sie sich je bei einem Mann gewünscht hatte, und mehr. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf riet ihr, sich von Forde zu lösen, aber Melanie hörte nicht auf sie. Es tat so gut, ihm nach all den Monaten wieder so nahe zu sein.

„Küss mich!“, flüsterte sie und sah ihm dabei tief in die Augen. „Zeig mir, wie sehr du mich liebst!“

Er senkte den Kopf und verschloss ihre Lippen mit einem zarten Kuss. Doch als Melanie ihm unmissverständlich zu verstehen gab, wonach sie sich sehnte, stöhnte Forde kehlig auf. Mit einem Mal war alle seine Zurückhaltung vergessen. Gierig stieß er mit seiner Zunge vor, und hob Melanie auf die Arme. Dabei hörte er nicht auf, sie leidenschaftlich zu küssen.

Melanie seufzte auf. Der Sex zwischen ihnen war schon immer atemberaubend gewesen. Sie hatte viel zu lange darauf verzichtet. Sie wollte ihren Mann riechen, ihn schmecken, ihn wieder in sich spüren. Wie in Trance realisierte sie, dass er sie die Treppe hinauf ins Schlafzimmer trug. Und plötzlich lag sie auf der kühlen Decke, und Forde streckte sich neben ihr aus. Im fahlen Mondlicht erkannte sie nur seine Umrisse.

Er küsste sie immer hemmungsloser und riss sich dabei die Kleider vom Leib. Melanies Bademantelgurt hatte sich gelöst, und Forde zog ihren nackten Körper auf sich. „Meine Schöne, meine unvergleichliche Liebe …“, wisperte er ihr zu.

In ihrem Kopf war kein Platz für zusammenhängende Gedanken. Sie war ausschließlich von ihrer Sehnsucht nach Nähe getrieben, die sich allmählich in rasendes Verlangen verwandelte.

Mit süßer Gier klammerten sie sich aneinander, berührten sich überall und wanden sich, als würden sie zu einer Einheit werden wollen – für immer. Als er endlich in sie drang, schrie Melanie seinen Namen laut heraus, so befreiend war das Gefühl. Ihr Höhepunkt war genauso ungezügelt wie ihre Bewegungen, und jede einzelne Welle trieb ihr buchstäblich die Anspannung aus dem Körper, bis Melanie schließlich kraftlos zurück in die Kissen fiel. Für wenige Augenblicke gab es keine Vergangenheit und keine Zukunft, nur das gleißende Licht der erfüllenden Gegenwart.

Forde hielt sie ganz fest, bis ihrer beider Herzschlag sich allmählich wieder beruhigte. Immer wieder flüsterte er ihr Zärtlichkeiten zu, und sie lag mit geschlossenen Augen da und ließ sich von dem Gefühl unendlicher Geborgenheit einhüllen. Es war wie früher, wenn sie miteinander geschlafen hatten: vertraut, still und unbeschreiblich schön. Und schon wenig später war sie tief eingeschlafen.

In Grübeleien versunken betrachtete Forde die schlafende Frau in seinen Armen. Ihre Haut war zart und hell. Die geschlossenen Lider zeichneten sich oval unter schön geschwungenen Brauen ab, und der sinnliche Mund war von den heißen Küssen leicht geschwollen. Behutsam strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und konnte immer noch kaum glauben, was in der vergangenen Stunde zwischen ihnen geschehen war.

Bevor er Melanie traf, hatte er mehrere Frauenbekanntschaften gehabt. Und als ihm Melanie auf der Hochzeit einer gemeinsamen Freundin vorgestellt wurde, hatte er sie genau wie die anderen einfach nur kurz erobern wollen. Eine kurze, flüchtige Affäre ohne weitere Hintergedanken.

Aber nach ihrem ersten richtigen Date war er bis über beide Ohren verliebt in sie gewesen. Bis dahin ein völlig unbekannter Zustand für Forde, der ihm zuerst ziemlich zu schaffen machte. Schon drei Monate später – an Melanies sechsundzwanzigstem Geburtstag – heirateten sie und verbrachten eine ausgiebige Hochzeitsreise in der Karibik. Es war eine absolut magische Zeit gewesen.

Seine Männlichkeit regte sich sofort, wenn Forde an die heißen Nächte dachte, die sie miteinander verbracht hatten. Zum ersten Mal war ihm der Unterschied zwischen Sex und Liebe machen verdeutlicht worden. Und er wusste, er würde niemals wieder ohne diese einzigartige Frau sein wollen.

Sie kehrten nach England zurück, und Melanie machte sich daran, sein Haus in Kingston an der Themse in ein gemütliches, gemeinsames Heim zu verwandeln. Sie renovierte und dekorierte um, bis der eingefleischte Junggesellencharme des Interieurs völlig verschwunden war. Ihren Job bei einer Gartenbaufirma hatte sie nach der Hochzeit aufgegeben. Sie wollte so schnell wie möglich ein Baby bekommen, und Forde war bereit, ihr jeden ihrer Wünsche zu erfüllen.

Immerhin kannte er ihre problematische Lebensgeschichte. Er wusste um die Tatsache, dass sie niemals eine Familie gehabt hatte, und verstand daher ihre Sehnsucht nach eigenen Kindern. Kleine Menschen … ein Produkt ihrer Liebe.

Mit gerunzelter Stirn starrte er in die Dunkelheit. Was er damals nicht begriffen hatte: Melanie glaubte nicht an das große Glück. Stattdessen rechnete sie jeden Moment damit, dass alles wieder vorbei sein könnte.

Und dann das Unglück mit der Fehlgeburt.

Er stöhnte gequält und schloss für einen Moment die Augen.

Danach hatte sich alles verändert. Melanie hatte sich verändert. An nur einem Tag hatte er sein Kind und auch seine Ehefrau verloren. Zuerst hatte er geglaubt, irgendwann zu ihr vordringen zu können, schließlich liebte er sie abgöttisch. Aber dann vergingen die Wochen und Monate, ohne dass sich die Situation zwischen ihnen verbesserte. Im Gegenteil, die Mauer des Schweigens wurde immer höher, und Forde kamen mehr und mehr Zweifel. Und dann hatte er eines Abends ein leeres Haus vorgefunden: Kleider, Schuhe, Kosmetik, jeglicher persönlicher Besitz – alles weg. In dem kurzen Abschiedsbrief hatte gestanden, dass sie die Scheidung verlangte.

An jenem Abend war er außer sich vor Wut gewesen. Wie hatte sie ihn bloß verlassen können? Er selbst hätte das niemals fertiggebracht! Außerdem hatte er fürchterliche Angst um sie. Was, wenn sie sich etwas antat?

Melanie rührte sich und kuschelte sich im Schlaf fester an ihn. Sie wirkte zart und zerbrechlich, allerdings trog dieser Schein. Innerhalb weniger Monate hatte sie sich ein neues Leben aufgebaut und kam offenbar hervorragend ohne ihn zurecht. Er dagegen … hatte es irgendwie geschafft weiterzuleben.

Das heute Abend hatte er wirklich nicht erwartet! Und das war noch die Untertreibung des Jahres! Ob Melanie es morgen früh bereute? Er rieb sein Kinn an ihren Haaren und grübelte.

Jedenfalls musste er alles daran setzen, dass sie ihre Wiedervereinigung nicht bereute. Das nahm er sich fest vor. Bei einem heftigen Streit kurz nach der Trennung, als Melanie vorübergehend bei Freunden untergekommen war, hatte Forde ihr geschworen, sie niemals gehen zu lassen. Und das meinte er immer noch vollkommen ernst.

Damals war sie allerdings emotional, mental und körperlich am Ende gewesen. Also hatte er sich zurückgezogen und ihr Freiraum gegeben. Dennoch, genug war genug. Heute Nacht hatte sie bewiesen, wie viel ihr an ihm lag – zumindest im Bett. Das war immerhin ein Anfang.

Ganz still blieb er liegen und drückte seine Noch-Ehefrau an sich. Im Geiste rief er sich jede einzelne Geste, jedes geflüsterte Wort und jeden Kuss noch einmal in Erinnerung, bis der Morgen dämmerte. Als die ersten Vögel ihre Lieder anstimmten, fiel er endlich in einen leichten Schlaf, und Melanie lag immer noch friedlich in seinen Armen.

3. KAPITEL

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Melanie die Augen aufschlug. So gut hatte sie nicht mehr geschlafen, seit sie bei Forde ausgezogen war. Ganz allmählich wurde sie wacher … und augenblicklich überfielen sie die Bilder der vergangenen Nacht. Gnadenlos heftig und atemberaubend aufregend. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie immer noch in Fordes Armen lag.

Forde.

Mit klopfendem Herzen blieb sie ganz still liegen und lauschte den Geräuschen um sich herum. Unter ihrer Wange hob und senkte sich sein Brustkorb in regelmäßigen Abständen, und nach einer Weile entspannte sich Melanie wieder etwas.

Ganz langsam befreite sie sich aus seiner Umarmung und nahm sich noch die Zeit, sein schönes Gesicht zu mustern. All die Kanten, winzigen Fältchen und Grübchen waren ihr unendlich vertraut, und im Schlaf sah Forde besonders jungenhaft aus.

Wie konnte ich bloß so dumm sein und mit ihm schlafen? fragte sie sich, und ihr Magen zog sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen. Sie konnte nicht allein den Wein dafür verantwortlich machen. Gestern Abend hatte sie ihren Mann begehrt, sie hatte sich regelrecht nach ihm verzehrt. Wie schon die ganze Zeit über, seit sie getrennt waren.

Aber ich brauche ihn nicht, redete Melanie sich ein. Das hatte sie sich selbst schon bewiesen. Immerhin lebte seit sieben Monaten wieder allein. Und kam gut zurecht, oder etwa nicht?

Sie hätte es fast nicht überlebt, Matthew zu verlieren. Die Trauer und das schlechte Gewissen waren unerträglich gewesen, und sie wollte nur noch sterben. Nicht mehr an einem Ort sein müssen, an dem solche schrecklichen Dinge geschehen konnten.

Vorsichtig schlüpfte sie aus dem Bett und schlich auf wackligen Beinen über den Teppich. Sie wollte unbedingt fort sein, bevor er aufwachte. Das war zwar feige, aber trotzdem musste sie es tun. Sie liebte ihn zu sehr. Sie durfte ihm nicht vorgaukeln, es gäbe noch Hoffnung für sie. Ihre Ehe war aus und vorbei, kalte Asche, die man nicht mehr zum Leben erwecken konnte. Sie war in dem Augenblick gestorben, als Melanie die Treppe hinabgestürzt war.

Und er würde sich Hoffnungen machen. Kein Wunder bei den widersprüchlichen Signalen, die sie aussandte!

Unten in der Küche zog sie sich an, nachdem sie ein paar Klamotten aus dem Wäschekorb gefischt hatte. Dabei lauschte sie mit rasendem Herzen, ob Forde sich inzwischen rührte. Dann kritzelte sie hastig eine Nachricht auf ein Blatt Papier.

Forde, ich habe keine Ahnung, wie ich anfangen soll. Es tut mir unendlich leid, wie ich mich gestern Abend benommen habe. Es lag an mir, das ist mir bewusst, und das ist eigentlich unentschuldbar.

Sie machte eine Pause und dachte über ihre nächsten Worte nach, während ihr Magen immer stärker schmerzte. Es gab keinen sanften Weg, die Wahrheit auszusprechen.

Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein, und das hat nichts mit dir als Person zu tun. Wieder liegt es allein an mir. Aber es ist nur fair, wenn du weißt, dass ich meine Meinung in Bezug auf die Scheidung nicht geändert habe. Den Auftrag für Isabelle werde ich trotzdem übernehmen, falls du damit einverstanden bist. Ruf mich deswegen heute Abend nochmal an. Aber keine Besuche mehr! Das ist meine erste Bedingung.

Wieder zögerte sie. Wie beendete man einen Brief wie diesen? Besonders nach einer Nacht wie der letzten?

Ihr traten Tränen in die Augen, die sie ungeduldig fortblinzelte. Dann schrieb sie einfach:

Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen. Nell.

Zumindest die Intimität ihres Spitznamens schuldete sie ihm. Melanie fühlte sich hundeelend. Gestern hatte Forde versucht, sie zu trösten und für sie da zu sein. Und sie hatte ihn regelrecht angefleht, mit ihr zu schlafen. Und jetzt das! Es war wieder einmal alles ihre Schuld!

Erst im Auto ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Nach ein paar Minuten musste sie sogar rechts ranfahren, weil sie die Straße vor sich nicht mehr erkennen konnte. Sie fühlte sich absolut miserabel wegen der schäbigen Art, wie sie Forde behandelte. Aber es ging nicht anders.

Als sie sich etwas beruhigt hatte, putzte sie sich die Nase und stieg aus dem Wagen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Die warme, klare Luft tat ihr gut.

Fordes Duft lag noch auf ihrer Haut, sein Geschmack auf ihren Lippen. Es war, als wäre er direkt bei ihr, obwohl er sich eigentlich weit weg in ihrem Haus befand.

Melanie schlang die Arme um den Oberkörper und dachte daran, wie es war, ihn in sich zu spüren. Er hatte sie in den siebten Himmel entführt, und auf seiner Brust hatte sie sich anschließend friedlich ausgeschlafen, ganz dicht an seinem Herzschlag. Es hatte sich angefühlt, wie nach Hause zu kommen.

Ein Ruck ging durch ihren Körper. An all das durfte sie jetzt nicht denken, es führte zu nichts. Noch war es zu früh, um zum Bauernhof zu fahren, wo sie und James in dieser Woche gemeinsam arbeiten wollten. Aber auf dem Weg dorthin gab es ein Café, das um diese Zeit schon geöffnet war.

Außer ihr saß nur ein Gast im Raum. Ein Lastwagenfahrer, der in seine Zeitung vertieft war und unablässig Rührei in sich hineinschaufelte. Melanie bestellte sich ein Schinkensandwich und eine Kanne Tee und verschwand dann für eine Katzenwäsche in der Restauranttoilette. Zu Hause hatte sie sich nicht die Zeit genommen, sich zurechtzumachen, aber glücklicherweise hatte sie immer Deo und eine Reisezahnbürste dabei.

Im Spiegelbild entdeckte sie die unsagbare Traurigkeit in ihren Augen. Hatte Forde das ebenfalls bemerkt? War er deshalb gestern bei ihr geblieben und hatte am Ende vielleicht sogar nur deshalb mit ihr geschlafen? Ein grauenhafter Gedanke!

Eigentlich hatte er ja bloß den Auftrag für Isabelles Garten mit ihr besprechen wollen. War seine Fürsorge bloßes Mitleid gewesen? Denn seit sie mit einer einstweiligen Anordnung gedroht hatte, ließ er sie anstandslos in Ruhe. Vielleicht traf er sich inzwischen schon mit einer anderen Frau?

Bei diesem Gedanken wurde ihr übel, und sie kehrte lustlos an ihren Tisch zurück. Der Trucker war verschwunden, doch an seiner Stelle hatte eine Gruppe lärmender Motorradfahrer das Café betreten. Sie bevölkerten nicht weniger als drei Tische und lachten ausgelassen miteinander. Melanie fühlte sich von ihnen beobachtet, vermied es jedoch, in ihre Richtung zu blicken. Mit ihren Lederkombis und den vielen Tätowierungen wirkten die Kerle ziemlich einschüchternd, genau wie ihre gigantischen Maschinen, die draußen neben Melanies Pick-up geparkt waren.

Die Kellnerin brachte ihr den Tee und das Sandwich, obwohl Melanie alle Mühe hatte, genügend Appetit für ihr Frühstück aufzubringen. Hastig schlang sie ein paar Bissen hinunter und spülte eineinhalb Tassen Tee hinterher. Danach legte sie etwas Geld auf den Tisch und verließ beinahe fluchtartig den Laden, als ihr plötzlich jemand auf die Schulter tippte. Sie drehte sich um und sah einen riesigen, bärtigen Motorradrocker hinter sich stehen.

„Deine Handtasche, Kleine“, brummte er und hielt sie ihr hin. Dann kniff er die Augen zusammen. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Oh, ja, danke“, stammelte Melanie peinlich berührt.

„Bist du sicher?“ Die kleinen, blauen Augen unter den buschigen Brauen blickten sie freundlich an.

Sie riss sich zusammen und lächelte. „Auf jeden Fall, vielen Dank. Auch dafür, dass Sie das mit meiner Tasche bemerkt haben.“

Er grinste. „Bin ja auch daran gewöhnt, Kleines. Meine Freundin ist genauso. Würde ihren eigenen Kopf vergessen, wenn er nicht angeschraubt wäre.“

Auf dem Weg nach draußen dachte sie darüber nach, warum sie eigentlich behauptete, alles wäre in bester Ordnung. Das war es schließlich nicht! Sie hätte Forde niemals heiraten dürfen, nur um so tun zu können, als würde sie ein normales Leben führen. Sie war nicht wie alle anderen.

Wenig später überholte sie mit dem Auto eine junge Frau, die am Straßenrand spazieren ging und einen Kinderwagen vor sich herschob. Es tat Melanie immer noch sehr weh, andere Mütter mit ihren Babys zu sehen. Jedes Mal war es, als würde man ihr wieder ein Messer ins Herz jagen.

Ihr ganzes Leben lang waren ihr die Menschen, die sie liebte, auf grausamste Weise entrissen worden. Zuerst ihre Eltern, dann ihre Großmutter, sogar ihre Freundin auf der Schule … Ihre einzige Freundin, denn Melanie war kein Kind mit großem Freundeskreis gewesen. Das Mädchen war während eines Sommerurlaubs, den sie mit ihrer Familie in Übersee verbrachte, ertrunken.

Melanie konnte sich gut an die Schulversammlung erinnern, bei der ihr Direktor Pams Tod bekannt gegeben hatte. Für Melanie war eine Welt zusammengebrochen, vor allem, weil sie glaubte, Pams Unfalls stünde in irgendeiner Beziehung zu ihrer gemeinsamen Freundschaft. Schließlich starben auffallend viele Menschen in Melanies unmittelbarer Umgebung unter tragischen Umständen.

Und wenn sie Forde nicht geheiratet und auf eine baldige Schwangerschaft bestanden hätte, wäre Matthew nicht gestorben. Sie hatte das Schicksal herausgefordert und geglaubt, sie könnte dem Unausweichlichen entkommen. Nur darum war Forde das Herz gebrochen worden – genau wie ihr. Nie würde sie den Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen, als er den winzigen Körper seines Sohnes in den Händen gehalten hatte.

In diesem Moment hatte sie geschworen, dass sie ihn gehen lassen musste. Er sollte frei sein, um sein Glück anderswo zu finden. Gestern Abend hatte er behauptet, sie hätte ihr Leben für Matthew gegeben, wenn das möglich gewesen wäre. Und das stimmte, nur war das leider nicht möglich gewesen. Aber sie konnte Forde vor noch mehr Unglück im Leben schützen.

Nach der Scheidung würde sie wegziehen, und irgendwann würde Forde eine neue Partnerin finden. Frauen rissen sich regelrecht ein Bein aus, um von ihm beachtet zu werden. Er war ein anziehender, leidenschaftlicher Mann mit viel Charisma. Trotzdem durfte es Vorfälle wie den in der vergangenen Nacht keinesfalls mehr geben!

Der einzige Ausweg war, grausam zu sein, um Gutes zu tun.

Forde wachte mit dem unguten Gefühl auf, dass etwas nicht stimmte. Im ersten Augenblick wusste er nicht recht, woran es lag, dann fiel ihm alles wieder ein. Er drehte sich zur Seite: Der Platz neben ihm im Bett war leer. Das Haus wirkte verdächtig still, kein Geräusch kam aus dem Bad oder der Küche unten.

Er merkte, dass er die Luft anhielt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es schon nach neun war. Mit einem Fluch auf den Lippen sprang er aus den Federn und fuhr sich mit beiden Händen durch die zerzausten Haare. Verdammt, genau das hier hatte er verhindern wollen. Aber eventuell saß Melanie ja draußen auf der Terrasse und frühstückte?

Splitternackt hetzte er die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal. Aber noch bevor er die Hintertür aufriss, wusste er, dass Melanie nicht dort draußen sitzen würde. Das kleine Häuschen wirkte ausgestorben, so, als hätte es seine Seele verloren.

Er fluchte noch heftiger, während er die Treppenstufen wieder hinaufhastete. Er hatte ihre Nachricht auf dem Küchentisch gefunden, las ihn aber erst oben auf dem Weg ins Schlafzimmer.

Seine Bauchmuskeln zogen sich zusammen, und er musste einen Würgereiz unterdrücken, so sehr trafen ihn ihre kühlen Worte. Also hatte sich nichts geändert. Nach allem, was sie letzte Nacht miteinander geteilt hatten – dem Feuer, der Lust – hielt sie daran fest, sich von ihm scheiden zu lassen.

Mit einer Hand zerknüllte er den Brief und warf ihn quer durch den Raum. Dann zog er sich an. Er musste unbedingt raus hier, bevor er sich vergaß und etwas zertrümmerte!

Nur Minuten später saß er in seinem Aston Martin und umklammerte das Lenkrad. Dieser Morgen erinnerte an so viele andere, in denen er nach einer erotischen Fantasie aus seinen Träumen erwachte, um ein leeres, kaltes Bett vorzufinden. Aber die vergangene Nacht war real gewesen. Melanie war in seinen Armen dahingeschmolzen, sie hatte sich ihm ganz geöffnet, und auf dem Gipfel ihrer Lust seinen Namen gerufen. Aber es war nicht nur sein Körper, der sich nach ihr verzehrte. Forde wollte sie ganz zurück, seine Nell!

Eine schwarze Katze kreuzte seinen Weg und blieb kurz stehen, um ihn mit giftgrünen Augen durchs Autofenster zu mustern. Nachdem sie festgestellt hatte, dass er keine Gefahr für sie darstellte, schlich sie seelenruhig weiter über den Parkplatz. Diese Katze ging allein ihren Weg, genau wie Nell.

Forde seufzte. Seine Frau war zu demselben Schluss gekommen wie dieses verflixte Tier. Die beiden waren unabhängig und verließen sich ausschließlich auf sich selbst. Er dagegen brauchte Nell! Er wollte mit ihr zusammen aufwachen, die Sonntagszeitung gemütlich im Bett lesen und dabei Croissants mit Marmelade und Milchkaffee frühstücken. Er wollte sich mit ihr über Gott und die Welt unterhalten, und abends mit einem Glas Wein gemeinsam vor dem Fernseher sitzen. Er wollte mit ihr kochen, einen Theater- oder Kinobesuch planen und Arm in Arm mit ihr spazieren gehen.

Früher hatten sie all diese Dinge gemacht. Aber heute war ihm klar, dass es einen Teil von ihr gab, zu dem sie ihm niemals Zugang gewährt hatte. Sie waren sich nicht so nah gewesen, wie er geglaubt hatte.

Mit finsterer Miene startete er den Motor.

Er hatte gründlich unterschätzt, wie sehr Melanie noch immer unter ihrer Vergangenheit litt. Möglicherweise hatte sein Ego ihn dafür blind gemacht. Er hatte tatsächlich geglaubt, sie mit seiner Liebe für all die Trauer ihrer Kindheit entschädigen zu können. Was für eine Anmaßung. Aber das war inzwischen egal, heute konnte er sich lediglich einer Sache sicher sein: Wenn er ihr nicht tief im Herzen noch etwas bedeuten würde, hätte sie sich vor wenigen Stunden nicht so bereitwillig gehen lassen. Und sie hatte auch nicht behauptet, sie würde ihn nicht mehr lieben … Allerdings hatte sie ihm auch keine Liebeserklärung gemacht.

Am Abend würde er sie anrufen, genau wie sie vorgeschlagen hatte. Obwohl er viel lieber wieder zu ihr nach Hause fahren und persönlich mit ihr reden würde. Er wollte sie von seiner bedingungslosen Liebe überzeugen, allerdings wusste er, wie wenig er damit momentan erreichte. Er musste Geduld haben.

Melanie würde Wort halten und den Auftrag für seine Mutter übernehmen, da war Forde sicher. Isabelle bedeutete ihr viel. Deshalb hatte er überhaupt an diese Lösung gedacht und seiner Noch-Ehefrau einen Brief geschrieben.

Das war natürlich nicht der einzige Grund gewesen. Es stimmte schon, seine Mutter hatte tatsächlich seit ihrer Hüftoperation ernsthafte Herzprobleme. Allerdings war sie im Hinblick auf die Gartenarbeit lange nicht so uneinsichtig und stur, wie er Melanie hatte glauben machen wollte.

Das Anwesen brauchte dringend eine Totalüberholung, und seine Mutter wollte keine Fremden auf dem Grundstück haben. In diesem Punkt hatte er nicht geflunkert. Im Übrigen unterstützte Isabelle seinen Vorschlag, Melanie zu beauftragen, zu einhundert Prozent. Sie hatte das Hochzeitsfoto ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter immer noch groß über ihrem Kaminsims hängen.

Es würde nicht einfach werden, Melanie zurückzugewinnen, da machte er sich nichts vor. Aber es war ein langer, beschwerlicher Weg … Egal, es war ein Weg, den er auf jeden Fall gehen würde. Ende der Geschichte.

4. KAPITEL

Es war kein besonders anstrengender Tag gewesen – nicht im Vergleich zu anderen Arbeitstagen – trotzdem fühlte Melanie sich völlig zerschlagen, als sie nach Hause kam. Sie konnte an nichts anderes als an Forde denken, und das machte sie allmählich verrückt. James hatte sich richtig Sorgen um seine Chefin gemacht, und sie fragte sich, was er wohl dazu sagen würde, wenn sie ihm die Sache erklärte. Andererseits war ein solches Vorgehen natürlich völlig absurd.

Stöhnend zog sie ihre Stiefel aus und schleppte sich die Treppe hinauf. James hätte sie wahrscheinlich gar nicht ernst genommen. Er hielt sie für den Inbegriff einer modernen, souveränen Frau, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Jeder tat das. Nur Forde kannte ihr wahres Ich. Er hatte sich nie täuschen lassen.

Sie hätte sich wegen letzter Nacht ohrfeigen können. Nachdem sie an der Badewanne den Hahn aufgedreht hatte, nahm sie allen Mut zusammen und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer. Das Bett war zerwühlt und wirkte traurig und leer. Der heftige Verlustschmerz ließ Melanie buchstäblich zusammenzucken. Kurz entschlossen zog sie die Bettwäsche ab und stopfte sie in den Leinenkorb im Bad. Dann riss sie die Fenster auf und ließ die kühle Abendluft herein. Sie sollte den schwachen Duft von Fordes Rasierwasser vertreiben.

Beim Ausziehen bemerkte sie den zerknüllten Brief in der Ecke, und ihr wurde ganz elend zumute. Oh, Forde! Was er beim Lesen dieser Zeilen wohl empfunden hatte? Nein, das durfte sie jetzt nicht berühren.

Mit schweren Schritten durchquerte sie den Raum und hob das Papierknäuel auf. Gedankenverloren strich sie über das Papier, das Forde mit seinen Händen berührt hatte. Ihr schlechtes Gewissen wurde unerträglich.

In der Badewanne nahm sie sich viel Zeit zum Weinen. Erst als die letzte Träne vergossen war, wusch sie sich die Haare und erfrischte anschließend ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Das musste jetzt reichen: kein Geheule mehr!

Sie zog sich einen bequemen Flanellschlafanzug an, band sich die feuchten Haare zu einem lockeren Knoten zusammen und ging nach unten, um sich etwas zu essen zu machen.

Es fiel ihr schwer, das Abendessen hinunterzubekommen, weil sie jeden Moment mit Fordes Anruf rechnete. Ihr war speiübel vor Aufregung. Trotzdem schaffte sie den ganzen Teller, und mit vollem Magen beruhigte sich auch ihr Nervenkostüm etwas.

Das Telefon klingelte um Punkt acht Uhr.

„Hi.“ Seine Stimme klang neutral und fest. Melanie rechnete mit dem Schlimmsten, aber er sprach das Offensichtliche nicht an. „Wir müssen über den Auftrag für Hillview sprechen. Du hast ein paar Bedingungen erwähnt?“

„Genau“, quiekte sie und räusperte sich schnell. Ihr innerer Aufruhr war kaum zu ertragen. „Aber bevor ich davon anfange … bist du sicher, dass Isabelle mich überhaupt sehen will? Ich meine, nach allem, was vorgefallen ist?“

„Nachdem du dich aus dem Staub gemacht hast und auf eine Scheidung bestehst, meinst du?“ Nun schlich sich doch etwas Sarkasmus in seinen Tonfall. „Ich bin sogar absolut sicher! Meine Mutter fand schon immer, dass man sich in eine Liebesbeziehung nicht einmischen sollte. Du kennst sie doch, also müsstest du das wissen. Was sind jetzt deine geheimnisvollen Konditionen?“

„Ich müsste mich zuerst mal persönlich mit ihr besprechen. Falls sie einverstanden ist, mache ich mich an die Arbeit. Allerdings sollten alle Pläne nur von ihr und mir abgesegnet werden. Ich möchte nicht, dass du auch noch daran beteiligt bist.“

„Könntest du dir etwa vorstellen, dass sie mich mitreden lässt?“, fragte er trocken.

„Damit will ich sagen …“

„Damit willst du sagen, ich soll mich nicht einmischen oder gar zwischendurch vorbeikommen?“

Er traf den Nagel auf den Kopf. „Natürlich erwarte ich nicht, dass du deine Mutter vernachlässigst“, erklärte sie schnell. „Aber unter den gegebenen Umständen halte ich es für besser, wenn wir uns aus dem Weg gehen.“

„Ist notiert.“

Melanie fand seine Abgeklärtheit höchst beunruhigend. „Falls es aber einen Notfall geben sollte …“, begann sie.

„Dann bekomme ich eine Ausnahmeregelung?“

„Versteh mich doch, Forde!“

„Nächste Bedingung, bitte!“

Sie holte tief Luft. Um jeden Preis musste sie stark bleiben. „James und ich arbeiten zurzeit an einem Projekt. Im Anschluss wartet bereits der nächste Auftrag, der sich nicht verschieben lässt, aber das dürfte nicht allzu lange dauern. Eigentlich hätten wir ungefähr Mitte September ein neues Bauvorhaben beginnen sollen. Ich habe mich aber bei den Auftraggebern schon gemeldet, und sie haben nichts gegen einen späteren Termin einzuwenden. Ihnen wäre der Frühling sowieso lieber.“ Melanie schluckte und ärgerte sich darüber, so ins Detail gegangen zu sein. „Die Frau bekommt nämlich Ende Oktober ein Baby, und es geht ihr in letzter Zeit nicht besonders gut. Deshalb möchte ihr Mann möglichst Stress vermeiden, Isabelles Garten kann also problemlos zwischengeschoben werden.“

„Klingt, als würde dein Geschäft gut laufen?“

„Ja, das tut es.“

„Eine Sache muss ich aber noch loswerden, und das gibst du bitte nicht an meine Mutter weiter! Ich möchte für die Unkosten aufkommen. Das ist mein Weihnachtsgeschenk für sie. Aber weil sie so verflixt stolz und stur ist, will ich ihr das erst eröffnen, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind. Auf diese Weise ist auch gewährleistet, dass die besten Materialien verwendet werden. Falls dir diese Notlüge nichts ausmacht, könntest du ja einen etwas unrealistisch tiefen Kostenvoranschlag erstellen. Dann wären alle Beteiligten vorerst beruhigt, und sobald du fertig bist, zahle ich dir die volle Rechnung, ohne irgendwelche Einschränkungen. Einverstanden?“

Schweigend dachte sie über seinen Vorschlag nach. Eigentlich hatte sie vorgehabt, die neuen Gartenpläne so kostengünstig wie nur irgend möglich anzusetzen. Aber wenn Forde zahlte, konnte sie so kalkulieren wie bei anderen Projekten auch, was Vieles einfacher machen würde. Sie verstand auch, warum das ein Geheimnis bleiben sollte. Isabelle war zwar außerordentlich stolz auf ihren erfolgreichen Sohn, aber sie hatte sich schon immer geweigert, auch nur einen Penny von ihm anzunehmen. Sie bezog Witwenrente und hatte nach dem Tod ihres Mannes zusätzlich noch eine Lebensversicherung ausgezahlt bekommen.

Melanie räusperte sich. „Ich verstehe. Allerdings bräuchte ich für den Materialkauf eine Anzahlung.“

„Kein Problem. Wann kannst du mit Mutter reden?“

„Morgen Abend?“

„Perfekt. Ich rufe sie nachher an und bereite sie schon mal auf unseren Anschlag vor. Du kannst dann ja morgen direkt mit ihr einen Termin abstimmen. Okay? Sonst noch was?“

Auch wenn es ihr peinlich war, das zuzugeben: Am liebsten hätte sie vor Frust geschrien. Sein geschäftsmäßiger Tonfall kränkte sie zutiefst. Letzte Nacht hatten sie atemberaubenden Sex gehabt, und sie war danach in seinen starken Armen eingeschlafen. Und nun sprach er mit ihr wie mit einem Arbeitskollegen.

Sie gab sich alle Mühe, genauso emotionslos zu klingen wie er. „Im Augenblick nicht, denke ich.“

„Schön, dann Gute Nacht.“ Kurz darauf war die Leitung tot.

Erschüttert starrte Melanie den Hörer an. „Mistkerl!“, murmelte sie und hätte am liebsten vor Wut losgeheult.

Am nächsten Abend ging Isabelle schon nach dem zweiten Klingeln ans Telefon. Sie war so freundlich und höflich wie eh und je. Und am darauf folgenden Tag stand Melanie pünktlich um zwei Uhr nachmittags vor dem großen viktorianischen Haus von Fordes Mutter – nur zehn Meilen von Melanies früherem Zuhause entfernt.

Sie war schrecklich nervös, und ihre Hand zitterte, als sie die Klingel an der Tür drückte. Eine Pflegeschwester in Uniform öffnete ihr und führte sie in das große Wohnzimmer, wo trotz des warmen Wetters ein Holzfeuer im Kamin brannte. Melanie wurde wie eine Fremde behandelt, und sie vermutete, dass die Schwester sich nicht darüber im Klaren war, wer da vor ihr stand. Immerhin war Melanie die Schwiegertochter des Hauses – noch!

Isabelle erschien in dem Moment, als die Pflegeschwester verschwand. „Hallo, meine Liebe.“ Sie setzte sich auf das Sofa in der Nähe des Feuers und hob etwas den Kopf, damit Melanie ihre Wange küssen konnte. Dann klopfte sie mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. „Setz dich her. Ich habe Schwester Bannister nicht gesagt, wer du bist. Sie ist eine alte Klatschbase und steckte ihre Nase ständig in Dinge, die sie nichts angehen. Gott sei Dank verlässt sie mich Ende der Woche. Keinen Tag zu früh, wenn du mich fragst. Ich kann es kaum erwarten, mein Haus wieder für mich zu haben.“

Melanie strahlte. Sie hatte erwartet, Fordes Mutter blass und gebrechlich vorzufinden, aber Isabelle sah aus wie immer. Es schien so, als wären keine sieben Monate vergangen, sondern höchstens wenige Tage, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Auch der Raum hatte sich kein Stück verändert.

„Wie geht es dir denn überhaupt?“, begann Melanie. „Forde hat mir von deinem Krankenhausaufenthalt erzählt.“

Die alte Dame lächelte sanft. „Ich war ungeschickt und habe mir die Hüfte gebrochen. Und dann hat auch noch mein Herz verrückt gespielt. Aber was will man in meinem Alter schon erwarten? Ich bin schließlich kein junger Hüpfer mehr. Viel wichtiger ist aber, wie geht es dir, meine Liebe?“

„Sehr gut, danke.“ Sie musste einfach das loswerden, was sie sich seit zwei Tagen vorgenommen hatte. „Isabelle, als ich deinen Brief unbeantwortet zurückgeschickt habe … Es war nicht so, dass ich nicht mit dir in Verbindung bleiben wollte. Nur, ich konnte es einfach nicht.“

Ihre silberblauen Augen, die denen ihres Sohnes so ähnlich waren, leuchteten auf. „Das weiß ich doch, Liebes. Ohne einen klaren, sauberen Schnitt hättest du nicht weitermachen können. Wir beide haben uns viel zu gut verstanden, da hätte es anders gar nicht funktionieren können.“

Melanie wollte ihren Tränen freien Lauf lassen. Sie wollte ihren Kopf an Isabelles Schulter legen und weinen und weinen und nicht mehr aufhören. Genau das hatte sie kurz nach Matthews Tod getan, und die alte Dame hatte mit ihr geweint und getrauert. Und sie hatte Melanie unablässig zugeflüstert, dass sie Matthew niemals vergessen könnten, aber dass sie trotzdem andere Babys bekommen würde, die ihr dabei halfen, über den Verlust hinwegzukommen.

Aber Melanie nahm sich zusammen. „Du möchtest also dein Grundstück umgestalten?“

Mit der ihr angeborenen Würde akzeptierte Isabelle den abrupten Themenwechsel. „Von wollen kann wirklich keine Rede sein. Leider geht es nicht anders. Ich muss zugeben, in letzter Zeit wird mir das alles ein bisschen zu viel.“

„Und du willst keinen Gärtner einstellen?“

„Sporadisch vielleicht, aber nicht für die tägliche Arbeit. Das würde ich am liebsten selbst erledigen, so wie es schon mein ganzes Leben lang getan habe.“

„Also, sobald wir die Anlage vereinfacht haben, hättest du nichts dagegen, wenn mein Assistent ein oder zwei Mal im Monat vorbeikommt und hilft?“ Melanie hatte großes Verständnis für den Wunsch ihrer Schwiegermutter nach Unabhängigkeit. „Du wirst James lieben, das verspreche ich dir!“

„Ganz sicher werde ich das. Nun, Schwester Bannister wird uns gleich Tee bringen, und anschließend können wir uns gemeinsam den Garten ansehen. Einverstanden?“

Melanie nickte. Dabei wäre ihr am liebsten, wenn sie diesen Raum sofort verlassen könnte. Die ganze Zeit schon vermied sie es, das Hochzeitsfoto über dem Kamin anzusehen. Und als die Schwester mit einem Tablett in den Händen zurückkam, war ihr anzumerken, dass sie inzwischen zwei und zwei zusammengezählt hatte. Neugierig starrte sie Melanie an, die verstehen konnte, wie gern ihre Schwiegermutter dieses aufdringliche Frauenzimmer loswerden wollte.

Als Melanie drei Stunden später auf dem Heimweg war, hatte sie eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was ihre Schwiegermutter sich für ihr neu organisiertes Grundstück wünschte. Sie hatten sich darauf verständigt, den alten Baumbestand zu erhalten und viel mit Bodendeckern zu arbeiten. Immergrüne Pflanzen und besonders dicht wachsende Büsche sollten, strategisch sinnvoll gepflanzt, die Ausbreitung von Unkraut verhindern. Außerdem wollten sie ein Bewässerungssystem aufbauen und mehrere Ruheplätze schaffen.

Isabelle hatte sich alle Vorschläge angehört. Ihr hatte besonders gut gefallen, dass die Ruheplätze mit einem geschwungenen Pfad verbunden werden sollten, der zwischen Rasenflächen und pflegeleichten Kamillenbeeten entlangführte.

Sie vereinbarten, dass Melanie die Entwürfe zu Papier brachte, damit Isabelle eine bessere Vorstellung bekam und die letzten Details absegnen konnte. Melanie versicherte ihrer Schwiegermutter, dass man mit durchsichtigem Papier beliebig viele Änderungen auf den ersten Entwurf bringen konnte. Erst wenn Isabelle mit den Plänen hundertprozentig einverstanden war, würde ein konkreter Arbeitsablauf festgelegt werden. Außerdem brauchte man für die Einzelprojekte jeweils eigene Zeichnungen: für das neu anzulegende Wasserbecken, die romantische Laube, spezielle Formschnitte und noch einige andere Spielereien.

Zum Abschied drückten und küssten sie sich, und Isabelle hielt ihre Schwiegertochter ein wenig länger im Arm als nötig. Melanie hatte einen dicken Kloß im Hals, als sie schließlich wegfuhr. Es hatte sich richtig angefühlt, wieder Zeit mit Isabelle zu verbringen. Und jetzt war Melanie darauf konzentriert, ihre gemeinsamen Ideen so schnell wie möglich zu Papier zu bringen.

Isabelles Garten sollte weiterhin ein Ort der Erholung für die alte Lady sein, wo sie sich vor der Welt zurückziehen und entspannen konnte. Deshalb mussten über das gesamte Grundstück verteilt schattige Sitzplätze geplant werden, damit Isabelle sich auch in ein paar Jahren noch überall frei bewegen konnte – selbst wenn sie dann öfter ausruhen musste.

Melanie war voller Tatendrang, und die Arbeit würde Spaß machen, weil sie nicht mehr darauf achten musste, wie viel die Änderungen kosteten. Zu Hause machte sie sich gleich ans Werk und breitete ihre Unterlagen auf dem Esstisch aus, während hinter ihr die Kaffeemaschine zischte. Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie das Telefonklingeln nicht sofort hörte.

Irritiert nahm sie den Hörer ab. „Hallo, hier ist Melanie Masterson?“

„Hallo, Melanie Masterson. Hier ist Forde Masterson.“

Ihr Herz machte einen Satz und fing dann an zu rasen. „Oh, hi, Forde. Ich bin schon mitten in den Plänen.“

„Ich halte dich nicht lange auf“, versprach er, und der amüsierte Unterton in seiner Stimme war verschwunden.

Eigentlich wollte sie ihm sagen, dass er sie nicht wirklich störte, aber vielleicht war es ja besser, wenn sie ihr Verhältnis zueinander etwas abkühlen ließen. Also blieb sie stumm.

„Ich wollte mich nur bei dir dafür bedanken, wie umsichtig du mit Mutter umgegangen bist. Sie hat mich vorhin angerufen und mir ganz begeistert von eurem Gespräch erzählt. Obwohl es ihr auch sehr schwer fällt, ihren geliebten Garten auf den Kopf zu stellen. Ihr gefallen deine Vorschläge, und sie klingt ausgesprochen motiviert. Das weiß ich wirklich zu schätzen, Nell.“

Wie immer, wenn sie ihren Spitznamen aus seinem Mund hörte, jagte ihr ein Schauer über den Rücken. Forde hatte diese Macht, ihr unbewusst unter die Haut zu gehen. Bei ihm wirkten ihre künstlichen Schutzmechanismen nicht, und das machte ihn so unberechenbar für sie. Ihn nur am Telefon zu hören, fachte ihr Verlangen nach ihm aufs Neue an.

„Nell, bist du noch dran?“

„Ja, ich bin hier“, antwortete sie heiser. „Und du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken. Aber dir ist bewusst, wie teuer das werden kann, was wir vorhaben?“

„Natürlich.“ Es folgte eine kurze Pause. „Du weißt, dass ich es mir leisten kann. Ich möchte wirklich nur, dass meine Mutter mit dem Ergebnis glücklich wird.“

„Das wird sie. Ganz sicher.“ Melanie wurde klar, dass sie dieses Gespräch nicht so schnell beenden wollte. Sie liebte es, seiner tiefen Stimme zu lauschen. Unter diesen Umständen war es total verrückt, den Auftrag bei Fordes Mutter anzunehmen, aber für einen Rückzieher war es zu spät. „Sie wird den neuen Garten lieben, Forde. Das verspreche ich dir.“

„Ich habe keinerlei Zweifel daran“, murmelte er. „Ich vertraue dir voll und ganz, Nell. Das habe ich immer.“

Jetzt kam ihr die Panik zur Hilfe. „Ich muss Schluss machen. Wir reden später über den Kostenvoranschlag, sobald Isabelle alle wesentlichen Entscheidungen getroffen hat. Also, mach es gut, Forde.“

„Gute Nacht, Liebling. Süße Träume wünsche ich dir.“

Ehe sie begriff, was er da gesagt hatte, war die Leitung wieder tot. Liebling? Süße Träume? Was war mit ihren Bedingungen?

Ihre Knie zitterten, als Melanie zurück ins Esszimmer ging. Sicher, sie hatte nicht ausdrücklich darauf bestanden, ihr gegenüber keine Kosenamen zu verwenden. Worüber sollte sie sich also beschweren?

An Konzentration war leider nicht mehr zu denken. Stattdessen setzten starke Kopfschmerzen ein, und nach einer halben Stunde gab Melanie ihre Bemühungen auf. Sie nahm eine Aspirin und machte sich bettfertig, nur um die halbe Nacht wach zu liegen und über Forde nachzugrübeln.

Aber am Montagmorgen war ihre Kraft zurück. Mehr denn je war Melanie entschlossen, sich scheiden zu lassen, um diesem Wahnsinn endlich ein Ende zu setzen. Sie durfte sich durch nichts davon abbringen lassen. Durch gar nichts! Nur auf diese Weise konnte sie in ihr altes Leben zurückfinden.

5. KAPITEL

Entgegen dem, was Melanie erwartet hatte, vergingen die nächsten Wochen ohne weiteren Kontakt zu Forde. Sie besuchte Isabelle noch zwei Mal, um die Entwürfe zu besprechen und zu perfektionieren, während die übrigen Projekte allmählich fertiggestellt wurden. Nach genau einem Monat waren sie in jedem Punkt auf einen gemeinsamen Nenner gekommen.

Bei ihrem zweiten Besuch brachte Melanie James mit. Er wusste Bescheid, dass sie sich von Forde scheiden lassen wollte, aber trotzdem den Garten seiner Mutter in Ordnung bringen würde. Wie es James’ Art war, hatte er diese Neuigkeit mit einer größtmöglichen Selbstverständlichkeit hingenommen, als wäre es die natürlichste Sache der Welt.

Melanie bemerkte, dass Isabelle etwas überrumpelt war, als sie James zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Er war ein Adonis mit einem strahlenden Lächeln, heller als die Sonne. Deshalb nutzte Melanie auch die erstbeste Gelegenheit, um ihr zu versichern, dass James nichts weiter als ein Mitarbeiter war.

„Natürlich, Liebes“, entgegnete Isabelle, als wäre ihr nie und nimmer ein anderer Gedanke gekommen. Trotzdem ging die alte Dame nach dieser Rückmeldung wesentlich unbefangener mit James um. Der gemeinsame Nachmittag war äußerst produktiv und verflog in Windeseile. Am Ende war aus Isabelle und James ein richtig gutes Team geworden. Er würde ihr in Zukunft mit Sicherheit eine wertvolle Hilfe im Garten sein.

In der Nacht vor dem ersten richtigen Arbeitstag in Hillview konnte Melanie nicht gut schlafen. Die Hitzewelle vom August hatte sich hartnäckig ausgeweitet, und der September fühlte sich fast noch heißer und stickiger an als der Vormonat. Dazu kamen knochentrockene, rissige Böden, die zwar besser als Matsch und Regen, jedoch alles andere als ideal waren.

Aber es ging nicht um die mühsamen Aufgaben, die vor ihr lagen. Was Melanie den Schlaf raubte, war der Gedanke an ihren Ehemann. Um vier Uhr morgens gab sie es auf und ging nach unten, um sich Kaffee zu kochen.

Seit Wochen spukte Forde schon in ihrem Kopf herum, egal ob sie wach war oder träumte. Dabei hatte sie ihn nicht mehr gesehen, seit sie miteinander im Bett gewesen waren. Er hielt Wort und machte keine Überraschungsbesuche mehr, weder bei ihr noch bei seiner Mutter.

Wie er es wollte, hatte Melanie Isabelle gegenüber einen lächerlich geringen Preis veranschlagt und gleichzeitig seinem Büro die realistische Summe übermittelt. Sie dachte, dieser formelle Weg würde noch einmal die rein berufliche Natur ihrer Beziehung unterstreichen. Am nächsten Tag rief seine Sekretärin an und teilte mit, Mr Masterson sei zufrieden mit dem Kostenvoranschlag. Sein schriftliches Einverständnis würde ihr mit der nächsten Post zugestellt werden.

Missmutig rümpfte Melanie die Nase. Er konzentrierte sich auf sein eigenes Leben, das war nicht zu übersehen. Wieso auch nicht? Man konnte ihm kaum einen Vorwurf machen, nachdem sie sich wie eine Wahnsinnige aufgeführt hatte. Zuerst flehte sie ihn auf Knien an, mit ihr zu schlafen, dann zeigte sie ihm die eiskalte Schulter und ließ ihn auf ganzer Linie abblitzen. Welcher Mann ließ sich das auf Dauer gefallen?

Außerdem wollte sie ihn ja für immer loswerden, also warum jetzt das ganze Gejammer?

Seufzend setzte Melanie sich in den Sessel auf ihrer kleinen Terrasse und nahm einen kräftigen Schluck Kaffee. Dann sah sie in den Himmel hinauf, an dem noch Sterne funkelten, die schon bald von der Morgendämmerung abgelöst werden würden.

Ich muss einen Weg finden, mit dieser Situation umzugehen, nahm sie sich vor. Ihre Vorstellung von einer glücklichen Zukunft war schon vor Monaten zerschmettert worden. Warum zerbrach sie sich jetzt wieder den Kopf darüber? Sie würde niemals wieder jemanden zu nahe an sich herankommen lassen. Auf diese Weise würde niemand verletzt … weder sie selbst noch andere!

Sie blieb auf der Terrasse sitzen, bis die Vögel erwachten und die Sonne aufging. Ihre Arme und Beine fühlte sich an, als wären sie aus Blei. Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, hatte sie nicht mehr richtig gut geschlafen, seit Forde und sie offiziell getrennt waren.

Das muss alles anders werden, überlegte sie. Sie konnte doch nicht den Rest ihres Lebens wie ein Häufchen Elend vor sich hinvegetieren.

Ihre Trauer um Matthew würde sie für immer begleiten. Damit hatte sie sich abgefunden, und ein Teil von ihr war sogar dankbar für dieses Schicksal. Ihr blieb nichts anderes, was sie für ihren kleinen Schatz noch tun konnte, außer um ihn zu weinen. Und solange sie lebte, würde er in ihrem Herzen ebenfalls weiterleben.

Forde zu verlieren, war eine ganz andere Erfahrung und um einiges komplizierter. Aber das wollte sie gar nicht genauer analysieren. Sie schloss die Augen und ließ sich das Gesicht von den ersten, frühen Sonnenstrahlen wärmen. Um zehn Uhr würde die Hitze unerträglich sein, aber jetzt war sie eine Wohltat.

Melanie fühlte sich körperlich und seelisch erschöpft, trotzdem musste sie weitermachen. Es gab so viele Menschen, denen es wesentlich schlechter ging als ihr. Sie war jung und gesund, und ihr standen so viele Wege offen. Menschen, die sich ständig selbst bemitleideten, hatte sie stets verachtet.

Diese innere Ermahnung half ein bisschen. Zumindest konnte Melanie sich dazu aufraffen, unter die Dusche zu gehen und sich anzuziehen. Kurz vor sieben war sie bereits unterwegs, um James abzuholen. Er teilte sich ein Mietshaus mit drei Freunden. Gemeinsam fuhren sie den relativ weiten Weg nach Hillview und hielten kurz nach acht Uhr vor Isabelles Haus.

Als Erstes bemerkte Melanie Fordes Aston Martin in der Einfahrt, und ihr Magen machte spürbar einen Salto. James bemerkte ihre Aufregung nicht und stieg aus dem Pick-up, um sich ausgiebig zu strecken. Dann begann er, die mitgebrachten Geräte abzuladen.

Melanie war wütend. Forde hatte versprochen, sich fernzuhalten, solange sie in Hillview arbeitete. Und sie hatte ihm schließlich schriftlich mitgeteilt, wann sie mit dem Projekt beginnen würde.

Sie hörte, wie hinter ihr die Haustür geöffnet wurde, drehte sich jedoch nicht um. Mit Sicherheit stand Forde auf der Schwelle und starrte sie an. In aller Seelenruhe half sie James dabei, die Ladefläche freizuräumen, bis Forde sich ihnen schließlich näherte.

„Guten Morgen“, sagte er zur Begrüßung, und seine silberblauen Augen waren kalt wie Eis. Er lächelte nicht.

Seine beleidigende Haltung fachte ihre Wut noch an. Wie konnte er es wagen? Er dürfte nicht einmal hier sein! „Guten Morgen, Forde“, gab sie ebenso kalt zurück. „Ich fange heute im Garten an. Ist dir das irgendwie entgangen?“

„Nein, das ist mir nicht entgangen.“ Er schüttelte James die Hand. „Ich bin Forde Masterson, Melanies Ehemann. Sie sind sicherlich James?“

Sie hatte ganz vergessen, dass die beiden Männer sich gar nicht kannten. Und sie konnte James nicht verdenken, dass seine Begrüßung etwas zögerlich und halbherzig ausfiel. Immerhin machte Forde keinen Hehl aus seiner Feindseligkeit, sondern kniff angriffslustig die Augen zusammen.

James murmelte irgendeine Höflichkeitsfloskel und verabschiedete sich dann gleich wieder mit der Erklärung, er müsse das Werkzeug hinten in den Garten bringen.

„Du hast über deinen Mitarbeiter gesprochen, als wäre er ein junger Bursche, der noch grün hinter den Ohren ist“, brummte Forde in anklagendem Ton. „Aber er ist ein erwachsener Mann. Wie alt ist er? Vierundzwanzig oder fünfundzwanzig?“

„Wie bitte?“ Wieso wechselte er das Thema und ereiferte sich über James? Forde war derjenige, den sie hier nicht sehen wollte!

„Außerdem macht er den Eindruck, als wäre er mit allen Wassern gewaschen. Falls du verstehst, was ich damit meine?“

„James ist nach der Uni mit ein paar Freunden als Rucksacktourist um die Welt gereist. Vielleicht wirkt er deshalb ziemlich selbstbewusst und erfahren. Zudem habe ich nie behauptet, er wäre ein kleiner Schuljunge“, fügte sie spitz hinzu. „Egal, das geht dich nichts an. Mich würde vielmehr interessieren, was du hier heute Morgen zu suchen hast?“

„Dann habe ich also recht? Er ist mindestens Mitte zwanzig.“

„Wieso bist du so von seinem Alter besessen? Um es kurz zu machen, er ist sechsundzwanzig. Und jetzt will ich wissen, was du hier machst?“

„Meine Mutter hat mich angerufen und herbestellt, weil sie dachte, in ihrem Kamin würde ein Vogel feststecken“, erklärte er. „Alles klar? Aber bevor du fragst: Nein, da ist kein Vogel gewesen.“

Seit sich vor Jahren einmal eine Taube in ihren Schornstein verirrt hatte, rief Isabelle häufiger mal wegen eines angeblichen Notfalls an, das wusste Melanie von früher. Dabei hatte Forde seiner Mutter schon mehrfach erklärt, dass er zur Sicherheit ein Vogelschutzgitter installiert hatte. Damals hatten Melanie und Forde sich einen Spaß darüber gemacht, zu behaupten, die Taube würde absichtlich vom Dach aus in den Kamin gurren, um Isabelle zu ärgern.

„Oh.“ Sie nickte und fühlte sich ein wenig schuldig wegen ihres Misstrauens ihm gegenüber. Natürlich würde sie eher sterben, als das offen zuzugeben. Sie war sogar ein klein bisschen beleidigt, dass seine Anwesenheit so gar nichts mit ihr zu tun hatte.

„Also, dieser James …“ Ungeduldig strich Forde sich mit einer Hand die Haare zurück. „Ist er verheiratet oder was? Hat er eine feste Freundin oder Verlobte?“

Er ist eifersüchtig, dachte Melanie erstaunt. Glaubte er etwa, dass sie und James …? Im ersten Moment wusste sie nicht, ob sie das als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte. „James’ Privatleben geht mich nichts an“, entgegnete sie eisig. „Er arbeitet für mich, das ist alles. Verstanden?“

Forde schien wenig überzeugt.

Sie seufzte und legte den Kopf schief. „Er steht auf hoch gewachsene Brünette, die Tennis oder Squash spielen … oder eine von den anderen Sportarten, mit denen er sich in seiner Freizeit beschäftigt. Er liebt es, die Nächte in Clubs durchzufeiern und am nächsten Tag nach dem Frühstück gleich wieder segeln zu gehen. Bei so etwas würde ich gar nicht mithalten können“, schloss sie und verkniff sich ein Lächeln. „Selbst wenn er mein Typ wäre und ich seiner, wäre eine Beziehung ausgeschlossen. Schließlich bin ich seine Chefin.“

Forde stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Und Melanie verspürte plötzlich so viel Liebe ihm gegenüber, dass sie erschrocken einen Schritt zurückwich. Er sah heute aber auch unverschämt gut aus mit seinen lässigen Klamotten und dem Dreitagebart.

Seine Stimme war eine Nuance tiefer als sonst. „Dies ist wohl der Augenblick, wo ich mich für meine Neugier entschuldigen sollte. Aber das werde ich nicht tun, weil ich finde, ich habe ein Recht darauf, genau nachzufragen. Immerhin bist du meine Frau.“

Es fiel ihr außerordentlich schwer, ihm in die Augen zu blicken und sich dabei nicht zu verraten. „Es ist vorbei, Forde.“

„Es wird nie vorbei sein“, widersprach er heftig. „Uns hat nicht nur ein Stück Papier verbunden, Nell. Oder zwei goldene Ringe und ein paar warme Worte. Du gehörst zu mir – dein Körper, dein Geist, deine Seele. Ich liebe dich, und ich weiß, dass du mich auch liebst.“

Forschend suchte er in ihrem Gesicht nach Anzeichen für ihre wahren Gefühle. Vergebens. Melanie hatte ihre alten Barrikaden um sich herum errichtet.

„Wir können nicht dahin zurück“, sagte sie ruhig und ohne jegliche Betonung.

„Nein, das können wir nicht“, stimmte er zu. „Wir beide hatten einen Sohn, der leider gestorben ist. Er wird immer ein Teil von uns sein. Genau wie die Trauer, die uns zu den Menschen gemacht hat, die wir heute sind. Aber du und ich, das ist eine eigene Geschichte. Du musst endlich aufhören, dich für etwas zu bestrafen, woran du keinerlei Schuld trägst!“

„Was?“, zischte sie. Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht.

„Genau das tust du, Nell, ob es dir nun bewusst ist oder nicht. Und mich bestrafst du damit auch.“ Es kam ihm grausam vor, sie mit der Wahrheit über ihr Verhalten zu konfrontieren, aber irgendwann führte kein Weg mehr daran vorbei. Er verlor seine Frau, wenn er diesen letzten Versuch nicht unternahm, sie wieder zu Verstand zu bringen.

„Du begreifst überhaupt nichts.“

Er zuckte sichtbar zusammen. Seit Matthews Tod hatte er nichts anderes getan, als zu versuchen, seine Frau zu verstehen. Vergeblich. „Es geht nicht immer ausschließlich um dich, hast du darüber mal nachgedacht?“ Hinter sich hörte er, wie ihr verflixter Assistent zurückkam. Zu allem Überfluss pfiff dieser James einen Popsong vor sich hin. Forde hätte ihm am liebsten eins auf die Nase gegeben! „Ich habe Matthew auch geliebt.“

„Aber du bist nicht an seinem Tod Schuld.“

„Du auch nicht, verdammt noch mal!“ Er hatte nicht schreien wollen, aber zumindest hatte er damit erreicht, dass das Gepfeife hinter ihm verstummte.

Melanie wandte sich ab und zog ein Gesicht, das Forde noch gut von früher kannte. Nun verschloss sie sich endgültig. „Ich habe zu arbeiten.“ Sie winkte James zu, der offensichtlich unschlüssig war, ob er sie stören durfte. „Komm her und hilf mir mit dem Rest!“

Weil er wusste, dass er kurz davor war, etwas zu sagen, das er später bereuen würde, gab Forde klein bei. Stumm verschwand er im Haus, wo er beinahe mit seiner Mutter zusammenstieß, die in der großen Eingangshalle auf ihn wartete.

„Ich habe euch streiten hören“, begann sie streng.

Er liebte seine Mutter und wusste, dass sie ihm nicht wirklich böse war. Ihr war die Weisheit ihrer Generation gegeben, zusammen mit einem scharfen Verstand und einem großzügigen Herzen. „Ich musste weggehen, sonst hätte ich sie buchstäblich erwürgt“, gestand er.

Ihre Augen wurden größer, und sie wollte etwas sagen, überlegte es sich aber doch anders.

„Ich fahre lieber.“ Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Stirn. „Wir telefonieren später.“

Als er das Haus wieder verließ, waren Melanie und James nirgends zu sehen. Aber er konnte ihre Stimmen hinter der steinernen Grundstücksmauer hören. Zuerst wollte er sich noch von ihnen verabschieden, aber das war vermutlich keine so gute Idee. Resigniert setzte er sich in seinen Wagen und brauste so schnell davon, dass der Kies meterhoch spritzte.

Der Morgen war nicht ganz so verlaufen, wie er gehofft hatte. Wer konnte auch ahnen, dass Nells Assistent wie ein junger, muskulöser George Clooney daherkam? Oder dass sie sich so entsetzlich starrsinnig geben würde?

Zu Hause angekommen, tigerte er durch die Räume wie ein eingesperrtes Tier. Dabei hätte er sich duschen und fürs Büro umziehen müssen. Überall lauerten Erinnerungen an Melanie. Er liebte einfach alles an ihr, und manchmal tat die Trennung so weh, dass er sich wünschte, sie nie kennengelernt zu haben.

Dass es irgendwann mal so sein würde, dass er sie emotional nicht mehr erreichen konnte, hätte er nie für möglich gehalten. Er hatte immer fest daran geglaubt, alles zusammen mit ihr durchzustehen. Für sie zu sorgen, ihr zu helfen und die Schatten der Vergangenheit gemeinsam zu besiegen. Aber da hatte er sich gründlich getäuscht. Und am Ende mit einer kaputten Ehe dafür bezahlt.

Kraftlos ließ er sich auf einen Stuhl am geräumigen Esstisch fallen und saß noch in Gedanken versunken dort, als Janet um zehn Uhr zur Arbeit kam.

„Mr Masterson, was machen Sie denn hier um diese Zeit?“ Seit Jahren bestand sie darauf, ihn zu siezen, obwohl er sie etwa hundert Mal darum gebeten hatte, ihn Forde zu nennen. „Sind Sie krank?“

Traurig sah er zu der rundlichen Frau hoch, die ihm nicht nur Haushälterin und Köchin, sondern auch Ratgeber und Freundin war. Janet hatte wirklich kein leichtes Leben, aber das merkte man ihrer fröhlichen, aufgeschlossenen Art nicht an. In den vergangenen zehn Jahren war sie ihm eng ans Herz gewachsen.

Sie war der mütterliche Typ Frau, und er betrachtete sie als die ältere Schwester, die er nie gehabt hatte. Für sie dagegen war er einerseits Arbeitgeber, andererseits eine Art Sohn, den sie glühend verehrte und oft lobte. Forde konnte ihr Dinge anvertrauen, die er seiner Mutter gegenüber nie erwähnen würde. Nicht, dass Isabelle ihn weniger verstanden hätte. Vielmehr hatte er das Gefühl, sie seit dem Tod seines Vaters vor Problemen und Sorgen beschützen zu müssen.

„Ich habe heute Morgen Melanie getroffen“, erklärte er knapp. „Es war keine angenehme Begegnung, um es vorsichtig auszudrücken.“

„Oh, je.“ Eilig machte Janet sich daran, einen Kaffee aufzusetzen. „Haben Sie denn schon etwas gegessen?“

Er schüttelte den Kopf.

Nachdem eine dampfende Tasse und ein Teller mit Eiern und gebratenem Speck vor ihm standen, fühlte er sich schon etwas besser. Janet schenkte sich selbst auch einen Kaffee ein und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.

„So, dann schießen Sie mal los!“

Stockend berichtete er von dem Streit, und Janet hörte schweigend zu. „Und glauben Sie, Mrs Masterson hat eine Affäre mit ihrem Angestellten?“

Sofort setzte er sich kerzengerade auf. „Selbstverständlich nicht.“

„Aber Sie wollen Ihre Frau auch nicht aufgeben, oder?“

„Nein“, antwortete er, ohne zu zögern. „Sie sollten mich gut genug kennen, Janet.“

„Warum schmollen Sie dann hier herum?“, erkundigte sie sich streng.

Ihm ging ein Licht auf, und er grinste. „Stimmt eigentlich.“

„Habe ich Ihnen nicht schon vor Monaten gesagt, dass es ein langer Weg sein wird, der Geduld und Ausdauer erfordert? Habe ich das nicht gesagt?“ Sie schenkte Kaffee nach. „Der Zustand Ihrer Frau damals … das war schlimmer als ein gewöhnlicher Schock und die Trauer um Ihr Kind. Mrs Masterson glaubt an eine Art Fluch … daran, dass sie anderen Menschen Unglück bringt.“

Verständnislos starrte Forde seine Haushälterin an. So etwas hatte Janet schon früher behauptet, aber er hatte nicht viel darauf gegeben. Er hielt Melanie für zu vernünftig, um derart abergläubisch zu sein. „Aber das ist doch Unsinn!“

„Sie wissen das, und ich weiß das. Aber Mrs Masterson redet sich etwas anderes ein.“

Nachdenklich lehnte er sich auf dem Stuhl zurück. „Melanie ist eine intelligente, gebildete und abgeklärte junge Frau, um Himmels willen. Ich kann mir nicht vorstellen …“

„Sie ist auch eine junge Ehefrau, die ihr erstes Kind wegen eines schrecklichen Unfalls verloren hat, für den sie sich allein die Schuld gibt. Ich brauche nur daran zu denken, wie viele lieb gewonnene Menschen sie im Laufe ihres Lebens verloren hat: ihre Eltern, ihre Großmutter und dann noch die Schulfreundin. Ihre Frau hatte eine schwere Kindheit und musste früh lernen, ihre Gefühle vor dem Rest der Welt hinter einer schützenden Mauer zu verstecken. Ihr fällt es nicht leicht, offen über das zu sprechen, was sie wirklich bewegt. Nicht einmal Ihnen gegenüber. Und vergessen Sie nicht, dass Sie ein Mann sind und sich im Gegensatz zu Frauen an Logik orientieren. Da fällt es manchmal schwer, das andere Geschlecht zu verstehen.“

Forde starrte den Ehering an seinem Finger an. „Lassen Sie mich das mal zusammenfassen! Sie meinen also, Melanie will mich vor Unheil beschützen, indem sie mich verlässt?“

„Mrs Masterson würde es wohl anders ausdrücken, aber im Prinzip stimmt das so. Jedenfalls ist das mein Eindruck von ihr. Dazu kommt noch die Selbstbestrafung. Ein typisches Syndrom: Wie könnte ich glücklich werden, nachdem ich so etwas getan habe?“ Janet hob die Schultern. „In gewisser Hinsicht ist das ja nachvollziehbar.“

„So ein verfahrener Mist!“

„Exakt“, stimmte sie zu. „Sie müssen Ihre Frau vor sich selbst schützen.“

„Wie denn?“, fragte er verzweifelt. „Wie soll ich das machen?“

Janet stand auf und räumte den Tisch ab. „Ich habe tatsächlich keine Ahnung. Aber Sie werden einen Weg finden, da Sie Ihre Frau doch so sehr lieben.“

Sein Lächeln fiel ziemlich halbherzig aus. „Und ich habe schon gehofft, Sie hätten alle Antworten für mich.“

„Mrs Masterson liebt Sie, daran müssen Sie immer denken. Das ist ihr schwacher Punkt, ihre Achillesferse.“

„Meinen Sie wirklich? Also, dass sie mich noch liebt?“

Seine Haushälterin strahlte übers ganze Gesicht. Sie betrachtete Forde wie einen eigenen Sohn, und am meisten mochte sie den weichen Kern in seiner scheinbar harten Schale. Manche Männer mit seinem guten Aussehen und seiner finanziellen Situation würden glauben, ein Geschenk an die Frauenwelt zu sein. Er dagegen gab sich bescheiden und liebevoll, obwohl er mit Sicherheit gnadenlos sein konnte, wenn die Umstände es erforderten. Andernfalls wäre er beruflich nicht da, wo er sich hingearbeitet hatte.

„Natürlich liebt Mrs Masterson Sie“, erwiderte sie sanft. „Die Liebe zwischen Ihnen beiden ist offensichtlich. Und Liebe findet immer einen Weg. Behalten Sie das im Hinterkopf, wenn es Ihnen mal wieder so ergeht wie heute Morgen.“ Mahnend hob sie einen Zeigefinger. „In Ordnung?“

Er stand auf, und seine Augen waren voller Wärme. „Sie sind ein echter Schatz, Janet. Wissen Sie das eigentlich? Was würde ich nur ohne Sie anstellen?“

„Das sagt mein Männe auch immer zu mir, wenn er im Pub einen über den Durst getrunken hat“, gab sie trocken zurück. „Normalerweise hat er dabei seine Finger in meinem Portmonee.“

„Sie haben Besseres verdient, das ist Ihnen hoffentlich auch klar?“

Er drückte ihre Schulter, bevor er das Esszimmer verließ. Janet blieb lächelnd zurück und dachte über das nach, was Forde gesagt hatte. Sie hoffte inständig, dass er es schaffte, die Schwierigkeiten zwischen sich und seiner Frau aus dem Weg zu räumen. Denn auch wenn sie ihm Mut gemacht hatte, es musste schon ein Wunder geschehen, damit Mrs Masterson nach Hause zurückkehrte!

6. KAPITEL

Es war Mitte November. Bisher ein ausgesprochen milder November ohne Frost oder eisige Temperaturen, die die Arbeitsbedingungen im Garten erschweren könnten. Aber Melanie dachte nicht über das Wetter nach, als sie die Notaufnahme der Klinik verließ. Sie stieg in ihren Wagen, knallte die Tür zu und starrte dann regungslos geradeaus.

Seit ihrem ersten Arbeitstag bei Isabelle hatte sie Forde nicht mehr gesehen, obwohl sie ein paar Mal wegen des Projekts telefoniert hatten. Und weil ihr Anwalt immer noch auf die unterzeichneten Scheidungspapiere wartete, die Forde längst hätte zurücksenden sollen, hatte Melanie ihren Noch-Ehemann vor zwei Tagen zur Rede gestellt.

Forde entschuldigte sich gut gelaunt für die Verspätung und redete sich mit Terminstress heraus. Am meisten aber irritierte Melanie die Frauenstimme im Hintergrund. Selbstverständlich fragte sie Forde nicht direkt danach, mit wem er da gerade zusammen war. Es ging sie auch gar nichts an, schließlich hatte sie ihn verlassen, aber trotzdem tat der Gedanke an eine andere – die sich in Melanies ehemaligem Zuhause bewegte – unerträglich weh.

Wie bescheuert! dachte sie und schnappte nach Luft. Forde hatte jedes Recht, sich zu treffen, mit wem er wollte. Trotzdem bekam Melanie in der folgenden Nacht kein Auge zu. Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit fühlte sie sich sterbenskrank. Und als sie und James gerade feinen Kies zwischen neu gepflanzten Büschen ausbreiteten, wurde sie auf einen Schlag ohnmächtig. Ihr Assistent erschrak fast zu Tode.

Armer James! Er war außer sich gewesen und machte sich Sorgen, sie könnte beim nächsten Mal vielleicht das Bewusstsein verlieren, wenn sie gerade Auto fuhr oder eine schwere Maschine bediente. Sie könnte nicht nur sich selbst, sondern auch andere verletzen.

Am Ende ließ Melanie sich dazu überreden, in die Notaufnahme zu fahren – allein. Aber sie versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten. Im Stillen war sie davon überzeugt gewesen, einfach nicht gut mit dem Stress in letzter Zeit umgehen zu können. Sie wollte sich eventuell ein paar Beruhigungspillen verschreiben lassen, um die schwerste Zeit überstehen zu können und vor allem nachts wieder durchzuschlafen. Aber der Arzt hatte darauf bestanden, sie gründlich zu untersuchen, bevor er eine Diagnose stellte.

Mit zittrigen Fingern drehte Melanie den Zündschlüssel um. Sie musste zurück an die Arbeit. In Hillview gab es noch jede Menge zu tun, und sie konnten sich nicht ewig auf das warme Wetter verlassen. Man ging in diesem Jahr zwar von einem goldenen Herbst aus, aber dafür würde England im Dezember und Januar büßen müssen. Mitte Dezember sollte das Projekt für Isabelle abgeschlossen sein, vielleicht hatten sie ja bis dahin Glück mit den Temperaturen.

Leider schaffte sie es nicht zu fahren. Das Zittern wurde heftiger, als die Realität endlich in Melanies Verstand vordrang. Sie erwartete ein Baby. Fordes Baby. Ihre gemeinsame Nacht im August hatte Folgen, von denen sie nicht einmal in ihren wildesten Träumen fantasiert hätte!

Im Rückblick war es nicht zu erklären, warum ihr das Ausbleiben der Periode nicht aufgefallen war. Die ständige Müdigkeit hatte sie auf ihre Schlafstörungen zurückgeführt, der latente Übelkeit auf den Stress. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, schwanger zu sein. Aber es bestand kein Zweifel: Sie befand sich bereits in der dreizehnten Woche.

Bei Matthew war sie in den ersten Monaten auch ein paar Mal ohnmächtig geworden. Matthew. Oh, Matthew!

Melanie begann zu weinen, sie war vollkommen durcheinander. „Es tut mir so leid, mein süßes Baby“, flüsterte sie hilflos. „Das wollte ich alles nicht. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. Das weißt du doch?“

Wie lange sie dort saß, merkte sie nicht. Erst als die Fahrertür aufgerissen wurde und Forde plötzlich neben ihr hockte, kam sie zu sich.

„Nell? Nell, was ist los? Was ist passiert?“

Er war gleichzeitig die Person, die sie jetzt am meisten und am wenigsten sehen wollte. Mit aller Kraft versuchte sie, sich zu beruhigen. „Was … was machst du denn hier?“

Mit schnellen Schritten umrundete er das Auto und setzte sich auf den Beifahrersitz. Dann zog er Melanie in seine Arme und drückte sie an sich. „James hat meiner Mutter erzählt, dass du in die Klinik gefahren bist, und dass er sich große Sorgen um dich macht. Verdammt, Nell, ich bin doch immer noch dein Mann! Wenn sich jemand Sorgen um dich machen sollte, bin ich das! Was stimmt nicht mit dir?“

Noch hatte sie keine Zeit gehabt, sich darüber klar zu werden, inwieweit sie sich Forde anvertrauen wollte. Sie musste es ihm ja sagen, er war der Vater. Er hatte ein Recht darauf, von diesem Kind zu erfahren. Ach, verflixt, das durfte doch alles nicht wahr sein! Aber trotz ihrer Verwirrtheit und der tiefen Schuldgefühle Matthew gegenüber erwachte Melanies mütterlicher Instinkt mit einer Urgewalt, die sie erschreckte und überwältigte.

Sie dachte an die ganze schwere Arbeit der vergangenen Wochen und schickte ein Dankesgebet gen Himmel, dass ihr Baby alles unbeschadet überstanden hatte. Aber ab sofort würde sie die erdrückende Angst begleiten, dass diesem winzigen Menschen ihretwegen ein Unheil geschah …

„Nell?“ Fordes Stimme klang kratzig. „Was immer es ist … was immer auch geschehen ist, wir werden das zusammen durchstehen. Okay?“

Sein Versprechen wirkte wie ein Adrenalinschub auf sie. Energisch rappelte sie sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Ich bin schwanger.“

Im ersten Moment schien er sie zwar zu hören, den Inhalt der Worte jedoch nicht zu begreifen. Seit er mit seiner Mutter gesprochen hatte, ging Forde von einer schweren und vielleicht sogar tödlichen Krankheit aus. Nach dem, was Isabelle und James berichtet hatten, ging es Melanie seit Wochen elend, ohne dass sie es zugegeben hätte.

Auch ihm selbst war aufgefallen, wie dünn und zerbrechlich sie wirkte. Das hätte ihm zu denken geben müssen. Jedermann wusste doch, dass die größten Heilungschancen bestanden, wenn eine Krankheit frühzeitig erkannt wurde. Aber er hatte Wochen, sogar Monate weggeschaut …

Wie ein Verrückter war er zur Klinik gerast und hatte dabei den Gegenverkehr im Auge behalten, für den Fall, dass Melanie ihren Termin schon hinter sich hatte. Als er sie dann hier auf dem Parkplatz in diesem Zustand entdeckte, war er völlig in Panik geraten.

Jetzt wirkte sein Gesicht wie versteinert. „Was hast du da gesagt?“

„Ich … ich erwarte ein Kind.“ Sie machte eine Pause und fuhr dann stockend fort. „Die Nacht in meinem Cottage, da ist es passiert. Ich bin in der dreizehnten Schwangerschaftswoche.“

Er fuhr sich durch die Haare – eine vertraute Geste. „Aber du nimmst doch die Pille?“ Auch das war ein Streitpunkt nach der Fehlgeburt gewesen. Sie hatte die Pille nicht mehr absetzen wollen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, noch einmal schwanger zu werden.

„Nachdem ich ausgezogen bin, gab es keinen Grund mehr für mich, sie zu nehmen“, erklärte sie tonlos.

Davor eigentlich auch nicht, dachte er. Schließlich hatte sie ihren Mann kaum noch an sich herangelassen, nicht einmal mehr für einen Kuss.

Und allmählich wurde ihm das Wunder bewusst, das geschehen war. Melanie trug sein Kind unter dem Herzen. Seine Miene wurde weich, und Melanie wich alarmiert vor ihm zurück.

„Nein“, murmelte sie angsterfüllt. „Ich will das nicht! Verstehst du denn nicht? Das ändert gar nichts zwischen uns.“

„Bist du verrückt? Natürlich ändert es etwas.“ Seine Augen weiteten sich. „Du denkst doch wohl nicht an eine Abtreibung?“

Allein die Mutmaßung machte sie wütend. „Wie kommst du denn darauf?“, zischte sie. „Ich kann nicht fassen, dass du das gerade gefragt hast!“

Forde sah sie forschend an. „Damit ich das richtig verstehe, du willst das Baby, aber mich nicht? Willst du mir das damit sagen?“

Sie wurde blass und schüttelte den Kopf. „So meine ich das nicht.“

„Wie meinst du es dann?“, brauste er auf und senkte dann die Stimme sofort wieder. „Hör mal, lass uns irgendwo einen Kaffee trinken gehen. Dort können wir in Ruhe reden.“

„Nein.“

Die Angst war noch in ihren Augen, und er fühlte sich wie ein Monster. Am liebsten hätte er mit der Faust gegen das Armaturenbrett gehämmert. Melanie war seine Frau, sie bekam sein Kind, und jetzt wollte sie nicht einmal mit ihm sprechen? Es war zutiefst frustrierend.

„Es tut mir leid, Forde, ehrlich. Aber ich will mich erst mal selbst an diese Situation gewöhnen. Außerdem muss ich zurück an die Arbeit und …“

„Du spinnst wohl? Jetzt willst du gleich wieder arbeiten? Denk mal an das Baby!“

Das Wort Baby löste einen regelrechten Gefühlssturm in ihr aus. Trotzdem sammelte sie sich. „Es ist völlig normal, wenn schwangere Frauen arbeiten“, stellte sie klar. „Sobald James Bescheid weiß, wird er mir die schweren Sachen abnehmen. Trotzdem muss ich vor Ort sein und das Projekt betreuen. Ich will arbeiten, Forde.“

„Dir geht es aber nicht gut genug dafür.“

„Ich habe zu wenig gegessen und geschlafen, aber das lässt sich ja ändern.“ Dieser Kompromiss sollte reichen. „Heute Abend rufe ich dich an, versprochen.“

„Damit bin ich nicht zufrieden. Ich will mich mit dir zusammensetzen und vernünftig über alles reden. Es ist auch mein Kind, Nell. Also, heute Abend gehen wir zusammen essen, ich lade dich ein. Sei um acht Uhr startklar!“

Darauf hatte sie nun wirklich keine Lust. Erstens war ihr den ganzen Tag über flau im Magen, und zweitens war es die pure Quälerei, Zeit mit Forde zu verbringen. Es erinnerte sie ständig an das, was sie verloren hatte. „Ich glaube nicht …“

Sie kam nicht weiter, weil Forde plötzlich seinen Mund auf ihren presste. Er hatte sich blitzschnell über sie gebeugt und sie mit seinem Kuss überrascht. Aber er fühlte sich wunderbar warm und beruhigend an. Mit einer Hand stützte Forde sich auf ihrem Sitz ab, mit der anderen umfasste er ihre Schulter. Dann glitten seine Finger über ihre Brüste, und seine Zungenspitze fuhr über Melanies weiche Lippen.

Wann immer er sie auf diese Weise berührte, war sie ihm nach kürzester Zeit hilflos ausgeliefert. Melanie wusste es, Forde wusste es. Diese Anziehungskraft war einer der Gründe, warum sie nach dem Verlust ihres Sohnes auf Abstand gegangen war. Es konnte kein Glück mehr für sie geben, wenn ihr Sohn tot war.

Aber Forde hatte sich zurück in ihr Leben gekämpft, mit fatalen Folgen. Allerdings konnte sie die Existenz des Babys nicht als etwas Negatives empfinden. Das war unmöglich.

Sie gab ihren Widerstand auf und küsste Forde, wie sie es schon in jener Augustnacht getan hatte. Sein Stöhnen war die Antwort auf ihre Kapitulation, und es dauerte eine ganze Weile, bis er sich zögernd von ihr losmachte.

Zu ihrer Schande musste Melanie sich eingestehen, dass sie diese Stärke nicht aufgebracht hätte. Ganz egal, wie viele Menschen auf diesem Parkplatz umherliefen. Eilig ordnete sie sich die Haare und zupfte ihr Oberteil wieder zurecht.

Eine junge Mutter mit einem Kleinkind stieg neben ihnen aus ihrem Auto. Sie war deutlich sichtbar zum zweiten Mal schwanger und sah nicht viel älter als zwanzig aus.

So ein Mädchen hätte Forde heiraten sollen, überlegte Melanie unglücklich und fühlte sich augenblicklich wie eine abgehalfterte Hexe. Hübsch, sexy und selbstbewusst.

„Ich muss zurück zu deiner Mutter, Forde.“

„Okay. Aber bitte sag James gleich Bescheid, was los ist! Und denk daran, ich habe einen Maulwurf im Camp! Sie wird mir berichten, falls du dich nicht benehmen solltest.“

Es sollte ein Witz sein, trotzdem hatte sie den Eindruck, wie ein Fisch in einem Netz zu zappeln. Immerhin war dieses Baby Isabelles Enkelkind!

„Acht Uhr heute Abend, ja?“, hakte er nach, und sie nickte. „Du brauchst nicht zu gucken, als wäre ein Abendessen mit dem Vater deines Kindes die Höchststrafe. Mein Ego hat in letzter Zeit genügend Rückschläge einstecken müssen.“

Unwillkürlich dachte Melanie an die Frauenstimme, die sie beim letzten Telefonat im Hintergrund gehört hatte. Jedenfalls konnte sie sich den nächsten Kommentar einfach nicht verkneifen. „Ich bin sicher, da gibt es diverse Hände, die dieses Ego gern wieder gesund streicheln würden.“

Als sie den Ausdruck in seinen eisblauen Augen sah, bereute sie den Satz sofort.

„Diese Bemerkung klang definitiv vieldeutig“, murmelte er. „Das musst du mir mal genauer erklären!“

Sie zuckte die Achseln. „Da gibt es nicht viel zu erklären. Ich meine nur, da gibt es doch bestimmt jede Menge Frauen, die gern mit dir Zeit verbringen würden. Das ist alles.“

„Und wie kommst du zu dieser Annahme?“, erkundigte er sich.

„Forde, ich bin mir im Klaren darüber, dass es mir nicht zusteht, deinen Lebensstil zu kritisieren. Du kannst andere Frauen treffen, wann immer du magst.“

„Ist dem so?“, fragte er ironisch und hielt seine Hand mit dem Ehering hoch. „Und der hier? Bedeutet er überhaupt nichts? Das trifft vielleicht auf dich zu, mein Schatz. Aber mir bedeutet dieser Ring immer noch ungeheuer viel. Und auch alles, was er repräsentiert.“

Das war zu viel für sie! „Ich weiß, dass jemand bei dir war, als ich dich wegen der Scheidungspapiere angerufen habe.“

„Wie bitte?“ Seine Stirn war gerunzelt, aber dann dämmerte ihm, wovon sie sprach. „Stimmt, du hast recht. An dem Abend waren sogar mehrere Leute da. Ich habe eine kleine Party gegeben, um den Geburtstag meiner Mutter zu feiern. Nur sie und ein paar Freundinnen von ihr. Ich weiß ja nicht, wen du gehört hast, Nell. Aber eines kann ich dir versichern: Keine der anwesenden Damen war jünger als achtzig.“

Großartig! dachte Melanie. Einfach großartig!

Sie hatte nicht nur Isabelles Ehrentag vergessen, sondern sich auch noch wegen ihrer Eifersucht lächerlich gemacht. Mit einem letzten Anflug von Würde reckte sie ihr Kinn vor. „Verstehe, aber du brauchst dich vor mir gar nicht zu rechtfertigen. Ich wollte dir ja klarmachen, dass du tun und lassen kannst, was du möchtest.“

„Nein, Nell, das kann ich eben nicht.“

„Ich habe doch kein Recht darauf, dich …“

„Du hast jedes Recht, von mir dieselbe Treue und Ehrlichkeit zu verlangen, die ich auch von dir erwarte. Lass uns das ein für alle Mal klarstellen. Als ich mein Ehegelöbnis ablegte, habe ich jedes einzelne Wort davon ernst gemeint. Und daran halte ich mich. Alles klar?“ Insgeheim freute er sich diebisch über ihren Eifersuchtsanfall. „Ich hole dich nachher zum Essen ab.“

Sein freundlicher Tonfall machte es ihr unmöglich, sich weiter zur Wehr zu setzen. „James hätte den Mund halten sollen“, seufzte sie. „Ich bin echt sauer auf ihn.“

„Bestraf ihn ruhig, so viel du willst“, ermunterte Forde sie und lachte. Doch plötzlich wurde er ernst. „Du hättest mir doch von dem Baby erzählt, oder?“

Seine Unsicherheit gab ihr zu denken. Traute er ihr etwa zu, ihn derart zu hintergehen? „Du hättest es als Erster erfahren, Forde“, versicherte sie ihm. „Auch wenn du hier nicht aufgetaucht wärst. Allerdings hätte ich mir wohl ein bis zwei Tage Zeit gelassen, um den ersten Schreck zu verkraften.“

„Ist es wirklich so schlimm für dich, von mir schwanger zu sein?“

Der schönste Horror, den sie sich im Augenblick vorstellen könnte. Aber wie sollte man so etwas Widersprüchliches in passende Worte kleiden? „Ich muss los“, sagte sie knapp und sparte sich eine komplizierte Erklärung.

Forde nickte. „Fahr vorsichtig! Was wirst du meiner Mutter sagen? Sie macht sich auch Sorgen um dich.“

Melanie biss sich auf die Unterlippe. „Die Wahrheit, denke ich.“ Allerdings würde die alte Dame unter diesen Umständen erst recht nicht begreifen, wieso Melanie und Forde keinen Neuanfang miteinander wagten. Es war eine wirklich vertrackte Situation. Und es würde auch in nächster Zeit nicht besser werden, wenn Forde erst einmal begriff, dass Melanie nicht zu ihm zurückkommen würde.

Mit brüchiger Stimme verabschiedete sie sich von ihm. „Bis bald, Forde. Und danke, dass du hergekommen bist.“

Er lächelte. „Dafür brauchst du dich doch nicht zu bedanken. Ich bin dein Ehemann, schon vergessen?“

Im Rückspiegel sah sie ihn auf dem Parkplatz stehen, beide Hände in die Hosentaschen geschoben, mit breiten Schultern und zerzausten Haaren. Er wirkte groß, kräftig und ungemein sexy. Und sie war schwanger von diesem Traummann, der alles für sie tat und obendrein ihr Ehemann war. Im Grunde müsste sie die glücklichste Frau auf Erden sein …

7. KAPITEL

Isabelle musste am Fenster gestanden und auf sie gewartet haben. Denn als Melanie vor dem Haus hielt, wurde im selben Augenblick die Eingangstür aufgerissen. „Melanie, Liebes!“ Die alte Dame stützte sich schwer auf den Stock, den sie seit ihrer Hüftoperation ständig bei sich hatte. „Hast du einen Moment Zeit für mich, bevor du dich wieder in die Gartenarbeit stürzt?“

Je eher daran, je eher davon! sagte Melanie sich und folgte Fordes Mutter gehorsam ins Innere des Hauses.

„Ich habe nämlich gerade Kaffee gekocht und wollte dem lieben James eine Tasse bringen, zusammen mit einer Scheibe von dem Früchtebrot, das er so gern mag“, plauderte Isabelle und humpelte in Richtung Küche. Aus James war in kürzester Zeit der liebe James geworden, was Melanie nicht im Geringsten verwunderte. „Setz dich nur schon hin, solange ich ihm hinten ein Tablett rausstelle! Du kannst dir gern ein Stück Kuchen oder Früchtebrot nehmen. Und schenk uns beiden bitte auch eine Tasse Kaffee ein, ja?“

Beinahe wäre Melanie zum zweiten Mal an diesem Morgen in Tränen ausgebrochen. Das heimelige Gefühl, in Isabelles Küche zu sitzen, machte sie sentimental. Sie wagte nicht zu sprechen, und so nickte sie nur stumm.

Früher hatte sie ihrer Schwiegermutter häufig im Garten geholfen und sich immer auf die Kaffeepause gefreut, in der es grundsätzlich Selbstgebackenes gab. In diesen kostbaren Stunden war immer viel geredet und gelacht worden. Aber heute war ihr nicht nach Lachen zumute.

Isabelles Früchtebrot war eine ihrer besonderen Spezialitäten, und obwohl Melanie immer noch flau zumute war, hatte sie großen Hunger. Sie schnitt sich gerade genüsslich zwei dicke Scheiben ab, als ihre Schwiegermutter mit strahlendem Gesicht zurückkam.

„So ein netter Junge, der liebe James“, rief sie begeistert. „Jedoch glaube ich, er isst nicht genug in seiner komischen WG mit den anderen jungen Kerlen. Wenn ich ihm etwas zu essen bringe, schlingt er es herunter, als wäre er am Verhungern.“ Ihre silberblauen Augen richteten sich auf Melanie. „Und du, Liebes? Isst du denn genug? Ich finde dich ein wenig zu mager, ehrlich gesagt. Und James erzählte, du bist heute Morgen in die Notaufnahme gefahren?“

Melanie nahm einen großen Bissen und nickte kauend. „Mir ging es nicht so gut, doch gesundheitlich ist alles in Ordnung. Ich habe es nicht bemerkt, aber …“ Sie holte tief Luft, um Zeit zu gewinnen. Es war nicht leicht, reinen Tisch zu machen, wenn man dem anderen dabei ins Gesicht blicken musste. „Ich bekomme ein Baby. Von Forde“, fügte sie hastig hinzu, bevor ihre Schwiegermutter auf falsche Gedanken kam.

Isabelle war am heutigen Tag nach Melanie und Forde die dritte Person, deren Gesicht bei dieser Nachricht vor Überraschung erstarrte. „Aber das ist ja wunderbar, Liebes“, sagte sie und drückte Melanies Hand. „Wann ist es denn soweit?“

„Im Mai soll es kommen.“ Es war typisch für Isabelle, nicht die offensichtlichen Fragen zu stellen, und Melanie war ihr dankbar dafür. „Tja, also … Forde kam mich im August besuchen, um über diesen Auftrag hier bei dir zu reden. Eines führte zum anderen, und dann …“ Hilflos brach sie ab.

„Nun, ich freue mich für euch beide“, verkündete die alte Dame mit fester Stimme. „Weiß Forde schon davon?“

Melanie nickte. „Wir haben uns vor der Klinik getroffen.“ Bevor sie der Mut verließ, musste sie zum Punkt kommen. „Das heißt aber nicht, wir würden eine neue Chance für unser Zusammenleben haben, Isabelle.“

Sie stutzte. „Soll das bedeuten, du liebst ihn nicht mehr?“

„Nein. Ich meine, das soll es nicht heißen. Natürlich liebe ich ihn noch.“

„Und er liebt dich. Sehr sogar, das weiß ich genau. Deshalb verstehe ich auch nicht so ganz …“

Vergeblich versuchte Melanie, die Tränen zurückzuhalten. Und sie weinte auch nicht zurückhaltend wie eine Lady, sondern heulte los wie ein Schlosshund. Ihre Augen schwollen zu, die Nase lief, und sie merkte, wie ihre Schwiegermutter fest die Arme um sie legte. Melanie weinte um ihren toten Sohn, um Forde, dem sie das Herz gebrochen hatte, und um all die zerschlagenen Hoffnungen und Träume in ihrer beider Leben. Und um dieses neue Baby – dieses winzige, zerbrechliche Wesen, das nichts für dies ganze Dilemma konnte.

Als die Tränen endlich versiegten, holte Isabelle einen Waschlappen und ein Handtuch, damit sie Melanie sich etwas frisch machen konnte. Bei ihrer Schwiegermutter fühlte Melanie sich plötzlich wie ein Kind, nicht wie eine erwachsene Frau. Ergeben ließ sie sich mit heißem Kaffee versorgen und bemühte sich, ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die alte Dame setzte sich direkt vor sie und nahm ihre beiden Hände.

„Rede mit mir!“, verlangte sie.

Doch Melanie schüttelte den Kopf. „Ach, ich weiß nicht, wie ich das alles erklären soll.“

Die ältere Frau seufzte. „Du bist die Tochter, die ich niemals hatte. Das weißt du doch? Und ganz egal, was die Zukunft bringt, das wird sich nicht ändern. Aber dass du dir die Schuld für etwas gibst, das nicht in deinen Händen lag, muss endlich aufhören, Kind!“

Durch die Tränen konnte Melanie ihre Schwiegermutter kaum erkennen. „Ich finde einfach, ich darf nicht wieder glücklich sein. Nicht, nachdem ich Matthew verloren habe. Es ist, als würde ich ihn verraten. Und ich habe Angst …“

„Wovor denn, Liebes?“, hakte Isabelle nach, als ihre Schwiegertochter verstummte.

„Ich habe Angst, dass Forde etwas Schlimmes passieren könnte, wenn er mit mir zusammenbleibt. Und dem Baby auch.“ Instinktiv schob sie eine schützende Hand über ihren Bauch. „Vielleicht bin ich dazu bestimmt, allein zu sein, weißt du?“

„Blödsinn, Liebes!“ Die alte Lady nahm grundsätzlich kein Blatt vor den Mund, wenn es ernst wurde. „Du hattest einen tragischen Unfall. Hinzu kommen diese verflixten Hormone, die Frauen in manchen Lebenslagen regelrecht den Kopf verdrehen können. Sie haben deinen Verstand und deine Wahrnehmung getrübt und eine handfeste Depression ausgelöst, so viel ist sicher. Und du steckst noch immer in diesem depressiven Zustand. Hättest du es mit diesen Medikamenten versucht, die der Arzt dir verschreiben wollte, würde es dir wahrscheinlich schon viel besser gehen.“

„Das wollte ich nicht“, sagte Melanie trotzig. „Matthew hat es verdient, dass man um ihn trauert. Es war das Mindeste, was ich für ihn tun konnte.“ Sie putzte sich die Nase, bevor sie weitersprach. „Mir ist klar, dass du es gut meinst, Isabelle. Trotzdem muss ich tun, was ich selbst für richtig halte.“

„Ja, Liebes, das weiß ich. Wirst du dennoch etwas für mich tun? Für uns alle? Triff dich von Zeit zu Zeit mit Forde. Er liebt dich so sehr. Unterhalte dich einfach nur mit ihm, und versuche zu erklären, wie du dich fühlst. Auch wenn es für dich scheinbar keinen Sinn ergibt. Aber schließe ihn nicht aus, nicht jetzt! Es ist auch sein Kind.“

„Das ist mir klar.“ Melanie nickte. „Heute Abend gehen wir zusammen essen.“

„Ausgezeichnet.“ Sie schien zufrieden. „Jetzt trinkst du erst mal deinen Kaffee und nimmst dir noch eine Scheibe vom Früchtebrot! Du brauchst deine Kräfte, immerhin musst du jetzt für zwei essen.“

„Für diesen Satz würden dir die Ärzte heutzutage an den Hals springen“, widersprach Melanie lächelnd und war froh, den unangenehmen Teil des Gesprächs hinter sich zu haben.

„Zweifellos, aber auf diese so genannten Experten habe ich noch nie gehört“, entgegnete Isabelle schnippisch. „Daher kann ich dich auch gut verstehen in Bezug auf die Psychopharmaka. Ich bin selbst manchmal ein recht eigensinniges Mädchen, das sich nichts vorschreiben lassen will, musst du wissen.“ Sie zwinkerte vergnügt.

„Du bist eine tolle Frau“, stellte Melanie richtig und umarmte ihre Schwiegermutter.

Anschließend unterhielten sie sich noch ein paar Minuten über leichtere Themen wie den Garten oder das Wetter, bevor Melanie nach draußen ging, um mit James zu sprechen. Isabelle griff dagegen gleich zum Hörer und rief ihren Sohn an.

James arbeitete gerade an dem kleinen Gartenteich, der Fischen und Amphibien ein Zuhause bieten und gleichzeitig als Vogeltränke fungieren sollte.

„Mir geht’s gut, keine Sorge“, rief Melanie ihm zu, bevor er etwas sagen konnte. „Aber da gibt es etwas, das du wissen solltest. In nächster Zeit kann ich keine schweren Dinge mehr heben und muss mich generell ein bisschen schonen. Ich bekomme ein Baby.“

James wich entsetzt einen Schritt zurück, als befürchtete er, sie würde das Kind an Ort und Stelle gebären. „Was?“

Melanie musste lachen.

„Forde?“, fragte er mit einem breiten Grinsen.

Sie nickte. „Natürlich Forde. Wer sonst?“

„Dann seid ihr beide wieder zusammen?“

„Nicht wirklich.“ Die Annahme konnte ihm keiner verdenken.

„Ach, so.“

Nicht zum ersten Mal lobte Melanie innerlich James Eigenschaft, sich mit wenig Information zufriedenzugeben. Er gehörte zu diesen unbeschwerten Typen, die ihre Mitmenschen ohne viel Wenn und Aber akzeptierten. Lange Erklärungen konnte man sich bei ihm meistens schenken. „Stichtag ist erst Anfang Mai. Nicht der günstigste Zeitpunkt für die Firma, ich weiß. Im Frühling ist immer viel los nach der Flaute im Winter.“

„Halb so wild. Kriegen wir schon hin.“

„Ich denke schon seit einer Weile darüber nach, noch jemanden an Bord zu holen. Vielleicht könnten wir in den nächsten Wochen eine Kraft einarbeiten, dann sind wir fürs neue Jahr gewappnet? Dann hättest du praktisch auch ein oder zwei Assistenten“, setzte sie lachend hinzu.

Er nickte. „Wie du meinst.“

Während sie Seite an Seite weiterarbeiteten, dachte Melanie darüber nach, was sie überhaupt wollte. Es gab so Vieles, an das sie in Zukunft denken musste, und sie hatte noch keine Ahnung, wohin sie ihre Pläne führen würden. Nur eines war gewiss: Sie liebte dieses neue Baby mit jeder Faser ihres Körper und von ganzem Herzen. Gestern wusste sie noch gar nichts von seiner Existenz, und heute war es das Zentrum ihres Universums.

Den Rest des Tages arbeitete sie wie ein Roboter, während in ihrem Kopf Sorgen, Hoffnungen und Zweifel durcheinanderwirbelten. Auf dem Heimweg aber hatte sie das Gefühl, zu einem guten Schluss gekommen zu sein. Sie wusste nun, was sie tun wollte. Vielleicht hatte sie es schon gewusst, als der Arzt sie mit der Schwangerschaft konfrontiert hatte. Nur hatte sie es sich da noch nicht sofort eingestehen können.

Es fing bereits zu dämmern an, als sie ihr Cottage aufschloss. Drinnen lief alles nach Alltagsroutine ab: Stiefel aus, Treppe hoch, Bad einlassen. Um sieben Uhr stieg Melanie wieder aus der heißen Wanne und beschloss, sich kurz hinzulegen, bevor Forde kam. Sie fühlte sich nach diesem körperlich und emotional anstrengenden Tag völlig zerschlagen.

Nur für ein paar Minuten wollte sie die Augen schließen und ausruhen. Gähnend kroch sie unter ihre Bettdecke und war schon in der nächsten Sekunde eingeschlafen.

8. KAPITEL

Forde war bewusst, was ihm für eine Auseinandersetzung bevorstand. Der Anruf seiner Mutter hatte dieses Gefühl noch verstärkt. Ihre geschilderten Eindrücke bestätigten, was auch Janet vermutete: Melanie litt unter echten Depressionen.

Tief in Gedanken versunken fuhr er die Strecke zu Nells Cottage. Verdammt nochmal, er konnte sie einfach nicht verstehen! Er liebte sie doch mehr als sein eigenes Leben. Aber gegen ihre Drang, sich selbst zu bestrafen – und damit indirekt auch ihn – kam er einfach nicht an. Bestrafung für etwas, das keiner von ihnen hätte verhindern können. Und dann diese fixe Idee, sie würde den Menschen in ihrer unmittelbaren Nähe Unglück bringen. Absoluter Blödsinn!

Seine Mutter war davon überzeugt, dass die Wurzel dieser Überzeugung in der Vergangenheit liegen musste, weit vor der Hochzeit mit ihm. Die Fehlgeburt hatte Melanies Trauma lediglich erneut ans Tageslicht geholt. Ohne den Unfall wäre dieser Aberglaube irgendwann gänzlich vergessen worden.

Mit grimmiger Miene umklammerte Forde das Lenkrad. Wieso hatte er bloß nicht auf die offensichtliche Erkrankung seiner Frau, nämlich auf die tiefe Depression, reagiert? Was sollte er jetzt tun? Wie konnte er sie davon überzeugen, dass ihm ein Leben ohne sie sinnlos erschien? Dass er an nichts und niemandem mehr Freude empfinden konnte?

Mit ihrer falschen Wahrnehmung glaubte sie tatsächlich, ihn mit der Trennung vor Unheil beschützen zu können. In Wahrheit bescherte sie ihm einen schmerzhaften Tod auf Raten. Und jetzt gab es da noch das Baby, das Ergebnis ihrer Liebe. Seit ihrer ersten Begegnung war da Liebe zwischen ihnen gewesen – und natürlich die verzehrende Leidenschaft, die Forde empfand, wann immer er seine Frau auch nur ansah.

Er hatte sofort gespürt, dass sie seine zweite Hälfte war. Seine Seelenverwandte. So einfach war das, zumindest in der Theorie.

Seine Mutter machte sich ebenfalls Sorgen um Melanie, was Forde nur noch entschlossener werden ließ. Er würde seine Ehefrau zurückerobern, koste es, was es wolle. Und die Schwangerschaft zwang ihn dazu, keine weitere Zeit mehr zu verlieren. Schluss mit dem Kuschelkurs! Er würde nicht länger so tun, als stimme er der Scheidung am Ende zu, bloß um Zeit zu gewinnen. Diese Ehe würde nicht zerbrechen, ganz gleich, was er dafür tun musste!

Er warf einen Seitenblick auf die Blumen und den alkoholfreien Sekt auf dem Beifahrersitz. Während ihrer ersten Schwangerschaft hatte Melanie peinlich genau darauf geachtet, sich gesund und vorschriftsmäßig zu ernähren. Und sie war vollkommen außer sich gewesen vor Freude, als sie die ersten Kindsbewegungen spüren konnte.

Ja, sie würde eine fantastische Mutter sein. Ihre schwierige Kindheit hatte sie in dem Wunsch bestärkt, dem eigenen Nachwuchs nichts als unendliche Liebe und Sicherheit zu bescheren. Daran wollte Forde sie heute erinnern, falls sie an dieser sinnlosen Trennung festhielt. Sie musste ihre Ängste und Zweifel überwinden und wieder so zuversichtlich sein wie beim ersten Mal …

In Gedanken ging er die Argumente durch, die er vorbringen konnte, sollte sie weiterhin so widerspenstig sein. Und als er sein Auto parkte, fühlte er sich bestens auf die Diskussion mit Melanie vorbereitet. Im Grunde zählte doch nur, dass sie sich liebten. Und dass eine verheißungsvolle Liebesnacht im Spätsommer zu einem Wunder geführt hatte: Sie erwarteten ihr gemeinsames Kind! Daran gab es nichts zu rütteln, im Frühling würden sie eine richtige Familie sein. Mit einem Mädchen oder Jungen, das ihr Glück vollkommen machte.

Forde empfand so viel Liebe für Melanie und dieses ungeborene Wesen, dass es ihm regelrecht den Atem verschlug. Damals hatte er auf die Ärzte gehört, die ihm dringend dazu geraten hatten, seiner Frau viel Zeit und Raum für sich zu geben. Dabei hatte er instinktiv den Drang verspürt, sie aus ihrer Einsamkeit zu holen und zu zwingen, ihn weiterhin an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Dieses Mal würde er nicht klein beigeben!

Vor ihrer Haustür straffte er ein, zwei Mal die Schultern, bevor er klingelte. Auf in den Kampf, es würde der wichtigste seines Lebens werden. Er klingelte wieder und wartete. Keine Antwort. Die Uhr zeigte einige Minuten nach acht an. Seine Frau war kein Feigling, und sie brach niemals ihr Wort. Was stimmte also nicht?

Alarmiert hämmerte er mit der Faust gegen die Tür. Vielleicht lag sie irgendwo verletzt oder ohnmächtig in einer Ecke … Vor Erleichterung klatschte er in die Hände, als sich die Tür öffnete. Melanie stand im Bademantel vor ihm. Verschlafen blickte sie ihn an.

„Forde? Wie spät ist es? Ich wollte mich nur für ein paar Minuten hinlegen.“

„Es ist kurz nach acht.“ Um ein Haar hätte er kein Wort herausgebracht. Zuerst ängstigte er sich zu Tode, und jetzt wollte er seine Frau einfach nur noch in die Arme schließen.

Schnell gab er ihr die Blumen und den Sekt, bevor er eine Dummheit beging. Als er das Haus betrat, zog es unangenehm in seiner Lendengegend, aber er konnte nichts gegen sein wachsendes Verlangen tun.

„Komm rein“, sagte sie und trat zur Seite. „Und danke für die Rosen!“

„Ich weiß doch, was du magst.“ Er folgte ihr ins Haus.

„Tut mir leid, ich bin noch nicht fertig“, sagte sie leicht verlegen. „Es dauert aber nur noch ein paar Minuten. Willst du vielleicht solange was trinken? Kaffee, Saft oder lieber ein Glas Wein?“

„Kaffee wäre toll.“ Er hatte zwar keine Lust darauf, aber er wollte unbedingt, dass Melanie ein bisschen länger unten bei ihm blieb. Da kam ihm ein Gedanke. „Wir müssen nicht ausgehen, wenn du so müde bist. Ich kann uns etwas zu essen bestellen. Chinesisch, Indisch oder Thai? Was immer du magst.“

Darüber dachte sie eine Weile nach. Ein Restaurantbesuch wäre weitaus weniger intim und gemütlich, als sich zu Hause einzukuscheln. Andererseits müsste sie sich dann nicht extra zurechtmachen … ein verlockendes Argument.

Geduldig wartete Forde eine Antwort ab, während Melanie die Blumen in einer Vase arrangierte. „Es gibt einen Chinesen im nächsten Dorf“, sagte sie schließlich. „Die Karte liegt unter der Keksdose da drüben. Du kannst uns ja etwas bestellen, und ich zieh mich in der Zwischenzeit an.“

„Meinetwegen mach dir keine Umstände.“

Ihr Gesichtsausdruck änderte sich sofort, und Forde hätte sich die Zunge abbeißen können. „War nur ein Witz“, versuchte er die Situation zu retten. „Was möchtest du essen?“

„Ist mir egal“, rief sie im Gehen über die Schulter. „Such etwas aus. Und nimm dir einen Kaffee. Bin gleich zurück.“

Nachdenklich schenkte er sich eine Tasse ein. Melanie sah erschöpft aus, was kein Wunder war. Sie hatte ein paar anstrengende Monate hinter sich und wirkte ständig, als müsse sie über glühende Kohlen laufen. Wie die Katze auf dem heißen Blechdach … eine geschmeidige Katze mit großen, wachsamen Augen und einem bildhübschen Gesicht. Aber eine Katze zeigte auch ihre Krallen, wenn es nötig war.

Forde schnappte sich die Lieferkarte des Restaurants und ging die Menus durch. Er hatte einen riesigen Hunger und suchte mehrere Gerichte aus, damit Melanie freie Auswahl hatte, und er in jedem Fall satt wurde. Dann bestellte er telefonisch panierte Garnelen, gebratene Ente, Rindfleischstreifen, reichlich Gemüse, verschiedenen Soßen, Reis und Krabbenchips.

Gut gelaunt ging er ins Esszimmer, um den Tisch zu decken, räumte Akten beiseite und suchte im Schrank nach Geschirr, Servietten und Gläsern. Anschließend kehrte er in die Küche zurück und trank noch einen Kaffee. Auch wenn es albern klang, er war ungeheuer nervös. In seiner Magengegend tanzten Schmetterlinge, so, als würde er sein erstes Date mit Melanie vorbereiten.

Damals war es ihr erstes Treffen nach der Hochzeitsfeier gewesen, auf der sie sich kennengelernt hatten. Forde hatte keine vierundzwanzig Stunden warten können, bevor er Melanie wiedersehen musste. Sie verlebten einen gemütlichen Abend in einem ganz speziellen kleinen Restaurant und unterhielten sich stundenlang.

Lächelnd dachte er jetzt daran zurück. Davor hatte er nie ein ernsthaftes, langes Gespräch mit einer Frau geführt. Aber bei Melanie hatte es sich richtig angefühlt, sich gänzlich zu öffnen. Und ihr war es ganz genauso ergangen, zumindest hatte er den Eindruck gehabt.

Rastlos lief er auf und ab, bis er vor der Terrassentür stehenblieb und nach draußen sah. Nach einer Weile öffnete er die Tür und ging nach draußen, wo er tief die kühle Abendluft einatmete. Der sommerliche Rosenduft war inzwischen verschwunden, aber es gab trotzdem noch reichlich Topfpflanzen, die ein angenehm leichtes Aroma verströmten.

Melanie bemerkte er erst, als sie schon direkt hinter ihm stand. „Ich mag ein paar Farbtupfer in der kalten Jahreszeit“, erklärte sie und betrachtete ihre Blumen. „Die da hinten sind alle winterhart. Niedlich, oder, mit den ganzen dunkelrosa Blüten? Und diese Ranke hier bekommt bei Frost sogar rot gefärbte Blätter. Sehr robust. Ich habe Isabelle auch ein paar davon in den Garten gepflanzt.“

Schweigend sah er sie an. Mit dem Pferdeschwanz und den zerrissenen Jeans sah sie unglaublich jung aus. Fordes Herz klopfte schneller, und er musste schlucken, bevor er sprechen konnte. „Wirklich wunderschön.“ Dabei ließ er offen, worauf sich das bezog. „Es ist kalt, du frierst bestimmt.“ Gemeinsam gingen sie rein. „Willst du nicht auch einen Kaffee trinken?“

Aber Melanie schüttelte den Kopf. „Zu gern, aber ich sollte es mit dem Koffein in nächster Zeit nicht übertreiben.“

„Dann lieber einen Saft? Oder sollen wir den Sekt aufmachen, den ich mitgebracht habe? Natürlich alkoholfrei.“

Sie hatte sich in die Küchenecke zurückgezogen, sodass der Frühstückstresen zwischen ihnen stand. Ihre ganze Körperhaltung vermittelte Forde, dass sie auf Abstand zu ihm bleiben wollte. „Forde, ich habe zugestimmt, mich heute mit dir zu treffen. Aber wirklich nur, um mich mit dir zu unterhalten, weiter nichts. Es ist auch dein Kind. Allerdings …“

Mit einer erhobenen Hand brachte er sie zum Schweigen. „Lass und nach dem Essen über alles reden, bitte.“ Auf diese Weise würden sie beide schon etwas entspannter und ruhiger sein, was sich nur positiv auswirken konnte. „Ich sterbe vor Hunger und kann momentan echt keinen klaren Gedanken fassen. Der Lieferservice muss jeden Augenblick hier sein.“

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis es an der Tür klingelte. Wenig später bog sich der Esstisch förmlich durch, so viele Teller und Schüsseln standen darauf. Zuerst hatte Forde noch befürchtet, Melanie würde lustlos in den Gerichten herumstochern, aber zu seiner Erleichterung langte sie ordentlich zu.

Nach einer knappen Stunde, in der sie gegessen und über Belanglosigkeiten geplaudert hatten, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. „Das war himmlisch. Ich hatte keine Ahnung, wie hungrig ich eigentlich war.“

Er grinste. „Du bist ja auch zu zweit.“

„Oder zu dritt. Es könnten auch Zwillinge werden. In der Familie meines Vaters ist das schon vorgekommen.“

„Zwillinge wären toll. Doppelter Spaß.“

„Und doppelte Arbeit: Füttern, Windeln wechseln, Baden und so weiter.“ Ihre Miene wurde ernst. „Forde, wir haben eine Menge zu klären. Und zwar jetzt gleich.“

„In Ordnung. Lass uns mit den Getränken ins Wohnzimmer gehen, ja?“

Obwohl die vergangene Stunde richtig schön gewesen war, wirkte sie plötzlich wieder steif und abweisend. Sie setzten sich einander gegenüber auf die gemütlichen Sofas, und Melanie zog die Knie an.

„Also, Nell, was willst du mir sagen?“

„Ich … ich kann das Baby nach der Geburt nicht bei mir behalten. Falls du … falls du es möchtest, kannst du es zu dir nehmen.“

Auf alles Mögliche hatte er sich vorbereitet, aber darauf nicht! Mit offenem Mund starrte er sie an. „Was hast du da eben gesagt?“

„Es wäre doch besser, wenn es bei einem leiblichen Elternteil aufwächst“, erläuterte sie hölzern. „Du hast auch noch deine Mutter und deine anderen Verwandten. Das Kind hätte einen Familienanschluss und wüsste, wo seine Wurzeln sind. Außerdem kannst du dir die beste Nanny leisten, und dann ist da ja auch noch Janet.“

„Wovon sprichst du eigentlich?“ Einzig die Gewissheit, dass es nicht ihr Ernst sein konnte, half Forde dabei, die Nerven zu behalten. „Die beste Nanny der Welt kann die eigene Mutter nicht ersetzen. Du bist die geborene Mutter, Nell, und niemand könnte das Baby so lieben wie du. Das ist uns doch wohl beiden klar?“

„Nein“, protestierte sie. „Ich kann es nicht behalten.“

Es kostete ihn alle Kraft, ruhig zu bleiben. „Wieso nicht? Erklär mir das bitte! Diese Erklärung schuldest du nicht bloß mir, sondern auch unserem Baby. Hast du dir mal überlegt, wie unsere Tochter oder unser Sohn sich fühlt, wenn sie oder er herausfindet, dass seine Mutter sich nach der Geburt aus dem Staub gemacht hat?“

Ein paar Herzschläge lang hielt sie die Augen geschlossen. „Das ist unfair.“

„Das hat überhaupt nichts mit Fairness zu tun. Hier geht es um Fakten, Nell!“

„Ich setze mich ja mit den Fakten auseinander!“ Ihr Ausbruch kam unerwartet, und Forde fuhr vor Schreck zusammen. „Bleibt es bei mir, wird ihm etwas passieren. Genau wie bei Matthew. Oder dir stößt was zu. Wir können keine Familie sein, und das liegt an mir. Verstehst du das denn nicht? Weil ich das Kind liebe, muss ich es vor mir schützen.“

Sie war aufgesprungen und starrte ihn aufgeregt an. Ganz offensichtlich glaubte sie jedes Wort von dem, was sie da sagte.

„Darum hast du mich auch verlassen und willst die Scheidung?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Er war froh, dass sie endlich zum Kern des Problems kam. „Du hast dir diese Lüge so lange eingeredet, bis du sie selbst geglaubt hast.“

Ihm wurde allmählich klar, wie viel er falsch gemacht hatte. Er hätte darauf bestehen müssen, dass sie nach der Totgeburt professionelle Hilfe bekam. Aber er hatte ihr nicht mehr Schmerz als nötig zumuten wollen – im Nachhinein ein verhängnisvoller Fehler. Dadurch war genau das geschehen. Welche Ironie des Schicksals.

„Es ist keine Lüge.“ Ihre Stimme zitterte.

„Oh, doch, das ist es.“ Er stand auf, ging auf sie zu und zog ihren steifen Körper an sich. „Das Leben verläuft nicht in geregelten, vorhersehbaren Bahnen, Nell. Menschen sterben bei Unfällen, an Krankheiten, an Altersschwäche oder auch bei Fehlgeburten, bei Totgeburten oder durch medizinische Fehler. Es ist nicht schön und es ist nicht fair, geschehen tut es trotzdem. So ist der Lauf des Lebens. Du trägst an Matthews Tod keine Schuld. Ich habe keine Ahnung, warum es uns traf. Und ich gebe zu, ich hadere mit Gott, seit es passiert ist, aber ich würde dir niemals einen Vorwurf machen. Du hast damit nichts zu tun, und das musst du endlich mal in deinen Kopf bekommen.“

„Ich kann nicht“, protestierte sie verzweifelt und wehrte sich gegen seine Umarmung. „Und ich muss dieses Kind beschützen, Forde. Wenn du es zu dir nimmst, und ich mich aus eurem Leben raushalte, wird alles gut.“

Ihr blasses Gesicht zeigte ihm deutlich, wie sehr er sie an ihre Grenzen getrieben hatte. „Es ist doch wohl selbstverständlich, dass ich mich um unser Kind kümmern werde, Nell. Aber du schuldest ihm auch etwas. Ich möchte dich bitten, mit einer unbeteiligten Person über deine Gefühle zu sprechen. Mit jemandem, der auf die Trauerarbeit spezialisiert ist, die du durchmachen musst. Wirst du das für unser Baby tun? Und für mich?“

Sie wich zurück. „Mit einem Arzt, meinst du? Hältst du mich für verrückt?“

„Auf keinen Fall.“ Entschlossen folgte er ihr und nahm ihre Hand. „Aber ich kenne eine Therapeutin, die dir mit Sicherheit weiterhelfen kann. Sie hat schon vor Monaten ihre Hilfe angeboten, und es wären nur Gespräche, die ausschließlich zwischen euch beiden bleiben. Okay? Du wirst Miriam mögen, Nell. Ganz bestimmt.“

„Ich weiß nicht.“

„Dann vertraue mir, denn ich weiß es genau. Wirst du das tun? Was hast du denn zu verlieren? Ich liebe dich, Nell, das habe ich immer getan. Wenn du es nicht für dich selbst machen willst, tu es wenigstens für mich!“

Die Verwirrung und Unentschlossenheit waren ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, und Forde strich mit dem Handrücken über ihre fahle Wange. Dann küsste er sie vorsichtig auf den Mund und schloss erneut seine Arme um sie.

Schweigend standen sie da, und Forde atmete den süßen Vanilleduft ihrer Haare ein. Mit geschlossenen Augen wartete er ab und kämpfte gegen das Verlangen, das wieder einmal in ihm erwachte – wie immer, sobald seine hinreißende Frau ihm nahe kam.

Nach ein paar Minuten entschied er, dass keine Antwort auch eine Antwort war. „Ich rufe Miriam morgen früh an. Sie ist eine viel beschäftigte Frau, aber sie wird bestimmt einen Termin für dich finden.“

Melanie schluchzte verzweifelt auf. „Sie kann das Unweigerliche auch nicht ändern. Finde dich damit ab, Forde. Ich habe es auch getan.“

„Geh hin und rede mit ihr! Mehr verlange ich von dir nicht.“ Er küsste sie wieder, dieses Mal intensiver. „Ich will dich“, murmelte er. „Heute Nacht. Aber wenn du willst, dass ich gehe, verschwinde ich.“

Ihre Antwort war ein leidenschaftlicher Kuss, der Forde schon in der ersten Sekunde davon überzeugte, dass ihre Liebe echt war. Ohne Eile trug er Melanie ins Schlafzimmer hinauf, aber als er sie vor dem Bett absetzte, war es mit der Geduld vorbei. Sie rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib und warfen sich nackt in die weichen Decken.

Seine Frau war im Schlafzimmer immer eine ihm ebenbürtige Verführerin gewesen, und Forde ließ sie gewähren, als ihre Lippen und Hände ihn überall berührten. Ihre Brüste fühlten sich voller an, und als er die Nippel küsste, stieß sie einen leisen Schrei aus.

„Sie sind empfindlicher geworden“, flüsterte sie und hielt seinen Kopf fest, damit er mit seinen Liebkosungen nicht aufhörte.

„Du bist so wunderschön, Liebling“, raunte er. „Ich glaube, ich kann nicht länger warten.“

„Dann tu es nicht.“

Melanie war bereit für ihn, als er in sie drang. Gemeinsam bewegten sie sich in stimmiger, vertrauter Harmonie. Die Ekstase trug beide mit sich fort, und sie hielten einander fest, als könnte die Lust sie sonst auseinanderreißen.

Eng umschlungen blieben sie anschließend liegen, Melanie konnte die Augen kaum noch offen halten.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele kalte Duschen ich in den vergangenen Tagen nehmen musste.“

Sie versuchte zu lächeln. „Forde, wir hätten nicht …“

„Doch, hätten wir. Ich begehre dich und du mich auch. So einfach ist das. Mach es nicht unnötig kompliziert.“

„Aber es …“

„… ändert nichts zwischen uns. Ist mir auch bewusst. Mach dir keine Sorgen. Schlaf gut!“ Sorgfältig deckte er sie beide zu.

„Das ist dir gegenüber nicht in Ordnung“, wisperte sie traurig.

„Glaub mir, mit dieser Form von Ungerechtigkeit kann ich gut leben“, erwiderte er trocken.

Das brachte sie zum Lachen, und er grinste zurück. „Schlaf jetzt“, sagte er und gab ihr einen zarten Kuss auf die Nasenspitze. „Es ist wirklich alles bestens.“

Lange, lange beobachtete er seine Melanie im Schlaf und grübelte über die verfahrene Situation, in der sie steckten. Natürlich war überhaupt nichts bestens, ganz im Gegenteil. Aber er würde dafür sorgen, dass sie diese Krise meisterten.

Mit einer federleichten Berührung strich er über ihren Bauch und musste blinzeln, als ihm Tränen in die Augen stiegen. Da drinnen lebte sein winzig kleines Baby und wurde von Tag zu Tag größer und stärker. Es war wie ein Wunder und ein Wendepunkt nach der langen Leidenszeit, die er und Melanie hinter sich hatten.

Was es auch kostete, sie würden eine Familie werden. Und wenn er Melanie dafür kidnappen und sich mit ihr am Ende der Welt verstecken musste, bis sie zu Verstand kam. Er würde es tun.

Im Tiefschlaf murmelte sie seinen Namen und atmete dann weiter ruhig vor sich hin. Ein kleines Zeichen, aber Forde genügte es. Sie gehörte zu ihm – Ende der Geschichte.

Selig schlief er ein.

9. KAPITEL

Melanie öffnete langsam die Augen. Sie fühlte sich einfach herrlich. Das Bett war wunderbar warm und kuschelig … plötzlich riss sie die Augen auf. Forde! Er hatte sich an ihren Rücken geschmiegt, und ein Arm lag quer über ihrem Bauch.

In Zeitlupe schob sie den Arm von sich und drehte sich dann auf die Seite, um Forde zu betrachten. Die Decke war heruntergerutscht und entblößte seinen ungemein attraktiven Oberkörper. Auf der muskulösen Brust befand sich ein dunkler Schatten feiner Härchen, und Melanie hätte sich gern wieder zu ihm gelegt. Aber das kam nicht infrage, obwohl sie ihn auch nicht wie beim letzten Mal einfach allein lassen wollte.

Leise schlüpfte sie aus dem Bett und sammelte ein paar Kleidungsstücke zusammen. Als sie eine halbe Stunde später fertig gestylt aus dem Badezimmer kam, saß Forde aufrecht im Bett und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Ihr Herz schlug augenblicklich höher. Er sah aus wie eine wahr gewordene Frauenfantasie.

„Hallo, meine Süße“, begrüßte er sie grinsend. „Geht es dir gut?“

Autor

Debbie Macomber
<p>SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber hat weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkauft. Sie ist die internationale Sprecherin der World-Vision-Wohltätigkeitsinitiative Knit for Kids. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wayne lebt sie inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder in Port Orchard im Bundesstaat Washington, der Stadt, die sie zu ihrer <em>Cedar Cove</em>-Serie inspiriert hat.</p>
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