Lieb mich noch einmal wie damals

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Eine einzige leidenschaftliche Nacht hat Lowri damals in Italien mit Neurochirurg Vincenzo verbracht, dann entdeckte sie, dass sie schwanger war. Auf ihre Briefe hat er nie reagiert. Doch jetzt ist ihre Tochter erkrankt, und nur Vincenzo kann sie retten …


  • Erscheinungstag 04.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504553
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

War es ein Fehler, hierherzukommen?

Lowri Davies atmete tief durch, als sie dem davonfahrenden Taxi nachblickte. Jetzt war es zu spät, sich alles noch einmal zu überlegen. Hätte es eine andere Option gegeben, hätte sie sie schon vor Monaten gewählt. Tatsache war, dass Vincenzo der einzige Mensch war, der ihr helfen konnte.

Wenn er es denn tat.

Bei dem Gedanken daran, worum sie ihn bitten wollte, lief es ihr kalt über den Rücken. Bestimmt wäre alles einfacher, wenn sie eine Vermutung hätte, wie er regieren würde. Aber dazu kannte sie ihn zu wenig. Ein paar Wochen genügten nicht, um zu wissen, was für ein Mensch er wirklich war. Würde er zustimmen oder sich schlichtweg weigern, ihren Vorschlag auch nur zu überdenken? Dass er auf ihren Brief nie geantwortet hatte, war kein gutes Zeichen, aber das durfte sie nicht abhalten. Sie brauchte Hilfe, unbedingt, um Megan zu retten!

Sie drückte den Knopf der Sprechanlage. Die Villa war groß, viel größer als erwartet. Umgeben von einem weitläufigen Grundstück, stand sie auf einem Hügel mit Blick auf den schimmernden Gardasee. Durch das schmiedeeiserne Torgitter konnte Lowri die gepflegte Anlage sehen, und sie verzog den Mund. Auch wenn sie aus der kurzen Zeit mit Vincenzo wusste, dass er reich war, so war ihr nie klar gewesen, wie reich.

Es kostete bestimmt ein Vermögen, ein solches Anwesen zu unterhalten, dazu besaß er noch ein Apartment in einer exklusiven Gegend von Mailand. Selbst ein Topchirurg wie er konnte nicht allein von seinem Gehalt diesen luxuriösen Lebensstil finanzieren. Er musste privates Vermögen besitzen, von der Familie her. Ein beunruhigender Gedanke. Am allerwenigsten wollte sie den Eindruck erwecken, dass sie hinter seinem Geld her war.

„Sì?“

Die tiefe männliche Stimme aus dem Lautsprecher der Anlage ließ sie zusammenzucken. Lowri presste die Hand auf ihr rasendes Herz. Vor fünf Jahren hatte sie Vincenzo zuletzt gesehen und auch sonst keinen Kontakt mit ihm gehabt, aber seine Stimme erkannte sie auf Anhieb. So, als wäre sie für immer in ihrem Gedächtnis eingebrannt. Und sie erweckte umgehend eine Menge Erinnerungen, besonders an die letzte Nacht mit ihm …

„Vincenzo, ich bin es, Lowri“, sagte sie rasch, um nicht weiter daran zu denken. In jener Nacht war geschehen, was geschehen war. Sie und Vincenzo hatten miteinander geschlafen, mit unvorhergesehenen Folgen.

„Lowri?“

Leicht verwundert wiederholte er ihren Namen. Ihr stieg die Röte in die Wangen. Hatte er sie etwa vergessen, längst aus seiner Erinnerung gelöscht, sodass er nicht einmal mehr ihren Namen wusste?

Wahrscheinlich war sie nur eine von vielen Frauen, mit denen er geschlafen hatte. Nicht mehr und nicht weniger.

„Lowri Davies“, sagte sie und konnte ihren aufkeimenden Ärger nicht unterdrücken. Es mochte ja sein, dass sie wirklich nur eine seiner vielen Eroberungen gewesen war, aber er konnte doch nicht so tun, als würde er sich nicht an sie erinnern. Sie hatte ihm einen Brief geschrieben! Vielleicht tat er nur so ahnungslos, um sie abzuwimmeln.

Das konnte er vergessen!

„Du musst dich doch an mich erinnern, Vincenzo. Auch wenn du vielleicht viele Frauen gehabt hast, doch sicher nicht viele, die dir geschrieben haben, dass sie ein Kind von dir erwarten.“ Sie lachte kühl auf. „Na, klingelt es jetzt bei dir?“

Vincenzo Lombardi hatte auf einmal das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Für einen winzigen Moment stand er stocksteif da und starrte auf die Sprechanlage. Sollte das ein Scherz sein?

Oh ja, er erinnerte sich an sie, unerwartet klar. Es waren nur wenige Wochen gewesen, aber er sah Lowri deutlich vor sich: ihr hellbraunes Haar, das ihr in weichen Wellen über die Schultern fiel, haselnussbraune Augen, die je nach Stimmung bis ins Goldene wechselten. Ihr schlanker Körper mit den wundervollen Rundungen.

Sein Körper reagierte unerwartet, und Vincenzo runzelte die Stirn. Was um alles in der Welt machte er da? Er sollte sich auf das konzentrieren, was sie sagte, nicht auf die Gefühle, die ihr Bild hervorrief.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, signorina. Falls das ein schlechter Scherz sein soll, tun Sie mir leid.“

„Es ist kein Scherz. Sobald ich wusste, dass ich schwanger war, habe ich dir einen Brief geschrieben. Willst du etwa behaupten, du hättest ihn nie bekommen?“

Der Zorn in ihrer Stimme trieb ihm das Blut ins Gesicht. Seit Jahren schon war er nicht mehr rot geworden, hatte sich nicht auch nur ansatzweise für etwas geschämt. Er hatte sich darauf trainiert, keine Gefühle zu zeigen, meistens nicht einmal welche zu empfinden.

Vincenzo wusste, dass seine Mitarbeiter im Krankenhaus in Mailand ihn für kalt und arrogant hielten, aber das machte ihm nichts aus. Es war besser, alles unter Kontrolle zu haben, anstatt wie andere unter emotionalen Traumata zu leiden.

„Ich behaupte gar nichts, signorina. Ich habe nie einen Brief von Ihnen bekommen. Das ist Fakt. Also, es tut mir leid, aber ich habe keine Zeit, diese Unterhaltung fortzusetzen.“

Vincenzo legte den Hörer auf, griff nach dem Handtuch über der Stuhllehne und machte sich auf den Weg ins Bad. Er hatte es heute mit den Übungen übertrieben, sein Körper schmerzte, aber nur so konnte er wieder zu alter Fitness zurückfinden. Der Skiunfall vor einem halben Jahr hatte sein gewohntes Leben massiv beeinträchtigt, und er musste sein Training noch steigern, wollte er wieder im OP stehen. Operieren war seine Leidenschaft, er lebte für seinen Beruf. Er mochte sich nicht vorstellen, wie leer sein Leben ohne diese Arbeit sein würde.

Der Summer der Sprechanlage riss ihn aus seinen Gedanken. Vincenzo drehte sich um und starrte den Apparat wütend an. Lowri stand also immer noch draußen. Beharrte weiterhin auf ihrer lächerlichen Lüge. Er warf das Handtuch auf den Boden und marschierte aus dem Raum, entschlossen, der Sache ein Ende zu bereiten. Er hatte keine Ahnung, warum sie hier auftauchte und ihm Lügen auftischte. Wenn Lowri Davies ein Kind hatte, dann ganz sicher nicht von ihm!

Als er das Haus verließ, sah er sie vor dem Tor stehen und ging langsamer. Unerwartet hatte er auf einmal das Gefühl, sich wappnen zu müssen, und das überraschte ihn. Sein Selbstvertrauen war legendär, seine Selbstsicherheit unerschütterlich. Sogar in den schwierigsten Situationen wusste er immer, was zu tun war. Und doch war da jetzt das irritierende Gefühl, dass es diesmal anders war.

Allerdings, irgendeinen Grund musste sie haben, herzukommen. Seit fünf Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen, und wenn sie ein Kind hatte, musste es mindestens vier Jahre alt sein. Weswegen also hatte sie sich nicht schon lange vorher gemeldet und behauptet, dass er der Vater sei?

Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass hinter ihrem Besuch mehr steckte als anfangs vermutet. Aber er hatte keine Ahnung, was das sein könnte. Er musste in dieser Angelegenheit seinem Instinkt vertrauen, und wenn es eins gab, das Vincenzo hasste, war es, sich auf sein Glück zu verlassen. Er bevorzugte ein Leben ohne Überraschungen, das strikt durchgeplant war. So bestand kaum das Risiko, verletzt zu werden.

Der Gedanke erstaunte ihn, denn noch nie zuvor hatte er sich eingestanden, verletzlich zu sein, in keinerlei Hinsicht. Die Lippen fest zusammengepresst, machte er sich auf den Weg zum Tor. Seine Selbstbeherrschung mochte minimal geringer sein als sonst, aber mit dieser unwillkommenen Störung würde er locker fertigwerden. Es war unwichtig, weswegen Lowri Davies hier war. Was auch immer der Grund dafür sein mochte, er würde sich nicht manipulieren lassen!

Lowris Herz schlug schneller, als sie Vincenzo den Weg entlangkommen sah. Dass er absolut nicht erbaut davon war, sie hier zu sehen, war ihr egal. Mit einem raschen, prüfenden Blick musterte sie ihn von oben bis unten.

Äußerlich hatte er sich kaum verändert. Das schwarze Haar war voll und schimmernd, er wirkte wie der Inbegriff eines sportlichen, fitten Mannes. Er trug eine kurze Trainingshose und ein schwarzes Achselhemd, und sie konnte sehen, dass sein Körper noch immer durchtrainiert war.

Erst als er näher kam, wurde ihr klar, dass er doch älter aussah, älter und noch verschlossener. Schon damals war er zu anderen Menschen sehr distanziert gewesen, aber jetzt wirkte er kalt und absolut nicht glücklich, sie zu sehen. Aber ihr war egal, was er dachte und fühlte. Ihr ging es nur darum, was er für Megan tun konnte.

„Ich weiß nicht, warum Sie hergekommen sind, und ich möchte es auch nicht wissen. Wie auch immer, eins will ich klarstellen: Wenn Sie ein Kind haben, Signorina Davies, ist es bestimmt nicht von mir.“ Er siezte sie weiterhin.

Lowri hatte Mühe, nicht einen Schritt zurückzuweichen, als er sie durchs Gitter hindurch anstarrte. Die Kälte in seinen Augen war einschüchternder, als Wut es gewesen wäre. Vincenzo hatte sich immer unter Kontrolle gehabt. Auch wenn sie ihn nur kurz gekannt hatte, so war ihr damals doch schnell klar geworden, dass er seine Gefühle immer beherrschte. Nur nicht in der Nacht, in der sie miteinander geschlafen hatten …

Es war aus dem Bedürfnis nach Trost heraus passiert, vielleicht auch aus gegenseitigem Verlangen, aber das war alles gewesen. Es hatte nicht zu mehr geführt, das hätte sie auch nicht gewollt. Damals war es ihr nicht gut gegangen, der Betrug ihres Exverlobten hatte sie sehr getroffen, und deswegen war sie mit Vincenzo im Bett gelandet …

Oder?

Sie merkte, dass sie Gefahr lief, sich vom Wesentlichen ablenken zu lassen, und das durfte nicht sein. Sie war aus einem einzigen Grund hier – um Megan zu helfen. Ihrer gemeinsamen Tochter. Sie straffte die Schultern, bereitete sich innerlich auf das vor, was sie erreichen musste. Auch wenn Vincenzo vielleicht nicht akzeptierte, dass Megan seine Tochter war, so wusste sie es doch ganz sicher.

„Wir haben eine Tochter, Vincenzo. Sie heißt Megan und ist im März vier Jahre alt geworden.“

Lowri öffnete ihre Handtasche und holte eins der Fotos heraus, die sie mitgebracht hatte. Beim Anblick des lächelnden kleinen Mädchens, das sie gestern bei ihrer Schwester Cerys zurückgelassen hatte, zog sich ihr das Herz zusammen. Lowri war egal, was Vincenzo über sie dachte. Es interessierte sie nicht, ob sie mit dieser Eröffnung sein Leben auf den Kopf stellte. Ihr ging es allein um das Kind, das sie gemeinsam gezeugt hatten. Megan zu retten, war das Wichtigste überhaupt.

Sie hielt das Bild hoch, sodass er es sehen konnte. Ein einziger Blick müsste ihm reichen, um zu erkennen, wie sehr Megan ihm glich. Das kleine Mädchen hatte das gleiche dichte schwarze Haar und die leicht olivfarbene Haut, die gleichen dunkelgrauen Augen. Ihre Nase war eine kleinere Ausgabe seiner eigenen, gerade, ohne den geringsten Aufwärtsschwung am Ende. Abgesehen von ihrem Mund, der Lowris ähnelte, war sie das genaue Abbild von Vincenzo, das würde er nicht bestreiten können.

„Du siehst auf dem Foto, dass Megan dein Kind ist, Vincenzo. Aber wenn es dir nicht reicht, dann können wir auch noch einen DNA-Test in einem Labor deiner Wahl in Auftrag geben.“

Sie machte eine Pause, wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er stand einfach nur da und starrte ausdruckslos auf das Bild. Er schien unberührt von dem offensichtlichen Beweis, es war ihm wohl egal, ob Megan sein Kind war oder nicht. Lowris Zorn wuchs.

„Mit dem Testergebnis wird es dann schwieriger, es abzustreiten, denke ich.“

„Was willst du?“ Nun duzte er sie.

Er sagte es leise, aber sie zuckte zusammen, als hätte er sie angebrüllt. Sie atmete rasch durch, während ihr Herz noch schneller schlug. Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken an den Vorschlag, den sie ihm machen wollte, aber daran durfte sie jetzt nicht denken, sondern nur an Megan.

„Es ist ganz einfach, Vincenzo. Ich möchte noch ein Kind von dir.“

„Wenn du hier warten würdest … Meine Haushälterin bringt dir etwas zu trinken, während ich mich umziehe. Tee oder Kaffee?“

„Weder noch. Ich bin nicht hier, um herumzusitzen und Tee zu trinken, Vincenzo. Es gibt wichtigere Dinge, um die ich mir Gedanken mache!“

Ihre Stimme war schriller geworden, und Vincenzo hasste Szenen und unbeherrschte Emotionen. Er drehte sich um und ging zur Tür, entschlossen, sich nicht in eine Diskussion hineinziehen zu lassen, ehe Lowri sich nicht beruhigt hatte. Über diese Sache mussten sie ruhig und sachlich miteinander reden.

Falls das möglich war.

Sein Magen krampfte sich zusammen, als er sich erinnerte, was sie gesagt hatte. Sie wollte noch ein Kind von ihm. War sie verrückt geworden? Abgesehen davon, dass sie ihn als Vater ihrer Tochter bezeichnete, welche normale Frau würde so etwas von ihm wollen? Nein, irgendetwas stimmte nicht mit ihr, und er musste behutsam mit ihr umgehen, damit es nicht zu einer hässlichen Szene kam.

„Lauf nicht einfach weg, Vincenzo! Es tut mir leid, dass ich deinen geregelten Tagesablauf durcheinanderbringe, aber du wirst dir jetzt anhören, was ich zu sagen habe, ob es dir gefällt oder nicht!“

Abrupt kam Vincenzo zum Stehen, als sie seinen Arm packte. Ihre Finger waren eiskalt, und ein Schauer überlief ihn. Er drehte sich um, blickte in ihr zorniges Gesicht. So ging niemand mit ihm um! Doch dann sah er die Furcht in ihren Augen, und er schluckte die harschen Worte hinunter.

„Ich brauche Hilfe, Vincenzo, nicht für mich, sondern für Megan. Deswegen bin ich hier. Weil ich sonst nichts mehr für sie tun kann.“

Sie ließ seinen Arm los und zitterte, als wäre plötzlich jede Wärme aus ihr gewichen. Da erst wurde ihm bewusst, wie schrecklich angstvoll sie aussah. Sie musste unter einem enormen Druck stehen. Er änderte seinen Entschluss, sie so schnell wie möglich loszuwerden. Sie waren zwar nur eine kurze Zeit zusammen gewesen, aber sie hatte ihm über eine schwierige Phase seines Lebens hinweggeholfen. Es wäre unfair, ihr nicht zuzuhören.

Vincenzo drehte sich um und ging zum Sofa.

„Danke“, sagte sie leise und so hörbar erleichtert, dass es ihn fast überwältigte.

Ihm war, als hätte sie all diese Schichten durchdrungen, die er über die Jahre zu seinem Schutz aufgebaut hatte. Vincenzo holte tief Luft, weil er sich ungewohnt durcheinander fühlte.

„Dass ich bereit bin, dir zuzuhören, heißt gar nichts“, sagte er barsch und hasste es, so verletzlich zu sein. So etwas kannte er von sich nicht.

„Das mag sein, aber es ist immerhin ein Anfang.“

Sie lächelte ihn kurz an, als sie sich setzte, und beinahe hätte er das Lächeln erwidert. Stattdessen lehnte er sich zurück und sah sie abwartend an. Er wollte bestimmen, wie die Unterhaltung geführt wurde. Und er würde sich nicht von ihrem Charme einwickeln lassen. Niemals hatte er Kinder haben wollen, und er würde seine Meinung auch nicht ändern – allerdings, wenn es stimmte, was sie sagte, war es wohl bereits zu spät.

Dieser Gedanke jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Vincenzo rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her. Er musste zugeben, dass das Mädchen ihm wirklich sehr ähnelte. Was, wenn sie tatsächlich seine Tochter war? Was dann?

Er hatte sich geschworen, niemals eine eigene Familie zu haben. Schuld daran war seine wenig idyllische Kindheit. Seine Mutter war kurz nach seinem zweiten Geburtstag gestorben, und er besaß kaum Erinnerungen an sie. Und sein Vater hatte ihm von Anfang an deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr er die Zeit bedauerte, die er mit ihm verbringen musste.

Das hatte Vincenzo fürs Leben geprägt. Seiner Auffassung nach beanspruchten Kinder zu viel Zeit und zu viel Aufmerksamkeit. Er sah es doch bei seinen Kolleginnen und Kollegen, deren Alltag ein einziger Kampf war, um Beruf und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Seine Arbeit stand für ihn an erster Stelle, alles andere kam erst weit danach. Er hatte weder die Zeit noch Lust für eine Familie, und das würde er Lowri klarmachen, ehe sie sich weiter unterhielten. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Mädchen sein Kind war, würde es nicht Teil seines Lebens werden.

„Eins möchte ich dir gleich deutlich machen: Wenn es stimmt, was du sagst, habe ich nicht die Absicht, irgendwie mit ihrem Leben zu tun zu haben. Einfach ausgedrückt, Kinder stehen nicht auf meiner Agenda, und das soll auch so bleiben.“

Er starrte Lowri an, wartete auf ihre Reaktion, aber ihr Ausdruck veränderte sich nicht, und seltsam, er wünschte, es wäre so. Auf Zorn oder Fassungslosigkeit hätte er besser reagieren können. Er räusperte sich und spürte plötzlich einen schmerzhaften Druck im Magen, weil er in der unbequemen Lage war, erraten zu müssen, was sie dachte.

„Ich bin bereit, einen DNA-Test machen zu lassen, wenn dadurch die Angelegenheit geklärt wird. Wenn sich herausstellt, dass ich der Vater bin, werde ich natürlich meinen rechtlichen Pflichten nachkommen, was den Unterhalt betrifft. Aber mehr auch nicht. Ich habe nicht die Absicht, auch nur die geringste Rolle in ihrem Leben zu spielen, nur dass du mich richtig verstehst.“

„Das tue ich. Voll und ganz. Wie auch immer, ich bin nicht hier, um Geld von dir zu fordern, Vincenzo. Ich bin durchaus in der Lage, unsere Tochter auch ohne deine Hilfe großzuziehen.“

Sie sagte es so verächtlich, dass er beinahe errötete. Es war, als hätte er eine Prüfung nicht bestanden. Dass sie solche Gefühle in ihm auslöste, gefiel ihm absolut nicht. Normalerweise empfand er weder Zorn noch Scham.

„Das sagst du jetzt, aber wer weiß, ob du es dir nicht doch noch anders überlegst. Ich werde meinen Anwalt bitten, die entsprechenden Papiere aufzusetzen. Wenn du das Geld nicht willst, kann es für die Zukunft des Kindes angelegt werden.“

„Megan. Sie heißt Megan. Sie immer nur ‚das Kind‘ zu nennen, ändert nicht das Geringste, Vincenzo. Sie ist und bleibt trotzdem deine Tochter!“

Lowri funkelte Vincenzo aufgebracht an. Hätte sie die Wahl, würde sie aufspringen und auf der Stelle verschwinden, aber die hatte sie nicht. Sie brauchte seine Hilfe, deswegen musste sie bleiben und versuchen, ihn zu überreden. Aufgeben kam nicht infrage, nicht bevor sie alles getan hatte, um ihn zu überzeugen.

Seine harten Worte machten ihr jedoch kaum Hoffnung, und unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Entschlossen zwinkerte sie sie fort und holte aus ihrer Handtasche ein zweites Foto, aufgenommen in der vergangenen Woche, kurz nachdem Megan das Krankenhaus hatte verlassen dürfen.

Sie ist so tapfer, dachte Lowri und strich mit dem Finger über das glänzende Bild. Megan musste in ihrem kurzen Leben schon so viel durchmachen, und dennoch hatte sie in die Kamera gelächelt. Und nun musste Lowri genauso tapfer sein, wenn sie eine Chance wollte, ihre geliebte Tochter zu retten.

Sie legte das Foto neben das andere, und ihr tat das Herz weh, als sie sie verglich. Niemand, der die Aufnahmen sah, würde unberührt bleiben, und sie hoffte, dass das auch für Vincenzo galt.

„Es entstand letzte Woche, als Megan wieder nach Haus kam“, erklärte sie mit bebender Stimme. Sie räusperte sich. Du darfst jetzt nicht die Fassung verlieren. Sie musste ihn überzeugen, ihr zu helfen und ihr ihre Bitte zu erfüllen, weil es nur diese einzige Möglichkeit gab, Megan zu retten.

„Bei der Chemotherapie hat sie ihr Haar verloren, aber wir kaufen ihr eine Perücke, sobald ich wieder zu Hause bin.“ Sie lachte kurz auf, um nicht aufzuschluchzen. „Sie möchte eine pinkfarbene, so wie ihre Lieblingspuppe, und sie darf sie sich auch selbst aussuchen.“

„Was hat sie?“

Vincenzos Stimme war immer noch kühl, klang aber so, als würde er seine Gefühle verbergen wollen, und Lowri war froh und erleichtert darüber. Er war also doch nicht völlig unempfindlich dem Leiden ihrer gemeinsamen Tochter gegenüber!

Sie musste sich sehr zusammennehmen, damit ihr nicht die Stimme brach, aber sie wusste, wenn sie zu emotional reagierte, würde er sich wieder hinter seine Schutzmauern zurückziehen. Aus ihrer kurzen Zeit mit ihm wusste sie, dass Gefühle ihm Angst machten.

„Im letzten Jahr wurde bei ihr akute lymphatische Leukämie festgestellt. An ihrem dritten Geburtstag, genauer gesagt, und sie wird seit fast einem Jahr deswegen behandelt.“

„Befindet sie sich in der Remissionsphase?“, fragte Vincenzo direkt.

„Ja. Man hat mich aber darauf vorbereitet, dass sie wohl nicht anhalten wird und der Krebs wiederkommen kann. Ihr behandelnder Arzt meint, ihre größte Chance sei eine Stammzelltransplantation. In Megans Alter ist sie sehr wirkungsvoll und könnte ihre völlige Heilung bedeuten.“

„Hat man schon einen Spender gefunden?“

„Nein. In der Datenbank gibt es niemanden, der passen würde. Ich habe mich natürlich auch testen lassen und meine Schwester ebenfalls. Auch ihre beiden Jungen, Ben und Dan.“ Sie musste lächeln bei dem Gedanken an ihre beiden Neffen. „Ben ist fünfzehn und Daniel gerade dreizehn, aber sie wollten sich unbedingt testen lassen, um Megan zu helfen. Leider passen auch sie nicht. Unsere größte Hoffnung ist ein Geschwisterkind.“

„Weswegen du hier bist“, sagte er sehr direkt.

Ihre Blicke trafen sich, und Lowri rieselte es heiß über den Rücken, als sie ihm in die Augen sah. Nun wusste sie, dass er sich sehr genau an die letzte Nacht erinnerte, in der sie miteinander geschlafen hatten. Und auch sie sah wieder alles vor sich – das Verlangen in Vincenzos Augen, als er sie aufs Bett drückte, seine großen, schlanken Hände, als er sie streichelte, ihre heiße, feuchte Haut, als sie sich aneinanderklammerten in den letzten Momenten, bevor sich die Welt in einem funkelnden Sternenschauer auflöste …

Abrupt stand sie auf, verzweifelt bemüht, den Blickkontakt zu unterbrechen. Sie hatte versucht, nicht mehr an diese Nacht zu denken und die Erinnerungen aus ihrem Kopf zu vertreiben. Es gab keinen Grund, daran festzuhalten, da Vincenzo nie auf ihren Brief reagiert hatte. Aber jetzt konnte sie einfach nur daran denken, wie sehr Vincenzo sie erregt hatte. Sie hatte ihn mehr gewollt als je einen anderen Mann zuvor, selbst mehr als ihren Exverlobten Jonathan, und das hatte sie zutiefst überrascht.

Aber sie war nicht in Vincenzo verliebt gewesen. Einfach unmöglich! Sie kannte ihn nur oberflächlich. Das Einzige, was sie miteinander verband, war ihre gemeinsame Tochter, mehr nicht, und so würde es auch bleiben.

Außer, er war bereit zu helfen, und sie zeugten noch ein Kind zusammen. Ein Kind, das Megan retten könnte. Ein Kind, das ihre Bindung vielleicht stärken könnte.

Vincenzo betrat die Dusche, öffnete den Hahn und stellte sich unter das prasselnde heiße Wasser. Würde es auch die Gedanken wegwaschen, die in seinem Kopf Amok liefen?

Deswegen hatte er Lowri allein im salone mit dem Tee zurückgelassen, den seine Haushälterin gebracht hatte. Er hätte keinen einzigen Schluck hinunterbekommen. Eigentlich war er davongelaufen, weil er nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Und es war kein gutes Gefühl, so feige zu sein.

Er war immer stolz darauf gewesen, Entscheidungen zu treffen und konsequent daran festzuhalten. Aber nun? Lowri wollte noch ein Kind von ihm, um die Tochter zu retten, von deren Existenz er bis heute nichts gewusst hatte. All das war ein bisschen viel auf einmal!

Vincenzo fluchte unterdrückt, als er aus der Dusche trat. Er trocknete sich mit einem der großen weißen Badetücher ab, ging ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank.

Er brauchte Kleidung, mit der er einen bestimmten Eindruck erzeugte. Laufshorts und Achselhemd waren anscheinend nicht die richtige Wahl gewesen. Es musste etwas Formelles sein, das seinen Körper bedeckte und Abstand schaffte. Vincenzo wollte wieder er selbst sein, nicht der Mann, der sich nicht entschließen konnte.

Was ist, wenn ich mich weigere, und Megan stirbt?

Wie würde er sich dann fühlen? Könnte er mit dem Gedanken leben, dass er sie vielleicht hätte retten können?

Vincenzo hielt mitten in der Bewegung inne. Als Arzt hatte er geschworen, alles zu tun, um Leben zur retten. Überlegte er gerade tatsächlich, sein eigenes Kind sterben zu lassen?

Er hatte vielleicht nicht damit gerechnet, mit einer solchen Situation konfrontiert zu werden, aber wenn das Kind wirklich seins war, wie könnte er sich einfach abwenden? Aber wenn er Lowris Vorschlag annahm und sie noch ein Kind zeugten, wie würde sich das auf sein Leben auswirken? Würde er seine Vaterschaft annehmen oder so werden wie sein eigener Vater, der ihn verabscheut hatte? Wollte er wirklich, dass ein Kind eine so lieblose Kindheit erleiden musste?

Autor

Jennifer Taylor
Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...
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