Liebe ist die beste Medizin

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Damit hat die junge Malerin Candy Grey nun gar nicht gerechnet: Eigentlich war sie nur in das Cottage nach Sussex gereist, um sich von einem Unfall zu erholen. Aber plötzlich kann sie sich vorstellen, für immer hier in England zu bleiben. Der charmante Tierarzt Quinn Ellington hat ihr den Kopf verdreht! Sie sehnt sich nach seiner Liebe - glaubt jedoch zu erkennen, dass er ihr nur Freundschaft geben kann. Quinn behauptet, sich nach seiner enttäuschenden Ehe auf keine gefühlsmäßige Bindung mehr einlassen zu wollen. Doch dass er sie heiß begehrt, erkennt Candy an seinen bewundernden Blicken. Wird sie einen Weg finden, um sein Herz zu erobern?


  • Erscheinungstag 03.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747480
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Candy warf einen prüfenden Blick in den Spiegel über dem kleinen Waschbecken in der Flugzeugtoilette: große blaue Augen, dichtes rotbraunes Haar, das ihr bis über die Schultern fiel, eine kleine gerade Nase mit einigen Sommersprossen. Die Schmerzen und die Verzweiflung der vergangenen Monate hatten keine Spuren hinterlassen. Dass sie allein nach England unterwegs war, um dort ein neues Leben anzufangen, statt in Kanada zu bleiben, wo sie sich auskannte und ihr Leben in gewohnten Bahnen verlaufen wäre, war ihr nicht anzumerken.

Kurze Zeit später landete der Flieger in Heathrow. Nachdem Candy ihr Gepäck abgeholt hatte, stieg sie in den blauen Kleinwagen, den ein Geschäftsfreund ihres Onkels Xavier für sie am Flughafen geparkt hatte. Ihr Gepäck nahm den Kofferraum und den Rücksitz ein, und trotzdem musste sie noch eine Tasche auf dem Beifahrersitz unterbringen.

Candy hielt mehrmals an und studierte die Karte, bis sie den Weg aus London gefunden hatte, aber es störte sie nicht. Jetzt konnte sie ja tun und lassen, was sie wollte, sich Zeit nehmen oder sich beeilen, wie es ihr gefiel. Ganz anders als im vergangenen halben Jahr. Nach dem Unfall, an dessen Folgen ihr Verlobter Harper gestorben war, hatte sie Monate lang im Rollstuhl gesessen und war immer auf die Hilfe anderer angewiesen gewesen. Zwar musste sie weiterhin täglich krankengymnastische Übungen durchführen und ermüdete immer noch leicht, aber wenigstens war sie ihr eigener Herr.

Alle waren so nett zu ihr gewesen. Sie waren es immer noch. Candy wusste genau, was über sie geredet wurde: Die Ärmste! Ihr Verlobter ist tot, und sie hat nach dem Unfall eine ganze Woche im Koma gelegen. Jeder nahm an, sie würde nie wieder gehen können. Kein Wunder, dass sie depressiv und verzweifelt ist!

Candy ließ sie in dem Glauben, weil es so am einfachsten war. Niemand sollte jemals den wahren Grund dafür erfahren, warum sie anfangs beinahe untröstlich und dem Selbstmord nahe gewesen war.

Ein entgegenkommender Wagen, der die enge Kurve etwas zu schnell genommen hatte, riss sie mit lautem Hupen aus ihren Grübeleien. Jetzt konzentrierte sie sich wieder auf das Fahren. Es war sonnig und kalt, ein klarer, eisiger Novembertag. Der Himmel strahlte silbrig blau über der Landstraße, die sich auf und ab durch welliges Hügelland schlängelte.

Kurz nach drei Uhr nachmittags erreichte Candy ihr Ziel, eine Kleinstadt in Sussex. Mithilfe der genauen Wegbeschreibung, die ihr der Halter des Wagens ans Armaturenbrett geklebt hatte, brauchte sie nur zehn Minuten, bis sie in die von mächtigen alten Bäumen gesäumte Straße einbog. Eine breite mit Kies bestreute Einfahrt führte zu dem Haus, in dem sich die Praxis befand. Tierklinik Dr. Ellington stand auf einem großen Schild bei den Parkplätzen. Erleichtert stellte Candy den Motor ab und massierte sich die Schläfen. Verglichen mit Touren, die in Kanada als normal galten, war die Fahrt nur kurz gewesen. Doch in solchen Momenten erinnerte sie ihr Körper daran, dass sie noch nicht wieder so fit war, wie sie es sich gewünscht hätte.

Aber nun brauchte sie ja nur noch bei Dr. Quinn Ellington die Schlüssel für Essies Häuschen abzuholen und hinzufahren. Dr. Ellington würde ihr sicher den Weg beschreiben. Also kein Problem. Sie stieg aus, ging zu der altmodischen Eingangstür aus Eichenholz und drückte auf die Klingel. Nichts rührte sich.

Nach einer Minute läutete Candy erneut. Und dann noch einmal. Schließlich drehte sie den blanken Türknauf aus Messing. Die Tür ging auf, und sie betrat einen Vorraum. Die schwarz-weißen Bodenfliesen glänzten im Licht der niedrig stehenden Herbstsonne.

Es war niemand zu sehen, auch die Rezeption war unbesetzt. Gegenüber befand sich ein halb offener Wartebereich. Candy setzte sich auf einen der vielen Stühle.

Kurze Zeit später steckte eine rundliche Frau mittleren Alters den Kopf durch die Tür hinter der Rezeption. „Sind Sie Candy Grey? Xaviers Nichte?“

Candy nickte.

Ehe sie etwas sagen konnte, sprach die Frau schon hastig weiter: „Wir haben es gerade mit einem Notfall zu tun. Ich muss wieder in den OP. Warten Sie bitte hier. Dr. Ellington wird sich so bald wie möglich um Sie kümmern.“ Die Tür fiel mit einem Klick hinter ihr zu.

Wieder war Candy allein. Großartig dachte sie. Ich habe ja kein Empfangskomitee erwartet, aber „Hallo, wie geht’s“ hätte sie wenigstens sagen können!

Sie zog die Schuhe aus und schob die Fäuste zwischen Rücken und Stuhllehne. Dann massierte sie sich mit den Fingerknöcheln die Muskeln neben den Lendenwirbeln. Nach einer Weile entspannte sie sich, lehnte den Kopf an und schloss die Augen. Im nächsten Moment war sie fest eingeschlafen.

Fünf Minuten später betrat Dr. Quinn Ellington, eine Entschuldigung auf den Lippen, den Wartebereich. Doch statt der ungeduldigen, ärgerlichen jungen Frau, mit der er gerechnet hatte, erblickte er eine schlafende Schönheit. Das rötliche Haar fiel Candy bis über die Schultern, und die langen dichten Wimpern warfen halbrunde Schatten auf ihre Wangen. Ihre Haut wirkte zart, fast durchscheinend, so dass sie unglaublich schön und zerbrechlich aussah.

Stirnrunzelnd blickte Quinn zur Uhr. Wenn sie in nur fünf Minuten so tief eingeschlafen war, musste sie sehr erschöpft gewesen sein. Essie und Xavier waren dagegen gewesen, Candy allein so weit reisen zu lassen. Doch laut Essie konnte Candy genauso eigensinnig sein wie ihr Onkel Xavier. Hatte sie sich etwas in den Kopf gesetzt, war sie nicht mehr davon abzubringen.

Allerdings hatte Quinn nicht erwartet, dass sie so hinreißend aussehen würde. Das Foto, das Essie ihm geschickt hatte, wurde ihrer Schönheit nicht gerecht. Aber ihr Aussehen war im Grunde nebensächlich. Candy hatte vor kurzem Schreckliches durchgemacht, sie brauchte dringend Ruhe. Er, Quinn, sollte unauffällig dafür sorgen, dass sie sich erholte und sich gut einlebte. Er hatte Xavier versprochen, ein Auge auf die junge Dame zu haben, und er würde sein Versprechen halten. Wie ein Vater wollte er über ihr Wohlergehen wachen.

Unwillkürlich musterte er noch einmal ihr reizvolles Gesicht. Die dunkelroten Lippen waren leicht geöffnet – zum Küssen wie geschaffen. Quinn straffte sich, wandte sich ab und ging durch die Schwingtür den langen Flur entlang zur Teeküche.

Marion lächelte herzlich. „Der Kaffee ist gleich fertig, Dr. Ellington.“

„Candy schläft. Ich bringe gleich das Tablett nach vorn und wecke sie auf. Vielen Dank, dass Sie vorhin eingesprungen sind, Marion.“

Die beiden Ärzte, mit denen er die Gemeinschaftspraxis teilte, waren unterwegs zu Hausbesuchen, und seine Arzthelferin lag mit Grippe im Bett. Marion, die Empfangsdame und Chefsekretärin, war zwar etwas empfindlich, hatte aber kompetent bei der Operation des verletzten Hundes assistiert.

Marion lachte. „Wischen Sie sich erst das Blut aus dem Gesicht, Herr Doktor! Sonst erschrecken Sie die junge Frau zu Tode.“

Quinn warf einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. „Hm, das sieht tatsächlich schlimm aus.“ Er wusch sich Kinn und Wange und strich sich eine lockige schwarze Strähne aus dem Gesicht. „Ich muss dringend zum Friseur.“

„Das rate ich Ihnen doch schon seit Wochen.“ Marion seufzte. Sie fand es erstaunlich, wie bescheiden Quinn war. Und gar nicht eitel, obwohl die Frauen auf ihn flogen.

„Legen Sie noch einige Kekse dazu, Marion. Ihre Butterkekse schmecken köstlich, und die junge Dame sieht halb verhungert aus.“

„Sagen Sie ihr das bloß nicht!“ Bestürzt sah sie ihn an. Quinn sprach oft unverblümt aus, was er dachte. Manch einer fand es erfrischend, wenn er direkt zum Thema kam, aber er hatte mit seiner Art auch schon viele Menschen vor den Kopf gestoßen. Dabei war er der warmherzigste Mensch, den Marion kannte.

Candy schlief tief und fest, als Quinn kurz darauf das Tablett mit Kaffee und Keksen in den Warteraum trug. Diesmal nahm er sich nicht die Zeit, ihre Schönheit und ihre zarte Gestalt eingehend zu betrachten, sondern berührte sie gleich sanft am Arm.

Doch während er wartete, dass sie aufwachte, überlegte er, dass die väterliche Beschützerrolle, die er einzunehmen gedachte, wohl etwas unpassend war. Auf dem Foto, das von Essies und Xaviers Hochzeit stammte, sah Candy schmal und eher unscheinbar aus. Sie wirkte etwas verloren unter den wohlgenährten Hochzeitsgästen. Die Aufnahme stammte aus der Zeit kurz nach ihrem Unfall, als sie noch im Rollstuhl gesessen hatte.

Candy tauchte nur allmählich aus dem Tiefschlaf auf. Ehe sie die Augen öffnete, befeuchtete sie sich die Lippen mit der Zunge, und in Quinn regte sich ein Bedürfnis, das er lieber nicht näher analysieren wollte.

„Wie wär’s mit Kaffee?“ Er sprach ruhig und sanft wie mit seinen vierbeinigen Patienten. „Sie sind beim Warten eingeschlafen.“

„Oh?“ Candy blickte ihn mit ihren blauen Augen an. Zuerst sah sie alles nur verschwommen. Als das Bild allmählich klarer wurde, erblickte sie ein unglaublich attraktives männliches Gesicht mit dunklen Augen und faszinierenden Zügen. Überrascht richtete sie sich auf, doch die Bewegung war für ihre erst kürzlich verheilte Wirbelsäule zu hastig. Candy zuckte vor Schmerz zusammen, ihr Gesicht rötete sich, und sie stöhnte leise auf, ehe sie entschlossen die Lippen zusammenpresste.

„Alles okay?“, fragte Quinn mitfühlend.

Sie hatte in den vergangenen zwölf Monaten mehr Fürsorge und Mitleid bekommen, als ihr lieb gewesen war, und das schwang in ihrem Tonfall mit. „Ja, völlig, vielen Dank. Ich bin nur erschrocken.“

Also wollte sie nicht nach ihrem Befinden gefragt werden. Quinn lächelte herzlich. Dass sie ihn so kühl abfertigte, störte ihn nicht. Mit Schroffheit konnte er umgehen. Es war sogar eine erfrischende Abwechslung, weil die Frauen ihm gewöhnlich schmeichelten und alles taten, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

„Schwarz oder weiß?“

„Wie bitte?“

„Wie wollen Sie den Kaffee?“, fragte er betont geduldig.

„Oh.” Candy errötete. Was war nur mit ihr los? Sie benahm sich anders als sonst. Ob es an diesem Mann lag? Sie hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Essie hatte mit keinem Wort erwähnt, dass ihr ehemaliger Arbeitskollege umwerfend attraktiv aussah.

„Was denn nun?“

„Weiß bitte. Und zwei Stück Zucker.“

Candy beobachtete, wie er den Kaffee einschenkte, und fand Quinn Ellington beeindruckend sexy. Groß, schlank, muskulös – warum nur hatte Essie ihr das verschwiegen?

Als könnte er Gedanken lesen, fragte Quinn: „Wie geht es Essie? Ich habe gehört, es ist ein kleiner Grey unterwegs?“

„Ja, der Geburtstermin ist im Juni.“ Candy nahm die Tasse und trank einen Schluck.

Ob sie schon immer so abweisend war? überlegte Quinn. Vielleicht liegt es an dem Unfall. Jedenfalls würde es nicht einfach sein, mit ihr zu reden. Ganz abgesehen davon, den guten Freund zu spielen, wie Essie es von ihm erwartete!

Beinahe, als wollte sie seine Überlegungen bestätigen, fragte Candy förmlich: „Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie die Schlüssel zu Essies Cottage, Doktor Ellington?“

„Ich heiße Quinn. Und da wir beide Freunde von Essie sind, schlage ich vor, dass wir uns duzen.“

Sie blickte ihn kühl an. „Wie du willst. Die Reise war ziemlich anstrengend, und ich möchte mich gern zurückziehen. Würdest du mir den Weg zu dem Cottage beschreiben?“

Ihr kanadischer Akzent gefiel ihm. Selbst wenn sie sich unpersönlich gab, verliehen die breite Aussprache und die gedehnte Redeweise ihren Worten Wärme.

„Ich habe eine bessere Idee. Bis zur Abendsprechstunde bin ich frei. Jamie – ihn kennst du sicher von der Hochzeit – und mein anderer Kollege sind bald zurück. Ich kann vorausfahren und dir alles zeigen.“

„Es würde mir nicht im Traum einfallen, dich so zu beanspruchen“, wandte Candy hastig ein. „Essie hat mir alles genau erklärt.“

„Ja, sie vergisst gewöhnlich nichts.“ Er klang gelassen und freundlich, aber ein stählerner Unterton verriet, dass er darauf bestehen würde, sie zu begleiten. Sie blickte ihm starr in die dunklen Augen und trank etwas Kaffee, um sich zu sammeln.

Ihr Onkel Xavier, der ihr Mutter, Vater, Bruder und Schwester ersetzt hatte, hatte sich in Essie, eine Kollegin dieses Tierarztes, verliebt und sie vor einem Jahr geheiratet. Nach der Hochzeit hatte er die Praxis an Quinn verkauft.

Ob Quinn sich wegen seiner Freundschaft mit Essie oder aus Loyalität gegenüber Xavier verpflichtet fühlte, sie, Candy, unter seine Fittiche zu nehmen? Das wollte sie auf keinen Fall, und es war wohl besser, dies sofort klarzustellen.

„Dr. Elling… Quinn, ich weiß nicht, was Essie erzählt hat, aber ich bin durchaus imstande, auf eigenen Füßen zu stehen.“ Er zuckte kaum merklich zusammen, und da wusste sie Bescheid: Essie hatte ihn gebeten, sich um sie zu kümmern! Zweifellos hatte Xavier sie dazu gedrängt. Die beiden wollten zwar nur ihr Bestes, doch das würde sie sich nicht gefallen lassen. „Ich meine es ernst!“

„Nimm doch einen Keks!“ Quinn hatte sie aufmerksam beobachtet und gemerkt, dass sie ihn durchschaut hatte.

„Nein, danke!“ Sie blitzte ihn zornig an.

„Die sind selbst gebacken“, fuhr er unerschütterlich fort. „Abgesehen von ihren Aufgaben in der Praxis, bemuttert Marion mich gern und sieht es als ihre Aufgabe an, mich mit durchzufüttern.“

Candy biss sich auf die Lippe. „Essie hat dich gebeten, für mich zu sorgen, stimmt’s?“

Sie nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund, dachte Quinn. Das gefiel ihm. Es gab immer weniger Menschen, die es wagten, offen und ehrlich zu sein. Natürlich konnte er eine ausweichende Antwort geben, aber sie hatte mit ihrer direkten Art Besseres verdient.

„Ja“, gab er daher unumwunden zu, streckte die langen Beine aus und lehnte sich zurück.

Candy spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte. Tief in ihrem Innern regte sich etwas. Ein Ziehen, eine verhaltene Sehnsucht, die sie lange nicht mehr empfunden hatte. Das Gefühl machte ihr Angst.

„Spar dir die Mühe!“, entgegnete sie ruhig. „Ich bin kein Kind mehr und schätze es nicht, wie ein Kind behandelt zu werden.“

Sie ist alles Mögliche, aber ein Kind bestimmt nicht, dachte Quinn, als ihm ihr betörender Duft in die Nase stieg.

Candy stand auf.

„Findest du es falsch, wenn Menschen sich umeinander kümmern?“, fragte er.

Er regte sich nicht, und seine Stimme klang ganz entspannt, dennoch empfand Candy ihn mit einem Mal bewusst als Mann. Als Mann mit Autorität. Jemand, der es gewöhnt, war zu befehlen und ihre Haltung dumm fand. Diese Erkenntnis traf einen wunden Punkt.

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie scharf. „Sofern es beide Seiten wünschen. Aber ich möchte es eben nicht.“

„Ist dir nicht klar, dass Xavier Essie während ihrer Schwangerschaft jede Beunruhigung ersparen möchte? Sie soll sich deinetwegen keine Sorgen machen.“

Eins zu null für dich, dachte Candy. Das war ein fabelhafter Schachzug. In zwei kurzen Sätzen hatte er sie für kindisch, egoistisch und undankbar erklärt. Und das sogar, ohne es direkt auszusprechen. In diesem Mann steckte mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich war. Freundlich und hilfsbereit gab er sich anscheinend nur, wenn es ihm gerade passte.

„Ich werde die beiden auf dem Laufenden halten.“

„Wie nett von dir.“ Sein Sarkasmus war nicht zu überhören.

Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre ohne ein Wort gegangen. Leider hatte sie weder die Hausschlüssel, noch kannte sie den Weg.

„Setz dich, und trink den Kaffee aus, Candy!“

„Ich möchte jetzt gehen. Gib mir bitte die Schlüssel!“ Was ist bloß mit mir los? fragte sie sich insgeheim. Selbst ihre Stimme klang anders als sonst. Ungeduldig und gereizt, und das war sie eigentlich nie.

„Setz dich!“, wiederholte er unwirsch.

Candy tat es und unterdrückte ein Lächeln. Quinn hatte den richtigen Beruf ergriffen. Wenn er in diesem Ton sprach, würde ihm jeder seiner vierbeinigen Patienten auf der Stelle gehorchen. Was sollte sie tun? Sie brauchte den Schlüssel, und bis sie ihn besaß, würde sie Quinns Spiel wohl oder übel mitspielen müssen. Danach wollte sie dem Doktor aus dem Weg gehen. Egal, was Essie davon hielt.

„Danke.“ Quinn wusste nicht, auf wen er ärgerlicher war: auf sich selbst oder auf diese streitsüchtige Rothaarige, die aussah wie ein Engel, aber ein ungemein hitziges Temperament besaß. Andererseits hatte er Essie versprochen, ein Auge auf sie zu haben. Obwohl es ihm schwer fiel, entspannte er sich und rang sich ein halbwegs überzeugendes Lächeln ab. „Trink bitte deinen Kaffee. Du siehst ziemlich müde aus. Der Kaffee wird dich aufmuntern, so dass du sicherer fahren kannst.“

Ach, jetzt galt sie auch noch als schlechte Autofahrerin? Candy blitzte ihn so wütend an, dass niemand mehr gedacht hätte, sie wäre müde. Aber sie trank den Kaffee und aß das Gebäckstück, das Quinn ihr auf die Untertasse gelegt hatte. Es schmeckte köstlich, und sie hätte gern ein zweites genommen. Doch eher hätte sie sich die Zunge abgebissen, als dies zuzugeben.

„Fertig?“ Quinn stand auf.

Jetzt erst merkte sie, wie groß er war. Mindestens fünfzehn Zentimeter größer als sie mit ihren einssiebzig. Und er brauchte dringend einen Haarschnitt. Diesen Gedanken verdrängte sie schnell wieder. Was ging sie sein Haar an? Von ihr aus konnte er es wachsen lassen, wie er wollte.

„Wir sehen uns draußen.“

Er würde sie also tatsächlich begleiten! Ärgerlich stand Candy auf und eilte zur Tür. Frechheit! Offenbar wollte er sie nicht ernst nehmen. Immer mit der Ruhe, Candy. Lass nicht zu, dass er dich auf die Palme bringt.

Einen Moment lang stand sie auf der Schwelle und genoss die kalte, frische Herbstluft. Dann ging sie zum Auto und ließ den Motor an. Ein schnittiger, cremefarbener Sportwagen bog um die Hausecke und fuhr an ihr vorbei zur Straße.

Sie lächelte verächtlich. Der Wagen passte zu diesem Dr. Ellington. Nach so einem Auto drehten sich die Frauen um, und er war genau der Typ Mann, der es darauf anlegte, gesehen zu werden.

Warum bin ich heute so boshaft? überlegte sie verwirrt. Schließlich war es Quinns Privatsache, welchen Wagen er fuhr.

Harper hatte schnittige Wagen geliebt. Deshalb nahm sie es dem Doktor übel. Dabei hatte sie sich vorgenommen, nicht alle Männer über einen Kamm zu scheren. Vermutlich gab es einige wenige, die einer Frau ihr Leben lang treu blieben. Allerdings überzeugt war sie nicht davon.

Egal. Candy hatte nicht vor, noch einmal in die Falle zu gehen und sich an jemand zu binden. Mit dem Thema Beziehung war sie durch. Sie presste die Lippen zusammen und konzentrierte sich aufs Fahren. Die schmale gewundene Straße, die Quinn entlangfuhr, sah aus wie aus dem Bilderbuch. England von seiner idyllischsten Seite.

Zuerst kamen sie an großen reetgedeckten Landhäusern mit gepflegten Vorgärten vorbei. Dann wurde die mit niedrigen Mauern gesäumte Straße noch schmaler, und dahinter tauchten Wiesen und Felder auf. Irgendwann blinkte Quinn und bog in eine Einfahrt ein, die gerade breit genug für zwei Autos war.

„O Essie!“ Jetzt verstand Candy, warum Essie es nicht übers Herz gebracht hatte, das Haus zu verkaufen. Es war klein, ein schmaler Pfad schlängelte sich durch den hübschen Garten. Die Hauswände waren weiß gestrichen, das Dach reetgedeckt, und die Fenster hatten in Blei gefasste Butzenscheiben. Märchenhaft.

Im Frühling würden die vielen Büsche und Bäume üppig blühen, aber selbst jetzt war der Blick über die Bäume und Sträucher, deren Silhouetten sich schwarz gegen den silbrigen Nachmittagshimmel abhoben, atemberaubend.

„Du kannst Monate, Jahre oder dein ganzes Leben in meinem Häuschen verbringen.“ Mit diesen Worten hatte Essie Candy ihr Kleinod angeboten. „Mach es dir dort gemütlich, Candy. Es ist der ideale Ort, um deine Malerei wieder aufzunehmen. Ich bin froh, wenn das Haus nicht leer steht. Xavier hat eine Frau beauftragt, ab und zu Staub zu wischen und zu lüften. Um den Garten kümmert sich ein Gärtner. Abgesehen von den beiden, wirst du dort völlig ungestört sein.“

Vor allem der letzte Satz klang Candy noch in den Ohren, als sie ausstieg.

Quinn hielt ihr das altersschwache Gartentor auf. „Komm, sieh dich erst mal in Ruhe um! Nachher bringe ich dann dein Gepäck hinein.“

„Das ist wirklich nicht nötig. Ich komme gut allein …“

„Ich stelle das Gepäck ab und verschwinde gleich wieder. Okay?“, fiel er ihr ins Wort.

Natürlich hätte sie ihm nun aus Höflichkeit versichern müssen, er könne gern noch auf einen Kaffee dableiben. Aber Candy hatte keine Lust, ihn hereinzubitten. Also hob sie das Kinn, nickte kurz und ging zum Gartentor. Sie musste sich an Quinn vorbeidrängen. Er duftete nach einem himmlischen Aftershave und nach Limonen. Dass er aus der Nähe noch größer erschien, machte die Sache nicht leichter. Über der Arbeitskleidung trug er eine schwarze Lederjacke, und seine kräftigen Schultern wirkten beinahe bedrohlich breit.

Candy straffte sich entschlossen, ignorierte die männliche Versuchung dicht neben ihr und ging zielstrebig zur Haustür. Dort wartete sie darauf, dass er ihr aufschloss. In wenigen Minuten würde sie allein sein, die Schuhe abstreifen und sich ein heißes Bad gönnen. Mehr wollte sie nicht. Ruhe, Entspannung. Alles andere hatte Zeit bis morgen. Dann würde sie die Gegend erkunden und einkaufen gehen.

Das Innere des kleinen Hauses hielt, was das Äußere versprach: Auf Hochglanz polierte alte Holzdielen, Holzbalken an den niedrigen Decken und weiß gestrichene Wände, an denen nur zwei oder drei schöne Gemälde hingen.

Das Erdgeschoss bestand aus einem großen Wohnraum, an dessen einem Ende eine winzige Küchenzeile eingebaut war. Eine steile Holzstiege führte nach oben ins Schlafzimmer. Daneben befand sich ein winziges Bad. Alles war sparsam möbliert. Ein dunkelrotes Sofa und zwei passende Sessel, ein kleines Bücherregal unter dem Fenster, drei strategisch im Raum verteilte Tischchen und zwei Barhocker an dem schmalen Tresen, der die Küchenzeile vom Wohnbereich trennte. In der Küche stand ein robuster Herd, aber Kühlschrank, Waschmaschine und Mikrowelle fehlten.

„Ich habe das Telefon wieder angemeldet.“ Quinn wies auf den Apparat auf einem der Tischchen. „Im Kamin befinden sich Holzscheite und Kohlen, du brauchst sie nur anzuzünden. Hinter dem Haus im Geräteschuppen ist Nachschub an Brennmaterial untergebracht. Über der Spüle im Hängeschrank ist eine Liste mit wichtigen Telefonnummern angebracht.“

„Oh, ja gut, danke.“ Auf dem Bücherregal stand eine Vase mit frischen Blumen, und jemand hatte eingekauft. Im Brotkasten lag ein frisches duftendes Brot, auf dem Tresen stand eine Kiste mit Obst und Gemüse, auf dem Boden darunter ein Karton mit saftigen Steaks, Eiern, Schinken, Butter und zwei Flaschen eines erlesenen Rotweins.

„Hast du das alles besorgt?“

Gleichmütig zuckte Quinn die Schultern. „Ich dachte, du würdest nicht als Erstes einkaufen gehen wollen.“

„Wie viel hast du ausgelegt?“ Ihre Stimme zitterte leicht, und sie war tief errötet.

„Vergiss es.“

„Ich will die Sachen bezahlen.“

„Unsinn.“ Ärgerlich sah er sie an, drehte sich um und kniete sich vor den Kamin, um das Feuer zu entfachen. „Das Haus ist etwas ausgekühlt, aber keine Sorge, es wird ziemlich schnell warm. Allerdings gibt es keine Zentralheizung. Pass also auf, dass dir die Kohlen nie ausgehen.“

Candy wagte es nicht, das Thema Geld noch einmal anzuschneiden. Schließlich sagte sie nur: „Vielen Dank, Quinn.“

„Im Dorf gibt es einen Elektroladen, wo du einen Fernseher bekommst, wenn du möchtest. Essie sieht nicht gern fern, deshalb steht hier keiner.“

„Ich auch nicht“, warf Candy hastig ein. „Meistens werde ich malen, und abends lese ich am liebsten. Vor allem, wenn ich dabei am Kamin sitzen kann.“

„Du bist ein häuslicher Typ?“ Er ließ den Blick über ihre Kleidung gleiten. Daraufhin zog er zweifelnd die Augenbrauen hoch.

Sie hätte ihn am liebsten geohrfeigt. „Ja, ich bin gern zu Hause“, antwortete sie scharf.

„Okay.“

Candy nahm sich zusammen. Immerhin hatte er für sie eingekauft, Blumen besorgt und das Feuer gemacht, das jetzt im Kamin flackerte.

„Ich hole dein Gepäck.“

Autor

Helen Brooks
Bereits seit über 20 Jahren veröffentlicht die britische Autorin unter dem Pseudonym Helen Brooks Liebesromane, unter ihrem richtigen Namen Rita Bradshaw schreibt sie seit 1998 historische Romane. Weit über 40 Bücher sowie einige andere Werke sind bisher unter dem Namen Helen Brooks erschienen, von Rita Bradshaw gibt es 14 Romane....
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