Liebe ist die beste Medizin

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Reich und berühmt will der ehrgeizige Chirurg Dr. Matt Dennis in New York werden. Stattdessen wird er vom Gesundheitsamt in das Nest Iron Springs in Virginia versetzt. Matt hasst die Berge und das Dorfleben - nicht jedoch die bezaubernde Klinikleiterin Liz. Nach einer gescheiterten Ehe ist sie mit ihren Kindern aus der Großstadt geflohen und in ihren Heimatort zurückgekehrt. Auf Anhieb funkt es zwischen Matt und Liz. Aber dann erhält er ein tolles Jobangebot aus New York. Wie wird er sich entscheiden?


  • Erscheinungstag 14.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758127
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Dr. Matt Dennis konnte Rod Stewart durch das Dröhnen seines alten Ford kaum hören. Verärgert schaltete er den Kassettenrekorder ab. Die Klimaanlage funktionierte nicht mehr, denn der Motor musste alles geben, um die gewundene, schmale Straße durch die Appalachen in Virginia zu erklimmen.

Matt blickte auf die Armaturen. Die Öltemperatur war noch nicht im roten Bereich, doch es fehlte nicht viel. Da er bis zum Erhalt seines ersten Gehaltsschecks kein Geld für eine Reparatur hatte, war es äußert wichtig, dass der Motor durchhielt.

Die Landschaft sah hier ganz anders aus als an der Ostküste Virginias, wo er aufgewachsen war. Er war nicht an hohe Berge oder tiefe Schluchten gewöhnt, auch nicht an derart dichte Mischwälder. Doch die Berge waren ebenso dünn besiedelt wie die flache, sandige Halbinsel zwischen dem Atlantischen Ozean und Chesapeake.

Plötzlich wurde die Wegstrecke eben. Der Motor heulte nicht mehr, und die Temperatur im Wagen sank allmählich. Matt war nicht mit Klimaanlagen aufgewachsen. Selbst im Hochsommer kamen die Leute von Gull’s Landing, seinem Geburtsort, ohne aus. Erst während des Medizinstudiums hatte er sich an Klimaanlagen gewöhnt. Damals hatte er sich zudem angewöhnt, Anzug und Krawatte zu tragen. Es entsprach seiner Vorstellung von einem Arzt und auch seinen eigenen Wünschen.

Ohne Vorwarnung ging die Straße ebenso steil bergab wie zuvor bergauf. Als Matt um die erste Haarnadelkurve fuhr, spie das rechte Hinterrad Kies in die Baumwipfel am Abhang. Zwischen ihm und einem Abflug in die Ewigkeit standen lediglich die abgenutzten Bremsbeläge. Nun wünschte er verzweifelt, er hätte sie vor der Abfahrt auswechseln lassen.

Mit quietschenden Reifen nahm Matt die nächste Kurve. Er hätte sein volles erstes Monatsgehalt für eine Leitplanke gegeben. Schweiß, der nichts mit der Hitze zu tun hatte, trat ihm auf die Stirn, als sich der Wagen in der dritten Kurve gefährlich dem Abgrund näherte.

Einige Minuten später, nach einer abrupten Biegung, überquerte die Straße einen Bach und verlief eben. Matts Puls normalisierte sich wieder, während er durch das Tal fuhr. Nichts deutete darauf hin, dass diese Gegend bewohnt war. Matt sah nur von Efeu bewachsene, zerfallene Häuser, längst verlassene Scheunen und zerbrochene Zäune. Bäume säumten die schmale Straße. Ihre Blätter schirmten das Sonnenlicht ab, und ihre Wurzeln hatten den Asphalt aufgerissen.

Ein Schild besagte, dass Iron Springs zwei Meilen entfernt lag. Wo? Auf dem nächsten Berg? Die Straße stieg erneut an. Etwa dreihundert Meter weiter erblickte Matt das erste bewohnte Haus seit fünfzehn Meilen.

Er verlangsamte das Tempo, und sein Wagen kroch über die Hauptstraße von Iron Springs. Die einzige Straße. Alle Häuser waren weiß und zweistöckig. Keines trug eine Nummer. Wie, zum Teufel, sollte er in diesem Ort jemanden finden?

Er hielt unter einer Eiche an, die schon existiert haben musste, als Thomas Jefferson die Unabhängigkeitserklärung geschrieben hatte. Als Matt ausstieg, schlug ihm eine feuchte Hitze entgegen, die das Atmen erschwerte.

Er überquerte die Straße zu einem winzigen Geschäft, das sich „Hannah’s Drugs“ nannte. Eine rostige, antiquierte Zapfsäule vor dem Gebäude und ein glänzender, supermoderner Getränkeautomat auf der Veranda bildeten einen krassen Gegensatz. Die abgetretenen, hölzernen Stufen ächzten unter seinem Gewicht. Eine schiefe Fliegentür sollte Insekten fernhalten.

Matt nahm sich die Sonnenbrille ab, bevor er eintrat. Das kleine Geschäft schien Drugstore, Gemischtwarenladen, Postamt und Touristenfalle in einem zu sein. Schmale Gänge trennten Metallregale, die mit Konserven, T-Shirts und Motoröl vollgestopft waren. Ein moderner Kühlschrank mit Glastür enthielt Getränke jeder Art. Irgendwo rasselte eine Klimaanlage.

„Können Sie mir sagen, wo ich Elizabeth Rawlins finde?“, fragte er die Frau hinter dem Tresen.

Sie war klein, pummelig, weit über fünfzig und hatte das kurze, graue Haar unter einer Baseballmütze verborgen. Kleine, hellgraue Augen musterten ihn. „Was wollen Sie denn von Liz?“

Matt war es nicht gewohnt, nach seinem Anliegen gefragt zu werden. „Ich habe ein Zimmer bei ihr gemietet.“

„Sind Sie der neue Doktor?“

„Ja.“

Die Frau trat hinter dem Ladentisch hervor, inspizierte ihn frech von allen Seiten und grinste breit. „Es wird Liz überraschen, Sie auf ihrer Schwelle vorzufinden.“

Matt war schon häufig von Frauen ausgezogen worden, sowohl mit Blicken als auch im wörtlichen Sinne, aber niemals so aufdringlich wie von dieser Frau, die beinahe seine Großmutter hätte sein können.

„Ich wette, die Herde Frauen oben im Hotel wird bald mit allen möglichen Beschwerden hier auftauchen. Künstlerinnen, wissen Sie, ohne jede Moral. Sie werden über Sie herfallen. Sind Sie verheiratet?“

Matt sprach nie über sein Privatleben, schon gar nicht mit einer Fremden. „Nein.“

„Schade. Dann können Sie ebenso gut ein Schild aufstellen, das die Jagdsaison für eröffnet erklärt. Aber na ja, Sadie und Salome werden Sie schon beschützen. Waren Sie schon in der Klinik?“

„Ich bin gerade erst eingetroffen. Bitte sagen Sie mir einfach, wo ich Mrs. Rawlins finde.“

„Es ist das dritte Haus rechts“, sagte ein dünner Mann, der mit einem zerbeulten Hut auf dem Kopf am Tresen lehnte. Er sah aus wie mindestens hundert und trug eine faltenfreie braune Hose und ein verblichenes blaues Hemd aus grobem Stoff. Sein Gesicht war sonnengebräunt und sehr faltig. „Das Mädchen ist hübsch wie ein Wurf Ferkel. Ich weiß nicht, warum sie zurückgekommen ist. Sie könnte sich jeden Mann angeln.“

„Sei still, Solomon. Ich lasse nicht zu, dass du so über Liz redest.“

„Es ist aber die reine Wahrheit.“

„Mag sein, aber sie hat genug Sorgen, auch ohne dass ein alter Kauz wie du über sie tratscht.“

Solomon gackerte. „Überzeugen Sie sich selbst, junger Mann. Wenn ihr Anblick Sie nicht scharf wie einen Windhund macht, stimmt mit Ihnen was nicht.“

„Solomon Trinket, verschwinde aus meinem Laden.“

„Kommandier du mich nicht herum, Hannah Coleman.“ Solomon inspizierte Matt beinahe so eingehend wie Hannah zuvor. „Wenn ein heißblütiger junger Mann wie Sie auftaucht, muss es einfach Probleme geben“, murmelte er, während er zur Tür schlurfte. „Halten Sie Ihre Hose geschlossen, sonst verfolgt Sie ein Ehemann mit einem Gewehr.“

„Raus mit dir!“ Hannah schob ihn förmlich aus dem Geschäft. „Es ist nicht richtig, dass ein Urgroßvater wie du solchen Unfug im Kopf hat!“

Gedanken an Flucht füllten Matts Kopf. Hätte er seinem Wagen die Rückfahrt über die Berge zugetraut, hätte er sie angetreten. „Danke für Ihre Hilfe“, murmelte er und eilte hinaus.

Erleichtert stellte er fest, dass Solomon in eine andere Richtung schlurfte. Er fühlte sich einer weiteren Diskussion über sein Aussehen, seinen sexuellen Appetit oder die Reaktion der männlichen Einwohner auf Annäherungsversuche bei deren Frauen und Töchtern nicht gewachsen. Er war ein gesunder Mann von dreißig, aber er war klug genug, sich in einem kleinen Dorf wie diesem nicht mit einer Frau einzulassen.

Liz ging die Treppe hinauf und überzeugte sich, dass die vermieteten Räume in ordentlichem Zustand waren. Ihre Untermieterin sollte an diesem Tag eintreffen. Es störte sie nicht, Zimmer zu vermieten. Sie mochte die Gesellschaft, und sie brauchte das Geld für die Ausbildung der Kinder. Sie waren zwar erst drei und vier, aber der Zeitpunkt würde schneller nahen, als ihr lieb war.

„Mama, da steht ein Auto im Hof!“, rief Rebecca vom Flur her. „Es ist ein Mann, den ich noch nie gesehen habe.“

„Geh von der Tür weg!“, rief Liz, während sie die Treppe hinunterging. „Es ist unhöflich, andere anzustarren.“

Ben rannte auf seinen pummeligen Beinchen so schnell zur Tür, dass er mit Rebecca zusammenstieß. Er deutete zu einem Mann, der gerade aus dem Auto stieg. „Großer Mann.“

Zu ihrer Überraschung trug der Mann einen Anzug. In Iron Springs trug selten jemand Schlips und Kragen, besonders im Sommer.

Der Mann kam an die Tür und blickte sie mit großen braunen Augen an. „Sind Sie die Lady, die Zimmer vermietet?“

Liz gefiel der sanfte Klang seiner Stimme. „Tut mir leid. Die Zimmer sind schon vergeben.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Ich bin Matt Dennis, der neue Arzt. Mir wurde gesagt, der Landkreis hätte Ihre Räume für mich gemietet.“

„Aber ich habe eine Frau erwartet.“

„Sie hat geheiratet. Ich wurde in letzter Minute als Ersatz eingestellt.“

„Sie können hier nicht wohnen. Ich bin ledig.“

„Ich muss aber irgendwo unterkommen.“

„Versuchen Sie es im Hotel.“ Sie trat hinaus auf die Veranda. „Es liegt links am Ortsausgang. Sie können es nicht verfehlen.“

Matt senkte den Blick zu den Kindern und lächelte. Ben versteckte sich prompt hinter Liz, und Rebecca erwiderte schüchtern sein Lächeln. „Mir scheint, Sie haben zwei zuverlässige Leibwächter.“

„Wer’s das?“, fragte Ben.

„Er ist ein Doktor“, sagte Liz.

„Was Doktor?“

„Er sticht dich mit einer Nadel“, drohte Rebecca.

Matts Blick wurde sanft. „Werden die beiden in der Klinik behandelt?“

„Ja.“

„Dann freue ich mich darauf, sie zu sehen.“ Er strich Rebecca über das blonde Haar. „Vermutlich werde ich nicht oft die Ehre haben. Sie sehen sehr gesund aus.“

„Willst du Ben eine Spritze geben?“, fragte Rebecca.

„Vielleicht.“

„Dann heult er.“

Matt kniete sich vor Ben nieder. „Weinst du dann wirklich?“

Ein wenig ängstlich klammerte er sich an Liz’ Rock. „Mag keine Spritze. Spritze beißt.“

„Ich verspreche, dass dich die Spritze nicht beißen wird.“ Matt pikste Ben mit einem Finger in den Bauch und erntete ein Kichern. Dann stand er auf und blickte Liz stirnrunzelnd an. „Es ist nicht für lange. Ich wurde irrtümlich hierher versetzt. Ich bleibe höchstens zwei Wochen.“

Sie war in einer Zwickmühle. Einerseits wollte sie keinen fremden Mann in ihrem Haus, andererseits hatte das Gesundheitsamt ihre Zimmer reserviert. Sie hatte das Geld bereits auf das Konto der Kinder eingezahlt.

„Sie sollten sich die Räume erst ansehen, bevor Sie sich entscheiden. Sie befinden sich im ersten Stock“, erklärte sie, während sie voraus zur Treppe ging. Ein Teppich mit verblichenem Blumenmuster dämpfte ihre Schritte. „Sie bestehen aus Schlafzimmer, Wohnzimmer und Badezimmer, das leider nur vom Flur aus zugänglich ist.“

Der Flur im ersten Stock war großzügig geschnitten. Fenster vorn und hinten ließen eine leichte Brise und viel Licht herein. Liz öffnete die erste Tür zur Linken. „Das ist das Wohnzimmer.“

Es war ein großer, luftiger Raum mit weißen Gardinen, weinrotem Teppichboden und geblümter Polstergarnitur. „Mahlzeiten sind inbegriffen. Drei an Wochentagen, Frühstück und Mittag am Samstag und Abendessen am Sonntag.“

Matt deutete zu den zwei weiteren Türen, die vom Flur abgingen. „Vermieten Sie diese Räume auch?“

„Das sind die Kinderzimmer.“

Matts Haltung, seine Miene und sein Ton änderten sich völlig. „Dann hat es keinen Sinn. Ich brauche völlige Ruhe. Können Sie mir sagen, wo ich eine andere Unterkunft bekommen kann?“

„Ich weiß keine, aber Sie können ja Dr. Evans fragen.“

„Wo finde ich ihn?“

„In der Klinik.“

Ungehalten blickte er sie an. „Und wo finde ich die Klinik?“

„Fahren Sie an Hannahs Laden vorbei. Die Klinik liegt etwa eine Viertelmeile weiter auf der linken Seite. Sie können sie nicht verfehlen. Es ist die einzige Straße, die südlich aus der Stadt führt.“

„Mir ist der Mangel an Fluchtwegen bereits aufgefallen.“

Liz presste die Lippen zusammen, um eine grobe Entgegnung zu unterdrücken. Sie folgte ihm, als er förmlich im Laufschritt die Treppe hinunter und aus dem Haus eilte.

„Will er hier wohnen?“, fragte Rebecca, während sie auf einem Fuß vor Liz durch den Flur hüpfte.

„Nein.“

„Mag Mann“, verkündete Ben. „Will Apfel.“

„Wie wäre es stattdessen mit einer Banane?“ Liz folgte ihm in die Küche. Sie setzte ihn in seinen Hochstuhl und stellte ihm einen Teller mit einer halben Banane hin. Rebecca aß die andere Hälfte aus der Schale.

Das Telefon klingelte. Es wunderte sie nicht, dass es Hannah war, die stets alles fünf Minuten vor jedem anderen erfuhr.

„Ja, er ist angekommen“, bestätigte Liz. „Ja, mir ist aufgefallen, dass er keine Frau ist. Es war kaum zu übersehen, bei seinem Körperbau … Das hast du ihm doch nicht gesagt, oder? … Oh nein! Das hätte ich nicht mal Solomon zugetraut! Sag ihm, dass ich ihm ein blaues Auge verpassen werde … Nein, er wird nicht hier wohnen … Ich habe keine Ahnung, wo er abzusteigen gedenkt … Er ist erwachsen und kann auf sich selbst aufpassen … Ich muss jetzt auflegen, Hannah. Die Kinder müssen ihren Mittagsschlaf halten.“

2. KAPITEL

Solomon Trinket hat recht, dachte Matt während der Fahrt zur Klinik. Liz Rawlins war wirklich eine hübsche Frau. Sie hatte eine tief ausgeschnittene Bluse, einen engen Jeansrock und das dichte, blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden getragen. Er spürte, dass sie eine Frau war, die sich in die Träume eines Mannes zu schleichen vermochte. Je weniger er sie sah, umso besser.

Die Shenandoah Kreisklinik war ein langes, niedriges Gebäude aus Backstein, am Rande einer Wiese gelegen. Rotbraune Plastikmöbel ließen das Wartezimmer billig aussehen.

Die junge, wasserstoffblonde Frau am Empfangspult musterte Matt in Raubtiermanier. „Wollen Sie was?“ Sie trommelte mit grell orange lackierten Fingernägeln auf das Pult. Ihr Lippenstift in demselben Farbton biss sich heftig mit ihrem grünen Lidschatten. „Sie sehen nicht so aus, als ob Sie einen Arzt brauchen.“

Matt fiel auf, dass ihr Kittel mindestens zwei Nummern zu klein war und sie die Brüste vorreckte. „Ich bin Matt Dennis.“

„Ja und?“

„Ich bin der neue Arzt.“

„Sie müssen sich in der Klinik geirrt haben. Wir erwarten nämlich eine Ärztin.“

„Sie hat geheiratet. Ich wurde an ihrer Stelle geschickt.“

Die Frau stieß einen schrillen Schrei aus, drehte sich um und kreischte den Flur entlang: „Sadie, beweg deinen Hintern sofort hierher! Sieh dir den tollen Typen an, der unser neuer Arzt wird! Die Weiber aus dem Hotel werden überschnappen!“

Schritte ertönten, und dann eine Frauenstimme. „Salome Halfacre, wenn dich jemand vom Gesundheitsamt so reden hört, wirst du sofort gefeuert.“ Sie verstummte und wandte sich an Matt. „Ich bin Sadie Whiteside, die Krankenschwester. Salome ist die Sprechstundenhilfe.“

„Hallo. Ich bin Matt Dennis. Ist Dr. Evans da?“ Sadies Erscheinung wirkte zurückhaltender als Salomes, doch ihr hellblauer Sweater und die pinkfarbene Hose sahen für seinen Geschmack zu sehr nach Straßenkleidung aus. Auf Matt wirkte das irgendwie unprofessionell.

„Er erwartet Sie. Folgen Sie mir“, erwiderte Sadie.

Ein anerkennender Pfiff ertönte hinter ihm.

„Achten Sie nicht auf Salome. Sie leistet gute Arbeit, aber sie hat ein loses Mundwerk.“

„Ich wette, sie ist mit Solomon Trinket verwandt“, murmelte Matt unwillkürlich.

„Seine Urenkelin. Woher wissen Sie das?“

Matt entschied, seine Gedanken lieber für sich zu behalten. Schweigend folgte er Sadie.

Auch Dr. Evans entsprach nicht Matts Vorstellungen. Er hatte mindestens vierzig Pfund Übergewicht und trug ein gelbes Jerseyhemd mit offenem Kragen und eine unförmige blaue Hose. Zigarettenstummel häuften sich in einem Aschenbecher auf dem Schreibtisch.

„Wie gefällt Ihnen Ihre Unterkunft?“, erkundigte er sich, sobald sie sich miteinander bekannt gemacht hatten und Matt in einem Sessel mit zerschlissenem Vinylbezug saß.

„Gar nicht. Ich hoffe, dass Sie mir eine andere besorgen können.“

„Ich habe damals drei Monate gebraucht, um mein Haus zu finden“, entgegnete Dr. Evans. „Sie werden im Umkreis von zwanzig Meilen kein Glück haben. Wenn Sie in den nächsten Ort zögen, würde die Fahrt fünfundvierzig Minuten dauern und wäre im Winter nur mit Allradantrieb zu schaffen. Wenn Sie im Hotel absteigen, müssen Sie es aus eigener Tasche bezahlen. Was gefällt Ihnen denn nicht an den reservierten Räumen?“

„Ich hatte mit mehr Privatsphäre gerechnet.“

„So was gibt es hier nicht. Jeder ist mit jedem verwandt und weiß über alles im Ort Bescheid. Noch vor Ablauf der Woche wird jeder auch über Sie Bescheid wissen.“

„Ich erwarte nicht, lange zu bleiben. Ich bin nur wegen einer Verwechslung hier.“

„Aus diesem Grund mögen Sie zwar hier gelandet sein.“ Dr. Evans bot eine Zigarette an, die Matt ablehnte. „Aber ich wette, dass Sie nächstes Jahr um diese Zeit immer noch hier sind. Kennen Sie sich in den Bergen aus?“

„Nein. Ich bin an der Ostküste aufgewachsen.“

Dr. Evans schnitt eine Grimasse. „Sie werden die Leute hier schon mögen, wenn Sie sich darauf einlassen, sie kennenzulernen. Ich schlage vor, dass Sie jetzt zu Liz zurückgehen und mit ihr Frieden schließen.“

„Wann gehen Sie?“

„In zwei Tagen.“

„Kann ich nicht Ihr Haus mieten?“

„Der Sohn der Vermieterin hat geheiratet und drängt mich schon lange zum Auszug.“

„Kann ich kurz Ihr Telefon benutzen?“

„Sicher.“ Dr. Evans verließ den Raum.

Hastig wählte Matt die Nummer seines Vorgesetzten. „Dr. Andrews? Hier ist Matt. Sie müssen mich hier rausholen. Versprechen Sie ihnen Geld, meinen Organspenderausweis oder sonst was. Mir ist es egal, wie Sie es bewerkstelligen.“

Gemächlich schwang Liz in der Schaukel, die am Ast einer alten Eiche hing. Es war ihr Lieblingsplatz. Hinter ihr reichte der Garten bis zu einem kleinen Bach, der geräuschvoll über sein steiniges Bett am Fuß des Spencer Mountain gurgelte. Bewaldete Hänge erhoben sich über tausend Fuß in den Himmel und sandten würzige, kühle Luft ins Tal.

Liz erinnerte sich daran, als Kind unter dieser Eiche mit ihren Puppen gespielt zu haben. Als Teenager hatte sie auf dieser Schaukel davon geträumt, was sie einmal tun würde, wenn sie erwachsen war.

Wahrscheinlich wäre alles anders gekommen, wenn sie ihre Mutter nicht verloren hätte. Ihre Tante Marian hatte vergeblich versucht, die große Lücke zu füllen, die der Tod ihrer Eltern hinterlassen hatte.

In weniger als einer Woche hatte sie sich in David verliebt und sich wie im siebten Himmel gefühlt. Sie konnte ihn nicht dafür verantwortlich machen, dass sie vom College abgegangen war, um ihn während seines Studiums zu unterstützen. Schließlich hatte sie es selbst vorgeschlagen.

Liz griff zu dem Glas frischer Limonade auf dem weiß lackierten Eichentisch, den ihr Vater um den Baumstamm herum errichtet hatte. Sie fragte sich, wie viele Gläser Limonade sie seit der Trennung von David unter diesem Baum getrunken hatte. Die ersten drei Monate hatte sie dort im Garten verbracht und geschaukelt. Das Quietschen der Kette, das Gurgeln des Bachs, das Quaken der Frösche, das Rascheln der Blätter in der Brise – all das hatte ihr geholfen, den Kummer zu überwinden und einen Teil des Friedens ihrer Kindheit zurückzugewinnen. Es hatte zwei Jahre gedauert, doch sie hatte sich erholt. Die Stadt, die Eiche, ihre Kinder hatten ihren Teil dazu beigetragen.

Plötzlich erblickte Liz Matt, der gerade um das Haus kam und nach ihr Ausschau hielt. Sie hielt die Schaukel an, als er mit einem gezwungenen Lächeln den Rasen überquerte.

„Dr. Evans hat mir gesagt, dass es auf dieser Seite der Berge kein anderes Zimmer zu mieten gibt“, verkündete er, als er sie erreichte.

Sie konnte nicht widerstehen, ihn ein wenig zu necken. „Ich war auch nicht der Meinung.“

„Sie weiden sich an meinem Dilemma, oder?“

„Vielleicht, aber nur ein wenig.“

Sein Lächeln wirkte beinahe echt. „Ich erwarte nicht, lange hierzubleiben. Es handelt sich um einen Irrtum. In zwei Wochen können Sie Ihre Zimmer vielleicht schon einer alten Lady zeigen, die nur herauskommt, um zur Kirche zu gehen.“

„Ich habe zwei Kinder“, rief sie ihm in Erinnerung.

„So niedliche Kinder sind kaum zu übersehen.“

„Sie reden, lachen und rennen aber.“

„Und schreien und heulen gelegentlich, wie ich mir denken kann“, fügte Matt mit einem Lächeln hinzu.

Liz hätte dumm sein müssen, um nicht zu merken, dass er sich nur so charmant gab, weil er keine andere Bleibe hatte. Sie glitt von der Schaukel. „Ich helfe Ihnen beim Auspacken.“

„Ich habe nicht viel.“

Als sie seinen Wagen erreichten, öffnete er den Kofferraum. „Sie sehen vor sich alles, was ich besitze.“

Sie sah mindestens ein Dutzend Bücherkartons. „Haben Sie keine Kleidung?“

„Auf dem Sitz.“

Seine übrigen Sachen befanden sich in einem Koffer und einem Kleidersack. Es war tröstlich zu wissen, dass der Doktor sein Geld lieber für medizinische Bücher als für sich selbst ausgab.

„Ich nehme den Sack“, sagte sie. „Die Bücher überlasse ich Ihnen. Was halten Sie von der Klinik?“

„Eine Katastrophe“, murrte er, während er sich einen Karton auf die Schulter wuchtete. „Kleine, schäbige Räume, keine anständige Ausrüstung, nur die allernötigsten Vorräte. Ich begreife nicht, wie Evans zurechtgekommen ist.“

„Die Klinik fungiert hauptsächlich als Familienpraxis. Notfälle werden ins Krankenhaus von Woodstock gebracht. Es liegt nur zwanzig Meilen entfernt.“ Sie hielt ihm die Haustür auf und folgte ihm die Treppe hinauf. „War Salome da?“

„Ja. Wenn man ihr und dieser Hannah Glauben schenken kann, sind die Künstlerinnen im Hotel männermordende Wesen.“

Liz lachte. „Ich fürchte, ihr Ruf wird ihnen gerecht.“

„Hannah hat es bedauert, dass ich keine Ehefrau zum Schutz habe.“

Sie lachte erneut und blieb in der Tür zu seinem Zimmer stehen, während er die Bücher auspackte. „Wie kommt es, dass Sie hier gelandet sind?“ Als Matt ihr einen frostigen Blick zuwarf, erklärte sie: „Alle werden es wissen wollen. Da ist es einfacher, gleich mit der Sprache herauszurücken.“

Seine Miene verhärtete sich.

„Wir kennen uns alle von Geburt an“, erklärte Liz. „Da sind wir hoffnungslos neugierig, sobald ein Fremder in die Stadt kommt.“

„Ich habe das Studium mit einem Stipendium absolviert. Als Gegenleistung muss ich drei Jahre lang im öffentlichen Gesundheitsdienst arbeiten.“

„Erzählen Sie mir von Ihrer Familie.“

Matt wandte ihr den Rücken zu und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Bücher. „Das geht Sie wirklich nichts an. Es hat wohl kaum etwas mit meinen medizinischen Fähigkeiten zu tun.“

Liz errötete. Der Tadel war berechtigt. „Entschuldigung. Ich wollte nicht aufdringlich wirken. Das Abendessen ist um sechs. Lassen Sie mich wissen, falls Sie etwas brauchen.“

Matt hörte Stimmen aus der Küche, als er sich zu einem Spaziergang aus dem Haus schlich. Er wollte nicht mit Liz reden. Ihm gefielen ihre Fragen nicht. Sie selbst hingegen reizte ihn. Ihre Mischung aus sinnlicher Weiblichkeit und Unschuld vom Lande erweckte sein Misstrauen, aber auch seine Faszination.

Auf der Veranda blieb er stehen. Die Stille erinnerte ihn an die betäubende Monotonie von Gull’s Landing. Er konnte sogar das Summen der Bienen in den winzigen rosa Blüten der Büsche hören. Lediglich Blumenbeete trennten Liz’ Garten von den angrenzenden Grundstücken.

Über einen schmalen, gepflasterten Gehweg erreichte er den Bürgersteig und beschloss, sich die Stadt anzusehen – sofern ein derart kleiner Ort als Stadt bezeichnet werden konnte.

Hannah trat aus ihrem Laden, als er vorüberging. „Haben Sie Liz gefunden?“, rief sie ihm zu.

„Ja.“

Sie winkte einem nahenden Auto, deutete zu Matt und rief: „Das ist unser neuer Doktor. Hübsch genug, um einen Streit im Hühnerstall auszulösen, oder?“

Die Insassen, ein Pärchen und drei Kinder, verdrehten sich die Hälse nach ihm. Er ging weiter. Die Leute winkten oder grüßten im Vorübergehen, aber niemand sonst schrie oder zeigte mit dem Finger auf ihn.

Die Gärten wiesen üppige Rasenflächen auf. Späte Tulpen und Pfingstrosen blühten. Eine Kletterrose mit tiefroten Blüten parfümierte die Luft. Flieder bildete Hecken zwischen den Gärten und schirmte Hühnerställe und Scheunen ab. Riesige Eichen beschatteten die Straße.

Matt erreichte das Hotel und starrte an dem riesigen Gebäude hinauf, das sich höher erhob als die Eichen. Es sah mindestens hundert Jahre alt aus. Er kam an einem kleinen Teich vorbei und erblickte dort den Eingang zu einem Ferienlager. Etwa ein Dutzend weißer Sommerhäuser säumte die kreisförmige Auffahrt. Das Lager beschäftigte eine eigene Krankenschwester, wandte sich jedoch in ernsten Fällen an die Klinik.

Matt machte kehrt und blickte die Straße hinab. Er konnte ganz Iron Springs auf einen Blick sehen. Siebenundzwanzig Häuser, zwei Geschäfte, eine Kirche, eine Feuerwache und die Klinik. Er dachte an Charlottesville und das riesige Hospital, in dem er die nächsten drei Jahre zu arbeiten beabsichtigt hatte. Die Dinge hatten sich so gut entwickelt, und nun diese Pleite!

Als er zum Haus zurückkehrte, rasten Rebecca und Ben ihm auf Fahrrädern mit Stützrädern entgegen.

„Ich gewinne!“, rief Rebecca.

Angestrengt strampelte Ben noch schneller. Er war kleiner, konnte aber durchaus mit ihr mithalten. Ihr Wettkampf war so verbissen, dass sie nicht daran dachten zu bremsen. Im letzten Moment sprang Matt vom Bürgersteig auf die Straße.

„Erster!“, rief Ben.

„Nein! Ich habe gewonnen!“

Matt lachte. „Es war unentschieden.“

„Mommy hat gesagt, dass es Zeit zum Essen ist“, sagte Rebecca keuchend.

„Wir sollen dich holen“, fügte Ben hinzu.

„Hat sie auch gesagt, dass ihr mich überfahren sollt?“

Rebecca kicherte. „Das hätten wir nicht getan.“

Matt half Ben, sein Fahrrad umzudrehen. „Es sah aber ganz so aus, als wolltet ihr mich niederschmettern.“

„Das geht doch gar nicht. Du bist viel zu groß.“ Ben blickte an ihm hinauf. „Werde ich auch mal so groß wie du?“

„Noch größer. Vor allem, wenn du immer dein Gemüse aufisst.“

„Muss ich auch Spargel essen?“

Autor

Leigh Greenwood
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