Liebe ist grenzenlos - 2 romantische Miniserien

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Traumhochzeiten vor Traumkulisse - 2-teilige Miniserie

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  • Erscheinungstag 31.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535939
  • Seitenanzahl 451
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kandy Shepherd

Ist dieses Glück nur gespielt?

PROLOG

Josh Taylor beobachtete den ungläubigen Gesichtsausdruck seiner Freundin Tori Preston, während sie das Foto der Frau in dem Hochglanzmagazin prüfend anschaute.

„Erkennst du die Ähnlichkeit?“, fragte Josh.

Tori starrte weiterhin auf das Bild der wunderschönen jungen Frau mit den blauen Augen und dem schulterlangen dunklen Haar. Stirnrunzelnd blickte sie ihren Freund an. „Bis auf die Tatsache, dass meine Haare kurz sind und wir uns unterschiedlich kleiden, sind wir … fast identisch. Aber wie kann das sein?“

„Ich habe sofort gedacht, dass sie mit dir verwandt sein muss. Eine Cousine vielleicht. Und weil ich so neugierig war, habe ich ein bisschen recherchiert“, erklärte er. „Sie ist eine australische Modedesignerin und heißt Eloise Evans.“

Tori gegenüber wollte er allerdings nicht zugeben, dass er von dieser Eloise Evans ziemlich fasziniert war, während sein Verhältnis zu Tori rein platonisch war. Er hatte den Artikel mehrmals gelesen und dabei die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob er seiner Freundin von der unheimlichen Ähnlichkeit erzählen sollte oder nicht.

„Sie ist achtundzwanzig Jahre alt, genau wie du, und auch am selben Tag geboren“, fuhr er fort.

Tori erblasste. „Du machst wohl Witze!“

Josh schüttelte den Kopf. „Das ist noch nicht alles. Sie lebt zwar in Sydney, ist aber hier in Boston geboren. Im Interview verrät sie auch, dass sie mit zwei Jahren adoptiert worden ist.“

Tori holte tief Luft. Sie blickte zu Josh hoch und wirkte dabei sehr irritiert. „Ich habe immer gewusst, dass ich mit zwei Jahren nach dem Tod meiner Mutter adoptiert worden bin.“

„Ich weiß.“

Noch einmal betrachtete Tori das Foto der Frau, deren Lächeln ihrem so ähnelte. „Weißt du was? Ich habe irgendwie das Gefühl, als hätte ich sie schon einmal gesehen.“

Josh lachte. „Na klar, jedes Mal, wenn du in den Spiegel schaust.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Meine Erinnerung ist die an ein kleines Mädchen. Meine Mom hat sie immer meine imaginäre Fantasiefreundin genannt, wenn ich ihr davon erzählt habe. Aber für mich war sie ganz real.“

„Natürlich könnte das Ganze auch ein Zufall sein“, meinte Josh, auch wenn er es selbst kaum glauben konnte.

Tori sah ihn an. „Was, wenn nicht? Was, wenn es damals zwei Kinder gegeben hat?“

„Die von unterschiedlichen Familien adoptiert wurden, meinst du?“

„Ja, Zwillinge.“

„Zwillinge?“, wiederholte er verblüfft.

„Ich muss sie unbedingt kennenlernen, um die Wahrheit herauszufinden. Aber Australien … oh Gott, Josh, das ist so weit weg, und ich habe gerade eine Menge zu tun. Du weißt doch, alle wollen jetzt im Frühling heiraten!“ Toris Konditorei war die erste Adresse für Hochzeitstorten für Bostons Oberschicht.

Er machte eine kleine Pause. „Also, zufällig muss ich nächste Woche geschäftlich nach Australien. Was hältst du davon, wenn ich mir nebenbei diese Eloise Evans mal anschauen würde?“

Sie riss die Augen auf. „Würdest du das wirklich für mich tun?“

Tori und ihre Brüder hatten Josh sehr geholfen, als sein eigener Bruder ihn aus der Familie verstoßen hatte. Das würde er nie wiedergutmachen können. „Natürlich. In der Zwischenzeit schlage ich vor, sprichst du mit deinen Eltern und findest mehr über deine Adoption heraus. Natürlich könnte das Ganze ein verrückter Zufall sein, oder …“

„Oder ich habe tatsächlich eine Zwillingsschwester“, beendete Tori den Satz für ihn.

1. KAPITEL

Josh Taylor war ein äußerst erfolgreicher Unternehmer und mit neunundzwanzig Jahren bereits Milliardär. In seinem Business verfügte er über zahlreiche Fähigkeiten, aber ein unverfängliches Treffen mit Toris möglicher Zwillingsschwester Eloise Evans zu arrangieren, gehörte offensichtlich nicht dazu.

Tori hatte inzwischen herausgefunden, dass damals tatsächlich Zwillinge adoptiert worden waren. Daher bestand die Möglichkeit, dass die Frau in Australien vielleicht ihre Zwillingsschwester war.

„Du musst einfach nur nahe genug an sie herankommen, um für dich herauszufinden, ob sie im echten Leben wirklich so ist wie ich“, hatte sie zu Josh gesagt.

Nachdem er in Sydney eingetroffen war, hatte er sofort angefangen, Eloise Evans aufzuspüren und mehr über sie zu erfahren. Er hatte herausgefunden, dass ihre Firma für Brautmoden die beste im Lande war und auch international einen guten Ruf hatte. Das elegante Hauptquartier, das Eloise Evans Atelier, lag im exklusiven Innenstadtbezirk von Double Bay, und er hatte gehofft, sie dort wie zufällig anzutreffen. Doch inzwischen waren schon ein paar Tage vergangen, und er hatte die Designerin immer noch nicht gesehen.

Am Samstagmorgen, seinem letzten Tag in Sydney, versuchte er schließlich, sie in der Nähe ihres Apartments in Rushcutters Bay zu erwischen. Die Häuser aus dem neunzehnten Jahrhundert lagen an einem Park hinter dem das Wasser des Jachthafens im Sonnenlicht glitzerte. In der Nähe der flachen Strandmauer ließ er sich an diesem warmen Herbstmorgen auf einer Bank nieder und genoss den spektakulären Blick.

Trotzdem ließ er dabei das Gebäude, in dem Eloise wohnte, nicht aus den Augen. Doch bis jetzt hatte er kein Glück gehabt. Er fürchtete schon, dass er unverrichteter Dinge nach Boston zurückkehren und Tori von seiner gescheiterten Mission erzählen musste.

Aber dann hörte er plötzlich ein perlendes Lachen, begleitet vom aufgeregten Bellen eines Hundes. Tatsächlich, da war sie – Eloise Evans tauchte hinter einem Baum auf. Sie führte einen kleinen Hund an der Leine und ging direkt auf das Wasser zu. Josh erkannte sie sofort, denn sie war der Frau auf dem Foto wie aus dem Gesicht geschnitten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie Toris Doppelgängerin war.

Als sie näher kam, stand Josh auf und ging auf sie zu. Dabei überlegte er fieberhaft, wie er wohl ein ‚zufälliges‘ Treffen zustande bringen konnte, ohne dass sie dachte, er wäre ein Stalker. Vielleicht sollte er einfach nur nonchalant an ihr vorbeigehen und sich mit eigenen Augen von der Ähnlichkeit mit seiner Freundin überzeugen.

Doch je näher sie kam, desto trockener wurde sein Mund, und seine Gedanken überschlugen sich. Denn die Ähnlichkeit war mehr als verblüffend. Sie war genauso groß wie Tori und hatte auch dieselbe Figur. Die beiden mussten einfach verwandt sein.

Aber dann fielen ihm mehr und mehr die Unterschiede auf. Im Gegensatz zu Tori schien sie über den Rasen zu schweben, und das dichte schwarze Haar fiel ihr in Wellen auf die Schultern. Außerdem trug sie ein unglaublich schickes Kostüm in einem satten Zimtton, während Tori meist Jeans anhatte, wenn sie mit den Hunden unterwegs war. Das Kostüm betonte ihre Kurven und ließ sie ebenso attraktiv wie elegant erscheinen. Um ehrlich zu sein, war Josh bis jetzt noch gar nicht aufgefallen, dass seine Freundin Tori überhaupt Kurven hatte. Sie war für ihn immer mehr wie eine Schwester gewesen.

Während Eloise sich näherte, starrte er wie hypnotisiert auf ihre langen schlanken Beine. Er holte tief Luft. Genau das war der Unterschied zwischen dieser Frau und seiner Freundin in Boston – er fand Eloise unglaublich feminin und sinnlich. Natürlich wollte Josh sie nicht anstarren, doch er konnte nicht anders. Kein Zweifel, sie war einfach hinreißend.

Eigentlich hätte er es dabei belassen und seiner Wege gehen sollen. Aber schließlich hatte er mit Tori ausgemacht, dass er ihre mögliche Zwillingsschwester so genau observieren würde, wie er nur konnte. Außerdem hatte er versprochen, dass er Tori nicht erwähnen würde, falls er wirklich Kontakt zu Eloise aufnehmen konnte.

Und wenn Josh sein Wort gab, hielt er es auch. Unglücklicherweise hatte er die ersten sechzehn Jahre seines Lebens mit der Lüge seiner Mutter leben müssen. Der Mann, von dem Josh geglaubt hatte, er wäre sein Vater, war es nicht, und diese Enthüllung hatte ihn damals fast umgebracht. Seitdem verabscheute er Lügen und vertraute niemandem mehr so leicht.

Eloise Evans Hund passte nicht zu der glamourösen Erscheinung seiner Herrin. Er sah mehr wie eine Promenadenmischung aus. Je näher sie kamen, desto aufgeregter fing das Tier an zu bellen.

„Okay, okay“, sagte Ms. Evans lachend und bückte sich, um den Hund von der Leine zu lassen. Josh erstarrte, denn ihr Lachen war einerseits wie Toris, andererseits aber auch nicht. Es klang sehr melodisch, und am liebsten hätte er es gleich noch einmal gehört. Sie kraulte das Tier am Nacken, und er dachte nur, was für ein Glück dieser Hund doch hatte.

Jetzt hatte sie ihn fast erreicht, und er kam immer mehr zu der Überzeugung, dass es sich um Toris Zwillingsschwester handeln musste. Damit war sein Auftrag erfüllt, und er hätte eigentlich weggehen müssen. Doch das war ihm nicht möglich. Josh blieb wie angewurzelt stehen und hatte nur Augen für die Frau und ihren Hund.

Eloise Evans nahm einen grünen Tennisball aus ihrer Tasche und warf ihn ein paar Meter weit weg. Der kleine Hund rannte hinterher, nahm den Ball ins Maul, kam zurück und legte ihn ihr vor die Füße.

„Gut gemacht, Daisy“, lobte seine Besitzerin. Ihre Stimme klang ein bisschen rau und gleichzeitig warm, voller Zuneigung.

Josh hätte ihr ewig zuhören können. Der Klang erinnerte ihn an eine Zeit, bevor er sein Herz gegen Verrat und Betrug verschlossen hatte. Sie griff nach dem Ball und warf ihn erneut. Um ein Haar wäre er im Wasser gelandet, wenn Josh ihn nicht im letzten Moment instinktiv aufgefangen hätte.

Er wollte ihn schon zurückwerfen, als Eloise auf ihn zueilte, gefolgt von ihrem Hund. „Gut gefangen. Vielen Dank!“

„Sehr gern“, stammelte er und merkte, wie ihm der blumige Duft ihres Parfüms in die Nase stieg. Als Jugendlicher hatte er Baseball bei den Boston Red Sox gespielt, das ganze Training hatte sich anscheinend gelohnt.

„Nein, im Ernst, das ist Daisys Lieblingsball. Sie wäre ihm bestimmt hinterhergesprungen, wenn er im Wasser gelandet wäre. Und das hätte richtig Ärger gegeben.“ Sie sprach mit einem australischen Akzent, ansonsten ähnelten sich die Stimmen sehr.

Jetzt, da sie direkt vor ihm stand, erkannte Josh, dass Eloise dieselben blauen Augen, dieselben vollen Lippen und dieselbe kleine, gerade Nase wie Tori hatte. Genau wie seine Freundin war sie nicht nur hübsch, sondern wirkte auch wach und intelligent. Kein Zweifel, sie mussten Zwillinge sein. Und doch gab es Unterschiede zwischen den beiden, auch wenn er die nicht direkt benennen konnte. Es war mehr so ein Gefühl. Josh fand Eloise einfach umwerfend attraktiv. Das hatte er schon gedacht, als er ihr Foto gesehen hatte. Nun, im wirklichen Leben raubte ihr Anblick ihm den Atem. Trotzdem vergaß er natürlich keine Sekunde, weshalb er hier war.

Deshalb zwang er sich, möglichst normal zu klingen.

„Gern geschehen“, sagte er und räusperte sich. „Freut mich, dass ich helfen konnte.“

Natürlich hätte er ihr den Ball gleich zurückgeben sollen. Aber je länger er ihn in der Hand hielt, desto länger konnte er ihre Gegenwart genießen. Nur fing die Hündin in diesem Moment laut zu bellen an.

„Ich nehme an, sie will ihren Ball zurückhaben“, sagte er, und Eloise nickte.

Die Hündin sprang bellend an ihm hoch, und er betrachtete das Tier genauer.

„War sie mal verletzt?“, fragte er, und Eloise nickte.

„Stimmt. Man hat sie neben einer stark befahrenen Straße gefunden, wo ihr Besitzer sie offenbar ausgesetzt hat. Damals war sie nur Haut und Knochen und hatte ein gebrochenes Bein. Glücklicherweise landete sie in einem Tierheim, und dort habe ich sie gefunden.“

„Dann haben Sie Daisy also adoptiert?“

Eloise schüttelte den Kopf, und er betrachtete bewundernd ihr dichtes schwarzes Haar, das in der Sonne glänzte. Plötzlich erwischte Josh sich bei dem Gedanken, es mit den Fingern zu durchwühlen und … aber das waren natürlich nur Wunschträume. Schließlich lebte er am anderen Ende der Welt und hatte Ziele, die er unbedingt noch vor seinem dreißigsten Geburtstag erreichen wollte.

„Ich liebe Hunde, aber ich kann mich im Moment nicht rund um die Uhr um ein Tier kümmern“, sagte sie. „Ich muss geschäftlich viel verreisen und …“ Sie brach ab, denn sie hatte offensichtlich erkannt, dass sie einem Fremden gegenüber schon zu viel von sich enthüllt hatte. „Deshalb nehme ich Hunde zeitweise in Pflege, bis sie ein festes Zuhause gefunden haben.“

Genau wie Tori. Auch sie rettete Hunde, und beide Frauen arbeiteten im Hochzeitsbusiness. Die Ähnlichkeiten waren mehr als nur oberflächlich.

Er nickte. „Soll ich den Ball mal werfen?“

„Oh Gott, Sie halten ihn ja immer noch in der Hand!“, sagte sie mit gespieltem Entsetzen. „Bestimmt ist er doch voller Sabber, oder?“ Sie lachte erneut ihr melodisches Lachen. Sie war zauberhaft.

„Nur zu, wenn Ihnen das nichts ausmacht“, sagte sie dann ermutigend. „Bestimmt wird es Daisy gefallen.“

Josh war mit Hunden groß geworden und hatte schon beträchtliche Summen für Organisationen gespendet, die sich um verletzte und misshandelte Hunde kümmerten. Aber selbst wollte er keinen haben, denn das hätte ihn zu sehr eingeschränkt. Genauso wenig konnte er sich vorstellen, jemanden zu heiraten. Er gestattete sich keine emotionalen Bindungen, die ihn vielleicht daran gehindert hätten, seine erste Million zu verdienen, auf die weitere gefolgt waren.

Er warf den Ball so weit, wie er nur konnte, und Daisy rannte kläffend hinterher.

„Sie liebt das!“, rief Eloise aus und klatschte vor Freude in die Hände. „So weit hätte ich ihn nie werfen können.“

Die Hündin kam triumphierend mit dem Ball im Maul zurück, verharrte einen Moment unschlüssig und ließ ihn dann zu Joshs Füßen fallen. Voller Erwartung blickte sie hechelnd zu ihm hoch. Die Geste berührte Josh mehr, als er gedacht hätte. Und er sah, dass auch Eloises Augen verdächtig feucht waren.

„Das ist wirklich ungewöhnlich“, sagte sie und schluckte. „Ich hätte nie gedacht, dass sie einem Fremden ihren kostbaren Ball anvertrauen würde.“

„Soll … soll ich ihn noch einmal werfen?“, fragte er.

„Ja, bitte.“

Er warf ihn noch mehrere Male für Daisy, und immer wieder kehrte das Tier damit zu ihm zurück. Nach dem letzten Mal sprang sie freudig erregt an ihm hoch und hinterließ dabei dicke Schlammspuren auf seiner hellen Leinenhose.

„Daisy! Nein!“, rief Eloise erschrocken und bemühte sich, sie zurückzuziehen. „Bitte entschuldigen Sie! Das war nicht ihre Absicht.“

„Natürlich nicht“, erwiderte Josh. Er bückte sich und streichelte Daisy, um ihr zu zeigen, dass er ihr nichts übelnahm. Das Tier sah ihn treuherzig an.

„Hier, nehmen Sie die hier“, sagte Eloise und zog zwei Papiertaschentücher aus ihrer Tasche. „Damit geht das Gröbste weg. Ein feuchtes Tuch würde es noch schlimmer machen.“

Er nahm die Taschentücher und wischte sich die Schlammspuren ab. „Na, sehen Sie? Es ist fast nichts passiert.“

„Weil es bestes Leinen ist“, erklärte Eloise und setzte hinzu: „Mit Stoffen kenne ich mich aus. Aber falls Sie den Rest in der Reinigung doch nicht rauskriegen sollten, ersetze ich Ihnen die Hose natürlich.“

Josh schüttelte den Kopf. „Danke, aber das ist nicht nötig. Ich habe noch andere Hosen.“ Er freute sich schon darauf, Tori die Story zu erzählen. Sie liebte Hundegeschichten.

„Ich bestehe aber darauf.“

„Kommt gar nicht infrage.“

„Dann haben wir uns also festgefahren“, sagte Eloise lächelnd.

„Ja, sieht so aus“, pflichtete er ihr bei.

„Darf ich Sie wenigstens auf einen Kaffee einladen? Hier um die Ecke gibt es ein sehr nettes Café. Dort hat man auch nichts gegen Hunde. Hätten Sie vielleicht Lust, uns dorthin zu begleiten?“

Josh zögerte keine Sekunde. Wie hätte er besser einen Kontakt zu Eloise machen können? Danke, Daisy.

„Ja, sehr gern“, sagte er daher.

2. KAPITEL

Normalerweise hätte Eloise niemals einen Mann, den sie gerade erst im Park kennengelernt hatte, auf einen Kaffee eingeladen. Sie war selbst überrascht, auch wenn es ja eigentlich Daisy gewesen war, die die Verbindung zwischen ihnen hergestellt hatte. Es war höchst ungewöhnlich, dass der kleine Hund so positiv auf einen fremden Mann reagierte. Eloise nahm es als ein gutes Zeichen für Daisys Rehabilitation.

Sie betrachtete den hochgewachsenen Amerikaner. Mit dem dichten braunen Haar, den markanten Gesichtszügen und den haselnussbraunen Augen sah er ausgesprochen attraktiv aus. Er musste etwa so alt sein wie sie, und es hatte ihr sehr gefallen, wie er Daisy behandelt hatte. Außerdem fand sie es gut, dass er kein großes Getue wegen der Schmutzspuren auf seiner sicher teuren Hose gemacht hatte. Daher war eine Einladung zum Kaffee auch das Mindeste, was sie tun konnte.

„Schön, das freut mich“, sagte sie und nickte.

Er streckte seine Hand aus. „Ich bin übrigens Josh Taylor.“

Eloise nahm sie und schüttelte sie. „Eloise Evans“, erwiderte sie. „Daisy kennen Sie ja schon. Einen Moment, ich muss sie kurz an die Leine nehmen. Das Café ist nur fünf Minuten entfernt.“

Sie schlenderten am Wasser entlang Richtung Hafen, bis sie das Ziel erreicht hatten. Dabei passte Josh seine langen Schritte ihren an, während Daisy glücklich zwischen ihnen hertrottete.

„Sie sind Amerikaner, richtig?“, fragte Eloise. „Leben Sie hier, oder sind Sie nur zu Besuch in Sydney?“

„Ich bin geschäftlich nur für ein paar Tage hier“, erwiderte er. „Aber um ehrlich zu sein, liebe ich Australien.“

„Ihrem Akzent nach könnten Sie aus Boston sein.“

Er lachte. „Sie haben ins Schwarze getroffen.“

„Mein Dad war auch aus Boston. Ich höre diesen Akzent sehr gern, er ist für mich mit vielen schönen Erinnerungen verbunden.“

„War?“

„Ja, er ist leider vor dreizehn Jahren gestorben. Damals war ich erst fünfzehn. Ich habe ihn über alles geliebt und vermisse ihn immer noch sehr.“

„Oh, das tut mir leid“, sagte er betroffen.

Eloise machte eine wegwerfende Geste. „Ach, das ist ja schon lange her.“ Sie wollte die Stimmung nicht verderben, obwohl es immer noch wehtat, wenn sie an ihren Vater dachte.

Im Café wurden sie und Josh zu Eloises Lieblingstisch auf der Terrasse im Schatten der Markise geführt, wo auch ein Wassernapf für Hunde stand. Erneut registrierte Eloise mit Erstaunen, dass Daisy immer freudig mit dem Schwanz wedelte, wenn Josh ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. „Sie haben eindeutig ihr Herz gewonnen“, sagte sie.

Er grinste. „Das könnte natürlich mit meiner unwiderstehlichen Persönlichkeit zusammenhängen. Aber vielleicht merkt sie auch nur, dass ich Hunde mag. Als Kind war mein Hund nämlich mein bester Freund. Aber jetzt geht es mir leider so wie Ihnen. Ich reise viel und kann mich nicht genügend um einen eigenen Hund kümmern.“

Es war nicht nur Daisy, die sich zu Josh Taylor hingezogen fühlte. Schließlich passierte es nicht so oft, dass man einen Mann traf, der nicht nur attraktiv, sondern auch noch sympathisch war. Natürlich war dies nur ihr erster Eindruck, und Eloise wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte. Aber sie verließ sich auf den Instinkt ihres Hundes. „Das gibt mir die Hoffnung, dass sie in Zukunft vielleicht nicht mehr so nervös auf Männer reagieren wird.“

Josh blickte sie an, und sie erkannte das Mitgefühl in seinen haselnussbraunen Augen. „Es ist bestimmt nicht leicht, einen Hund wieder abzugeben, nachdem man so viel Zeit mit ihm verbracht hat.“

Sie nickte. „Ja, das stimmt. Ich verliebe mich jedes Mal, und dann ist es sehr schwer, mich wieder zu trennen. Aber ich muss mich dazu zwingen, mich nicht zu sehr an die Hunde zu klammern. Denn sonst würden sie nie gute Pflegeeltern finden. Die meisten neuen Besitzer bleiben mit mir in Kontakt und schicken mir Fotos.“ Sie beugte sich zu Daisy herunter und streichelte sie.

„Sie hat Glück, jemand so Nettes wie Sie gefunden zu haben“, meinte Josh.

Eloise war selbst überrascht, dass sie errötete. „Danke.“

Dann kam der Kaffee. Ein Espresso für ihn und ein Cappuccino für sie, dazu noch ein ‚Puppuccino‘ für Daisy, serviert in einem kleinen Pappbecher. „Es ist nur aufgeschäumte laktosefreie Milch“, erklärte Eloise.

„Was wäre das Leben ohne gelegentliche Gaumenfreuden?“, fragte er lächelnd.

„Ich muss sagen, ich mag Ihre Philosophie“, erwiderte sie ebenfalls mit einem Lächeln.

Ja, sie mochte ihn. Es war schon lange her, dass sie sich in Gesellschaft eines Mannes so wohl gefühlt hatte. Es war leicht, sich mit ihm zu unterhalten, und Eloise hatte auch keine Probleme damit, sich Fremden gegenüber zu öffnen. Das war bestimmt einer der Gründe für ihren geschäftlichen Erfolg. Denn neben ihren fantastischen Entwürfen, ihrem handwerklichen Können und der umwerfenden Schönheit ihrer Hochzeitskleider mochten ihre Kunden vor allem ihre warmherzige, freundliche Persönlichkeit. Sie liebte es, ihre Entwürfe an die Braut zu bringen, und dazu musste sie ihren Kundinnen eben manchmal auch ein bisschen aus ihrem Leben erzählen.

„Sie haben Glück, dass wir gerade so gutes Wetter haben“, sagte sie zu Josh. „Bestimmt ist es in Boston schon ziemlich kühl, oder?“

Das Wetter war immer ein unverfängliches Thema für eine Unterhaltung.

„Nun, es ändert sich andauernd. Einen Tag ist es mild, und dann haben wir wieder Winter. Sie haben erwähnt, dass Ihr Dad aus Boston stammte. Sind Sie denn manchmal auch dort?“

„Also, um es genau zu sagen, bin ich in Boston geboren.“

„Wirklich?“

„Wir sind von dort weggezogen, als ich acht Jahre alt war.“

„Dann sind Sie jetzt Australierin?“

„Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Meine Mutter ist Australierin, und mein Vater war Amerikaner.“

„Dann haben Sie das Beste aus beiden Welten!“

„Ja, das denke ich manchmal auch.“

„Was brachte Ihre Familie wieder hierher zurück?“

„Mein Vater meinte immer halb im Scherz, dass es mit den milden Wintern in Sydney zu tun hatte.“

Er nickte. „Ja, das verstehe ich gut. Die Winter in Boston können bitterkalt sein.“

„Ich erinnere mich noch gut daran“, erwiderte sie. „Aber in Wirklichkeit glaube ich, dass meine Mutter Heimweh bekommen hat. Und hier hat eben ihre Familie gelebt.“

Sie wollte ihm nichts davon erzählen, dass dies ein großer Streitpunkt zwischen ihren Eltern gewesen war. Denn ihre Großeltern väterlicherseits hatten ihrer Mutter nie verziehen, dass sie ihnen angeblich den Sohn weggenommen hatte. Und nach seinem Tod hatte Eloise gar keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt, weil ihre amerikanischen Großeltern sie auch nicht als ‚richtige‘ Enkelin betrachteten. Denn als Adoptivkind war sie in deren Augen nicht das ‚richtige‘ Kind ihres Sohnes. Ihr Vater hingegen hatte das nie so gesehen. Im Gegenteil, er hatte Eloise immer ‚meine Lieblingstochter‘ genannt.

Für Eloise war es zunächst sehr schlimm gewesen, als sie mit dreizehn zufällig herausfand, dass sie adoptiert worden war. Für einen Impfpass brauchte man in der Schule bestimmte Angaben, und Eloise hatte deswegen in den Familiendokumenten nachgeschaut. Dabei war sie auf eine Geburtsurkunde gestoßen, die besagte, dass sie die Tochter einer Frau aus Boston war, die gestorben war, als Eloise erst zwei Jahre alt gewesen war. Und sie fand eine Adoptionsurkunde von den Menschen, die sie immer als ihre leiblichen Eltern angesehen hatte. Außerdem stand auf der Urkunde noch, dass über die Familiengeschichte ihrer leiblichen Eltern nichts bekannt war.

Eloise war total schockiert darüber gewesen und hatte eine Ewigkeit stocksteif mit dem Papier in der Hand dagestanden. Sie war unglaublich verletzt, aber auch sehr wütend über den Verrat. Und sie fühlte sich gedemütigt, denn anscheinend wusste jeder über die wahren Umstände ihrer Geburt Bescheid – nur sie selbst nicht. Daher hatte sie ihre Eltern auch gleich damit konfrontiert, hatte sie angeschrien und ihnen vorgeworfen, dass sie nie wieder jemandem vertrauen könnte. Beide waren danach am Boden zerstört gewesen.

Sie hatten dann alles getan, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen und Eloise zu versichern, dass sie alles nur aus Liebe zu ihr getan hatten. Irgendwann hatte sie dann nachgegeben und ihnen verziehen. Darüber war sie auch sehr froh, denn ihr Vater war nur zwei Jahre danach an einem Herzinfarkt gestorben. Trotzdem hatte sie nie ganz verwinden können, dass die Menschen, die ihr am nächsten standen, sie angelogen hatten.

Als der Kellner an ihren Tisch trat und sie fragte, ob sie noch einen zweiten Kaffee haben wollten, schaute Eloise Josh fragend an. Er nickte.

„Was machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte sie, um sich von ihren niederdrückenden Gedanken abzulenken.

„Ich bin Unternehmer“, erwiderte er. „Schon als Teenager habe ich Apps entwickelt, und jetzt habe ich meine eigene IT-Firma.“

„Wow, dann müssen Sie ja ziemlich smart sein“, erwiderte sie und betrachtete ihn prüfend. Er trug eine teure Uhr am Handgelenk, und sein Jackett und seine Hose waren aus feinstem italienischem Leinen. Das bedeutete, dass er wahrscheinlich auch erfolgreich war.

„Und Sie?“, fragte er.

„Ich entwerfe Brautkleider.“

Er lächelte. „Dafür gibt es bestimmt immer einen Markt, oder?“

„Oh ja“, erwiderte sie trocken.

Für Eloise persönlich kam Heiraten allerdings nicht infrage. Es reichte ihr, wenn sie die Träume ihrer Klientinnen erfüllen konnte.

Es hatte zwar mal eine Zeit gegeben, in der sie der romantischen Vorstellung nachgehangen hatte, dass es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gab, so wie es ihre Eltern erlebt hatten. Doch diese Illusion hatte sich schon lange zerschlagen. Die Begegnungen mit Männern, die nur oberflächlich an ihr interessiert gewesen waren, hatten sie sehr verletzt. Noch vor einem Jahr hatte sie sich nur unter großen Schwierigkeiten von jemandem getrennt. Das Ganze war nicht sehr zivilisiert abgelaufen, und sie hatte nicht vor, sich in nächster Zeit wieder zu binden.

„Meine Kreationen sind sehr exklusiv, und ich kann mit Stolz sagen, dass es eine ziemlich lange Warteliste von Kundinnen gibt, die ihr Hochzeitskleid von mir entworfen haben wollen.“

„Das klingt nach einer sehr romantischen Beschäftigung.“

Sie lachte. „Ja, das sagen viele Leute. Natürlich macht es großen Spaß, schöne Kleider zu entwerfen. Aber haben Sie schon mal den Begriff Brautmonster gehört?“

„Oh ja“, sagte er schnell. Ein bisschen zu schnell, wie sie fand. „Ich habe eine Freundin, die in Boston eine Cateringfirma betreibt. Sie könnte Ihnen auch eine Menge erzählen, was überzogene Ansprüche von zickigen Bräuten betrifft.“

Eloise fragte sich insgeheim, wie ernst es ihm mit dieser Freundin war und entdeckte, dass er keinen Ehering trug. Doch dann ermahnte sie sich wieder, nicht zu viel in diese Begegnung hineinzulesen. Schließlich tranken sie nur einen Kaffee miteinander.

Sie nickte. „Ja, der ganze Stress, den eine Hochzeit nun einmal so mit sich bringt, kann aus den Leuten das Schlechteste herausholen. Und manche Traumhochzeiten entpuppen sich dann als Albtraum.“

Einen solchen hatte sie erst kürzlich in Los Angeles erlebt. Für den extravaganten Popstar Roxee hatte sie das glamouröse Hochzeitskleid gemacht, ebenso die Ausstattung für die acht Brautjungfern. Mit allem war sie zur finalen Anprobe vor dem Hochzeitsevent nach L. A. gereist. In diesem Zusammenhang hatte sie auch ein paar Interviews gegeben und schockiert erkennen müssen, wie leicht es für die Presse war, ganz harmlos gemeinte Bemerkungen aus dem Kontext zu reißen.

„Glücklicherweise sind solche Brautmonster die Ausnahme“, setzte sie hinzu. „Die meisten Kundinnen sind wunderbar, und es macht großen Spaß, für sie zu arbeiten. Es ist schön, wenn ich dann zu den Feiern eingeladen werde.“ Sie lachte. „Meist muss ich dann schrecklich weinen.“

„Haben Sie ein Geschäft?“, fragte Josh interessiert weiter.

„Ja, ich habe einen eigenen Laden und eine Werkstatt, in der ich die Kleider entwerfe und fertige. Und so habe ich mir im Laufe der Jahre meine eigene Marke aufgebaut. Eloise Evans Atelier – klingt doch nicht schlecht, oder?“

Er nickte. „Das Branding, der Name, ist alles.“

Sie sah ihn an. „Wie lange sind Sie eigentlich noch in Sydney?“

„Bis morgen, dann fliege ich nach Melbourne. Mein Aufenthalt hier hängt ein bisschen von den Verhandlungen mit einem Start-up-Unternehmen ab, das ich gern kaufen möchte.“

Eloise lächelte. „Dann hoffe ich für Sie, dass das Wetter noch ein bisschen hält.“

Der Kellner kam mit der Rechnung. Eloise wollte schon danach greifen, doch Josh kam ihr zuvor.

„Hey, Moment mal“, protestierte sie. „Schließlich habe ich Sie eingeladen!“

Sie mochte es nicht, wenn Männer die Rechnung bezahlten. Sie hatte dann immer das Gefühl, in deren Schuld zu stehen, und das gefiel ihr nicht. Josh hingegen machte keinerlei weitere Anstalten, sondern fügte sich schulterzuckend ihrem Wunsch.

Nachdem der Kellner weg war, herrschte verlegenes Schweigen.

Dann fingen beide gleichzeitig zu sprechen an.

„Ich fürchte, ich muss jetzt …“, sagte Eloise.

„Wäre es unangemessen zu fragen, ob Sie …“

„Ob ich was?“

„Ob Sie heute Abend mit mir zu Abend essen möchten?“

Sie wusste nicht, wer überraschter war, Josh oder sie, als sie schnell antwortete: „Ja, ich meine nein, es wäre gar nicht unangemessen.“

3. KAPITEL

Josh konnte weder dem Hund, noch Eloise oder irgendjemandem sonst die Schuld an seiner spontan ausgesprochenen Einladung geben. Aber in diesem Moment war sein Wunsch, sie wiederzusehen, einfach zu überwältigend gewesen.

Und das hatte nichts mit seiner Mission für Tori zu tun. Es war lediglich so, dass er jede Sekunde in Eloises Gesellschaft genoss und sich einfach noch nicht von ihr verabschieden wollte. Denn es gab etwas an ihr, das ihn faszinierte – und das war nicht nur die Ähnlichkeit mit seiner Freundin. Seit Langem hatte er sich nicht mehr auf ein Date so gefreut. Und da er nur kurz zu Besuch in der Stadt war, konnten an das Dinner auch keine großen Erwartungen geknüpft werden.

Nur seine Verpflichtung Tori gegenüber stellte eine gewisse Komplikation dar. Als er wieder in seinem Hotel in Double Bay war, das übrigens gar nicht so weit entfernt von Eloises Atelier lag, ging er unruhig im Zimmer auf und ab und fragte sich, was er Tori berichten sollte. Die Wirkung der Begegnung mit der Frau, die mit Sicherheit Toris verlorene Zwillingsschwester war, war zu neu und zu unerwartet gewesen, um darüber ausgefragt zu werden.

In Boston war es jetzt spät am Abend. Bestimmt wartete Tori gespannt auf Neuigkeiten. Aber irgendetwas hielt Josh davon ab, sie anzurufen. Denn die Begegnung mit Eloise hatte ihn sehr aufgewühlt, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte. Und ganz gewiss wollte er darüber nicht sprechen, nicht einmal mit Tori.

Eigentlich hatte er keine Probleme damit, Entscheidungen zu treffen, im Gegenteil. Sonst hätte er es beruflich sicher nicht so weit gebracht.

Aber jetzt war er unschlüssig, was er tun sollte. Und das hing nur mit Eloise zusammen.

Er wusste, dass er Tori nicht anlügen konnte. Und er fühlte sich seiner Freundin gegenüber auch sehr verpflichtet. Schließlich gab er sich einen Ruck, griff nach dem Hörer und rief sie an.

Wie vorherzusehen war, reagierte Tori voller Aufregung auf seine Neuigkeiten und wollte jedes Detail der Begegnung wissen, denn schließlich schien es immer wahrscheinlicher, dass sie eine Zwillingsschwester hatte.

Eine Zwillingsschwester, die Josh nur in den leuchtendsten Farben schildern konnte. Er versicherte Tori, dass sie sich bestimmt gut mit ihr verstehen würde. Glücklicherweise schien seine Freundin nichts aus seinem Tonfall herauszuhören, das darauf hinwies, wie sehr er sich von Eloise angezogen fühlte.

Tori schluchzte am anderen Ende der Leitung und bedankte sich überschwänglich für sein Engagement. Er hatte ihr auch erzählt, dass er am Abend mit Eloise essen gehen würde, und sie hatte anscheinend nichts dagegen. Allerdings musste er versprechen, dass er Eloise noch nichts von ihr erzählen würde.

Erst als Josh den Hörer wieder auflegte, wurde ihm bewusst, wie schwer er sich das Ganze jetzt gemacht hatte. Denn falls die Zwillinge sich irgendwann einmal treffen würden, würde er den schwarzen Peter haben, weil er Eloise nichts von Tori erzählt hatte. Andererseits hatte er nur aus den besten Absichten heraus gehandelt, weil er seiner Freundin hatte helfen wollen. Das konnte ihm niemand zum Vorwurf machen.

Dann erhielt er einen Anruf von einem Geschäftsfreund, der ihn fragte, ob er Zeit habe, mit ihm essen zu gehen. Ohne zu zögern schlug Josh die Einladung aus und wunderte sich danach über sich selbst. Denn eigentlich ging ihm die Arbeit über alles. Wahrscheinlich war dies das erste Mal in seinem Leben, dass er ein Date mit einer Frau einem geschäftlichen Dinner vorzog.

Eloise hatte Josh Taylor vorgeschlagen, sie in ihrem Lieblingsrestaurant in Potts Point zu treffen. Er war damit einverstanden gewesen, und sie freute sich auf den Abend, obwohl ihr klar war, dass sie auf der Hut sein musste. Denn schließlich war er ein Fremder, den sie zufällig im Park getroffen hatte.

Natürlich hatte sie ihn gleich gegoogelt, als sie wieder zu Hause gewesen war und dabei herausgefunden, dass er sein Licht ziemlich unter den Scheffel gestellt hatte. Denn mit nur neunundzwanzig Jahren war er jetzt schon einer der führenden digitalen Unternehmer und gehörte zudem zu den ‚meist begehrtesten Junggesellen‘ in den Vereinigten Staaten. Und sie hatte angenommen, er wäre nur ein netter, harmloser Hundeliebhaber!

Eigentlich hätte sie gern noch mehr über ihn herausgefunden, aber dazu blieb ihr keine Zeit. Die Arbeit wartete auf sie, und doch fiel es Eloise ungewöhnlich schwer, sich heute darauf zu konzentrieren.

Vor allem beschäftigte sie die Frage, was sie zu diesem Dinner, das ja verdächtig nach einem Date aussah, anziehen sollte und entschied sich schließlich für ein Musterteil aus ihrer eigenen Kollektion. Es war ein dunkelrosa Seidenkleid im Stil der Fünfziger Jahre, das sehr sexy und gleichzeitig elegant aussah. Ursprünglich hatte sie das Modell für die Brautjungfern von Roxee entworfen. Die Diva war überaus exzentrisch, sodass Eloise sogar ein Stillschweigeabkommen über sämtliche Details dieses Auftrags hatte unterzeichnen müssen.

Dabei war Eloise die Diskretion in Person, was einer der Gründe für ihren Erfolg war. Auch wenn die Medien ihr in diesem Fall eine beträchtliche Summe für Enthüllungen über das Privatleben des Stars angeboten hatten.

In den wenigen Interviews, die sie gegeben hatte, hatte sie nur Positives über den Star erzählt und vor allem davon geschwärmt, welche Freude ihr die Zusammenarbeit mit Roxee machte. Denn es ging ihr vor allem darum, ihr Business zu schützen. Es war alles, was sie hatte und gab ihr die Sicherheit, die sie brauchte, um im Leben zu bestehen.

Eloise war stolz auf das, was sie erreicht hatte. Schließlich hatte sie ganz klein angefangen und es aus eigener Kraft geschafft, mit ihren Entwürfen zu einer international gefragten Marke zu werden. Sie liebte ihre Tätigkeit. Besonders ihre Unabhängigkeit war ihr dabei sehr wichtig. Daher hatte sie es auch nie verstehen können, wenn irgendein Mann von seiner Frau verlangte, ihren Beruf nach der Heirat aufzugeben. Aber genau das hatte der letzte Mann, mit dem Eloise zusammen gewesen war, getan.

Sie hätte die Warnsignale, mit denen ihre innere Stimme auf Craig reagiert hatte, früher erkennen sollen. Doch sie war blind und taub gewesen. Das hatte natürlich auch damit zu tun gehabt, dass er ausgesprochen attraktiv war und dass sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Erst ganz am Ende, als es schon fast zu spät gewesen war, hatte ihr Selbstschutzmechanismus wieder funktioniert. Doch da hatte ihr Selbstwertgefühl schon beträchtlichen Schaden erlitten.

Denn Craig hatte sie unentwegt kritisiert – natürlich nur zu ihrem eigenen Besten, wie er immer betonte – bis Eloise angefangen hatte, ernsthaft an sich zu zweifeln. Irgendwann vermied sie es, etwas zu sagen, das ihn hätte verärgern können. Immer wieder hatte er sie bedrängt, sich mit ihm zu verloben, doch irgendetwas hatte sie zurückgehalten. Dann wollte Craig sie eines Tages küssen, und sie merkte schlagartig, dass sie seinen Kuss nicht erwidern wollte. Nie wieder. Als sie endlich mit ihm Schluss gemacht hatte, zeigte er seine wahre Natur und beschimpfte sie aufs Übelste. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch herausgefunden, dass Craig sie permanent betrogen hatte. Kein Wunder, dass sie danach das Gefühl hatte, niemandem mehr trauen zu können.

Glücklicherweise war direkt nach der Trennung der Auftrag von Roxee gekommen und hatte sie voll und ganz in Anspruch genommen. Sie hatte deswegen öfters nach L. A. fliegen müssen und keine Gelegenheit gehabt, jemanden zu daten.

Als Eloise das Restaurant betrat, sah sie, dass Josh schon an ihrem reservierten Tisch saß. Er scrollte konzentriert durch etwas auf seinem Handy, und sie nutzte die Gelegenheit, ihn in aller Ruhe zu betrachten. Kein Zweifel, er war genauso heiß, wie sie ihn seit morgens in Erinnerung hatte. Außerdem gefiel ihr sein Stil. Er war lässig gekleidet und trug zu der schwarzen Leinenhose einen dunkelbraunen Kaschmirpullover, dessen Ärmel er hochgerollt hatte.

Nach dem Fiasko mit Craig vor über einem Jahr hatte sie niemanden mehr gedatet. Hin und wieder war sie mit einem Freund, dem sie vertraute, essen gegangen, aber das war auch schon alles. Eloise wunderte sich selbst darüber, wie zufrieden sie damit war, Single zu sein. Es bedeutete, dass sie ihr Leben zu ihren eigenen Bedingungen leben konnte. So konnte sie bis tief in die Nacht arbeiten, ohne dass ein Partner ihr vorwarf, dass sie ihn vernachlässigte. Und sie musste sich auch keine Gedanken darüber machen, was der andere so trieb, während sie arbeitete.

Natürlich fühlte sie sich manchmal ein bisschen einsam. Besonders an dem Morgen, als sie mit Daisy in den Park gegangen war, war ihr aufgefallen, wie viele Paare es dort gab, und zwar jeden Alters. Von Teenagern, die sich eng umschlungen hielten bis hin zu alten Grauhaarigen, die sich an den Händen hielten. Einen Moment lang hatte sie den Eindruck gehabt, als wäre sie ganz allein in einer Welt voller Paare. Aber dann war Daisy auf einen anderen Single gestoßen, wahrscheinlich der attraktivste Mann im ganzen Park. Und dieser Mann wartete jetzt in ihrem Lieblingsrestaurant auf sie. Ein unverbindliches Date, mit dem keinerlei Erwartungen verknüpft waren. Das war genau das, was sie jetzt brauchte.

In diesem Moment schaute er hoch und lächelte sie an. Ihre Blicke trafen sich, und einen langen Moment lang verstummten die Geräusche um Eloise herum – das Klappern des Geschirrs, die gedämpfte Konversation im Raum. Sie spürte, wie es ihr durch und durch ging und fragte sich: Was passiert hier gerade? Dann erwiderte sie sein Lächeln und steuerte auf den Tisch zu.

Die Bewunderung, die sich in seinen Augen widerspiegelte während er aufstand, um sie zu begrüßen, sagte ihr, dass das rosafarbene Kleid eine gute Idee gewesen war. Dazu trug sie ein Jäckchen in einem helleren Pink, silberne Kreolen und silberne High Heels.

„Sie sehen wunderschön aus. Ist das eine Ihrer eigenen Schöpfungen?“

„Natürlich“, erwiderte sie und nickte stolz.

Dann ließ sie sich ihm gegenüber nieder. Sie bestellten zuerst die Getränke und dann das Essen. Komischerweise war keiner von beiden verlegen, obwohl dies ihr erstes Date war. Stattdessen unterhielten sie sich so angeregt miteinander wie vorhin im Park.

„Wo ist Daisy?“, fragte er und schaute sich suchend um.

„Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde sie hierhin mitbringen?“

„Nun, ich hätte mich gefreut, sie wiederzusehen“, erwiderte er mit einer Aufrichtigkeit, die ihr sehr gefiel. Craig hatte immer so getan, als würde er Hunde lieben. Doch dann hatte er irgendwie ganz nebenbei gesagt, dass er ihr nie erlauben würde, einen Hund zu halten, wenn sie erst einmal verheiratet waren. Ihr nie erlauben würde! Das war wahrscheinlich der Moment gewesen, ab dem ihre Gefühle für ihn sich zu verändern begannen.

„Sie ist zuhause und schläft. Erschöpft vom Herumrennen im Park, und dann war sie noch stundenlang im Atelier.“

„Sie nehmen Ihren Hund mit zur Arbeit?“

„Das ist einer der Vorteile, wenn man sein eigener Boss ist. Natürlich passe ich auf, dass sie nicht in die Nähe der Stoffe kommt.“

„Arbeiten Sie immer am Wochenende?“

Sie beugte sich vor. „Na klar, wenn es nötig isr. Für manche Kunden passt es am Wochenende besser. Ich nehme die letzte Anprobe für das Brautkleid meist persönlich vor, statt das meinen Mitarbeitern zu überlassen.“

„Dann sitze ich also gerade mit einer Perfektionistin zusammen?“

Sie lachte. „Wenn Sie wollen, können Sie mich gern einen Workaholic nennen. Das würde mir nichts ausmachen. Ich möchte einfach, dass das Kleid am Ende perfekt ist, das schulde ich meinen Kundinnen.“

„Das Endprodukt ist ja auch nicht gerade billig.“

Sie nickte. „Ja, wir verwenden nur beste Materialien, und das hat eben seinen Preis.“ Dann sah sie ihn misstrauisch an. „Woher wissen Sie, wie viel meine Kleider kosten? Hey, Moment mal!“ Sie hob die Hand. „Haben Sie mich etwa gegoogelt?“

„Natürlich. Sie mich etwa nicht?“

Eloise errötete. „Doch. Ja, ich muss es zugeben. Es sieht so aus, als würde Ihnen die halbe digitale Welt gehören. Das haben Sie mir vorhin aber nicht gesagt, sie waren mir gegenüber sehr bescheiden.“ Sie erwähnte nicht, dass er auf der Liste der begehrtesten Junggesellen stand.

„Genau wie Sie. Die Brautschöpferin der Stars. Wahrscheinlich sind Sie inzwischen berühmter als Roxee selbst.“

Sie grinste. „Ja, das kann schon sein. Jedenfalls ist mein Geschäft durch die Decke gegangen, nachdem sie mir den Auftrag für ihr Brautkleid gegeben hatte. Ich musste mehr Personal einstellen und bin öfters in die USA geflogen, weil danach weitere Aufträge aus ihrem Bekanntenkreis gekommen waren.“

Josh nickte. „Offensichtlich haben Sie es bis an die Spitze gebracht.“

„Kann schon sein. Aber um ehrlich zu sein, mag ich es nicht, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Ich hasse Interviews!“

„Geht mir genauso, aber manchmal gehört Trommeln eben zum Handwerk“, erwiderte er. „Allerdings betrifft das nur mein Business. Mein Privatleben geht niemanden etwas an.“

In diesem Moment kam der Kellner mit der Vorspeise – Austern aus Sydney für ihn und Salat mit geräucherter Forelle für sie.

„Wie ist es dazu gekommen, dass Sie es beruflich so weit gebracht haben?“, erkundigte er sich.

„Ach, wissen Sie, mir ist das gar nicht so wichtig, für wen ich arbeite. Ich entwerfe auch Brautkleider für Verkäuferinnen, die jeden Cent für ihren wichtigsten Tag im Leben gespart haben.“

„Das meine ich nicht“, entgegnete Josh und legte seine Gabel neben den Teller. „Ich meinte, wann haben Sie sich als kleines Mädchen gesagt, dass Sie irgendwann einmal Kleider für internationale Superstars entwerfen würden?“

Eloise sah ihn an und zögerte. „Also, um ehrlich zu sein, wollte ich eigentlich Meerjungfrau werden, wenn ich groß bin.“

Er lachte. „Süß.“

„Keine Ahnung, warum, denn eigentlich schwimme ich nicht mal gern. Ich glaube, es hing mit der Vorstellung einer glitzernden Schwanzflosse zusammen. Vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang mit einem perlenbestickten Brautkleid.“

„Wie dem auch sei, auf jeden Fall sind Sie anscheinend sehr kreativ“, sagte er bewundernd und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

Eloise nickte. „Ja, schon als kleines Mädchen habe ich Farben und Stoffe über alles geliebt. Aber am meisten hatten es mir Kleider angetan. Meine australische Großmutter hatte zwar mit Mode nichts am Hut, doch sie hat mir das Nähen und Sticken beigebracht. Später, als ich elf wurde, hat sie mir zum Geburtstag eine Nähmaschine geschenkt, und ab da habe ich schon meine eigenen Kleider entworfen. Meine Mutter hat sich darüber immer gewundert, denn sie ist Wissenschaftlerin, müssen Sie wissen. Inzwischen darf ich auch ihre Kleider entwerfen, was mir sehr viel Spaß macht.“

Er betrachtete sie aufmerksam. „Dann geraten Sie also nicht nach Ihren Eltern?“

Sie zuckte die Achseln. „Nein, ich glaube nicht. Offensichtlich bin ich die einzige Kreative in einer Familie von Intellektuellen und Wissenschaftlern. Aber ich bin ja auch adoptiert worden, deshalb ist das keine große Überraschung.“

Immer, wenn Eloise anderen Leuten davon erzählte, dass sie als Kind adoptiert worden war, versuchte sie möglichst gleichmütig zu klingen, als wäre das keine große Sache. Doch sie würde nie vergessen, wie schockiert sie darüber gewesen war, als sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren hatte. Es hatte ihr undefiniertes Gefühl bestätigt, dass sie nicht ganz in diese Familie von pragmatischen Akademikern hineingehörte. Aber ihre Welt hatte sich damals von einem Tag auf den anderen verändert. Das Gefühl, verraten worden zu sein und anderen nicht trauen zu können, hatte sich tief in ihre Seele gebrannt.

„Leider weiß ich nichts über meine richtige Familie, außer dass meine leibliche Mutter anscheinend in einem Kaufhaus gearbeitet hat. Vielleicht habe ich mein Faible für Mode ja von ihr“, setzte sie noch hinzu.

Ihre Adoptiveltern und sie hatten lange vergeblich versucht, mehr über ihre Abstammung herauszufinden. Und irgendwann hatte Eloise sie gebeten, mit der Suche aufzuhören, denn sie hatte keinen Sinn darin gesehen. Zumal sie den Eltern verziehen hatte, denn schließlich hatte man sie voller Liebe aufgenommen. Im Gegensatz zu ihrer Ursprungsfamilie, die sie im Stich gelassen hatte.

Manchmal, wenn sie herrenlose Hunde bei einer Familie unterbrachte, von der sie wusste, dass man gut für die Tiere sorgen würde, dachte Eloise an die Sozialarbeiterin, die damals dafür gesorgt hatte, dass sie bei den Evans unterkam. Hatte diese dasselbe für sie empfunden?

Doch jetzt wollte Eloise nicht weiter darüber nachdenken, denn das Thema war einfach zu schmerzhaft. Zu wissen, dass sie nicht gewollt gewesen war, war einfach unerträglich. Unabhängig davon, was für ein Glück sie mit ihren Adoptiveltern gehabt hatte.

„Und was ist mit Ihrem leiblichen Vater?“

„Vater unbekannt“, erwiderte Eloise und bemühte sich erneut um einen leichten Ton, indem sie die Anführungszeichen mit den Fingern andeutete.

„Tut mir leid“, sagte er betroffen.

„Das muss es nicht. Ich hätte mir keinen besseren Dad als meinen Adoptivvater wünschen können. Oder meine Adoptivmutter, die sich immer rührend um mich – den Kuckuck in ihrem Nest – gekümmert und mich zu allem ermutigt hat.“ Dabei hatte ihre Mutter sie natürlich nie so genannt. Es war ihre eigene Beschreibung für ihren Platz in der Evans Familie. „Sie meinte, es wäre für sie ausgesprochen abenteuerlich gewesen, mich aufwachsen zu sehen.“

Wahrscheinlich stimmte das auch, aber es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Eloise sich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass die beiden nicht ihre leiblichen Eltern waren. Doch danach hatte sie sich geschworen, die beste Tochter zu werden, die sie nur sein konnte, denn schließlich hatten die beiden sie ja gerettet.

„Und Sie glauben, dass Sie Ihre Kreativität von Ihrer leiblichen Mutter geerbt haben?“

Sie nickte. „Ja, davon bin ich überzeugt.“

„Trotzdem klingt es so, als wären Ihre Adoptiveltern großartige Menschen.“ Es schwang ein Unterton in seiner Stimme mit, den Eloise sich nicht ganz erklären konnte.

„Ich hatte großes Glück“, erwiderte sie ernsthaft. „Die beiden haben mich geliebt und gefördert, wo sie nur konnten. Wissen Sie, als Teenager habe ich einen Wettbewerb für angehende Modedesigner gewonnen, und mein Vater war danach unglaublich stolz auf mich. Er meinte, selbst ein Doktortitel hätte ihn nicht so glücklich machen können.“

„Sie hatten wirklich Glück“, pflichtete Josh ihr bei. „Es klingt wie die perfekte Kindheit, wenn es so etwas überhaupt gibt.“

Eloise spielte mit ihrer Serviette. „Also, ich hoffe, es klingt nicht undankbar, aber ich würde sagen, es war fast die perfekte Kindheit. Denn etwas hat trotzdem immer gefehlt.“

„Nämlich?“, fragte er gespannt.

„Eine Schwester“, sagte sie wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe mich immer nach einer Schwester gesehnt und nicht nach einem Bruder, obwohl ich Jungen wirklich gern mag. Aber ich habe meine Mom immer angefleht, dass sie mir eine Schwester schenken sollte. Stellen Sie sich vor, ich habe sie damals sogar gezeichnet. Und als ich die Zeichnung meiner Mutter gezeigt habe, hat sie gelacht und gemeint, sie sähe aus wie ich. Sie hat die Zeichnung immer noch.“

Josh räusperte sich laut. Es klang so, als habe er sich verschluckt, und sie schob ihm ein Glas Wasser rüber.

„Wirklich amüsant“, sagte er, nachdem er es in einem Zug ausgetrunken hatte. „Dass Sie ein Selbstporträt gezeichnet haben, meine ich.“

Eloise hatte den Eindruck, dass er das alles andere als amüsant fand. Aber sie wusste nicht, warum.

In diesem Moment brachte der Kellner den Hauptgang. Sie war froh über die Unterbrechung, denn sie hatte das Gefühl, als hätte sie die ganze Zeit nur über sich gesprochen. Josh war wirklich ein aufmerksamer Zuhörer, und es fiel ihr überraschend leicht, sich ihm anzuvertrauen.

Sie probierte ihre panierte Hühnerbrust an Trüffelöl und erkundigte sich, wie sein Steak schmeckte.

„Haben Sie Geschwister?“ Es war an der Zeit, etwas mehr über ihn zu erfahren.

Er lachte. „Ich dachte, Sie haben mich gegoogelt.“

„Ja, aber nur flüchtig.“

Er sah sie eindringlich an. „Und auf den Skandal sind Sie nicht gestoßen?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

Ein Skandal wäre ihr bestimmt aufgefallen. Sie sah ihn unsicher an. Bis jetzt hatte sie einen ziemlich guten Eindruck von ihm gewonnen, aber man wusste ja nie, mit wem man es wirklich zu tun hatte.

Josh zuckte die Achseln. „Gut, dann erzähle ich es Ihnen besser gleich.“

Er trank einen Schluck Wein und blieb einen Moment lang stumm. Dann gab er sich einen Ruck.

„Genau wie Sie hatte ich eigentlich eine ziemlich idyllische Kindheit. Ich wurde in eine der besten Familien Bostons hineingeboren. Wir hatten ein Herrenhaus auf dem Beacon Hill, und die Geschichte meiner Familie zieht sich über Generationen hinweg. Damit war mein Platz in der Gesellschaft eigentlich schon gesichert. Ich hatte einen großen Bruder, den ich vergötterte. Einen Vater, der zwar ein bisschen distanziert war, den ich aber trotzdem immer sehr geliebt habe. Und eine Mutter, die alles für mich tat. Und doch … genau wie Sie habe ich mich immer wie ein Kuckuckskind gefühlt, so als würde ich nicht richtig dazugehören. Dazu kam noch, dass mein Bruder Jura studiert hat, um einmal die Firma meines Vaters übernehmen zu können. Ich hingegen war eine komplette Enttäuschung für meine Familie. Ich war lieber draußen, um Fußball zu spielen, statt viele Stunden in der Bibliothek zu verbringen. Das Einzige, womit ich etwas anfangen konnte, waren Mathematik und Computer, alles andere hat mich nicht interessiert.“

„Aber es muss doch in jeder Familie einen Rebellen geben, oder?“

Er lächelte dünn. „Ja, das dachte ich eigentlich auch. Aber dann musste ich mit sechzehn eine Blutuntersuchung machen, und dabei hat sich herausgestellt, dass ich nicht der Sohn meines Vaters sein konnte.“ Er machte eine kleine Pause und zuckte die Achseln. „Danach brach die Hölle aus, wie Sie sich wahrscheinlich vorstellen können. Meine Mutter gab zu, eine Affäre gehabt zu haben, und wir beide wurden aus der Familie ausgeschlossen.“

Eloise starrte ihn an. „Das ist ja furchtbar! Aber wenn Sie mir die Bemerkung verzeihen … das klingt für mich mehr wie eine Tragödie als ein Skandal!“

„In Ihren Ohren vielleicht. Aber damals war es ein Skandal, und wir waren das Stadtgespräch in ganz Boston.“

„Das … das muss schrecklich für Sie g...

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