Liebe mit Meerblick

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Seine Augen sind stürmisch wie das Meer, um seinen Mund spielt ein spöttisches Lächeln: Kates Herz sinkt! Wie soll sie sich bloß mit dem Rechtsanwalt Grant McMurtrie einigen? Er besitzt Land, das sie für ihre Schützlinge - bedrohte Seehunde - braucht. Schwierig, da Grant ihren Traum von heiler Natur nicht teilt! Soll Kate aufgeben oder heimlich hoffen? Denn manchmal schaut Grant sie zärtlich an. Fast, als ob er ihre Leidenschaft bewundert. Fast, als ob er sich eine gemeinsame Zukunft wünscht. Fast, als ob die große Liebe keine bedrohte Art ist …


  • Erscheinungstag 22.04.2012
  • Bandnummer 1946
  • ISBN / Artikelnummer 9783864941443
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Hochachtungsvoll … Kate.

Grant schnaubte verächtlich. Wann hatte Kate Dickson im Umgang mit seinem Vater je Hochachtung bewiesen? Sie und ihre Bande von Ökofritzen waren ganz allein für die Verstümmelung von Leo McMurtries Farm verantwortlich. Und für seinen Tod, der bald darauf gefolgt war.

Die Leute in der Stadt mochten ja glauben, dass Leo ein schwaches Herz gehabt hatte, aber drei Menschen wussten es besser: Leos bester Freund, der Bürgermeister der Stadt, der Arzt und Grant, der einzige Sohn, der seinen Vater in der Garage auf dem Fahrersitz seines Autos gefunden hatte – bei laufendem Motor. Leo war an den Abgasen erstickt.

Kate Dicksons Brief lag offen auf Leos Küchentresen. Grant hatte das Schreiben, wie auch alles andere, unberührt gelassen, bis der Arzt gekommen und die Beerdigung vorbei war.

Jetzt ließ er den Blick darüber schweifen.

Lassen Sie uns über die Pufferzone verhandeln … die Robben schützen … die Farmtätigkeit einschränken … Bedaure …

Zuerst Hochachtung, jetzt Bedauern.

Wer’s glaubt

Zeugte es etwa von Hochachtung, wenn man einem alten Mann so lange zusetzte, bis er einen auf sein Land ließ, und dann dafür sorgte, dass die fast dreißig Kilometer Küstenstrich auf seiner Farm mit strengen Naturschutzgesetzen belegt wurden? Oder wenn man einen Gefallen mit Verrat vergalt? Kate Dickson nannte sich Wissenschaftlerin und bezeichnete ihre Arbeit als Forschung, aber sie war nichts weiter als ein sentimentales Sensibelchen, das sich unbedingt einen Namen machen wollte.

Auf Kosten seines Vaters.

Grant entging die Ironie nicht, dass er sich erst nach dem Tod seines Vaters auf dessen Seite geschlagen hatte. Er zerknüllte den Brief mit der zierlichen Handschrift – wer schrieb denn heutzutage noch Briefe mit der Hand? – und verdrängte Kate Dickson aus seinen Gedanken.

Ein schrilles Klingeln ließ ihn zusammenzucken, und er griff ohne zu überlegen nach dem Telefon. „McMurtrie.“

Es herrschte kurz Stille. Der Anrufer schien zu zögern. „Mr McMurtrie?“

Grant begriff die Verwirrung sofort. „McMurtrie junior.“

„Oh. Entschuldigen Sie. Ist Ihr Vater da? Könnte ich bitte mit ihm sprechen?“

Ihm war, als hätte man ihm einen Schlag verpasst. Der Mann, der ihn aufgezogen hatte, war nie wirklich für ihn da gewesen und würde es auch jetzt nie mehr sein. „Nein.“

„Kommt er heute noch zurück? Ich hatte gehofft, ihn …“

Es musste der Stimme nach eine junge Frau sein, die etwas atemlos auf ihn einredete. Und ihm fiel nur eine Frau ein, die gestern nicht auf Leo McMurtries Beerdigung gewesen war. Nur ihr konnte sein Tod entgangen sein. Grants Blick fiel auf den Brief. „Miss Dickson, nehme ich an?“

„Ja.“

„Miss Dickson, mein Vater ist letzte Woche gestorben.“

Ihr schockiertes Aufkeuchen klang echt. „Das wusste ich nicht. Es tut mir so leid“, erwiderte sie mit erstickter Stimme.

Ja, das glaube ich gern. Ausgerechnet jetzt, so kurz vor deinem Ziel, musste er sterben. Da er genau das sagen würde, wenn er den Mund aufmachte, antwortete er lieber gar nicht.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte sie leise. „Kann ich irgendetwas tun?“

Diese auf dem Land noch allgemein übliche nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft brachte ihn einen Moment aus der Fassung. Die Frau kannte ihn überhaupt nicht, und doch klang ihre Betroffenheit aufrichtig. Das ärgerte ihn fast noch mehr als alles andere. „Ja. Sie können Ihre Leute von meinem Grundstück fernhalten. Sie und Ihre Truppe sind hier nicht länger willkommen.“

„Mr McMurtrie …“

„Sie mögen ja meinen Vater beschwatzt haben, Sie auf das Land zu lassen, aber diese Vereinbarung ist jetzt null und nichtig. Es wird keine weiteren Verhandlungen darüber geben.“

„Aber wir hatten ein Abkommen.“

„Wenn dieses Abkommen nicht schriftlich vorliegt und das fett gedruckte Wort ‚unbeschränkt‘ beinhaltet, haben Sie nichts.“

„Mr McMurtrie.“ Ihre Stimme wurde hart.

Aha, jetzt zeigen wir also doch unsere Krallen.

„Bei dem Abkommen mit Ihrem Vater ging es nicht nur um ihn. Auch die Gemeinde unterstützt es und stellt außerdem die Geldmittel bereit. Sie können nicht einfach aussteigen, so tragisch die Umstände auch sein mögen.“

„Nein? Lassen Sie sich überraschen.“

Das Niederknallen des Hörers auf das altmodische Telefon war das Befriedigendste, das er in der letzten Woche getan hatte. Außerdem tat es gut, jemandem die Schuld zu geben. Dann brauchte er nicht den Mann zu beschuldigen, den er verloren und dem er sich schon im Alter von neunzehn Jahren völlig entfremdet hatte.

Nichts würde ihm seinen Vater zurückbringen, den er verlassen hatte, noch bevor er volljährig gewesen war. Aber eins konnte er für ihn tun – die Farm für ihn retten.

Er konnte sie nicht leiten. Dazu war er heute noch viel weniger in der Lage als damals, da er mit sechzehn Jahren alles hinter sich gelassen hatte. Aber er konnte sie einigermaßen in Schuss halten und an einen Interessenten verkaufen. Was wahrscheinlich nicht im Sinn des Verstorbenen war, doch Grant hatte sich nie nach Leos Vorstellungen gerichtet und würde auch jetzt nicht damit anfangen.

Obwohl er hier aufgewachsen war, hatte er nie Farmer werden wollen. Leo McMurtries Tod änderte daran nicht das Geringste.

Öfter, als ihr lieb war, hatte Kate Dickson auf dieser Veranda gestanden und sich für eine Diskussion gewappnet. Ganze zwölf Monate hartnäckigen Überredens – ja, fast Bettelns – waren nötig gewesen, bis Leo McMurtrie Kates Team auf sein Land gelassen und ihnen erlaubt hatte, eine drei Jahre dauernde Forschung auf seinem Grund und Boden durchzuführen. Und ausgerechnet jetzt, im letzten und entscheidenden Jahr, war sie wieder da, wo sie angefangen hatte.

Und zu allem Übel war ihr Gegner auch noch Anwalt.

Ihre Suche im Internet hatte sie über Leo McMurtries einzigen Sohn Grant aufgeklärt. Er war Fachanwalt für Vertragsrecht und kam aus der City.

Wenn sie Glück hatte, würde der persönliche Kontakt ihr helfen.

Sie klopfte an die frisch lackierte Holztür und strich unbewusst über ihr bestes Geschäftsoutfit. Kostüme mit engen Röcken und taillierten Blazern waren sonst gar nicht ihr Fall, aber für Anlässe wie diesen bewahrte sie gleich zwei davon in ihrem Schrank auf.

Es tat sich nichts. Kate blickte sich nervös um. Hätte sie besser vorher anrufen sollen, oder hätte er ihren Anruf doch nur ignoriert? Jemand war zu Hause, denn sie hörte Musik, die aus dem hinteren Teil des Farmhauses zu kommen schien. Also klopfte sie wieder und wartete.

„Komm schon, McMurtrie …“

Als sich noch immer niemand blicken ließ, probierte Kate die Klinke. Die Tür ließ sich tatsächlich öffnen. Die Lautstärke der Musik nahm zu.

„Hallo?“, rief sie und hoffte, man konnte sie über die kreischende Heavy-Metal-Musik hinweg hören.

Nichts.

Leise fluchend ging sie den Flur hinunter und auf den ohrenbetäubenden Lärm zu. Der Geruch von Farbe hing in der Luft, und die Möbel in den frisch gestrichenen Räumen, an denen sie vorbeikam, waren mit ausgeblichenen alten Laken mit Blümchenmuster bedeckt. Kate stutzte. Die Vorstellung, dass Leo McMurtrie in diesem altmodischen, romantisch geblümten Bettzeug geschlafen hatte, passte einfach nicht zu dem harten Mann, den sie gekannt hatte.

Andererseits hatte sie ihn ja kaum gekannt. Leo war kein Mensch gewesen, der einen an sich heranließ.

„Hallo?“ Lieber Himmel, wo steckt er denn bloß? Sie ging weiter.

„Was zum Teufel …“

Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Mann vor ihr, und Kate lief gegen ihn wie gegen eine feste, harte Wand. Der Aufprall war heftig genug, dass sie nach hinten taumelte. Instinktiv griff sie nach Halt und erwischte einen Farbeimer, der auf einem Tisch neben ihr stand. Der Eimer kippte, der Mann wollte ihn packen, und es gab ein kurzes Handgemenge, bevor sie es schafften, den Eimer wieder aufzustellen und zu verhindern, dass sich noch mehr Farbe auf die Holzdielen ergoss.

Das Nächste, was Kate bemerkte, nachdem ihr aufgefallen war, was für unglaublich gepflegte, kräftige Hände der Mann hatte, waren seine meergrünen Augen, mit denen er sie nicht gerade freundlich anstarrte.

Hastig versuchte sie, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Eine Farblache bildete sich zu ihren Füßen, Farbe tropfte von ihrer Kleidung auf den Boden.

„Oh …“

„Rühren Sie sich nicht vom Fleck!“, fuhr Leo McMurtries Sohn sie an und stellte den Eimer vorsichtig außer Reichweite. Es brauchte eine Weile, bis er den größten Teil der Lache zu ihren Füßen mithilfe einiger Lappen beseitigt hatte. Denn so schnell er auch wischte, von Kates Blazer tropfte die Farbe noch schneller.

„Ziehen Sie die Jacke aus.“

Kate gefiel sein herrischer Ton gar nicht, aber sie musste einsehen, dass ihr Blazer, der das meiste abbekommen hatte, das Problem war. Also zog sie ihn aus, knüllte ihn ohne weitere Umstände zusammen und warf ihn auf die voll gesogenen Wischtücher, die in der Ecke lagen.

Sie sah, dass Mr McMurtrie den Blick auf ihren Rock heftete.

„Der bleibt an“, sagte sie fest.

Das Lächeln um seinen Mund verschwand, kaum dass es erschienen war. Er verbarg es hinter einer finsteren Miene und ging plötzlich vor Kate in die Hocke. Ohne ein Wort an sie fing er an, die Farbe mit bloßen Händen von ihrem Rock zu wischen. Schockiert spürte Kate die Berührung auf ihren Schenkeln und an der Hinterseite ihrer Beine, als er sie umschlang, um ihr Halt zu geben.

Wie erstarrt blieb sie stehen, stumm und beschämt, und kam sich wie das kleine Mädchen vor, das sie geglaubt hatte, ein für alle Mal hinter sich gelassen zu haben – das Mädchen, das gegen niemanden aufbegehrte. Als McMurtrie junior fertig war, richtete er sich auf und sah sie stumm an. Die faszinierenden Augen beherrschten ein ovales, ebenmäßiges Gesicht. Kurzes strohblondes Haar und ein unrasiertes Kinn rundeten das Bild ab. Sein Hemd, das die Farbe seiner Augen großartig zur Geltung brachte, wie Kate nebenbei auffiel, stand halb offen und enthüllte einen Goldring an einem Lederband, den er um den Hals trug, und noch mehr strohblondes Haar auf der breiten sonnengebräunten Brust.

Er presste die Lippen zusammen, als er sah, in welche Richtung Kates Blick gewandert war.

Verlegen beeilte sie sich, die Dinge auf eine professionelle Grundlage zurückzubringen. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und rückte ihre Brille zurecht. So gut es eine über und über mit Farbe bekleckerte Frau nur konnte, straffte sie sich und streckte McMurtrie die Hand entgegen.

Zu spät bemerkte sie die Farbe an ihren Fingern. Na prima, wahrscheinlich zierte Farbe jetzt auch ihr Haar und ihre Brille. Resigniert ließ Kate die Hand sinken.

„Mr McMurtrie …“

„Noch nie was von Klopfen gehört?“, unterbrach er sie unbeeindruckt.

Sie sah ihn nachdenklich an. Vielleicht trauerte er gar nicht. Vielleicht war er einfach von Natur aus so mürrisch. Wie der Vater, so der Sohn. Obwohl sie allmählich richtige Zuneigung zu dem unerträglichen alten Herrn gefasst hatte, war er am Anfang wirklich sehr anstrengend gewesen.

„Noch nie was von einem geplatzten Trommelfell gehört?“, rief sie mit vielsagend gehobenen Augenbrauen.

Erst da schien ihm bewusst zu werden, in welcher Lautstärke die Musik aus den Boxen dröhnte. Er wandte sich um und stellte sie ab. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, hatte er zwei Knöpfe an seinem Hemd geschlossen. Was Kate einen winzigen Moment lang bedauerte.

„Danke.“ Ihre Stimme klang ein wenig zu laut in der plötzlichen Stille. „Hören Sie Ihre Rockmusik immer in voller Lautstärke?“

„Besser als zu trinken.“

Kate runzelte die Stirn. Was hatte das eine mit dem andern zu tun? Sie holte tief Luft und machte einen neuen Anlauf. „Ich bin Kate Dickson. Sie müssen Grant McMurtrie sein.“

„Und Sie müssen heute in Bestform sein, so schnell, wie Sie kapieren.“

Sie achtete nicht auf den Sarkasmus in seiner Stimme. „Sie haben meine Anrufe nicht beantwortet.“

„Nein.“

„Meine E-Mails auch nicht.“

„Nein.“

„Also bin ich persönlich gekommen.“

„Das sehe ich.“ Er ließ den Blick langsam über ihre ruinierte Bluse gleiten. „Tut mir leid wegen Ihres Kostüms.“

Kate zuckte die Achseln. „Es gefiel mir sowieso nicht.“

„Warum tragen Sie es dann?“

„Gesellschaftliche Erwartungen.“

Er betrachtete sie nachdenklich. „Was würden Sie denn lieber tragen?“

„Einen Taucheranzug.“

„Ach ja. Ihre Robben.“

Insgeheim gratulierte Kate sich zu ihrer geschickten Art, das Thema anzuschneiden, das ihr wichtig war. Sie hatte sehr viel zu verlieren, wenn dieses Gespräch nicht nach Wunsch verlief, und zwar nicht nur ihr Projekt. „Ich muss meine Forschungen fortsetzen, Mr McMurtrie.“

„Dann werden Sie sich einen anderen Strand suchen müssen, Miss Dickson.“

„Der größte Teil der Untersuchungen hat aber hier stattgefunden. Ich kann jetzt nicht einfach an einen anderen Ort gehen. Ebenso wenig wie die Kolonie Robben, die ich untersuche. Sie kehren seit Jahren immer wieder zu dieser kleinen Bucht zurück.“

„Ich weiß. Ich bin hier aufgewachsen.“

Ach ja, das stimmt ja, dachte Kate. Erregung packte sie. „Erinnern Sie sich, wie die Kolonie damals war?“

Er schloss kurz die Augen, als langweile er sich. „Wie sollte ich nicht? Ich verbrachte schließlich fast jeden Tag mit den Tieren.“

Kate erstarrte. „Wirklich?“

Eine ganze Weile sah er sie nur an, bevor er sagte: „Machen Sie sich keine Hoffnungen, Miss Dickson. Das bedeutet nicht, dass ich irgendwelche Informationen für Sie habe. Meine Antwort ist und bleibt Nein.“

„Warum?“

„Ich brauche keinen Grund. Das ist ja das Schöne am australischen Eigentumsrecht – mein Land, meine Spielregeln.“

Kate holte ihre wirkungsvollste Waffe hervor. Ihre einzige Waffe. „Nein, das stimmt nicht ganz.“ Seine Miene verfinsterte sich, aber Kate ließ sich nicht aufhalten. „Technisch betrachtet, ist es nicht Ihr Land. Noch nicht.“

„Was Sie nicht sagen“, antwortete er fast drohend.

„Ich weiß, dass sechs bis acht Wochen vergehen können bis zur Eröffnung des Testaments und seinem Inkrafttreten. Bis dahin gehört diese Farm immer noch Ihrem Vater. Und seine Abmachung mit mir gilt.“

Jedenfalls hoffte sie das von ganzem Herzen.

Grant McMurtries wütender Gesichtsausdruck ließ sie unwillkürlich schützend die Arme vor der Brust verschränken. Er sah aus, als würde er sie am liebsten ermorden.

„Sie glauben, ich verfüge nicht über die nötigen Beziehungen, um die Prozedur schneller durchzuziehen? Ich bin Anwalt, Miss Dickson. Aber wahrscheinlich sollte ich Sie Dr. Dickson nennen, da es, wie mir scheint, besser ist, wenn wir im Umgang miteinander förmlich bleiben.“

„Dr. Dickson war mein Vater. Ich ziehe es vor, Sie nennen mich Miss Dickson oder Kate.“ Sie holte tief Luft. „Aber das ist völlig nebensächlich. Mir wurde gesagt, selbst mithilfe von Mauscheleien würden die Formalitäten nicht weniger als sechs Wochen dauern.“

„Ich nehme keine Zuflucht zu Mauscheleien, Miss Dickson“, warf er sichtlich verärgert ein. „Ich wende lediglich das Recht an.“ Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. „Was glauben Sie denn, wird sich in sechs Wochen ändern?“

„Vielleicht nichts. Aber vielleicht werden Sie erkennen, wie wichtig die Arbeit ist, die wir leisten.“

„Für wen?“

„Für die Wissenschaft. Für die Zukunft der Umweltforschung in den Ozeanen.“

„Für Sie.“

Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig unter ihren kurzen Atemstößen. „Ja, für mich. Die Robben sind mein Lebenswerk.“

Und alles, was sie hatte.

Sein leises Schnauben und das schiefe Lächeln wirkten seltsam sympathisch und doch gleichzeitig auch beleidigend. „Bringen Sie dieses Argument noch einmal vor, wenn ‚Lebenswerk‘ mehr bedeutet als fünf oder sechs Jahre.“

„Sagt wer? Methusalem? Wie alt sind Sie? Vierzig?“ Sie wusste natürlich, dass er jünger war.

Er holte Luft. „Fünfunddreißig.“

Recht jung, um so erfolgreich zu sein, wie die Informationen über ihn im Internet besagten. Irgendetwas musste ihn sehr angetrieben haben. Kate appellierte an diesen Ehrgeiz. „Hat Ihnen noch nie irgendetwas so viel bedeutet, dass Sie bereit gewesen wären, alles dafür aufzugeben?“

Grant sah sie finster an und vergrub die farbverschmierten Hände in den Hosentaschen. In seiner Jugend hatte er nur vor einer Zukunft auf dieser Farm fliehen wollen, die ihm wie ein Todesurteil vorgekommen war. Er hatte seinen eigenen Weg finden wollen. Zehn Jahre waren vergangen, bevor er begriffen hatte, dass ihm das nicht gelungen war. Und weitere neun Jahre, in denen er auf ein Zeichen gewartet hatte, das ihm zeigen würde, welchen Weg er als Nächstes einschlagen sollte.

Dieses Zeichen war in Form eines späten, beunruhigten Anrufs gekommen – vom Bürgermeister von Castleridge, der ihm mitteilte, dass Leo McMurtrie nicht an der Gemeindeversammlung teilgenommen hatte und weder ans Telefon noch an die Tür ging. Grant hatte die dreistündige Fahrt in zwei Stunden hinter sich gebracht und gemeinsam mit dem Bürgermeister die Tür aufgebrochen.

Nun wies Grant mit der ausgestreckten Hand auf besagte Tür – eigentlich war es eine neue, frisch lackierte – und ließ Miss Dickson vorausgehen. Ohne ihren ruinierten Blazer konnte er sehen, wie eng sich die cremefarbene Bluse an ihren Körper schmiegte. Einen Moment stockte ihm der Atem.

Nicht dass sie ihn mit ihrem Aufzug hätte bezirzen wollen. Ihr Outfit war angemessen für eine geschäftliche Besprechung. Dabei hätten die meisten Frauen mit einem solch aufregenden Dekolleté es auch garantiert zu ihrem Vorteil eingesetzt. Er selbst mit seinem halb offenen Hemd war viel unprofessioneller gewesen.

Allerdings hatte er sie ja nicht eingeladen, also musste sie nehmen, was sie kriegen konnte. „Bitten Sie mich nicht, Verständnis zu zeigen, Miss Dickson. Ihr Lebenswerk hat meinen Vater zerstört.“

Sie stand im Gegenlicht der untergehenden Sonne, sodass Grant nicht sehen konnte, ob sie blass wurde, aber sie erstarrte merklich. Eine ganze Weile verging, bevor sie antwortete, und in ihrer Stimme lag Betroffenheit. „Das kann nicht wahr sein.“

„Ist es aber.“

Es schien ihm, als wäre sie wirklich erschüttert. Sein Gewissen machte ihm ein wenig zu schaffen, weil er ihr einen solchen Schlag versetzte. Um ein Haar hätte er sogar behauptet, dass sie seinen Vater auf dem Gewissen hatte.

Sie strich nervös ihren Rock glatt und erinnerte Grant daran, wie seidig sich die Haut ihrer Beine unter seinen Händen angefühlt hatte. Hastig verdrängte er den Gedanken.

„Mr McMurtrie“, sagte sie mit schmerzerstickter Stimme, „es war nicht leicht, mit Ihrem Vater auszukommen, aber ich respektierte ihn. Wir hatten oft miteinander zu tun, und ich bilde mir ein, dass wir am Ende zu einer Art Übereinstimmung gelangt waren.“

Das war mehr, als er von sich behaupten konnte. Am Ende waren Grant und sein Vater einander völlig entfremdet gewesen.

„Die Andeutung, meine Arbeit und die meines Teams könnten zu seinem Tod beigetragen haben, ist …“ Sie schluckte mühsam. „Trotz all seiner Fehler war Ihr Vater ein Mann, der sein Land und alles, was es an Lebendigem darauf gab, liebte. Zum Schluss war ihm die Robbenkolonie genauso wichtig wie sein Viehbestand. Er hatte ein Verantwortungsgefühl für die Tiere entwickelt. Die Robben machten ihm Freude, keinen Kummer.“

„Wunschdenken, Kate?“

Sie drehte sich leicht zur Seite, sodass Grant ihr Stirnrunzeln sehen konnte.

Und er griff mit methodischer Zielstrebigkeit an, wie er es gelernt hatte. „Vor knapp einem Monat erhielt mein Vater eine Benachrichtigung, in der es hieß, sechzig Quadratkilometer des Küstenstrichs würden gesperrt, bis man entschieden hätte, ob sie zum Naturschutzgebiet erklärt werden sollten. Dieses Gebiet erstreckt sich zwei Kilometer ins Land hinein, den ganzen Küstenstrich entlang. Das ist ein Drittel seines Grundbesitzes, Kate.“

Sie senkte den Blick und schien einen Moment nach den richtigen Worten zu suchen. „Ja. Ich wusste von den Gesprächen.“

„Dann dürfte es Sie nicht überraschen, dass ihn das sogar dazu getrieben hat, sich …“

Grant hielt sich im letzten Moment zurück, als ihm bewusst wurde, was es für sie bedeuten würde, zu erfahren, dass sie für den Selbstmord eines Menschen verantwortlich war. „… sich große Sorgen zu machen“, endete er.

Sie nickte bedächtig. Ihre Miene drückte tiefen Kummer aus. „Wenn er es nicht gewollt hätte, könnte ich es mir vorstellen, dass er besorgt war. Aber er arbeitete mit uns zusammen.“

Aus welchem Grund, konnte nur sein Vater wissen. Alan Sefton jedoch verwahrte ein ausführliches Testament in seinen Akten, das nur wenige Wochen vor Leos Tod verfasst worden war und in dem er Grant Tulloquay überschrieb. Und in diesem Testament stand kein einziges Wort über den Schutz der Robben oder eine Teilnahme an irgendwelchen Forschungen. Soweit es Grant anging, vertraute er einem juristischen Dokument in jedem Fall mehr als einer Fremden.

„Niemals hätte mein Vater freiwillig ein Drittel seines Landes einem Haufen Ökofritzen überschrieben. Er liebte diese Farm.“

Wieder senkte sie den Blick. „Er war kein Mann, der irgendetwas halbherzig tat.“

Allmählich begann ihm aufzugehen, dass sein Vater und diese Frau eine Art Beziehung miteinander gehabt hatten. Keine herkömmliche, da war er sicher, denn sein Vater war ein schwieriger Mensch gewesen. Aber ihr Entsetzen am Telefon und die Traurigkeit, die er jetzt in ihren Augen erkannte, machten es Grant auf einmal deutlich bewusst. Und er vergaß seinen eigenen Kummer und seine Wut gerade lange genug, um zu erkennen, dass Leo McMurtries Tod diese junge Frau, die seit zwei Jahren mehrere Tage die Woche auf seiner Farm verbracht hatte, sehr wohl getroffen haben konnte.

Aber er durfte sich nicht von seinen Empfindungen beeinflussen lassen. Wahrscheinlich hatte sein Vater am Ende genau das getan – ihr Mitgefühl und väterliche Zuneigung entgegengebracht. Grants Blick ruhte auf der zierlichen, auf ungekünstelte Weise schönen jungen Frau. Vielleicht war die Zuneigung auch nicht nur väterlicher Natur gewesen.

Und man konnte ja sehen, wohin es ihn geführt hatte.

Entschlossen straffte Grant die Schultern. „Sobald das Testament für rechtsgültig erklärt wird, muss Ihr Team sich einen anderen Spielplatz für seine Forschungen suchen. Bitten Sie einen der anderen Farmer an der Küste um Zugang.“

„Glauben Sie nicht, dass ich das viel lieber getan hätte, als so lange mit Ihrem Vater zu verhandeln? Dieser Platz hier ist der einzig passende. Wir brauchen eine leicht zugängliche Bucht, in der wir schnell zwischen die Robben und das Wasser gelangen können.“

„Dann werden Sie sich etwas einfallen lassen müssen. Sobald es in meiner Macht steht, werde ich meine Gatter vor Ihren Robbenforschern verschließen. Es ist nur fair, Sie zu warnen.“

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Warnen, ja. Aber fair? Trotz all seiner Fehler war Ihr Vater wenigstens ein anständiger Mann.“

Damit drehte sie sich um, ging über die Veranda und die Treppe hinunter zu ihrem zerbeulten alten Kleintransporter.

Kaum die Art von Fortbewegungsmittel, die man mit einer so gut aussehenden Frau in Verbindung bringen würde. Sie stieg ein, ohne ihre langen Beine sonderlich zur Schau zu stellen.

In diesem Moment kam ihm die erste Ahnung, weswegen sein Vater sich schließlich doch noch von Kate Dickson hatte überreden lassen. Nicht, weil sie ihr Aussehen benutzt hatte, um ihren Willen durchzusetzen, sondern weil sie es nicht getan hatte.

Sie war eine faszinierende Mischung aus Verstand, Schönheit und Würde, und ganz offensichtlich liebte sie dieses Land.

Kein Wunder, dass sein Vater nachgegeben hatte. Genau diese Dinge hatte er an Grants Mutter geliebt.

2. KAPITEL

Die drohende Gefahr, ihre Robben bald zu verlieren, weckte ganz plötzlich die Sehnsucht in Kate, sie zu sehen. Ganz privat, selbst wenn das Timing falsch war.

Sie trug ungeeignete Schuhe und völlig unpassende Kleidung, und es war die falsche Tageszeit. Aber sie würde es trotzdem tun.

Die Robben waren in den vergangenen paar Jahren das Einzige gewesen, das ihr Halt gegeben hatte, und der Gedanke, sie verlassen zu müssen, machte ihr Angst.

Während sie in ihrem Wagen Rock und Bluse auszog und gegen ihren Taucheranzug tauschte, lauschte sie dem kräftigen Wind, der vom Antarktischen Ozean hereinwehte. An einem gewöhnlichen Arbeitstag trug sie meistens einen Overall – das Praktischste, das man je erfunden hatte, warm, trocken und bequem. Aber nicht besonders attraktiv.

Die Männer in ihrem Team sahen in ihr nicht die Frau, sondern eine Kollegin, bei der Geschlecht und Aussehen keine Rolle spielten. Wenn man sechs Stunden am Tag damit beschäftigt war, Robben-Ausscheidungen zu untersuchen, gerieten romantische Gedanken wohl automatisch in den Hintergrund. Kate konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal wie eine richtige Frau gefühlt hatte.

Vor etwa zwanzig Minuten.

Obwohl Grant McMurtrie wütend gewesen war, hatte er Gefühle in ihr geweckt, die sie fast schon vergessen hatte. Sie spürte ein aufregendes Kribbeln, seit er sie mit seinem frechen Blick gemustert hatte.

Die etwa dreißig Schafe, die auf dem kargen Weideland grasten, wandten sich gelangweilt von ihr ab, als sie ihre verschmutzten Sachen und die Schuhe auf den Rücksitz warf und den Reißverschluss an ihrem Taucheranzug hochzog. Barfuß tastete sie sich am Rand des Steilufers voran zum Anfang des kaum sichtbaren Pfades, der an den schroffen Felsen hinunterführte – der oft eingeschlagene Weg des Teams zur Bucht. Der Pfad war da gewesen, als sie ihn entdeckt hatten, und sicher schon seit Generationen benutzt worden. Aber er war gefährlich schmal, gerade breit genug für eine zierliche Frau.

Oder einen kleinen Jungen.

Grant McMurtrie musste als Kind unzählige Male hierhergekommen sein. Welcher abenteuerlustige kleine Bursche hätte nicht den Weg zu den Gefahren einer steilen Klippe gesucht, wo es alles gab, was das Herz begehrte – stürmische Windböen und wilde Tiere.

Etwa zwei Dutzend dunkler Köpfe hoben sich, als sie langsam den Pfad herunterkam. Die Robben hatten sich inzwischen an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt. Nur ein, zwei Tiere blieben wachsam, die übrigen ließen sich wieder auf die Felsen plumpsen und fuhren fort, sich träge in der Sonne zu rekeln. Kate musste über die typische Szene lächeln. Einige rundliche Jungtiere alberten am Wasserrand herum, grunzten, jagten einander und kämpften verspielt, als müssten sie all ihre Energie verbrauchen, bevor sie aufwuchsen und genauso schwerfällig wurden wie ihre Mütter, die faul auf den Felsen herumlagen.

Oder wie ihre älteren Brüder, die weiter oben an der Küste versammelt waren. Oder ihre Väter, die den größten Teil des Jahres ihrer eigenen Wege gingen, aber während der Paarungszeit mit den Weibchen zusammentrafen.

Eine der jungen Robben quietschte. Es war erstaunlich, dass sie die Menschen überhaupt duldeten, wenn man bedachte, dass Kate und ihr Team sie jeden Monat einmal einfingen und zum Wiegen in Wollsäcke packten. Aber die Jungtiere schienen es als einen normalen Teil ihres Lebens zu betrachten, ein Spiel.

Autor

Nikki Logan
Nikki Logan lebt mit ihrem Partner in einem Naturschutzgebiet an der Westküste Australiens. Sie ist eine große Tierfreundin. In ihrer Menagerie tummeln sich zahlreiche gefiederte und pelzige Freunde. Nach ihrem Studium der Film- und Theaterwissenschaften war Nikki zunächst in der Werbung tätig. Doch dann widmete sie sich ihrem Hauptinteresse: dem...
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