Liebeskummer lohnt sich nicht

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Ist das peinlich! Live im Radio macht sie ihrem Verlobten am Valentinstag einen Heiratsantrag, und er sagt Nein! Am liebsten will sich Georgia nur noch verkriechen. Da bietet ihr der attraktive Alex Rush, Geschäftsführer des Senders, ein heißes Anti-Ex-Programm an …


  • Erscheinungstag 13.06.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529822
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Valentinstag 2014

Geh endlich zu. Bitte.

Georgia Stone fühlte die Blicke von sechs Angestellten in ihrem Rücken, als sie in den Aufzug von Radio EROS trat. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein Redakteur mit unverhohlener Neugierde den Hals über seinen Computerbildschirm streckte. Seine Kollegin rollte auf ihrem Drehstuhl eigens ein Stückchen zur Seite, um sie besser beobachten zu können. Georgia wusste, dass sie nicht ewig auf die Rückwand des Fahrstuhls starren konnte. Also drehte sie sich langsam um, reckte das Kinn vor und flehte die Aufzugtüren schweigend an, sich zu schließen. Sie für ein paar Sekunden von ihrem Elend zu erlösen.

Fang jetzt bloß nicht an zu weinen.

Noch nicht.

Allmählich ließ die Schockstarre nach. Zurück blieben ein tiefer, ziehender Schmerz und die Gewissheit, sich selbst gerade bodenlos gedemütigt zu haben.

Sie hatte es eben noch geschafft, den beiden entgeisterten Moderatoren zu danken, bevor sie aus dem Studio gestolpert war. Ihre britische Höflichkeit war einfach nicht unterzukriegen. Selbst jetzt nicht, obwohl Radio EROS die Sendung über Lautsprecher in jedes einzelne Büro auf jeder einzelnen Etage übertragen hatte. Das erklärte auch die neugierigen Blicke.

Alle hier wussten Bescheid. Georgia war selbst schuld daran. Der groß angekündigte Valentinstag-Heiratsantrag war soeben absolut und hundertprozentig schiefgelaufen. Noch dazu in aller Öffentlichkeit.

Georgia hatte Daniel einen Antrag gemacht, und er hatte abgelehnt – so nett, wie es unter den Umständen möglich war. Aber sein geflüstertes „Ist das ein Witz, George?“ blieb ein Nein, egal, wie man es betrachtete. Und um sicherzugehen, hatte Daniel es noch deutlicher formuliert: „Das zwischen uns beiden war nie auf eine Ehe ausgerichtet. Ich dachte, das wüsstest du.“

Nein, eigentlich nicht, sonst hätte sie sich die Frage gespart.

„Darum war unsere Beziehung doch auch perfekt“, hatte Daniel nachgeschoben.

Ach so. Darum?

Zugegeben, Dan und sie waren gemächlich dahingetrieben wie zwei Blätter im Teich von Wakehurst, aber sie hatte geglaubt, dass auch Dahintreiben einen irgendwohin brachte. Offenbar hatte sie sich in diesem Punkt getäuscht.

„Nun geh schon zu, um Himmels willen.“ Normalerweise redete Georgia nicht mit Gegenständen, nicht mal im Flüsterton. Doch der Fahrstuhl schien sie verstanden zu haben, denn seine glänzenden Chromtüren begannen sich zu schließen.

„Halten Sie den Aufzug an!“, rief da plötzlich jemand.

Stocksteif stand Georgia da. Ihr Magen zog sich zusammen. Im letzten Moment schob sich eine Hand in die schmale Lücke zwischen den beiden Türen und drückte sie wieder auseinander.

„Offenbar haben Sie mich nicht gehört“, sagte der große, dunkelhaarige Mann und bedachte Georgia mit einem flüchtigen, alles andere als freundlichen Blick. Dann kehrte er ihr den Rücken zu. Einen Rücken, der in einem teuren Anzug steckte.

Nein, Sie haben mich offenbar nicht gehört, als ich mich vor ganz London zum Idioten gemacht habe, dachte Georgia bitter. Wäre es anders gewesen, hätte der Mann sie nämlich sicher mit mehr Interesse betrachtet. So, wie jeder Mensch sie ab sofort sehr interessiert betrachten würde. Allen voran ihre Kollegen und die von Daniel. Georgia stöhnte auf.

Der Mann sah sie über die Schulter hinweg an. „Wie bitte?“

Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten, wohl wissend, dass sie nicht blinzeln durfte. Sonst wären die Tränen, die in ihren Augen brannten, übergeflossen. Sprechen konnte sie auch nicht, deshalb schüttelte sie nur den Kopf.

Der Mann drehte sich wieder um.

Georgia starrte auf die erleuchtete Taste, die sie gedrückt hatte. Erdgeschoss. Dann auf die Taste, die ihr Begleiter gedrückt hatte. Untergeschoss. „Verzeihung.“ Sie räusperte sich, um den Kloß im Hals loszuwerden. „Wissen Sie, ob es im Untergeschoss einen Zugang zur Straße gibt?“

Er musterte sie, fragte aber nicht, warum sie das wissen wollte. „Ja. Allerdings ist er elektronisch gesichert.“

Ihr Herz sank. Also konnte sie es sich abschminken, unbemerkt hier herauszukommen. Sie musste in den sauren Apfel beißen und am belebten Empfang vorbeigehen. „Danke.“

Seine grauen Augen wurden schmal. „Ich fahre durch die Sperre. Wenn Sie möchten, können Sie hinter mir rausschlüpfen.“

Rausschlüpfen. Hatte er das Wort zufällig gewählt, oder wusste er Bescheid? „Ja, gern. Vielen Dank.“

„Halten Sie sich dicht hinter mir.“

„Wie bitte?“, fragte Georgia verständnislos.

„Zuerst hält der Aufzug im Erdgeschoss. Dort sind ziemlich viele Leute. Ich schirme Sie ab.“

Sein Mitgefühl machte es ihr noch schwerer, die Tränen zurückzuhalten. Der Fremde hatte ihren Reinfall also doch mitbekommen. Da er allerdings den Ahnungslosen mimte, beschloss sie, es ihm gleichzutun. Als die Fahrstuhltüren sich am Empfang von Radio EROS öffneten, trat sie einen Schritt nach links, direkt hinter den Mann. Ein leiser Seufzer entschlüpfte ihr. Privatsphäre und jemanden, der sie beschützte – beides hatte sie heute wohl für alle Zeiten verspielt.

„Mr Rush“, sagte eine Frau, die vor dem Aufzug stand.

Der Mann nickte. „Alice. Abwärts?“

„Nein, ich muss nach oben.“

Er zuckte die Schultern. „Wird nicht lange dauern.“

Die Türen glitten wieder zusammen, ohne dass jemand zugestiegen wäre. Verstohlen wischte Georgia die Träne weg, die ihr über die Wange kullerte. Ihr Begleiter drehte sich nicht um. Sobald sie im Untergeschoss ankamen, trat er aus dem Aufzug und hielt ihr die Tür auf.

Georgia betrat die dunkle Tiefgarage. Es war kalt. Sie hatte ihren Mantel oben im Studio vergessen, aber sie wollte lieber frieren, als jemals wieder einen Fuß in den Sender zu setzen.

Der Mann sah sie nicht an. Er lächelte auch nicht. „Warten Sie am Tor“, sagte er nur und ging mit langen Schritten auf einen dunkelgrauen Jaguar zu.

Wie in Trance gehorchte Georgia. Gleich darauf näherte sich der Jaguar. Der Mann musste eine Fernbedienung im Wagen haben, denn das breite Stahlgitter hob sich langsam.

Er ließ das Fenster auf der Beifahrerseite heruntersurren. Georgia bückte sich ein wenig, um ihn anzusehen. Einer von ihnen beiden sollte jetzt etwas sagen, fand sie. Das konnte ebenso gut sie selbst sein: „Nochmals danke.“ Für die Zuflucht im Fahrstuhl und dafür, dass er ihr hier heraushalf.

Seine Augen verschatteten sich. „Viel Glück.“ Er setzte eine kostspielige Sonnenbrille auf und fuhr nach draußen.

Georgia blickte ihm hinterher. Seltsam, mit welchen Worten er sich verabschiedet hatte. Vielleicht wusste er ja, wie dringend sie etwas Glück gebrauchen konnte.

Verdammt.

Noch nie war Alekzander Rush eine Fahrt in einem Aufzug derart lang vorgekommen. Eingeschlossen auf zwei Quadratmetern mit einer schluchzenden Frau. Na gut, direkt geschluchzt hatte sie nicht. Dennoch konnte er ihren Schmerz deutlich spüren, und zwar von dem Moment an, als er sich in den Fahrstuhl gedrängt hatte. Da war es zu spät für einen Rückzieher gewesen. Sie hätte sich nur noch mieser gefühlt.

Er wusste, wer sie war. Allerdings hatte er nicht geahnt, dass sie ausgerechnet in dem Aufzug stehen würde, den er noch schnell erwischen wollte. Sonst hätte er sich Zeit gelassen.

Sie musste aus dem Studio geflohen sein, sobald der Sender den ersten Song zum Valentinstag spielte. Genau wie Alekzander selbst. Er wollte die Zentrale am anderen Ende der Stadt erreichen, bevor man ihn hinzitierte.

Lieber agieren als reagieren. Es lag ihm nicht, ergeben auf den Anruf eines Vorgesetzten zu warten. Diesen Triumph, diese Macht gönnte er niemandem.

Bis er sich durch den Londoner Berufsverkehr gekämpft hatte, würde er eine Lösung für das Chaos parat haben, das Radio EROS vorhin live gesendet hatte. Die Niederlage würde er in einen Sieg verwandeln. Genau darin lag seine Stärke. Dafür hatte man ihn eingestellt – obwohl er diese Art von Lösungen im Grunde verabscheute.

Niemand im Team hatte damit gerechnet, dass der Typ Nein sagen könnte. Wer, bitte schön, lehnte in einer Livesendung einen Heiratsantrag ab? Während der Sendung nahm man ihn an. Später konnte man das Ja immer noch zurückziehen, wenn man wollte. Jedenfalls würden es fünfundneunzig Prozent aller Londoner so machen.

Offenbar war dieser Typ Mr-Fünf-Prozent.

Andererseits: Wer machte jemandem im Radio einen Antrag, ohne zu wissen, wie die Antwort ausfiel? Vielleicht war sich die Frau ja sicher gewesen. Sie wäre nicht der erste Mensch, der auf die harte Tour herausfand, dass er sich irrte.

Mitgefühl ließ ihn das Lenkrad fester greifen. Wer im Glashaus saß, warf besser nicht mit Steinen.

Er hatte ihren Gesichtsausdruck sofort erkannt. Jenen Ausdruck, der besagte, dass man lieber acht Stockwerke in die Tiefe stürzte, statt den Fahrstuhl verlassen und unter Leute gehen zu müssen.

Wenigstens hatte sich seine eigene Niederlage damals auf zweihundert Verwandte und Freunde von ihm und Lara beschränkt, während Georgia Stones Niederlage heute Gesprächsthema in ganz London und morgen auch über die Stadtgrenzen hinaus sein würde.

Auf Letzteres spekulierte er, obwohl er es lieber nicht auf Kosten des Kummers eines Mitmenschen getan hätte. Ganz so skrupellos war er denn doch nicht. Noch nicht.

Alekzander widerstand der Versuchung, auf die Hupe zu drücken, als der Verkehr ohne ersichtlichen Grund zum Erliegen kam.

Georgia Stone würde nicht lange leiden. Groß und hübsch, mit dunklen kurzen Locken … Irgendwie rührend, wie sie sich für den Anlass gekleidet hatte. Etliche Mitarbeiter von Radio EROS würden im Schlafanzug zur Arbeit kommen, wenn sie dürften. Georgia hingegen hatte ein schlichtes zartrosafarbenes Kleid mit Spaghettiträgern angehabt, wie gemacht für eine Hochzeit. Vorausgesetzt, man heiratete an einem Strand auf Barbados. Für Februar war das Kleid viel zu dünn. Vielleicht waren Anträge in der Öffentlichkeit nicht das einzige Thema, das Ms Stone nicht zu Ende dachte?

Vielleicht suchte er aber auch nur nach Gründen, warum er keine Schuld an dieser Sache trug. Immerhin hatte er die Aktion zum Valentinstag abgesegnet. Auch das kitschige Motto: „Braucht Ihr Liebster einen kleinen Schubs?“ Aber die Hörer standen nun mal auf Kitsch. Deshalb war die Werbung für die Sendung ja auch so gut angekommen.

Das hatte die Fahrt im Aufzug noch unangenehmer gemacht. Blass war Georgia Stone gewesen. Und höflich. Mehrmals hatte sie sich bedankt, während ihr das Herz brach. Als wäre er jemand, der ihr aus der Sache – und aus dem Gebäude – heraushalf, und nicht der Mann, der sie erst in diese unerträgliche Situation gebracht hatte.

Von ihm stammte der Vertrag, den sie unterschrieben hatte. Sie war auf die Werbung seines Senders angesprungen, und nun lag ihr Leben in Trümmern. Trotzdem dankte sie ihm. Eine gut erzogene Frau. Ziemlich jung, schätzungsweise fünfzehn Jahre jünger als er selbst.

Mit einer Hand schaltete Alekzander das Telefon am Armaturenbrett ein und rief sein Büro an. „EROS, die beste Adresse für die beste Musik. Sie sind verbunden mit dem Büro von Mr Rush. Mein Name ist Casey. Was kann ich für Sie tun?“

Den Spruch muss ich kürzen, beschloss er. „Ich bin’s. Ich brauche ein Detail aus dem Vertrag mit dem Valentins-Mädchen.“

„Moment.“ Seine Assistentin beschwerte sich nicht über die ausgebliebene Begrüßung. Sie wusste, dass das Leben zu kurz für Floskeln war. „Okay. Was wollen Sie wissen, Alex?“

„Das Alter.“

„Achtundzwanzig.“

Okay, dann war er nur neun Jahre älter. „Vertragsdauer?“

Casey überflog offenbar den Text. „Zwölf Monate. Endet am nächsten 14. Februar mit einer Fortsetzungssendung.“

Zwölf Monate im Leben der beiden Verlobten. Verlobungsparty, Hochzeit, Flitterwochen. Alles auf Kosten von EROS. 50.000 Pfund durfte das Ganze kosten. Für diese Summe erklärten sich viele Leute bereit, den privatesten, bedeutsamsten Moment öffentlich zu machen. Die Summe war nicht übertrieben, wenn man berücksichtigte, welche Aufmerksamkeit die Aktion erregen würde. Jetzt erst recht. Aufmerksamkeit bescherte Hörer, Hörer brachten Werbung, und die wiederum brachte Einnahmen.

Dummerweise würde die Fortsetzung am 14. Februar 2015 wohl keine Sternstunde des Radios abgeben – womit Alex wieder beim schwächsten Glied in der Kette war. „Casey, schick mir den Vertragstext auf mein Handy und ruf Rods Assistentin an. Sag ihr, dass ich in einer halben Stunde bei ihnen bin.“

„Alles klar.“

Er verzichtete auf eine Abschiedsfloskel. Noch etwas, wofür das Leben zu kurz war.

Zwölf Monate boten reichlich Zeit, um Material zu sammeln. Wenn sie jetzt richtig vorgingen, konnte EROS eine Sendung auf die Beine stellen, die weniger flüchtig war als das meiste im Radio. Vielleicht zahlten sich die 50.000 Pfund doch noch aus, und zwar besser als erhofft.

Ein schwarzes Taxi überholte ihn und schnitt den Jaguar. Alex tat, was er schon seit zwanzig Minuten tun wollte: Er machte seinem Frust und seinen Schuldgefühlen endlich Luft, indem er ausgiebig hupte.

Den Rest der Strecke verbrachte er damit, einen Plan zu schmieden. Als er die Zentrale betrat, hatte er alles im Kopf. Den Weg nach vorn, raus aus dem Schlamassel.

„Alex …“, begann Rods Assistentin, als er an ihr vorbei in das Chefbüro gehen wollte. „Nigel ist gerade drinnen.“

Nigel Westerly, der Eigentümer des Senders. Kein gutes Zeichen. „Danke, Claire.“

Plötzlich wirkte der Plan nicht mehr ganz so wasserdicht. Nigel Westerly hatte eines der größten Vermögen des Landes angehäuft, und zwar bestimmt nicht durch Leichtgläubigkeit. Er war knallhart und unbarmherzig.

Alex straffte die Schultern. Wenn er schon gefeuert werden musste, dann wenigstens von einem der Männer, die er in England am meisten bewunderte. Auf jeden Fall würde er sich nicht ducken und darauf warten, dass man ihm einen Tritt verpasste. Schwungvoll stieß er die Tür zum Chefbüro auf. „Gentlemen …“

2. KAPITEL

Zum Glück gab es Saatgut. Und stille Laborräume. Und handverlesene Zugangsberechtigungen für diesen Teil der Zweigstelle von Kew Gardens in Wakehurst.

Das Gebäude des botanischen Gartens, in dem Georgia arbeitete, wirkte hell und optimistisch und spiegelte ihre Verfassung nicht im Mindesten wider. Wenigstens konnte man das Licht in dem kleinen Röntgenlabor dimmen, sodass es auf den ersten Blick aussah, als wäre sie gar nicht da. Perfekt.

Nach dem Desaster am Valentinstag hatte sie sich telefonisch krankgemeldet. Schließlich war es eine Art Krankheit, wenn man sich nicht aus dem Bett schleppen konnte. Am Donnerstag und Freitag hatte sie sich wieder zur Arbeit gewagt. Neben dem bemüht neutralen Lächeln einiger Kollegen und der Tatsache, dass andere Kollegen jeglichen Blickkontakt mieden, sah sie sich mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert – der längst überfälligen hausinternen E-Mail an die Abteilung für fleischfressende Pflanzen. Die Nachricht fiel kurz aus: „Es tut mir unendlich leid, Daniel. Du wirst mir fehlen.“

Sie wusste, dass es aus war. Dan würde ihr zustimmen, sobald er sich genügend abgeregt hatte, um wieder mit ihr zu reden. Sie konnte keine Minute länger in einer Beziehung bleiben, die sich immer nur im Kreis drehte. Nicht nach dem, was sie angerichtet hatte.

Georgia war heilfroh, dass sich durch die E-Mail ein persönliches Gespräch umgehen ließ. Ihre Beweggründe hätte sie ohnehin nicht plausibel erklären können, denn sie verstand sie selbst nicht richtig. Außerdem schob sie unangenehme Pflichten gern auf. Irgendwann würde sie Dan über den Weg laufen, sich unter vier Augen entschuldigen und ihre wenigen Sachen aus seiner Wohnung holen.

Die Sache mit der Beziehung war also geklärt. Blieb noch die mit dem öffentlichen Interesse …

Am Samstagnachmittag war das Labor nicht der schlechteste Ort, um den Anrufen und E-Mails von verwirrten Angehörigen und Freunden zu entgehen. Genau genommen war es sogar ein ziemlich guter Ort, denn zu dieser Zeit arbeitete kaum jemand, und sie hatte das ganze Labor für sich allein.

Scharen von Paparazzi hatte der verunglückte Heiratsantrag zwar nicht auf den Plan gerufen, aber Gesprächsthema war er nach wie vor. Überall. Georgia traute sich nicht, eine Zeitung aufzuschlagen oder das Radio einzuschalten, für den Fall, dass das Valentins-Mädchen erwähnt wurde.

Die Sympathien der Londoner waren geteilt. Eine Hälfte stand hinter Georgia, während die andere Hälfte zum bemitleidenswerten Dan hielt. Schwer zu sagen, was schlimmer war: die Kritik an Dan oder das Mitleid für sie selbst.

Hatte sie denn nicht gewusst, wie dämlich die Idee gewesen war? Doch, ja, inzwischen hatte sie eine recht gute Vorstellung davon bekommen. Aber es war ja nicht so, als hätte sie eines Morgens den unwiderstehlichen Drang verspürt, in sämtlichen Zeitungen zu stehen. Sie war davon ausgegangen, dass Dan Ja sagen würde. So viel zu ihrer Intuition.

Warum sie es unbedingt öffentlich hatte machen müssen? Weil ihre beste Freundin Kelly ihr versichert hatte, dass ihr Bruder bereit sei für den nächsten Schritt. Und weil Georgias Lieblingssender, Radio EROS, ständig Werbung für die Valentinstag-Sendung gemacht hatte, rauf und runter. „Braucht Ihr Liebster einen kleinen Schubs?“ Als wollte das Schicksal ihr zu verstehen geben, dass sie sich unbedingt für die Aktion bewerben musste.

Georgia rieb sich die pochenden Schläfen. Leider war es nicht nur um sie selbst gegangen, sondern auch um Dan. Und da sie Kelly nicht reinreißen wollte, hatte sie noch keine Antwort parat für den Fall, dass Dan seinen durchdringenden Blick aufsetzte und fragte: „Warum, George?“

Vorsichtig schob sie eine weitere Platte mit Samen in den Röntgenapparat und setzte sich vor den Computer. Wenig später hatte sie ein klares Bild vor sich. Es gab ein paar unbrauchbare Exemplare, wie immer, aber ansonsten war die Probe nicht übel. Georgia fasste die Ergebnisse zusammen und mailte sie einer Kollegin von der Abteilung für Saatgutkontrolle.

Instinktiv empfand sie Mitleid mit den Schoten, die innen verfault waren, und den Schalen, die sich gebildet hatten, obwohl kein Saatkorn existierte, das sie beschützen konnten. Untaugliche Exemplare verschwanden unter den zahllosen anderen Samen der Pflanze und brachten niemals etwas hervor. Ihre spezifische genetische Linie endete, weil sie keine Nachkommen produzierten.

Unbrauchbare Exemplare mussten sich allerdings keiner brauchbaren Mutter gegenüber rechtfertigen. Sie mussten auch nicht erleben, wie ihre brauchbaren Freundinnen brauchbare Familien gründeten und in brauchbare Vororte mit viel Platz für Kinder zogen.

Seufzend zog Georgia die Probe aus dem Röntgenapparat, verpackte sie entsprechend den Quarantänerichtlinien und griff zur nächsten Probe. 25.000 waren es insgesamt. Wie gut für ihren Arbeitgeber, dass ihr Wochen, vielleicht sogar Monate des Versteckens bevorstanden.

Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. „Georgia Stone“, meldete sie sich. Wer, bitte schön, rief an einem Samstag im Labor an?

„Tyrone vom Sicherheitsdienst. Hier ist ein Besucher für Sie, Ms Stone.“

Bloß nicht. „Ich erwarte niemanden, Tyrone. Sonst hätte ich den Namen bei Ihnen hinterlassen.“

„Das habe ich dem Herrn auch gesagt, aber er besteht darauf, Sie zu sehen.“

Ein Herr also. Vielleicht Daniel? Sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen, weil sie sich vor einer Aussprache gedrückt hatte. „W…wer ist es denn?“, fragte sie vorsichtig.

Nach einer kurzen Pause antwortete Tyrone: „Alekzander Rush. Mit einem K und einem Z, sagt er.“

Der Name kam Georgia entfernt bekannt vor, doch sie konnte ihn nicht auf Anhieb einordnen.

„Er sagt, er sei kein Journalist“, ergänzte Tyrone genervt. Sein Job bestand darin, Ausweise zu kontrollieren, nicht, den Vermittler für dreiste Besucher zu spielen.

„Okay, lassen Sie ihn durch. Ich hole ihn im Besucherzentrum ab. Danke, Tyrone.“

Sieben Minuten später hatte sie sich die Hände desinfiziert und drei Gebäude durchquert, um zum Treffpunkt zu gelangen. Es wimmelte von Ausflüglern, die das Hauptgebäude und die Gärten besichtigen wollten. Georgia blickte sich um – und sah ihn. Groß, dunkelhaarig, sportliche Kleidung. Der Mann aus dem Fahrstuhl von Radio EROS. Er trug etwas über dem Arm und betrachtete den Inhalt eines Schaukastens.

Mit diesem Menschen hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie atmete auf, weil es sich nicht um einen Verrückten auf der Suche nach dem Valentins-Mädchen handelte. Aber was wollte er hier?

Georgia ignorierte die neugierigen Blicke eines Pärchens, das offenbar versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, woher es sie kannte. Bis ihnen einfiel, dass sie sie in der Zeitung oder auch im Internet gesehen hatten, saß sie hoffentlich längst wieder im Labor. Sie steuerte auf den Besucher zu und sprach ihn leise an: „Alekzander mit einem K und einem Z?“

Er drehte sich zu ihr um. Seine Augen weiteten sich, als er ihren weißen Kittel und die Jeans registrierte. Es störte sie nicht, schließlich sah er ohne den Nadelstreifenanzug ebenfalls anders aus als bei ihrer ersten Begegnung.

„Alex“, sagte er und streckte ihr die rechte Hand entgegen.

Automatisch legte sie ihre hinein. Sein Händedruck war fest und selbstbewusst – alles, was ihrer nicht war.

„Alex Rush. Geschäftsführer von Radio EROS“, legte er nach.

Keine gute Nachricht.

Er hob den linken Arm, über dem etwas Beigefarbenes hing. „Sie haben Ihren Mantel im Studio vergessen.“

Der Geschäftsführer von einem der Top-Radiosender Londons fuhr mehr als sechzig Kilometer weit, um ihr einen Mantel zu bringen? Wohl kaum.

„Ein kleiner Preis dafür, möglichst schnell rauszukommen.“ Bisher hatte Georgia sich nicht erlaubt, an den Vertrag zu denken, der den Briefkopf des Medienkonzerns trug und zu Hause auf ihrem Schreibtisch lag. Jetzt tat sie es. Und sie vermutete, dass die Gedanken ihres Besuchers in dieselbe Richtung gingen.

Die beiden jungen Leute in ihrer Nähe steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Sie hatten sie erkannt. Alekzander bemerkte es auch. „Können wir unter vier Augen reden?“

„Möchten Sie mir denn noch etwas sagen?“, fragte Georgia zurück.

„Ja. Es dauert nicht lange.“

„Ich arbeite in einem Sicherheitsbereich, also kann ich Sie nicht mitnehmen. Lassen Sie uns nach draußen gehen.“ Nun hatte sie ja immerhin einen Mantel. Als Alex auf die breiten Türen des Besucherzentrums zustrebte, sagte Georgia nur: „Hinterausgang.“

Wenig später öffnete sie mit ihrer Mitarbeiterkarte eine schmale Tür, und sie standen vor Bethlehem Wood. Hier spazierten zwar auch einige Leute herum, aber mehr Einsamkeit war in dieser Gegend an einem Samstag nicht zu haben. Andere Frauen wären vielleicht ungern mit einem wildfremden Mann in einen Wald gegangen, doch Georgia erinnerte sich nur daran, wie er sie mit seinem breiten Rücken vor den neugierigen Augen beschützt hatte, als ihre Welt in sich zusammengestürzt war. Er wollte ihr bestimmt nichts antun.

„Wie haben Sie mich gefunden?“, erkundigte sie sich.

„Die Telefonnummer steht in unseren Akten.“

„Normalerweise arbeite ich samstags nicht.“

Alex nickte. „Zuerst war ich bei Ihrer Wohnung. Niemand hat aufgemacht, also bin ich hergefahren.“

„Ein Telefonat kam nicht infrage?“

„Ich habe drei Nachrichten auf Ihrem Anrufbeantworter hinterlassen.“

Ach so. „Ja, ich …“ Sie hatte keinen Schimmer, was sie sagen konnte, ohne erbärmlich zu klingen. „Bis zum Anrufbeantworter habe ich mich noch nicht vorgearbeitet.“

Er warf ihr einen Seitenblick zu. „Ich dachte mir, ein persönliches Gespräch bringt mehr.“

Da hatte er vielleicht sogar recht. Sie war allerdings noch nie berühmt für ihre Geduld gewesen. „Was kann ich denn für Sie tun, Mr Rush?“, kam sie zur Sache.

„Alex.“ Er zögerte. „Wie fühlen Sie sich eigentlich?“

Wie schon? Zurückgewiesen. Gedemütigt. Ungefähr acht Millionen Fremde lachten über sie. „Gut. Sehr gut.“

Er lächelte leicht. „Das ist die richtige Einstellung.“

Ihre Füße blieben wie von selbst stehen. „Ich möchte nicht unhöflich sein, Mr Rush, aber was wollen Sie von mir?“

Er stoppte ebenfalls und schaute sie an. Seine dunklen Augen blitzten amüsiert. „Das verstehen Sie unter unhöflich?“

Sie verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, blieb aber stumm. Schweigen war ihr neuer Verbündeter.

„Also gut, lassen Sie mich Klartext reden. Ich bin geschäftlich hier. Wegen des Vertrags.“

„Er hat Nein gesagt, Mr Rush. Dadurch lässt sich der Vertrag schwer erfüllen, finden Sie nicht auch?“ Georgia hörte selbst, wie verletzt sie klang. Es gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Ich kann nachvollziehen, wie …“

„Tatsächlich?“, unterbrach sie ihn. „Ziehen fremde Menschen über Ihr Privatleben her? In den sozialen Netzwerken, im Radio, im Bus, beim Bäcker?“

„Haben Sie schon überlegt, wie Sie diesen Umstand für sich nutzen könnten, statt ihm aus dem Weg zu gehen?“

„Ich will ihn gar nicht nutzen.“

„Nun, Sie hatten nichts dagegen, ihn für eine Gratis-Hochzeit mit allen Schikanen zu nutzen.“

Es lag nahe, dass er davon ausging. Georgia war es ganz recht, dass die Leute vermuteten, sie hätte es wegen des Geldes getan. Das war weniger peinlich als die Wahrheit. „Verstehe. Sie sind hier, weil Sie auf Ihre Kosten kommen wollen. Warum sagen Sie mir nicht einfach, was ich tun soll?“

Alex richtete den Blick seiner grauen Augen direkt auf sie: „Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, was für uns beide vorteilhaft ist.“

„Dass ich mit einer Zeitmaschine einen Monat zurückreise und den blöden Vertrag gar nicht unterschreibe?“ Georgia reckte das Kinn vor, fest entschlossen, ihr ausgeprägtes Harmoniebedürfnis zu ignorieren und sich nicht unter Druck setzen zu lassen. Darin hatte sie Übung, schließlich versuchte ihre Mutter es oft genug.

„Nein. Die Vergangenheit kann ich nicht ändern. Die Zukunft schon.“

„Wie bitte?“

Er zeigte auf eine Bank am Wegesrand und wartete, bis sie saß. Dann nahm er neben ihr Platz. „Die Medien reißen sich um Ihre Story. Sie finden Ihre … Situation faszinierend.“

„Meine Abfuhr, wollten Sie bestimmt sagen?“

Autor

Nikki Logan
Nikki Logan lebt mit ihrem Partner in einem Naturschutzgebiet an der Westküste Australiens. Sie ist eine große Tierfreundin. In ihrer Menagerie tummeln sich zahlreiche gefiederte und pelzige Freunde. Nach ihrem Studium der Film- und Theaterwissenschaften war Nikki zunächst in der Werbung tätig. Doch dann widmete sie sich ihrem Hauptinteresse: dem...
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