Liebesmärchen mit Happy End?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Der griechische Tycoon Anatole Kyrgiakis verführt die junge Tia, hat mit ihr eine exquisite Liebesaffäre, verwöhnt sie mit jedem erdenklichen Luxus. Doch als er klarstellt, dass er kein Mann zum Heiraten ist, verlässt sie ihn sofort. Ist er etwa auf eine Mitgiftjägerin hereingefallen?


  • Erscheinungstag 18.03.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521741
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dunkle, unheilvolle Wolken brauten sich am Himmel über dem kleinen Friedhof zusammen. Die Winterluft war kalt und feucht. Christine stand neben dem frisch ausgehobenen Grab und trauerte um den sanftmütigen Mann, der sie gerettet hatte, als sie von einem anderen Mann – einem, den sie mehr als alles andere auf der Welt begehrt hatte – im Stich gelassen worden war. Doch jetzt war auch Vasilis Kyrgiakis fort. Sein schon seit langem schwaches Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Und sie selbst war nun Witwe.

Witwe – das Wort hatte einen dumpfen Nachhall. Ja, sie war dreißig Jahre jünger gewesen als ihr Mann. Ein Umstand, der für Gerede gesorgt hatte. Dennoch waren ihr die Menschen der Gegend mit Freundlichkeit begegnet. Weil Vasilis überall geschätzt wurde und weil die prominenteste Familie der Grafschaft, die Barcourts, den griechischstämmigen Nachbarn und seine junge Frau akzeptierten. Also folgten die anderen ihrem Beispiel.

Was Christine anging, so hatte sie sich bedingungslos loyal und dankbar gegenüber ihrem Mann verhalten. Als der Vikar nun das Grab segnete und der Sarg langsam in die Erde hinabgelassen wurde, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

„Wir übergeben seinen Körper der Erde. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Und wir beten für seine Auferstehung …“

Der Vikar segnete das Grab ein letztes Mal, dann umfasste er Christines Arm und führte sie fort. Blind vor Tränen strauchelte sie. Um sich zu fangen, hob sie den Kopf – und erstarrte.

Ein dunkles Auto hatte neben dem Leichenwagen gehalten. Daneben stand ein Mann in schwarzem Anzug, groß und unbeweglich. Ein Mann, den sie nur zu gut kannte. Ein Mann, den sie fünf lange Jahre nicht gesehen hatte.

Der letzte Mann auf der Welt, den sie wiedersehen wollte.

Anatole stand wie angewurzelt da und beobachtete die Szene auf dem Friedhof. Sein Innerstes war in Aufruhr, dennoch konzentrierte sich sein Blick ausschließlich auf die schmale Gestalt ganz in Schwarz, die neben dem Pfarrer in seiner langen weißen Robe an dem offenen Grab seines Onkels stand. Der Onkel, den er nicht mehr gesehen hatte, seit er diese unfassbare Ehe eingegangen war.

Zorn erfasste Anatole.

Er war wütend auf sich selbst – und auf die Frau, die seinen viel zu gutmütigen Onkel dazu gebracht hatte, sie zu heiraten. Er wusste immer noch nicht, wie sie das geschafft hatte, aber es war seine Schuld, dass sie es überhaupt getan hatte.

Ich habe nicht vorausgesehen, welchen Ehrgeiz ich befeuern würde.

Es war ein Ehrgeiz, der sogar noch über ihren Versuch hinausging, Anatole einzufangen – als dieser Plan gescheitert war, hatte sie sich einfach seinem unglücklichen Onkel zugewandt. Schließlich war Vasilis ein eingefleischter Junggeselle und warmherziger Gelehrter gewesen, der völlig arglos durchs Leben ging und insofern eine leichte Beute für sie darstellte.

Als sie ihn jetzt bemerkte, zeichnete sich unverhüllter Schock auf ihrem Gesicht ab. Anatole drehte sich abrupt um, stieg in den Wagen und gab so viel Gas, dass der Kies zu beiden Seiten der Reifen aufspritzte.

Der Sturm in seinem Inneren katapultierte ihn zurück in die Vergangenheit.

Zu den Geschehnissen vor fünf langen Jahren …

Anatole trommelte mit den Fingern auf dem Armaturenbrett. Der Londoner Rush-Hour-Verkehr war die Hölle, selbst in dieser kleinen Seitenstraße musste er ständig halten. Doch es war nicht nur der Stau, der ihm schlechte Laune bereitete. Es war vor allem die Aussicht auf den bevorstehenden Abend.

Mit Romola.

In seine schwarzen Augen trat ein Funkeln, um den sinnlichen Mund ein harter Zug. Sie betrachtete ihn als brauchbaren Ehemann. Genau das behagte ihm überhaupt nicht.

Die Ehe war das Letzte, was er wollte. Nicht sein Ding, vielen Dank!

Warnend stand ihm das Beispiel seiner Eltern vor Augen. Beide hatten bereits mehrere Ehen hinter sich. Sie waren einander nie treu gewesen, und seine Mutter war gegangen, als er gerade mal elf Jahre alt gewesen war. Ihrem Kind eine intakte Familie zu bieten, hatte nie eine Rolle gespielt. Und auch jetzt, wo er in seinen Zwanzigern war, schien er nur dafür zuständig zu sein, die Kyrgiakis-Geldtruhen bis zum Anschlag zu füllen, um ihren aufwändigen Lebensstil und ihre teuren Scheidungen zu finanzieren.

Mit seinem erstklassigen Abschluss von einer der führenden Wirtschaftsuniversitäten und seinem hervorragenden Geschäftssinn fiel ihm das nicht schwer.

Was Romola anging, so hatte er gehofft, dass ihre eigene berufliche Karriere sie davon abhalten würde, ihn heiraten zu wollen. Doch leider war sie nicht anders als all die Frauen vor ihr – sie schien nur noch von dem Wunsch beseelt, Mrs. Anatole Kyrgiakis zu werden.

Ein unendlicher Überdruss erfüllte ihn.

Warum wollen sie mich immer heiraten?

Es war so verdammt nervig …

Ungefähr ein Dutzend Autos vor ihm sprang die Ampel auf Grün. Kurz darauf setzte sich die Schlange in Bewegung, und auch er trat aufs Gaspedal.

Genau in diesem Moment lief ihm eine Frau direkt vor den Wagen …

In Tias Augen brannten ungeweinte Tränen. Mit ihren Gedanken war sie nur beim armen Mr. Rodgers. Bis zum Schluss hatte sie an der Seite ihres kranken Patienten ausgeharrt. Am Morgen war der alte Herr schließlich verstorben, was bei Tia eine Flut an Erinnerungen an den Tod ihrer Mutter vor etwas weniger als zwei Jahren ausgelöst hatte.

Jetzt stolperte sie mit ihrem alten, unförmigen Koffer durch die Straßen, auf dem Weg zu ihrer Agentur. Sie musste das Büro vor Ladenschluss erreichen, um sich einen neuen Auftrag zu holen, denn als häusliche Pflegekraft besaß sie keine eigene Wohnung.

Eigentlich könnte sie die Straße genauso gut hier überqueren. Sie hob den schweren Koffer an und verließ den Bürgersteig …

Mit einem Reaktionsvermögen, das er selbst nicht für möglich gehalten hätte, trat Anatole auf die Bremse und hupte hektisch. Doch so geistesgegenwärtig er auch reagierte, zu seinem Entsetzten registrierte er, wie das Auto mit etwas kollidierte. Dann sah er, wie die Frau vor seinen Augen zusammenbrach.

Laut fluchend schaltete er das Warnblinklicht ein und stieg mit einem flauen Gefühl im Magen aus. Die Frau war auf der Straße auf die Knie gesunken. Eine Hand umklammerte den Koffer, der unter seiner Stoßstange verschwunden war; das Schloss hatte sich geöffnet, Kleider lagen über der Straße verteilt.

Derweil starrte ihn die Frau blicklos an. Ihr schien gar nicht bewusst zu sein, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte.

Da konnte er sich nicht mehr beherrschen. „Was zur Hölle haben Sie sich dabei gedacht? Sind Sie völlig verrückt geworden, einfach so auf die Straße zu treten?“

Die Erleichterung, dass offensichtlich nur der Koffer Schaden genommen hatte, ließ ihn laut werden. Der Frau war Gott sei Dank nichts geschehen, doch als er seine Tirade beendet hatte, brach sie unvermittelt in Schluchzen aus.

Sofort verpuffte sein Zorn, und Anatole hockte sich neben die weinende Frau. „Alles in Ordnung?“, fragte er. Seine Stimme klang jetzt nicht mehr wütend, doch als Antwort schluchzte sie nur noch mehr.

Offensichtlich nicht, beantwortete er seine eigene Frage.

Seufzend sammelte er die Kleider ein, stopfte sie wahllos zurück in den Koffer und bemühte sich vergeblich, das Schloss zu schließen. Dann nahm er sie beim Arm.

„Kommen Sie, ich bringe Sie erst mal wieder auf den Bürgersteig“, sagte er.

Er begann, sie auf die Füße zu ziehen. Da hob sie ihr Gesicht. Tränen strömten ihr über die Wangen, und sie schluchzte noch immer. Doch Anatole achtete nicht auf ihren emotionalen Ausbruch. Während er sie hochzog, registrierte er, dass die Frau wesentlich jünger war, als er zuerst gedacht hatte – und absolut zauberhaft.

Blondes Haar, herzförmiges Gesicht, blaue Augen, rosige Lippen …

„Ganz ruhig“, hörte er sich sagen. Seine Stimme klang nun viel beruhigender. „Es war zwar knapp, aber es ist ja noch mal alles gut gegangen.“

„Es tut mir so leid!“, stammelte sie schluchzend.

Anatole schüttelte den Kopf. „Alles okay. Es ist ja nichts passiert. Nur Ihr Koffer hat etwas abbekommen.“

Als sie den ramponierten Zustand ihres Koffers bemerkte, verzog sie das Gesicht. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hievte Anatole das Gepäckstück in den Kofferraum seines Wagens und öffnete die Beifahrertür.

„Ich fahre Sie, wohin Sie möchten. Hinein mit Ihnen“, wies er sie an, denn hinter ihnen war bereits eine Schlange entstanden. Mehrere Fahrer hupten laut.

Daher schob er sie sanft, aber bestimmt in seinen Wagen. Ihrem gestammelten Protest schenkte er keine Beachtung, sondern schaltete rasch das Warnblinklicht aus und startete den Motor.

„Wohin möchten Sie?“

Verständnislos schaute sie ihn an. „Ähm …“ Dann blickte sie sich um. „In diese Seitenstraße müssen Sie einbiegen.“

Anatole fuhr los. Da sie immer noch nur im Schritttempo vorankamen, warf er einen Blick auf seinen unerwarteten Fahrgast. Sie schniefte leise und wischte sich mit den Fingern die Tränen von den Wangen. Als sie erneut vor einer roten Ampel standen, fischte er sein sorgfältig gefaltetes Taschentuch aus dem Jackett, drehte sich zu ihr um und tupfte ihr eigenhändig die Tränen aus dem Gesicht. Dann wandte er sich wieder ab. Job erledigt.

Mit riesigen Augen schaute sie ihn an. Der Ausdruck darin ließ ihn innehalten.

Langsam, ganz langsam, lächelte er …

Tia starrte. Ihr Herz pochte wie wild.

Pechschwarzes Haar und ein Gesicht, als wäre es aus Stein gemeißelt … Augen wie dunkle Schokolade und wahnsinnig lange Wimpern. Unfassbar hohe Wangenknochen. Und dieser Mund … sinnlich und verschmitzt zugleich. Ich hab ein ganz flaues Gefühl im Magen, weiß nicht, wo ich hingucken soll, dabei möchte ich ihn einfach nur weiter anschauen, weil er genauso aussieht, als wäre er einem meiner Tagträume entsprungen. Dies ist der umwerfendste Mann, den ich je gesehen habe …

Wo hätte sie auch in dem beschränkten, eingeengten Leben, das sie bislang geführt hatte, einem solchen Mann begegnen sollen?

Nirgendwo! Ihre Jahre als Teenager hatte sie damit verbracht, ihre Mutter zu pflegen, und jetzt kümmerte sie sich um Kranke und Alte. Was romantische Eskapaden, Liebschaften, Mode oder Abenteuer anging, hatte sie weder Zeit noch Gelegenheit gehabt. Liebesgeschichten erlebte sie nur in ihrer Fantasie – wenn sie sehnsüchtig aus dem Fenster schaute. Doch der Mann neben ihr wirkte wie ein Fleisch gewordener Traum.

Tia schluckte. Sein Lächeln vertiefte sich, wodurch ein paar hinreißende Grübchen um seine Mundwinkel entstanden.

„Besser?“, fragte er sanft.

Stumm nickte sie. Es wollte ihr immer noch nicht gelingen, ihren Blick von ihm loszureißen. Sie hätte Stunden damit zubringen können, ihn einfach nur anzuschauen.

Doch mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie im Gegensatz zu ihm völlig unmöglich aussehen musste. Rote Augen, triefende Nase, Tränenspuren auf den Wangen, zerzaustes Haar und kein bisschen Make-up im Gesicht. Zu allem Überfluss trug sie auch noch ihre älteste Jeans und ein ausgeleiertes Sweatshirt, das wie ein Sack an ihr herunterhing. Was für ein Desaster …

Als die Ampel auf Grün sprang, bog Anatole in die Straße ein, die sie ihm gezeigt hatte. „Wohin jetzt?“

Insgeheim hoffte er, dass noch ein weiter Weg vor ihnen lag. Sofort verbot er sich den Gedanken. Verirrte Frauen von der Straße aufzulesen, war keine gute Idee. Und dennoch …

Erneut wanderte sein Blick zu ihr hinüber. Sie sieht aber auch fantastisch aus! Selbst mit den verweinten Augen und der wenig schmeichelhaften Kleidung.

Ein Gedanke durchzuckte sein Hirn. Ein Gedanke, den er nicht begrüßte, der sich aber nicht vertreiben ließ.

Wie sie wohl aussehen würde, wenn sie richtig zurechtgemacht wäre?

Sofort gebot er sich innerlich Einhalt.

Frag das nicht! Denk nicht mal darüber nach. Bring sie zu ihrem Ziel, und dann fahr weiter – zurück in dein eigenes Leben.

Ja, das war es, was er tun sollte – das war ihm völlig klar. Doch in der Zwischenzeit konnte er schlecht in völligem Schweigen weiterfahren. Außerdem wollte er nicht, dass sie wieder in dieses herzzerreißende Schluchzen ausbrach.

„Es tut mir leid, dass Sie so erschüttert waren“, sagte er. „Aber hoffentlich hat es Sie gelehrt, nie wieder einfach so auf die Straße zu treten.“

„Oh Gott, es tut mir wirklich unfassbar leid“, wiederholte sie. Ihre Stimme klang brüchig. „Und es tut mir auch leid, dass ich so die Fassung verloren habe. Es hatte nichts mit Ihnen zu tun! Nun, ich meine … nicht wirklich. Als Sie mich angeschrien haben, da …“

„Das war der Schock“, unterbrach Anatole sie. „Ich hatte furchtbare Angst, Sie überfahren zu haben.“ Er warf ihr einen reumütigen Blick zu. „Ich wollte Sie nicht zum Weinen bringen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Deshalb habe ich nicht geweint – nicht wirklich“, stammelte sie. „Es war, weil …“

Abrupt verstummte sie, als sie erneut von der Erinnerung an die vergangene Nacht übermannt wurde – wie sie am Bett eines sterbenden Mannes gesessen hatte.

„Weil?“, hakte Anatole nach und schaute erneut kurz zu ihr hinüber.

„Weil der arme Mr. Rodgers heute Morgen gestorben ist“, sprudelte es aus ihr heraus. „Als seine Pflegerin war ich dabei. Es war so furchtbar traurig. Ich meine, er war schon alt, aber trotzdem …“ Ihre Stimme brach. „Es hat mich an den Tod meiner Mutter erinnert …“

Erneut verstummte sie. Anatole hörte sie leise schluchzen. „Das tut mir leid“, sagte er, weil es das einzig Angemessene schien. „Ist Ihre Mutter erst vor kurzem verstorben?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es ist fast zwei Jahre her, aber die ganzen Erinnerungen kamen plötzlich hoch. Sie hatte MS. Während meiner ganzen Kindheit und Jugend. Und nachdem mein Vater gestorben war, habe ich mich um sie gekümmert. So wurde ich auch Pflegerin. Ich hatte ja die Erfahrung, und mir standen nicht allzu viele Möglichkeiten offen. Es musste eine Stelle sein, bei der ich beim Patienten im Haus wohne, weil ich noch keine eigene Wohnung besitze …“

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie all diese persönlichen Dinge einem völlig Fremden anvertraute. Sie schluckte. „Ich muss jetzt zum Büro meiner Agentur – um einen neuen Auftrag zu erhalten und irgendwo heute übernachten zu können.“ Ihre Stimme veränderte sich. „Da vorne ist es – genau dort!“

Sie deutete auf einen wenig repräsentativen Bürokomplex, vor dem Anatole hielt. Sie stieg aus und versuchte, die Fronttür zu öffnen, die sich aber nicht bewegte. Als er neben sie trat, entdeckte er ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossen“.

„Was jetzt?“, murmelte er.

Tia drehte sich zu ihm um. Sie bemühte sich, die Verzweiflung, die sie empfand, zu kaschieren. „Oh, ich werde mir einfach ein billiges Hotel für die Nacht suchen. Vermutlich finde ich eins, das fußläufig zu erreichen ist.“

Anatole bezweifelte das – vor allem mit ihrem kaputten Koffer.

Sein Blick ruhte auf ihr. Sie wirkte verloren und hilflos. Und sehr, sehr zauberhaft.

Wie bereits zuvor fasste er eine spontane Entscheidung. „Ich habe eine bessere Idee“, sagte er. „Mit dem kaputten Koffer kommen Sie nicht weit. Warum verbringen Sie die Nacht nicht einfach in meinem Apartment? Ich werde gar nicht da sein“, fügte er schnell hinzu, als er ihren unsicheren Gesichtsausdruck bemerkte, „sodass Sie die Wohnung ganz für sich allein haben. Dann können Sie morgen früh einen neuen Koffer kaufen und sich in Ruhe auf den Weg zu Ihrer Agentur machen.“ Er lächelte. „Wie klingt das?“

Sie starrte ihn an, als könne sie nicht fassen, was er da vorschlug. „Sind Sie sicher?“ Die Panik war aus ihrer Stimme verschwunden und hatte Ungläubigkeit Platz gemacht.

„Sonst würde ich es nicht vorschlagen“, sagte Anatole.

„Das ist wahnsinnig nett von Ihnen“, entgegnete sie heiser. Verschämt wich sie seinem Blick aus. „Ich bereite Ihnen furchtbare Umstände …“

„Ganz und gar nicht“, widersprach er. „Also, nehmen Sie mein Angebot an?“

Er lächelte – jenes Lächeln, das er benutzte, um Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was er wollte. Es funktionierte auch diesmal. Leicht zitternd nickte sie.

Daraufhin half Anatole ihr zurück in den Wagen und fuhr wieder los. Diesmal ging es nach Mayfair, wo sich sein Apartment befand.

Stumm saß sie neben ihm, die Hände im Schoß gefaltet, den Blick aus dem Fenster gerichtet. Sie wirkte immer noch, als könne sie nicht recht fassen, was gerade geschah.

„Vielleicht sollten wir uns endlich einmal ordentlich vorstellen?“, meinte er. „Ich bin Anatole Kyrgiakis.“ Normalerweise wurde sein Name sofort erkannt. Doch in diesem Fall löste er keinerlei Reaktion aus, abgesehen davon, dass sie den Kopf drehte.

„Tia Saunders“, antwortete sie schüchtern.

„Hallo Tia“, sagte Anatole mit sanftem Lächeln.

Er sah, wie ihre Wangen Farbe annahmen, doch dann musste er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Verkehr richten. Während der weiteren Fahrt ließ er sie in Ruhe. Zum einen weil er sich konzentrieren musste, zum anderen weil sie sich entspannen sollte. Doch als er vor dem eleganten viktorianischen Stadthaus anhielt, sie nach drinnen führte und ihren kaputten Koffer hochtrug, wirkte sie immer noch sehr angespannt.

Im oberen Stockwerk angekommen, wo sich sein Dachterrassen-Apartment befand, keuchte sie leise.

„Du lieber Himmel, hier kann ich unmöglich bleiben“, rief sie spontan aus. „Ich könnte irgendetwas kaputt machen!“

Ihr Blick schnellte umher und registrierte das große weiße Ledersofa mit den vielen Seidenkissen und den dicken taubengrauen Teppich, der farblich genau zu den schweren Vorhängen passte. Die Einrichtung wirkte makellos und unglaublich teuer.

Anatole lachte amüsiert. „Verschütten Sie einfach keinen Kaffee.“

Heftig schüttelte sie den Kopf. „Bitte sagen Sie das nicht einmal!“ Allein der Gedanke schien ihr Übelkeit zu bereiten.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie machte sich offenbar tatsächlich Sorgen. Da ging er auf sie zu und tätschelte ihre Hand, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein.

„Wo wir gerade von Kaffee reden … ich könnte jetzt wirklich eine Tasse vertragen! Wie steht es mit Ihnen?“

Zaghaft nickte sie. „Vie… vielen Dank“, stammelte sie.

„Gut, dann werfe ich mal die Maschine an. Aber zuerst zeige ich Ihnen Ihr Zimmer. Wie wäre es, wenn Sie eine Dusche nehmen, sich frisch machen? Nach allem, was Sie erzählt haben, müssen Sie eine furchtbare Nacht hinter sich haben.“

Er ließ ihre Hand los, hob den kaputten Koffer an, nahm sich innerlich vor, den Concierge anzuweisen, gleich einen neuen zu besorgen, und trug ihn zu einem der Gästezimmer hinüber.

Sie folgte ihm und schaute sich dabei nervös und staunend zugleich um, ganz so als hätte sie eine solche Umgebung noch nie in ihrem Leben gesehen. Was sie, wie er plötzlich erkannte, vermutlich auch noch nie hatte.

Er zeigte ihr das angrenzende Bad, dann überließ er sie mit einem Lächeln sich selbst und kehrte in die Küche zurück.

Fünf Minuten später kochte der Kaffee, und er saß auf dem Sofa und checkte seine E-Mails – wobei er sich größte Mühe gab, nicht an seinen unerwarteten Gast zu denken, der gerade nackt unter der Dusche stand …

Anatole fragte sich, wie weit ihr Liebreiz über ihr Gesicht hinausgehen würde. Er vermutete, noch ein ganzes Stück. Sie war schlank und zierlich – das hatte er sofort bemerkt – doch deshalb hatte sie keineswegs eine flache Brust. Nein, ganz und gar nicht. Auch wenn sie billige, wenig schmeichelhafte Kleidung trug, so war ihm der Ansatz ihrer Brüste darunter keineswegs verborgen geblieben. Und sie war klein – wesentlich kleiner als die Frauen, mit denen er für gewöhnlich ausging.

Vielleicht lag das aber auch an seiner eigenen Größe von beinahe einsneunzig. Oder es hatte damit zu tun, dass die Frauen, die er normalerweise ausführte, selbstbewusste, starke Karrierefrauen waren, die ihm in wesentlichen Teilen ähnelten?

Frauen wie Romola.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Noch bevor Tia ihm vor den Wagen gelaufen war, hatte er den Entschluss gefasst, die Affäre mit Romola zu beenden – warum erledigte er das also nicht sofort?

Mit einer Radikalität, die er immer an den Tag legte, wenn er sich von einer Frau eingeengt fühlte, schickte er ihr eine SMS. Den Schlag milderte er dadurch ab, dass er ihr ein teures Diamantarmband als Abschiedsgeschenk sandte, das Romolas beträchtliches Ego besänftigen würde. Dann wandte er sich mit einem Gefühl der Erleichterung dem heutigen Abend zu.

Ein Lächeln bildete sich um seine Mundwinkel. Der Ausdruck in seinen Augen wurde weicher. Er hatte bereits den barmherzigen Samariter gespielt, indem er Tia in sein Apartment einlud, warum also nicht das volle Programm auffahren und ihr einen Abend bereiten, den sie nie vergessen würde? Champagner, ein feines Dinner – das ganze Drum und Dran!

Etwas, das sie in ihrem unterprivilegierten Leben sicherlich noch nie erlebt hatte.

Natürlich verstand sich von selbst, dass dies alles war, was er ihr anbieten würde. Er selbst würde nicht hier übernachten, sondern in das Mayfair-Hotel fahren, in dem sein Vater eine dauerhafte Suite unterhielt. Selbstverständlich würde er das tun.

Alles andere war völlig ausgeschlossen – egal, wie zauberhaft sie auch sein mochte.

Völlig ausgeschlossen, wiederholte er noch einmal in Gedanken.

2. KAPITEL

Als Tia aus der luxuriösen Regenwalddusche trat, fühlte sie sich wie neu geboren. Sie konnte immer noch nicht fassen, wo sie gelandet war, denn das alles kam ihr wie ein Märchen vor – ein Märchen mit einem überaus gutaussehenden Prinzen, der ihr den Atem raubte.

Er ist so umwerfend! Und dabei ist er auch noch wahnsinnig nett. Er hätte mich genauso gut mit meinem kaputten Koffer auf dem Bürgersteig sitzen lassen können.

Doch das hatte er nicht getan – stattdessen hatte er ihr angeboten, bei ihm zu übernachten, und wie hätte sie das ablehnen können? In ihrem bisherigen Leben, das sie der Pflege ihrer Mutter und anderer gewidmet hatte, war etwas wie dies hier immer nur in ihren Tagträumen passiert.

Tia hob das Kinn und starrte mit neuer Entschlossenheit in den Spiegel. Was auch immer noch geschah, sie würde die Gelegenheit beim Schopf packen und diesen Moment bis zur Gänze auskosten!

Rasch zog sie sich das Handtuch vom Kopf und ließ die feuchten Locken über ihren Rücken fallen, dann durchforstete sie ihre Garderobe auf der Suche nach etwas – irgendetwas –, das dem Anlass ein wenig angemessener war als ihre uralte Jeans und der sackartige Pullover. Natürlich besaß sie nichts, das auch nur halbwegs an die elegante Umgebung heranreichte, aber sie konnte zumindest eine Verbesserung herbeiführen.

Autor

Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
Mehr erfahren