Liebesreise nach Australien - Traumhafte Tage in Sydney

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Seitdem Rachel ihren neuen Job in Sydney angenommen hat, sind sie und ihr Chef Justin McCarthy beruflich ein unschlagbares Team. Auf einer Geschäftsreise an die wildromantische Goldküste erkennt Justin jedoch, wie hinreißend seine neue Assistentin ist. In der ersten Nacht in dem zauberhaften Hotel am Meer kann er sich noch beherrschen, doch in der zweiten Nacht ...


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783955760878
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sie ist einfach perfekt, war Justins erster Gedanke, als Rachel Witherspoon zum Vorstellungsgespräch kam. In ihrem absolut unerotischen schwarzen Kostüm sah sie sehr unscheinbar aus. Das mattbraune Haar war am Hinterkopf zu einem strengen Knoten zusammengefasst. Wie Justin erleichtert feststellte, benutzte Miss Witherspoon weder Make-up noch Parfüm. Sie war das absolute Gegenteil der blonden Sexbombe, die während des vergangenen Monats täglich zu ihm ins Büro gekommen war und so getan hatte, als wäre sie seine Sekretärin.

Nein, das war nicht fair. Sie war keinesfalls unfähig gewesen. Justin hatte sich an eine Zeitarbeitsagentur gewandt, nachdem seine frühere Assistentin sehr kurzfristig gekündigt hatte. Diese Agentur beschäftigte keine unqualifizierten Arbeitskräfte. Doch die Sexbombe, die man ihm vermittelt hatte, machte ihm schon nach wenigen Tagen klar, dass sich ihre Dienste nicht unbedingt auf die Arbeit als seine Assistentin beschränken mussten. Jedes Mittel war ihr recht, um ihm dies deutlich zu machen: verführerische Kleider, vielsagende Blicke und zweideutige Bemerkungen. Als sie am vergangenen Montag mit einem unglaublich tiefen Ausschnitt zur Arbeit erschienen war, der besser zu einem Callgirl gepasst hätte, hatte er die Geduld verloren.

Er musste sie nicht entlassen, da er sie nur als Zeitarbeitskraft engagiert hatte. Er sagte ihr lediglich, dass er ab Montag der folgenden Woche eine neue Assistentin dauerhaft eingestellt habe und sie nicht mehr zu kommen brauche. Das war natürlich gelogen. Doch in diesem Fall ging es nicht ohne Notlüge, sonst hätte er am Ende noch den Verstand verloren. Nicht, dass er die Blondine sexuell attraktiv fand. Doch bei jedem ihrer Annäherungsversuche war er an Mandy erinnert worden und daran, was sie mit ihrem Chef getan hatte – und wahrscheinlich noch immer tat. Vermutlich reiste sie nach wie vor ständig mit ihm um die ganze Welt und stellte ihm ihre Dienste als Assistentin zur Verfügung – auf jede erdenkliche Art und Weise.

Justin ballte die Hand zur Faust, als er daran dachte. Vor anderthalb Jahren hatte seine Frau ihn verlassen, um die Geliebte ihres Chefs zu werden. Anderthalb Jahre – und noch immer war der Schmerz nicht vergangen: über ihre Untreue und die verletzenden Dinge, die sie gesagt hatte. Justin hatte seit der Trennung von Mandy mit niemandem geschlafen. Allein der Gedanke, einer anderen Frau körperlich nahe zu sein, erschien ihm unerträglich.

Doch natürlich wussten das seine Freunde und Kollegen nicht. Nur seine Mutter ahnte, was in ihm vorging. Sie wusste, wie schwer ihn Mandys Verhalten verletzt hatte. Immer wieder sagte sie ihm, er würde sicher eine andere tolle Frau kennenlernen, über die er Mandy vergessen könnte.

Deshalb war er zuerst sehr misstrauisch gewesen, als seine Mutter ihn in der vergangenen Woche angerufen und ihm mitgeteilt hatte, sie habe die perfekte Assistentin für ihn gefunden. Erst nachdem sie versichert hatte, Rachel Witherspoon sei alles andere als eine Sexbombe, hatte er sich zu einem Vorstellungsgespräch bereit erklärt.

Und jetzt saß sie vor ihm. Justin fiel auf, wie dünn Miss Witherspoon war und wie erschöpft sie aussah. Doch sie hatte außergewöhnlich hübsche Augen, wie er feststellte. Nur wirkten diese sehr traurig. Laut ihrem Lebenslauf war Miss Witherspoon erst einunddreißig Jahre alt, doch sie sah eher aus, als wäre sie vierzig.

Nach allem, was sie in den vergangenen Jahren durchgemacht hatte, war das nicht erstaunlich. Justin wurde von Mitgefühl ergriffen und beschloss spontan, ihr die Stelle auf jeden Fall zu geben. Er wusste bereits, dass sie hoch qualifiziert war. Und jemand, der so intelligent war wie sie, würde sich bestimmt ganz schnell wieder einarbeiten.

„Also, Rachel“, sagte er in sachlichem Tonfall, als sie ihm gegenüber Platz genommen hatte, „meine Mutter hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Und Ihr Lebenslauf ist wirklich beeindruckend“, fügte er hinzu. „Wie ich sehe, sind Sie beim landesweiten Wettbewerb ‚Die beste Sekretärin Australiens‘ bis in die Endrunde gekommen. Ihr damaliger Chef hatte einen sehr hohen Posten beim australischen Fernsehen inne. Erzählen Sie mir doch ein bisschen mehr von Ihrer damaligen Arbeit …“

1. KAPITEL

„Ist es nicht genau wie früher?“, fragte Rachel, als sie ins Bett schlüpfte und sich die schöne Patchworkdecke bis zum Kinn hochzog. „Ja, das stimmt.“ Isabel legte sich in das andere Einzelbett. Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend gingen ihr durch den Kopf. Sie und Rachel waren auf demselben Internat gewesen. Seit dem ersten Schultag dort waren sie beste Freundinnen. Rachels Eltern kamen bei einem furchtbaren Zugunglück ums Leben, als Rachel vierzehn Jahre alt war. Von da an lebte sie bei Lettie, der besten Freundin ihrer Mutter. Lettie wohnte im selben Vorort von Sydney wie Isabels Eltern, so dass die beiden Mädchen sich nun auch während der Schulferien sehen konnten. Rachel und Isabel waren unzertrennlich geworden und hatten nachts oft stundenlang wach gelegen und miteinander geredet.

Rachel lächelte Isabel an. „Es kommt mir vor, als wäre ich wieder fünfzehn.“

Aber du siehst nicht aus wie fünfzehn, dachte Isabel und seufzte. Rachel war einunddreißig Jahre alt, wirkte aber viel älter. Das war wirklich schade, denn früher war sie bildhübsch gewesen: glänzendes kastanienbraunes Haar, wunderschöne Augen und eine Figur, um die Isabel sie immer beneidet hatte.

Rachel hatte ihre Pflegemutter Lettie, die an Alzheimer erkrankt und schließlich gestorben war, vier Jahre lang gepflegt. Diese schwere Zeit hatte natürlich Spuren hinterlassen. Insgeheim hatte Isabel gehofft, dass Rachel nach Letties Tod, und nachdem sie eine neue Stelle bekommen hatte, langsam wieder in Schwung käme. Doch das war bisher noch nicht passiert. Aber seit Letties Tod waren ja auch erst wenige Wochen vergangen.

Immerhin hatte Rachel wieder etwas zugenommen, das war zumindest ein Anfang. Und wenn sie lächelte, konnte man erahnen, wie bildhübsch sie früher einmal gewesen war. Rachel sollte statt des ursprünglich vorgesehenen weinroten Kleides ein türkisfarbenes tragen. Hoffentlich wird sie morgen bei der Hochzeit häufig lächeln, dachte Isabel. Sonst würde Rachel sich erschrecken, wenn sie später die Fotos von sich sah. Isabel wusste, dass sie selbst dagegen so hübsch war wie nie zuvor. Die Liebe zu ihrem zukünftigen Mann und die Schwangerschaft standen ihr ausgezeichnet. Sie schien vor Glück zu strahlen. Isabel war sehr froh über die Vorkehrungen, die sie getroffen hatte, damit ihre Brautjungfer sich neben ihr nicht allzu unscheinbar fühlen würde.

„Versprich mir, dass du dich morgen meinem Friseur nicht widersetzen wirst“, sagte sie zu Rachel. „Zu deinem türkisfarbenen Brautjungfernkleid passt rötliches Haar nun einmal viel besser als braunes. Und auf keinen Fall darfst du das Haar so streng zurücknehmen, wie du es jetzt trägst. Außerdem habe ich eine Kosmetikerin engagiert, die uns schminken wird. Ich gehe davon aus, dass du auch ihr nicht widersprechen wirst.“

„Natürlich nicht. Schließlich ist es dein großer Tag. Aber meine Haare sollen nur getönt werden, damit ich die Farbe wieder auswaschen kann. Ich möchte nicht am Montag mit roten Haaren bei der Arbeit erscheinen.“

„Warum denn nicht?“

„Einer der Gründe, warum Justin mich als seine Assistentin angestellt hat, war, dass ich nicht so aufgedonnert bin wie meine Vorgängerin. Alice hat dir doch sicher erzählt, wie diese Frau immer versucht hat, mit ihm zu flirten.“

Isabel verdrehte die Augen. „Nur, weil du dir die Haare rot tönst, bist du doch noch nicht aufgedonnert.“

„Ich will aber kein Risiko eingehen, Isabel. Ich möchte diese Stelle auf keinen Fall verlieren.“

„Als ich davon hörte, dass Justin McCarthy keine Sexbombe als Assistentin wollte, habe ich ihn zuerst für sehr vernünftig gehalten. Affären mit Kollegen gehen meist nicht gut aus, schon gar nicht für die Frau. Aber inzwischen stimme ich Rafe zu. Er meint, ein geschiedener Mann, der seine attraktive Assistentin entlässt, weil sie ihm Avancen macht, hat entweder Angst vor Frauen – oder er ist schwul.“

„Er hat meine Vorgängerin nicht entlassen“, verteidigte Rachel ihren Chef. „Sie war ihm nur vorübergehend durch eine Zeitarbeitsfirma vermittelt worden. Und Justin hat sicher auch keine Angst vor Frauen. Er ist wirklich sehr nett zu mir.“

„Du hast mir doch erzählt, er sei sehr anspruchsvoll und schwierig“, erinnerte Isabel sie.

Rachel seufzte. „Das war nur an einem Tag, als ich aus Versehen eine wichtige Datei gelöscht habe und er sechs Stunden benötigte, um sie wiederherzustellen. Normalerweise ist er sehr gelassen und ausgeglichen.“

„Dann bleibt also nur noch die Möglichkeit, dass er schwul ist. Könnte das sein? Hat ihn seine Frau vielleicht deshalb verlassen?“

„Ich weiß es nicht. Und, ehrlich gesagt, ich finde, das Privatleben meines Chefs geht mich auch nichts an.“

„Aber du hast doch gesagt, er sehe sehr gut aus und sei erst Mitte dreißig. Fühlst du dich denn gar nicht zu ihm hingezogen?“

„Nein.“ Rachel schüttelte energisch den Kopf.

Isabel betrachtete sie prüfend. „Das glaube ich dir nicht. Vor einiger Zeit hast du noch gesagt, du fühltest dich so einsam, dass du mit jedem schlafen würdest, der dir über den Weg läuft. Und jetzt arbeitest du mit einem äußerst attraktiven jungen Mann zusammen und willst mir weismachen, du würdest nicht darüber nachdenken, wie es wäre, mit ihm ins Bett zu gehen? Ich verstehe ja, dass du nach Letties Tod sehr traurig bist – aber du lebst. Du hattest immer einen Freund, bis Eric dich verlassen hat. Es ist verständlich, dass du keine Männer mehr magst, nach allem, was dieser Schuft dir angetan hat. Aber …“

„Das stimmt nicht ganz. Einige Männer mag ich immer noch“, unterbrach Rachel sie. „Zum Beispiel Rafe“, fügte sie hinzu und lächelte schalkhaft.

„Alle Frauen mögen Rafe“, stellte Isabel ironisch fest. „Sogar meine Mutter. Aber da der heiß begehrte Rafe mich morgen heiraten wird, kannst du ihn nicht haben – nicht einmal leihweise. Du wirst dir also einen anderen Mann suchen müssen, um deine Gelüste zu befriedigen.“

„Wie kommst du darauf, dass ich so etwas überhaupt habe?“

„Etwa nicht?“ Ungläubig sah Isabel ihre Freundin an. Immerhin hatte Rachel vier Jahre lang praktisch wie eine Nonne gelebt.

Doch je länger Isabel darüber nachdachte, umso weniger überraschte es sie. Hätte Rachel tatsächlich Lust auf ein Abenteuer, würde sie sich trotz ihres merkwürdigen Chefs dann und wann ein wenig hübsch machen. Schließlich gab es jede Menge anderer Stellen in Sydney – und attraktive Männer jeden Alters.

„Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich Sex je wirklich gebraucht habe“, fuhr Rachel nachdenklich fort. „Er gehörte einfach mit dazu, wenn ich verliebt war, und war für mich immer eher ein emotionales als ein körperliches Bedürfnis.“

„Aber du hast mir auch erzählt, dass es dir Spaß gemacht hat.“

„Aber mir ging es nicht in erster Linie um Sex. Vielmehr um das Gefühl, geliebt zu werden.“

Isabel lächelte. „Rachel, man kann auch großartigen Sex mit jemandem haben, in den man nicht verliebt ist.“

„Du vielleicht. Dass ich nach Letties Tod sagte, ich sei bereit, mit jedem Mann zu schlafen, der mir über den Weg läuft, lag nur an meiner Einsamkeit. Ich würde nie mit irgendeinem Fremden Sex haben wollen. Wenn ich nicht in einen Mann verliebt bin, kann ich nicht mit ihm schlafen. Und seit der Enttäuschung mit Eric zweifele ich daran, dass ich mich je wieder verlieben werde. Er hat mich furchtbar verletzt und enttäuscht.“

„Eines Tages wird dir bestimmt ein Mann begegnen, der dich so liebt, wie du es verdienst.“

„Das glaubst du nur, weil du mit Rafe so ein Glück gehabt hast. Noch vor gar nicht so langer Zeit hattest du keine allzu gute Meinung von Männern“, erinnerte Rachel sie.

„Das stimmt.“ Isabel nickte. Früher hatte sie sich zu oft in die falschen Männer verliebt und war schwer enttäuscht worden. Deshalb konnte Isabel Rachels Gefühle gut verstehen. Eric hatte sie einfach fallen lassen, als Rachel ihre Arbeit aufgegeben hatte, um Lettie zu pflegen. Und auch Lettie war nach Ausbruch der Krankheit von ihrem Mann verlassen worden. Kein Wunder also, dass Rachel kein großes Vertrauen zu Männern hatte.

„Ich bin mit meinem Leben ganz zufrieden – auch ohne Männer“, sagte Rachel. „Die Arbeit macht mir viel Spaß. Es ist interessant und abwechslungsreich, für einen Anlageberater zu arbeiten. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich zu machen.“

Isabel seufzte. Genau das sagte Rachel immer. Sie war sehr tapfer. Als Lettie gestorben war, hatten die beiden Freundinnen gehofft, dass Rachel trotz der Hypotheken zumindest einen kleinen finanziellen Nutzen aus dem Haus ihrer Pflegemutter ziehen könnte. Lettie hatte Rachel in ihrem Testament als alleinige Erbin eingesetzt, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Nach Letties Tod wollte Rachel das Haus verkaufen und sich eine kleine Wohnung im Stadtzentrum suchen. Doch wie sich herausstellte, gehörte Letties Haus rechtlich leider noch immer ihrem Mann.

Rachel erklärte dem zuständigen Anwalt, dass sie selbst während der vergangenen viereinhalb Jahre für die Hypothek aufgekommen sei – von dem Geld, das sie sich mit Änderungsarbeiten verdient habe. Doch der Anwalt sagte nur, dass Letties Mann in den vorangegangenen fünfzehn Jahren die Hypothekenraten bezahlt und keinesfalls die Absicht habe, ihr auch nur einen Cent zu überlassen.

Rachel erfuhr auch, dass Letties Exmann das Testament anfechten wollte. Der Anwalt teilte ihr mit, ihre Chancen würden nicht gut stehen. Deshalb hatte Rachel sich gegen einen Rechtsstreit entschieden. Und so waren ihr nur ein paar persönliche Gegenstände, ihre Kleider und eine Nähmaschine aus zweiter Hand geblieben.

Derzeit wohnte sie mit Isabel in deren Haus im Stadtteil Turramurra, das Rachel während der Flitterwochen ihrer Freundin hüten würde. Nach der Rückkehr wollte Isabel bei Rafe einziehen und hatte Rachel angeboten, dauerhaft gegen eine geringe Miete dort wohnen zu bleiben. Doch Rachel wollte sich lieber eine eigene kleine Wohnung nahe dem Stadtzentrum suchen. Insgeheim schüttelte Isabel über diese Entscheidung den Kopf. Aber Rachel war nun einmal sehr stolz.

Isabel hoffte, Rachel würde eines Tages den richtigen Mann treffen: einen einfühlsamen, charakterstarken Menschen, der ihr all seine Liebe schenken würde. Denn das war es, was Rachel brauchte: einen Mann, der sie liebte – leidenschaftlich, ehrlich und von ganzem Herzen. So, wie Rafe mich liebt, dachte Isabel verträumt. Sie hatte so ein Glück …

Die arme Rachel, dachte sie dann wehmütig. Ihre beste Freundin tat ihr furchtbar leid.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen hastete Rachel durch die Straßen des Geschäftsviertels. Sie hatte eine etwas spätere Bahn genommen als normalerweise, weil sie an diesem Morgen länger gebraucht hatte, um sich zurechtzumachen.

Plötzlich schien ihr die Sonne ins Gesicht und direkt in die Augen. Trotzdem verlangsamte Rachel ihr Tempo nicht. Es würde wieder ein sehr warmer Tag werden – zu warm für ein schwarzes Kostüm mit langärmeliger Jacke. Der Frühling hatte in diesem Jahr in Sydney spät angefangen, doch jetzt schien er mit voller Wucht hereinzubrechen. Der wolkenlose Himmel war strahlend blau.

Rachel seufzte. Sie würde nicht darum herumkommen, sich neue Outfits für die Arbeit zu kaufen. Warum, um alles in der Welt, hatte sie nur ausschließlich schwarze Kostüme gekauft? Leider würden die Einkäufe warten müssen, bis Isabel in drei Wochen aus den Flitterwochen zurückkam. Rachel konnte sich nämlich nicht erinnern, wo die Geschäfte lagen, in die ihre Freundin sie das letzte Mal geführt hatte und wo genau es die richtigen Sachen gab: vernünftige, dezente Kleidung.

Bis dahin würde sie also weiterhin Schwarz tragen müssen – und lange Ärmel. Rachel betrachtete flüchtig ihr Spiegelbild in einem Schaufenster und unterdrückte ein Stöhnen. Ihr Haar war noch immer rot, obwohl sie es am Vorabend und am Morgen mehrmals gewaschen hatte. Sie wünschte, sie hätte sich am Vortag eine Brauntönung gekauft. Wenn Isabel nicht schon in die Flitterwochen abgereist wäre, hätte sie ihr eine gehörige Standpauke gehalten. Denn offenbar hatte der Friseur eine dauerhaftere Farbe benutzt, als sie verlangt hatte. Zugegeben, sie hatte am Samstag sehr hübsch ausgesehen. Sie war überrascht gewesen, wie sehr das schicke Kleid, eine aufwendige Frisur und ein erfahrener Kosmetiker sie verändert hatten. Doch zu ihrem normalen Aussehen – ungeschminkt und schlicht gekleidet – wollten die roten Haare einfach nicht passen.

Rachel hatte sich das Haar heute besonders streng zurückgesteckt und hoffte, das Rot würde dadurch weniger auffallen. Um keinen Preis sollte Justin denken, sie versuche, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Denn sie wollte das gute Verhältnis zu Justin nicht gefährden, das von gegenseitigem Respekt geprägt war. Erst in der vergangenen Woche hatte er ihr gesagt, wie froh er sei, dass sie nicht stark parfümiert und mit tiefem Ausschnitt zur Arbeit komme.

Außer Atem erreichte Rachel das hohe Gebäude, in dem sich die Geschäftsräume des Versicherungsunternehmens befanden. Als sie von der Stelle gehört hatte, war sie davon ausgegangen, dass Justin bei AWI fest angestellt sei. Doch in Wirklichkeit war er ein selbstständiger Finanzberater, den das Unternehmen für zwei Jahre unter Vertrag genommen hatte. Nach dieser Zeit wollte er eine eigene Beratungsfirma gründen, am liebsten außerhalb des Stadtzentrums und in einem Gebäude mit Blick auf die Strände im Norden, wie er Rachel erzählt hatte.

Während seiner Vertragszeit bei AWI hatte ihm das Unternehmen große Büroräume im fünfzehnten Stock ihres Firmengebäudes zur Verfügung gestellt. Von da aus hatte man eine fantastische Aussicht auf das Stadtzentrum und den Hafen. Doch das war nicht der einzige Vorteil der Büroräume. Sie waren unglaublich weitläufig. Rachel hatte den gesamten Empfangsbereich für sich, zu dem ein kleines Badezimmer, eine Teeküche sowie ein riesiger halbrunder Schreibtisch gehörten, an dem mindestens drei Sekretärinnen gleichzeitig hätten arbeiten können.

Justins Büro war mindestens genauso groß. Ein Konferenzraum und ein Aufenthaltszimmer schlossen sich an. Auch eine gut ausgestattete Bar gehörte dazu und das eleganteste Badezimmer, das Rachel je gesehen hatte. Es war ganz aus schwarzem Marmor, mit vergoldeten Armaturen. Wie Justin ihr beim Vorstellungsgespräch erzählt hatte, waren die Räume von seinem Vorgänger, den man entlassen hatte, renoviert und umgestaltet worden. Der Mann hatte sich so verhalten, als würde ihm das Unternehmen gehören. Keine Kosten waren gescheut worden: flauschiger sandfarbener Teppich, modernes Mobiliar aus glänzendem Buchenholz, italienische cremefarbene Ledersofas und Originale impressionistischer Künstler an den Wänden. Dass man Justin diese luxuriösen Räume zur Verfügung gestellt hatte, zeigte, wie sehr ihn das Unternehmen schätzte.

Auch Rachel schätzte ihren Chef sehr. Seine Arbeitseinstellung und die Tatsache, dass er kein bisschen arrogant war, gefielen ihr. Sie wünschte, sie könnte weiter für ihn arbeiten, wenn sein Vertrag mit AWI auslaufen würde. Justin hatte bereits eine entsprechende Anmerkung gemacht. Er schien ebenso zufrieden mit der Zusammenarbeit zu sein wie sie.

Während Rachel mit dem Fahrstuhl in den fünfzehnten Stock hinauffuhr, warf keiner der Angestellten ihr einen Blick zu, denn keiner von ihnen kannte sie. Justin arbeitete allein. Nur dann und wann kam ein Disponent vorbei, um sich mit ihm zu beraten. Meistens nahmen sie jedoch per Telefon oder E-Mail zu ihm Kontakt auf.

Seit sie für Justin arbeitete, hatte noch kein einziges Treffen im Konferenzraum stattgefunden. Einige Male hatte er sich kurz auf einem der Sofas im Aufenthaltsraum ausgeruht, doch nie Gäste dort empfangen. Er nahm zwar an den monatlichen Treffen mit den fest angestellten Disponenten teil, ging aber nie zu den Abendessen und Feiern, die das Unternehmen veranstaltete, und hielt sich auch sonst aus internen Angelegenheiten heraus.

Mit anderen Worten, ihr Chef war ein ziemlicher Einzelgänger. Ihr war das gerade recht. Denn seit sie so viel Zeit allein zu Hause verbracht hatte, war sie ein wenig kontaktscheu. Im Büro fühlte sie sich sicher, und es gefiel ihr, dass sie bei der Arbeit nur selten mit Fremden in Berührung kam. Früher war es ihr nicht schwergefallen, mit den unterschiedlichsten Leuten Small Talk zu betreiben. Sie war sehr extrovertiert und kontaktfreudig gewesen. Doch dann hatte sie ihr Selbstbewusstsein verloren und war schüchtern geworden. Nur in Gesellschaft ihrer engsten Freunde, wie Isabel und Rafe, konnte sie entspannt und fröhlich sein.

Isabel sagte immer wieder, sie, Rachel, werde bald wieder so sein wie früher. Doch das bezweifelte sie. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hatten sie sehr verändert. Sie war jetzt sehr introvertiert, ernst und … geradezu unscheinbar. Das war eine der größten Veränderungen: Sie hatte ihr attraktives Äußeres verloren. Und allein durch eine rote Haartönung ließ sich das nicht rückgängig machen – sie kam sich damit nur lächerlich vor.

Als die Fahrstuhltüren aufgingen, eilte sie den Flur entlang. Hoffentlich würde sie noch vor Justin im Büro sein. Er trainierte jeden Morgen im Fitnessstudio des Unternehmens. Dann und wann vergaß er, auf die Zeit zu achten, und verspätete sich. Offenbar auch heute, denn die Tür des Büros war noch abgeschlossen. Rachel seufzte erleichtert. Wenn Justin käme, würde sie betont gelassen am Computer sitzen und arbeiten.

Genau das tat sie, als er eine Viertelstunde später hereinkam. Ihr Herz klopfte heftig – aber nicht, weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte, sondern vor Nervosität. Was würde er wohl sagen, wenn er ihr rotes Haar bemerkte?

Ihr Chef sah so attraktiv aus wie immer. Er trug einen klassischen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd und einen dazu passenden Schlips. Das Haar war noch ein wenig feucht vom Duschen. Unter einem Arm trug er Tageszeitungen, im anderen seine schwarze Aktentasche. Er runzelte die Stirn, was aber offenbar nichts mit ihr zu tun hatte. Dann zog er die dichten dunklen Brauen eng zusammen und schien konzentriert über etwas nachzudenken.

„Morgen, Rachel“, sagte er und warf ihr einen flüchtigen Blick zu, während er an ihr vorbeieilte. „Bitte warten Sie noch zehn Minuten mit dem Kaffee“, fügte er über die Schulter gewandt hinzu, bevor er in seinem Büro verschwand. „Ich muss vorher noch etwas erledigen.“

Als er, ohne ihre Antwort abzuwarten, die Tür hinter sich zuschlug, war Rachel zum ersten Mal ein wenig gekränkt.

„Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen“, sagte sie kühl und betrachtete die geschlossene Tür. So viel also zu ihrer Frage, was Justin von ihrem roten Haar halten mochte. Vermutlich wäre es ihm nicht einmal aufgefallen, wenn ich splitternackt am Schreibtisch gesessen hätte oder oben ohne auf dem Tisch getanzt hätte, dachte sie. Sie hatte zwar wieder ein wenig zugenommen, doch ihre wunderschönen vollen Brüste waren in den vergangenen Jahren so viel kleiner geworden, dass sie statt Körbchengröße D jetzt B trug. Darüber hatte sie am Samstag mit Isabel gesprochen, als sie sich für die Hochzeit umgezogen hatten.

„Deine Brüste sind immer noch größer als meine“, hatte Isabel festgestellt und Rachel eingehend betrachtet. „Du bist zwar ziemlich dünn, aber die Proportionen stimmen. Eigentlich finde ich, du siehst überraschend gut aus.“

Rachel hatte nur ironisch gelacht, und das tat sie jetzt wieder. Warum, um alles in der Welt, dachte sie darüber nach, wie sie unbekleidet aussah? Als würde das irgendjemanden interessieren! Niemand würde sie je nackt sehen. An diesen albernen Überlegungen ist nur Isabel schuld, dachte Rachel vorwurfsvoll. Sie hat mich auf Justin angesprochen – und auf Sex.

Sex! Du meine Güte, über dieses Thema brauchte sie gar nicht erst nachzudenken. Warum also tat sie es?

Rachel versuchte, sich mit der Arbeit abzulenken. Dann gab sie auf und beschloss, Justin den Kaffee zu bringen. Die zehn Minuten mussten inzwischen vorbei sein. Je eher er ihr rotes Haar bemerken und sie ihm die Hintergründe erklären würde, desto eher könnte sie sich wieder konzentriert ihrer Arbeit widmen.

„Herein“, rief Justin kurz angebunden, als sie genau zehn Minuten nach seiner Ankunft an die Tür klopfte.

Rachel trat ein. Er saß mit dem Rücken zu ihr an einer Längsseite des U-förmigen Schreibtischs und arbeitete am Computer. Justin wandte sich nicht um, während er auf dem Bürodrehstuhl an den verschiedenen PCs vorbeirollte und aufmerksam die Bildschirme betrachtete. Er hatte sich das Jackett ausgezogen und die Ärmel aufgekrempelt. Ohne es zu sehen, wusste Rachel, dass sein Schlips gelockert war.

Während sie auf ihn zuging, schob Justin sich vor den Computer, der ganz am rechten Rand stand.

„Stellen Sie den Kaffee einfach hierhin.“ Ohne aufzublicken, wies er mit der Hand neben den Bildschirm.

Rachel schnitt ein Gesicht, stellte den Becher ab und wollte wieder gehen. Doch dann hielt sie inne.

„Justin …“

„Hm?“ Noch immer sah er sie nicht an.

Sie seufzte. „Justin, ich muss mit Ihnen sprechen“, sagte sie dann energisch.

„Worüber?“

„Ich möchte Ihnen erklären, warum meine Haare so rot sind.“

„Was?“ Endlich wandte Justin sich um und blickte sie an. Er runzelte die Stirn und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Hm … die Farbe ist ein wenig zu leuchtend für Sie, stimmt‘s?“

„Für die Hochzeit am Samstag war sie genau richtig“, verteidigte sie sich.

„Was für eine Hochzeit?“ Mit seinen blauen Augen blickte er sie fragend an.

„Ich war Brautjungfer bei der Hochzeit meiner besten Freundin. Sie hat darauf bestanden, dass ich mir anlässlich dieses großen Tages die Haare rot tönen lasse. Eigentlich sollte sich die Farbe leicht auswaschen lassen, aber wie Sie sehen, ist das nicht der Fall. Ich wollte Ihnen nur noch einmal versichern, dass ich mein Haar noch heute Abend wieder braun färben werde.“

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney. Miranda ging auf eine Klosterschule....
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