Liebesstern über Südafrika

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Nach schmerzhaften Erfahrungen verlässt Joanna England, um im sonnigen Südafrika neu anzufangen. Doch als sie überraschend ihrem ehemaligen Kollegen, dem umschwärmten Arzt Jake O'Connor, begegnet, holt die Vergangenheit sie ein. Obwohl sie ihn für einen Frauenhelden hält und fest glaubt, dass er ihre Freundin verlassen hat, fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Und als Jake sie bei einem Ausflug auf den Tafelberg umarmt, erwidert sie hingebungsvoll seinen Kuss. Kaum beginnt sie, ihm zu vertrauen, da tauchen Gerüchte auf: Er soll ein Verhältnis mit der Frau seines Cousins haben …


  • Erscheinungstag 23.11.2008
  • Bandnummer 1768
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493608
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Joanna stieg die Stufen zu der eindrucksvollen Klinik am Fuße des Tafelberges hinauf und machte sich auf den Weg ins Schwesternzimmer. Endlich arbeitete sie hier in Kapstadt am Groote-Schuur-Krankenhaus.

Beinahe hätte sie den Gedanken laut ausgesprochen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass all das kein Traum war. Nein, ein Traum war es nicht, denn das für ein Krankenhaus übliche geschäftige Treiben um sie herum war nur allzu real. Patienten, Angehörige, Ärzte, Schwestern und Pfleger eilten umher, und ein Verletzter wurde auf einer Trage zur Notaufnahme gebracht.

Alles war genauso wie in dem Londoner Krankenhaus, in dem sie bisher gearbeitet hatte, und doch war alles ganz anders. So viele verschiedene Hautfarben, so viele verschiedene Sprachen um sie her. Und sie verstand kaum ein Wort.

Einen Moment lang fragte sie sich, wie sie hier hineinpassen sollte. Dann jedoch hob sie das Kinn. Genau das will ich, dachte sie. Einen Neuanfang in einem fremden Land. Schon vor Monaten hatte sie diesen Schritt geplant.

Sie betrat das Schwesternzimmer, wo Mrs. Matama, die Oberschwester, gerade ihre Akte studierte.

„Wir freuen uns, Sie endlich bei uns zu haben“, begrüßte sie Joanna freundlich. „Wie ich sehe, wollten Sie schon vor einem Jahr herkommen. Es tut mir leid, dass Ihre Mutter so krank wurde und starb. Mein herzliches Beileid.“

„Danke“, gab Joanna zurück. „Die Diagnose wurde gestellt, kurz nachdem meine Bewerbung hier angenommen wurde, und … natürlich konnte ich meine Mutter nicht allein lassen.“

„Natürlich nicht.“ Mrs. Matama nickte verständnisvoll und erhob sich. „Wir haben Ihnen ein Zimmer im Schwesternheim reserviert, obwohl die meisten Ihrer Kolleginnen lieber außerhalb wohnen. So haben Sie aber zumindest für den Anfang schon eine Bleibe. Mit Problemen können Sie immer gerne zu mir kommen.“

Damit hob sie den Telefonhörer ab. „Amelia, könnten Sie Schwester Boyd zu ihrem Zimmer führen? Danke.“

Zehn Minuten später stand Joanna in ihrem neuen Zimmer, der Koffer lag geöffnet auf dem Bett. Ein wenig anders als der Raum, den sie sich im St. Margarets-Krankenhaus mit drei anderen Schwestern geteilt hatte. Und vollkommen anders als das Cottage in dem Dörfchen in Surrey, wo sie ihre Mutter gepflegt hatte.

Joanna ließ sich auf den einzigen Stuhl sinken und kämpfte gegen eine Welle von Heimweh und Traurigkeit an. Vielleicht war es keine gute Idee, Mutters Haus zu verkaufen, dachte sie. Selbst ihren Labrador Shandy hatte sie an die Nachbarn abgegeben, die ihn liebten und als Rentner auch genug Zeit für ihn hatten. So konnte er wenigstens in der gewohnten Umgebung bleiben. Sie hätte das Haus erst einmal nur vermieten können, falls sie ihren Schritt, nach Südafrika zu gehen, bereut hätte.

Nein. Alles war gut durchdacht, und sie würde ihre Entscheidung nicht rückgängig machen.

Entschlossen hängte sie die wenigen Kleider, die sie mitgebracht hatte, auf. Zusammen mit ihrer Schwesterntracht füllten sie den schmalen Kleiderschrank bereits aus. Wenn ihre restliche Habe einträfe, würde sie sich eine andere Behausung suchen müssen.

„Hallo … hast du dich schon eingerichtet? Hier ist eine Tasse Tee für dich. Ich bin Dorothy Marais, und mein Zimmer liegt ganz in der Nähe. Ich arbeite auch auf der Entbindungsstation. Schwester Kenton hat mich gebeten, dich herzlich willkommen zu heißen.“

Die junge Frau hatte dunkles gelocktes Haar, blaue Augen und ein fröhliches Lächeln. In der Hand hielt sie eine Tasse mit dampfendem Tee.

Joanna fühlte sich gleich viel besser. Sie erhob sich und erwiderte Dorothys Lächeln. „Danke. Ich habe gerade überlegt, wo ich mir Tee zubereiten könnte.“

„Am Ende des Gangs ist eine winzige Küche“, erklärte Dorothy. „Dort können wir Wasser kochen und Toast machen. Mehr allerdings nicht. Die Kantine befindet sich ein Stockwerk tiefer.“ Sie kräuselte die Nase. „Erwarte aber nicht zu viel.“

„Bestimmt nicht“, versicherte Joanna ihr. „Ich kenne eine Menge Krankenhauskantinen. Aber besser eine dürftige Kantine als gar keine.“

So schlecht ist es hier gar nicht, dachte Joanna später, als sie sich in der Kantine umsah. Es gab eine große Auswahl an frischen Salaten, und der Fisch war auch nicht schlechter als der im Londoner Krankenhaus, in dem sie zuletzt beschäftigt gewesen war. Dorothy war nicht zu sehen, doch am nächsten Morgen klopfte sie um kurz nach sechs an die Tür. Joanna, selbst längst in ihrer Schwesterntracht, sah die Kollegin überrascht an. Sie war noch in ein riesiges Badehandtuch gewickelt. Ihr Haar war tropfnass.

„Ich bin gleich fertig“, rief sie atemlos. „Bitte warte auf mich, dann können wir zusammen frühstücken, und ich zeige dir unsere Abteilung. Wir sehen uns vor der Küche.“

In der Innentür des Kleiderschranks befand sich ein Spiegel. Joanna warf einen letzten prüfenden Blick hinein. Sie mochte die kurzärmelige Tracht. Obwohl es noch recht früh war, wurde es schon warm. Die Sonne schien, und Joanna konnte kaum glauben, dass es November war. Der stetige Nieselregen Londons war längst vergessen.

In den letzten Tagen zu Hause hatte sie keine Zeit mehr gefunden, zum Friseur zu gehen. Mittlerweile reichte ihr das wellige Haar bis auf die Schultern. Sie war sicher, die Krankenhausvorschriften hier würden sich nicht von denen in England unterscheiden. Daher band sie ihr Haar am Hinterkopf zusammen, bevor sie das Zimmer verließ.

Vor der Küchentür wartete Dorothy Marais bereits auf sie. Joanna freute sich über ihre Gesellschaft und war dankbar, dass die Kollegin sie nach dem Frühstück zu ihrer Station führte und sie sich in all den noch unbekannten Korridoren, Aufzügen und Zimmern nicht allein zurechtfinden musste. Alles war noch so fremd und unübersichtlich. Und dann waren Babyschreie zu vernehmen, und Joanna wusste, dass sie hier richtig war.

„Schwester Boyd? Danke, dass Sie sie hergebracht haben, Schwester Marais.“

Stationsschwester Kenton, eine imposante Matrone mit leicht ergrautem Haar, saß am Schreibtisch. „Lassen Sie mich rasch noch diese Unterlagen sortieren, dann bin ich bei Ihnen“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu Joanna. Kurz darauf sah sie lächelnd auf. „Sie beginnen auf der Entbindungsstation. Aus Ihren Unterlagen ersehe ich, dass Sie da am liebsten arbeiten, und wir brauchen dort eine Schwester.“

Während Joanna wenig später Schwester Kenton den Flur entlang folgte, lauschte sie interessiert deren Erklärungen.

Wie ihr bereits im Schwesternheim aufgefallen war, herrschte hier ein lockere, freundliche Atmosphäre.

„Unser Hebammendienst wird Ihnen neu sein“, fuhr Schwester Kenton fort. „Diesen Dienst bieten wir Frauen in entlegenen Ortschaften an, die nicht in die Klinik kommen können. Dort werden Sie allerdings ohne die Hilfe eines Arztes auf sich allein gestellt sein.“

„Und wenn Komplikationen auftreten?“, wollte Joanna wissen. „Wenn die Geburt schwierig ist oder das Baby eine besondere Behandlung braucht?“

„Dann kommen die Flugeinheiten zum Einsatz. Sicher werden Sie auch mit diesen Ärzten einmal zu einem Einsatz fliegen.“

Inzwischen waren sie ans Ende des langen Korridors gelangt. „Hier ist unsere Frühchenstation. Vielleicht werden wir Sie dort auch einmal einsetzen, wenn Not am Mann ist. Ich habe gelesen, dass Sie diesbezüglich einige Erfahrung mitbringen.“

„Ja, ich habe Erfahrung mit Frühgeburten“, bestätigte Joanna.

Schwester Kentons Pieper meldete sich. „Wir müssen zurück auf die Entbindungsstation“, sagte sie knapp und setzte sich in Bewegung. „An die Arbeit, Schwester Boyd. Wir hatten eine ruhige Nacht, und jetzt haben sich alle gleichzeitig entschieden, ihre Babys zu kriegen.“

Im Handumdrehen fühlte sich Joanna in ihrem Element. Drei Geburten in zwanzig Minuten. Bei den ersten beiden assistierte sie, die dritte Niederkunft leitete sie selbst. Und dann hielt sie ihr erstes südafrikanisches Baby im Arm: ein pummeliges Mädchen mit dichtem dunklen Kraushaar.

„Wir nennen sie Inkulu“, sagte die junge Mutter glücklich, als Joanna ihr die Kleine in den Arm legte. „Das heißt ‚Erstgeborene der Xhosa‘.“

Der Rest des Tages verging wie im Flug, mit der üblichen Routine in einem Krankenhaus.

Joanna mochte diese Arbeit, es tat ihr gut, auf ihr Können zurückgreifen zu können. Schließlich war sie dazu ausgebildet worden. Dennoch hatte sie nicht bereut, das alles aufgegeben zu haben, um sich um ihre sterbende Mutter zu kümmern. Sie hatten ein gutes Verhältnis gehabt, und ihre Mutter hatte ihr Leben lang alles für sie getan.

„Danach … wirst du nach Kapstadt gehen, nicht wahr, Joanna?“, hatte sie in ihren letzten Wochen häufig gefragt. Immer waren sie ehrlich miteinander gewesen.

„Ja, Mum.“

Und es brach ihr das Herz, wenn sie jetzt an den Tod ihrer Mutter zurückdachte.

„Dürfen wir uns zu dir setzen, Joanna?“

Nach Feierabend war Joanna in die Kantine gegangen, und als sie jetzt aufsah, blickte sie in Dorothys Gesicht. Neben ihr stand eine andere Schwester, die ihr als Rose Hill vorgestellt wurde. Für die Ablenkung war Joanna dankbar.

„Hast du schon unseren David Palmer kennengelernt?“, fragte Dorothy heiter. „Was hältst du von ihm?“

„Ja, er hat bei einer Geburt geholfen. Er ist ganz in Ordnung, denke ich“, sagte Joanna vorsichtig. In jedem Krankenhaus gab es Klatsch und Tratsch.

Dorothy zuckte die Schultern. „Er ist ganz okay, aber noch sehr jung.“

Amüsiert schmunzelte Joanna. Dr. Palmer war sicher nicht jünger als Dorothy selbst. Auch Roses Mundwinkel zuckten.

„Dorothy steht auf ältere Männer“, informierte sie Joanna.

„Nur auf bestimmte ältere Männer“, konterte Dorothy. „Außerdem ist er gar nicht alt.“

„Er wird nicht erwachsen, würde ich eher sagen“, erwiderte Rose trocken. „Nur gut, dass er auf einer Fortbildung ist, dann ist es hier ruhiger.“

Gerade als Joanna fragen wollte, um wen es ging, wandte sich Dorothy an sie. „Und du, Joanna? Hast du jemanden in London?“

Sie schüttelte den Kopf. „Niemand Besonderes“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Freunde ja, eine Menge gute Freunde, die sie vermissen würde, aber keinen Mann.

„Du bist also hergekommen, um hier jemanden kennenzulernen“, spekulierte Dorothy forsch.

„Dorothy, du bist zu neugierig“, rügte Rose sie.

Doch die junge Schwester schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht neugierig, sondern einfach nur interessiert.“

Joanna musste lachen. „Nein, deshalb bin ich nicht hier. Ich bin neunundzwanzig, und ich träume nicht mehr von Prinzen auf weißen Rössern. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht romantisch. Sollte ich jemanden kennenlernen, kommen wir wahrscheinlich nur gut miteinander aus, und fertig.“

Dorothy seufzte. „Vielleicht liegt es an meinen irischen Genen“, meinte sie. „Meine Mutter ist Irin, mein Vater Afrikaner, und ich bin eine gute Mischung aus beiden. Also warte ich auf meinen Prinzen, aber ich habe nichts dagegen, wenn er in einer weißen Limousine daherkommt statt auf einem Pferd.“

Ich mag die beiden, dachte Joanna später, als der geschäftige Tag vorüber war und sie in ihrem kleinen Zimmer die Schwesterntracht ablegte. Dorothy, temperamentvoll und heiter, und Rose, ruhiger, reifer und sehr warmherzig. Sie hatte ihnen sogar von ihrer Mutter erzählt, und sie waren sehr teilnahmsvoll gewesen.

Schon nach wenigen Tagen fühlte sich Joanna ganz zu Hause und fand sich in dem Krankenhaus gut zurecht.

Eines Morgens machte sie ihre Runde, als eine Schwangere nach ihr rief. Sofort bemerkte sie, wie extrem blass die Frau war. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. „Mir geht es gar nicht gut, Schwester. Und ich habe Blutungen“, murmelte die Frau.

Joanna untersuchte die Patientin und schickte dann nach Dr. Palmer. Bis der Arzt eintraf, wusste sie, was zu tun war.

„Der Doktor ist gleich da“, beruhigte sie die werdende Mutter. „Bleiben Sie einfach still liegen. Es wird alles gut.“

Schon hörte sie die eiligen Schritte des Arztes, wandte sich jedoch nicht um, damit der Druck auf die Kompresse, die sie angelegt hatte, nicht nachließ.

„Gut, Schwester, Sie haben alles unter Kontrolle. Mrs. Thorpe, ich gebe Ihnen jetzt eine Spritze.“

Das war nicht Dr. Palmer, und auch nicht Dr. Rajbansi, der ältere indische Arzt. Stattdessen … es konnte einfach nicht wahr sein. Und doch ….

Routiniert führte Joanna die Handgriffe aus, während sie dem Arzt assistierte. Der Arzt. Groß, mit dichtem schwarzem Haar und dunkelblauen Augen. Sein Gesicht war gebräunter, als sie es in Erinnerung hatte, aber er sah ebenso gut aus wie damals.

Jake O’Connor.

Er hatte sie nicht wiedererkannt. Aber das hatte sie auch nicht erwartet.

„Sie haben gute Arbeit geleistet, Schwester … Boyd“, lobte er sie später im Schwesternzimmer mit Blick auf ihr Namensschild. „Mrs. Thorpe steht noch unter Schock, aber bald wird es ihr besser gehen. Später machen wir einen Bluttest. Dank Ihres schnellen Handelns hat sie kaum Blut verloren. Sie sind neu, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete Joanna, und es war ihr gleichgültig, dass sie ihm gegenüber einen schroffen Ton angeschlagen hatte. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Doktor …“

In dem sonnengebräunten Gesicht wirkte das Blau seiner Augen noch intensiver. „Keine Tasse Kaffee für mich?“

Er weiß genau, welche Wirkung dieses Lächeln auf Frauen hat, dachte Joanna bitter. Auf andere Frauen, nicht auf mich.

„Ich bin sicher, eine der Lernschwestern wird Ihnen gerne einen Kaffee machen“, erwiderte sie kühl.

Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch. „Sicher haben Sie recht, Schwester“, murmelte er nachdenklich. „Es ist wahrscheinlich zu viel verlangt, Sie darum zu bitten.“

Doch Joanna war schon hoch erhobenen Hauptes aus dem Schwesternzimmer gegangen. Seinen Blick spürte sie nur allzu deutlich in ihrem Rücken.

„Ist er nicht wundervoll?“, fragte Dorothy Marais atemlos, als sie wenig später Joanna in der kleinen Küche antraf. „Ein absoluter Schatz, diese Augen, dieses Lächeln!“

„Wundervoll? Wer?“, fragte Joanna, obwohl sie genau wusste, um wen es ging.

Ungläubig weiteten sich Dorothys Augen. „Jake O’Connor natürlich, wer sonst?“

Joanna zuckte die Schultern.

„Er sieht gut aus, zugegeben, aber ich kann Ärzte nicht leiden, die meinen, sie seien der Traum eines jeden jungen Mädchens.“ Und dann fügte sie hinzu: „In St. Margarets war er schon genauso.“

Dorothy setzte ihre Tasse ab. „Du meinst, du kennst ihn? Du kennst Jake O’Connor?“

Joanna schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich“, verneinte sie. „Ich kenne ihn, aber er erinnert sich wohl nicht an mich.“

Und das, dachte sie, ist gut so. Denn sie war sicher, dass es Dr. O’Connor nicht recht wäre, wenn ihn hier jemand von St. Margarets wiedererkennen würde.

„Wusstest du, dass er auch hier ist?“, wollte Dorothy wissen.

Wieder schüttelte Joanna den Kopf. „Nein.“

Und ich werde einfach so tun, als kenne ich ihn nicht. Er ist ein Arzt, mit dem ich zufällig zusammenarbeite. Alles andere interessiert mich nicht. Auch nicht die Tatsache, dass er ein absoluter Mistkerl ist.

Joanna hatte Helen Johnson nicht sehr gut gekannt, sie hatte nur gewusst, dass sie OP-Schwester und mit dem atemberaubenden Jake O’Connor verlobt war. Jake O’Connor, der nur zu lächeln brauchte, und schon fielen ihm die Frauen zu Füßen. Bevor er mit Helen verlobt gewesen war, hatte er auch einige Damen erhört. Doch dann waren die beiden ein Paar geworden. Zwei schöne Menschen, die sich gefunden hatten. Jake O’Connor, so groß, athletisch und dunkel, und Helen Johnson, so groß, schlank und blond.

An jenem Tag aber, als Joanna ihr in ihrer Mittagspause in dem kleinen Rosengarten hinter dem Krankenhaus begegnet war, war nichts Erhabenes an Helen Johnson gewesen. Sie hatte so verzweifelt ausgesehen, dass Joanna nicht einfach hatte vorbeigehen können.

„Helen, was ist los?“

Wortlos hatte Helen die linke Hand ausgestreckt. Die Hand, an der immer der viel bewunderte Verlobungsring mit dem Saphir geprangt hatte.

„Jake will mich nicht mehr heiraten“, hatte sie geschluchzt. „Er hat unsere Verlobung gelöst.“

„Aber … warum, Helen? Ihr habt immer so glücklich ausgesehen.“

„Das waren wir auch … dachte ich jedenfalls.“ Helen hatte geschluckt. „Aber ich hätte wissen sollen, dass Jake nicht treu sein kann. Ich hätte ihm niemals vertrauen dürfen.“ Ihre Augen waren tränenfeucht gewesen. „So ist er eben.“

Solche Männer kannte Joanna zur Genüge, und eine bittere Erinnerung stieg in ihr auf, die sie lange zu verdrängen gesucht hatte. Cliff Denton war genauso gewesen. Er hatte ihr beteuert, sie wäre die Einzige für ihn, während er sich heimlich regelmäßig mit einem Mädchen in Edinburgh getroffen hatte, wenn er dienstlich dorthin kam. In Bristol hatte er auch eine Freundin, und wahrscheinlich waren das nicht die Einzigen. Und ich habe es als Allerletzte erfahren, dachte sie. Sie hatte ihm vertraut. Oh ja, Joanna kannte Männer wie ihn.

Damals im Krankenhausgarten hatte sie ihr Bestes getan, um Helen zu trösten, und schließlich war diese mit rot geweinten Augen an die Arbeit zurückgekehrt.

Kurz darauf verschwand sie, und es hieß, sie habe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Dann verließ auch Jake O’Connor das Krankenhaus, und irgendwann geriet die Geschichte in Vergessenheit.

Joanna jedoch würde nie vergessen, was für ein Mann Dr. Jake O’Connor war und wie er sich seiner Verlobten gegenüber verhalten hatte. Sicher, Verlobungen werden bisweilen auch gelöst, und Menschen können ihre Meinung ändern, aber nachdem er sich jahrelang die Hörner abgestoßen hat, hätte er es sich besser überlegen sollen, ob er Helen einen Heiratsantrag macht, fand Joanna. Und dann hätte er treu bleiben sollen. Doch anscheinend konnte er das nicht. Ebenso wenig wie Cliff.

Aber das war lange her und in einem anderen Land, und sie würde weder Dorothy noch jemand anders erzählen, was sie über den gut aussehenden irischen Doktor wusste.

Sie selbst würde jedoch niemals auf seinen Charme hereinfallen. Die anderen Schwestern, selbst Schwester Kenton, hatten eine Schwäche für ihn. Alle außer mir, erinnerte sich Joanna mit Genugtuung.

Und in den nächsten Tagen wurde ihr klar, dass ein guter Teil dieser Genugtuung von der Gewissheit rührte, dass Jake O’Connor um ihre Ablehnung wusste. Manchmal ertappte sie ihn dabei, wie er sie nachdenklich ansah, wenn sie seine Fragen zu Patientinnen kühl und professionell beantwortete, ansonsten aber jegliche Unterhaltung ablehnte, die nicht mit der Arbeit zu tun hatte.

Dorothy Marais und Rose Hill planten, aus dem Schwesternheim auszuziehen, sobald sie eine Wohnung gefunden hätten. Sie fragten Joanna, ob sie nicht mit ihnen zusammenziehen wolle.

„Das wäre fantastisch!“ Sie freute sich über das Angebot, denn das Schwesternheim mit seinen spartanischen Zimmern hatte nichts von einem gemütlichen Heim an sich. Die Vorstellung, ein richtiges Haus mit Rose und Dorothy zu teilen, gefiel ihr ausnehmend gut.

„Eigentlich ist es zu groß für uns“, sagte Rose, nachdem sie die Räume mit den hohen Decken und die geräumige, moderne Küche besichtigt hatten. Das Bad hatte sogar beides: eine Dusche und eine Badewanne, und um das Erdgeschoss herum führte eine wunderschöne begrünte Veranda. In dem kleinen Garten boten blühende Büsche einen farbenfrohen Anblick. „Jeder kann sein eigenes Zimmer haben, und dann haben wir immer noch einen Raum übrig.“

Dorothy sah aus dem Fenster. „Wir könnten David fragen, ob er zu uns ziehen will“, schlug sie beiläufig vor. Joanna und Rose warfen sich einen vielsagenden Blick zu. „Ich weiß, dass er eine Wohnung sucht, und es schadet nicht, einen Mann im Haus zu haben.“

„Keine schlechte Idee“, stimmte Rose ihr zu. „Aber ich dachte, du kannst ihn nicht ertragen, weil er so jung ist.“

„Er ist sehr jung, ja, doch es macht mir nichts aus, wenn er hier ist.“ Dorothys Wangen röteten sich. „Er ist sozusagen ein kleiner Bruder für uns alle.“

Der „Bruder“ war, wie sich herausstellte, begeistert von der Idee, und noch vor Ende des Monats hatten die vier sich im Haus eingerichtet. Joanna kaufte sich einen kleinen Gebrauchtwagen, der vor dem Haus einträchtig hinter Davids schäbigem Käfer parkte.

Die kurze Strecke zum Krankenhaus war ihr zwar ein willkommener Spaziergang, doch für längere Wege konnte sie den Wagen gut gebrauchen.

Immer häufiger arbeitete sie mit Jake O’Connor zusammen, und widerwillig gestand sie sich ein, dass sie ihn seiner Fähigkeiten willen respektieren musste. Und seiner Schnelligkeit willen, denn oft blieb nicht viel Zeit, und er war dennoch immer zur Stelle, wenn er gebraucht wurde.

Bei einer Steißgeburt musste sie jedoch allein zurechtkommen. Erst als sie der jungen Mutter das Baby auf den Bauch legte und hochsah, erblickte sie Jake O’Connor, der an der Tür stand und sie beobachtete.

„Gut gemacht, Schwester“, lobte er sie, und in seinen Augen oberhalb der grünen OP-Maske lag ein Lächeln. „Ich war rechtzeitig hier, wurde aber offensichtlich gar nicht gebraucht. Steißlage, nicht wahr? Keine leichte Geburt.“

Trotz allem, was Joanna über diesen Mann wusste, freute sie sich doch über das Lob. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. In der kurzen Zeit, die sie zusammenarbeiteten, hatte sie schon erfahren, dass er sparsam mit seinem Lob umging.

Wie auch immer Jake O’Connor als Mann sein mochte, er war zweifellos ein begnadeter Arzt.

Und deshalb freue ich mich über sein Lob, dachte sie.

„Wir sollten eine Einweihungsparty geben“, schlug Dorothy kurz nach dem Einzug vor.

„Eine Party können wir uns nicht leisten, nachdem wir uns schon die Vorhänge und die Küchenstühle angeschafft haben“, hielt Rose dagegen.

Dorothy zuckte die Schultern. „Geld brauchen wir dafür nicht. Jeder soll etwas mitbringen, Getränke und Speisen. Und so können wir Joanna in unseren Freundeskreis einführen.“

Unwillkürlich musste Joanna angesichts Dorothys großem Eifer lächeln.

„Komm schon“, neckte Rose die jüngere Kollegin. „Du hast einfach nur Lust auf eine Party.“

„Wie du letztes Jahr, bevor Andrew zurück nach Kimberley gegangen ist“, konterte Dorothy. Und dann wurde sie ernst. „Kann er nicht auch kommen, Rose?“

Rose schüttelte den Kopf. „Andrew hat zu viel zu tun“, erklärte sie bestimmt. „Wann soll die Party denn steigen?“

„So bald wie möglich“, entschied Dorothy. Nächsten Monat ist schon Dezember, und dann denken alle nur noch an Weihnachten.

Joanna freute sich, dass sie bald neue Freundschaften schließen würde. Sie vermisste ihre Freunde, und obwohl sie hier ein paar flüchtige Bekannte hatte, war das nicht dasselbe.

„Kommt Jake O’Connor auch zu unserer Party?“, fragte sie Dorothy wie beiläufig.

„Wenn er keinen Dienst hat“, erklärte Dorothy. „Warum? Hast du deine Meinung über ihn geändert?“

„Nein“, gab Joanna fest zurück. Wenn sie ehrlich war, wäre sie froh, wenn er nicht käme.

Als die Party dann stieg, war von Jake O’Connor keine Spur zu sehen. Die älteren Nachbarn, die sie ebenfalls eingeladen hatten, hatten bedauernd abgelehnt. „Leider können wir nicht kommen, aber machen Sie sich keine Sorgen wegen des Lärms. Maud und ich waren auch mal jung.“ Ansonsten war das Haus voller Menschen, und Joanna unterhielt sich bald mit diesen, bald mit jenen. Alle waren ganz unkompliziert und freuten sich, ein neues Gesicht zu sehen.

Und dann stand Jake O’Connor an der offenen Tür. Er war allein, aber binnen weniger Sekunden von einer Traube junger Frauen umringt. Kurz darauf tanzte er bereits mit einer lebhaften Rothaarigen. Er hatte sich kein bisschen verändert.

Als es Zeit wurde, die Pizza in den Ofen zu schieben, ging Joanna in die Küche. Sie war dankbar für die Verschnaufpause in dem ganzen Trubel.

„Ihr zweiter Vorname ist bestimmt Cinderella.“

Erschrocken fuhr Joanna herum und blickte direkt in Jakes blaue Augen. Lässig setzte er sich und sah zu, wie sie die Bleche in den Ofen schob.

„Sie haben auch schon ein wenig Farbe bekommen“, stellte er wohlwollend fest und musterte sie. Joanna war sich ihres kurzen, engen Kleids nur allzu bewusst. „Es steht Ihnen.“

Sie errötete. „Essen gibt es nebenan“, erklärte sie ihm brüsk. „Die Pizza bringe ich raus, wenn sie fertig ist.“

Jake seufzte. „Sehe ich so hungrig aus? Ich bin nicht wegen des Essens hier. Die anderen beiden Gastgeberinnen habe ich schon begrüßt. Und da meine Mutter mich gut erzogen hat, wollte ich auch Ihnen Hallo sagen.“

Einen Moment sah Joanna einen kleinen dunkelhaarigen Jungen mit blauen Augen vor sich. Es fiel ihr schwer, ein Lächeln zu unterdrücken.

„Und da ich mich so gut betragen habe, tanzen Sie doch bestimmt mit mir, oder?“

„Nein danke“, wehrte Joanna ab. „Ich habe zu tun.“

Autor

Elisabeth Scott
Elisabeth Scott wurde 1972 geboren. Sie wuchs in einer kleinen Stadt im Süden Virginias auf. Die Stadt war so klein, dass sie noch nicht mal eine Post hatte. Ihre Eltern waren beide High – School – Lehrer. Und, da die Stadt so klein war, hatte Elisabeth Scott ihre Eltern zu...
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