Liebesurlaub in der Karibik

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Seine Augen hypnotisieren sie, sein Mund verspricht den Himmel auf Erden: Rettungslos verliebt Isabella sich in den Mann, den sie für einen Angestellten des Milliardärs Rio D’Aquila hält. Doch nach einem Liebesurlaub in der Karibik fragt sie sich: Wer ist mein Liebhaber wirklich?


  • Erscheinungstag 20.08.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519939
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rio D’Aquila war reicher, als die meisten Menschen sich vorstellen konnten. Er wurde von allen gefürchtet, die einen Grund hatten, ihn zu fürchten, und er war so attraktiv, wie ein Mann es sich nur wünschen konnte.

Nicht, dass sein Aussehen ihm etwas bedeuten würde. Wichtig war allein, wer er war. Oder besser, zu wem er geworden war.

Er war in den Slums von Neapel aufgewachsen. Mit siebzehn hatte er sich als blinder Passagier auf einen brasilianischen Frachter geschmuggelt. Als die Crew ihn entdeckte, rief sie ihn „Rio“, weil das der Zielhafen des Schiffes war. Das „Aquila“ hängten die Seeleute daran, weil der Halbwüchsige mit der Gereiztheit eines Adlers auf ihre derben Späße reagierte. Rio D’Aquila gefiel dem Jungen besser als Matteo Rossi – diesen Namen hatten ihm die Nonnen im Waisenhaus gegeben.

Heute war er zweiunddreißig und der namenlose Junge von einst nur noch eine schwache Erinnerung. Rio bewegte sich in einer Welt, in der Geld und Macht als Selbstverständlichkeit galten und von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

Von seinen Eltern jedoch hatte Rio nichts als das schwarze Haar, die dunkelblauen Augen, ein markantes Gesicht und einen Meter neunzig Körpergröße geerbt. Alles andere, was er besaß – Villen, Autos, Flugzeuge und das Unternehmen Eagle Enterprises, das Weltruf genoss –, hatte er sich selbst erarbeitet.

Es machte den Erfolg umso süßer, wenn man bei null anfing und bis zur Spitze gelangte. Falls es überhaupt einen Nachteil gab, dann den, dass dieser Erfolg Aufmerksamkeit erregte.

Zuerst hatte Rio das Interesse an seiner Person genossen. Als er anfangs die Times aufgeschlagen und seinen Namen im Wirtschaftsteil gelesen hatte, da hatte er sich gut gefühlt. Inzwischen war er es nicht nur leid, sondern ihm war längst klar, wie bedeutungslos es war. Wenn jemand in den Top Ten der Forbes-Liste stand, reichte allein seine Existenz für Schlagzeilen. Wenn dieser Mann dann auch noch Junggeselle war, fiel er augenblicklich in die Kategorie „begehrt“. Spätestens dann legte jede Frau es darauf an, sich seinen Namen, seinen Status, sein Geld zu angeln. Damit war die Privatsphäre eines Mannes endgültig zerstört.

Rio legte großen Wert auf seine Privatsphäre. Ihm war gleich, was die Leute über ihn sagten und ob sie ihn brillant oder skrupellos nannten. Er hielt sich an seinen eigenen Ehrenkodex: Ehrlichkeit, Entschlossenheit, Logik. Mit beachtlicher Konsequenz konzentrierte er sich auf sein Ziel und kontrollierte seine Emotionen. Vor allem Letzteres war unerlässlich.

Doch heute, an diesem heißen Augustnachmittag, hatte selbst er die Kontrolle über seine Emotionen verloren.

Er war, gelinde ausgedrückt, stinksauer.

Wenn ihn ein Businessdeal frustrierte, ging er normalerweise in seinen Boxklub in Manhattan und reagierte sich bei ein paar Runden im Ring mit seinem Sparringpartner ab. Doch er war nicht in New York, sondern in Southampton auf Long Island, an der exklusiven South Shore. Hier suchte er nach dem immer schwerer zu erreichenden Zustand, den man allgemein Ruhe nannte, und, verdammt, dieses kostbare Gut würde er sich nicht von irgendeinem Typen namens Izzy Orsini kaputtmachen lassen!

Darum versuchte er seit einer guten Stunde, sein Temperament mit einem Spaten abzukühlen. Wenn seine Geschäftspartner ihn jetzt sehen könnten … Rio D’Aquila in Jeans, T-Shirt und Arbeitsstiefeln in einem Graben stehend und Erde schaufelnd?

Schon früher hatte er Gräben ausgehoben, auch wenn niemand in seiner Welt davon wusste. Und obwohl er das heute keineswegs vorgehabt hatte, war es immer noch besser, als mit jeder Minute wütender zu werden.

Noch vor zwei Stunden hatte er gute Laune gehabt. Er war früh angekommen, hatte die kleine Sportmaschine selbst geflogen und war am Flughafen in Easthampton in den Chevy Silverado umgestiegen, den sein Verwalter für ihn bereitgestellt hatte.

Southampton war ein pittoreskes Städtchen, und an einem Freitagmorgen war hier nicht viel los. Mit dem Mann, der den Infinitypool für ihn anlegte, hatte Rio in einem kleinen Café gefrühstückt. Sie hatten sich über die Größe und die Form des Pools unterhalten. Ein angenehmes Gespräch, genauso angenehm wie die Tatsache, dass Rio in einem Café sitzen konnte, ohne sofort ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Deshalb hatte er das Wochenendhaus auch hier bauen lassen, auf fast drei Hektar aberwitzig teurem Land direkt am Meer. Hier interessierte sich nämlich niemand für Berühmtheiten. Glaubte man den Medien, so war Rio eine Berühmtheit. Hier jedoch konnte er einfach er selbst sein. In einem Café sitzen, durch die Stadt schlendern, sich in einem Baumarkt Werkzeuge ansehen und so tun, als wollte er sie wirklich kaufen. Für einen Mann, den ständig eine Phalanx von Leibwächtern umringte, war es das Paradies.

Früher hatte er mit solchen Werkzeugen seinen Lebensunterhalt verdient. So naiv, dass er behaupten würde, körperliche Arbeit garantiere einen anständigen Charakter, war er nicht, aber das einfache Leben besaß durchaus seinen Reiz.

Im Laufe des Vormittags traf er sich noch mit dem Sicherheitsmann, der ein hypermodernes Alarmsystem im Haus und rund um das Grundstück installiert hatte. Sie saßen vor einer kleinen Eisdiele unter dem Sonnenschirm, und Rio versuchte sich vergeblich zu erinnern, wann er das letzte Mal einen Erdbeerbecher gegessen hatte.

Er fühlte sich … entspannt und musste sich regelrecht zwingen, dem Thema zu folgen. Es gab ein Problem mit der Sprechanlage.

„Gleich am Montagmorgen kümmere ich mich darum“, versicherte der Sicherheitsmann.

Gegen Mittag fuhr Rio zu seinem Haus. Die Auffahrt war noch nicht gepflastert, und der Wagen rumpelte durch tiefe Rillen, aber nichts konnte Rios Stolz schmälern, den er schon jetzt für das Haus empfand.

Es war genau so geworden, wie er es sich vorgestellt hatte: helles Holz und viel Glas. Ein Zufluchtsort, an den er sich zurückziehen und die Ellbogenwelt für eine Weile vergessen konnte.

Der Projektleiter, den Rio beauftragt hatte, wartete bereits auf ihn. Sie hatten ein paar kleinere Dinge zu besprechen. Anschließend würden sie gemeinsam die Gespräche mit den drei, nein, vier Landschaftsgärtnern führen, die die Begrünung der Terrasse an der Rückseite des Hauses und der beiden Decks übernehmen sollten. Rio hatte sehr genaue Vorstellungen von dem, was er haben wollte. Wer immer den Job bekam, würde akzeptieren müssen, dass der Auftraggeber sich aktiv an der Planung beteiligte. Genau wie er auch bei der Planung des Hauses entscheidend mitgearbeitet hatte.

Der Verwalter war noch da. „Ich habe mir erlaubt, den Kühlschrank aufzufüllen. Nicht viel, nur Frühstück – Speck, Eier, Brot. Ach ja, und ein paar Steaks, Maiskolben und Tomaten. Für den Fall, dass Sie über Nacht bleiben wollen“, informierte er seinen Chef.

Rio dankte ihm, obwohl er nicht vorhatte, über Nacht zu bleiben. Er hatte schon zwei Meetings verschieben müssen, um überhaupt herkommen zu können. Heute war der einzige Tag, an dem alle drei Landschaftsgärtner Zeit für ein Bewerbungsgespräch hatten.

Vier. Es waren vier Bewerber. Warum vergaß er das ständig? Wahrscheinlich weil er den vierten gar nicht erst sprechen wollte. Freundschaft und Geschäft vertrugen sich nicht, aber wenn ein guter Freund eine Empfehlung für seinen Cousin oder Onkel – oder wer auch immer dieser Izzy Orsini war – aussprach, dann machte man eine Ausnahme und sah sich den Mann wenigstens an.

Mit dem Lunchpaket, das seine Haushälterin in Manhattan vorbereitet und in eine Kühltasche gepackt hatte, stieg Rio aus dem Wagen. Es war ein luxuriöser Lunch – Roastbeef auf Baguette, Cheddar, frische Erdbeeren, Buttergebäck, eine Flasche Prosecco. Und natürlich Leinenservietten, langstielige Weingläser und echtes Porzellan.

Die beiden Männer mussten lachen. Bier und deftiges Bauernbrot hätten besser gepasst, schließlich saßen sie auf umgestülpten Eimern und benutzten einen Sägebock als Tisch. Trotzdem ließen sie es sich bis zum letzten Krümel schmecken.

Kurz darauf trafen die drei Gärtner ein, einer nach dem anderen, pünktlich zur verabredeten Zeit. Alle kamen aus der Gegend, alle waren sehr professionell und bemüht, den lukrativen Auftrag zu erhalten. Sie hatten Portfolios und Pflanzenkataloge dabei und legten detaillierte Vorschläge vor.

Jeder der drei Männer hörte genau zu, als Rio ihnen erklärte, was sie bereits wussten. Er wollte Terrasse und Decks so natürlich wie möglich bepflanzen, mit Büschen und Hecken, passend zur Flora der Landschaft. Vielleicht ein paar Blüher oder Stauden. Obwohl er zugab, nicht viel vom Gärtnern zu verstehen, hatte er ein genaues Bild seines Gartens vor Augen.

„Die Terrasse soll nahtlos an die Felder hinter dem Haus anschließen. Können Sie sich vorstellen, wie das aussehen soll?“

Jeder Bewerber nickte und zeichnete ein paar Ideen auf den mitgebrachten Skizzenblock. Zwar gab keine der Skizzen genau das wieder, was Rio sich wünschte, aber er war dennoch sicher, dass jeder der drei mehr als zufriedenstellende Arbeit leisten würde.

Drei exzellente Landschaftsgärtner. Nur war da noch der vierte. Der Projektleiter verstand Rios Situation. Der Freund eines Freundes, er kannte das. Allerdings verspätete sich dieser Freund. Die beiden Männer warteten zusammen.

Nach einer Weile sah Rio verärgert Richtung Straße. „Der Mann sollte es eigentlich besser wissen und nicht gleich zum Vorstellungsgespräch zu spät kommen.“

„Vielleicht hat er ja eine Panne“, warf der Projektleiter ein.

Weitere zehn Minuten vergingen. Verdammt, dachte Rio, wenn ich neulich nicht auf diese Party gegangen wäre, müsste ich jetzt nicht warten.

Vor ein paar Wochen hatten Dante Orsini und seine Frau Gabriella einige Leute in ihr Penthouse eingeladen. Rio hatte seine aktuelle Geliebte als Begleitung mitgenommen.

Irgendwann hatte sie sich entschuldigt, um zur Toilette zu gehen – „für kleine Mädchen“, hatte sie kichernd gesagt. Dante hatte unauffällig die Augen verdreht, Rio einen neuen Drink in die Hand gedrückt und ihn auf die Terrasse geführt, wo es weniger laut war.

„Für kleine Mädchen also, was?“

Rio hatte gelacht. „Alle guten Dinge gehen irgendwann zu Ende.“

Und Dante, der sich noch gut an seine Junggesellenzeit erinnerte, hatte sein Lachen wissend erwidert.

Sie stießen mit Bourbon an.

„Wie ich höre, baust du dir ein Haus in den Hamptons“, wechselte Dante dann das Thema.

New York war groß, aber in den Kreisen, in denen Dante und Rio verkehrten, machten Neuigkeiten schnell die Runde.

„Ja, in Southampton. Letzten Sommer habe ich dort einen Freund besucht, Lucas Viera. Er hat ein Haus direkt am Strand. Sehr ruhig, sehr abgeschieden. Es gefiel mir sehr gut. Und darum …“

„Darum“, Gabriella Orsini trat zu ihnen und hakte sich lächelnd bei ihrem Mann unter, „brauchst du jetzt einen Gärtner, richtig?“

Verwundert sah Rio sie an. Dann nickte er. „Sicher, irgendwann schon.“

„Wir kennen da zufällig einen wirklich genialen Gärtner“, fuhr Gabriella fort.

Zu Rios Überraschung lief Dante rot an.

„Izzy“, führte Gabriella weiter aus und deutete auf die blühenden Pflanzenkübel, die überall auf der Terrasse standen. „Das ist Izzys Werk. Genial, nicht wahr?“

Rio sah sich die Bepflanzung genauer an. Genial vielleicht nicht, dachte er, aber es sieht natürlich aus, was bei einem zweistöckigen Penthouse auf dem Dach eines Hochhauses nicht leicht zu erreichen gewesen sein dürfte.

„Also, Izzy versucht gerade, sich zu vergrößern …“, druckste Dante herum, um sofort von seiner Frau unterbrochen zu werden.

„Und wir sind uns nicht zu schade für ein wenig Vetternwirtschaft, nicht wahr, Liebling?“

Da war der Groschen gefallen. Sein Geschäftsfreund, genauer gesagt die Frau seines Freundes, wollte einem Verwandten den Job zuschustern. Es musste ein Cousin oder ein Onkel sein, denn es gab nur vier Orsini-Brüder. Rio hatte sie alle schon einmal getroffen, keiner von ihnen hieß Izzy.

Die Terrassenbepflanzung sah gut aus. Und Rio mochte Dante und Gabriella. Außerdem stammte Gabriella aus Brasilien, seiner Wahlheimat. Darum gab Rio seinem Projektleiter Izzy Orsinis Adresse, als es darum ging, sich um einen Gärtner zu kümmern.

Doch Izzy Orsini kam nicht.

Der Projektleiter spähte immer wieder verstohlen auf seine Armbanduhr. Irgendwann reichte es Rio. Er sagte dem Mann, dass er ruhig gehen könnte. „Sie haben sicher Besseres zu tun, als hier auf jemanden zu warten, der nicht auftaucht.“

„Sind Sie sicher, Mr. D’Aquila? Ich meine, ich kann auch …“

„Ich heiße Rio, das wissen Sie. Und ja, ist überhaupt kein Problem. Ich bleibe noch eine Weile, nur für den Fall.“

Das war vor zwei Stunden gewesen.

„Merda“, murmelte Rio und hieb den Spaten ins Erdreich. Je tiefer der Graben wurde, desto heftiger schäumte seine Wut. Langsam gingen ihm die Entschuldigungen für Dantes Cousin aus. Vielleicht hatte Orsini sich in der Zeit geirrt, vielleicht hatte er eine Panne gehabt, vielleicht hatte die Großtante Herzflattern bekommen … aber das waren alles keine Gründe, nicht anzurufen und Bescheid zu sagen!

Okay, jetzt habe ich genug Zeit verschwendet. Es wird unangenehm, Dante und Gabriella zu erzählen, dass Izzy Orsini es verbockt hat, aber so ist es nun mal!

Ein Pelikan flog auf den Ozean hinaus. Rio legte den Kopf in den Nacken und sah ihm nach. Er hatte dieses Stück Land gekauft, um sich hier zu entspannen. Im Moment war er meilenweit von Entspannung entfernt.

Über diesen Trottel nachzudenken, der sich einen guten Job durch die Finger gehen ließ, machte ihn wütend. Als er damals angefangen hatte, hätte er sich eine solche Möglichkeit nie entgehen lassen. Im Gegenteil: Er hätte sich überschlagen für einen gut bezahlten Job mit Potenzial für mehr. Kein Wunder, dass Gabriella diesen Orsini antrieb. Allein brachte der Mann offenbar nichts zustande.

Rios Muskeln schmerzten, die Haut an den Fingerknöcheln war abgeschürft, und unter seinen manikürten Fingernägeln saß ein dunkler Rand. Ehrlich gesagt hatten die zwei Stunden Graben ihm Spaß gemacht. Körperliche Arbeit hatte den gleichen Effekt wie der Boxring. Aber genug war genug.

Schweiß lief ihm über die Stirn. Er zog sich das T-Shirt über den Kopf und wischte sich damit übers Gesicht.

Die Sonne stand schon tief am Himmel. Er sollte losfahren. Aber in der Stadt wäre es laut und stickig … der Ozean lockte …

Spontan traf Rio eine Entscheidung. Er würde doch über Nacht bleiben und schwimmen gehen. Der größte Teil des Hauses war bereits möbliert, und dank seines Verwalters hatte er Steaks und Wein im Kühlschrank. Perfekt!

Die Klingel am Tor läutete. Er erwartete niemanden … Oder doch, das musste dieser Orsini sein. Der Trottel war also tatsächlich noch gekommen – drei Stunden zu spät.

Fast hätte Rio gelacht. Nerven hatte der Mann, das musste man ihm lassen. Nur würde er ihm jetzt nicht mehr öffnen. Der Arbeitstag war vorbei, der Abend gehörte ihm.

Es klingelte wieder. Rio verschränkte die Arme vor der Brust und rührte sich nicht.

Dann läutete es ein drittes Mal, diesmal ausdauernd und aufdringlich. Orsini musste den Daumen auf den Knopf halten.

Cristo! Wie wurde er den Typen nur wieder los?! Wütend marschierte Rio zur Sprechanlage.

„Was?“, knurrte er in den Lautsprecher.

Außer Rauschen und Kratzen war nichts zu hören. Na schön, wenn Orsini reinwollte, dann sollte er reinkommen und eine Lektion in Sachen Pünktlichkeit erteilt bekommen. Rio drückte den Knopf, der das Tor öffnete.

Er warf das zusammengeknüllte T-Shirt beiseite, marschierte quer durchs Haus zur Vordertür, wobei seine schmutzigen Arbeitsschuhe auf dem ganzen Weg Dreck auf dem glänzenden Marmorboden zurückließen.

„Verdammt“, schnauzte er, riss die Haustür auf – und verstummte.

Eine Gestalt lief über die ungepflasterte Auffahrt. Zumindest versuchte sie zu laufen, doch wie schnell konnte man schon mit Stilettos über einen unebenen Feldweg hasten?

Sein Besucher war also nicht Izzy Orsini, sondern eine Frau. Eine junge Frau, Mitte zwanzig vielleicht und aufgemacht, als wollte sie in ein Vorstandsmeeting: graues Kostüm und weiße Bluse, das dunkle Haar streng aus dem Gesicht gekämmt. Wie eine Reporterin sah sie nicht aus, aber … wer immer sie war, sie hatte hier nichts verloren.

„Drehen Sie gleich wieder um, und verschwinden Sie“, rief er ihr donnernd entgegen. Doch seine Aufforderung zeigte keinerlei Wirkung. „Ich sagte …“

„Mr. D’Aquila erwartet mich.“

Sie war definitiv keine Reporterin, sonst würde sie ihn erkennen, selbst ohne T-Shirt und in Jeans. Aber ganz offensichtlich log sie.

Rio lächelte dünn. „Ich versichere Ihnen, Madam, das wäre ihm neu.“

Inzwischen war sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Erst jetzt sah Rio, dass in ihrem Rock ein Riss klaffte, auf ihrer Bluse ein großer Schmutzfleck prangte und die Stilettos voller Lehm waren. Auch die strenge Frisur saß lange nicht so akkurat, wie er anfangs geglaubt hatte. Dunkle Strähnen lockten sich um das Gesicht der Frau.

Es war ein interessantes Gesicht – herzförmig, mit hohen Wangenknochen und großen grünen Augen. Wie eine Katze, dachte er.

Wenn sie in einen Unfall verwickelt war, dann verlangte die Menschlichkeit, dass er ihr …

„Ich glaube eher, dass Ihr Benehmen ihm neu sein wird“, sagte Isabella Orsini. Sie hoffte inständig, dass ihre Stimme fest genug klang, denn innerlich bebte sie. Nach allem, was sie heute durchgemacht hatte, würde sie sich nicht von dem halb nackten, viel zu gut aussehenden – wenn man denn dumm genug war, sich davon beeindrucken zu lassen – Handlanger eines überreichen, selbstherrlichen Affen aufhalten lassen.

Einen Moment lang herrschte Stille. Dann zog Mr. Halbnackt eine Augenbraue in die Höhe.

„Tatsächlich …“ Er sprach leise, nahezu freundlich, trotzdem begann Izzys Herz wie wild zu klopfen.

„Ja, tatsächlich“, erwiderte sie mit all der Überheblichkeit, die sie zusammenklauben konnte.

„In dem Fall“, Mr. Halbnackt schnurrte jetzt geradezu, „ist es wohl besser, wenn Sie hereinkommen.“

2. KAPITEL

Ein halb nackter Mann. Ein abgelegenes Haus. Die Aufforderung, durch die offene Tür zu treten.

Izzy schluckte. Wollte sie das? Sie war noch nie besonders risikofreudig gewesen. Jeder wusste das, sogar ihr Vater, der eigentlich so gut wie nichts über seine Kinder wusste.

„Wie ich höre, spielst du mit dem Gedanken, den Auftrag für einen neuen Kunden zu übernehmen, Isabella“, hatte er während des obligatorischen sonntäglichen Familiendinners in der Stadtvilla der Orsinis gesagt. „Das wirst du nicht tun. Du wirst nicht für Rio D’Aquila arbeiten.“

Dabei hatte er sie mit seinem „Ich bin das Familienoberhaupt“-Blick angesehen. Allerdings zeigte dieser Blick bei denen, die ihn als don der mächtigsten famiglia der Ostküste fürchteten, wesentlich mehr Wirkung als bei seinen Söhnen und Töchtern.

„Und weshalb nicht?“, entgegnete sie kühl.

„Ich kenne ihn. Und was ich von ihm weiß, gefällt mir nicht. Deshalb steht es völlig außer Frage, dass du dich zu seiner Dienstbotin machst.“

Wenn die Art, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente, nicht ein ewiger Streitpunkt zwischen ihnen wäre, hätte Isabella gelacht. „Ich bin kein Dienstbote, sondern Gartenbauarchitektin mit Universitätsabschluss.“

„Du bist Gärtnerin.“

„Richtig. Und selbst wenn du es als Dienstbote bezeichnest … es ist nichts Unehrenhaftes daran, Koch oder Haushälterin zu sein.“

„Die Orsinis verbeugen sich vor niemandem, Isabella. Ist das klar?“

Nichts war klar, vor allem nicht, wie ihr Vater erfahren hatte, dass sie von einem Milliardär, von dem sie bis vor zwei Wochen noch nie gehört hatte, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Und dass Cesare sich tatsächlich einbildete, sie würde seine Anordnungen befolgen …

Falls überhaupt, hatte Cesares Kommentar sie erst dazu gebracht, das Angebot in Erwägung zu ziehen. Und so stand sie also nun hier in Southampton, das ihr vorkam wie ein fremder Planet, Stunden zu spät für ein wichtiges Bewerbungsgespräch. Ihr Auto lag irgendwo eine halbe Ewigkeit von hier entfernt im Graben, und ihr Aufzug war eine einzige Katastrophe. Wunderte es da, wenn sie ernsthaft überlegte, ob sie mit einem halb nackten Mann – einem umwerfend aussehenden halb nackten Mann – in ein Haus von der Größe eines Flugzeughangars eintreten sollte?

„Was ist nun? Kommen Sie herein, oder sind Sie sich nicht mehr sicher, ob Mr. D’Aquila Sie erwartet?“

Der Verwalter – oder was immer er war – musterte sie amüsiert. Von wegen amüsiert … es war die pure Häme! Wie schön, wenn ich zur allgemeinen Erheiterung beitragen kann, dachte Isabella und richtete sich zu ihrer vollen Größe von leider gerade mal einem Meter fünfundsechzig auf.

„Ich bin mir eigentlich immer sicher.“ Hatte sie das tatsächlich gerade gesagt?

Wie von allein setzten sich ihre Füße in Bewegung und führten sie an dem Mann vorbei ins Haus. Als die schwere Holztür hinter ihr ins Schloss geschlagen wurde, zuckte Isabella leicht zusammen.

Großer Gott, das Foyer ist riesig!

„Ja, das ist es, nicht wahr?“

Sie schwang herum. Mr. Halbnackt stand direkt hinter ihr, die Arme vor der Brust verschränkt. Es war eine sehr beeindruckende Brust. Wie von selbst ging ihr Blick auf Wanderschaft …

„Sie meinten doch das Foyer, oder?“ Ein spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen.

Habe ich etwa laut gedacht? Offenbar. Alles? Sie kniff die Augen zusammen. Der Mann amüsierte sich auf ihre Kosten!

Wirklich verübeln konnte sie es ihm nicht. Er mochte vielleicht nur halb angezogen sein, aber sie … sie war das wandelnde Desaster.

Alles an ihr war entweder zerrissen, voller Flecke oder mit Straßenstaub bedeckt. Dabei hatte sie vor ein paar Stunden noch absolut perfekt ausgesehen. Zumindest so perfekt wie möglich. Sie hatte mehr Zeit darauf verwandt, sich für das Gespräch zurechtzumachen, als sie je für irgendeine Verabredung gebraucht hatte.

So stimmte das nicht ganz. Ihre Schwester Anna hatte das Regiment übernommen und entschieden, dass Kostüm und Seidenbluse statt Jeans und T-Shirt für ein solches Treffen angebracht waren. Beides hatte sie sofort aus ihrem Kleiderschrank geholt und Izzy zur Verfügung gestellt.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
Mehr erfahren