Liebeszauber in Venedig - 5 traumhafte Liebesromane

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GROSSE VERSUCHUNG IN VENEDIG von JOANNA MANSELL

Die traumhaften Kanäle, Brücken und Paläste Venedigs sind auf einmal nur noch schöne Erinnerung, als das bildhübsche Modell Francine die Wahrheit erfährt: Der leidenschaftliche Venezianer Alessandro hat sie nicht aus Liebe geheiratet, sondern aus Rache an ihrem Vater.

SCHICKSALSNACHT IN VENEDIG von CHANTELLE SHAW

Ungläubig starrt Jess den stolzen Italiener aus der schwerreichen Cassari-Dynastie an. Sie soll ihn nach Venedig begleiten, wo sein Bruder - ihr Mitbewohner - im Krankenhaus liegt? Sie hat doch in England zu tun! Aber Drago Cassari ist nicht nur umwerfend attraktiv, sondern auch unbeugsam: Kaum in der Lagunenstadt angekommen, bringt er Jess in seinen hochherrschaftlichen Palazzo am Canal Grande. Wo Jess in einer schicksalhaften Nacht erfährt, was Drago wirklich von ihr will …

HOCHZEIT IN VENEDIG von MARGARET HOLT

Fasziniert ist die zarte Dr. Lucinda Hallcross auf einem Ärztekongress in Venedig von Dr. Pino Ponti. Seine dunklen Augen ziehen sie in ihren Bann, seine Küsse sind voller Leidenschaft. Doch nach einem Streit muss Lucinda sich fragen: Bleibt die Hochzeit ein Traum?

VERLIEBT IN VENEDIG von ANNE MATHER

Bella donna! Die Begegnung mit der hübschen Emma stellt die Welt des Conte Cesare Vidal auf den Kopf. Der adelige Lebemann führt nicht nur ein riskantes Doppelleben, das jeden in seiner Nähe in Gefahr bringt - er ist auch so gut wie verheiratet: mit Emmas Stiefmutter!

IN VENEDIG WEINT MAN NICHT von ANGELA WELLS
Hand in Hand auf dem Markusplatz, Arm in Arm in der Suite des romantischen Hotels am Canal Grande – so stellt Caterina sich ihre Flitterwochen in Venedig vor. Aber dann belauscht sie ein Gespräch und fürchtet: Niccolò hat sie nicht aus Liebe geheiratet ...


  • Erscheinungstag 25.07.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751530446
  • Seitenanzahl 565
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Große Versuchung in Venedig erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© by Joanna Mansell
Originaltitel: „A Perfect Seduction“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 114 - 1995 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Umschlagsmotive: vchal / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 7/2024

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751530477

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Es wurde langsam dunkel, als der Vaporetto durch den Canale Grande schipperte. Die glühende Hitze des ausklingenden Tages hing noch immer über den Dächern von Venedig. Francine schwitzte unter ihrer langen Lockenpracht.

Sie hatte sich durch die Menge der Fahrgäste bis zur vordersten Spitze des Boots vorgearbeitet, um von diesem idealen Platz aus keine Sehenswürdigkeit zu verpassen. Als das Boot unter der Rialto-Brücke durchfuhr, war sie voller Bewunderung für die in blassem Stein verankerten dunklen Brückenbögen. Die Wasseroberfläche glitzerte von dem Licht, das sich von den Läden und Wohnhäusern widerspiegelte. Elegante Gondeln glitten vorbei, und Francine blickte etwas neidisch auf die Pärchen, die gerade die romantischste Bootsfahrt ihres Lebens genossen.

Doch schnell verdrängte sie den Wunsch, auch in einer solchen Gondel zu sitzen. Sie führte sich rasch zu Bewusstsein, dass sie zum Arbeiten hier war. Und so, wie sie Pete kannte, würde sie keine freie Minute haben.

Francine war die Assistentin von Pete, einem Fotografen. Gemeinsam wollten sie in Venedig romantische und außergewöhnliche Aufnahmen für einen aufwendigen Kalender machen. Pete war schon ein paar Tage zuvor hierhergeflogen, um nach geeigneten Standorten und Motiven Ausschau zu halten. Das Besondere an dieser Reise war, dass Francine diesmal nicht nur als Assistentin mitwirken sollte, sondern auch als Fotomodell.

Pete war ein brillanter Fotograf, und Francine konnte gut organisieren und Buch führen. Gemeinsam bildeten sie ein unschlagbares Team. Dennoch war das vergangene Jahr anstrengend für sie verlaufen. Das Gerangel um Fotoaufträge wurde angesichts steigender Konkurrenz immer härter, was auch die Preise und damit ihre Einnahmen niederdrückte. Um auch diesmal ein kostengünstiges Angebot machen zu können, hatte Pete auf ein professionelles Model verzichtet und stattdessen auf Francine zurückgegriffen.

Francine war zu allem bereit, um das kleine Unternehmen am Leben zu erhalten. Sie war keineswegs eitel. Dennoch war ihr wohl bewusst, dass sie aufgrund ihrer beachtlichen Größe, ihres feinen Knochenbaus und ihres kerzengeraden Wuchses mit jedem berufsmäßigen Mannequin mithalten konnte. Sie hatte das Zeug für ein Topmodel. Aber an einer solchen Karriere war ihr nicht gelegen – sie liebte ihren jetzigen Beruf über alles.

Der Vaporetto legte bei San Marco an, und Francine nahm ihre Segeltuchtasche auf. Sie reiste immer mit leichtem Gepäck. Pete hatte bereits ihren großen Koffer mitgenommen. Sie verließ das Boot und marschierte im Pulk der Touristen in Richtung Markusplatz.

Pete hatte ihr am Abend zuvor am Telefon den Weg zu ihrem Hotel beschrieben. Er hatte ihr auch angeboten, sie am Landungssteg abzuholen. Doch Francine war klar, wie sehr beschäftigt Pete mit den vorbereitenden Arbeiten war. Also hatte sie sein Angebot dankend abgelehnt und sich mit ihm im Hotel verabredet.

So stand sie nun hier mitten in Venedig mit ihrem Notizzettel und versuchte, aus der Wegbeschreibung schlau zu werden. Sie wusste, dass sie den Markusplatz überqueren und dann eine der ruhigen Seitenstraßen weitergehen musste. Francine lief nun etwas schneller. Jenseits des großen Platzes wurden die Menschen immer weniger.

Abseits des von den Touristen verursachten Trubels und Lärms hatte die Stadt einen anderen Charakter und wirkte geheimnisvoller. Die wenigen Straßenlampen warfen nur ein mattes Licht. Francine blieb unter einer Laterne stehen, um erneut ihre Anweisungen zu studieren. Am Ende dieser Straße musste sie links abbiegen. Sie folgte ihrem Plan, doch der Weg führte über einen schmalen Kanal, von dem Pete nichts erwähnt hatte.

Leicht verunsichert kehrte sie daher um und probierte eine andere Seitenstraße, doch die führte in eine enge, unbeleuchtete Gasse. Francine wurde nervös und rannte vorwärts in der Hoffnung, am Ende in einer belebteren Gegend wieder herauszukommen. Sie überquerte einen winzigen Platz, der jedoch wieder in eine enge Gasse mündete. An deren entferntem Ende sah sie das Wasser eines Kanals glitzern. Und nun merkte sie, dass sie sich hoffnungslos verlaufen hatte.

Francine spürte, wie ihr Selbstvertrauen schwand. Nicht nur war sie hier mutterseelenallein, sondern obendrein war es mittlerweile stockdunkel. Nur hier und da brannte in den umliegenden Häusern noch Licht. Sie hatte bei Tageslicht ankommen wollen. Doch ihr Flug hatte sich verspätet, sodass sie erst am frühen Abend am Flughafen von Venedig eingetroffen war. Wie sehr sie jetzt das schützende Tageslicht herbeisehnte, selbst wenn die Sonne herabbrennen würde!

Francine biss sich auf die Lippe und überlegte angestrengt, was sie nun tun sollte. Das Vernünftigste war wohl, den gleichen Weg wieder zurückzugehen. Doch die kurzen Gässchen Venedigs kamen ihr wie ein Irrgarten vor. Sie wusste nicht mehr genau, aus welcher Richtung sie gekommen war.

Auf einmal erschienen zwei Männer auf der Brücke, die auf die andere Seite des vor ihr liegenden schmalen Kanals führte. Francine sah die beiden unsicher an. Sie musste jemanden nach dem Weg fragen. Aber es konnte auch gefährlich sein, zwei fremde Gestalten in einer dunklen Gasse anzusprechen.

Die beiden Fremden blieben in der Mitte der Brücke unter der Laterne stehen. Francine blickte nervös umher und fasste dann Mut. Schließlich waren die beiden die einzigen Passanten weit und breit. Also hatte sie keine Wahl, wen sie um Hilfe bitten konnte. Sie atmete einmal tief durch, ging dann auf die beiden Personen zu und hielt ihnen den Notizzettel entgegen.

„Entschuldigen Sie bitte“, begann sie höflich. Sie hoffte, dass wenigstens einer der beiden Englisch sprechen würde. „Können Sie mir sagen, wie ich zu diesem Hotel komme?“

Einer der Männer starrte sie lange und eindringlich an, bevor er sich seinem Begleiter zuwandte und in schnellem Italienisch einige Sätze sprach. Etwas im Ton seiner Stimme ließ Francine erschaudern, und instinktiv trat sie einen Schritt zurück. Dann drehte er sich um und musterte ihre Reisetasche. Da war sie sich sicher, dass er gerade den Entschluss fasste, sie auszurauben. Oder Schlimmeres mit ihr anzustellen! Als schließlich der andere Mann ein schmutziges Lachen ausstieß und sie von oben bis unten begaffte, wusste sie, dass sie in eine Falle geraten war.

Leicht hysterisch sah Francine um sich, ob es nicht jemanden gab, der ihr helfen könnte. Doch die Straße lag einsam und verlassen da. Die beiden Fremden wussten es und wähnten sich sicher, als sie langsam näher auf Francine zugingen. Francines Herz pochte wie wild. Als sie einen Schritt zurück trat, stellte sich ihr der eine Mann blitzschnell in den Weg und blockierte ihr so jede Fluchtmöglichkeit.

Francine wollte um Hilfe rufen, aber sie brachte keinen Ton heraus. Renn weg, rief ihr eine innere Stimme zu. Doch ihre Beine waren vor Angst weich wie Pudding.

Sie konnte es kaum für möglich halten, dass in dieser touristenüberladenen Stadt niemand in der Nähe war, um ihr zu Hilfe zu kommen. Doch auch auf dem Wasser war keine einzige Gondel in Sicht.

Einer der Männer bewegte sich zielbewusst auf sie zu. Francine riss all ihre Kraft zusammen, um ihm selbstsicher in die Augen zu blicken. Sie wusste, dass ihre weichen Knie ihr ein Wegrennen unmöglich machten. So versuchte sie, es bis zum Brückengeländer zu schaffen, um sich über die niedrige Brüstung in den Kanal zu werfen. Die Aussicht, in das schwarze, ölige Wasser zu tauchen, erschien ihr zwar grässlich, doch allemal besser, als von diesen Kerlen angefasst zu werden.

Francine hatte bereits einen Fuß auf der Balustrade, als sie plötzlich eine hart klingende Männerstimme vernahm, die vom anderen Ende der Brücke her den beiden Halunken im Befehlston etwas auf Italienisch zurief. Erleichtert atmete sie auf, dass im letzten Moment doch noch eine rettende Hand aufgetaucht war.

Die beiden Männer hatten die Botschaft natürlich sofort verstanden. Verärgert murmelten sie sich leise etwas zu. Dann warfen sie dem Neuankömmling einen abschätzenden Blick zu, als ob sie sich ihre Chancen – zwei gegen einen – ausrechnen wollten.

Auch Francine drehte sich um und sah den dritten Fremden an. Plötzlich verspürte sie ein Herzklopfen, das allerdings ein ganz anderes war als das, was sie beim Anblick der beiden Schurken verspürt hatte. Gleichzeitig wurde ihr klar, warum die beiden Männer – obwohl zu zweit – zögerten, es mit dem lästigen Störer aufzunehmen.

Der Fremde war bis auf einen weißen, steifen Hemdkragen ganz in Schwarz gekleidet. Sein Haar war so dunkel wie sein maßgeschneiderter, schwarzer Abendanzug. Eine Narbe quer über seinem rechten Wangenknochen verstärkte noch die Aura des Finsteren und Unheimlichen, die diesen Mann umgab. Er war um etliche Zentimeter größer als seine beiden Gegenspieler und wirkte körperlich überlegen. Seine Augen funkelten gefährlich im Laternenlicht. Auch wenn Francine seine Augenfarbe nicht erkennen konnte, so entnahm sie doch seinem herausfordernden Blick, dass er sich geradezu auf eine Konfrontation freute.

Den beiden Männern entging dies offensichtlich auch nicht. Brummend schlichen sie sich davon und fingen sogar zu rennen an, als der stattliche Fremde mit einer Drohgebärde einige Schritte hinter ihnen herlief.

Francine stand nun allein mitten auf der Brücke, ihre Augen wie gebannt auf die dunkle Gestalt gerichtet. Ihr Puls schlug unregelmäßig. Sie merkte, dass sie sich vor diesem Mann fast genauso sehr fürchtete wie vor den beiden Ganoven. Es war jedoch eine völlig andere Art von Furcht. Jeder einzelne Nerv ihres Körpers schien sie vor diesem Mann warnen zu wollen. Und dennoch fuhr ihr ein warmer, angenehmer Schauer durch die Glieder, als der Fremde einen Schritt näher kam.

Ohne ein Wort zu sprechen, schaute er sie mit einer solchen Intensität an, dass ihr einige Sekunden lang der Atem stockte.

Francine musste mehrmals schlucken, bevor es ihr endlich gelang, etwas zu sagen. „Vielen Dank. Sie kamen gerade rechtzeitig …“ Sie wartete ab, ob er ihr Englisch verstanden hatte. Sie selbst sprach leider nur ein halbes Dutzend Worte Italienisch.

„Ja, Sie waren in Gefahr“, erwiderte er auf Englisch. „Doch was treiben Sie im Dunkeln in diesen einsamen Gassen?“

„Ich habe mich verlaufen.“ Ihre Stimme zitterte. „Ich war auf der Suche nach meinem Hotel …“ Nun wurden ihre Knie weich, und sie lehnte sich rasch an das Brückengeländer. „Entschuldigung“, murmelte sie, „aber mir ist etwas mulmig.“

Sie spürte, wie starke Finger durch ihr Haar fuhren und eine kräftige Hand ihren Kopf festhielt, so lange, bis ihr Schwindelgefühl verschwand. Als es ihr wieder besser ging, atmete Francine einige Male kräftig durch. Sie versuchte, von der Hand, die leicht über ihren Nacken strich, keine Notiz zu nehmen. Sehr langsam und vorsichtig stand sie wieder auf.

„Es geht mir schon wieder gut.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte immer geglaubt, mit Situationen wie der vorhin selbst fertig werden zu können. Ich war jedoch starr vor Schreck und konnte mir überhaupt nicht helfen“, gestand sie zerknirscht.

„Vorher weiß man nie genau, wie man in einer bestimmten Situation reagieren wird.“ Er betrachtete eingehend ihr fahles Gesicht. „Mein Haus ist ganz in der Nähe“, meinte er dann abrupt. „Ich schlage vor, Sie kommen mit zu mir. Meine Hausangestellte wird sich um Sie kümmern. Wenn Sie sich dann wieder besser fühlen, bringe ich Sie in Ihr Hotel.“

„Ich fühle mich aber schon jetzt sehr wohl“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. Ihre Stimme klang jedoch immer noch brüchig, und sie selbst wusste nur zu genau, dass ihre Aussage keineswegs stimmte. Der ganze Vorfall hatte sie wirklich mitgenommen, und ihre eigene Hilflosigkeit deprimierte sie.

Der Fremde ließ sich auf keine weiteren Diskussionen ein. Er nahm einfach ihre Reisetasche auf und ging los, in der Annahme, dass sie ihm schon folgen würde.

Sehr arrogant, dieser Mann, dachte Francine bitter. Aber was blieb ihr schon anderes übrig in diesem Moment? Sie war unendlich erleichtert, dass ihr jemand beistand und die Dinge in die Hand nahm.

Er bewegte sich sicher durch ein Netz enger und schlecht beleuchteter Gassen. Schließlich, mit reichlich Verspätung, fragte sich Francine, ob sie denn wohl recht bei Sinnen war, hinter einem wildfremdem Mann durch dunkle, verlassene Gassen Venedigs herzulaufen. Der hatte sie zwar vor zwei Schurken gerettet, aber das hieß ja noch lange nicht, dass er nicht selbst einer war!

Gerade überlegte sie, ob sie nicht besser umdrehen und wegrennen sollte, als die Gasse plötzlich in eine hellere und viel breitere Straße mündete. Francine seufzte erleichtert. Sie atmete noch mehr auf, als sie Leute erblickte, von denen viele wie Touristen aussahen. Hier konnte sie jederzeit um Hilfe rufen.

Dies schien allerdings nicht nötig zu sein. Trotz seiner etwas düsteren Erscheinung hatte sie immer mehr den Eindruck, dass von diesem Mann keine Bedrohung ausging. Dass sie jetzt nervös war, lag vielmehr an ihrer Reaktion auf diesen Mann. Seine dunkle Gestalt mochte etwas Furcht erregend wirken, aber dennoch war er das anziehendste männliche Wesen, dem sie je begegnet war.

Einige Minuten später standen sie vor einer schmalen Tür, die in eine hohe Mauer eingelassen war. Der Fremde öffnete sie, und Francine fand sich in einem kleinen, eingezäunten Hof wieder, der nur von dem silbrigen Mondlicht beschienen war. Sie erkannte die Konturen exotischer Pflanzen in steinernen Gefäßen und das Glitzern des Wassers von einem vertieft angelegten Swimmingpool in der Mitte.

Sie überquerten den Hof und durchschritten eine zweite Tür, die in das Haus führte. Francine konnte von außen wenig erkennen, aber in jedem Fall war das Gebäude riesig.

Ihr Retter führte Francine durch einen aufwendig dekorierten Eingangsbereich und danach eine elegant geschwungene Treppe hinauf. An den Wänden hingen eindrucksvolle Gemälde. Francine war überwältigt – was für ein Haus!

Die Treppe mündete in einen langen Flur. Kleine Lämpchen an der Wand strahlten ein sanftes Licht aus. Durch ein großes Fenster konnte Francine einen Blick ins Freie werfen. Sie sah Wasser, Gondeln, Menschen und weiter entfernt einen Brückenbogen – sie schaute direkt auf den Canale Grande! Sie befand sich in einem richtigen Palazzo, einem der großartigen Gebäude, die man von Postkarten her kennt!

Doch wer war dieser Mann, der sie vor Schlimmem bewahrt hatte? Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn noch nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte. Ja – es gab eine Menge Fragen, die sie ihm eigentlich hätte stellen sollen, bevor sie ihm gefolgt war. Sie musste es in ihrem Angstzustand vergessen haben. Doch jetzt fühlte sie sich schon viel besser, und nun verlangte es sie nach einigen Antworten.

Gerade wollte sie zur ersten Frage ansetzen, als sich vor ihr eine große schwere Flügeltür auftat, an der sie gerade angekommen waren. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, stockte Francine der Atem.

Vor ihr lag ein riesiger, geschmackvoll und erlesen eingerichteter Prunksaal. Beleuchtet wurde er durch zahllose Kerzen, die hintersten Ecken lagen in einem geheimnisvollen Dunkel. Ein kolossaler, in Goldrahmen gefasster Spiegel reflektierte das Kerzenlicht und den kristallenen Kronleuchter, der in der Mitte des Raumes von der Decke hing. Der Saal war gefüllt mit einer Menge Leute, die in ihren eleganten Kleidern und Abendanzügen perfekt in diesen exquisiten Rahmen passten.

Eine dunkelhaarige Frau kam durch die offene Tür auf die beiden zugeschritten. Sie hatte das ebenmäßigste Gesicht, das Francine je gesehen hatte.

„Alessandro, wo warst du so lange?“ Die Frau sprach leise, ihre Stimme klang sehr sinnlich. Sie sah wie eine Italienerin aus, aber ihr Akzent klang nach amerikanischem Englisch. „Wir haben dich hier vermisst.“

Also hieß er Alessandro. Francine sprach den Namen in Gedanken mehrfach aus.

„Ich bitte für meine Abwesenheit um Entschuldigung. Aber ein unerwarteter Anruf zitierte mich kurzfristig zu einem wichtigen Geschäftstermin.“ Seine Stimme klang äußerst anziehend. „Und auf dem Rückweg konnte ich gerade noch rechtzeitig einen Raubüberfall – oder etwas noch Schlimmeres – verhindern.“

Die Frau musterte Francine, die mit ihrer Erscheinung so gar nicht in den Rahmen passte. „Das Kindchen braucht wohl jemanden zur Betreuung. Geh mit ihr zu Angelina; sie bemuttert doch so gerne.“

Francine stellte sich kerzengerade hin. Sie mit ihren einundzwanzig Jahren ‚Kindchen‘ zu nennen! Dies heute Abend war ein unglücklicher Vorfall gewesen – normalerweise konnte sie sehr wohl auf sich aufpassen!

„Danke, ich brauche keine Bemutterung“, erwiderte sie daher ungnädig. „Ich möchte mich nur gerne frisch machen. Dann werde ich mein Hotel aufsuchen.“

„Angelina wird alles erledigen“, bestimmte Alessandro. „Gisella, würdest du dich bitte kurz um meine Gäste kümmern? Ich bin so bald wie möglich zurück.“

Der dunkelhaarigen Frau schien es offenkundig gar nicht zu gefallen, dass Alessandro sich nicht sofort der Party anschloss. Irritiert ging sie in den Ballsaal zurück.

Francine folgte Alessandro auf dem Weg über weitere Flure und dann eine Treppe hinunter. Dort angekommen, öffnete er eine Tür, und Francine fand sich in einer riesigen, modern eingerichteten Küche wieder. Eine korpulente ältere Dame lief hin und her und kommandierte einige junge Mädchen in dunklen Uniformen herum, die anscheinend für den Abend als Hilfskräfte engagiert worden waren.

Sobald die ältere Dame Alessandro erblickte, lächelte sie ihn an und redete auf Italienisch heftig auf ihn ein. Francine verstand kein einziges Wort davon. Alessandro hörte geduldig zu. Als er endlich zu Wort kam, stellte er Francine vor und berichtete, was vorgefallen war.

Angelina kam sofort auf Francine zu und legte teilnahmsvoll einen Arm um ihre Schulter. „Keine Angst“, sagte sie beruhigend auf Englisch. „Ich werde alles für Sie tun.“ Zu Alessandro gewandt, ergänzte sie: „Kommen Sie in einer Stunde wieder. Bis dahin werde ich sie wieder aufgepäppelt haben.“

Alessandro war schon dabei zu gehen, als er sich noch einmal zu Francine umdrehte. „Ich denke, Sie sollten mir Ihren Namen verraten“, verlangte er, während er sie eingehend musterte.

Sein intensiver Blick verwirrte sie. „Francine Allen“, brachte sie mühsam heraus.

„Francine“, wiederholte er, und die Art und Weise, wie er ihren Namen aussprach, kitzelte jeden einzelnen Nervenstrang ihres Körpers. „Und ich heiße Alessandro Zancani“, stellte er sich vor. Dann sah er sie eine Sekunde lang erwartungsvoll an, so, als müsse ihr der Name bekannt sein.

Doch Francine hatte seinen Namen noch nie zuvor gehört und diesen Mann noch nie vorher gesehen. Denn an eine so eindrucksvolle Erscheinung hätte sie sich auf alle Fälle erinnert.

Alessandro verließ die Küche, und in der darauffolgenden Stunde wurde Francine umhegt und umsorgt wie niemals zuvor in ihrem Leben. Erst wurde ihr starker Tee mit einem großzügigen Schuss Brandy angeboten. Danach führte Angelina sie in ein luxuriös ausgestattetes Badezimmer, wo sie in einer Badewanne mit heißem Wasser und erlesener, parfümierter Seife schwelgen und sich danach in ein flauschiges Badetuch hüllen konnte. Zu guter Letzt bürstete ihr Angelina sogar noch mit einer samtweichen Bürste das Haar.

Beide waren gerade auf dem Weg zurück zur Küche, als Alessandro wieder erschien. Francine schluckte schwer. Sie hatte schon fast vergessen, welch starken Eindruck er auf sie gemacht hatte!

„Jetzt sehen Sie ja schon viel besser aus“, begrüßte er Francine. „Hätten Sie nicht Lust, sich für ein Weilchen auf meiner Party zu vergnügen und sich dabei noch gründlicher von dem Schrecken von vorhin zu erholen?“

Francine war von dem Angebot überrascht. „Ich werde aber im Hotel erwartet. Und außerdem kenne ich niemanden auf dem Fest.“

„Sie kennen doch mich“, entgegnete Alessandro mit sanfter Stimme. „Und das Hotel ist kein Problem. Ich werde dort anrufen und Bescheid geben, dass Sie später kommen.“

Francine stellte an sich selbst alarmiert fest, dass sie schwach zu werden drohte. Sie spürte, wie sie dieser Mann gegen ihren Willen immer stärker faszinierte. Eine innere Stimme warnte sie, dass dieser Fremde gefährlich war. Doch das machte ihn noch unwiderstehlicher.

„Ich bin aber nach Venedig gekommen, um zu arbeiten, und nicht zum Vergnügen.“ Ihre Stimme klang allerdings nicht sehr überzeugend.

„Man kann beides miteinander verbinden“, hielt er mit nun seidig weicher Stimme entgegen, die Francine elektrisierte.

„Außerdem bin ich gar nicht passend angezogen“, versuchte sie als letzte Ausflucht.

„Daran soll es nicht scheitern“, erwiderte Alessandro mit einem Lächeln. „Kommen Sie.“

Sie folgte ihm wieder eine andere Treppe hinauf – langsam kam ihr der Palazzo wie ein einziges Labyrinth vor. Er geleitete sie in ein Ankleidezimmer, wo er die Tür zu einem riesigen Garderobenschrank öffnete. Francine fielen fast die Augen aus dem Kopf, als sie die sündhaft teuren Kleider erblickte. „Hier wird sich mit Sicherheit etwas Passendes für Sie finden“, bemerkte Alessandro aufmunternd.

Francine wurde misstrauisch. Welcher Frau die Kleider wohl gehörten? Seiner Geliebten? Etwas in ihr sträubte sich, diese Sachen anzuprobieren.

Er spürte ihr Unbehagen sofort und erahnte ihre Gedanken. „Damit Sie Klarheit haben: Dies ist die Garderobe meiner Schwester.“

„Oh.“ Francine war erschrocken, wie mühelos er aus ihrem Gesicht ablas, was in ihr vorging.

„Suchen Sie sich in Ruhe ein Kleid aus. Ich erwarte Sie dann im Ballsaal.“ Mit einem Augenzwinkern verließ er das Zimmer.

Einen Moment lang stand Francine unentschlossen da. Noch war es Zeit, einfach zu verschwinden. Doch die schicken und ausgefallenen Gewänder, die ihr entgegenblitzten, waren eine zu große Versuchung. Sie ließ ihre Finger über einige der erlesensten Stücke gleiten und fühlte glatte Seide, weichen Samt und feinste Wolle.

Schließlich entschied sich Francine für ein langes, reich besticktes, mattgrünes Seidenkleid mit einem eng anliegenden, ärmellosen Oberteil. Sie streifte es vorsichtig über und fand unter Dutzenden von Paaren auch noch passende Schuhe. Von ihrem Anblick in dem großen Spiegel war sie selbst beeindruckt.

Sie wirkte groß und elegant in dieser Robe, die ihre grünen Augen noch ausdrucksstärker zur Geltung brachte. Francine bürstete ihr Haar, bis sich der Schwall rotgoldener Locken wie eine Kaskade über ihre Schultern und den Rücken ergoss.

Mit neuem Selbstbewusstsein machte sie sich auf den Weg zum Ballsaal. Dennoch kostete es sie einige Überwindung, die Tür zu öffnen und den Schauplatz zu betreten.

Sie wurde sogleich von Alessandro erspäht, der auf sie zukam und sie voller Bewunderung von oben bis unten betrachtete. Höflich bot er ihr einen Arm. „Kommen Sie, ich mache Sie mit den übrigen Gästen bekannt.“

Francine wusste nicht genau, warum sie eine Gänsehaut bekam – war es der Umstand, all diesen aristokratischen Leuten vorgestellt zu werden, oder waren es die warme Haut und die starken Muskeln, die sie unter seinem feinen Jackett fühlen konnte?

Sie wandelten durch den riesigen Saal, und Francine war erleichtert, dass Alessandro den Leuten – darunter viele bekannte Gesichter von Sport, Film und Fernsehen und sogar einige Grafen – nicht verriet, wie und wo er sie aufgegabelt hatte.

Rasch hatte Francine ihr erstes Glas Champagner geleert, während Alessandro sie für kurze Zeit allein ließ. Der edle Trunk und das flackernde Licht der vielen Kerzen machten sie etwas schwindlig. Oder war Alessandro daran schuld, dass sich alles in ihrem Kopf zu drehen begann?

Als er einige Minuten später wieder auf sie zukam, fing ihr Herz an zu stolpern. Seine graugrünen Augen waren einen Moment lang wie gebannt auf ihre Lockenpracht gerichtet, und seine Hand machte eine leichte, unkontrollierte Bewegung, so als wolle er ihr Haar berühren. Francine stockte der Atem.

„Noch ein Glas Champagner?“ Sie winkte dankend ab, und er fuhr fort: „Ich habe Ihr Hotel angerufen. Ihr Zimmer wurde leider inzwischen anderweitig vergeben. Aber das ist kein Problem. Mein Haus hat mehrere Gästezimmer.“

„Oh – nein – ich kann mir ein anderes Hotel suchen. Sie haben heute Abend schon genug für mich getan.“

„Ein anderes freies Hotelzimmer werden Sie jetzt wohl kaum mehr finden, mitten in der Hochsaison. Und mir ist es kein Umstand, sondern ein Vergnügen, Sie als meinen Gast willkommen zu heißen. Angelina wird alles herrichten.“

Die Vorstellung, die Nacht in seinem Haus zu verbringen, ließ Francine einen warmen Schauer über den Rücken laufen. „Vielen Dank, das ist alles sehr großzügig von Ihnen“, brachte sie schließlich heraus. Dann riss sie sich von seinem durchdringenden Blick los und steuerte eilig das Buffet an. Irgendwie erschien Alessandro ihr in diesem Moment wie der gefährlichste Mann der Welt, dem es zu entkommen galt.

Und vielleicht war dieser Eindruck berechtigt, denn sie hatte das ungute Gefühl, dass er bereits ahnte, wie unwiderstehlich sie ihn fand.

2. KAPITEL

Francine kippte rasch noch ein Glas Champagner in sich hinein, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, an diesem Abend nichts mehr zu trinken. Doch sie brauchte unbedingt etwas, das ihre ziemlich zerrütteten Nerven beruhigte! Der Champagner schien allerdings das Gegenteil zu bewirken, denn das Rumoren in ihrem Bauch nahm eher noch zu.

Was war heute Abend bloß mit ihr geschehen? Diese merkwürdige Mischung aus entnervendem Angespanntsein und einer positiv gespannten Erwartungshaltung verstand sie selbst am wenigsten. Wie konnte ein total Fremder sie so durcheinanderwirbeln? Doch ganz so fremd erschien er ihr gar nicht mehr. Zunehmend hatte sie das Gefühl, als kenne sie Alessandro schon eine ganze Weile.

Die Kapelle spielte weiter, und die Kerzen brannten ruhig vor sich hin. Die Gäste in diesem großartigen Ballsaal lachten und tanzten, tranken und unterhielten sich ernst oder auch übermütig. Die geläufigste Sprache war Englisch, doch auch Französisch und Italienisch konnte Francine hören. Sie tanzte einige Tänze mit verschiedenen Herren, die ihr alle dezent Komplimente machten, trank noch mehr Champagner und wurde gewahr, dass Alessandro nicht der Einzige war, der sie mit eindringlichen Blicken beobachtete. Auch Gisella verfolgte jede ihrer Bewegungen. Dabei war es mehr als offensichtlich, dass sie, die um einiges älter war als Francine, von deren Verwandlung vom Aschenputtel in eine hübsche Prinzessin überhaupt nicht angetan war.

Nach einer Weile fingen Francines Beine vor Erschöpfung leicht zu zittern an. Kein Wunder, denn sie war seit Sonnenaufgang unterwegs – und hatte am Ende dieses langen und ereignisreichen Tages obendrein zu viel Champagner im Blut.

Als es Mitternacht schlug, war dies ein Signal für Francine, sich zu verabschieden. Sie sah sich nach Alessandro um und entdeckte ihn neben Gisella. Francine verzog leicht das Gesicht, aber sie war so müde, dass sie beinahe im Stehen einschlief. Sie ging hinüber zu Alessandro. „Es ist eine wundervolle Party, aber ich kann mich wirklich nicht länger auf den Beinen halten.“

„Verstehe“, sagte er sofort. „Ich werde Angelina bitten, Ihnen Ihr Zimmer zu zeigen.“

Gisella zuckte zusammen. „Ihr Zimmer? Übernachtet sie hier?“

„Nur für die eine Nacht“, erläuterte Francine rasch. Sie wollte keinerlei Konflikte zwischen Alessandro und dieser Frau heraufbeschwören.

„Sie ist mein Gast“, verkündete Alessandro in stark unterkühltem Ton. Gisella musste sofort verstanden haben, denn sie sagte kein Wort mehr. Ihre wunderschönen Augen sprachen allerdings Bände. Und wenn Blicke töten könnten, wäre Francine auf der Stelle leblos zusammengesackt.

Als Alessandro sie aus dem Ballsaal geleitete, wandte sich Francine leicht verunsichert an ihn. „Bitte, wenn es Probleme verursachen sollte, kann ich bestimmt woanders übernachten.“

„Es ist jetzt nach Mitternacht, und da entlasse ich Sie mit Sicherheit nicht allein in die dunkle Nacht.“

„Aber Gisella …“

„Gisella ist eine gute Bekannte von mir.“ Der Klang seiner Stimme signalisierte unmissverständlich, dass für Alessandro das Thema damit beendet war. Sie gingen wortlos weiter, und einige Augenblicke später landete Francine in der Obhut von Angelina.

„Das Fest wird noch einige Stunden weitergehen, schätze ich. Ich hoffe, Sie können bei dem Lärm schlafen“, sagte er zum Abschied.

„Ich bin so müde, mich wird kein Krach stören“, gab sie ganz offen zu. „Und vielen Dank für Ihre außerordentliche Gastfreundschaft.“

„Das Vergnügen war ganz meinerseits“, erwiderte er sanft und schenkte ihr einen tiefen Blick. Dann ging er zu seinen Gästen zurück. Francine konnte einen leichten Seufzer der Enttäuschung über sein Verschwinden kaum unterdrücken.

„Sie scheinen Alessandro ja ganz gut leiden zu können“, stellte Angelina zufrieden fest. „Na ja, alle Frauen mögen ihn. Aber er lässt sich von keiner einfangen.“

„Auch nicht von Gisella?“ Francine konnte ihre Neugier nicht verbergen.

Angelina winkte ab. „Um Himmels willen nein. Dann würde ich kündigen. Und Signor Zancani weiß das – und er weiß auch, dass er eine Haushälterin wie mich so leicht nicht wieder finden wird“, bemerkte sie verschmitzt.

Francine wurde diese Unterhaltung zu intim. „Ich denke, ich muss dringend zu Bett. Könnten Sie mir freundlicherweise mein Zimmer zeigen?“

Minuten später fand sich Francine im ersten Stock in einem kleinen, aber luxuriös ausgestatteten Zimmer wieder, an das sogar ein eigenes Badezimmer mit allem Drum und Dran angrenzte.

„Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie einfach“, sagte Angelina zum Abschied und zeigte auf die an einer Quaste hängende Glocke. „Gute Nacht.“

Als die Hausdame gegangen war, fühlte sich Francine plötzlich sehr allein. Lächerlich, dachte sie – das Haus ist schließlich noch voller Leute.

Obgleich sie völlig erschöpft war, war Francine dennoch merkwürdig unruhig. Eine Weile wanderte sie im Zimmer umher. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich eigentlich hier nicht aufhalten sollte.

Plötzlich musste sie grinsen. Was ihre Freundinnen wohl für ein Gesicht machen würden, wenn sie sie jetzt hier sähen? Und erst ihr Vater? Was würde er zu ihrem Abenteuer am heutigen Abend sagen?

Francines Eltern hatten sich getrennt, als sie noch sehr klein war. Ihrer Mutter war das Sorgerecht zugesprochen worden, dennoch hatte Francine zu ihrem Vater stets ein inniges Verhältnis gehabt. Paul Allen war der bekannte Filmschauspieler Paul James. Francine war sehr stolz auf ihren erfolgreichen Vater. Doch gleichzeitig war sie seit jeher etwas verwirrt, was seine recht extravagante Lebensführung betraf. Ihr Vater hasste jegliche Routine, das gewöhnliche Leben erschien ihm öde. Wenn sich Francine mit ihrem Vater traf, bauschte sie daher in ihren Erzählungen ihre Erlebnisse künstlich auf. Denn insgeheim litt sie unter der ständigen Furcht, ihr Vater könnte ihr Leben für zu normal und seine Tochter für langweilig halten.

Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr zwar, dass ihr Vater sie wirklich liebte, so wie sie war. Aber dennoch machte sie ihm immer etwas vor. Sie erzählte, welch tolle Fotoaufträge sie zu bearbeiten habe und mit welch interessanten Leuten sie dabei in Berührung käme. Dabei waren solche besonderen Arbeitstage eher die Ausnahme.

Wenn sie ihm hingegen von ihrem heutigen Erlebnis berichten würde, bräuchte sie allerdings nicht zu übertreiben. Ein wunderschöner Fremder hatte sie gerettet und sie in seinen Palazzo geführt. Wie eine Prinzessin gekleidet, hatte sie auf einer schillernden Party mit Berühmtheiten Champagner getrunken und getanzt.

Der ganze Abend kam ihr nun wie ein einziger Traum vor. Kein Wunder, dass sie trotz ihrer Erschöpfung nicht zur Ruhe kam! Vielleicht finde ich ja wieder den Realitätsbezug, wenn ich erst einmal dieses grüne Seidenkleid abgestreift habe und in mein altes Baumwollnachthemd geschlüpft bin, versuchte sie sich gut zuzureden.

Doch in dem Moment fiel ihr auf, dass ihre Reisetasche gar nicht in ihrem Zimmer stand. Francine wollte schon die Glocke läuten, ließ es dann aber bleiben. Angelina hatte einen strapaziösen Abend hinter sich und sich außerdem schon genug um sie bemüht.

Francine dachte angestrengt nach, wo ihre Tasche geblieben sein könnte. Alessandro hatte sie hinter ihr hergetragen – und sie in dem Ankleidezimmer abgestellt, erinnerte sie sich plötzlich. Ganz einfach: Sie musste bloß diesen Raum wiederfinden.

Francine öffnete leise ihre Zimmertür und huschte auf den Flur. Sie lugte in mehrere angrenzende Räume, doch ohne Erfolg.

Zuletzt stieß sie eine Tür am äußersten Ende des Korridors auf – sie befand sich auf der Schwelle zu einem weiteren Schlafzimmer. Und was für einem! Es war mindestens dreimal so groß wie ihr Gästezimmer. Blickfang war ein monströses Bett mit prachtvollen, handgeschnitzten Bettpfosten. Seidene Bettlaken glänzten im hereinströmenden Mondlicht, und über dem Bett hing ein riesiger Kronleuchter aus echt venezianischem Glas.

Francine konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich noch etwas genauer in diesem Prunkgemach umzusehen. Doch das Zimmer war ansonsten ziemlich leer. Dies muss wohl ein ganz besonderes Gästezimmer sein, spekulierte sie.

Auf Zehenspitzen schlich sie sich hinüber zum Fenster und hatte zu ihrer Überraschung einen herrlichen Ausblick auf den Canale Grande. In der Ferne konnte sie die Rialto-Brücke erkennen, die eindrucksvoll angestrahlt war. Obwohl es bereits weit nach Mitternacht war, spazierten in der lauen Sommernacht noch viele Menschen umher. Neidvoll beobachtete Francine, wie eine Gondel mit einem eng umschlungenen Liebespaar darin sanft vorbeiglitt. Francine stieß einen leisen Seufzer aus.

Da kam ihr Alessandro in den Sinn. Das Bild seines dunklen Gesichts mit der beeindruckenden Narbe grub sich in ihre Vorstellung ein, während ihr gleichzeitig ein leichter Schauer über den Rücken lief.

Du musst ihn vergessen, redete sie warnend auf sich ein. Du gehörst nicht in seine Welt und wirst ihn auch nicht wiedersehen. Du bist hier, um zu arbeiten und um Pete in seinem Fotovorhaben zu unterstützen. Dann wirst du wieder nach England zurückkehren und Alessandro in Venedig zurücklassen – mit Gisella.

Francine war über sich selbst erschrocken, wie sehr ihr die Vorstellung, die beiden zusammen zu sehen, verhasst war.

Denk gar nicht erst darüber nach, versuchte sie sich selbst in Schach zu halten. Sie zwang sich dazu, wieder aus dem Fenster zu schauen auf den glitzernden Canale Grande. Und fast gelang es ihr auch, alle Gedanken an Alessandro aus ihrem Gehirn zu verbannen. Fast …

Francine musste gähnen, als eine neue Welle von Müdigkeit sie überrollte. Sie wandte sich vom Fenster ab und starrte sehnsüchtig auf das Bett, das so weich und einladend wirkte. Wie ferngesteuert ließ sie sich auf der äußersten Bettkante nieder. Die Matratze fühlte sich tatsächlich so angenehm an, wie sie aussah.

Die Versuchung, sich auf dieser himmlischen Unterlage auszustrecken, war einfach zu groß. Francine beschwichtigte sich selbst damit, dass sie sich nur für einige wenige Sekunden darauflegen würde. Sie wollte nur einmal das herrliche Gefühl erfahren, ihren todmüden Körper in diese federweiche Matratze sinken zu lassen.

Nicht ohne Schuldgefühl kroch sie auf das Bett. Genussvoll räkelte sie ihre Zehen hin und her. Sie hatte wahrhaftig keine armselige Kindheit hinter sich, aber in rein seidener Bettwäsche hatte sie noch nie gelegen! Auf ihrer warmen Haut fühlten sich die Laken so sinnlich, so unglaublich weich und herrlich kühl an.

Francine ermahnte sich, endlich in ihr eigenes Zimmer zurückzukehren. Schließlich hatte sie in diesem Raum absolut nichts zu suchen. Doch erst musste sie das Laken glätten. Es sollte niemand dahinterkommen, dass sie heimlich für ein paar Minuten das Bett ausprobiert hatte.

Es verursachte ihr allerdings große Anstrengung, sich fortzubewegen. Das samtweiche Bett hatte sie restlos schläfrig gemacht. Sie machte sich klar, dass sie unter keinen Umständen hier einschlummern durfte. Doch bereits im nächsten Moment hatte sie den Wunsch, nur für eine Sekunde die Augen zu schließen. Sie wollte sich nur einmal kurz vorstellen, wie es sich wohl anfühlen würde, eine ganze Nacht auf dieser prunkvollen Liegestatt zu verbringen.

Eine Minute später war sie, ohne jede Warnung, in tiefen Schlaf gesunken.

Als Francine schließlich wieder die Augen öffnete, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wo sie sich befand. Ihr war, als triebe sie auf einer sanften Wolke durch die Lüfte, und in einem erneuten Anflug von Schläfrigkeit sanken ihre Lider sofort wieder zu.

Auf einmal hörte sie ein leises Geräusch, von dem sie wohl auch ursprünglich geweckt worden war. Es war ihr so als – ja, als bewege sich jemand in dem Zimmer.

Auf der Stelle war sie hellwach. Gleichzeitig kam ihr wieder alles mit nervenzerfetzender Klarheit zu Bewusstsein. Sie befand sich in dem riesigen, luxuriösen Schlafzimmer im Palazzo – und dort nicht in ihrem eigenen Bett.

Francine richtete sich auf und saß mit einem Mal senkrecht im Bett. Ihr Puls hämmerte. „Ist – ist da jemand?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Ja, sicher ist hier jemand – ich“, war eine sanfte Männerstimme zu vernehmen.

Die Stimme war Francine bereits recht gut vertraut. Sie glaubte, ihr Herz müsse stehenbleiben. Dann spürte sie, wie unter ihr das Bett nachgab, als Alessandro sich darauf niederließ.

„Wie geschickt von Ihnen, mein Zimmer ausfindig zu machen.“

In seinem Tonfall war eine Spur Zynismus, und Francine wusste sofort, warum. Er kam wohl nicht auf die Idee, dass sie rein zufällig in seinem Zimmer – und Bett – gelandet war!

„Bitte, bekommen Sie nicht den falschen Eindruck“, versuchte sie rasch die Dinge geradezurücken. „Hier liegt ein Irrtum vor …“

„Aber ganz und gar“, unterbrach Alessandro mit leiser Ironie. „Sie hatten keinesfalls vor, mein Zimmer zu betreten. Und es war sicherlich nicht Ihre Absicht, auf meinem Bett einzuschlafen.“

„Ja – nein, war es ehrlich nicht.“ Was für ein Chaos!, dachte sie, ganz außer sich. Und wie absolut töricht, dass mir so was passieren konnte – in einem fremden Bett einzunicken! Und dann noch in Alessandros.

„Machen Sie sich wegen dieser kleinen Inszenierung keinen Kummer, cara. Ich bin nicht böse, Sie hier zu finden. Im Gegenteil, ich empfinde es als eine angenehme Überraschung.“

Den weichen Tonfall seiner tiefen Stimme empfand Francine wie ein Streicheln auf ihrer Haut. Sie war über sich selbst entsetzt, von seiner Stimme so intensiv berührt zu sein, und empfand sie wie eine bedrohliche Zauberkraft. Verzweifelt versuchte sie, seinen hypnotischen Einfluss abzuwehren und ihren gesunden Menschenverstand die Oberhand gewinnen zu lassen.

In dem blassen Mondlicht konnte sie kaum mehr als die Konturen seines Körpers neben sich auf dem Bett erkennen. Sie lehnte sich so weit sie konnte zurück – je mehr Abstand zwischen ihnen war, desto sicherer.

„Ich bin nicht auf Ihrem Bett eingeschlafen, um Sie damit zu überraschen“, widersprach sie mit Nachdruck.

Sogar in der Dunkelheit konnte sie erkennen, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.

„Wollen Sie mir wirklich weismachen, dass nichts davon geplant war?“ Er schien sichtlich amüsiert. „Ja, ich glaube, das könnte mir gefallen“, fuhr er etwas heiser fort. „Auch ich spiele gerne mit dem Feuer.“

Francine besaß immerhin noch so viel klare Urteilskraft, dass sie erkannte, welch gefährliches Spiel jetzt zu beginnen drohte. Es war allerhöchste Zeit, dem einen Riegel vorzuschieben und den Raum zu verlassen.

Sie versuchte, aus dem Bett zu klettern. Doch seine kräftigen Finger legten sich um ihr schmales Handgelenk und hinderten sie daran, zu entkommen.

Zwischen ihnen war es die erste körperliche Berührung, und für einige wenige Augenblicke dämpfte dies Francines Widerstandswillen. Sie fühlte, wie das Blut in ihren Adern pochte, wie ihre Hand vor Schock erst kalt, doch dann ganz heiß wurde.

Alessandro war einen Moment lang ebenfalls ganz still. Dann lachte er leise auf und ließ sie los. „Sie überraschen mich. Das habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Vielleicht lasse ich es deshalb zu, dass Sie ein wenig mit mir spielen.“

„Ich spiele überhaupt nicht mit Ihnen“, versuchte sie umgehend klarzustellen.

„Aber natürlich tun Sie das. Wie auch all die anderen Leute auf meiner Party es taten. Das Fest war auch so gedacht: als Mischung aus Spaß und ein wenig Intrigen – für Leute, die etwas sophisticated sind, falls Sie wissen, was ich damit meine.“

Bevor Francine ihm klarmachen konnte, dass sie sich keineswegs zu solchen Leuten zählte, war Alessandro mit einem Finger leicht an der Innenseite ihres Handgelenks entlanggestrichen. Es verursachte bei ihr unweigerlich ein leichtes Zittern. Dann beugte er seinen dunklen Kopf nach vorn und berührte in der Dunkelheit mit seinen Lippen ihren Mund, was sie in noch viel stärkerem – und keineswegs unangenehmem – Maße erschauern ließ.

Doch nach einigen verwirrenden Momenten kam Francine mühsam wieder zu sich. Ihr erster Gedanke war, sich dieser gefährlichen Situation endlich entziehen zu müssen, bevor es zu spät war – denn sie traute ihrer eigenen Standhaftigkeit nicht länger. Sie ahnte, dass sie unter Alessandros Händen dahinzuschmelzen drohte. Außerdem war ihr bewusst, dass sie zu viel Champagner getrunken hatte. In ihrem Kopf kreiste ein kleines Karussell. Es musste ihr unbedingt gelingen, aus diesem Bett herauszukommen! Wie aber konnte sie diese Hürde nehmen, wo dieser unwiderstehliche Mann inzwischen ihre Hände zart und dabei doch so aufreizend streichelte?

Francine räusperte sich nervös und wünschte, sie könnte seinen Gesichtsausdruck besser erkennen. Sie musste unbedingt wissen, ob er die Sache überhaupt ernst nahm. Seine Stimme war mal kühl, dann wieder heiser, manchmal belustigt – es war einfach nicht erkennbar, was sich hinter dieser Fassade verbarg.

Francine atmete einmal tief durch und entzog ihm mit einer entschlossenen Bewegung ihre Hand. Alessandro ließ sie auf der Stelle los. Überrascht, ja fast über sich selbst erschrocken, stellte Francine fest, wie sehr sie sofort seinen festen Zugriff vermisste.

Reiß dich zusammen, herrschte sie sich insgeheim an. Du kannst unmöglich binnen ein paar Stunden solch starke Gefühle zu einem fast fremden Mann entwickelt haben. Obschon es ihr so vorkam, als kenne sie ihn schon seit viel längerer Zeit.

Francine war verblüfft. Dieser Mann hatte es ohne ernste Absicht geschafft, sie ängstlich und nervös, aber auch zutraulich zu machen und sie auf angenehmste Weise zu erregen.

In den einundzwanzig Jahren ihres Lebens war ihr solch ein Mann noch nicht begegnet. Ihre wenigen, recht oberflächlichen Bekanntschaften mit gleichaltrigen Männern hatten zumeist enttäuschend geendet. Und das reichlich unbeholfene Liebesspiel ihrer jungen Freunde hatte sie – bis auf einige leidenschaftliche Küsse – stets ziemlich kaltgelassen.

Doch der spürbar erfahrenere Alessandro ließ sie in keinster Weise kalt. Schon war er wieder dabei, sanft über ihr Handgelenk zu streicheln. Francine fürchtete sich davor, wie leicht er sie aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

„Können wir – könnten wir nicht das Licht anknipsen?“, fragte sie kleinlaut. Vielleicht war es ja einfacher, klarer zu denken, wenn es nicht so dunkel war.

„Kein Licht“, lautete kurz und bündig seine Antwort.

„Warum nicht?“

„Weil im Dunkeln alles viel interessanter ist.“ Seine Stimme war nun wieder heiser. Francine merkte, wie auch ihre Kehle trocken wurde. „Man fühlt intensiver, wenn man nicht sieht.“

„Ich fürchte mich aber im Dunkeln“, entgegnete sie. Das war nicht einmal gelogen – zumindest nicht in der momentanen Situation.

„Nein, Sie fürchten sich nicht“, stritt Alessandro ihre Behauptung im Ton absoluter Gewissheit ab. „Sie befinden sich vielmehr in einer angespannten Erwartungshaltung – und das ist etwas ganz anderes. Auch sind Sie fasziniert, wollen mehr wissen – mehr erfahren. Und mir geht es genauso“, schloss er leise.

Francine schluckte. Es versetzte ihr einen Schock, dass ein ihr noch vor Stunden wildfremder Mann jetzt schon so treffsicher ihre Gedanken lesen und ihre Gefühle erahnen konnte.

„Es ist wie ein Abenteuer, nicht wahr?“, murmelte er. „Und ich glaube, Sie mögen Abenteuer.“

Sie wollte ihm mitteilen, dass ihr nichts, absolut gar nichts daran gelegen war. Aber sie fand keine passenden Worte. Vielleicht war die warme Berührung seiner Finger daran schuld, dass ihre Stimme versagte. Vielleicht auch sein zärtlicher Tonfall, der ihr gesamtes Nervensystem ganz durcheinanderbrachte. Oder – und das war wohl die erschreckendste Möglichkeit – er hatte lediglich den Nagel auf den Kopf getroffen!

Ein Teil von ihr suchte in der Tat Aufregung und war mehr als hungrig auf neue Erfahrungen. Das gesamte zurückliegende Jahr hatte sie kaum Freizeit gehabt. Sie hatte zusammen mit Pete hart gearbeitet, um ihr kleines Unternehmen am Leben zu erhalten.

Und nun war sie hier, in einer der romantischsten Städte der Welt. Neben ihr lag ein Mann, dessen Stimme wie Samt wirkte, dessen Hände immer noch zart über ihre nackten Arme strichen und dabei stillschweigend alle möglichen ihr bislang unbekannten Freuden versprachen.

Es war so schwer, dem zu widerstehen – und Francine wollte es auch gar nicht mehr. Sie wollte viel lieber beide Hände ausstrecken und alles, was er ihr entgegenbrachte, freudig empfangen.

Nein, nein, nein, ermahnte sie sich mit einem leichten Erschaudern. Du kannst es nicht wagen.

Alessandro rückte ein Stückchen näher. Der Mond schien auf ihre beiden Körper. Francine sah den fahlen Schimmer ihres Seidenkleides und konnte erkennen, wie sich der grüne feine Stoff gegen seinen viel dunkleren Anzug abhob – und welchen Kontrast seine tiefgebräunten Hände zu ihren bleichen nackten Armen bildeten.

Alessandro musste ihren Blick verfolgt haben, denn nun hielt er seine Hand neben ihre – die eine war fast weiß, die andere beinahe schwarz; positiv und negativ.

„Dunkelheit und Licht“, murmelte er. „Zwei absolute Gegensätze. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, und ich denke, das trifft auch auf uns zu.“ Seine Hand bewegte sich hinauf bis zu ihrem Haar, und ihre rotgoldenen Strähnen ergossen sich über seine Finger. „Alles an dir ist hell – strahlend.“

Nun wagte es auch Francine, mit ihrer Hand leicht über sein Haar zu streichen. Sie empfand augenblicklich ein Wohlgefühl, als sie die feste Struktur seiner Locken auf ihrer Haut spürte. „Ist Ihr Haar braun oder schwarz?“

„Schwarz, natürlich. Wie die Nacht. Wie meine Seele.“ Er meinte es leicht ironisch. Aber dennoch war wohl etwas Wahres daran, dachte Francine. Alessandro umgab wirklich etwas Dunkles. Sicher machte das leicht gefährlich Wirkende einen Teil seiner Attraktivität aus. Sie wusste, dass er sie in Bereiche führen konnte, die zu betreten sie bisher nie gewagt hatte.

Francine setzte sich kerzengerade hin. Eine innere Stimme ermahnte sie nochmals, jetzt endlich den Absprung zu suchen – oder sie würde gar nicht mehr von hier wegkommen! Nervös biss sie sich auf die Lippe. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich mich in mein Zimmer zurückbegebe.“

„Wenn Sie nicht bleiben wollen, warum sind Sie dann überhaupt hergekommen?“

„Ich sagte doch bereits, dass dies ein Versehen war. Ich wollte hier nicht einnicken. Und ganz sicher wollte ich nicht von Ihnen hier schlafend gefunden werden. Ich weiß zwar, dass Sie mir das nicht abnehmen. Aber es ist die Wahrheit. Tut mir leid, wenn Sie enttäuscht sein sollten. Und ich bitte vielmals um Entschuldigung, dass ich Ihr Zimmer unbefugt betreten habe.“

„Ich bin nicht enttäuscht“, murmelte Alessandro leise. „Und ob Sie absichtlich oder irrtümlich hier gelandet sind, ist nicht so wichtig. Ich werde Sie nicht hinauswerfen.“

„Aber ich will gehen“, widersprach Francine. Doch ihrer Stimme fehlte der Ton der Überzeugung. Wie um Himmels willen würde sie ihn von etwas überzeugen können, von dem sie nicht einmal sich selbst überzeugen konnte?

Seine Augen glänzten in der Dunkelheit herausfordernd. „Sie wollen gehen, bevor das Abenteuer überhaupt richtig angefangen hat?“

„Ich bin an solch einer Art von Abenteuer nicht interessiert.“

„Und ob Sie das sind. Diese Nacht wird das sein, was wir aus ihr machen“, sagte er schmeichelnd – und er klang sehr wohl überzeugt. „Zeit für Träume, für Spiele. Warum versuchen wir nicht, uns vorzustellen, dass ich Ihr Liebhaber bin, Francine? Ihr perfekter Lover.“

Erneut fuhr ihr ein Schauer durch sämtliche Glieder. Gefährliche Spiele – verführerische Spiele. Welche Frau konnte schon dem perfekten Liebhaber widerstehen?

Alessandros Finger glitten ihr Rückgrat hinab und fühlten den Verlauf dieses letzten wohligen Erzitterns. Mit jedem Mal, da er sie berührte, spürte sie, wie ihre Selbstkontrolle Stück für Stück schwand. Und er wusste das – musste es wissen. Sie hatte das Furcht erregende, doch zugleich faszinierende Gefühl, dass ihm alles über diese Seite ihres Wesens bekannt war. Wohingegen sie selbst in dieser Hinsicht nahezu nichts wusste.

Im Dunkeln suchte sein Mund ihre Lippen aufs Neue. Er verteilte kleine Küsse, aufreizende Küsse, die so viel mehr versprachen – wenn sie nur den Mut hätte, auf sein Angebot einzugehen. Dieser Mann machte keine unbeholfenen Bewegungen. Seine Hände wussten genau, was sie taten. Sie bewegten sich mit einer für Francine ungekannten Sicherheit.

Die Entscheidung lag ganz bei ihr. Er führte sie in Versuchung, aber er übte keinen Zwang aus. Seine atemberaubenden Liebkosungen deuteten allerdings hinreichend an, was sie erfahren könnte, wenn sie diese Nacht bei ihm bliebe. Francines Verstand gebot ihr, sich schleunigst zu verabschieden. Doch ihr Herz wurde zusehends von der gegenwärtigen Atmosphäre verzaubert. Was hatte er gesagt? Hell und dunkel ergänzen sich. Sie fing an, ihm zu glauben. Er gab ihr das Gefühl, nur die Hälfte zu sein, die zu einem Ganzen gehörte.

Aber Alessandro bewirkte auch, dass Francine noch andere Dinge fühlte. Dunkle, beunruhigende Empfindungen fingen an, in ihr zu rumoren, als seine Küsse intensiver wurden und seine Hände auf intimere Erkundungstour gingen. Er schob ihre Lockenpracht zur Seite und flüsterte ihr leise eine Einladung ins Ohr, dass auch sie ihn ganz nach ihren Wünschen erkunden möge.

Was für eine seltsame Nacht, dachte Francine ganz benommen. Vielleicht war ja alles nur ein Traum – Venedig, ihre Rettung, der Palazzo, die schillernde Party, dieser außergewöhnliche Mann – und jetzt diese nicht gerade alltägliche Situation. Sie schloss die Augen und überließ sich diesem Traum. Sie spürte, wie seine Hände unter das Seidenkleid glitten. Seine Küsse ließen nun auch den letzten Gedanken an Widerstand wegschmelzen. Seine inzwischen schon so vertraute Stimme flüsterte ihr nun ziemlich unerhörte Vorschläge ins Ohr. Doch sie war nicht schockiert. Stattdessen ertappte sie sich dabei, selbst jeden dieser Vorschläge in die Praxis umsetzen zu wollen.

Die Welt um sie herum begann sich zu drehen, so sehr versetzte sie der Klang seiner Stimme und seine Berührungen in Verzückung. Behutsam, doch unerbittlich führte er sie auf Pfade, auf denen sie nie zuvor gewandelt war. Und jeder Schritt ließ ein Umkehren unmöglicher erscheinen.

Francine sah fast verblüfft zu, wie ihre Hände seine feste Haut berührten. Sie spürte sein Herz rhythmisch gegen seinen starken Brustkorb schlagen und bemerkte gleichzeitig, wie seine warmen Lippen ihre Brüste liebkosten. Sie fühlte sich, als würde sie wegtauchen, wegschmelzen. Sie gab die Hoffnung auf, jemals wieder in die Sphären der Normalität gelangen zu können.

Ein Teil von ihr wusste, dass sie von Alessandro verführt wurde. Aber das war ihr einerlei, denn er führte sie in ein Reich von Empfindungen ein, das sie nie zuvor betreten hatte. Seine Berührungen bewirkten, dass sie Gefühle erlebte, die sie schon immer hatte erleben wollen. Ihre Haut brannte bei jedem Kontakt mit seinen geschickten Händen. Auf dem Rücken liegend gab sie sich den explodierenden Glücksgefühlen hin, die er mit seiner Zunge an verschiedenen Stellen ihres Körpers auslöste.

Doch als seine Hand schließlich sanft zwischen ihren Beinen hinabglitt, verkrampfte Francine sich plötzlich. Trotz ihres Rauschzustands war sie auf eine solche Aktivität innerlich noch nicht vorbereitet.

„Hab keine Angst“, reagierte Alessandro ganz sanft. „Versuche, dich zu entspannen.“

Dies wollte ihr aber nicht gelingen. Sie biss die Zähne aufeinander, und all ihre Muskeln versteiften sich.

Er zog sich von ihr zurück. Sofort vermisste sie seine Berührungen, seine Wärme, seinen kräftigen Körper, der sich so bewundernswert selbstsicher bewegte.

Plötzlich konnte sie nicht anders reagieren. Wie ferngesteuert sprang sie aus seinem Bett und machte sich auf und davon.

3. KAPITEL

Während Francine zu ihrem Zimmer hastete, hielt sie das Seidenkleid fest gegen ihren halb nackten Körper gepresst. Als sie ihr Refugium endlich erreicht hatte, schlug sie wie erlöst die Tür hinter sich zu.

Aber schon im nächsten Augenblick bedauerte sie, dass sie sich diese einmalige Chance, eine Nacht mit einem so außergewöhnlich aufregenden Mann zu verbringen, entgehen ließ. Einem Mann wie Alessandro werde ich wahrscheinlich nie wieder begegnen, seufzte sie wehmütig.

Doch sie hatte sich so verhalten, wie sie es anders nicht konnte. Dazu musste sie stehen. Sie war nun einmal nicht das leichtlebige Mädchen, das alle Männer bedenkenlos um den kleinen Finger wickelte. Das gaukelte sie ihrem extravaganten Schauspieler-Vater nur gern vor, um ihn zu beeindrucken.

Vorsichtig hängte Francine das grüne Glitzerkleid auf einen Bügel. Sie wusste, dass sie nicht so schnell wieder solch ein mondänes Kleidungsstück tragen würde – es sei denn, sie heiratete einmal einen Millionär!

Sie stellte sich unter die Dusche und erhoffte sich von dem kühlen Wasserstrahl, dass er ihr wieder zu einem klaren Kopf und einer inneren Ausgeglichenheit verhelfen würde.

Doch als sie schließlich unter ihrer Bettdecke lag, fand sie keinen Schlaf. Sie konnte Alessandros Küsse und die samtweichen Berührungen seiner zarten Hände einfach nicht vergessen. Noch immer schien sie den Geruch seiner Haut einzuatmen. Sie wusste, dass sie, sobald sie die Augen schloss, sofort sein Gesicht vor sich sehen würde.

Francine starrte ins Dunkel und wünschte, sie wäre nie nach Venedig gekommen. Eine einzige Nacht hier hatte gereicht, ihr Leben völlig aus dem Lot zu bringen. Sie spürte, wie sie sich wünschte …

Verschwende nicht deine Zeit darauf, dich in Wunschvorstellungen hineinzusteigern, die vollkommen unrealistisch sind, herrschte sie sich im Stillen an. Sie schloss die Augen und versuchte, sich zu zwingen, endlich einzuschlafen. Doch sie wurde dieses seltsame Ziehen in ihrem Herzen nicht los. Und Alessandros dunkles, genarbtes Gesicht tauchte hartnäckig hinter ihren geschlossenen Lidern auf.

Nach einer Weile fand sie endlich für ein paar Stunden Schlaf. Doch schon kurz nach Sonnenaufgang wachte sie wieder auf. Draußen kündigte sich ein schöner Sommertag an, und Francine stieß einen leichten Seufzer aus. Es war an der Zeit, in die Realität zurückzukehren. Es war Zeit zu gehen.

Sie öffnete leise ihr Zimmer und sah gleich neben der Tür ihre Reisetasche stehen. Jemand musste sie sehr spät in der Nacht dort für sie abgestellt haben. Rasch suchte sie einige K...

Autor

Joanna Mansell
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Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs. Chantelle Shaw entdeckte die Liebesromane von Mills & Boon,...
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