Lockende Zärtlichkeiten

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Für die süße Schwesternschülerin Olivia King brach die Welt zusammen, als der bekannte Chirurg Marcus Hamilton sie verließ. Seine Frau Ruth, von der er getrennt lebte, war zu ihm zurückgekehrt. Sechs Jahre später bittet Marcus' Tochter, deren Mutter mittlerweile gestorben ist, sie verzweifelt um Hilfe. Ihr Vater ist nach einem Unfall erblindet und leidet an tiefen Depressionen. Olivia sagt zu, aber nur unter einer Bedingung: Marcus soll nicht erfahren, wer sich um ihn kümmert. Geduldig und voller Zärtlichkeit beginnt Olivia, dem Kranken die schönen Seiten des Lebens näher zu bringen. Ihre Beziehung zueinander wird immer enger - jede Berührung von Marcus lässt Olivias Herz schneller schlagen. Weiß er wirklich nicht, wer sie ist?


  • Erscheinungstag 03.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759704
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Olivia! Bist du fertig?“

Olivia seufzte auf und öffnete der siebzehnjährigen Natalie Irving, einem hübschen Mädchen mit langem blonden Haar, die Tür. „Bist du sicher, dass du nicht lieber allein mit Rick fahren willst?“, fragte Olivia hoffnungsvoll. „Ich könnte heute Nachmittag auch einkaufen gehen. Ich habe nämlich eine Menge zu …“

„Komm, sei nicht albern“, wehrte Natalie lächelnd ab und kam herein. „Nimmst du den hier mit?“ Sie hielt den leuchtend grünen Bikini hoch, der neben einem schwarzen Badeanzug auf Olivias Bett lag, und begutachtete ihn prüfend.

„Ich wollte eigentlich lieber den schwarzen …“

„Ach was, der ist viel zu altmodisch“, unterbrach Natalie sie naserümpfend, wickelte den Bikini in ein Handtuch und klemmte es sich unter den Arm. „Du weißt doch, dass Rick sich sicherer fühlt, wenn du bei ihm bist.“

Olivia war zwar sieben Jahre älter als Natalie, doch manchmal kam sie sich gar nicht so vor. Tatsächlich wirkte Olivia mit ihrem hübschen jugendlichen Gesicht und der roten Lockenmähne bei Weitem nicht wie vierundzwanzig. Und schon gar nicht in dem engen weißen Top und dem kurzen bunten Wickelrock, der ihre langen Beine und ihre schlanke Figur betonte.

„Ich bin gar nicht sicher, ob es so gut für ihn wäre, wenn ich mitkäme“, gab Olivia zu bedenken. „Rick ist jetzt wieder ganz gesund, und ich werde mich in ein paar Tagen von ihm verabschieden müssen. Und für die Gartenparty bei den Graystons braucht er meine Hilfe wirklich nicht.“

Da lachte Natalie. „Also, brauchen tut er dich eigentlich nicht mehr, das stimmt. Aber er mag dich sehr und würde sich freuen, wenn du mitkämst. Die meisten Krankenschwestern würden einen Luftsprung machen, wenn sie einen ganzen Nachmittag am Swimmingpool verbringen und faul in der Sonne liegen könnten.“

Natalie hatte recht. Nachdem Olivia ihren jungen Patienten Rick Hayes nach dessen schwerem Autounfall wochenlang betreut hatte, würde ihr ein freier Nachmittag in der Sonne sicher gut tun.

„Aber möchtet ihr beide nicht lieber allein sein?“, fragte sie dennoch verunsichert. Die Hayes-Familie, das hieß, Mutter, Vater, Rick und seine jüngere Schwester Dawn, waren während der drei Monate, in denen Olivia Rick gepflegt hatte, sehr nett zu ihr gewesen und hatten sie regelrecht in ihre Familie aufgenommen. Aber Rick und seine feste Freundin Natalie nun zu dieser Party zu begleiten war Olivias Meinung nach ein Eindringen in deren Privatsphäre.

Doch Natalie lachte nur unbekümmert. „Bei über dreißig Leuten können wir wohl kaum allein miteinander sein, findest du nicht auch?“

Olivia sah sie überrascht an. „So viele werden da sein?“

Natalie nickte. „Klar.“

„Dann sollte ich vielleicht tatsächlich mitkommen“, meinte Olivia nachdenklich. „Aber als Ricks Krankenschwester. Schließlich ist es das erste Mal nach seinem Unfall, dass Rick unter so viele Menschen geht, und ich weiß nicht, wie er sich fühlen wird, wenn die anderen ihn humpeln sehen.“

„Ach, das macht ihm bestimmt nichts aus“, versicherte Natalie. „Natürlich wird er nie in der englischen Nationalmannschaft spielen“, scherzte sie, „aber Fußballspielen war sowieso noch nie seine Stärke. Und selbst wenn er auch später noch ein bisschen hinken sollte, würde ihn das nicht daran hindern, Architekt zu werden. Und das ist ihm im Moment das Wichtigste.“

„Außer dir“, erwiderte Olivia lächelnd. Sie wusste, dass das junge Paar sich an Natalies achtzehntem Geburtstag verloben wollte.

Natalie lachte vergnügt. „Das ist ja wohl selbstverständlich!“

Die beiden nahmen ihre Badesachen und gingen zusammen nach draußen, wo Rick bereits im Auto auf sie wartete.

„Na endlich!“, stöhnte er, als Natalie und Olivia sich in den Wagen setzten. „Ich wollte schon einen Suchtrupp nach euch losschicken. Ich habe mich schon immer gefragt, worüber ihr Frauen immer so viel zu quatschen habt.“

„Über Männer natürlich, Darling“, neckte Natalie ihn.

„Männer?“, wiederholte Rick gespielt entrüstet. „Eigentlich solltest du nur einen im Kopf haben.“

Olivia lehnte sich entspannt zurück und hörte dem neckischen Geplänkel der beiden zu. Sie würde diese Familie sehr vermissen. Drei Monate lang hatte sie im Haus der Hayes gelebt und sich mit allen Familienmitgliedern sehr gut verstanden. Da Olivia zu ihren eigenen Eltern nie ein gutes Verhältnis gehabt hatte, hatte sie den liebevollen Umgang und die Harmonie, die in dieser Familie herrschte, ganz besonders zu schätzen gelernt.

Nun würde ihre Zeit bei den Hayes bald vorüber sein. Nur noch fünf Tage würde sie sich um Rick kümmern und danach ihre neue Stelle antreten – bei einer älteren Dame, die sich ein Bein gebrochen hatte und nun die ersten Wochen nach ihrem Klinikaufenthalt zu Hause gepflegt werden musste. Es tat Olivia leid, die Hayes-Familie zu verlassen, denn sie hatte alle vier sehr lieb gewonnen. Und genau das war Olivias Problem: sich emotional zu stark an seine Patienten und vielleicht auch noch an deren Familie zu binden war die große Gefahr, wenn man als Krankenschwester arbeitete. Und Olivia bezweifelte, dass sie jemals in der Lage sein würde, ihre Gefühle bei der Arbeit ganz auszuschalten.

Mehrere Teenager planschten bereits ausgelassen im Swimmingpool, als die drei das Haus der Graystons erreichten. Olivia war erleichtert, als sie sah, dass Rick sich trotz seiner deutlich sichtbaren Narben und der leichten Gehbehinderung sehr wohl zu fühlen schien. Nachdem er anfangs deprimiert gewesen war und befürchtet hatte, nie wieder richtig laufen zu können, hatte er sich sowohl körperlich als auch mental völlig erholt. Er hatte die lange Zeit seiner Genesungsphase geduldig ertragen und in Anbetracht seiner schweren Verletzungen rasch Fortschritte gemacht.

Nachdem Olivia sich vergewissert hatte, dass es ihrem Patienten gut ging, legte sie sich auf einen Liegestuhl, setzte ihre Sonnenbrille auf und schloss die Augen.

„Möchtest du vielleicht etwas Sonnencreme haben?“, riss die Stimme eines jungen Mädchens sie unvermittelt aus dem Halbschlaf.

Olivia richtete sich auf und nahm das Angebot dankbar an. Sie hatte schon gemerkt, wie heiß es war, und ihre helle Haut war sehr empfindlich und musste vor der Sonne geschützt werden. „Danke, das ist sehr nett von dir“, erwiderte sie lächelnd und schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf.

„Olivia!“

Olivia betrachtete das hübsche junge Mädchen mit dem Pferdeschwanz, das auf der Nachbarliege Platz genommen hatte, eingehend. Dieses Gesicht kam ihr irgendwie bekannt vor: das energisch wirkende Kinn, die vollen Lippen und die ausdrucksvollen grauen Augen. „Sally – bist du es?“, fragte Olivia überrascht.

„Und ob ich das bin!“, rief das Mädchen aufgeregt. „Wie geht es dir, Olivia? Du siehst toll aus! Wie kommst du eigentlich hierher? Oh, natürlich, du bist ja mit Rick gekommen. Dann musst du also die Krankenschwester sein, von der er so viel geschwärmt hat. Bist du … hab ich irgendetwas Komisches gesagt?“, fragte sie, als Olivia lachte.

„Du hast dir alle Fragen schon selbst beantwortet“, erwiderte Olivia betont heiter, obwohl ihr Herz schneller schlug. Sally nach so langer Zeit wieder zu sehen wühlte Olivia innerlich völlig auf. Sie hatte alle Erinnerungen an die Hamilton-Familie verdrängt und nicht damit gerechnet, je wieder etwas mit ihr zu tun zu haben.

Sally lachte vergnügt. „Entschuldige, aber manchmal rede ich wie ein Wasserfall. Das ist aber eine Überraschung, dich hier zu treffen!“

„Für mich auch. Wie geht es dir, Sally?“

„Gut.“

„Und deinem Vater?“, fragte Olivia mit klopfendem Herzen.

„Dem geht es auch gut. Er arbeitet bloß zu viel, wie immer.“

Olivia nickte und kämpfte gegen die Bilder an, die sich vor ihrem inneren Auge auftaten. Sie hatte schon seit Wochen nicht mehr an Marcus gedacht und würde nicht zulassen, dass dieses Treffen mit Sally ihr geordnetes Seelenleben aus dem Gleichgewicht brachte.

„Du hast ihn ja schon seit …“

„Wolltest du mir nicht etwas Sonnencreme geben?“, wechselte Olivia schnell das Thema, weil sie nicht über Marcus reden wollte.

„Oh … natürlich.“ Sally reichte ihr die Plastiktube und sah eine Weile schweigend zu, wie Olivia die Creme auf ihre zarte Haut verteilte. „Möchtest du nicht über Daddy sprechen?“, fragte Sally unvermittelt.

„Ich glaube nicht, dass es da viel zu sagen gibt“, erwiderte Olivia betont kühl, obwohl sie insgeheim darauf brannte, etwas über Marcus zu erfahren.

„Ich dachte nur … ich hatte damals nie damit gerechnet, dass du und Daddy … dass ihr auf diese Weise auseinandergehen würdet. Ich meine, er hatte dich sehr gern“, fügte sie verunsichert hinzu.

„Das weiß ich, Sally. Aber Marcus war verheiratet. Er hatte dich und deine Mutter.“

Sally verzog das Gesicht. „Oh ja, Mummy.“

Olivia sah das junge Mädchen verwundert an. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie stark Sally damals Partei für Ruth ergriffen hatte. „Du hast dich doch immer gut mit deiner Mutter verstanden, oder nicht?“

Sally zuckte die Schultern. „Menschen ändern sich eben. Vor sechs Jahren war ich erst zwölf, eigentlich noch ein Kind.“

Oh ja, und was für eins, dachte Olivia bitter. Du hast es damals geschafft, einen Keil zwischen mir und Marcus zu treiben und eine Beziehung zu ihm unmöglich zu machen.“

„Ich habe Daddy damals nicht verstanden, weil ich einfach noch zu jung dafür war“, gab Sally zu. „Aber jetzt ist das anders.“

Olivia lächelte sanft. „Das weiß ich, Sally. Ich war damals ja selbst erst achtzehn.“

„Aber du hast Daddy geliebt!“

„Vielleicht habe ich geglaubt, ihn zu lieben, aber …“

„Ich bin sicher, dass du ihn geliebt hast“, beharrte Sally.

„Das mag schon sein“, gab Olivia widerstrebend zu. „Aber ein Mann in der Position deines Vaters konnte es sich nicht erlauben, mit einem achtzehnjährigen Mädchen involviert zu sein. Schließlich ist er schon damals Chefarzt gewesen.“

„Das ist er immer noch. Aber er arbeitet jetzt woanders – in einem größeren Krankenhaus.“

Olivia konnte sich sehr gut vorstellen, dass Marcus nun, mit neununddreißig Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand, denn er war schon damals einer der besten Ärzte der Klinik gewesen. „Und wie geht es deiner Mutter?“, fragte sie und hielt dabei den Atem an. Wahrscheinlich würde Sally ihr jetzt erzählen, wie glücklich Marcus und seine Frau Ruth miteinander waren.

„Wie es Mummy geht?“, wiederholte Sally erstaunt. „Weißt du denn nicht, dass sie vor drei Jahren gestorben ist?“

Olivia schluckte schwer. „Ich … ich hatte keine Ahnung. Das tut mir leid für euch.“

Ruth Hamilton war seit drei Jahren tot, und sie, Olivia, hatte nichts davon gewusst! Das bedeutete, dass Marcus seit drei Jahren allein war. Oder hatte er vielleicht eine neue Partnerin? Marcus war ganz bestimmt kein Mann, der lange ohne weibliche Gesellschaft blieb. Olivia hatte ihn ja selbst während einer vorübergehenden Trennung von seiner Frau kennengelernt.

„Hat … hat dein Vater wieder geheiratet?“, fragte Olivia angespannt.

Sally verzog das Gesicht. „Wie denn? Er ist mit seiner Arbeit verheiratet. Das war doch schon immer so.“

Olivia stand abrupt auf. „Ich glaube, ich werde jetzt ein bisschen schwimmen gehen. Es war sehr nett, dich wieder zu sehen, Sally. Bis bald.“ Dann drehte sie sich um, lief zum Pool und sprang ins kühle Nass.

Olivia wollte nicht mehr mit Sally reden, nicht an die Zeit erinnert werden, die sie mit Marcus verbracht hatte. Erst als Olivia vom Swimmingpool aus sah, dass Sally ihren Platz verlassen hatte und sich weiter entfernt mit einem jungen Mann unterhielt, wagte sie sich aus dem Becken und verschwand schnell in der Umkleidekabine.

Sally hatte sich völlig verändert. Sie schien sich von dem unmöglichen Kind zu einem netten jungen Mädchen entwickelt zu haben. Vor sechs Jahren war sie eine verwöhnte Göre gewesen, die ihren Vater völlig vereinnahmt und keine Frau an ihn herangelassen hatte. Marcus hatte auf das Verhalten seiner Tochter mit Nachsicht und Verständnis reagiert, und Olivia, damals selbst erst achtzehn, war nicht in der Lage gewesen, mit der schwierigen Situation umzugehen. Da sie sich Marcus’ Gefühle nicht sicher gewesen war, hatte sie nicht die Kraft gehabt, sich gegen die offene Ablehnung zu wehren, die ihr von Sally und deren Großmutter Sybil entgegengeschlagen war.

Als Olivia aus der Umkleidekabine trat, kam Natalie auf sie zu. „Gut, dass du gerade gehen willst, Olivia. Rick hat nämlich auch genug für heute.“

Olivia runzelte die Stirn. „Geht es ihm nicht gut? Ich hätte vielleicht öfter nach ihm sehen sollen.“

Doch Natalie winkte unbekümmert ab. „Mach dir keine Gedanken, Olivia. Rick ist erwachsen und weiß selbst, wann es Zeit ist, zu gehen. Aber du kannst ruhig noch etwas bleiben, wenn du möchtest. Bestimmt wirst du jemanden finden, der dich nach Hause …“

„Nein, nein, mir reicht es auch für heute“, unterbrach Olivia Natalie schnell. „Die … die Sonne ist mir einfach zu heiß.“

Natalie betrachtete sie skeptisch. „Es hat dich doch niemand geärgert oder belästigt? Ich meine, die Jungs können manchmal ziemlich …“

„Oh nein, ganz und gar nicht“, wehrte Olivia hastig ab. „Ich bin nur müde und möchte nach Hause.“

Doch Natalie schien nicht überzeugt zu sein. „Ist wirklich alles in Ordnung, Olivia?“, fragte sie besorgt. „Du siehst irgendwie so … verstört aus.“

Olivia erschrak. Sah man ihr tatsächlich an, wie aufgewühlt sie war? Dieses kurze Treffen mit Sally hatte offensichtlich genügt, um sie, Olivia, völlig aus ihrem inneren Gleichgewicht zu bringen. „Ach Unsinn, ich bin nur müde“, beteuerte sie erneut und folgte Natalie zum Wagen, wo Rick bereits wartete.

Auch er runzelte die Stirn, als er Olivias blasses Gesicht sah. „Geht es dir nicht gut, Olivia?“, fragte er besorgt.

„Sie ist nur müde“, antwortete Natalie für sie.

„Aber du hast doch die ganze Zeit nur auf der Liege gelegen“, wandte Rick ein. „Und dich kurz mit Sally unterhalten, habe ich gesehen.“

„War … war sie seit deinem Unfall schon mal bei euch?“, erkundigte Olivia sich vorsichtig.

„Nur ein Mal. Aber da hattest du gerade deinen freien Tag.“

„Ach ja, das war einer dieser seltenen Glückstage“, neckte Olivia ihn, um von ihrer inneren Unruhe abzulenken.

„Du bist ganz schön frech, weißt du das?“, gab Rick scherzhaft zurück.

„Aber sie hat sich geradezu aufopfernd um dich gekümmert, das musst du zugeben“, mischte Natalie sich fröhlich ein.

„Tatsächlich?“, erwiderte Rick gespielt überrascht. „Aber es hat ihr bestimmt einen Riesenspaß gemacht, stimmt’s, Olivia?“

Da musste Olivia lachen. „Stimmt“, gab sie ehrlich zu. „Ich habe mich wirklich gern um dich gekümmert, Rick.“

„Oh, sag ihm so was nicht“, stöhnte Natalie. „Da wird er ja noch eingebildeter, als er ohnehin schon ist.“

„Ich dachte, du liebst mich?“, erwiderte Rick gespielt empört.

„Das tue ich auch – manchmal jedenfalls.“

„Oh, vielen Dank!“

Alle lachten vergnügt, und Olivia wurde erneut bewusst, wie sehr sie diese Familie vermissen würde. Ricks Eltern, Clara und Eric, hatten Olivia herzlich in die Familie aufgenommen und von Anfang an darauf bestanden, dass Olivia die Mahlzeiten gemeinsam mit ihnen einnahm. Nur noch fünf Tage, und dann Olivia würde ihren nächsten Job bei der alleinstehenden alten Dame antreten müssen. Aber das machte Olivia nichts aus. Sie liebte ihren Beruf und war es gewöhnt, sich immer wieder auf neue Menschen einzustellen. Nur manchmal fühlte sie sich etwas einsam, doch daran war sie selbst schuld. Obwohl es Olivia in den letzten sechs Jahren an Verehrern nie gemangelt hatte, hatte sich nie mit einem Mann auf eine feste Beziehung eingelassen. Keiner von ihnen hatte Marcus je das Wasser reichen können.

Marcus … seit Olivia Sally getroffen hatte, musste sie ununterbrochen an ihn denken. Und zu allem Überfluss musste Rick während des Essens auch noch das Gespräch auf ihn bringen.

„Stellt euch vor, Sally ist aus der Schweiz zurückgekommen“, verkündete er heiter.

„Ihr Vater auch?“, erkundigte sich Eric.

„Ich glaube schon. Ihre Großmutter ist auf jeden Fall da.“

Sybil Carr – Marcus’ Schwiegermutter. Sie hatte Olivia von Anfang an abgelehnt und ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie in Marcus’ Haus unerwünscht sei. Mr. Carr, ein reicher Geschäftsmann, war während der kurzen Zeit, in der Olivia mit Marcus befreundet gewesen war, geschäftlich in Amerika gewesen.

„Ist sie nur zu Besuch, oder bleibt sie länger hier?“, wollte Clara wissen.

Rick zuckte die Schultern. „Ich glaube, sie bleibt länger hier.“

„Das wird Marcus bestimmt nicht recht sein“, fuhr Clara fort. „Andererseits, warum sollte Sybil in der Schweiz bleiben, nun, da ihr Mann nicht mehr lebt?“

Also war Sybil Carr inzwischen Witwe geworden. Allerdings konnte Olivia sich kaum vorstellen, dass diese hochkultivierte und elegante Dame um irgendjemanden trauerte. Trauer offen zu zeigen passte nicht in die Rolle, die diese Frau verkörperte.

„Sally war auch auf der Gartenparty bei den Graystons“, erzählte Natalie. „Olivia hat sich mit ihr unterhalten.“

„Tatsächlich?“ Clara lächelte sanft. „Sie ist ein sehr nettes Mädchen geworden, findest du nicht auch, Olivia?“

„Ja, sicher“, antwortete sie unbehaglich und stand auf. „Ich … ich muss jetzt leider auf mein Zimmer gehen“, entschuldigte sie sich höflich. „Weil ich noch einige Unterlagen durcharbeiten muss, bevor ich meine nächste Stelle antrete.“

Clara lächelte verständnisvoll. „Natürlich, geh nur, Olivia.“

Olivia war froh, sich in ihr Zimmer zurückziehen zu können. Das Treffen mit Sally hatte sie völlig aufgewühlt. Nur zu gut erinnerte Olivia sich an das kurze, aber intensive Verhältnis, das sie vor sechs Jahren mit Marcus gehabt hatte. Und an den Schmerz und die Enttäuschung, die sie seinetwegen hatte erleiden müssen.

Als Achtzehnjährige hatte Olivia den Beruf der Krankenschwester gewählt, weil sie ihn sich sehr romantisch vorgestellt hatte. Doch bereits nach sechs Monaten Ausbildung und Arbeit auf verschiedenen Stationen hatte sie festgestellt, dass dieser Job mit Romantik absolut nichts zu tun hatte. Auch die meisten Ärzte waren ganz anders, als Olivia es sich in ihren jugendlichen Träumereien ausgemalt hatte. Ihr war zwar bekannt, dass einige der Schwestern eine Affäre mit einem Arzt hatten, aber zu einer dauerhaften Beziehung führten solche Verbindungen fast nie.

Zuerst hatte Olivia auf der Kinderstation gearbeitet, was ihr trotz der schweren Erkrankungen mancher Kinder sehr gut gefallen hatte. Ihre zweite Aufgabe hatte sie auf die Frauenstation geführt, auf der sie Mrs. Bateson kennengelernt hatte – eine Frau von Mitte siebzig, die wegen eines schweren Leidens schon seit längerer Zeit in der Klinik lag.

Neben ihrer Routinearbeit hatte Olivia es sich zur Gewohnheit gemacht, sich täglich eine Weile zu Mrs. Bateson ans Bett zu setzen, um mit ihr zu plaudern. Die alte Dame hatte ihr begeistert von ihrem Mann Bert, mit dem sie schon seit fünfzig Jahren verheiratet war, von ihren sechs Kindern, zwanzig Enkelkindern und vier Urenkeln erzählt, und Olivia hatte ihr jedes Mal fasziniert zugehört und sie im Lauf der Zeit richtiggehend lieb gewonnen.

Und dann war der Moment gekommen, in dem Olivia Marcus zum ersten Mal begegnet war. Sie stand gerade an Mrs. Batesons Bett und hörte zu, was deren geliebter Mann Bert ihr schon wieder mitgebracht hatte. Die Augen der alten Frau strahlten jedes Mal, wenn sie von ihrem Mann sprach, und Olivia fand es rührend, wie viel Liebe die beiden immer noch miteinander verband.

„Die Vorhänge, Schwester Olivia!“, rief Schwester Marton ihr von hinten zu und riss sie damit aus ihren Gedanken.

Olivia drehte sich so abrupt um, dass sie dabei versehentlich mit Marcus zusammenstieß. Er musste schon eine ganze Weile hinter ihr gestanden haben, ohne dass sie es bemerkt hatte.

„Oh Verzeihung“, entschuldigte Olivia sich aufgeregt und errötete, als sie in seine faszinierenden grauen Augen und sein ungemein attraktives Gesicht sah. Dann entfernte sie sich rasch aus dem Raum.

„Mrs. Batesons Arzt – das ist ein Wahnsinnstyp, findest du nicht auch?“, flüsterte Kathy Barnes, eine der anderen Schwesternschülerinnen Olivia aufgeregt zu, als sie ins Schwesternzimmer kam.

„Wer ist das?“, fragte Olivia neugierig.

„Marcus Hamilton! Sieht er nicht fantastisch aus?“

Olivia musste Kathy recht geben. Marcus Hamilton war der attraktivste Mann, dem Olivia je begegnet war. Er war groß und sportlich gebaut, besaß dunkles kurzes Haar, ein markantes Kinn und ausdrucksvolle graue Augen. Darüber hinaus war er ein ausgezeichneter Facharzt und wurde, wie Olivia wusste, von seinen Kollegen sehr geschätzt und respektiert. Selbst Mrs. Bateson schwärmte von ihrem „gut aussehenden jungen Doktor“, obwohl Marcus schon Anfang, Mitte dreißig sein mochte. Für Mrs. Bateson war das natürlich jung, doch für Olivia mit ihren achtzehn Jahren war Marcus ein „reifer“ Mann.

Zwei Wochen nach ihrer ersten Begegnung sprach er sie zum ersten Mal an. Wieder war Olivia gerade bei Mrs. Bateson, als er das Zimmer betrat. Nach einem kurzen Gespräch mit der alten Dame zog Marcus den Vorhang um ihr Bett zu und bat Olivia dann, ihm auf den Gang zu folgen.

Olivias Herz begann sofort höher zu schlagen. „Ja, Dr. Hamilton?“, fragte sie aufgeregt.

„Ich möchte, dass Sie noch eine Weile bei Mrs. Bateson bleiben“, wies Marcus sie an. „Ihre Tochter müsste bald kommen, aber ich möchte trotzdem, dass bis dahin jemand bei der alten Dame bleibt.“

„Ja … natürlich“, antwortete Olivia stockend. „Aber warum …?“

„Ihr Mann ist heute gestorben.“

Olivia sah Marcus schockiert an, dann nickte sie und ging zu Mrs. Bateson, um ihr Trost zu spenden. Die Augen der alten Dame hatten aufgehört zu strahlen, und sie hielt nur schweigend Olivias Hand, als wollte sie sie nie mehr loslassen. So saß Olivia lange da, bis Mrs. Bateson plötzlich zu sprechen begann.

„Wir haben uns immer gewünscht, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden“, sagte sie leise.

„Mrs. Bateson …“

„Ich kann ohne Bert nicht weiterleben“, fuhr Mrs. Bateson traurig fort. „Eines Tages werden Sie das verstehen, Olivia. Ich habe ihn mein ganzes Leben geliebt, und ohne ihn will ich nicht mehr leben.“ Sie lag ganz still im Bett, und Olivia kämpfte mit den Tränen, als sie das Leid der liebenswerten alten Dame sah.

„Mrs. Bateson, Sie dürfen nicht so reden …“

„Schwester King?“

Olivia blickte auf und sah Marcus am leicht geöffneten Vorhang stehen. Wiederstrebend ließ sie Mrs. Batesons Hand los und ging zu ihm. „Ja, Dr. Hamilton?“

Marcus sah sie eindringlich an. „Wie geht es ihr?“

Olivia schluckte. „Sie ist sehr traurig und deprimiert. Und sie …“

„Ja?“

„Sie spricht vom Sterben.“

Marcus atmete tief durch. „Ich werde mich ein paar Minuten zu ihr setzen. Ihre Familie hat sich etwas verspätet – Mr. Batesons Tod war auch für die anderen Familienmitglieder ein Schock.“ Er sah Olivia prüfend an. „Schwester Marton hat mir erzählt, Sie hätten eine ganz besondere Beziehung zu Mrs. Bateson aufgebaut?“

Leichte Röte überzog Olivias Gesicht. „Ich … ja, das stimmt.“

„Dann wäre es schön, wenn Sie nachher wieder zu ihr gehen würden.“

„Ja, Sir … natürlich.“ Für Olivia war es selbstverständlich, länger hier zu bleiben, obwohl ihre Arbeitszeit eigentlich schon längst zu Ende war. Aber das spielte keine Rolle. Sie würde so lange bei Mrs. Bateson bleiben, wie es nötig war.

Marcus nickte zufrieden. „Während ich kurz zu ihr gehe, besorgen Sie sich eine Tasse Tee und etwas zu essen. Kommen Sie in zehn Minuten wieder.“

Zu Olivias Erstaunen hatte Schwester Marton bereits eine warme Mahlzeit und heißen Früchtetee für sie gerichtet. „Sie hätten schon vor Stunden gehen können“, meinte sie, als Olivia sich an den Tisch setzte. „Aber Dr. Hamilton hat darauf bestanden, dass Sie bei Mrs. Bateson bleiben. Und in Anbetracht der Umstände finde ich das auch am besten.“

Genau zehn Minuten später ging Olivia zurück ans Bett der alten Dame. Marcus nickte ihr kurz zu, bevor er den Raum verließ.

„Dr. Hamilton ist wirklich ein sehr netter junger Mann“, meinte Mrs. Bateson seufzend. „Aber eine Liebe wie die von Bert und mir versteht er einfach nicht.“

„Aber er ist doch verheiratet …“

„Er lebt getrennt von seiner Frau, hat er mir erzählt.“ Mrs. Bateson schüttelte den Kopf. „Ihr jungen Leute scheint euer Eheversprechen eben nicht mehr richtig ernst zu nehmen.“

„Ich bin nicht verheiratet, Mrs. Bateson.“

„Aber Sie werden es eines Tages sein, mein liebes Kind.“ Die alte Dame lächelte sanft. „Und Ihr Mann wird ein wahrer Glückspilz sein. Sie sind ein sehr nettes Mädchen, Olivia. Und Sie sollten auf den Richtigen warten, so wie ich es damals getan habe.“

Kurz darauf schlief die alte Dame ein, und Olivia saß still an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Als Marcus Hamilton wiederkam, um nach seiner Patientin zu sehen, war es draußen längst dunkel geworden.

Olivia ließ behutsam Mrs. Batesons Hand los und trat auf Marcus zu.

„Wie geht es ihr?“

„Sie ist eingeschlafen“, flüsterte Olivia. „Wo ist denn ihre Tochter? Sie wollte doch längst hier sein.“

Marcus runzelte die Stirn. „Sie ist im Foyer ohnmächtig geworden. Aber sie wurde sofort versorgt, und jetzt geht es ihr auch schon wieder besser. Bevor ich sie zu ihrer Mutter lasse, wollte ich nur noch kurz nach der alten Dame sehen.“

Marcus verschwand hinter dem Vorhang, und es dauerte einige Minuten, bis er wiederkam. „Sie können jetzt auch nach Hause gehen, Schwester King“, sagte er ernst. „Es gibt hier nichts mehr für Sie zu tun.“

Olivia sah ihn mit großen Augen an, und Panik erfasste sie. „Aber …“ Als Marcus den Kopf schüttelte, lief sie an ihm vorbei und blickte schreckerfüllt auf die leblose Gestalt im Bett. „Nein!“, rief Olivia schockiert. „Das … das ist nicht wahr!“

„Es ist wahr, Schwester King“, sagte Marcus sanft. „Sie ist vor etwa einer halben Stunde gestorben. Sie hat einfach aufgehört zu atmen.“

„Nein, das glaube ich einfach nicht!“

„Schwester King …“

„Lassen Sie mich in Ruhe!“ Olivia stürzte schluchzend aus dem Zimmer und lief hinaus in den Park, der zur Klinik gehörte. In ihrem Schmerz merkte sie gar nicht, dass Marcus ihr folgte. Plötzlich erfasste er sie von hinten, drehte sie zu sich herum, und sie barg das Gesicht weinend an seiner Brust.

„Es tut mir leid“, sagte Marcus sanft und nahm Olivia in die Arme.

„Das ist nicht fair!“, rief sie schluchzend. „Sie war ein so … liebenswerter Mensch. Und ihr Mann auch.“

Marcus zog ein Taschentuch hervor, hob Olivias Kinn an und wischte ihr behutsam die Tränen weg. „Sie müssen es von Mrs. Batesons Seite sehen, Olivia.“

Olivia schluckte schwer. „Das verstehe ich nicht …“

„Sie ist jetzt dort, wo sie sein wollte – bei ihrem Mann.“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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