Lord Garrows widerspenstige Braut

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Lady Susanna ist außer sich vor Empörung, als sie belauscht, wie ihr Vater sie einem völlig Fremden verspricht! Zornbebend -und betörend schön in ihrer Erregung - stürmt sie in den Salon: Da ist es um Lord James Garrow auch schon geschehen: Jede Bedingung


  • Erscheinungstag 14.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769505
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Edinburgh, 1856

Gedankenverloren spielte James mit seinem Krug Ale, während er im Kopf zusammenrechnete, was er in der letzten Woche verdient hatte. Es war nur ein Bruchteil dessen, was nötig sein würde, um die Angehörigen seines Clans durch den nächsten Sommer zu bringen. Steinmetzarbeiten wurden nicht sonderlich gut bezahlt. Dennoch hatte er mehr eingenommen, als er erwartet hatte. In Edinburgh wurde noch immer viel gebaut, so dass seine Auftragslage gut war.

Er hob die Augen und ließ seinen Blick durch die Gaststube schweifen. Im Hog and Truffle Inn wurden trotz des rustikalen Namens anständige Mahlzeiten und ordentliches Bier serviert. Die Preise waren angemessen und die Bettlaken sauber. Ja, er hatte es gut getroffen. Sein Logierzimmer war zwar winzig, kleiner noch als das Ankleidezimmer daheim, aber er hatte es für sich allein. Und dennoch – wie sehr sehnte er sich nach den Highlands, nach seinem Zuhause. Noch bevor die erste Schneeflocke fällt, werde ich dort sein, schwor er sich.

Als plötzlich irgendwo hinter ihm halblaut der Name „Eastonby“ fiel, wurde James hellhörig. Eastonby? Dass in dieser Umgebung vom Earl of Eastonby gesprochen wurde, war verwunderlich. Interessiert lehnte er sich in seinen Stuhl zurück, nippte am Bier und lauschte.

„Er hat wirklich seine Tochter dabei“, flüsterte jemand mit rauer Stimme.

„Wie erfreulich“, antwortete ein anderer Mann, der ohne Akzent sprach. Im Hog and Truffle Inn ein derart reines Englisch zu hören, überraschte James.

„Wir sollten bedenken, dass das Ärger geben könnte! Ihn zu töten, ist die eine Sache, aber sie …“, meinte der erste Sprecher bedächtig. Er klang wie ein Schotte.

„Ich bezahle Sie nicht fürs Denken. Wenn Sie an dem Auftrag interessiert sind, tun Sie einfach, was ich Ihnen sage!“

Für einen Moment herrschte Stille.

„In Ordnung. Auf der Straße nach York bei Solly’s Copse soll es also sein?“

„Jawohl. Sobald sie morgen Abend die Stadt verlassen. Und es wird keine Überlebenden geben. Haben Sie mich verstanden?“ Mit fast unhörbar leiser Stimme präzisierte der Engländer, wo der Anschlag stattfinden sollte.

Die beiden sind sturzbetrunken, war James erster Gedanke. In aller Öffentlichkeit Mordpläne zu schmieden – dazu muss man entweder betrunken oder wahnsinnig sein! Allerdings waren die übrigen Gäste mit dem Inhalt ihrer Krüge beschäftigt und saßen nicht in unmittelbarer Nähe zu den Attentätern. Er selbst hatte ein ausgezeichnetes Gehör. Anders hätte auch er kaum verstehen können, was die beiden getuschelt hatten.

Nachdem das Attentat nun im Detail geplant war, würden die Männer sicher bald aufbrechen. Er musste vorher unbedingt noch einen Blick auf die beiden erhaschen. Sich umdrehen oder einfach aufstehen – das konnte er natürlich nicht. Damit würde er den beiden zu verstehen zu geben, dass er jedes Wort gehört hatte. Nein, er würde den Betrunkenen mimen. Langsam sackte er in sich zusammen und ließ sein Bierglas nach hinten fallen. Mit lautem Klirren zersprang es auf dem Boden. Ale spritzte in alle Richtungen, während James sich vom Stuhl gleiten ließ.

Wie er erwartet hatte, drehten sich die beiden Männer mit einem Laut des Unwillens ruckartig zu ihm um. James lag auf dem Fußboden und blinzelte zu ihnen hoch, während sie ihn mit ein paar groben Worten beschimpften. Er grinste sie so lange an, bis er sich ihre Gesichter eingeprägt hatte. Dann seufzte er laut auf und täuschte Bewusstlosigkeit vor. Der kleinere der beiden Männer trat heftig gegen sein Bein, aber James blieb regungslos liegen. Immer noch aufgebracht beglichen die beiden ihre Rechnung und stampften aus dem Gasthof.

Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, rollte James vorsichtig weg von den Scherben, erhob sich umständlich und torkelte zur Hintertür. Alle Anwesenden mussten annehmen, dass ihn ein menschliches Bedürfnis plage. Doch James hatte andere Pläne. Sobald er draußen war, eilte er um den Gasthof herum. Er hielt sich im Schatten und sah noch, wie die beiden Männer sich vor dem Wirtshaus trennten. Dem gut gekleideten Engländer folgte er. Er würde Eastonby warnen müssen.

Zeitig stand James am nächsten Morgen auf, um den Aufenthaltsort des Earls of Eastonby ausfindig zu machen.

Nachdem er im Royal Arms eingetroffen war, wartete er darauf, zu Eastonby vorgelassen zu werden. Es blieb ihm genug Zeit, in der pompösen Eingangshalle des Grandhotels auf einem Polstersessel zwischen Zierpalmenkübeln darüber nachzugrübeln, warum er sich überhaupt die Mühe machte, ihn aufzusuchen. Was habe ich mit einem englischen Earl zu schaffen, der seine Pächter hungern und seinen Landsitz verkommen lässt? Unschlüssig drehte er seinen Zylinder in den Händen. Nun, es war auch eine Dame in Gefahr. Und er als Gentleman und Christenmensch konnte einem Mordanschlag schließlich nicht tatenlos zusehen.

„Hier entlang bitte, Lord Garrow“, bat einer der Hotelbediensteten. Der Dienstbote führte James in den dritten Stock und klopfte an einer der weißen Kassettentüren, die vom langen Korridor abgingen. Als sie hereingebeten wurden, öffnete der Diener die Tür, bevor James ein luxuriös möbliertes Empfangszimmer betrat. Ein grauhaariger Mann mit eingefallenen Gesichtszügen saß dort an einem großen Schreibtisch und schrieb etwas auf einem Stück Papier. „Lord Garrow“, meldete ihn der Angestellte höflich und zog sich zurück. Der Earl ließ sich von der Anwesenheit seines Besuchers nicht stören und schrieb weiter.

Als James einen Blick durch eine offen stehende Verbindungstür ins angrenzende Zimmer warf, sah er dort ein rothaariges Mädchen mit angezogenen Beinen in einem Sessel sitzen und lesen. Das Mädchen schien noch sehr jung zu sein. Es hielt den Kopf geneigt, während eine Flut glänzender fuchsroter Locken vor seinen Augen herab auf das Buch fiel, in dem es las. Unter den weiten Röcken des Krinolinenkleides lugten schmale Fesseln und bestrumpfte kleine Füße hervor. Geistesabwesend bewegte das Mädchen die Zehen.

Das muss Eastonbys Tochter sein, dachte James. In diesem Moment sah das Mädchen von den Seiten auf. Verärgert runzelte es die Stirn, als es ihn erblickte, sprang auf, eilte zur nächsten Tür und zog sie mit lautem Knall hinter sich ins Schloss. In diesem Moment wurde James klar, dass die Tochter Eastonbys trotz ihrer Zierlichkeit kein junges Mädchen mehr war. Sie war bereits eine erwachsene Frau. Und zwar eine hübsche, die sicher schon über zwanzig war, wie er schätzte.

Noch immer ignorierte der Mann am Schreibtisch ihn. Als James das ungute Gefühl beschlich, seine Zeit zu verschwenden, fragte er laut: „Lord Eastonby, nehme ich an?“

Der Mann blickte auf und legte seine Schreibfeder beiseite. „Das bin ich. Was führt Sie her? Sie sagten, Sie sind Lord Garrow?“ entgegnete er barsch.

„Richtig. Ich bin der Laird von Galioch – in der Nähe Ihres Landsitzes im Norden.“

„Sie meinen Drevers?“

„Ja. Aber das ist nicht der Grund meines Besuches. Zufällig hörte ich gestern Abend, wie ein Anschlag auf Sie geplant wurde. Daher hielt ich es für angebracht, Sie persönlich zu warnen.“

Die Mundwinkel des Earls verzogen sich. „Und ich nehme an, ich soll Sie für diese Information angemessen belohnen?“

Tief atmete James ein, um die Fassung zu bewahren. Manche Leute sind eben von Natur aus misstrauisch, sagte er sich. In gewisser Weise war das Misstrauen des Mannes sogar nachvollziehbar. „Nein“, erklärte er mit fester Stimme. „Eine Belohnung erwarte ich nicht. Es ist meine Christenpflicht, Sie zu warnen, dass Ihr Leben in Gefahr schwebt. Irgendjemand plant, Ihnen vor der Stadt bei Solly’s Copse aufzulauern und Sie und alle Ihre Begleitpersonen umzubringen.“ Er nickte kurz zur Tür hin, durch die die junge Frau verschwunden war. „Die Rede war auch von Ihrer Tochter.“

Überrascht sah der Earl ihn an. Er schob den Stuhl zurück, stand auf und unterzog den jungen Mann einer eingehenden Musterung. „Sie sind sich sicher?“

„Ja. Mindestens zwei Männer sind an dem Anschlag beteiligt. Einer hat unter dem Namen ‚Ensmore‘ Quartier im Shipman’s Inn bezogen. Der Stimme nach ist er ein Engländer, aber der Gastwirt wusste nicht, ob er von Adel ist. Ich konnte nur einem der beiden Verschwörer folgen, daher kann ich Ihnen nichts über den anderen sagen. Mit Sicherheit ist er hier aus der Gegend. Er spricht mit schottischem Dialekt und wirkte ziemlich gewöhnlich. Und er ist gewalttätig“, fügte er hinzu, als er sich an den Tritt erinnerte, der ihm zuteil geworden war. „Was Sie mit diesen Informationen anfangen, ist Ihre Sache, Lord Eastonby. Einen schönen Tag wünsche ich noch.“

James wandte sich ab und schritt zur Tür. Er war befriedigt, dass er getan hatte, was er als Ehrenmann tun musste. Aber er hatte mittlerweile mehr als zwei Stunden kostbarer Arbeitszeit vergeudet, so dass er rasch zur Baustelle zurückkehren wollte.

„Warten Sie!“ insistierte der Earl.

„Heuern Sie Begleitschutz an und bewaffnen Sie sich. Dann wird Ihnen sicher nichts passieren“, versicherte ihm James über die Schulter hinweg. „Viel Glück.“

„So warten Sie doch! Sie können doch nicht einfach mit derart grotesken Ankündigungen hier hereinplatzen und dann einfach verschwinden!“ bedrängte ihn der Earl, der allmählich ärgerlich zu werden schien.

James wandte sich um. „Ich kann und ich muss, Mylord. Bitte halten Sie mich nicht auf. Ich habe alles gesagt, was ich Ihnen zu sagen habe.“

Von einer Sekunde zur nächsten wurde der Earl freundlich, zwang ein Lächeln auf seine Lippen und deutete auf einen Sessel am Kamin. „Ich bitte Sie, Lord Garrow! Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich Sie vorhin gekränkt habe, und erlauben Sie mir, Ihnen wenigstens eine Erfrischung anzubieten – als Dankeschön sozusagen.“

„Es ist noch zu früh für Likör“, entschuldigte sich James, der ungeduldig wurde.

„Wein vielleicht? Bleiben Sie doch bitte!“ bedrängte ihn der Earl. „Ich habe noch ein paar Fragen an Sie.“

Während er innerlich aufseufzend eine weitere Stunde Arbeitszeit abschrieb, gab James den Bitten des Earls nach und ließ sich in einem der mit Brokat überzogenen Polstersessel nieder, auf die sein Gastgeber gezeigt hatte. Dann gab er detailliert wieder, was er in der Schankstube des Gasthauses gehört und über den Mann herausgefunden hatte, der der Drahtzieher des Anschlags zu sein schien.

Der Earl nickte ab und zu, während er James aufmerksam zuhörte. Diesmal bot er James eine Belohnung an, die aufrichtig gemeint war. „Und ich kann Sie wirklich nicht für Ihre Mühen entschädigen? Sie haben sich weitaus mehr für mich und mein Kind eingesetzt, als von einem Fremden erwartet werden kann. Ich bin Ihnen wirklich etwas schuldig, Garrow.“

„Nein. Ich sagte schon, dass ich es für meine Pflicht hielt, Sie zu warnen. Und das meine ich auch so.“ James sah auf seine schwieligen, verkratzten Hände hinunter, als er spürte, dass der Blick seines Gegenübers auf ihnen ruhte.

„Sie scheinen Ihren Lebensunterhalt mit harter Arbeit zu verdienen?“ bemerkte der Earl geradeheraus.

„Das ist richtig.“

„Bitte entschuldigen Sie die Frage – aber was arbeiten Sie?“

Da die Frage weniger auf Spott als auf echtem Interesse zu beruhen schien, sah James keinen Grund, die Antwort zu verweigern. Schließlich war seine Arbeit nichts Unehrenhaftes. „Ich bin Steinmetz.“

„Aber Sie sind doch Laird von … von Galioch, nicht wahr? Hmmh. Sie brauchen das zusätzliche Einkommen, um Ihren Landsitz zu unterhalten?“

„Ja.“ James konnte förmlich sehen, wie es im Kopf des Earls arbeitete. „Sie schulden mir wirklich nichts“, betonte James erneut, „Aber da ich schon einmal hier bin, nehme ich mir die Freiheit, Sie darauf anzusprechen: Ich hielte es für angebracht, wenn Sie Ihre Leute in Drevers selbst mit allem Lebensnotwendigen versorgen würden. Ich muss zugeben, das nimmt unsere Mittel in Galioch ziemlich in Anspruch.“

„Wie bitte?“ Der Earl runzelte die Stirn. „Wie soll ich Ihren Satz interpretieren? Mr. Colin, mein Verwalter, sorgt für meine Pächter.“

James stand auf. „Ja, sicher, er treibt die Pacht ein und organisiert die Schafschur. Das ist aber auch schon alles. Die meisten Ihrer Pächter haben die Gegend längst verlassen, wie Sie wissen. Ein paar wollen aber nicht aufgeben. Schließlich gehört das Land ihren Familien schon seit Jahrhunderten. Ich kann sie schlecht verhungern lassen. Sehen Sie – wir sind ja alle Nachbarn. Und viele Ihrer Leute kenne ich seit meiner Kindheit. Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Not Ihrer Pächter zu lindern, dann muss ich das tun.“

Schockiert blickte der Earl ihn an. Sein Gesichtsausdruck machte mehr Eindruck auf James, als es Worte hätten tun können. „Ich schwöre Ihnen, das ist mir völlig neu, Garrow!“ entsetzte sich der alte Mann und schüttelte den Kopf. Er deutete auf den Sessel, so dass James noch einmal Platz nahm. „Ich bin schon lange nicht mehr in Drevers gewesen, nicht mehr, seit ich es mit zwanzig Jahren geerbt habe. Sie wirken wie ein ehrlicher Mann, Garrow, und ich bin ohnehin in Ihrer Schuld. Würden Sie mir noch einen Gefallen tun, indem Sie mir ehrlich sagen, wie die Dinge dort stehen?“

„Nun, Ihr Landsitz ist in einem traurigen Zustand. Meiner auch, aber ich tue alles, was ich kann, damit meine Leute haben, was sie brauchen. Und Ihre auch. Aber Lebensmittel sind alles, was ich derzeit erübrigen kann.“

Nachdem er diese Worte gehört hatte, seufzte Eastonby laut auf. Betroffen schwieg er eine Weile, bevor er James direkt anschaute. „Sie sind offenbar ein Mann von Ehre. Ihr Titel?“

„Baron. Wir wurden von König James erhoben. Ich bin der vierzehnte dieses Namens. Und wie alle ältesten Söhne der Familie wurde ich nach ihm benannt.“

„Garrow, sagen Sie … Mein Vater war, glaube ich, mit Ihrem Großvater befreundet“, grübelte der Earl. „Sie sind katholisch?“

James zögerte einen Moment. „Ich bin nicht sehr gläubig“, gab er widerstrebend zu.

„Sind Sie verheiratet?“ fragte der Earl.

„Nein“, entgegnete James knapp. Er hatte nicht vor, sich dafür zu entschuldigen. Nicht viele Frauen von Stand träumten davon, in Galioch zu leben, oder mit einem Mann vermählt zu sein, der das halbe Jahr weit weg von daheim sehr unstandesgemäß Tagelöhnerarbeit verrichtete. „Was sollen die Fragen?“

Der Earl lächelte. „Garrow, ich habe Ihnen zu unser beider Vorteil einen Vorschlag zu machen. Haben Sie prinzipielle Einwände dagegen, mit mir zusammenzuarbeiten?“

James schüttelte den Kopf. Er glaubte zu wissen, was der Earl ihm vorschlagen wollte. Und dieser Vorschlag käme ihm sehr gelegen. Wenn der Earl mich an Mr. Colins Stelle zum Verwalter seines Landguts machen würde, dann könnte ich mir die sechs Monate jedes Jahr in Edinburgh sparen. Niemand in Drevers würde Frank Colin eine Träne nachweinen. „Was für ein Geschäft schwebt Ihnen denn vor?“ erkundigte er sich lächelnd.

„Ich werde Ihnen Drevers übereignen, Garrow, wenn Sie meine Tochter Susanna heiraten“, erklärte der Earl voller Stolz, als hätte er soeben die Formel für den Weltfrieden entdeckt.

Laut sprach James aus, was ihm als Erstes in den Sinn kam: „Was stimmt denn nicht mit Ihrer Tochter?“

Ungeniert hielt Lady Susanna das Ohr an die Tür gepresst, um dem Gespräch im angrenzenden Zimmer zu lauschen. Als sie die letzten Worte ihresVaters hörte, schloss sie entsetzt die Augen und biss sich auf die Lippen. Dann machte sie mit wippenden Röcken einen kleinen Schritt zurück. Was jetzt kam, wollte sie lieber nicht mit anhören müssen. Sicher würde ihr Vater jetzt in epischer Breite ihre Fehltritte schildern.

Susanna wusste, dass sie ihren Aufenthalt in Edinburgh sich selbst zuzuschreiben hatte. Aber Vater hat deswegen noch lange nicht das Recht, mich mit einem Highlander zu verheiraten, den wir gar nicht kennen! Irgendwann wird der Skandal auch wieder vergessen sein, den ich in London ausgelöst habe. Und dann kann ich wieder nach England, nach Hause. Mit Sicherheit würde sie London nie wieder sehen, wenn sie erst mit einem Schotten verheiratet und irgendwo in den wilden Weiten des rauen Nordens, fernab jeglicher Zivilisation, bei lebendigem Leib begraben wäre. Oh, sie hatte wahrlich genug Geschichten über das primitive Leben in den Highlands gehört!

Ihr erster Impuls war es, die Tür zu öffnen, lauthals gegen die Pläne ihres Vaters zu protestieren und den Schotten durch ihr herrisches Auftreten in die Flucht zu schlagen. Sie hatte schon die Hand auf der Türklinke, als sie plötzlich innehielt. Wenn sie jetzt laut wurde, würde das nur die Meinung ihres Vaters bestätigen, der Garrow bestimmt erzählte, dass sie „zuweilen etwas zu stürmisch“ war. Sie sollte besser nachher vernünftige Argumente dafür haben, warum sie diesen Mann nicht heiraten konnte.

Vor ihrem Vater kriechen und ihn um etwas bitten zu müssen, widerstrebte allerdings den Grundfesten ihrer Überzeugungen. Männern, die über Frauen verfügen und sie wie ihr Eigentum behandeln, musste eine Frau mit Stolz und Entschlossenheit entgegentreten, selbst wenn das Recht nicht auf ihrer Seite ist – dies war ihre Maxime, die sie in London allen gepredigt hatte, ob sie zuhören wollten oder nicht.

Doch weil sie gestern Abend beim Kartenspiel verloren hatte, saß sie in der Patsche. Nie, nie hätte ich mit Vater Karten spielen dürfen, dachte sie bitter. Es war abzusehen gewesen, dass sie gegen ihn verlieren würde. Zumindest hätte ich als Einsatz nicht mein Recht setzen sollen, mir selbst einen Mann wählen zu dürfen. Aber was hätte ich sonst setzen sollen, wo mir doch nichts gehört? Was für eine Bredouille! Jetzt musste sie sich entweder der Gnade ihres Vaters anheim geben und ihn bitten, sie nicht mit diesem Schotten zu vermählen, oder ihre Spielschulden dadurch begleichen, dass sie den Mann im Nebenraum heiratete. Hatte sie überhaupt eine andere Wahl?

Ach, wenn ihr Vater nur nicht ausgerechnet einen Schotten ausgewählt hätte! Sie würde jeden Engländer heiraten, den er wollte! Alles wäre besser, als in irgendeiner schmutzigen kleinen Hütte in der Wildnis zu leben und tagein, tagaus Haferbrei und Hammelfleisch essen zu müssen! Gott allein wusste, was dort draußen in den Highlands von einer Frau erwartet wurde. Mit Sicherheit nicht das, was sie zu tun gewillt war!

Plötzlich wurde sie in ihren Gedanken unterbrochen, als sich die Tür öffnete. Susanna, die wenige Zentimeter dahinter gestanden hatte, taumelte in den Aufenthaltsraum, wo sich die beiden Männer aus ihren Sesseln erhoben hatten.

„Susanna“, meinte ihr Vater verärgert, denn er vermutete, dass sie gelauscht hatte. „Bitte setz dich zu uns!“

Als Susanna den Schotten anschaute, umspielte ein Lächeln seine Lippen, während er sie unverfroren musterte. Susanna tat, als würde sie das nicht bemerken, und warf ihm einen eisigen Blick zu.

„Darf ich Ihnen meine Tochter, Lady Susanna, vorstellen? Susanna, das ist James Baron Garrow. Er ist Laird von Galioch, besitzt also Land in der Nähe von Drevers“, stellte sie der Earl einander mit aller Förmlichkeit vor, obwohl er fest davon überzeugt war, dass er seiner Tochter nichts Neues sagte. Auch Garrow schien sich darüber im Klaren zu sein, dass Susanna bereits wusste, wer er war.

„Angenehm.“ Susanna neigte den Kopf, machte aber keinen Knicks, was ihr einen tadelnden Blick ihres Vaters eintrug.

Der Schotte verneigte sich mit einer eleganten Bewegung. „Ganz meinerseits.“

Offenbar hatte Lord Garrow sich irgendwo ein paar Umgangsformen abgeschaut, vermutete Susanna. Allerdings entsprach seine knappe Erwiderung genauso wenig den Konventionen wie ihre Begrüßung. Und wie unpassend dieser Garrow für einen Besuch am späten Vormittag gekleidet ist, ganz zu schweigen davon, dass um diese Zeit geschäftliche Besuche nicht üblich sind! Doch da er uns soeben vor einem Mordanschlag gewarnt hat, dachte sie, ist der Bruch mit der Etikette wohl verzeihlich.

„Bitte kümmere dich einen Moment um unseren Gast, Susanna“, meinte Lord Eastonby. „Ich komme gleich zurück.“

„Warte, Vater!“ rief Susanna, während sie ihre Hand nach ihm ausstreckte, sie aber sofort wieder sinken ließ, als er ihr einen strafenden Blick zuwarf. Sie ärgerte sich über diesen Blick. Doch wenn sie ihren Zorn jetzt offen zeigte, wäre ihr Schicksal ein für alle Mal besiegelt. Sie musste sich unbedingt beherrschen. Vielleicht würde sie nachher die Möglichkeit haben, den Entschluss ihres Vaters in einem Gespräch unter vier Augen zu ändern.

Die Tür fiel hinter dem Earl ins Schloss. Nun blieb Susanna nichts anderes übrig, als die Gastgeberin zu spielen. Sie wandte sich dem Schotten zu und versuchte, Konversation zu machen. „Sind Ihre Ferien in Edinburgh bis jetzt angenehm verlaufen?“

„Ferien?“ Der Highlander warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Tür zum Nebenzimmer. In einem Englisch, das so stark schottisch eingefärbt war, dass man es kaum mehr als solches bezeichnen konnte, meinte er: „Ist Ihr Gehör wirklich so schlecht – oder war die Tür zu dick?“

Sie riss die Augen auf und heuchelte Unverständnis. „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz …“

Der Schotte seufzte und blickte sie ernst an. „Nun, ich wette meinen letzten Penny darauf, dass Sie das ganze Gespräch belauscht haben. Verstehen Sie mich recht – ich hätte vermutlich dasselbe getan. Allerdings begreife ich nicht, dass Sie so ruhig und gefasst wirken. Die meisten Frauen, die ich kenne, würden toben, wenn sie einfach mit jemandem vermählt werden würden“, entgegnete er mit seinem melodiösen Dialekt, während er sie interessiert anschaute. „Sie wollen wohl um jeden Preis heiraten?“

Plötzlich stieg Wut in ihr hoch. Unterstellte er ihr tatsächlich, unbedingt einen Mann zu brauchen? Gleichzeitig fielen ihr seine Augen auf, die bemerkenswert grün waren. Und außerdem suchte sie nach einfachen Worten. Worte, die er verstehen würde, Worte, mit denen sie ihm sagen konnte, dass sie an einer Heirat nicht interessiert war.

James verwechselte ihr Schweigen mit Scham und fuhr fort: „Nun, um ehrlich zu sein, eine Frau käme mir ganz gelegen.“

„Ihnen käme das Landgut ‚ganz gelegen‘, das mein Vater Ihnen im Gegenzug für meine Hand angeboten hat!“ erwiderte sie, äußerlich immer noch gefasst, aber mit kaum verhohlenem Zorn in der Stimme. „Um es klipp und klar zu sagen, Garrow: Ihre Frage war beleidigend. Ich habe es nicht nötig, zu heiraten. Durch eine Heirat kann ich nur verlieren.“

„Verlieren?“ Verwundert hob er die Augenbrauen.

„Ja, verlieren! Ich bin kein dummes kleines Ding – meinen Sie, ich weiß nicht, dass alles, was eine Frau besitzt, verdient, erbt, in das Eigentum ihres Ehemannes übergeht, der damit tun kann, was er will? Der mit ihr tun kann, was er will? Warum sollte ich so dumm sein und mich unters Ehejoch begeben?“

„Ah, ich verstehe. Eine emanzipierte junge Dame. Aus Ihnen spricht Mrs. Wollstonecraft?“

Susanna warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Sie haben Mrs. Wollstonecrafts Buch gelesen?“

„Nein, ich habe nur davon gehört. Und momentan steht ja einiges in den Zeitungen über Engländerinnen, die Eigentumsrechte für Frauen fordern. Nun, unsere Gesetze sind menschlich und daher unvollkommen. Aber ich habe die Gesetze nicht gemacht und ich kann sie auch nicht ändern“, meinte er. „Natürlich sind die Gesetze Frauen gegenüber nicht fair, was das betrifft. Es tut mir wirklich schrecklich Leid für Sie …“ Hilflos hob er die Arme.

Susanna presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust. Kein Mann will je für diese Ungerechtigkeit verantwortlich sein. Aber es gibt auch kaum einen, der daran etwas ändern will. Wozu auch? Ein beschwichtigendes „Es tut mir Leid, da kann man nichts ändern“ ist ja auch so viel einfacher, als eine gerechte Sache zu unterstützen. Und dabei kann man noch persönlich von dem Unrecht profitieren. Aber ich bin es leid. Männer sind einfach zu dumm. Ich habe keine Lust, jeden Einzelnen wieder und wieder auf dieselben Tatsachen hinzuweisen und um Verständnis zu betteln. Nein, heute nicht.

James sah Susanna an und fuhr, da sie schwieg, unsicher fort: „Ein Gut wie Drevers ist beileibe kein Pappenstiel. Wenn wir heiraten, dann werde ich dafür sorgen, dass Ihr Vater Ihnen den Landsitz überschreibt.“

„Und Sie meinen, das würde etwas ändern?“ gab Susanna mit einem spröden Lächeln zurück. „Für mich und Sie würde das gar nichts ändern! Sie sollten wissen, dass eine Frau nicht selbst über ihr Eigentum verfügen kann, Garrow!“

„Sie werden es können! Ich verspreche Ihnen, ich werde Ihnen Drevers irgendwie übereignen. Das wird schon möglich sein … Im Gegenzug bestehe ich allerdings auf dem Verwalterposten und angemessener Entlohnung für meine Arbeit. Ich muss an meine Pächter denken. Sie werden diese Verantwortung mit mir teilen, wenn Sie mich heiraten.“

„Ich kenne Sie gerade zehn Minuten, Mylord! Warum sollte ich Ihnen vertrauen?“ entgegnete sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Weil ich Ihnen mein Wort als Ehrenmann darauf gebe. Wäre ich nur an meinem eigenen Wohlergehen interessiert, dann wäre ich jetzt nicht hier. Ist Ihnen bewusst, dass mir gerade ein Tageslohn entgeht? Wenn ich nur auf Geld aus wäre, würde ich ja wohl eine Belohnung fordern!“

Sie wich einen Schritt zurück und stemmte die Hände in die Hüften. „Garrow – Sie und mein Vater mögen ja verrückt sein. Aber ich bin das noch lange nicht!“

Der Schotte lachte. „Dem Funkeln Ihrer Augen nach zu schließen sind Sie weitaus verrückter als wir beide zusammen. Hübsche Augen haben Sie übrigens.“

Ungläubig starrte Susanna den groß gewachsenen Mann an. „Warum ziehen Sie eine Heirat mit mir überhaupt in Erwägung? Ich bin nicht interessiert an Ihnen. Verstehen Sie nicht, dass ich Ihnen als Ehefrau das Leben zur Hölle machen könnte, Garrow? Haben Sie darüber schon nachgedacht?“

„Nun, Sie haben mich immerhin gewarnt. Nur eine Frage habe ich an Sie: Mögen Sie Glücksspiele?“

Sie blinzelte, verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel. „Wie bitte? Ob ich gerne … spiele?“ Nach der verlorenen Kartenpartie am gestrigen Abend hatte Susanna sich geschworen, Zeit ihres Lebens keine Spielkarten mehr anzufassen. Oder meinte der Schotte, dass die Ehe ein Glücksspiel sei und erkundigte sich gerade bei ihr, ob sie sich auf dieses Spiel einlassen wollte?

„Ich spiele nicht gerne. Ich überlasse ungern etwas dem Zufall“, antwortete sie schließlich zögernd.

„In diesem Punkt passen wir also gut zusammen“, nickte James.

Noch bevor sie den Mund öffnen konnte, machte er einen Schritt auf sie zu, zog sie an sich und presste seine Lippen sanft auf ihre. Im ersten Moment war Susanna zu verblüfft, um sich zu wehren. Dann begann ihr Herz schneller zu schlagen, und ihre Beine gaben unter ihr nach. Niemand hatte sie je geküsst. War das nun Furcht oder etwas anderes, was sie spürte? Der Kuss war nicht unangenehm. Susanna wurde klar, dass sie nicht die Kraft hatte, ihn wegen dieses Übergriffs zu schlagen. Benommen schob sie den Schotten von sich, der sie sofort losließ.

„Das war eine Frechheit, Garrow“, zischte sie, während sie damit rechnete, dass er selbstzufrieden und arrogant grinsen würde. Aber er sah geradezu verzweifelt aus.

„Widerwärtig finden Sie mich offenbar nicht … Heiraten Sie mich doch, Lady Susanna! Ich verspreche Ihnen bei meiner Ehre, dass ich alles tun werde, was ich kann, damit Sie so unabhängig leben können, wie Sie es sich ersehnen.“

Unabhängigkeit. Er hat erraten, was ich mir am meisten wünsche. Plötzlich wurde Susanna klar, warum er sich so viel Mühe gab – und ihr Freiheiten zugestand. „Sie sind derjenige von uns beiden“, flüsterte sie und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen, „Sie sind derjenige, der verzweifelt gern heiraten will!“

„Was die Heirat mit Ihnen angeht, so stimmt das in gewissem Sinne“, gab er mit einem trockenen Lächeln zu. „Aber bedenken Sie bitte: Sie können nicht zurück nach London, Ihr Vater will Sie auch nicht allein hier lassen. Und, falls Sie es vorhin nicht mitbekommen haben: IhrVater sagte, dass Sie Ihre Cousine in York besuchen müssten, wenn Sie mich nicht heiraten wollen. Dort werden Sie wohl kaum die Freiheiten genießen, die Sie sich erträumen, Lady Susanna … Wenn Sie mich heiraten, dann werden Sie in Zukunft niemandem außer mir Rede und Antwort stehen müssen.“

„Ich habe also nur die Wahl zwischen Ihnen oder einem Besuch in York? Nein, das muss ich überhört haben.“ Susanna ließ sich in einen Sessel fallen und überlegte. Verflixt und zugenäht! Der Schotte hat Recht. Cousine Mathilda ist eine Pedantin, wie sie im Buche steht, und ihre Kinder sind unerträglich verzogen. Aber abgeschieden von aller Welt in den Highlands leben? Einen Wildfremden heiraten? Bei diesem Gedanken seufzte sie tief auf. Aber andererseits waren ihr Mathildas Kinder ein Gräuel. Und dann der Mann ihrer Cousine – trotz seines Alters war er ein Schürzenjäger, der ständig hinter den armen Hausmädchen her war. Auf seine Aufmerksamkeiten freute sie sich weiß Gott nicht. Oh nein!

Lord Garrow stand da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während er geduldig auf ihre Entscheidung zu warten schien. „Wir führen die Ehe natürlich nur zum Schein“, teilte Susanna ihm schließlich kurz angebunden mit und blickte zu ihm auf.

Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein. So verzweifelt bin ich auch wieder nicht.“

Susanna schluckte, als sie sich vor Augen führte, was von ihr erwartet wurde. Obwohl sie sich nicht in allen Einzelheiten vorstellen konnte, wie eine Ehe vollzogen wurde, wusste sie, dass es nicht angenehm sein würde. Oh, sie hatte so einiges munkeln gehört … „Aber Sie würden mir Zeit geben, mich an meine Situation zu gewöhnen? Zeit, um Sie besser kennen zu lernen?“ Sie ärgerte sich, dass ihre Stimme bei diesen Worten einen flehenden Unterton bekam.

„So viel Zeit wie nötig“, versicherte er ihr. „Innerhalb vernünftiger Grenzen natürlich. Früher oder später müssen wir einen Erben in die Welt setzen. Wer soll Ihren Vater beerben, wenn nicht Ihr Sohn? Ihr Vater vertraute mir an, dass Sie schon fünfundzwanzig Jahre alt sind. Ich gehe auf die dreißig zu. Ewig können wir also nicht mehr warten, aber eilen tut es auch nicht gerade“, fügte er hinzu.

Susanna stand auf, weil sie es als Nachteil empfand, zu ihm hochschauen zu müssen. Der Schotte war extrem groß gewachsen. Und sehr athletisch gebaut, wie sie feststellen musste, als sie ihn unschlüssig ansah. Seine Gesichtszüge waren angenehm und wohlgestaltet. Und seine grünen Augen und sein fröhlicher Mund, der gerne zu lächeln schien, gefielen ihr. Irgendwann musste sich Garrow das Nasenbein gebrochen haben, vermutete Susanna, denn der Nasenrücken war leicht gekrümmt. Ja, sie musste zugeben, er sah auf seine Weise gut aus. Seine dunklen Haare waren allerdings zu lang und mussten bei Gelegenheit geschnitten werden. Und er hatte offenbar fachkundige Hilfe bei der Kleiderwahl nötig. Dieses Jackett – es saß einfach nicht!

Zweifelnd sah sie ihn an. Trotz seines guten Aussehens und einer Portion Charme war er noch nicht verheiratet, und er wirkte auch nicht gerade herausragend intelligent. Ihr wurde mulmig zu Mute. Das deutete auf Probleme hin. Welcher Mann mit Verstand würde eine Frau heiraten, deren Vater freimütig ihre zahlreichen Defizite aufzählte und eifrig darauf bedacht war, sie loszuwerden? Nun, er besaß Anstand und war vermutlich wirklich ein Ehrenmann. Immerhin hatte er ihren Vater vor einem Anschlag gewarnt. Dass sie selbst Garrow geistig überlegen war, konnte, wenn sie es recht bedachte, auch durchaus von Vorteil sein.

Sie seufzte bei dem Gedanken, jetzt eine Entscheidung treffen zu müssen, eine Entscheidung, die ihr ganzes Leben bestimmen würde. Und das unter solchem Zeitdruck! Wollte sie mit diesem Mann eine Familie haben? Erneut ließ sie ihren Blick kritisch über ihn schweifen. Alle Mütter, die sie kannte, behaupteten, dass Kinder die Intelligenz von ihrer Mutter und das Äußere von ihrem Vater erbten. Sie musste also nicht befürchten, einst hässliche Trottel zu gebären. Wenn ich überhaupt Kinder bekomme. Ich werde das so lange wie möglich verhindern.

Ganz abgesehen davon wusste Susanna, dass es höchst unwahrscheinlich war, dass der nächste Mann, den ihr Vater für sie auswählte, angenehmer sein würde als dieser. Sie hatte gestern beim Kartenspiel verloren und musste ihre Spielschulden begleichen. Sie würde also diese Chance nützen, hoffen und beten, dass sich ihre Entscheidung nicht als Fiasko entpuppte.

„Gut. Ich nehme Ihren Antrag an“, sagte sie in geschäftsmäßigem Tonfall. „Allerdings unter drei Bedingungen.“

„Ich höre.“ James trat einen Schritt zurück.

Sie war überrascht, dass Garrow ihr ohne Einwände zugestand, Bedingungen zu äußern. „Nun, also erst einmal bräuchte ich wie gesagt Zeit, bevor wir …“ Ihre Hände, die sie vor ihrer Taille verschränkt hatte, verkrampften sich ineinander.

Er nickte. „Das hatte ich Ihnen schon zugesichert. Die zweite Bedingung?“ fragte er höflich.

„Ich möchte in meinem eigenen Haus kommen und gehen können, wann ich will. Das ist die zweite Bedingung.“

„Wohin wollen Sie denn kommen und gehen?“ fragte James erstaunt. „In den Highlands gibt es nicht viel, wohin man gehen kann, Lady Susanna. Wir haben nicht allzu viele Nachbarn in erreichbarer Nähe. Ich nehme an, wir werden ein oder zwei Mal im Jahr nach Glasgow reisen müssen. Aber es wäre nicht klug, wenn Sie auf eigene Faust in den Highlands unterwegs wären.“

„Hmmh. Ich beginne zu verstehen, warum mein Vater meint, die Ehe mit Ihnen wäre das Richtige für mich. Und was erwarten Sie von mir?“ erkundigte sie sich bedrückt.

„Dass Sie nie Glücksspiele spielen. Dass Sie meinen Leuten und mir gegenüber loyal sind. Und Aufrichtigkeit“, sagte er mit ernster Stimme. „Und dass Sie vernünftige Entscheidungen treffen.“

Susanna wartete einen Augenblick, bevor sie antwortete. „Und das ist alles?“

„Das ist eine Menge, wenn man es genau bedenkt.“

„Dies entspricht den normalen Pflichten jeder anständigen Ehefrau. Aber es gibt noch etwas, das Sie mir zusichern müssen, Lord Garrow.“

„Garrow für Sie“, bat er und machte eine Geste, damit sie fortfuhr.

„Sie müssen mir erlauben, dass ich meine Meinung jederzeit und jedem gegenüber frei äußern darf und dass Sie meine Worte nicht zensieren. Auch wenn Sie anderer Meinung sind!“

„Ich soll Ihre Worte nicht zensieren? Das heißt wohl, Sie wollen von mir in Gegenwart anderer nicht bloßgestellt werden? Oder fürchten Sie eine Bestrafung?“ fragte er belustigt.

„Ja, das heißt es. Ich möchte auf keinen Fall geschlagen werden – und bloßgestellt auch nicht“, äffte sie seine breite, langsame Sprechweise nach.

Sichtlich amüsiert über ihre Parodie seines schottisch eingefärbten Englischs lächelte er sie an. Dann lachte er lauthals. „Ich akzeptiere all Ihre Bedingungen und verspreche Ihnen, dass ich sie respektieren werde.“

Sein Lachen war so ansteckend, dass Susanna unwillkürlich einfiel. Es löste die Spannung, die sie gefühlt hatte. Diesen Schotten kann ich schon jetzt um den Finger wickeln und tun, wie mir beliebt, dachte sie entzückt. Vielleicht würde alles gut werden. Garrow hatte ihr all die Freiheiten zugestanden, die sie sich ersehnt hatte. Jetzt würde sie ihren Vater nie wieder um irgendetwas bitten müssen.

Mitten in das Gelächter hinein platzte der Earl of Eastonby. Überrascht über die gute Laune seiner Tochter erkundigte er sich irritiert: „Und – wie habt ihr euch entschieden?“

Mit vier möglichst stark rollenden schottischen „R“ meinte Susanna kühl: „Wirrrr haben uns miteinanderrrr verrrrlobt, Garrrrow und ich.“

Der Schotte prustete noch lauter, schlang lachend einen Arm um Susannas Taille und küsste sie auf die Schläfe. Susanna protestierte nicht. Im Gegenteil: Mutig legte sie einen Arm um ihn und zog ihn an sich. Eigentlich wollte sie mit dieser Geste nur ihrenVater schockieren. Sie war selbst überrascht, wie sehr es sie befriedigte, in diesem großen starken Mann einen, wenn auch unwillentlichen, Verbündeten gegen den Earl zu haben.

Oh ja, dachte sie triumphierend, es wird bestimmt nicht länger als ein Jahr dauern, dann habe ich diesen Garrow so weit, dass er mit mir nach London zieht. Und dann werde ich meine Kampagne für die Rechte der Frauen fortführen. Vater wird keine Möglichkeit mehr haben, mich aufzuhalten. Wer hätte gedacht, dass sich das Glück so schnell zu meinen Gunsten gewendet hat? Ist das nicht ein Fingerzeig des Schicksals, dass meine Mission am Ende von Erfolg gekrönt sein wird?

2. KAPITEL

James liebte im Allgemeinen keine Veränderungen. Aber in diesem Fall gab es keine Argumente mehr, sein Junggesellendasein fortzusetzen.

Im ersten Augenblick war es ihm reichlich gewissenlos vorgekommen, zu heiraten. Schließlich kam er mit seinem Geld auch ohne Frau und Kinder nur gerade über die Runden. Sein ganzes bisheriges Tun und Lassen war nichts weiter als der verzweifelte Versuch, seinen Pflichten nachzukommen. Eine Ehefrau zu versorgen, war nur eine weitere schwere Bürde. Und doch – wenn er Lady Susanna nicht zur Frau nahm, würde Eastonby ihn auch nicht zum Verwalter von Drevers machen.

Verwalter von Drevers … Wenn er daheim oder zumindest in nicht allzu weiter Entfernung von Galioch arbeiten könnte, wäre das ein Segen für ihn und den Clan. Und die Leute in Drevers wünschten sich schon lange einen anderen Verwalter … Das Wohlergehen so vieler Menschen hing von seiner Entscheidung ab. Er konnte es sich schlicht und einfach nicht leisten, seinen persönlichen Wünschen zu viel Bedeutung beizumessen.

Außerdem, gestand er sich ein, war es nicht so, dass es ihm widerstrebte, Eastonbys Tochter zu heiraten. Susanna war eine verlockende junge Dame. Und mit Sicherheit eine Herausforderung für jeden Mann. In ihrer Gegenwart hatte James eine Vorfreude, eine Aufregung empfunden wie schon lange nicht mehr. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er an sie dachte.

Normalerweise verstand sich James gut mit Frauen. Er mochte sie, und das schienen sie zu merken. Mit einer ganzen Reihe Frauen hatte er sich auch im Bett vergnügt, das allerdings überwiegend in seiner Jugend. Aber er war niemand, der sich verliebte. Das hatte er immer nachdrücklich klargestellt.

Er hatte bislang nur eine Frau geliebt – seine Mutter. Es war eine unerwiderte Liebe geblieben, was seinem Vater ebenso ergangen war: Sein Leben lang hatte der alte Lord Garrow darunter gelitten, sich gequält, um einer Frau zu gefallen, die Erfolg an irdischen Mitteln maß und daran, wie viele Leute sie mit ihrem Putz beeindrucken konnte. Zehn Jahre nach dem Tod seiner Eltern litten James und der ganze Clan noch immer unter den Folgen der hemmungslosen Kaufsucht seiner Mutter.

In den letzten vier Jahren, die seine Eltern noch lebten, hatte James selbst eine beachtliche Summe durchgebracht. Er hatte die übliche, nutzlose standesgemäße Erziehung absolviert und war danach durch Europa gereist. Er hatte gehofft, als vielgereister Schöngeist endlich den Beifall seiner mondänen Mutter zu finden – oder doch wenigstens von ihr beachtet zu werden. Doch sie schien nur die Reisen anderer junger Männer interessant zu finden.

Dass er so egoistisch gewesen war und das Familienvermögen zu einem Teil verschleudert hatte, quälte James beharrlich. Um ein gleich großes Vermögen zu hinterlassen, würde er lange als Verwalter tätig sein müssen …

„Sind Sie ein Optimist?“ fragte Eastonby ihn plötzlich, als ob er James’ Zweifel an der bevorstehenden Eheschließung ahnen würde.

James zögerte mit seiner Antwort. „Nun, ich bin kein ausgesprochener Pessimist, Mylord. Aber ein Optimist?“

„Ich bin eigentlich auch kein Optimist. Aber dennoch – ich vertraue darauf, dass Sie und meine Tochter zueinander passen. Sonst hätte ich diese Heirat nicht vorgeschlagen. Susanna braucht jemanden, der sie lenkt, einen vernünftigen Mann eben. Wenn sie nur nicht wieder in die Hände dieser Skandalweiber in London fällt! Diese Miss Bodichon hat fast unseren guten Namen ruiniert. Sie hat Susanna dazu benutzt, ihre Ideen von Frauenbefreiung und ähnlichem Unsinn unter die Leute zu bringen. Der Name meiner Tochter stand in allen Tageszeitungen. Furchtbar! Es war ein Skandal! Susannas Mutter wäre entsetzt gewesen, den Namen ihrer Tochter in etwas anderem als einer Heirats- oder Todesanzeige lesen zu müssen!“

„Verstehe ich Sie recht – Lady Susanna hat dem guten Ruf der Familie Schaden zugefügt?“ fragte James, der sich ein wenig über Eastonbys harsche Kritik an seiner Tochter wunderte. Er fand es nicht weiter skandalös, dass eine Frau öffentlich gegen oder für irgendwelche Gesetze protestierte, solange sie nicht die freie Liebe propagierte. Doch dies war nicht der passende Zeitpunkt, sich mit seinem Schwiegervater in spe in eine Debatte über die gesellschaftlichen Konventionen zu verstricken.

„Nein, das nicht. Aber Susannas Verhalten hat mich erschreckt. Ich muss zugeben, ich mache mir Sorgen um sie. Es schickt sich nicht, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit so geradeheraus ihre Meinung sagt. Susanna ist sehr begeisterungsfähig, aber sie ist auch ein wenig naiv. Und so furchtbar unkonventionell.“ Nervös griff der Earl zur Teekanne. „Ich hoffe, Sie sind anders.“

James nickte und hielt dem Earl seine Porzellantasse entgegen. Sie nahmen zusammen den Tee ein, während Susanna im Nebenzimmer in ihrem Kleiderschrank stöberte, um ein passendes Kleid für die Hochzeit zu finden, die am selben Nachmittag stattfinden sollte. Die Ehe würde ohne Aufgebot und Pomp von einem presbyterianischen Geistlichen geschlossen werden, der Eastonby noch einen Gefallen schuldig war. Eastonby stand offenbar auch mit einem der Magistrate von Edinburgh auf vertrautem Fuß. Die Heiratserlaubnis für ihn und Susanna war jedenfalls zurückdatiert worden. Es erstaunte James, wie einfach das Leben mit einem hohen Adelstitel war, ganz zu schweigen davon, was Reichtum und ein paar alte Freunde aus Oxford ausrichten konnten. Sogar eine Blitzhochzeit war da kein Problem.

„Ich werde noch für eine Woche in Edinburgh bleiben müssen“, bemerkte James, um das Thema zu wechseln. „Ich bin vertraglich verpflichtet, die Arbeiten am Portal eines Gebäudes zu beenden. Dann werde ich mich um Ihre Ländereien kümmern können.“

„Es sind jetzt Ihre Ländereien, lieber Garrow“, erinnerte ihn der Earl. „Und was die Steinmetzarbeiten angeht, so finde ich es bemerkenswert, wie wichtig Sie Ihre Tätigkeit nehmen.“

„Nein, die Arbeiten nehme ich nicht wichtig“, stellte James richtig. „Aber ich bin auf das Geld, das ich damit verdiene, angewiesen!“

Lächelnd hob der Earl sein Glas. „Ich wollte Sie mit meiner Bemerkung nicht verspotten! Sicher werden Sie schon bald Ihre Kinder mit nach Edinburgh nehmen können und ihnen Ihre Arbeiten zeigen.“

Eastonby ist ein Optimist, egal, was er behauptet, dachte James, wenn er so bald schon auf Enkelkinder hofft … Aber natürlich barg das Leben Überraschungen. Und die Winter in Schottland waren kalt, viel zu kalt, um allein im Bett zu liegen. „Sie werden uns gleich nach der Hochzeitszeremonie verlassen?“ erkundigte er sich höflich.

Der Earl nickte. „Ja. Ich bedauere natürlich, dass ich nicht bleiben kann, um Ihnen beiden beim Hochzeitsmahl Gesellschaft zu leisten. Aber es geht nicht anders. Sie können diese Räumlichkeiten selbstverständlich bis zu Ihrer Abreise weiter benutzen.“

„Ich werde Sie heute Abend bis Solly’s Copse begleiten“, erklärte James.

Überrascht sah sein Gegenüber ihn an. „Ihr Angebot ist sehr liebenswürdig, aber Sie machen sich unnötige Mühen, mein Bester. Ich habe schon alles geregelt.“

„Sie gehören zur Familie“, sagte James und setzte seine Tasse ab. „Zumindest werden Sie heute Abend ein Familienmitglied sein. Ich werde Sie daher begleiten.“ Als der Earl Anstalten machte zu protestieren, fuhr James fort: „Sehen Sie, wenn Sie wirklich eine Wachmannschaft anheuern, werden die Attentäter im Versteck bleiben und ein anderes Mal zuschlagen. Wenn dagegen nur ich mitkomme und mich ungesehen bei Ihnen in der Kutsche verstecke, wird der Anschlag wie geplant stattfinden.“

Nachdenklich sah der Earl ihn an. „Sie haben Recht, Garrow. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber was ist mit Susanna? Sie wird nicht entzückt sein, an ihrem Hochzeitsabend allein bleiben zu müssen.“

„Unsinn!“ protestierte Susanna, die plötzlich das Zimmer betreten hatte. „Schenk mir auch ein Tässchen ein“, bat sie ihren Vater. „Wenn es dir möglicherweise das Leben rettet, darf mein Herzallerliebster so lange abwesend sein wie nötig. Was hältst du übrigens von diesem Kleid, Vater?“ Sie wirbelte herum. Die Stahlkrinoline ließ ihre Röcke weit ausschwingen.

„Bitte benimm dich, Susanna“, wies der Earl sie zurecht und schenkte ihr eine Tasse Tee ein.

„Wieso dieser Tadel?“ Sie riss die Augen weit auf und mimte die gekränkte Unschuld. „Aus mir spricht die Vernunft selbst – bestätige ihm das, Liebling“, bat sie James.

Dieser nahm es Susanna nicht übel, dass sie ihn mit Kosenamen titulierte. Sie tat es ja nicht, um ihn zu verspotten, sondern um ihren Vater zu provozieren. Das hoffte er zumindest – ganz sicher war er sich dessen aber nicht. „Es ist tatsächlich nur vernünftig, wenn ich Sie begleite, Eastonby“, erwiderte James freundlich. „Ihre Tochter und ich würden uns sonst wochenlang Sorgen machen, ob Sie auch heil nach London gekommen sind. Übrigens, meine Liebe, das blaue Kleid steht Ihnen ausgezeichnet. Es betont Ihre hübschen blauen Augen.“

Diese Frau war gefährlich, erkannte James. Sie war zu klug, als dass er sie nur auf Grund seines Verstandes zügeln und lenken konnte. Nein, er würde auf ihre Zuneigung setzen. Ohne Zweifel wird sie mir in zwei Wochen verfallen sein, wenn ich nur die richtigen Worte zur richtigen Zeit sage.

Susanna wünschte sich, ihre Mutter hätte diesen Tag noch erleben können. Sicher hätte sie liebend gern an der Hochzeit ihres einzigen Kindes teilgenommen. Seit sie vor drei Jahren gestorben war, war Susanna so wütend auf sie gewesen, dass sie über diese Wut fast alle glücklichen Tage vergessen hatte, die sie mit ihrer Mutter erlebt hatte.

Erst jetzt, wo Susanna kurz davor stand, sich an einen vollkommen Fremden zu binden, stand ihr das Bild ihrer glücklich lächelnden Mutter vor Augen. Das war merkwürdig. Schließlich waren es die ehelichen Pflichten gewesen, die sie das Leben gekostet hatten. Lady Eastonbys wiederholte Bemühungen, ihrem Mann einen Erben zu gebären, hatten sie kränker und kränker gemacht. Vielleicht hätte Susannas Mutter die mit mehreren Fehlgeburten verbundenen Anstrengungen und den Kummer über die Totgeburten sogar überlebt, hätte sie nicht als Countess of Eastonby so viele Verpflichtungen gehabt, dass sie sich gesundheitlich nicht hatte schonen können.

Das ist eben das Schicksal einer Frau, hatte ihre Mutter stets behauptet, wenn es ihr wieder schlechter ging. Sie hatte Schwangerschaften und Fehlgeburten als unveränderliches Los einer Frau angesehen. Susanna hatte sich bei ihrer Beerdigung geschworen, auf keinen Fall so zu werden wie sie. Sie hatte gehofft, nie heiraten zu müssen. Und jetzt würde sie gleich vor einen Pfarrer treten, um ihr Eheversprechen abzugeben. Derselbe Pfarrer würde nur allzu bald eine Leichenrede an ihrem Grab halten, wenn sie sich nicht vorsah!

Nur ihr eiserner Wille, ihre Arbeit auch in Zukunft fortzuführen, würde ihr die Kraft geben, dies durchzustehen. Wo es sie auch immer hin verschlagen würde, sie würde Frauen dazu ermutigen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und sich von niemandem ihre eigene Meinung verbieten zu lassen. Mit dieser Heirat gebe ich nicht auf, ich gebe auch nicht klein bei, dachte Susanna, denn ich werde meinen neuen gesellschaftlichen Status als Ehefrau zu meinem Vorteil nutzen. Keine Frau sollte einfach darauf warten, was das Schicksal mit sich brachte. Nein, ich werde meine Zukunft selbst in die Hand nehmen, ob verheiratet oder nicht.

„ … zu ehren und zu gehorchen …“

Als die Worte des Pfarrers an Susannas Ohren drangen, zuckte sie zusammen, aber sie beherrschte sich. Von den Umstehenden – ihr Vater, der Schotte, der Priester und ein anderer Fremder, den sie als Trauzeugen brauchten – würde niemand begreifen, weshalb sie sich über diese alten Schwurworte so aufregte. Warum müssen nur Frauen gehorchen, hatte sie sich schon oft gefragt, und die Konventionen dieser von Männern für Männer gemachten Gesellschaft verflucht.

Der Rest der Zeremonie ging an Susanna vorbei, denn sie hatte das Gefühl, sie würde nicht ihr gelten. Stumm und regungslos stand sie da. Sie bekam kaum mit, wie Garrow ihr den obligatorischen Ring an den Finger steckte.

„Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden …“, sprach der Pfarrer.

Ich habe „Ja“ gesagt, jetzt bin ich verheiratet, dachte Susanna überrascht, aber eine Sekunde später spürte sie Verzweiflung und ihren rasenden Herzschlag. Ihre Knie wollten sie kaum mehr tragen. Plötzlich legte der Schotte ihr seine Hände in den Nacken. Was hatte er vor?

Sein Mund kam näher und näher.

Susanna zwinkerte und schloss die Augen, als er seine Lippen auf ihre presste. Es war höchst unschicklich, wie Garrow sie mit seiner Zunge erkundete. Guter Gott, sie konnte ihn schmecken! Dennoch war es kein unangenehmes Gefühl. Als James den Kuss beendete, schaute Susanna ihn zweifelnd an.

Offensichtlich hatte er kein Verlangen danach, sie noch einmal zu küssen, denn er ließ die Hände sinken und machte einen Schritt zurück. „Nun – wir sind verheiratet. Du siehst etwas erhitzt aus.“

„Erhitzt?“ stammelte sie verwirrt.

IhrVater umarmte sie, was ihr eine Antwort für ihren frisch angetrauten Ehemann ersparte. „So, jetzt ist mein kleines Mädchen eine Ehefrau. Ich wünsche dir alles Glück der Welt, mein Liebling. Ich bin mir sicher, du wirst es bekommen.“

Etwas widerstrebend bedankte sich Susanna für die guten Wünsche. Nie würde sie ihrem Vater eingestehen, dass sie sich vorkam, als hätte er sie den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Dem Leitwolf vielmehr. Nein, diese Genugtuung würde sie ihrem Vater nicht geben. Und außerdem, ermahnte sie sich, war die Heirat ihre eigene Entscheidung gewesen. Sie hatte ihre Wahl getroffen.

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