Lustvolle Nächte - Fünf erotische Liebesromane

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DIE PURE VERSUCHUNG

Dass Dan Crenshaw nicht ganz nüchtern ist, als sie ihn in der Strandbar trifft, kann seiner atemberaubend männlichen Ausstrahlung nichts anhaben - und wie erwartet, hat Shannon sofort wieder Schmetterlinge im Bauch. Seit sie denken kann, ist sie in den umwerfend attraktiven Bruder ihrer Freundin Mandy verknallt, auf deren Wunsch hin sie dem Aussteiger bis auf diese Insel gefolgt ist. Ob sie Dan zur Rückkehr in die Heimat bewegen kann, bleibt abzuwarten. Dass sie die Zeit in seiner Nähe aber nutzen wird, steht fest. Und weil das Haus, in das sie Dan später begleitet, eine ordnende Hand gebrauchen kann, ist ein Vorwand, zu bleiben, auch schnell gefunden. Der Abend ist noch nicht vorbei, als Dan sie das erste Mal küsst - und er vor Verlangen ebenso brennt wie sie. Während seine Hände über ihren Rücken gleiten, suchen seine Lippen erneut ihren Mund. Und sein hungriger Kuss verspricht Shannon das aufregendste Abenteuer ihres Lebens …

EIN UNWIDERSTEHLICHES ANGEBOT

Zum Greifen nah ist Shannons größter Traum - hätte sie nur einen reichen Sponsor, um ihr Filmprojekt zu realisieren! Da steht eines Tages Devin vor der Tür, schmerzhaft vertraut ist er ihr. Seit dem tragischen Verlust ihres Babys geht das Paar getrennte Wege: Ihre Liebe scheiterte an dem verlorenen Glück. Jetzt macht Devin ihr ein verführerisches Angebot: Wenn Shannon zu ihm zurückkehrt, will er ihren Film finanzieren. Für ihn kein Problem, denn er schwimmt in Geld. Es ist Erpressung, und Shannon fällt nur ein Mittel ein, um zu verhindern, dass ihr Herz gebrochen wird: zusammen leben - Ja, Sex - Nein ...

MIT JEDEM GLÜHENDEN BLICK

Jake war immer wie ein großer Bruder für Ashley. Bis zu der Nacht, in der sie ihm mit einem heißen Kuss beweisen wollte, dass sie eine Frau ist - und zurückgewiesen wurde. Jahrelang trennten sich ihre Wege. Doch jetzt benötigt Jake plötzlich ihre Hilfe. Und plötzlich ist da diese unwiderstehliche Anziehung ...

VERFÜHRT!

Helden? Nein danke! Skylers Vater, ihre Brüder - alle bei der Feuerwehr, bei der Polizei, allesamt Lebensretter! Aber wie das so ist: Als Skyler beim Versuch, ein Kätzchen zu retten, auf einen Baum klettert und stürzt, fällt sie direkt in die starken Arme eines Feuerwehrmannes. Es ist Liebe auf den ersten Blick, und es wird schnell Lust auf mehr zwischen Jackson Tesson und Skyler, die ihm vorkommt wie ein hinreißender blonder Engel ...

WIE FEUER UND EIS

Zwei wie Feuer und Eis: Bronte liebt das Land, Heath die Stadt. Und auch sonst könnten die rothaarige Schönheit und der attraktive Internet-Unternehmer aus London nicht gegensätzlicher sein. Und jetzt hat ausgerechnet er ihr geliebtes Anwesen in Yorkshire geerbt und will es abreißen lassen! Bronte ist schockiert. Während sie leidenschaftlich gegen Heaths Vorhaben kämpft, ertappt sie sich dabei, dass sie ihn mit der gleichen Leidenschaft begehrt. Aber wenn sie seiner magischen Anziehungskraft nicht widersteht, hat sie schon verloren - oder?


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746933
  • Seitenanzahl 650
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Annette Broadrick, Daphne Clair, Wendy Etherington, Susan Stephens

Lustvolle Nächte - Fünf erotische Liebesromane

IMPRESSUM

Die pure Versuchung erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 1999 by Annette Broadrick
Originaltitel: „Tall, Dark & Texan“
erschienen bei: Silhouette Books, New York
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY
Band 893 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Christian Trautmann

Umschlagsmotive: GettyImages_KatarzynaBialasiewicz, Allusioni

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733746049

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Dan Crenshaw bemerkte sie, kaum dass sie die verrauchte Bar betreten hatte. Er war nicht der Einzige. In ihrem provozierenden trägerlosen, mit tropischen Pflanzen bedruckten Kleid und ihren schwarzen Haaren, die bis über ihre Schultern herabreichten, fiel die Frau wie eine exotische Blume in einem Beet voller Unkraut auf.

Obwohl sie klein war, hatte sie nichts Kindliches an sich. Das Kleid umschmiegte so verführerisch ihre Kurven, dass sie die Blicke sämtlicher Männer auf sich zog.

Ihr Erscheinen in der kleinen Bar verhieß Ärger, und das war das Letzte, was Dan wollte.

Die Glanzzeiten der heruntergekommenen Bar lagen über vierzig Jahre zurück. Sie befand sich in einem alten Gebäude, das eine Aussicht auf die Bucht bot, und dessen verwitterte Fassade und Schild nicht viele Urlauber anlockte, die zum ersten Mal auf die Insel kamen. Dan war sich ziemlich sicher, dass die Frau nicht zu den Ortsansässigen gehörte.

Ein lokaler Radiosender spielte Oldies, deren Lautstärke selbst die lauteste Unterhaltung an der Bar fast übertönte. Für einen Wochentag herrschte ziemlich viel Betrieb. Auf den Barhockern am Ende der Theke saßen die Stammgäste und redeten über die Ereignisse des Tages. Nachdem alle die Frau begutachtet hatten, setzten sie ihre Gespräche fort.

Dans Stammplatz war seit seiner Ankunft auf South Padre Island der hinterste Tisch des Raumes. Er kam gern hierher, weil man ihn in Ruhe ließ. Genauso wollte er es.

Eines Morgens vor ein paar Wochen hatte er plötzlich seinen Glauben an sich selbst verloren und seine Ranch in Hill Country ebenso wie sein Computerunternehmen in Austin hinter sich gelassen. Er hatte sich auf den Weg nach Süden gemacht, und diese Insel war der südlichste Punkt, an den er gelangen konnte, ohne Texas oder die Vereinigten Staaten zu verlassen.

Jetzt saß vor seinem Drink und fragte sich, wieso ein Frau, die so aussah wie sie, einen solchen Ort besuchte. Er rechnete damit, dass sie jeden Moment ihren Irrtum erkannte und wieder ging. Stattdessen schaute sie sich in Ruhe um und schlenderte auf die Tische im hinteren Teil der Bar zu.

Die Theke war von bunter Neonreklame beleuchtet, wohingegen der übrige Raum im Dunkeln lag. Sturmlaternen mit kleinen Kerzen standen auf jedem der acht Tische und bildeten winzige Inseln des Lichts.

Sie setzte sich zwei Tische entfernt von ihm und legte ihre Handtasche neben sich auf den Stuhl. Dan konnte ihr Profil sehr gut erkennen – die hohe Stirn, die aristokratische Nase, die sinnlichen Lippen, das sanft gerundete Kinn und den langen schmalen Hals.

Laramie, der Barkeeper, stolperte in seinem Eifer, zu ihr zu gehen, über seine eigenen Füße. Und dann beugte er sich zu ihr, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.

Dan trank aus und winkte Laramie mit seinem Glas, damit er ihm einen neuen Drink brachte. Als er erneut aufsah, stellte er fest, dass die Frau ihn anblickte. In der verräucherten, schwach beleuchteten Bar schimmerten ihre Augen wie polierte Obsidiane, in deren schwarzen Tiefen sich das Kerzenlicht spiegelte. Dan hob sein leeres Glas und prostete ihr zu.

Sie musterte ihn einen Moment mit unbewegter Miene, ehe sie wieder zur Bar sah, hinter der Laramie gerade mit Gläsern in beiden Händen hervoreilte.

Dan nahm seinen Scotch und nippte vorsichtig daran. Es erstaunte ihn nicht im Geringsten, dass sich die junge Frau brüsk von ihm abwandte. Wahrscheinlich sah er aus wie ein Pirat, der vor Kurzem an den Strand gespült worden war.

Nachdenklich rieb er sich das Kinn, ohne sich erinnern zu können, wann er sich das letzte Mal rasiert oder seine zerzausten dunklen Haare gekämmt hatte. Keiner seiner Angestellten würde ihn jetzt erkennen. Wahrscheinlich würde ihn so nicht einmal seine eigene Schwester erkennen.

Mandy. Verdammt. Sie hatte ihm heute Abend am Telefon reichlich zugesetzt, weil er sich weigerte, nach Hause zu kommen.

Sie verstand einfach nicht, wie verführerisch das Leben auf der Insel sein konnte. Er schlief, wann er wollte, aß, wann er wollte, trank, wann er wollte. Es war das erste Mal seit Jahren, dass er in dem Apartment wohnte, das er vor einigen Jahren billig gekauft hatte, als der mexikanische Markt einen Kurssturz erlebte und die Wirtschaft entlang der Grenze zwischen Südtexas und Mexikos litt.

Sein Apartment befand sich im höchsten Gebäude auf der Insel und bot einen eindrucksvollen Blick auf den Golf von Mexiko und die Bucht, die die Insel von Port Isabel trennte.

Nein, er hatte absolut kein Verlangen, die Insel zu verlassen. Was ihn betraf, so hatte er sein neues Zuhause gefunden. In Gedanken stieß er darauf an und trank einen langen Schluck.

So, ich habe ihn gefunden, dachte Shannon. Und was jetzt?

Sie trank vorsichtig einen Schluck vom Wein des Hauses und nahm sich zusammen. Sie hatte den Verdacht, dass in dieser Bar nur sehr selten Wein bestellt wurde.

Shannon widerstand dem Impuls, am Oberteil ihres Kleides zu zupfen. Sie hatte es an diesem Nachmittag in einer der Inselboutiquen in der Hoffnung gekauft, damit Dans Aufmerksamkeit zu wecken. Leider hatte sie nicht mit den anderen Männern in der Bar gerechnet.

Na schön. Sehen wir den Tatsachen ins Auge, sagte sie sich. Ich bin keine Femme fatale. Eher das Gegenteil. Shannon hatte den Großteil ihres Lebens mit der Nase in Büchern oder vor einem Computerbildschirm verbracht. Ihr war nie daran gelegen gewesen, durch ihre Kleidung das Interesse der Männer zu wecken.

Abgesehen davon hatte ohnehin kein Vertreter des anderen Geschlechts je Notiz von ihr genommen, außer in ihrer Schulzeit, wenn sie Hilfe bei ihren Hausaufgaben brauchten. Und später, wenn … aber darüber wollte sie nicht nachdenken. Sie musste ihre jüngste Erfahrung mit Rick Taylor einfach ihrer mangelnden Kenntnis der männlichen Psyche zuschreiben. Von ihren zwei Brüdern mal abgesehen, hatte sie privat nicht viel mit Männern zu tun gehabt.

Als sie den Plan für diese Unternehmung fasste, hatte sie sich überlegt, dass sie etwas tun musste, damit Dan sie überhaupt bemerkte. Daher das neue Kleid.

Gut, er sah sie also an. Sein Blick hatte ihren Puls beschleunigt. Aber er hatte sie nicht erkannt.

Das hatte sie auch nicht erwartet. Schließlich war das der Sinn dieser Übung. Wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon schlüpft, hatte Shannon beschlossen, für sich eine ganz neue Identität zu erschaffen.

Vielleicht war es keine glückliche erste Wahl gewesen, in jenen paar Monaten mit Rick auszugehen. Aber nach dem Gespräch mit Mandy McClain letzte Woche war sie entschlossen, sich von ihrer Enttäuschung nicht wieder in ihren einsamen Lebensstil zurücktreiben zu lassen. Sie wollte ihrem Herzen folgen. Endlich wollte sie ihre Jugendträume verwirklichen.

Dan Crenshaw war seit ihrem dreizehnten Lebensjahr der Liebhaber ihrer Träume gewesen. Damals war er im Abschlussjahr der Highschool gewesen. Ein Footballstar. Beliebt, klug und attraktiv.

Sie hingegen hatte noch mit dem zu kämpfen, was ihre Mutter liebevoll Babyspeck nannte. Babyspeck? Mit dreizehn? Was auch immer es war, sie fühlte sich dick und schwerfällig zwischen ihren Freundinnen. Die dicken Brillengläser hatten es nicht gerade besser gemacht.

Natürlich sah sie seit Jahren nicht mehr so aus. Schon als sie das College besuchte, war sie schlank und trug Kontaktlinsen. Dennoch hinterließen diese frühen Jahre eine Narbe in der Psyche eines Menschen. Es gab Zeiten, da fühlte sie sich übergewichtig und hässlich, ganz gleich, was sie im Spiegel sah.

Das Kleid sollte ihr Selbstbewusstsein stärken. Stattdessen machte der freizügige Schnitt sie nervös.

Sie hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, und drehte sich langsam um.

Dan stand auf! Oh nein! Nicht jetzt! Sie hatte doch noch gar nichts unternommen. Erst jetzt registrierte sie, dass er nicht zur Tür ging, sondern zur Bar schlenderte und mit dem Barkeeper sprach, der in ihre Richtung sah und lachte. Danach ging Dan den Gang hinunter zu den Toiletten.

Shannon atmete erleichtert auf. Sie hatte also immer noch die Gelegenheit, ihn anzusprechen.

Was ihr nicht leicht fallen würde. Sie hatte keine Ahnung, wie er vor seiner Ankunft hier ausgesehen hatte. Durch den Aufenthalt auf der Insel hatte seine Haut jedenfalls eine sehr attraktive Bräune angenommen. Er trug ein ärmelloses T-Shirt und eine abgeschnittene Jeans, die seinen festen Po und seine muskulösen Beine zur Geltung brachte. Seine Füße steckten in Gummisandalen.

Nicht gerade die übliche Kleidung für den Chef eines Unternehmens.

Mandy hatte recht. Es musste etwas unternommen werden. Und Shannon hatte nicht vor, bei ihrer neuesten Mission zu versagen – sie würde Dan Crenshaw vor sich selbst retten.

Als Dan von den Toiletten zurückkehrte, hatte Laramie ihm an der Bar einen neuen Drink bereitgestellt. Dan trug das Glas zwischen Daumen und Mittelfinger zu seinem Tisch.

Die Frau nippte noch immer an ihrem ersten Drink. Wein – das passte.

Er setzte sich und lehnte sich, den Stuhl auf zwei Beinen balancierend, an die Wand. Heute Abend war er in besonders schlechter Stimmung. Warum nur hatte er den verdammten Telefonhörer abgenommen?

„Was ist?“, hatte er gebrüllt, nachdem das Telefon schon den ganzen Nachmittag immer wieder geklingelt hatte.

„Meldet man sich etwa so am Telefon?“, erwiderte Mandy.

„Was willst du?“

„Du brauchst nicht so grob zu sein.“

„Und du musst nicht jeden verdammten Tag anrufen, um sicherzugehen, dass ich mich noch nicht vom Balkon gestürzt habe.“

Es folgte Stille in der Leitung, ehe Mandy schließlich sagte: „Das ist nicht besonders komisch, Dan. Und zufällig habe ich dich seit drei Tagen nicht mehr angerufen.“

„Tatsächlich? Dann hast du ja einen neuen Rekord aufgestellt. Ich schicke dir eine Medaille.“

Diesmal dauerte die Stille noch länger an. Viel länger. Endlich hörte er ein Seufzen. „Wir müssen uns unterhalten“, sagte Mandy.

„Das tun wir gerade.“

„Über DSC.“

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht über die Firma reden will.“

„Oh ja, das hast du mir deutlich genug zu verstehen gegeben, großer Bruder. Es fiel dir nicht schwer, einfach zu gehen und zu erklären, dass du Schluss machst. Aber die Welt dreht sich weiter, auch wenn du beschlossen hast, nicht mehr mitzuspielen. Du hast immer noch Verträge einzuhalten und Produktionsquoten zu erfüllen. Wenn ihr beide fort seid, du und James, gibt es niemanden mehr, der die Firma leiten kann. Du hast Rafe als Chef des Sicherheitsdienstes eingestellt. Er hat überhaupt keine Ahnung, wie er dein Unternehmen für dich leiten soll.“

„Darum hat ihn auch niemand gebeten.“

„Aber irgendjemand muss es tun! Eine nationale Arbeitsvermittlung hat sich gemeldet. Sie sagten, du hättest Kontakt mit ihnen aufgenommen, und jetzt wollen sie wegen der Bewerber Termine mit dir vereinbaren. Niemand weiß, was wir ihnen sagen sollen. Rafe ist für Einstellungsgespräche nicht qualifiziert. Sehen wir mal von den möglichen Umsatzeinbußen durch deine Abwesenheit ab, brauchen wir immer noch jemanden, der dafür sorgt, dass die bereits unterschriebenen Verträge eingehalten werden. Geschieht das nämlich nicht, wirst du mit Klagen überzogen werden. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass es dir Spaß machen würde, wieder vor Gericht zu stehen.“

„Das ist unfair, Mandy.“

„Du findest momentan alles unfair. Aber ich habe es allmählich satt, dich mit Samthandschuhen anzufassen. Rafe würde dir das niemals sagen, aber jemand muss es tun. Du musst aufhören, nur über deine Schmerzen, deinen Verlust und deine Qual nachzudenken und dir zur Abwechslung mal Gedanken über andere machen. Hast du eine Ahnung, wie viele Stunden Rafe in das Unternehmen investiert, um dich zu retten? Ich sehe ihn kaum noch. Er kommt selten vor elf nach Hause und verschwindet um sieben am nächsten Morgen schon wieder. Das ist doch keine Art zu leben. Ich weiß, dass James dich verletzt hat …“

„Verletzt? Verdammt, Mandy, hier geht es nicht um meine verletzten Gefühle. Er hat alles versucht, um mir seine Taten in die Schuhe zu schieben! Wenn Rafe nicht den Beweis für seine Beteiligung gefunden hätte, dann säße ich jetzt im Gefängnis, und nicht James.“

„Genau das sage ich ja! James war dein Freund, und er hat dich verraten. Er hat dich viel Geld gekostet und beinah die Firma ruiniert. Schön und gut. Aber er war nicht dein einziger Freund. Rafe war immer für dich da, und wir anderen haben unser Möglichstes getan, damit dir die Sache nicht so zusetzt. Du kannst nicht einfach abtauchen und dich um nichts mehr kümmern. Die Dinge erledigen sich nun einmal nicht von selbst.“

„Wieso ruft Rafe mich nicht an und sagt mir das alles?“

„Wann sollte er denn dafür Zeit haben?“

Darauf fiel Dan keine schlagfertige Entgegnung mehr ein. Er wusste, wie viele Stunden Arbeit die Firma von einem forderte. Er hatte jahrelang seine ganze Zeit investiert, unterstützt von seinem alten Studienfreund und Partner James Williams. Der sich als mieser Dieb entpuppte …

Dan wollte sich nicht daran erinnern. „Ich werde mit Rafe reden“, murmelte er schließlich.

„Wann?“

„Bald.“

„Wie bald?“

„Hör auf, mich zu drängen, Mandy. Ich sagte, ich würde mit ihm reden. Und jetzt gib Ruhe.“

„Du kannst manchmal ein solcher Idiot sein, Dan.“

„Ich liebe dich auch. Gib Angie einen dicken Kuss von ihrem Onkel Dan.“

„Gib ihn ihr selbst!“, fuhr sie ihn an und knallte den Hörer auf die Gabel.

Er versuchte, das Gespräch mit Mandy zu vergessen und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen um ihn herum. Er konnte sich nicht erinnern, dass seine Schwester jemals so wütend auf ihn gewesen war. Er hob seinen Drink an die Lippen, um die Erinnerung fortzuspülen.

Das Problem war nur, dass Mandy recht hatte. Er war ein Idiot gewesen. Wieder einmal war Rafe für ihn eingesprungen. Er fragte sich, ob sein Freund – und jetzt auch Schwager – es nicht irgendwann satthaben würde, ihn zu retten.

Das Geräusch eines Stuhls, der auf dem Zementfußboden zurückgeschoben wurde, weckte seine Aufmerksamkeit. Dan sah von seinem Drink auf. Die Frau in dem sexy Sarongkleid stand vor seinem Tisch und schaute auf ihn herunter. Als sein Blick endlich ihr Gesicht erreichte, schenkte sie ihm ein verführerisches Lächeln.

„Du solltest hier nicht ganz allein sitzen“, sagte sie mit sinnlicher Stimme. Ohne auf eine Erwiderung zu warten, setzte sie sich ihm gegenüber und trank langsam einen Schluck Wein, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ.

Er stieß sich von der Wand ab, sodass sein Stuhl wieder auf allen vier Füßen stand. Er nahm einen schwachen blumigen Duft wahr, und dachte, dass der glatt von den Blumen auf ihrem engen Kleid kommen konnte. Dan blinzelte und fragte sich, ob er vielleicht eingeschlafen war, ohne es zu merken.

Aus der Nähe erkannte er, dass ihre Haut fast wie die einer zarten Porzellanfigur schimmerte. Na schön, offenbar träumte er tatsächlich. Zugegeben, er war schon eine ganze Weile nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Möglicherweise war der Alkohol schuld daran, dass er glaubte, seine Traumfrau stehe live und in Farbe vor ihm.

Er legte die Hände auf den Tisch, umfasste sein Glas und lächelte ihr zu.

Für einen kurzen Moment wirkte sie erschrocken. Dann trank sie erneut einen Schluck aus ihrem Weinglas und fuhr sich mit der Zunge nervös über die Unterlippe, eine Geste, die seine Aufmerksamkeit ganz auf ihre verlockenden Lippen lenkte.

„Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, sagte er schließlich und hätte über diesen flachen Spruch beinah laut aufgestöhnt. Ja, er war eindeutig eingerostet, was das Flirten anging.

Sie beugte sich vor und legte ihre Hand an seine Wange. Er zuckte zusammen und wich abrupt zurück.

„Sind dir die Rasierklingen ausgegangen?“, erkundigte sie sich.

Er deutete zur Bar. „Die Rasierten finden Sie dort drüben, wenn Ihnen die lieber sind.“

Ihre Stimme klang jetzt noch sinnlicher. „Wieso sollten die mir lieber sein, Danny, wo ich doch deinetwegen den ganzen weiten Weg gekommen bin.“

Ja, er hatte entschieden zu viel getrunken. Das war die einzige Erklärung für das offenkundige Interesse dieser schönen Fremden an ihm. Die ganze Szene musste Einbildung sein. Aber woher kannte diese Frau seinen Namen?

Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen und fragte: „Wer zur Hölle sind Sie?“

Sie lehnte sich mit einem Lächeln zurück, das sogar Heilige in Versuchung geführt hätte. „Aber Danny, erkennst du mich denn nicht? Ich bin dein schlimmster Albtraum.“

„Oh, das glaube ich kaum“, erwiderte Dan und registrierte vage die Reaktion seines Körpers auf sie.

Die Frau betrachtete ihn eine Weile schweigend. Dann sagte sie, als würde sie mit sich selbst sprechen: „Ich denke, wir sollten dich nach Hause bringen.“ Sie stand auf und nahm seine Hand. „Gehen wir.“

Die Unterhaltungen an der Bar verstummten. Dan bemerkte, dass die meisten Gäste in seine Richtung schauten. Wieso auch nicht? Diese umwerfend attraktive Frau bat ihn, sie mit nach Hause zu nehmen. Er war noch immer nicht ganz sicher, wie er zu der Ehre kam, aber er würde auf keinen Fall ablehnen.

Langsam stand er auf und lächelte schief. „Ganz wie Sie wünschen, Süße“, sagte er.

„Mein Name ist Shannon. Kannst du dich daran erinnern?“ Sie legte ihm den Arm um die Taille und bugsierte ihn zur Tür. Er lachte. Irgendetwas musste er wohl richtig machen.

Er stieß die Tür auf und trat hinaus. Eine angenehme Brise strich vom Golf her über die Insel. Dan atmete tief ein und genoss die frische Luft nach der schwülen Hitze in der Bar.

Am Himmel leuchtete ein Halbmond und spendete genug Licht, um die Umgebung zu erkennen.

„Eine großartige Jahreszeit für einen Aufenthalt auf der Insel, nicht wahr?“, meinte er beschwingt.

Shannon trat zur Seite und beobachtete ihn, als würde sie damit rechnen, dass er hinfiel.

Er nahm ihre Hand. „Ich hatte keine Ahnung, dass der Oktober die beste Zeit auf der Insel sein würde. Nur wenige Touristen sind hier, das Wetter ist herrlich. Was kann man mehr verlangen?“

„Es ist November“, korrigierte sie ihn, führte ihn zu einem kleinen Sportwagen und öffnete die Beifahrertür. „Steig ein. Ich fahre dich nach Hause.“

Er gehorchte. „Gute Idee. Es ist ein langer Weg zurück. Normalerweise gehe ich gern zu Fuß, aber Sie scheinen es heute Abend ja eilig zu haben.“ Er lehnte sich in den Sitz zurück und schloss die Augen.

Shannon ging um den Wagen und stieg auf der Fahrerseite ein. Sie sah Dan an und schüttelte den Kopf. Oh Dan, was machst du nur mit dir? dachte sie. Jetzt, wo sie hier war, verstand sie Mandys Sorge.

Zum Glück konnte sie ein wenig Urlaub gebrauchen. Dan hatte recht, was die Jahreszeit betraf. Die jahreszeitlich bedingten Regenfälle hatten noch nicht begonnen, und für die Wintertouristen war es auch noch zu früh.

Mandy hatte ihr erklärt, wo sich das Apartment befand. Sie hielt am Tor. „Wie lautet der Sicherheitscode?“ Sie wartete. „Dan?“

„Hm?“

„Der Sicherheitscode.“

„Oh.“ Er ratterte die Zahlen herunter. Sie hoffte, dass es die richtigen waren. Doch das Tor schwang auf, sobald sie die Zahlen eingetippt hatte. So weit, so gut. Sie fuhr auf den Parkplatz und wandte sich erneut an Dan.

„Okay, großer Junge. Jetzt musst du mir helfen.“

Dan öffnete die Augen, setzte sich auf und schaute sich um. „Ich schlafe dauernd ein. Oder ich wache dauernd auf.“ Er sah sie an und grinste breit. „Oh ja. Sie gehören eindeutig zu meinem Traum.“

Shannon versuchte nicht die Augen zu verdrehen. Sie stieg aus und ging auf seine Seite. Es gelang ihm, allein auszusteigen. Er nahm ihre Hand und zog sie förmlich zum Eingang des Gebäudes. Ein Wachmann erkannte ihn und öffnete ihm die Tür.

„Guten Abend, Mr. Crenshaw“, begrüßte ihn der Mann.

„Ebenso“, erwiderte Dan. Er marschierte zu den Fahrstühlen und drückte den Knopf. Die Tür ging sofort auf. Mit der ihm eigenen Höflichkeit bedeutete er Shannon einzusteigen und folgte ihr.

„Welches Stockwerk?“, fragte sie.

„Das oberste.“

„Hm. Das muss eine tolle Aussicht sein.“

„Ja, nicht schlecht.“

Sie schwiegen, bis sich die Türen wieder öffneten. Dan ging voran und kramte in den Taschen seiner kurzen Jeans nach dem Schlüssel. Nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte, vollführte er eine einladende Geste mit der Hand. „Willkommen in meiner bescheidenen Bleibe.“

Bescheiden war diese Bleibe keineswegs zu nennen. Sie funkelte von Chrom, Glas und Spiegeln. Ein großer Berberteppich erstreckte sich über den gesamten Fußboden. Shannon sah einen langen Balkon, der sich um das ganze Apartment zog.

„Was möchten Sie trinken?“, wollte Dan wissen.

Sie drehte sich um. Dann stand hinter einer Hausbar und hielt eine Flasche hoch. Sie lächelte und war trotz der Umstände amüsiert. „Nein danke. Vielleicht später.“

Er schenkte ihr erneut ein charmantes Lächeln, von dem sie weiche Knie bekam. „Möchten Sie auch die anderen Räume sehen?“

Sie faltete die Hände in Höhe ihrer Taille und nickte. „Gern.“

Er führte sie rasch durch das Esszimmer und die luxuriös ausgestattete Küche. Shannon warf einen kurzen Blick in den Kühlschrank und die Speisekammer. Beide waren leer.

Es gab drei Schlafzimmer, jedes mit einem eigenen Bad. Nun, das wird die Dinge ein wenig leichter machen, dachte sie und folgte ihm ins Hauptschlafzimmer.

Die Aussicht von dort war spektakulär. Er konnte im Bett liegen und den Mond beobachten, wie er am Himmel seine Bahn zog.

Dan schloss den Lamellenvorhang und drehte sich zu ihr um. „Wie sagten Sie, ist Ihr Name?“

„Shannon.“

„Hübscher Name.“

„Danke.“

„Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Das war nicht schwierig, da ich dich schon fast mein ganzes Leben lang kenne.“ Sie ging zu dem zerwühlten Bett und strich die Decke glatt, bevor sie sie aufschlug. „Wieso legst du dich nicht ein wenig hin? Wir unterhalten uns morgen weiter.“

Er ging schwerfällig auf sie zu und sagte: „Ich glaube nicht, dass wir beide viel Schlaf bekommen werden, oder?“ Er umarmte sie und presste seinen Mund auf ihren.

Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie versuchte, ihn wegzuschieben. Der Kuss veränderte sich und ging in ein zärtliches Erkunden ihres Mundes über, und Shannon entspannte sich in seinen Armen.

Schließlich war es Dan. War dies nicht seit Jahren eine ihrer Fantasien? Aber das brauchte er nicht zu wissen. Und sie würde nichts tun, was ihn glauben ließ, dass er sie erfolgreich verführt hatte.

Sie entwand sich seiner Umarmung und wich zurück. Sie versuchte ihre Fassung wiederzugewinnen und zu Atem zu kommen. Er sollte nicht wissen, wie wenig Erfahrung sie in solchen Dingen hatte.

Durch ihre plötzliche Flucht verlor er das Gleichgewicht. Zum Glück fiel er vorwärts und landete mit dem Gesicht auf dem Bett.

Er rührte sich nicht mehr.

Vorsichtig näherte sie sich ihm. Er lag ausgestreckt auf dem Bett, den Kopf in den Kissen. Ein Fuß ragte über die Bettkante hinaus. Er hatte seine Gummisandalen verloren. Sie betrachtete ihn einen Moment und beschloss dann, ihn dort liegen zu lassen. Sie breitete eine leichte Decke über ihm aus, verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

Im Wohnzimmer entdeckte sie das Telefon. Jetzt war eine gute Gelegenheit, mit Mandy Kontakt aufzunehmen. Sie nahm das schnurlose Telefon mit auf den Balkon, setzte sich in einen der bequemen Sessel und wählte Mandys Nummer.

Als Mandy sich meldete, sagte sie: „Hallo, hier ist Shannon. Mission erfüllt. Ich habe Dan heute Abend gefunden.“

Mandy seufzte erleichtert. „Dem Himmel sei Dank. Wie geht es ihm?“

Shannon grinste. „Er scheint sich den Einheimischen angepasst zu haben. Er mag zwar nicht bis in die Südsee gelangt sein, aber er sieht aus wie ein typischer Strandräuber.“

„Ist er dünner geworden?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Immerhin habe ich ihn seit einigen Jahren nicht gesehen. Ich finde, er sieht ganz gesund aus.“

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Es ist mir heute im Lauf des Tages gelungen, ihn zu erreichen. Aber wir hatten einen furchtbaren Streit.“

„Mir hat er keine Schwierigkeiten gemacht. Ich habe ihn in einer Bar aufgespürt und vorgeschlagen, zu ihm zu fahren.“

„Gut. Hat er dich wieder erkannt?“

„Soll das ein Witz sein? Er hat nicht die leiseste Ahnung, wer ich bin oder weshalb ich hier bin. Ich fürchte, morgen früh wird er nicht mehr so glücklich sein, mich zu sehen.“

Mandy seufzte erneut. „Ich weiß wirklich nicht, was ich noch machen soll. Rafe ist auch keine Hilfe. Er sagt, jeder im Unternehmen hat Verständnis für die Situation. Zum Glück gibt es gute Abteilungsleiter, die selbstständig arbeiten können.“

„Ich verstehe deine Besorgnis. Schließlich habe ich selbst zwei große Brüder. Wenn einer von ihnen so den Halt verlieren würde, wäre ich auch krank vor Sorge.“

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir dafür bin, dass du dich für mich um ihn kümmerst.“

Shannon lachte. „Ich fürchte, der Job wird morgen früh erst richtig schwierig. Aber ich werde schon mit ihm fertig. Wie ich schon sagte, ich bin es gewohnt, mit meinen Brüdern zurechtzukommen.“

„Ich hoffe, du kommst auch dazu, die Insel zu genießen.“

„Das habe ich vor. Schließlich war ich seit fünf Jahren nicht mehr hier. Ich werde mich ernsthaft dem Sonnenbaden widmen.“

„Ich bin sicher, dass Dan dir danken wird für das, was du für ihn getan hast, sobald er sich wieder gefangen hat.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Aber ich hätte noch immer gern eine der freien Stellen in seiner Firma. Wenn er also wirklich so dankbar sein sollte, kann er mich einstellen.“

„Aha“, sagte Mandy lachend, „da kommen also deine wahren Motive zum Vorschein.“

„Absolut. Allerdings wird er mich nach diesem kleinen Ausflug vermutlich nicht mehr ansehen wollen. Aber das macht auch nichts. Als ich anbot, dir zu helfen, war ich ohne Job. Er kann mich nicht feuern, da er mich nicht eingestellt hat.“

„Er wird wütend sein, wenn er herausfindet, dass ich dich zu ihm geschickt habe.“

„Von mir wird er es nicht erfahren. Wir bleiben in Kontakt. Pass auf dich auf. Ich melde mich bald wieder bei dir.“

Shannon beendete das Gespräch, suchte den Apartmentschlüssel und ging hinunter zu ihrem Wagen, um ihr Gepäck aus dem Kofferraum zu holen. Der Wachmann half ihr dabei, die Sachen in den Fahrstuhl zu tragen.

Auf der Fahrt nach oben fragte sie sich, was der Mann wohl dachte, da Dan nicht mit hinuntergekommen war, um ihr zu helfen. Vielleicht sollte sie sich ihm als Dans Schwester vorstellen. Nicht dass es eine Rolle spielte, was er dachte. Es sei denn, Dan wollte seinen Ruf wahren.

Zurück im Apartment entschied sie sich für eines der Gästezimmer und packte ihre Sachen aus. Anschließend duschte sie und machte sich fertig zur Nacht. Morgen würde sie als Erstes in den Supermarkt gehen. Nun, vielleicht nicht als Erstes. Ihre Lieblingsbeschäftigung bei ihren Aufenthalten auf der Insel war es, im Morgengrauen aufzustehen und zur Mole zu gehen, um den Sonnenaufgang zu beobachten.

So früh würde Dan sich vermutlich noch nicht rühren. Danach würde sie anfangen, ihm seinen Aufenthalt auf der Insel zur Hölle zu machen.

Wofür hatte man schließlich Freunde?

2. KAPITEL

Ja, das habe ich an der Insel vermisst, dachte Shannon am nächsten Morgen, als sie am Strand entlangschlenderte. Ein paar Frühaufsteher waren ebenfalls unterwegs – manche joggten, andere suchten nach Muscheln. Sie atmete tief ein und genoss den frischen Geruch des Meeres.

Shannon hatte in den letzten drei Jahren in St. Louis gearbeitet und den Winterurlaub auf den Skipisten Colorados verbracht. Die sinnliche Erfahrung, barfuß über feuchten, festen Sandstrand zu gehen, hatte ihr gefehlt.

Bei ihrem Einkaufsbummel gestern hatte sie sich einen Bikini mit einem dazu passenden T-Shirt gegönnt. Bevor sie an diesem Morgen das Apartment verließ, hatte sie sich die Zeit genommen, ihre Haare zu einem schlichten Zopf zu flechten. Beim Blick in den Spiegel hatte sie festgestellt, dass sie zu blass war. Sobald sie ihre Aufgaben für heute erledigt hatte, würde sie sich ausgiebig sonnen.

Bis dahin begnügte sie sich damit, besonders schöne Muscheln zu suchen. Als sie die Mole erreichte, hatte sie eine hübsche Sammlung zusammen.

Sie kletterte auf einen der Granitblöcke, aus denen die Mole bestand, damit sie die Fahrrinne zum Hafen überblicken konnte. Pelikane und Silberreiher fischten im Wasser.

Sie entdeckte auch Männer, die ihre Angelruten zu beiden Seiten der Mole ausgeworfen hatten. Shannon ging das kurze Stück hinaus und fand einen Platz, wo sie sitzen und den Sonnenaufgang beobachten konnte. Sie genoss den Anblick zutiefst.

Doch irgendwann wurde es Zeit für sie, den Tag zu beginnen. Widerstrebend und mit dem Vorsatz, zum Sonnenuntergang wieder hier zu sein, stand sie auf und konzentrierte sich auf den Grund ihres Besuches auf der Insel – Dan Crenshaw.

Als sie das Apartment wieder betrat, lauschte sie. Doch in seinem Zimmer war alles ruhig. Vorsichtig öffnete sie die Tür, spähte in die Dunkelheit hinein und sah, dass Dan noch schlief.

Gut. Eines nach dem anderen. Shannon schrieb rasch eine Einkaufsliste und ging zum Supermarkt. Nachdem sie das Nötigste eingekauft hatte, kehrte sie zum Apartment zurück. Dan rührte sich noch immer nicht.

Shannon kochte Kaffee, briet Speck und kochte Kräutertee, da er heute Morgen vermutlich Kopfschmerzen haben würde.

Die Sonne stand inzwischen in voller Pracht am Himmel und durchflutete das riesige Wohnzimmer mit Licht. Shannon klopfte leise an Dans Tür. Da er nicht antwortete, trat sie in sein Zimmer.

Er lag auf dem Rücken, die Arme von sich gestreckt. Er sah sehr gut aus, zumindest soweit sie es in dem Dämmerlicht erkennen konnte.

Sie stellte den Becher mit dem dampfenden Tee neben das Bett und ging zum Fenster.

„Was zur Hölle … Machen Sie die Vorhänge zu!“, fuhr Dan sie an. „Was soll das?“

Sie drehte sich um. Dan saß im Bett, die Ellbogen auf die angewinkelten Knie gestützt, die Hände vor dem Gesicht.

„Guten Morgen!“, rief sie gut gelaunt. „Ich habe dir etwas zu trinken gebracht.“

Beim Klang ihrer Stimme hob er abrupt den Kopf. „Wer … was tun Sie hier?“

Sie verschränkte die Hände hinter dem Rücken und erwiderte grinsend: „Na ja, du hast mich eingeladen zu bleiben. Erinnerst du dich denn nicht mehr?“

Statt zu antworten, stöhnte er nur.

Sie nahm die Tasse. „Hier. Das müsste helfen.“

Mit zitternder Hand griff er danach. Er roch daran und verzog das Gesicht. „Was ist das?“

„Mein Spezialrezept gegen feuchtfröhliche Nächte.“

„Ich verbringe keine feuchtfröhlichen Nächte“, entgegnete er.

„Freut mich zu hören.“ Sie wandte sich ab. „Das Frühstück ist fast fertig.“

„Gütiger Himmel, das Zeug schmeckt ja entsetzlich! Wollen Sie mich etwa vergiften?“

Sie blieb an der Tür stehen und schaute über die Schulter. „Das wäre eine Idee. Wenn du so zimperlich bist, dann trink es nicht.“ Sanft schloss sie die Tür hinter sich.

Dan fühlte sich wie in einem Albtraum. Er konnte sich an den gestrigen Abend in der Bar nicht mehr genau erinnern. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, wie er zurück in sein Apartment gekommen war. Und schon gar nicht konnte er sich an die Frau erinnern, die gerade sein Schlafzimmer verlassen hatte.

Sie trug gelbe Shorts, die ihre wohlgeformten Beine sehen ließ, ein gelbes Trägertop mit tiefem Ausschnitt und lange bunte Papageienohrringe. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem komplizierten Zopf zusammengebunden, und ihre dunklen Augen funkelten amüsiert.

Was zum Teufel ging hier vor?

Er zwang sich, den bitteren Kräutertee zu trinken. Nicht, dass er das wollte oder brauchte. Sicher, er hatte fürchterliche Kopfschmerzen, aber das musste daran liegen, dass er gestern zu viel Sonne abbekommen hatte.

Er ertastete sich seinen Weg ins Badezimmer und starrte in den Spiegel. Wieso hatte er letzte Nacht in seiner Kleidung geschlafen?

Wenigstens garantierte das eines – er hatte nicht mit der verführerischen Fremden geschlafen, die sich in seinem Apartment offenbar schon wie zu Hause fühlte. Wieso konnte er sich nicht an sie erinnern?

Bei diesem Gedanken sah er sich plötzlich in der Bar sitzen und eine exotisch aussehende Frau in einem langen roten Sarongkleid hereinkommen. Aber das war alles, was ihm wieder einfiel. Vielleicht hatte er doch ein wenig zu viel getrunken. Er wusste auch nicht mehr, ob er seine Rechnung bezahlt hatte. Allerdings war das kein Problem, da er sie heute Abend bezahlen konnte, wenn er dort war. Die Bar war in letzter Zeit sein Stammlokal geworden.

Er zog sich aus und ging unter die Dusche. Er brauchte etwas, was ihn in Gang brachte. Irgendwie würde er der unbekannten Frau erklären müssen, dass sie nicht bei ihm bleiben konnte.

Er hatte nie viel Zeit für Beziehungen gehabt, besonders in den letzten Jahren. Eine gelöste Verlobung war ihm eine wertvolle Lektion gewesen: Die meisten Frauen wollten mehr Zeit und Aufmerksamkeit von ihm, als er zur Verfügung hatte. Er schloss die Augen und hielt das Gesicht unter den Wasserstrahl.

Seit Langem schon hatte er nicht mehr an Sharon gedacht. Als sie die Hochzeit wenige Wochen vor dem festgesetzten Termin absagte, war er sehr erschüttert gewesen. Erst Monate später erkannte er, dass er auf diese plötzliche Entscheidung einfach nicht vorbereitet gewesen war. Sharon hatte nie auch nur angedeutet, dass es ein Problem gab. Dabei hatte er die vielen Überstunden nur wegen der dreiwöchigen Hochzeitsreise gemacht, die sie geplant hatten.

Damals war ihm klar geworden, wie wenig er die Frauen verstand. Beruflich kam er hervorragend mit ihnen zurecht, aber privat hatte er mit ihnen Schwierigkeiten, weil er sie einfach nicht verstand.

Was war letzte Nacht nur mit ihm geschehen, dass er einen Korb riskiert hatte, indem er diese Frau zu sich nach Hause einlud? Und wieso hatte sie Ja gesagt?

Als er fertig war mit duschen, war er entschlossen, ein paar Antworten zu bekommen. Zuerst musste er sich jedoch rasieren. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. Momentan konnte er als Käpt’n Blackbeard durchgehen. Das war nicht ganz der Stil, den er sich vorstellte, nicht einmal hier auf der Insel.

Das Rasieren dauerte länger als gewöhnlich, und Dan fragte sich, wann er sich zuletzt rasiert hatte.

Ihm knurrte der Magen. Schon lange war er nicht mehr so hungrig gewesen. Vielleicht hatte es etwas mit dem schrecklichen Kräutertee zu tun.

Er kehrte ins Schlafzimmer zurück und zog sich einen Slip und eine verwaschene Jeans an. Dann nahm er eins seiner letzten sauberen Sweatshirts aus der Schublade und beschloss, heute ein paar Sachen zu waschen.

Als er die Schlafzimmertür öffnete, roch er den himmlischen Duft von Kaffee und Speck. Er ging in die Küche und sah, dass der kleine Tisch für zwei gedeckt war.

„Gut siehst du aus“, begrüßte ihn die Frau.

Dan rieb sich unsicher das Kinn. „Danke“, murmelte er und betrachtete den Tisch. „Das ist wirklich nett von Ihnen, aber so viel Mühe brauchten Sie sich nicht zu machen.“

„Es war keine Mühe.“ Sie goss ihm ein Glas Orangensaft ein und reichte es ihm. „Wie möchtest du deinen Kaffee?“

„Schwarz.“ Dan war nach wie vor verwirrt. Er hätte schwören können, dass er diese Frau nicht kannte. Trotzdem duzte sie ihn weiterhin und benahm sich, als würden sie seit Jahren zusammenleben.

Er setzte sich, und sie stellte ihm einen Teller hin. Sein Magen vollführte einen kleinen Salto, und Dan schloss die Augen. „Ich bin nicht so sicher …“, begann er, doch sie unterbrach ihn.

„Iss. Das ist die beste Medizin gegen deine Beschwerden. Du wirst erstaunt sein, wie viel besser du dich fühlst, wenn du etwas Vernünftiges im Magen hast.“

Er rieb sich die Stirn, hinter der es noch immer pochte. Einem Streit war er jetzt auf keinen Fall gewachsen. Er hob seine Kaffeetasse und trank einen Schluck.

Ja, das half.

Er zwang sich, der Frau, die ihm gegenübersaß, in die Augen zu sehen. Ihre Größe, Form und Farbe faszinierte ihn. Sie waren groß, dunkel und leicht mandelförmig, was der Fremden ein exotisches Aussehen verlieh. Er schüttelte rasch den Kopf. Was spielte es für eine Rolle, wie ihre Augen aussahen?

„Meine Erinnerung an letzte Nacht ist ein wenig verschwommen“, gestand er schließlich.

Auf ihrem Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln. „Oh, es gibt absolut nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Dan. Du warst wundervoll! Das werde ich nie vergessen.“

Er lehnte sich zurück und sah sie verwirrt an. „Wundervoll?“

Sie nickte begeistert und begann zu essen.

„Was genau habe ich denn getan, das so wundervoll war?“

Sie kaute zu Ende und trank einen Schluck Saft. „Na ja“, meinte sie zögernd. „Ich könnte gar nicht benennen, was es im Einzelnen war.“

„Versuchen Sie es“, drängte er sie und beschloss, den Toast und den Speck zu probieren. Nach dem ersten Bissen stellte er erleichtert fest, dass es nicht nur sehr gut schmeckte, sondern auch in seinem Magen bleiben würde. Er schöpfte neuen Mut.

„Nun, du hast mich einfach umgehauen. Ich konnte dir nicht widerstehen. Ich …“ Sie hielt inne. „Du glaubst mir nicht, oder?“

„Kein Wort“, bestätigte er und aß ein Stück Ei mit Speck.

„Aha.“

„Also, was soll das Ganze? Wer sind Sie, und was machen Sie hier?“

Sie betrachtete ihn eine Weile. Dann seufzte sie und sagte: „Du erinnerst dich wirklich nicht an mich, nicht wahr?“

Er aß den letzten Bissen Ei und nahm sich noch eine Scheibe Toast. „Ich erinnere mich gut genug, um zu wissen, dass ich weder unwiderstehlich noch umwerfend gewesen bin. Ich hatte Mühe genug, mich nicht selbst umzuwerfen.“

Sie lachte, und es überraschte Dan. Sie hatte ein fröhliches, heiseres Lachen, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er richtete sich auf und griff nach der nächsten Toastscheibe.

Shannon stand auf und schenkte ihnen beiden Kaffee nach. Als sie wieder saß, stützte sie das Kinn in die Hände und fragte: „Kannst du dich an Buddy Doyle erinnern?“

Er starrte sie an und überlegte zum ersten Mal, ob sie möglicherweise eine Geisteskranke war. Wenn ja, musste er sehr behutsam mit ihr umgehen.

„Buddy Doyle?“, wiederholte er.

„Ja.“

„Der einzige Buddy Doyle, den ich kenne, war ein Kerl auf der Highschool. Er war drei Jahre lang einer der besten Verteidiger in unserem Footballteam.“

Sie lächelte, als hätte er ihr eine Freude gemacht. „Das ist Buddy. Ich bin seine jüngere Schwester, Shannon.“

„Buddy Doyle ist Ihr Bruder?“

„Ja.“

„Und was hat Buddy Doyle damit zu tun, dass Sie hier bei mir sind?“

„Absolut nichts.“

„Ich verstehe.“ Er wünschte, es wäre so. Diese Geschichte wurde mit jeder Minute bizarrer.

„Ich war ein paar Klassen unter dir“, erklärte sie.

„Stammen Sie aus Wimberley?“

„Dort bin ich zur Schule gegangen. Wir hatten eine Ranch südlich davon.“

Dans Ranch lag nördlich von Wimberley. Er konnte sich nicht an Shannon erinnern. Aber wenn sie zusammen zur Schule gegangen wären, würde er das noch wissen. Sie gehörte nicht zu der Sorte Frau, die ein Mann so rasch wieder vergaß.

„Was machen Sie hier?“

„Ich bin vor Kurzem wieder nach Texas zurückgekehrt und suche einen Job. Ich habe mich auf eine Anzeige in einer Zeitung aus Austin beworben und dabei festgestellt, dass du der Besitzer des Unternehmens bist. Leider hörte ich, dass du Ferien machst. Und da ich selbst seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht habe, wollte ich für ein paar Tage auf die Insel kommen. Du kannst dir mein Erstaunen sicher vorstellen, als ich dich gestern Abend an der Bar entdeckte. Es war, als hätte das Schicksal uns zusammengeführt.“

Langsam ließ er das Besteck sinken und legte es auf seinem inzwischen leeren Teller zusammen. „Habe ich das richtig verstanden? Sie sind hier wegen eines Vorstellungsgesprächs?“

Sie lachte. „Oh nein. Ich will mich hier erholen. Ich werde warten, bis du wieder in Austin bist, und dann einen Termin für ein Bewerbungsgespräch vereinbaren.“

„Ich habe keine Ahnung, wann ich wieder zurück sein werde.“

„Ich werde warten.“

Er ahnte nichts Gutes. „Ich will ja nicht unhöflich sein, Miss Doyle, aber ich möchte nicht, dass Sie hier bleiben.“

Sie strahlte nach wie vor. „Mein Name ist Shannon, und ich verspreche, dir nicht im Weg zu sein. Ich werde dir deine Mahlzeiten zubereiten und ein wenig Hausarbeit für dich erledigen. Du hast ein hübsches Apartment. Es wird ein Vergnügen werden.“

„Hören Sie, wenn Sie Geld für ein Motel brauchen, kann ich Ihnen bestimmt aushelfen.“

„Das ist wirklich nett, aber das hier genügt mir vollkommen. Mach ruhig weiter wie bisher. Tu einfach so, als sei ich nicht da.“ Und damit sprang sie auf und räumte das Geschirr ab. Dan saß benommen da.

Zugegeben, er verstand zwar nicht viel von Frauen, aber diese hier war schon reichlich unverschämt.

„Erwarten Sie etwa, dass ich mit Ihnen schlafe?“, fragte er kühl.

Sie wirbelte herum und starrte ihn einen Moment an. Dann lächelte sie keck. „Nein. Das war nicht Teil der Abmachung.“

„Dann wäre es vielleicht besser, wenn Sie mir die Abmachung erklären.“

„Ich werde deine Haushälterin sein, bis du bereit bist, nach Austin zurückzukehren.“

„Sie müssen den Verstand verloren haben“, murmelte Dan. „Ich brauche keine Haushälterin.“

Sie tätschelte seine Hand. „Ach, warten wir mal ab, wie es in den nächsten Tagen läuft. Einverstanden?“

„Nein! Ich bin nicht einverstanden! Ich bin hierher gekommen, um allein zu sein. Und Alleinsein schließt eine Haushälterin aus.“

„Keine Sorge. Du wirst nicht einmal merken, dass ich da bin.“

„Ganz bestimmt“, spottete er.

„Was machst du gewöhnlich um diese Tageszeit, Dan?“

Musste sie so verdammt vernünftig sein? Ihm war momentan absolut nicht danach zumute. Bevor er sprach, holte er tief Luft und nahm sich zusammen. „Normalerweise schlafe ich um diese Uhrzeit“, erklärte er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Dann weißt du ja jetzt, was dir bisher entgangen ist. Du solltest mir dankbar dafür sein, dass ich dich geweckt habe. Wie wäre es morgen bei Sonnenaufgang mit einem Spaziergang am Strand? Das ist mir die liebste Zeit auf der Insel. Es wird dir gefallen.“

„Haben Sie mir nicht zugehört? Ich will Sie nicht hier haben!“

Sie belud die Spülmaschine und drehte sich wieder zu ihm um. „Keine Sorge. Du wirst dich schon an mich gewöhnen.“ Und dann verließ sie summend das Zimmer.

Dan saß da und kochte vor Wut.

Das reichte. Er würde den Wachdienst verständigen und sie hinauswerfen lassen.

Oh, sicher, das wird gut aussehen. Den Wachdienst bestellen, damit der eine Frau aus seinem Apartment warf, die ihm kaum bis zur Schulter reichte. Als wäre sie irgendeine Bedrohung für ihn.

Sie war tatsächlich eine Bedrohung, und zwar für seinen Seelenfrieden. Er konnte dieses Ärgernis nicht gebrauchen. Wütend marschierte er ins Wohnzimmer und ging hinaus auf den Balkon. Der Tag sah tatsächlich recht freundlich aus. Am Strand waren nicht viele Menschen.

Vielleicht würde er schwimmen gehen. Seit seiner Ankunft war er nicht viel draußen gewesen. In der ersten Woche hatte er fast rund um die Uhr geschlafen.

Der Prozess hatte seinen Tribut gefordert. Bei der Verurteilung seines langjährigen Freundes und Geschäftspartners zu helfen, weil der die eigene Firma bestohlen hatte, war ein anstrengender Albtraum gewesen. Doch jetzt war es vorbei, und er hatte den Rest seines Lebens vor sich. Dass dieses Leben keine Richtung mehr zu haben schien, war niemandes Schuld und kümmerte ihn nicht.

Er ging wieder hinein und durch den Flur zu seinem Schlafzimmer. An der Tür begegnete ihm Shannon, Bettwäsche und Handtücher auf dem Arm. Sie nickte ihm lächelnd zu und ging an ihm vorbei.

Na schön, möglicherweise gab es wirklich ein paar Sachen in seinem Haushalt zu erledigen. Um die Wäsche hatte er sich nicht sonderlich gekümmert. Er zog sich eine Badehose an, fand im Schrank noch ein sauberes Handtuch und verließ ohne einen Kommentar das Apartment.

Überall am Strand vor dem Apartmenthochhaus standen Liegestühle unter Sonnenschirmen. Er wählte einen freien Liegestuhl, warf das Handtuch darauf und watete ins Wasser. Er zwang sich weiterzugehen, trotz des Schocks, den das kalte Wasser seinem warmen Körper versetzte. Im Moment war es genau das, was er brauchte – eine Abkühlung und Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken, was er hinsichtlich seines ungebetenen Gastes unternehmen sollte.

In der Zwischenzeit telefonierte Shannon oben mit Mandy.

„Du hast ihn wütend gemacht?“, wiederholte Dans Schwester besorgt.

„Ich habe hart daran gearbeitet, und ich glaube, meine Bemühungen waren erfolgreich.“

„Das ist sicher besser als der apathische Zustand, in dem er sich vorher befunden hat.“

„Es wäre leichter für mich, wenn ich genau wüsste, was mit ihm los ist“, erklärte Shannon. „Du hast mir von einigen geschäftlichen Rückschlägen erzählt. Aber das Unternehmen scheint weiter zu wachsen.“

„Ich habe ganz vergessen, dass du in den letzten Jahren ja gar nicht hier warst. Es gab eine riesige Ermittlung in der Firma. Sie fing vor ungefähr zwei Jahren an. Offenbar zweigte Dans Partner, James Williams, heimlich Mikroprozessoren aus dem Unternehmen ab, meldete sie als gestohlen und half, sie außer Landes zu schmuggeln, damit sie an Länder im Mittleren Osten verkauft werden konnten, mit denen die USA keine wirtschaftlichen Beziehungen mehr unterhält.“

„Du meine Güte.“

„Allerdings. Und als man ihn endlich erwischte – dank Rafes detektivischer Ermittlungen –, stellte James die ganze Sache so dar, als sei Dan für die Diebstähle verantwortlich. Er hatte es sogar so arrangiert, dass man das Zeug hier auf der Ranch fand. Eine Zeit lang sah es nicht gut aus für Dan. Da Rafe jedoch wusste, dass Dan auf keinen Fall in die Sache verwickelt sein konnte, ermittelte er einfach so lange weiter, bis er auf die Wahrheit stieß. Aber es war sehr hart für Dan. Er und James waren seit Jahren befreundet. Natürlich hatte er ihm bedingungslos vertraut. Die Geschichte machte ihm sehr zu schaffen.“

„Das erklärt einiges. Vermutlich ist er jetzt ausgebrannt.“

„Das hat Rafe auch gesagt. Er meint, wir sollten ihn einfach in Ruhe lassen, bis er wieder so weit ist, sich dem täglichen Stress zu stellen.“

„Weiß Rafe, dass ich hier bin?“

„Nein. Er weiß, dass du wegen eines Bewerbungsgespräches gekommen bist. Ich glaube, du bist ihm im Büro begegnet, oder?“

„Ja. Ich kenne Rafe noch aus der Schulzeit. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr miteinander verheiratet seid, bis er zufällig erwähnte, dass er mit Dan durch Heirat verwandt ist.“

„Ich war so froh, dass du mich angerufen hast“, meinte Mandy. „Es tat gut, nach all der langen Zeit wieder etwas von dir zu hören.“

„Ja, darüber bin ich auch froh. Wir hatten viel nachzuholen.“

„Rafe wird mich umbringen, weil ich dich dazu ermutigt habe, auf die Insel zu fliegen. Aber das ist mir egal. Ich fühle mich gleich viel besser, jetzt, wo ich weiß, dass jemand bei Dan ist. Es ist schon ein ermutigendes Zeichen, dass er nicht mehr zu gleichgültig ist, um wütend zu werden. Gestern wurde er wütend auf mich, und heute auf dich.“

Shannon lachte leise. „Ich habe so eine Ahnung, dass ich ihn noch eine Weile länger auf die Palme bringen kann, zumindest bis er mich hinauswirft.“

„Halt durch, Shannon. Und danke noch mal, dass du dich um ihn kümmerst.“

„Kein Problem. Dan war mir nie gleichgültig. Allerdings habe ich ihn immer auf einen Sockel gestellt. Es ist gut, ihn jetzt als einen ganz normalen Menschen mit Fehlern und Schwächen zu erleben.“

Mandy lachte erneut. „Ja. Aber wenn man jemanden auf ein Podest stellt, hat man eine bessere Aussicht auf seinen Po. Auch wenn Dan manchmal ein Mistkerl sein kann.“

„Na ja, ich habe sein Apartment fast aufgeräumt. So unordentlich ist er gar nicht. Sobald ich mit dem Berg Wäsche fertig bin, werde ich mich in die Sonne legen und deinen Bruder noch ein wenig ärgern.“

„Danke, dass du dich heute Morgen gemeldet hast. Ich habe zum ersten Mal, seit er weg ist, gut geschlafen. Du bist wirklich ein Geschenk des Himmels.“

„Dan sieht das anders. Aber darum kümmern wir uns später. Bis dann.“

Nach dem Zusammenlegen der Wäsche zog Shannon sich einen Bikini an und cremte sich mit Sonnenmilch ein. Dann nahm sie ein Handtuch und einen Roman, den sie mitgebracht hatte, schnappte sich ihre Sonnenbrille und ging nach unten.

Am Strand waren jetzt mehr Menschen als am frühen Morgen. Sie entdeckte einen freien Liegestuhl und machte es sich darauf bequem. Um sich bei ihrem ersten Sonnenbad keinen Sonnenbrand zu holen, klappte sie den Sonnenschirm auf. Durch das vom Wasser reflektierte Sonnenlicht würde sie auch so braun werden.

Eine Weile las sie, dann schlug sie das Buch zu, um ein kurzes Nickerchen zu halten, bevor es Zeit für das Mittagessen wurde. Was das Essen anging, hatte Dan Glück, da Shannon gern kochte. Dummerweise aß sie auch gern, weshalb sie einen ständigen Kampf führte, um die Pfunde wieder abzutrainieren. Der Nachteil bei ihrer geringen Größe und zierlichen Figur war, dass man sofort jedes überzählige Pfund sah.

Shannon ließ sich vom gleichmäßigen Rauschen der Wellen in einen tiefen Schlaf einlullen.

Dan hatte schon ganz vergessen, wie herrlich es war, im Meer zu schwimmen. Zwischen den küstennahen Sandbänken fand er tieferes Wasser, in dem er sich richtig verausgaben konnte. Er hatte gar nicht bemerkt, wie sehr er in den letzten Wochen außer Form geraten war. Es tat gut, seinen Körper zu fordern.

Später lief er am Strand entlang und verlor jedes Zeitgefühl, bis sein Magen anfing zu knurren. Er war tatsächlich schon wieder hungrig.

Wahrscheinlich konnte er nicht darauf hoffen, dass seine neue uneingeladene und von ihm nicht eingestellte Haushälterin verschwunden war. Nach seiner körperlichen Betätigung heute Morgen war er angenehm erschöpft. Eine gute Mahlzeit und ein Nickerchen waren jetzt genau das Richtige. Shannon war vermutlich inzwischen im Supermarkt gewesen. Also hatte sie vielleicht schon etwas zum Mittagessen zubereitet. Falls nicht, konnte er sich im Kühlschrank immer noch etwas für ein Sandwich zusammensuchen.

Er erreichte gerade das Hochhaus, als er drei Männer entdeckte, die sich mit einer Frau unterhielten. Die Frau lag auf einem der Liegestühle in der Nähe von seinem, auf dem er sein Handtuch zurückgelassen hatte. Beim Näherkommen bemerkte er, dass es Shannon war, die einem der Männer offenbar heftig widersprach. Er konnte nicht hören, was gesprochen wurde, doch er sah, wie sie den Kopf schüttelte. Für Dan war das deutlich genug.

Tja, dachte er, vielleicht merkt sie jetzt, wie es ist, wenn jemand ein Nein nicht akzeptiert.

Er betrachtete die Männer genauer. Sie sahen nicht aus wie die typischen Strandgäste. Sie waren zwar wie Urlauber mit weißen T-Shirts und Shorts bekleidet, aber noch zu hellhäutig, um allzu viel Zeit in der Sonne verbracht zu haben. Was sie jedoch eindeutig verriet, waren ihre schwarzen Socken und die Schnürschuhe.

Dan fragte sich, ob er sich einmischen sollte. Vielleicht war der Kerl jemand, mit dem sie mal ausgegangen war, und er wollte sie nicht aufgeben. Möglich war es. Wenn er nicht gerade in einer Krise stecken würde, hätte Dan sie gern in seinem Leben willkommen geheißen.

Eigenartigerweise empfand er ihr gegenüber besitzergreifende Gefühle, obwohl er sie erst seit Kurzem kannte. Die Vorstellung, dass jemand ihr nachstellte, gefiel ihm überhaupt nicht. Vor allem, da sie denjenigen nicht dazu ermutigte.

Der Mann, der auf sie einredete, packte sie plötzlich am Oberarm und zog sie hoch. Dan handelte sofort. Was immer der Kerl auf dem Herzen hatte, er hatte kein Recht, Shannon tätlich anzugreifen.

Entschlossen marschierte Dan auf die Gruppe zu. „Aufhören!“, befahl er. „So behandelt man keine Lady!“

Die anderen beiden Männer wirbelten herum und stellten sich ihm in den Weg. „Halten Sie sich da raus“, knurrte einer von ihnen. „Die Sache geht Sie nichts an.“

Dan hatte brutale Schlägertypen noch nie ausstehen können. „Alles in Ordnung?“, rief er Shannon zu.

Ihre unsichere Antwort alarmierte ihn. „Na ja, eigentlich nicht. Ich habe keine Ahnung, wer diese Männer sind und was sie wollen. Ich …“

„Verschon mich damit“, unterbrach der Mann sie, der sie am Arm festhielt. „Wir haben dir schon gesagt, dass wir nach Rick Taylor suchen. Zufällig wissen wir, dass ihr zwei mal sehr eng befreundet ward. Also versuch nicht, es abzustreiten. Du hast uns auf eine lange Jagd geschickt, Lady, also treib keine Spielchen mit mir, denn ich bin nicht in der Stimmung dafür.“

Dan wollte zu ihr, doch einer der Männer baute sich vor ihm auf. Er schubste ihn zur Seite, packte den Mann, der Shannon festhielt, und zwang ihn, sie loszulassen. „Lass sie in Ruhe“, warnte er ihn und ballte die Fäuste. Er war bereit, sich mit dem Kerl zu prügeln.

Plötzlich schrie Shannon so etwas wie eine Warnung, und im nächsten Moment verspürte Dan einen betäubenden Schmerz am Hinterkopf. Er stolperte und stürzte auf Hände und Knie, was seinen Zorn nur noch weiter anfachte. Was zum Teufel war eigentlich los? Was bildeten sich diese Schläger ein, ihn einfach anzugreifen?

Er versuchte gerade wieder aufzustehen, als er einen erneuten Schlag spürte. Diesmal ging er k. o.

3. KAPITEL

Das Erste, was Dan bemerkte, als er wieder zu Bewusstsein kam, waren Übelkeit, ein Schaukeln, und dass sein Kopf sich anfühlte, als würde er jeden Moment zerspringen.

Das Zweite, was ihm auffiel, war das Geräusch eines in der Nähe brummenden Motors und ein weiches, duftendes Kissen unter seinem Kopf. Aus diesen Bruchstücken an Informationen kombinierte er, dass er sich auf einem Boot befand und irgendwohin fuhr.

Er versuchte seinen Kopf zu bewegen und verspürte sofort einen stechenden Schmerz.

Er stöhnte.

„Oh Dan, es tut mir so leid, dass du in diesen Schlamassel hineingeraten bist. Ist alles in Ordnung mit dir?“

Shannon. Ihre Stimme würde er überall wiedererkennen. Er zwang sich, ein Auge zu öffnen, und sah Shannons Gesicht dicht über seinem. Sein Kopf lag auf ihrem Schoß.

Was zum Teufel ist bloß passiert? Da sie nicht antwortete, vermutete er, dass er die Frage nur gedacht hatte. Er befeuchte seine trockenen Lippen mit der Zunge und zwang sich, auch das andere Auge aufzumachen. „Was …“ War das seine Stimme? Er klang betrunken. Er probierte es noch einmal. „Was ist passiert?“

„Einer von diesen Männern hat dich auf den Kopf geschlagen. Zweimal! Dann haben sie dich zu einem Wagen geschleppt, wo ein weiterer Mann wartete. Er schien erstaunt, uns zu sehen, und fragte die anderen, was los sei. Er sagte, er habe ihnen nur sein Boot und seinen Wagen vermietet und dass er mit Körperverletzung und Kidnapping nichts zu tun haben wollte.

Während der Mann, der offenbar der Anführer ist, sich leise mit dem anderen unterhielt, verluden die anderen beiden dich in den Kofferraum des Wagens. Da war ich entschlossen, bei dir zu bleiben. Schließlich hatten sie kein Recht, dich zu schlagen! Sie sagten, sie seien hinter mir her gewesen. Ich habe zwar keine Ahnung, worum es geht, aber ich wollte dich auch nicht aus den Augen verlieren.“

„Wie lange war ich bewusstlos?“

Sie überlegte einen Moment. „Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, aber wahrscheinlich waren es ungefähr dreißig Minuten. Lange genug jedenfalls, dass die Typen uns zu ihrem Boot verfrachten und den Hafen verlassen konnten. Den Geräuschen nach zu urteilen, fahren wir auf den Golf von Mexiko hinaus.“

„Das soll wohl ein Witz sein“, murmelte Dan leise. „Man hat uns gekidnappt?“

Shannon strich ihm die Haare aus der Stirn. Ihre Miene war besorgt. „Ich fürchte ja.“

Er machte die Augen wieder zu. Welch eine Ironie des Schicksals! Wie oft im Leben konnte man gekidnappt werden und es überleben? Er war schon einmal entführt worden, als er herausfand, dass seine Ranch zum Schmuggel von Mikroprozessoren benutzt wurde. Mittlerweile fragte er sich, ob er vielleicht ein Schild auf der Stirn trug, das ihn als geeignetes Opfer für Kidnapper auswies.

„Wer sind diese Leute?“, wollte er nach einigen Minuten des Schweigens wissen.

„Ich habe keine Ahnung. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Sie könnten aus St. Louis sein, weil sie mich nach Rick fragten.“

„Wer ist Rick?“

Sie seufzte. „Rick Taylor. Ich bin ein paarmal mit ihm ausgegangen und habe dann mit ihm Schluss gemacht. Danach entwickelte er sich zur reinsten Plage, bis ich entschied, dass es sich nicht mehr lohnte, dort zu bleiben. Ich hatte die Probleme mit ihm und bei der Arbeit satt.“ Sie streichelte seine Wange und sein Kinn. „Also beschloss ich, nach Texas zurückzukehren und mich in der Gegend um Austin nach einem Job umzusehen. Ich kann es nicht fassen, dass ich Rick Taylors wegen noch immer Ärger habe!“

Dan betastete vorsichtig seinen Hinterkopf. Als er seine Finger betrachtete, waren sie voller Blut. „Sie haben Ärger?“

Er musste zugeben, dass es seine Schmerzen linderte, so bei ihr zu liegen. Und wann immer er diesen besonderen Blumenduft roch, würde er an sie denken.

„Erzählen Sie mir von diesem Rick“, forderte er sie auf, in der Hoffnung, dass es ihn von seinen Kopfschmerzen ablenken würde.

„Na ja, er war sehr gut aussehend, charmant, und schien viel Geld zu haben. Er behauptete immer, er sei im Investmentgeschäft. Aber ich fand das ein bisschen zu vage. Nachdem ich ein paarmal mit ihm ausgegangen war, wurde er richtig unangenehm. Er machte mich nervös. Einige der Leute, mit denen er sich umgab, gefielen mir nicht.“

„Falls diese Kerle dazugehören, kann ich das voll und ganz verstehen.“

„Wie gesagt, ich habe diese Männer noch nie zuvor gesehen.“

„Aber die scheinen zu glauben, dass Sie Rick kennen. Das klingt, als würde er vermisst.“

„Ich habe seit drei Monaten nicht mehr mit Rick gesprochen, also habe ich nicht die leiseste Ahnung, wo er sein könnte. Soweit ich weiß, ist er noch in St. Louis.“

„Ich habe eher den Eindruck, dass das nicht der Fall ist, sonst hätten die Kerle nicht nach Ihnen gesucht.“ Dan versuchte sich aufzusetzen, doch ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Kopf. Wenn er jetzt daran dachte, dass er sich heute Morgen beim Aufwachen über Kopfschmerzen beklagt hatte … Er hatte ja keine Ahnung gehabt, was echter Schmerz war.

Das war wirklich fabelhaft. Hier waren sie nun und wurden aus wer weiß was für einem Grund aufs offene Meer gebracht, mit nichts bekleidet außer ihren Badesachen. Ihm fiel auf, dass Shannon ein T-Shirt über ihrem Bikini trug, das jedoch so dünn war, dass es kaum als Kleidungsstück zu bezeichnen war.

Er dagegen hatte überhaupt nichts weiter an. Er fröstelte und hoffte inständig, nicht in einen Schockzustand zu fallen.

„Ich habe ein Handtuch gefunden“, sagte Shannon. „Damit habe ich deine Wunde versorgt. So viel Blut zu sehen hat mir richtig Angst gemacht. Jetzt scheint es besser zu gehen.“

„Ich sollte Ihnen wohl dafür danken, dass Sie sich um mich gekümmert haben“, erwiderte er, wohl wissend, dass er mürrisch klang. Aber er konnte seine Wut über die Situation, in der sie steckten, nur schwer verbergen.

„Du könntest mir auch leicht die Schuld an unserer misslichen Lage geben. Wie auch immer, wir sollten das Beste daraus machen.“

Er setzte sich mühsam auf, wobei ihm schwindelig wurde. Er hoffte inständig, dass ihm die Demütigung erspart blieb, sich übergeben zu müssen.

„Wieso liegst du nicht still? Du siehst momentan gar nicht gut aus“, meinte Shannon.

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wieso“, witzelte er. Sobald er aufrecht saß, stützte er den Kopf in eine Hand, während er mit der anderen das Handtuch an dem Hinterkopf gepresst hielt. Benommen sah er sich um. Sie befanden sich auf einer Art Kabinenkreuzer, der nicht mehr der neueste war. Dan fühlte das gleichmäßige Schlagen der Wellen gegen den Schiffsrumpf, und der Motor klang, als würden sie mit voller Kraft fahren.

Er wusste nicht, wie viel Zeit ihnen blieb, bevor ihre Entführer wieder auftauchten. Irgendwie musste er bis dahin bereit sein, sich und Shannon zu verteidigen.

„Hat irgendjemand erwähnt, wohin wir fahren?“, fragte er.

„Ich hörte etwas von Guardinos Jacht. So klang es jedenfalls.“ Sie stand auf und sah auf ihn herunter. „Bist du sicher, dass du dich bewegen solltest? Es war ein ziemlich heftiger Schlag.“

Er stemmte sich weit genug hoch, um sich auf eine der Bänke an dem kleinen Tisch setzen zu können. Sofort setzte sich Shannon ihm gegenüber.

„Ich werde es schon überleben. Aber in Zukunft werde ich wohl ein wenig zurückhaltender sein, wenn ich sehe, wie irgendein Kerl eine Frau belästigt.“

Sein grimmiger Ton schien sie zu amüsieren. „Immerhin hast du dich mit dreien gleichzeitig angelegt.“ In ihrer Stimme klang Bewunderung mit.

Er brauchte zwar keine Bewunderung, aber es tat seinem Ego gut, zu wissen, dass er gegen eine große Übermacht gekämpft hatte. Die Wahrheit lautete jedoch, dass er nicht im Traum damit gerechnet hätte, von den Kerlen hinterrücks angegriffen zu werden.

Andererseits hatte er auch nicht im Traum damit gerechnet, dass man auf ihn schießen und ihn entführen würde, als er damals den Schmugglern gegenübertrat, die seine Ranch als Landepiste benutzten.

Wahrscheinlich musste er lernen, nicht so impulsiv zu handeln. Er hatte selbst Schuld, weil er sich eingemischt hatte.

Jetzt saßen er und Shannon in der Klemme. Er wunderte sich, wieso niemand versucht hatte, die Entführung zu verhindern. Sicher, um die Jahreszeit hielten sich nie viele Menschen am Strand auf. Und nun wusste niemand, wo er und Shannon sich befanden. Es wäre ein Leichtes, sie einfach über Bord zu werfen, ohne dass jemals jemand dahinter käme, was mit ihnen geschehen war.

Bis jetzt war er zutiefst überzeugt davon gewesen, dass es ihm egal war, ob er lebte oder starb. Doch gerade, als er anfing, eine eindeutige Einstellung dazu zu gewinnen, wurde ihm die Entscheidung aus der Hand genommen.

Er fühlte sich wegen des letzten Gesprächs mit Mandy noch immer schlecht. Er hoffte, er würde die Gelegenheit bekommen, sie noch einmal wieder zu sehen, um sich entschuldigen zu können. Aus dieser neuen Perspektive betrachtet erkannte er, was sie in den letzten Monaten mit ihm hatte durchmachen müssen. Beide, Rafe und Mandy, waren sehr geduldig mit ihm gewesen.

Er hatte wirklich einen kräftigen Tritt in den Hintern gebraucht. Nun, ein paar ordentliche Beulen am Hinterkopf taten es sicher auch. Dieser kleine Ausflug jedenfalls hatte ihn wachgerüttelt.

Shannon stand auf und spähte durch ein Bullauge. Dadurch gewährte sie Dan einen Blick auf ihren wohlgeformten Po und ihre schlanken Beine. Er nahm sich zusammen. Dies war nicht die richtige Gelegenheit, um sich mit der Anziehung zu befassen, die sie auf ihn ausübte. Hatte ihn nicht genau das in diese Lage gebracht?

Er nahm das Handtuch von seinem Kopf und betastete erneut vorsichtig die Verletzung. Sie schien aufgehört haben zu bluten. Er drehte sich um und probierte den Wasserhahn hinter sich aus. Erleichtert stellte er fest, dass ein dünner Strahl Wasser herauskam. Er hielt das Handtuch unter Wasser.

Shannon wandte sich um. „Was machst du da?“

„Ich will das Blut ein wenig von meinem Hinterkopf waschen.“

Sie kam zu ihm. „Warte, ich helfe dir.“ Sie nahm das Handtuch und tupfte behutsam die Stelle ab, wobei ihre Brüste seine Schulter berührten. Er erschauerte, und sie wich zurück. „Entschuldige“, sagte sie. „Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Oh, das haben Sie nicht. Nicht schlimmer als sonst. Mir ist nur ein wenig kalt, das ist alles.“

„Vielleicht finde ich für dich etwas zum Anziehen“, schlug sie vor. Sie stand von der Bank auf und schaute darin nach. Triumphierend hielt sie einen dunkelblauen Troyer hoch. Sie roch daran und verzog das Gesicht. „Er riecht ein bisschen muffig, aber er scheint sauber zu sein.“ Sie schüttelte ihn aus und reichte ihn Dan. „Er müsste passen. Zumindest frierst du damit nicht mehr so.“

Dankbar zog er den Pullover über und zuckte zusammen, als er die Wunde am Kopf streifte. Erst jetzt merkte er, wie kalt ihm geworden war.

„Seit ich dich in der Badehose gesehen habe, wollte ich dich schon die ganze Zeit etwas fragen. Woher stammt die Narbe auf deiner Schulter?“

Er grinste schief. „Eine kleine Erinnerung daran, dass ich mich vor ein paar Jahren mit einem Haufen Schmuggler angelegt habe, die meine Ranch als Umschlagplatz missbraucht haben.“

„Sie haben auf dich geschossen?“

„Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass es absichtlich geschah. Ich habe sie aufgeschreckt. Es waren Lieferanten, deren Boss dachte, ich sei mit dem Arrangement einverstanden. Deshalb rechnete sie nicht damit, dass ich mich ihnen in den Weg stellen würde.“

„Wie schlimm wurdest du verletzt?“

„Schlimm genug. Vermutlich hätten sie mich dort zurücklassen können. Mein Vormann hätte mich dann sicher am nächsten Tag gefunden. Stattdessen verfrachteten sie mich in ihr Flugzeug und nahmen mich mit nach Mexiko.“ Er runzelte die Stirn bei der Erinnerung an die Entführung und hoffte, dass diese jetzt nicht so kompliziert verlaufen würde wie damals.

„Du hattest Glück, dass du mit dem Leben davongekommen bist.“

„Ja, ich hatte reichlich Glück. Das Problem war nur, dass sich die Wunde entzündete und es nirgends Antibiotika gab. Als Rafe mich einige Wochen später fand, war ich in einem üblen Zustand.“

„Rafe McClain“, sagte sie. „Ihr zwei wart enge Freunde auf der Highschool.“

„Ja, er hat mir buchstäblich das Leben gerettet.“

„Zu schade, dass er uns jetzt nicht helfen kann“, meinte sie und spähte erneut aus dem Bullauge. „Oh! Ich glaube, ich sehe etwas. Ein Schiff. Eine Jacht. Sehr hübsch.“

Dan spürte, dass der Kabinenkreuzer seine Geschwindigkeit drosselte und hörte, wie jemand etwas zu dem anderen Schiff hinüberrief. Im Stillen ermahnte er sich, nicht überstürzt zu handeln. Den Helden zu spielen konnte tödlich enden.

„Anscheinend haben wir unser Ziel erreicht“, sagte er und war entschlossen, Shannon mit seiner Einschätzung der Lage nicht zu ängstigen.

Sie drehte sich zu ihm um. „Ich weiß, es ist feige, das zuzugeben, aber ich bin froh, in dieser Situation nicht allein zu sein.“

Dan stand auf und hielt sich wegen der niedrigen Decke leicht gebückt. „Ich bin auch froh, dass Sie nicht allein sind“, erwiderte er und war selbst überrascht. Er wollte tatsächlich nicht, dass sie allein dieser Gefahr ausgesetzt war.

Mit einem erstickten Schluchzen schlang sie die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn. Oben auf dem Deck entstand Bewegung. Einer der Männer öffnete die Luke und schaute auf die beiden herunter.

„Aha, ihr seid also wach“, bemerkte er mit einem einfältigen Grinsen. „Das wird es einfacher machen, euch an Bord zu bekommen. Kommt schon, ihr zwei. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit für euer Herumgeknutsche.“

Dan ließ Shannon los und kletterte an Deck. Er schaute sich um, um festzustellen, wo sie sich befanden. Land war nirgends in Sicht. Einer der drei Männer kletterte bereits die Leiter zur Jacht hinauf, während die anderen beiden ungeduldig warteten. Am Steuer des Kabinenkreuzers, der sie hergebracht hatte, entdeckte Dan einen weiteren Mann. Das musste die widerwillige Eskorte sein. Dan fiel auf, dass der Mann seinem Blick auswich.

Ohne ein Wort hielt Dan Shannon die Hand hin und half ihr hinauf.

Der zweite Mann kletterte die Leiter hoch, danach folgten Dan und Shannon und zum Schluss der Letzte aus dem Trio. Sobald sie an Bord der Jacht waren, winkte der Mann am Ruder des Kabinenkreuzers kurz und fuhr dorthin zurück, woher sie gekommen waren.

Dan bemerkte, das Shannon fröstelte. Die Sonne ging unter, und es war kühler geworden. Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an sich. Natürlich hatte sie Angst. Das war durchaus verständlich. Ihm war ja selbst unbehaglich zumute.

„Wer zum Teufel ist denn das?“

Ein großer, gut aussehender Mann mit silbergrauem Haar kam entschlossenen Schrittes aus dem Innern der Jacht auf sie zu. In seinem Seidenhemd und der Anzughose strahlte er Macht und Autorität aus. Dieser Mann war ohne Frage der Boss.

Dan betrachtete ihn genauer.

Der Anführer der drei Männer sagte: „Tut uns leid, Mr. Guardino, aber es ging nicht anders. Wir redeten gerade mit der Frau, als dieser Idiot sich einmischte. Al musste ihn zur Vernunft bringen. Wir wollten ihn nicht am Strand liegen lassen, und da die Lady behauptete, nichts über Taylors Aufenthaltsort zu wissen, dachte ich, es sei besser, beide mitzunehmen. Für den Fall, dass wir ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen sollen.“

Guardino schüttelte angewidert den Kopf. „Das ist nicht zu fassen. Ich gebe euch eine simple Aufgabe, und ihr macht einen Staatsakt daraus!“

Dan und Shannon tauschten Blicke. Dan war nicht sicher, ob sie jetzt schlimmer dran waren, weil Guardinos Laufburschen ihre Kompetenzen überschritten hatten, oder ob es die Lage zu ihren Gunsten veränderte.

Guardino blieb vor Dan stehen und musterte ihn neugierig. „Wie heißen Sie?“

„Dan Crenshaw.“

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir genau zu erklären, wie Sie in diese Geschichte geraten sind?“, forderte er Dan auf.

Seit er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war Dan in Gedanken seine Möglichkeiten durchgegangen. Viele waren es nicht. Vor allem musste er sich entscheiden, ob er Shannon glauben wollte oder nicht. Sie mochte ihm vielleicht nicht alles gesagt haben, was sie wusste, aber jetzt war es zu spät, sie noch einmal zu fragen, um ganz sicher zu gehen.

Unterdessen wollte er klarstellen, dass sie unter seinem Schutz stand.

„Ich fürchte, ich habe keine Ahnung, was hier vorgeht. Ich sah, wie Ihre Leute meine Verlobte belästigten, und unternahm den Versuch, sie davon abzuhalten.“ Er drückte Shannons Schulter kurz und lächelte sie so liebevoll an, wie es unter den Umständen möglich war. Er spürte ihr Erstaunen über seine Worte, doch ihre Miene blieb zu seiner Erleichterung unbewegt.

„Ihre Verlobte? Seit wann? Zufällig weiß ich, dass sie Rick Taylors Freundin ist.“

Endlich meldete sich Shannon zu Wort. „Das ist nicht wahr! Ich bin lediglich ein paarmal mit Rick ausgegangen. Es war absolut nichts Ernstes.“

„Das ist aber nicht die Version, die er erzählt.“

„Es ist mir egal, was er sagt.“

Dan fand, dass es wieder Zeit für ihn wurde, sich einzumischen. „Shannon und ich sind in der Nähe der gleichen Kleinstadt aufgewachsen. Wir sind seit Jahren ein Paar. Nur hatten wir vor einiger Zeit einen Streit, worauf Shannon nach St. Louis zog.“ Er warf ihr erneut einen zärtlichen Blick zu. „Wir blieben in Kontakt, während sie fort war, und schließlich gelang es mir, sie davon zu überzeugen, mir noch eine Chance zu geben. Also kam sie zurück.“

„Ist Ihnen klar, dass sie sich während ihrer Zeit in St. Louis mit Rick Taylor getroffen hat?“

„Sie erwähnte ihn beiläufig. Das ist alles.“

Guardino musterte ihn schweigend und schüttelte dann den Kopf. „Gehen wir hinein. Der Wind frischt auf.“

Im Innern der Jacht gab Guardino einem Stewart die Anweisung, ihnen trockene Kleidung zu holen und eine Kabine zum Umziehen zuzuweisen. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.

Einer der Männer, die sie gekidnappt hatten, bohrte Dan den Finger in den Rücken. „Also los, Casanova, gehen wir.“

Am liebsten hätte Dan diesen Mistkerl über Bord geworfen. Im Stillen nahm er sich vor, dass diese Idioten auf irgendeine Weise für ihre Tat bezahlen würden. Aber vorerst wollte er nichts unternehmen, was sie in noch größere Gefahr brachte.

Er ließ den Arm um Shannons Schulter liegen, während sie einem Mitglied der Crew den Gang hinunter folgten. Der Stewart blieb vor einer der Türen stehen, öffnete sie und sagte fröhlich: „Da wären wir, Sir. Passen Sie auf Ihren Kopf auf.“

Dan ließ Shannon vorangehen und schloss die Tür hinter ihnen. In der Kabine befanden sich Kojen, eine Kommode, ein Tisch und zwei Stühle. Er öffnete eine weitere Tür, hinter der sich eine Toilette, ein Badezimmerschrank und eine winzige Dusche befanden.

„Du hättest dir diese Geschichte mit unserer Verlobung nicht ausdenken müssen“, meinte Shannon. „Du hättest so tun können, als hättest du mich vor dem heutigen Tag noch nie gesehen. Das wäre fast die Wahrheit gewesen.“

„Ich weiß. Aber ich muss den edlen Ritter spielen. Ich dachte mir, dass sie Sie ein wenig besser behandeln würden, wenn Sie noch jemanden auf ihrer Seite haben. Hoffen wir das Beste.“

„Ich war noch nie in einer solchen Situation. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

„Kooperieren“, erwiderte er. „Das ist der sicherste Weg.“ Er ging zum Bullauge und spähte hinaus. Außer Wasser war nicht viel zu sehen. Am Horizont versank allmählich die Sonne. „Ich wünschte, ich wüsste, wie spät es ist.“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Es war Mittag vorbei, als ich Sie mit diesen Kerlen reden sah. Sonnenuntergang ist um diese Jahreszeit gegen sechs Uhr. Demnach müssen wir inzwischen mehrere Meilen von der Küste entfernt sein.“

„Ich war so besorgt, weil du nicht aufwachtest, dass ich kaum etwas anderes wahrgenommen habe.“

Er ging zurück zu ihr. „Und Sie haben keine Ahnung, wieso die Kerle nach diesem Rick suchen?“

„Nein.“

„Wie haben Sie ihn kennengelernt?“

„Durch eine Freundin bei der Arbeit. Wir trafen uns ein paarmal zu viert. Dann machte sie mit ihrem Freund Schluss, und Rick und ich gingen von da an zu zweit aus. Zu der Zeit entdeckte ich auch, dass er Spieler ist und deswegen Probleme hat.“

„Aha, jetzt kommen wir der Sache schon näher.“

Sie machte ein überraschtes Gesicht. „Ja?“

„Wahrscheinlich hat er Spielschulden.“

„Daran habe ich nicht gedacht.“

„Waren Sie nie mit, wenn er gespielt hat?“

„Doch“, antwortete sie. „Er ging gern auf die Kasinoschiffe auf dem Fluss. Aber er schwor, dass er nie mehr setzen würde, als er sich leisten könnte zu verlieren. Ich habe gesehen, wie er einige hohe Gewinne machte, und manchmal fragte ich mich, wie es mit seinen Verlusten stand.“

„Wenn er gern spielte, hat er mit Sicherheit nicht nur dort gespielt.“ Dan setzte sich auf die Kante der unteren Koje. „Die werden alles erfahren wollen, was Sie über Rick wissen – über seine Freunde, seine Familie, alles, was ihnen helfen kann, ihn zu finden.“

„Aber ich habe ihnen doch schon gesagt, dass ich ihn nicht so gut kannte. Er war bloß jemand, mit dem ich ein paarmal ausging.“

Dan wünschte, das Hämmern in seinem Kopf würde aufhören. „Na schön. Vielleicht werden sie Ihnen glauben und uns zurückbringen. Allerdings habe ich den starken Verdacht, dass das nicht mehr heute Abend geschehen wird. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, einen Zimmergenossen zu haben.“

4. KAPITEL

Dan hörte ein Klopfen an der Tür und machte auf. Der Stewart hielt ihm einen kleinen Kleiderstapel hin. „Das war alles, was ich für Sie und die Lady finden konnte, Sir. Aber wenigstens sind die Sachen trocken.“

„Danke“, sagte Dan und nahm die Sachen entgegen.

„Ich werde vor Ihrer Kabine warten, um Sie in die Lounge zu führen, wo Mr. Guardino Sie erwartet.“

„Gut.“ Dan schloss die Tür und betrachtete die Sachen, die ihm der Stewart gegeben hatte: ein Smokinghemd, zwei T-Shirts und zwei Jeans.

Er hielt die Hosen hoch. Sie würden Shannon unter keinen Umständen passen. „Das Smokinghemd ist lang genug, dass es bei Ihnen fast wie ein Kleid aussieht. Am besten, Sie probieren es mal an.“ Er deutete auf das kleine Bad.

Sie nahm das Hemd und verschwand hinter der Tür. Dan zog seine Badehose aus und probierte eine der Jeans an. Sie war ein bisschen zu kurz und eng an der Taille, aber das waren geringfügige Unannehmlichkeiten. Halb nackt zu sein machte jede Situation unangenehmer – na ja, bis auf eine … Er zog den Pullover aus und streifte sich ein T-Shirt über. Zum Glück war es an den Schultern weit genug. Dann schlüpfte er wieder in den Pullover. Auf dem Wasser schien es viel kühler zu sein als am Strand.

Keiner von ihnen hatte Schuhe, aber das war nicht zu ändern.

Die Tür zur Toilette ging auf, und Dan drehte sich um. Shannon sah aus wie ein kleines Mädchen, das sich mit Daddys Smokinghemd verkleidet hatte. Die Ärmel hatte sie bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Der Saum reichte ihr fast bis zu den Knien.

„Sie sehen gut aus“, meinte er.

Das war untertrieben. Seltsam, wie das Gehirn funktionierte. In diesem Hemd wirkte sie noch viel erotischer als in dem hauchdünnen T-Shirt und dem Bikini, obwohl sie es bis oben zugeknöpft hatte.

Dan nahm sich zusammen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich irgendwelchen Fantasien über seine Begleiterin hinzugeben.

Er lächelte ihr beruhigend zu. „Sind Sie bereit, unserem Gastgeber gegenüberzutreten? Ich habe so einen Verdacht, dass er noch gar nicht richtig begonnen hat, Sie zu verhören.“

Sie seufzte. „Mir bleibt wohl keine andere Wahl. Ich hoffe, ich kann ihn davon überzeugen, dass ich kaum etwas über Rick weiß.“

Er bot ihr die Hand. „Kommen Sie. Wenn wir gehorsam sind, hat er vielleicht Mitleid und gibt uns etwas zu essen.“

Der Stewart führte sie von einem Gang in einen anderen. Dann blieb er stehen und winkte sie in einen großen, prunkvollen Raum.

Erstaunlicherweise war Dan wegen der bevorstehenden Befragung nicht allzu besorgt, obwohl die Männer schon bewiesen hatten, dass sie gewalttätig werden konnten. Aber er hielt Guardino für einen Geschäftsmann. Jemand schuldete ihm Geld, also wandte er sich an jeden, der ihm helfen konnte, es zu bekommen. Sobald ihm klar war, dass Shannon nichts über ihren Exfreund wusste, wären sie für ihn nicht mehr von Nutzen.

Wäre Guardino ein Psychopath, würde er sie über Bord werfen. Doch nach Dans bisherigem Eindruck war Guardino nicht so skrupellos. Was ihn in der Hoffnung bestärkte, dass er sie zur Insel zurückschicken würde.

Guardino stand an einer wohlausgestatteten Bar. Auf einem Tisch daneben stand ein großes Tablett mit Häppchen. Lächelnd begrüßte er die beiden. „Bitte treten Sie näher und machen Sie es sich bequem. Was kann ich Ihnen zu trinken anbieten?“

„Kaffee wäre nicht schlecht“, antwortete Dan, setzte sich und nahm eines der Häppchen. Dann reichte er Shannon eins.

Sie nahm es und setzte sich neben ihn. „Kaffee?“, neckte sie ihn mit leiser Stimme, bevor sie sich das Häppchen in den Mund schob.

Was? dachte er. Sie erwartete wohl kaum, dass er in dieser Situation Alkohol trank.

„Und Sie, Miss Doyle?“

„Ein Glas Wasser, bitte.“

Guardino hob skeptisch eine Braue. „Ganz wie Sie wünschen.“ Er wandte sich ab und füllte eines der Gläser aus einer Kristallkaraffe. Dann goss er eine Tasse Kaffee ein und stellte beides auf ein Tablett, das er zu ihnen trug.

Er setzte sich ihnen gegenüber. „Zunächst möchte ich mich Ihnen vorstellen. Ich bin Gianni Guardino und muss mich bei Ihnen in aller Form entschuldigen. Es ist mir schleierhaft, was meine Leute sich dabei gedacht haben, Sie hierher zu entführen.“

Dan aß ein weiteres Häppchen und trank einen Schluck Kaffee. Shannon bediente sich ebenfalls von dem Essen. Das Frühstück lag schon eine ganze Weile zurück.

Shannon trank einen Schluck Wasser und sagte zu Guardino: „Da es für Sie ein ziemlicher Aufwand gewesen sein muss, mich aufzuspüren, nehme ich an, dass Ihre Leute nur Ihren Anweisungen gefolgt sind.“

Dan trank seinen Kaffee und sah keinen der beiden an. Shannon klang gereizt, was ihn amüsierte, angesichts ihrer ungewissen Lage. Ob sie Angst hatte oder nicht, sie ließ sich jedenfalls nicht einschüchtern.

„Um ehrlich zu sein, Miss Doyle, zum Zeitpunkt von Taylors Verschwinden dachten wir, Sie beide seien zusammen. Wir fanden heraus, dass Sie nach Texas gegangen waren und dort Familie haben. Daher vermuteten wir, er könnte bei Ihnen sein. Wir haben mit Ihrer Familie Kontakt aufgenommen und so Ihre Urlaubspläne erfahren.“ Er betrachtete Dan nachdenklich. „Aber mit wem wir auch sprachen, niemand erwähnte einen Verlobten.“

Shannon versteifte sich ein wenig. „Sie müssen mit meiner Großmutter gesprochen haben.“

„Das ist möglich.“

Sie warf Dan einen kurzen Blick zu. „Grandma weiß nichts von unserer Verlobung.“

Dan tätschelte ihre Hand. „Schon gut, Darling. Du kannst ihm ruhig die Wahrheit sagen.“

Shannon wirkte irritiert.

„Die Wahrheit ist“, fuhr er fort, „dass ihre Familie mich nicht sehr schätzt. Daher beschlossen wir, uns auf der Insel zu treffen und über unsere Beziehung zu sprechen, bevor wir der Familie mitteilen, dass wir wieder zusammen sind.“

Guardino nippte an seinem Drink und schien über diese neue Information nachzudenken. „Hielten sie denn etwas von Rick Taylor?“, wollte er nach einer Weile wissen.

Shannon seufzte. „Das mit Rick war nie ernst. Deshalb weiß meine Familie auch nichts von ihm. Wir sind ab und zu ausgegangen, das ist alles. Ich kann Ihnen wirklich nicht mehr über ihn sagen.“

Guardino lehnte sich zurück und musterte sie einen Moment. Dann sagte er: „Ich bin enttäuscht, das zu hören.“ Er leerte sein Glas und stellte es ab.

„Ich habe Ihren Leuten das Gleiche gesagt, aber sie wollten mir nicht glauben.“

Erneut herrschte Schweigen. Dan hörte das schwache Ticken einer Uhr. Er schaute sich um und stellte fest, dass es fast fünf Uhr war. Bald würde es dunkel sein.

Guardino ging an die Bar, machte sich einen neuen Drink zurecht und setzte sich wieder. „Nun, Miss Doyle, ich werde Ihnen erklären, wie sich mir die Situation darstellt. Wenn Sie wüssten, wo Rick sich aufhält, und er Sie gebeten hat, es niemandem zu verraten, würden wir die gleiche Antwort von Ihnen hören. Meine Männer fanden es zweifellos besser, mich entscheiden zu lassen, ob Sie lügen oder die Wahrheit sagen.“

„Dann läuft also alles auf die Frage hinaus, ob Sie ihr glauben oder nicht“, meinte Dan.

Guardino nickte nachdenklich. „Ja, das ist die entscheidende Frage. Sehen Sie, Taylors Version der Geschichte unterscheidet sich erheblich von Ihrer, Miss Doyle.“

„Seine Version?“, wiederholte sie. „Ich verstehe nicht ganz.“

„Rick ist noch sehr verliebt in Sie. Er prahlt häufig vor seinen Freunden mit Ihnen, zeigt Fotos herum und redet von einer Zukunft mit Ihnen.“ Er sah zu Dan. „Offenbar hat er keine Ahnung von Ihrer schon vorher bestehenden … Bindung zu Mr. Crenshaw.“

Dan wandte sich an Shannon. „Also, Liebes! Hast du den armen Kerl etwa an der Nase herumgeführt, nur um es mir heimzuzahlen? Ich bin schockiert und beschämt!“

Sie starrte Dan an und sagte dann zu Guardino: „So war es überhaupt nicht. Ich wusste gar nicht, dass er Fotos von mir besitzt, obwohl er bei einer unserer Verabredungen eine Kamera dabeigehabt hatte. Möglicherweise hat er da ein paar Schnappschüsse gemacht. Aber ich habe niemals auch nur angedeutet, dass er für mich mehr als ein Freund ist.“

„Trafen Sie sich damals auch mit anderen Männern?“

„Nein. Ich ging während meiner Zeit in St. Louis ohnehin nicht viel aus.“ Sie warf Dan einen kurzen Blick zu, als sei er der Grund dafür.

„Meines Wissens nach arbeiteten Sie in der Position einer Systemberaterin in einer Computerfirma. Stimmt das?“

Sie nickte.

„Trotzdem gaben Sie diesen Job auf, um nach Texas zurückzukehren?“

„Ja.“

„Sie hat mich vermisst“, kam Dan ihr zu Hilfe. Shannon warf ihm einen vernichtenden Blick zu, doch er lehnte sich unbeirrt zu ihr herüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich weiß, dass es dir schwerfällt, deinen Stolz zu vergessen und zuzugeben, wenn du im Irrtum warst. Aber auf lange Sicht betrachtet ist es besser, findest du nicht?“

Guardino verzog angewidert das Gesicht. „Haben Sie irgendeinen von Taylors Freunden oder jemanden aus seiner Familie kennengelernt?“

„Einen Freund. Er traf sich mit einer meiner Kolleginnen. Durch die beiden lernte ich Rick kennen. Ich glaube, der Freund hieß Chad Harris.“

„Hm.“ Guardino ging zur Bar und kam mit der Kaffeekanne zurück, um Dan nachzuschenken. „Hat Rick jemals über seine Familie gesprochen?“

„Nicht, soweit ich mich erinnern kann.“

„Hat er Ihnen erzählt, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente?“

„Er sagte, er sei in der Investmentbranche.“

„Das hat er behauptet?“, fragte Guardino ungläubig. „Was für ein Idiot.“

„Was macht er denn wirklich?“, wollte Dan wissen.

„Früher hat er für mich gearbeitet und besuchte einige meiner Kunden. Er kümmerte sich um die Außenstände, sorgte dafür, dass alles reibungslos lief, nahm die Zahlungen entgegen.“

Dans Miene blieb unbewegt, während sein Verstand fieberhaft arbeitete. Hier ging es nicht um ein paar Spielschulden, auch wenn Taylors Spielsucht vermutlich dahintersteckte. Taylor war Guardinos Mann gewesen, der das Geld aus diversen krummen Geschäften eintrieb. Offenbar war er so lebensmüde gewesen, mit dem Geld seines Chefs zu verschwinden.

„Haben Sie Chad Harris überprüft, ob er mit Taylor gesprochen hat?“, erkundigte sich Shannon.

Guardino nickte. „Chad konnte mich überzeugen, dass er von alldem nichts gewusst hat.“

Etwas an der Art, wie er das sagte, ließ Dan innehalten. Er fragte sich, ob Chad noch unter den Lebenden weilte, und wenn ja, wie es dann um seine Gesundheit bestellt war.

Das waren nicht gerade beruhigende Gedanken. Trotzdem sah er noch immer keine andere Möglichkeit, als sich durch geschicktes Improvisieren zu retten.

Allerdings machte ihm plötzlich Übelkeit zu schaffen, und er fragte sich, ob sie auf seine Kopfschmerzen zurückzuführen war, oder ob der Seegang stärker geworden war.

Genau bei dieser Überlegung klirrten die Flaschen hinter der Bar, und das Schiff neigte sich leicht zur Seite. Dan und Shannon hielten ihre Drinks fest. Dan gelang es gerade noch rechtzeitig, das Tablett festzuhalten, bevor es herunterfallen konnte.

Mit zwei Schritten war Guardino beim Telefon an der Wand. Er hatte Dan und Shannon den Rücken zugekehrt und redete leise. Doch sein Ton verriet, dass jemand für die nachlässige Art, die Jacht zu steuern, Ärger bekommen würde.

Dan nutzte die Chance und sah zu Shannon. Was er sah, gefiel ihm nicht. Sie war leichenblass, und ihre Augen waren vor Angst geweitet. „Werd jetzt bloß nicht seekrank“, flüsterte er.

„Das ist es nicht“, erwiderte sie ebenso leise. „Hast du begriffen, was Rick getan hat? Er hat offenbar Geld gestohlen …“

„… um seine Spielschulden zu begleichen“, vollendete er den Satz für sie. „Du hast wirklich eine glückliche Hand bei der Wahl deiner Männer.“

„Ich bin doch bloß mit ihm ausgegangen, um einer Freundin einen Gefallen zu tun. Und danach war es einfacher, mit ihm auszugehen, als sich ständig eine Ausrede einfallen zu lassen.“

„Du hast für eine Computerfirma in St. Louis gearbeitet?“

„Ja.“

„Du hast nicht zufällig einen Lebenslauf bei dir, oder? Ich suche nämlich …“

„Sehr witzig, Dan. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du an deinem Sinn für Humor arbeiten solltest?“

Immerhin brachte sein Humor ein wenig Farbe in ihre Wangen. Dan war immer noch nicht sicher, wieso sie glaubte, sich in sein Leben einmischen zu müssen. Sobald sie wieder an Land waren, würde er diese Frage ein für alle Mal klären. Falls sie es getan hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, war sie erfolgreich gewesen. Allerdings konnte er diese Taktik kaum anderen Bewerbern um einen Job empfehlen.

Das Geräusch des Telefonhörers, der auf die Gabel geknallt wurde, lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Gastgeber. Sein Gesicht wies hektische Flecken auf. Dan stellte sich lieber nicht vor, wie hoch Guardinos Blutdruck in diesem Moment war.

„Der Kapitän hat mich gerade darüber informiert, dass ein tropisches Tiefdruckgebiet aus dem Süden heraufzieht“, verkündete er angespannt. „Die Küstenwache hat an alle Schiffe eine Hurrikanwarnung herausgegeben.“

Dan nickte. „Dann sollten wir besser wieder die Küste ansteuern. Es dürfte nicht lange dauern, die Insel zu erreichen. Wie weit sind wir eigentlich genau von ihr entfernt?“

„Ich habe nicht die Absicht, die texanische Küste anzulaufen.“

„Ach, lassen Sie sich nicht von unserem Ruf abschrecken“, erwiderte Dan freundlich. „Wir Texaner sind alles anständige Leute. Vielleicht manchmal ein bisschen arrogant, aber das bringt das Land mit sich.“

„Wenn man mich in dieser Gegend sieht, werden bestimmte Leute annehmen, ich sei auf Geschäfte aus“, erklärte Guardino. „Ich will keinen Krieg um Territorien führen. Ich habe dem Kapitän befohlen, uns so rasch wie möglich nach New Orleans zu bringen.“

„Nach New Orleans?“ Shannon sprang auf. „Das geht nicht! Haben Sie kein Boot, das uns auf die Insel zurückbringen kann?“

„Nicht bei so schwerer See. Tut mir leid, aber Sie können es sich jetzt genauso gut bequem machen. Denn in den nächsten Tagen werden Sie meine Gäste sein.“

5. KAPITEL

Dan stand auf. „Ich hoffe, das überlegen Sie sich noch einmal. Schließlich war es auch kein Problem, Ihre drei Männer zu schicken, um uns aufzuspüren.“

„Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber der Seegang ist inzwischen viel stärker. Ich werde hier nicht unnötig Zeit vergeuden, damit Sie beide in ihre vorehelichen Flitterwochen zurückkehren können. Aber ich versichere Ihnen, dass Ihnen mein Schiff in den nächsten Tagen ganz zur Verfügung steht.“

„In dieser Kleidung?“, beklagte sich Shannon und schaute auf ihr erfolgreich zum Kleid umfunktioniertes Smokinghemd.

„Das ist momentan die zweckmäßigste Kleidung. Aber ich werde sehen, was wir noch finden können. Außerdem haben wir eine komfortablere Kabine für Sie.“ Er rieb sich die Hände, als habe er gerade ein kniffliges Problem gelöst. „So, und jetzt müsste das Dinner im Salon serviert sein. Bitte folgen Sie mir.“

Shannon konnte es nicht fassen. Sie war auf einer Jacht gefangen mit Dan Crenshaw, der ihren Verlobten spielte. Und jetzt mussten sie sich eine Kabine teilen. Wie sollte das funktionieren?

Zu gern würde sie jetzt Rick Taylor in die Finger bekommen. Ihm hatte sie diesen Schlamassel zu verdanken.

Beim Betreten des Salons blieb sie kurz stehen und schaute sich staunend um. Hier war an nichts gespart worden. Sie fragte sich, wo Mr. Guardino seine Jacht ließ, wenn er sie nicht benutzte. War ihr Heimathafen New Orleans? Befand sich sein Hauptquartier in St. Louis?

„Bitte, nehmen Sie Platz“, forderte Guardino seine Gäste auf. „Ich habe bereits Anweisungen gegeben wegen Ihrer Kabine. Man teilte mir mit, dass meine Tochter einige ihrer Kleidungsstücke bei ihrem letzten Aufenthalt an Bord da gelassen hat. Ich hoffe, Sie werden darunter etwas finden, was Ihnen Ihren Aufenthalt angenehmer macht, Miss Doyle.“

„Danke“, erwiderte Shannon und nahm zu seiner Linken Platz. Dan setzte sich ihr gegenüber.

„Möchten Sie Wein zum Essen?“

„Nein, danke.“

Dan schüttelte den Kopf.

Sie aßen überwiegend schweigend. Shannon war erschöpft. Seit ihrem frühmorgendlichen Spaziergang am Strand war viel Zeit vergangen. Sie konnte sich nicht entsinnen, wann sie jemals einen so anstrengenden Tag erlebt hatte. Jetzt wollte sie nur noch schlafen.

Sobald sie mit dem Essen fertig war, entschuldigte sie sich. Guardino gab einem der Stewarts ein Zeichen, sie zu ihrer neuen Kabine zu führen.

Kaum hatte sie die Kabine gesehen, wusste sie, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Es gab nur ein Bett. Es war zwar ein richtiges Bett, aber immer noch viel zu klein, um es mit Dan zu teilen. Die einzige Alternative bestand jedoch darin, auf dem Fußboden zu schlafen oder um eine Kabine für sich allein zu bitten.

Doch wenn Guardino annehmen musste, dass sie ihn in einer Sache belogen hatten, glaubte er womöglich, dass alles andere auch eine Lüge gewesen war. Das konnte sie nicht riskieren.

Das Bad war zumindest deutlich größer als in der anderen Kabine. Es war außerdem üppig mit Seifen, Shampoos und Duschgels bestückt. Sie beschloss, alles auszuprobieren, indem sie vor dem Zubettgehen duschte. Anschließend suchte sie in der Kabine nach Kleidungsstücken. Wenn sie Guardino richtig verstanden hatte, war dies die Kabine seiner Tochter.

Sie begann die Kommodenschubladen durchzusehen. In einer fand sie Unterwäsche – Slips, BHs, Unterkleider und Nachthemden.

Als sie eines herausnahm, um es näher zu betrachten, wurde ihr klar, dass sie ein junges, unschuldiges Schulmädchen im Sinn gehabt hatte. Doch wer immer diese Sachen zurückgelassen hatte, war keineswegs mehr ein Schulmädchen.

Shannon hielt ein verführerisches Nachthemd aus Spitze und Satin in den Händen. Dann hob sie einen der BHs hoch und war bestürzt. Nie und nimmer konnte sie diese Körbchen ausfüllen. Sie warf alles wieder zurück in die Schublade. In einer anderen Schublade entdeckte sie T-Shirts, Shorts und Jeans, die ihr zwar alle zu groß waren, aber nicht so riesig wie das Smokinghemd.

Sie nahm eines der weichen T-Shirts aus der Schublade. Das musste als Nachthemd reichen, da sie sich weigerte, in einem der aufreizenden Negligés mit Dan in einem Bett zu schlafen. Widerstrebend nahm sie einen Slip und ging wieder ins Bad, um sich umzuziehen.

Das T-Shirt reichte ihr bis zur Mitte der Oberschenkel. Nun, das war nicht zu ändern. Die Vorstellung, eines dieser durchsichtigen Nachthemden zu tragen, ließ sie erschauern.

Shannon ging zurück in die Kabine, kroch ins Bett und rutschte so weit wie möglich zur Wand. Sie ließ die Nachttischlampe an und war innerhalb weniger Minuten eingeschlafen.

Dan lehnte sich zurück und musterte seinen fürsorglichen Gastgeber, der am Beistelltisch hantierte.

„Ich biete Ihnen ständig etwas zu trinken an. Sind Sie Abstinenzler?“

Dan dachte an seinen Kater heute Morgen und hätte fast gegrinst. „Ich halte mich aus dem einfachen Grund zurück, weil ich nur sehr selten in meinem Leben keinen festen Boden unter den Füßen hatte. Daher riskiere ich lieber nichts. Vor allem, wenn das Meer immer aufgewühlter wird.“

Guardino lächelte. „Ein kluger Mann kennt seine Grenzen. Erzählen Sie mir, welchen Beruf Sie ausüben, Dan.“

„Momentan habe ich mich zur Ruhe gesetzt.“

„Tatsächlich? Sie scheinen mir dafür noch ein wenig zu jung zu sein. Was haben Sie davor gemacht?“

„Ich hatte eine Firma für Mikrochips. Wir haben Festplatten nach individuellen Wünschen konstruiert.“

„Ein guter Geschäftszweig mit guten Expansionsmöglichkeiten dank der technologischen Entwicklung.“

„Ganz meine Meinung.“

„Ich könnte einen guten Geschäftsmann in meiner Organisation gebrauchen. Vielleicht werden wir uns ja im Verlauf unserer kleinen gemeinsamen Reise einig.“

Dan grinste. „Darüber sollten wir ein andermal sprechen. Jetzt werde ich schlafen gehen.“ Er rieb sich den Kopf. „Diese Kopfschmerzen hören überhaupt nicht mehr auf.“

Guardino stand auf. „In Ihrer Kabine finden Sie sicher Schmerztabletten. Ich bitte Sie nochmals um Verzeihung für diese unnötige Grobheit. Sie sollen nicht den Eindruck bekommen, dass ich mein Unternehmen auf diese Weise führe.“

„Gott behüte.“ Dan stand ebenfalls auf. „Zeigt mir jemand, wo ich heute Nacht schlafen soll?“

„Bei Ihrer Verlobten, selbstverständlich“, antwortete Guardino. „Das war das Mindeste, was ich für Sie tun konnte, da ich offenbar Ihre Versöhnung gestört habe.“

Na fabelhaft, genau das, was ich brauche, dachte Dan. Na ja, ich kann mich bei ihr immer noch mit meinen Kopfschmerzen herausreden.

„Ich werde außerdem meine Garderobe durchsehen, ob ich etwas finde, was Ihnen besser passt. Wir müssten in etwa die gleiche Größe haben.“

„Danke.“

„Und jetzt lasse ich Sie zu Ihrer Kabine bringen.“

Als Dan vor der Tür stand, war er nicht sicher, ob er anklopfen oder einfach hineingehen sollte. Falls Shannon so müde war, wie es den Anschein gehabt hatte, schlief sie möglicherweise schon. In dem Fall wollte er sie nicht stören. Er zögerte, dann öffnete er leise die Tür und spähte hinein.

Sie hatte die Lampe neben dem Bett brennen lassen. Er vergaß jedes Mal, wie zierlich Shannon war, weil sie so eine starke Ausstrahlung hatte. Jetzt schaute er auf das Bett und schüttelte den Kopf.

Alles, was er gewollt hatte, war eine Auszeit. Er hatte sich auf Ruhe und Frieden gefreut, auf Einsamkeit und Entspannung.

Was hatte er verbrochen, dass man ihm so zusetzte? Der Einzige, der den Ärger offenbar wirklich verdient hatte, war Rick Taylor. Doch statt seiner war Dan der unfreiwillige Gast auf einer Jacht mit dem Ziel New Orleans. Außerdem kam ein tropischer Wirbelsturm auf sie zu. Sein Gastgeber, ein Mann, der andere Leute mit seinen bewaffneten Gangstern einschüchterte, bot ihm einen Job an, als müsste das Dan schmeicheln. Und als sei das noch nicht schlimm genug, teilte er jetzt das Schlafzimmer mit einer jungen Frau, die ihm seit ihrer ersten Begegnung das Leben schwer machte.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Von allen Komplikationen war dies diejenige, die er am wenigstens wollte. Denn sosehr er sich heute Morgen beim Aufwachen auch über sie geärgert hatte, im Lauf des Tages hatte er feststellen müssen, dass ihn ihre Nähe erregte.

Was sagte das über ihn aus?

Daran wollte er lieber nicht denken.

Na schön, er musste also das Bett mit Shannon Doyle teilen. Er schaute sich in der Kabine um. Wer immer sie eingerichtet hatte, hatte sich um Geld keine Sorgen machen müssen. Dan war gerade auf dem Weg zum Badezimmer, als er ein leises Klopfen an der Tür hörte. Er eilte zur Tür und öffnete sie.

Jemand von der Crew überreichte ihm einen Stapel Kleidung und entfernte sich wieder. Dan warf die Tür mit dem Ellbogen zu und legte die Kleidung hin. Guardino hatte sich für ihn ins Zeug gelegt. Es war Unterwäsche dabei, sogar in Dans Größe, Socken, Turnschuhe, die annähernd seine Größe zu haben schienen, außerdem eine Kakihose und einen Pullover.

Er fragte sich, ob Shannon auch so viel Glück gehabt hatte.

Allerdings war kein Pyjama bei den Sachen. Nicht, dass er je in seinem Leben einen besessen hätte. Guardino vermutlich auch nicht.

Dan schnappte sich einen Slip und ging ins Bad, um zu duschen. Er wusch außerdem seine klebrigen Haare, wobei er sorgsam auf die Beulen achtete. Er war froh gewesen, dass er die drei Typen nicht mehr gesehen hatte. Sonst hätte er sich vielleicht vergessen und versucht, es ihnen heimzuzahlen. Aber er musste sich zusammennehmen, denn andernfalls würde er unter Umständen ihrer beider Leben riskieren.

Dan trocknete sich ab, zog den Slip an und suchte nach Schmerztabletten. Er nahm zwei und ging ins Schlafzimmer zurück.

Shannon hatte sich nicht gerührt. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante, knipste das Licht aus und kroch unter die Decke. Im Liegen spürte er den schweren Seegang viel deutlicher.

Er konnte nur hoffen, dass sich die Lage morgen besserte.

Ein besonders harter Stoß gegen das Bett weckte Dan einige Zeit später auf. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Aber an den Blitzen draußen sah er, dass das Unwetter noch immer tobte. Er hörte das gleichmäßige Prasseln des Regens.

Dan rollte sich von der Seite auf den Rücken und sah zu Shannon. Sie saß aufrecht im Bett und klammerte sich an einen der Haltegriffe an der Wand.

„In der Position wirst du nicht viel Schlaf bekommen“, bemerkte er leise.

„Wenn ich loslasse, werde ich gegen dich geschleudert.“

„Ach? Na, wenigstens fällst du dann nicht aus dem Bett.“ Er tätschelte das niedrige Geländer entlang der Matratze und streckte den Arm aus. „Komm her.“

Ein weiterer Blitz erhellte die Kabine, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. Sie wirkte ängstlich, obwohl ihre Stimme ruhig geklungen hatte. Sie zögerte, dann ließ sie los und rollte an seine Seite.

Er hob den Arm, damit sie ihren Kopf an seine Schulter legen konnte. „Besser?“, fragte er leise.

„Viel besser.“

Sie trug eine Art Baumwollnachthemd, und dafür war Dan dankbar. Er hingegen hatte nichts weiter als den geborgten Slip an. Er musste sich auf das Unwetter draußen konzentrieren und darauf, nicht aus dem Bett zu fallen, statt auf die Tatsache, dass sich gerade eine äußerst attraktive Frau an ihn schmiegte.

„Bitte erzählen Sie mir, Miss Doyle, wie Sie in diese besondere Situation geraten sind“, forderte er sie im Tonfall eines Journalisten auf, der sie interviewte.

Sie lachte leise. „Das hast du dich vermutlich schon selbst gefragt.“

„Oh, ich weiß, wie ich hierher gekommen bin. Bei meinem Bemühen, eine schöne Maid zu retten, wurde ich vom Drachen überwältigt. Und du?“

„Ich fürchte, weil ich einem Freund einen Gefallen tun wollte.“

„Was für ein Freund?“

Sie antwortete nicht gleich. Doch als sie es tat, hatte er den Eindruck, dass sie etwas anderes sagte als ursprünglich beabsichtigt. „Ein Kollege in St. Louis, der mich bat, mich auf ein Blind Date einzulassen. Solche Sachen funktionieren nie.“

„Ich verstehe. Und Taylor war das Date.“

„Ja.“

„Wieso bist du überhaupt nach St. Louis gezogen?“

„Ich kam frisch vom College und wollte mehr von der Welt sehen als Texas. Ich erhielt ein Angebot als Schulungsleiterin und dachte mir, dass St. Louis ganz interessant sein könnte.“

„Und, war es das?“

„Ja. Es liegt nur fünf Autostunden von Chicago entfernt, und in die andere Richtung fünf Stunden von Memphis. An den Wochenenden bin ich immer losgefahren. Einmal besuchte ich Nashville, ein anderes Mal Louisville.“

„Allein?“

„Meistens. Manchmal fuhr eine Freundin mit, aber gewöhnlich blieben die lieber in der Stadt bei ihren Freunden.“

„Aber du nicht.“

„Ich habe meine Freiheit so genossen.“

„Wieso kann ich mich nicht an dich erinnern? Ich erinnere mich an Buddy, aber ich wusste nicht, dass er eine Schwester hat.“

„Kein Wunder“, erwiderte sie. „Ich bin fünf Jahre jünger als Buddy. Als ich noch ein unscheinbares Mädchen war, warst du schon der Star auf dem Campus. Ich bin nur wenigen Leuten aufgefallen.“

„Das kann ich nur schwer glauben.“ Sie hatte sich gedreht, sodass sie ihn ansah. Ihre Brüste berührten seinen Oberkörper. Er fühlte ihren Atem an seinem Hals, und ihr dezenter Duft – eine Mischung aus Kräutern und Blumen – reizte seine Sinne.

Wieso hatte er bloß gedacht, er könnte neben ihr liegen, ohne dass es eine Wirkung auf ihn hätte? Na gut, er hatte sich gründlich geirrt. Und was sollte er jetzt machen? Sie auffordern, auf ihre Seite des Bettes zurückzukehren? So, wie das Schiff schaukelte, war es ein Wunder, dass sie beide noch nicht aus dem Bett gefallen waren.

Dan musste lachen.

„Was ist so lustig?“

„Ich habe mir nur gerade ein Liebespaar bei seinen Bemühungen in diesem Sturm vorgestellt.“

Er spürte, wie sie für einen Moment erstarrte. Dann entspannte sie sich und nickte. „Dann sollte ich mich wohl ziemlich sicher fühlen.“

„Tust du das etwa nicht?“

„Hm, nicht ganz. Ich war noch nie in einer solchen Situation.“

„In einem Sturm auf offener See?“

„Das auch. Nein, ich … ich war noch nie mit einem Mann im Bett.“

Er stutzte einen Moment. Dann erklärte er: „Du kannst ganz beruhigt sein. Selbst wenn ich gewisse Absichten hätte, unter diesen Bedingungen hättest du nichts zu befürchten.“

„Was dich angeht, habe ich überhaupt nichts zu befürchten.“

„Ach? Gibt es einen besonderen Grund für diese Annahme?“

Sie hob den Kopf. „Du klingst ja beleidigt.“

„Nur zu deiner Information: kein Mann mag die Vorstellung, dass eine Frau ihn für völlig harmlos hält.“

„Du machst Witze, oder?“

„Absolut nicht.“

„Immerhin hast du mir deutlich zu verstehen gegeben, dass du lieber allein bist und meine Gegenwart nicht willst.“

„Das ging nicht gegen dich persönlich“, erklärte er. „Ich musste nachdenken, und zwar in Ruhe.“

„Und worüber?“

„Darüber, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will.“

„Deine Firma leiten, natürlich.“

„Nicht unbedingt. Ich spiele mit dem Gedanken, sie zu verkaufen.“

„Gut. Und dann?“

„So viel ist sicher: eine Weltumseglung plane ich nicht.“

Sie schmiegte das Gesicht an seine Schulter. Nach einer Weile sagte sie: „Nimmst du eigentlich nie etwas ernst?“

„Das ist eine gute Frage. Ich fürchte, in letzter Zeit habe ich mich ein wenig zu ernst genommen. Daher war es vielleicht keine schlechte Idee, dass du meine Haushälterin werden wolltest.“

„Vielen Dank. Siehst du, so schwer war das doch gar nicht, zuzugeben, dass ich etwas richtig gemacht habe.“

Dan streifte spielerisch ihre Lippen mit seinen. Trotz der ungewissen Lage, in der sie sich befanden, hatte er sich seit Monaten nicht so gut gefühlt wie jetzt. Und dafür war diese faszinierende Frau verantwortlich. Schon lange hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt.

Ihre zögernde, scheue Reaktion erstaunte ihn. Die Berührung ihrer Finger auf seiner Brust war, als würden Schmetterlingsflügel ihn streifen. Er küsste sie auf die Wange, spürte ihre seidenweiche Haut und war erfreut, als ihre Lippen sich seinen näherten.

Dieses stumme Einverständnis beruhigte Dan, und er begann, zärtlich an ihrer Unterlippe zu knabbern, ehe er mit der Zungenspitze darüber strich. Dann widmete er sich ihrer Oberlippe, bis er sich schließlich erlaubte, ihren leicht geöffneten Mund zu erforschen.

Shannon seufzte, ihre Zunge neckte und lockte ihn, bis er kaum noch atmen konnte.

Widerstrebend löste Dan sich schließlich von Shannon. „Das könnte gefährlich werden“, murmelte er und schmiegte seinen Kopf an ihren Hals. „Ich hätte das nicht tun sollen, aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir leidtut.“

Sie erbebte in seinen Armen. „Wir können ja so tun, als wären wir Teenager und würden auf dem Rücksitz eines Autos schmusen“, flüsterte sie.

„Dann würde ich aber hoffen, dass wir mehr anhaben als jetzt.“

Als seien seine Worte eine Einladung, streichelte Shannon seine Schulter und seinen Rücken, was seine Leidenschaft immer mehr anfachte.

„Du hast tatsächlich nicht viel an, oder?“, fragte sie leise und klang amüsiert.

„Nein. Unser Gastgeber hat mir ein paar Sachen geliehen, aber es war kein Pyjama dabei.“

„Du hättest mal sehen sollen, was ich gefunden habe – die aufregendsten durchsichtigen Nachthemden aus Satin und Spitze. Da fragt man sich, wie alt seine angebliche Tochter ist.“

„Oh, bitte, falls es dir nichts ausmacht, solltest du meine Fantasie damit lieber nicht anstacheln.“

Ihre Hand hatte den Gummizug seines Slips erreicht und hielt kurz inne. Dann wagten sich ihre Finger weiter vor, bis sie direkt auf dem eindrucksvollen Beweis seiner Erregung lagen. „Oh, was haben wir denn da?“

„Du weißt sehr gut, was das ist, auch wenn du noch nie vorher mit einem Mann im Bett gewesen bist!“

Langsam schob sie die Finger tiefer, bis sie einen behaarten Oberschenkel berührte.

„Shannon“, warnte er sie. „Du riskierst eine Explosion, die keiner von uns kontrollieren kann. Also nimm dich in Acht.“

Ihr helles Lachen hallte durch die Kabine. „Du hast keine Ahnung, wie sicher ich mich im Moment fühle.“ Sie küsste ihn. Ihr sinnlicher Mund reizte und quälte ihn, bis Dan die Führung übernahm.

Doch bevor das Ganze völlig außer Kontrolle geriet, setzte Dan sich auf. Das Schlingern der Jacht warf ihn aus dem Bett. Das Gewitter schien sich verzogen zu haben, denn nun gab es keine flackernden Blitze mehr, die die Kabine flüchtig erhellten.

„Dan?“

Er konnte Shannon nicht sehen, doch er hörte die Besorgnis in ihrer Stimme.

„Ich kann das nicht, Shannon. Ich bin kein Teenager, dessen Hormone so verrückt spielen, dass er alles andere vergisst. Stimmt es, dass du noch nie mit einem Mann geschlafen hast?“

Eine Weile herrschte angespannte Stille in der Kabine. Dann antwortete sie zögernd: „Ja.“

„Und ich habe keine Kondome bei mir. Ich kann nicht abstreiten, dass ich unheimlich gern mit dir schlafen würde. Aber unsere Lage ist etwas verzwickt. Ich hatte nie etwas für flüchtigen Sex übrig, und was ich jetzt empfinde, ist alles andere als flüchtig.“

Erneut herrschte Schweigen. Ein winziger Lichtschein – vermutlich vom Mond, der hin und wieder aus den Wolken hervorkommt, fiel durch die beiden Bullaugen. Das eine befand sich in der Nähe des Bettes, allerdings zu hoch, als dass Dan hätte erkennen können, ob Shannon saß oder lag.

Die Bewegung des Schiffes drückte ihn gegen die Wand, und plötzlich wurde er sich der Lächerlichkeit der Situation bewusst. Er saß wie eine scheue Jungfrau in der Ecke, während Shannon im Bett lag und auf ihn wartete.

Als könnte sie seine Gedanken lesen, fragte sie: „Glaubst du, ich versuche, dich zu verführen?“

„Das brauchst du gar nicht zu versuchen. Du bist eine wandelnde Versuchung, die kein Mann ignorieren kann.“

Darauf erwiderte sie nichts.

Er wünschte, er könnte ihr Gesicht sehen und wüsste, was sie dachte. Mittlerweile kam er sich wie ein kompletter Idiot vor, und ihm fiel absolut nichts ein, wie er die Situation entspannen konnte.

Shannon kniete auf dem Bett und war froh über die Dunkelheit in der Kabine. Zum ersten Mal verstand sie den Wirbel, der um Sex gemacht wurde. Nie zuvor in ihrem Leben war sie so erregt gewesen. Alles, was sie sich in diesem Moment wünschte, war, Dan Crenshaw in den Armen zu halten und jeden Zentimeter seines wundervollen Körpers zu mit Händen und Lippen zu liebkosen.

Mein Gott! Hatte sie völlig den Verstand verloren?

Aber selbst wenn sie diesem Mann vor zwei Tagen zum ersten Mal begegnet wäre und es ihre jugendliche Schwärmerei für ihn nicht gegeben hätte, wäre ihre Reaktion wohl genauso ausgefallen. Wenn sie dann all ihre Fantasien über Dan der letzten Jahre hinzunahm, wusste sie, dass sie in echten Schwierigkeiten steckte.

Das Problem war, dass noch nie ein Mann sie wirklich erregt hatte. Im Gegenteil, sie hatte die Küsse und Berührungen anderer Männer eher abstoßend gefunden. Als Dan sie nach dem Barbesuch geküsst hatte, bevor er tief und fest einschlief, hatte sie ihre heftige Reaktion auf ihre überreizten Nerven geschoben. Schließlich hatte sie noch nie einen Mann in einem Lokal angesprochen, um mit ihm nach Hause zu gehen.

Was würde sie jetzt tun?

Sie war froh, dass sie Dan erzählt hatte, sie sei noch nie mit jemand anderem zusammen gewesen. Er sollte nicht den Eindruck bekommen, als würde sie gleich mit jedem ins Bett hüpfen. Aber nachdem sie ihm so deutlich gezeigt hatte, wonach sie sich sehnte, hatte er offenbar einen zweifelhaften Eindruck von ihr.

„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte sie schließlich in die Dunkelheit hinein.

„Entschuldigen? Wofür?“

Sie dachte einen Moment nach. „Nun, wenn ich mehr Erfahrung hätte, würde ich besser verstehen, was hier vorgeht – und was du durchmachst. Was mich betrifft, weiß ich, wie frustrierend es ist.“ Ihre Haut prickelte vor Erregung, und ihr war gleichzeitig heiß und kalt. Außerdem war sie nicht sicher, ob sie lachen oder weinen sollte.

„Das alles war meine Schuld“, erklärte er. „Ich hätte niemals davon anfangen sollen, dass wir verlobt sind. Das war eine dumme Idee, und wenn ich mehr überlegt hätte, hätte ich es nicht gesagt. Aber jetzt ist es nun einmal so, dass wir uns bis zum Verlassen dieses Schiffes als Liebespaar ausgeben müssen.“

„Okay.“

„Und das bedeutet, dass wir dieses verdammte Bett miteinander teilen müssen.“

Sie wartete, doch da er nichts hinzufügte, sagte sie: „Okay.“

„Es war äußerst dumm von mir, zu glauben, ich könnte völlig ungerührt neben dir liegen.“

„Mich hat es auch nicht kalt gelassen.“

Er stöhnte. „Ich hätte die Nacht durchaus auch ohne dieses kleine Geständnis überstanden. Trotzdem danke, dass du es mir anvertraut hast.“

„Ich glaube, du nimmst die ganze Sache zu wichtig, Dan. Es ist völlig normal für zwei erwachsene Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen, dass sie miteinander schlafen wollen. Gehört das nicht zu unseren Urinstinkten?“

„Oh ja, und wie. Bisher hatte ich allerdings den Eindruck, diese Urinstinkte kontrollieren zu können. Und dann kamst du.“

„Nein, Dan“, widersprach sie leise. „Das kannst du noch immer sehr gut beherrschen. Sonst würdest du jetzt nicht so weit weg von mir sein.“

„Diese Distanz zwischen uns ist momentan alles, was mich davon abhält, wild und leidenschaftlich mit dir zu schlafen, Miss Doyle.“

Sie lächelte. Aus seinem Mund klang das wie eine Drohung. Sie hingegen fand die Vorstellung wunderbar.

6. KAPITEL

Als Shannon am nächsten Morgen aufwachte, war sie allein.

Dan hatte sich letzte Nacht nach ihrer Unterhaltung angezogen und die Kabine verlassen. Falls er irgendwann in der Nacht zurückgekommen war, hatte sie ihn jedenfalls nicht gehört.

Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Als sie kurz durchs Bullauge spähte, sah sie, dass die Sonne hinter dicken Regenwolken verborgen war. Es konnte früher Morgen oder bereits Mittag sein.

Sie schaute in den Schrank und entdeckte zu ihrer Freude eine lange Hose und langärmelige Hemden darin. Es hätte sie auch nicht sonderlich überrascht, wenn sie hautenge Cocktailkleider darin gefunden hätte.

Die Sachen waren wie gehabt ein paar Nummern zu groß für sie, aber das war egal. Zu einer der Hosen gehörte ein Gürtel, den sie enger machen konnte. Und die Hemdärmel konnte sie hochkrempeln.

Nachdem Shannon sich angezogen hatte, machte sie sich auf die Suche nach Frühstück.

Das Esszimmer war leer, doch hörte sie Stimmen aus der Lounge kommen. Sie spähte hinein und sah Guardino und Dan, die an den Bullaugen standen und Kaffee aus großen Bechern tranken, während sie sich unterhielten.

Shannon sah die Kaffeekanne auf der Bar und ging darauf zu. Sie hoffte inständig, dass die Männer ihr Kaffee übrig gelassen hatten.

„Guten Morgen, Miss Doyle“, begrüßte Guardino sie, als sie zur Tür hereinkam. „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.“

Sie warf Dan, der sich nicht rasiert hatte, einen raschen Blick zu. Seine Haare sahen aus, als hätte er sie lediglich mit den Fingern gekämmt, und seine Kakihose war zerknittert.

Er hatte sich wieder in einen Strandräuber verwandelt.

„Ja, danke“, antwortete sie, was auch der Wahrheit entsprach.

Erneut sah sie zu Dan. Er wich ihrem Blick aus und hob den Becher an die Lippen. Sie wandte sich ab und goss sich ebenfalls einen Becher voll.

„Ich habe mit dem Kapitän gesprochen“, berichtete Guardino. „Er glaubt, das Unwetter wird bald nachlassen. Der Wetterdienst meint, dass sich der Wirbelsturm abgeschwächt hat.“

„Das klingt beruhigend“, erwiderte sie, ging mit ihrem Kaffee zu dem langen Sofa und setzte sich.

„Ich habe nachgedacht“, sagte Dan irgendwo hinter ihr. „Es besteht kein Grund für Sie, uns nach New Orleans mitzunehmen. Sie könnten uns in Galveston an Land gehen lassen. Es liegt sogar auf ihrem Weg. Sie brauchten nicht einmal am Ufer anlegen, sondern könnten uns von einem Mitglied Ihrer Crew mit einem Beiboot hinbringen lassen.“

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass Sie sich nichts aus meiner Gastfreundschaft machen“, meinte Guardino.

Dan ging um das Sofa herum und setzte sich ans andere Ende. „Was das angeht, hatten wir kaum eine Wahl, wie Sie wissen. Wir haben Familien, die sich Sorgen machen werden, wenn sie nichts von uns hören.“

„Beabsichtigen Sie, ihnen mitzuteilen, wo Sie waren?“

Shannon warf Dan einen strengen Blick zu, doch seine Miene verriet nichts.

„Dazu besteht kein Anlass, da wir weniger als vierundzwanzig Stunden fort sind.“

„Wie wollen Sie von Galveston zurückkommen?“

Dan lächelte. „Ich dachte mir, Sie geben uns genug Geld, damit wir uns einen Wagen mieten können.“

„Ich werde mit dem Kapitän sprechen und ihn fragen, wie lange er bis nach Galveston braucht. Möglicherweise haben Sie eine Lösung gefunden, die uns alle zufriedenstellt.“

Nach einer kurzen Unterhaltung per Bordtelefon legte Guardino auf und sagte: „Sind Sie bereit für das Frühstück?“

Da Danny nicht antwortete, stand Shannon auf und meinte: „Das klingt sehr gut.“

Das Frühstück wurde im Salon serviert, und niemand sprach, bis der Tisch wieder abgeräumt war.

„Übrigens“, sagte Guardino schließlich, „mir ist aufgefallen, dass Sie gar keinen Verlobungsring tragen. Warum nicht?“

Oje, daran hatte sie gar nicht gedacht. Dies war kein günstiger Zeitpunkt, ihrem Gastgeber zu gestehen, dass sie ihn belogen hatten. Aber Shannon fiel einfach keine plausible Erklärung ein.

Wieder einmal rettete Dan sie. „Sie hat von mir den Verlobungsring meiner Mutter bekommen. Er wird gerade geändert. Wenn wir wieder in Austin sind, können wir ihn abholen.“

„Ich verstehe. Und wann wird das sein?“

„Nun, zunächst muss ich auf die Insel zurück, weil ich mich noch um ein paar Kleinigkeiten zu kümmern habe. Danach werden wir uns auf den Weg Richtung Norden machen.“

„Gibt es schon ein Datum für die Hochzeit?“

Dan sah zu Shannon.

„Wir sind uns noch nicht einig“, improvisierte sie. „Es ist schwer zu entscheiden, bevor wir nicht mit unseren Freunden und der Familie gesprochen haben.“

„Aber ich hoffe doch, die Hochzeit findet bald statt“, meinte Guardino.

„Bald?“, wiederholte sie.

„Ich schätze die moderne Einstellung nicht, dass man schon vor der Ehe zusammenlebt. Ich habe dafür gesorgt, dass meine Tochter als Jungfrau in die Ehe ging.“ Er lächelte. „Sie und ihr Mann bekommen im nächsten Frühjahr ihr erstes Kind. Letzten Sommer haben sie hier auf der Jacht ihre Flitterwochen verbracht.“

Grundgütiger, es sind wirklich die Sachen seiner Tochter, dachte Shannon.

Das Telefon summte, und Guardino nahm den Hörer ab. Dann legte er wieder auf und verkündete: „Offenbar haben Sie beide Glück. Der Kapitän hat mir eben mitgeteilt, dass wir in etwa zwei Stunden in Galveston sein können.“ Er wandte sich an Dan. „Ich bin sehr froh, wie Sie diese Angelegenheit geregelt haben, Dan – ich hoffe, ich darf Sie so nennen. Ich habe jetzt einen Eindruck von Ihrem Charakter gewonnen.“ Er sah zu Shannon. „Sie sind vielleicht ein wenig hitzköpfig. Aber ich verstehe Ihre Angst, sie zu verlieren, nach allem, was Sie ihretwegen durchmachen mussten.“

Shannon hob die Brauen.

„Weglaufen ist keine Lösung“, erklärte er. „Ich hoffe, Sie haben gelernt, dass Sie sich den Problemen stellen müssen.“

„Oh, ja, natürlich. Ich stimme Ihnen vollkommen zu.“

„Sie hätten sich nicht mit Rick Taylor einlassen dürfen. Er hat einige sehr schlechte Angewohnheiten entwickelt.“

„Ja, das muss er wohl, wenn Sie auf der Suche nach ihm sind.“

„Ich werde ihn schon finden. Ich brauchte ohnehin ein bisschen Urlaub, somit ist diese Reise nicht vergebens. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Ihre gemeinsame Zeit unterbrochen habe.“

„Sicher“. Shannon wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte. „Tja, wenn Sie mich dann entschuldigen würden. Ich werde mir überlegen, was ich für Galveston anziehe.“

Guardino winkte ab. „Machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Meine Tochter wird nichts von ihren Sachen vermissen. Bedienen Sie sich ruhig.“ Er wandte sich wieder an Dan. „Sie auch. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Oh, da fällt mir ein …“ Er holte seine Brieftasche hervor. „Damit müssten Sie problemlos auf die Insel zurückkommen.“

Er reichte Dan das Geld. Shannon versuchte, nicht auf die Hunderter zu starren, die er Dan gab.

„Danke.“

Dann drückte Guardino ihm noch ein Stück Papier in die Hand. „Gehen Sie zu dieser Autovermietung. Ich weiß, dass Sie keine Kreditkarte und keinen Ausweis bei sich haben. Dort wird man Ihnen trotzdem einen Wagen geben. Außerdem habe ich Rasierzeug in Ihre Kabine bringen lassen.“

Dan rieb sich grinsend das Kinn. „Nochmals danke.“

„Wenn Sie beide mich jetzt entschuldigen würden, ich muss mich noch um ein paar Geschäfte kümmern. Falls wir uns nicht wieder sehen, wünsche ich Ihnen eine angenehme Rückreise zur Insel.“

Dan folgte Shannon in ihre Kabine. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, fragte sie: „Was hat das zu bedeuten?“

„Er musste eine Entscheidung treffen, was uns anging. Und er entschied, dass wir ihm über keinen Ärger machen werden, womit er vollkommen recht hat.“

„Wieso hat er dir so viel Geld gegeben?“

„Wer weiß? Für ihn ist das wahrscheinlich nicht viel. Wie hat dir der kleine Vortrag über die Einstellung zur Ehe gefallen?“

„Um ehrlich zu sein, ich stimme Guardino zu. Nicht, dass ich mir jemals großartig Gedanken darüber gemacht habe. Aber ich finde, die Risiken sind zu groß, um achtlos zu sein.“

„Freut mich, das zu hören. Ich hatte schon den Eindruck, dass ich dich letzte Nacht enttäuscht habe.“

Shannon errötete. „Keineswegs“, erwiderte sie verlegen.

„Hätten wir Kondome gehabt, wäre ich sicher nicht so nobel gewesen.“

Sie grinste. „Ich bin froh, dass wenigstens einer von uns einen kühlen Kopf behalten hat. Jetzt kann ich ja zugeben, dass es mit mir ein wenig durchgegangen ist.“

„Wirklich? Darauf wäre ich nie gekommen.“ Er rieb sich erneut das Kinn. „Du und Guardino, ihr verwandelt mich am Ende wieder in ein präsentables menschliches Wesen.“

„Ich habe dir nicht gesagt, dass du dich rasieren sollst.“

„Nicht mit Worten. Aber deine Blicke sprechen Bände.“

„Tatsächlich?“

„Jetzt, zum Beispiel.“ Er kam näher.

„Ja?“ Sie legte den Kopf zurück, um den Blickkontakt aufrechtzuerhalten. „Und was genau sagen sie?“

Er grinste, legte den Arm um sie und drückte sie an sich. „Dass du meine Selbstbeherrschung zu schätzen weißt – innerhalb gewisser Grenzen.“

Sein Kuss war diesmal alles andere als zögernd, sondern Ausdruck seiner glühenden Begierde. Und dieses Feuer griff sofort auf Shannon über. Ihr letzter Gedanke, bevor sie sich ganz diesem Kuss hingab, war, dass sie besser darauf achten sollte, was ihre Blicke ihm sagten – denn offenbar konnten sie ein Geheimnis nicht für sich behalten.

Um ein Uhr erreichten Dan und Shannon mit der Barkasse den Hafen von Galveston. Der starke Wind trieb den Regen landeinwärts. Glücklicherweise hatte Guardino, den sie nicht mehr gesehen hatten, nachdem sie in ihre Kabine gegangen waren, ihnen Öljacken mit Kapuzen bringen lassen.

Dan war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Er schaute die Straße entlang. Bei diesem Wetter herrschte nicht viel Verkehr, zumal jetzt keine Urlaubssaison war. Er sah Shannon an.

„Alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte er sich und versuchte, sie gegen den Wind zu schützen.

„Mir ging es schon besser“, gestand sie. „Was machen wir jetzt?“

„Ich schlage vor, wir halten nach einem Taxi Ausschau. Ich habe nicht einmal Kleingeld, um anrufen zu können. Vielleicht sollten wir lieber nach einer Bank oder einem Laden suchen, wo wir einen dieser Scheine wechseln können.“

„Ich kann es nicht glauben, dass er uns hat laufen lassen.“

Dan lachte. „Ach, das Problem ist, dass wir zu viele Filme über Leute wie ihn gesehen haben. Er hat seinen eigenen Ehrenkodex. Dass er sein Geld von Rick zurückhaben will, kann man ihm kaum übel nehmen.“

„Aber ist das zu glauben, dass er einen solchen Aufwand betreibt, um mich zu finden? Dass er meine Familie aufsucht und meine Spur bis zur Insel verfolgt? Das ist beängstigend.“

Sie setzten ihren Weg fort, während sie sprachen. Dan entdeckte ein Restaurant an der nächsten Ecke. „Lass uns etwas essen. Die nehmen unser Geld bestimmt.“

„Wir sehen aus wie zwei ertrunkene Ratten“, meinte Shannon. Die Turnschuhe an ihren Füßen waren einige Nummern zu groß, aber es war immer noch besser, als barfuß zu laufen. Als sie das Restaurant erreichten, war Dan dankbar, dass sie einen trockenen Platz gefunden hatten.

Sie zogen ihre Mäntel aus, hängten sie auf und folgten einer Empfangsdame zu einem der Tische.

Die Kellnerin erschien mit Kaffee. Dan und Shannon bestellten sich je ein Sandwich. Nachdem die Kellnerin fort war, tranken sie schweigend ihren Kaffee.

Nach einer Weile sagte Dan: „Weißt du, Shannon, wenn ich schon entführt werden musste, bin ich froh, dass es mit dir zusammen war. Trotz deiner Angst hast du dich hervorragend verhalten.“

Sie hielt den Kaffeebecher in beiden Händen und sah erstaunt auf. „Ein Kompliment? Von dir? Ich bin sprachlos.“

Er grinste. „Das möchte ich erleben. Ich will damit nur sagen, dass es viel schlimmer hätte kommen können. Aber jetzt sind wir in Sicherheit.“

„In Sicherheit und mehrere Stunden von der Insel entfernt.“

„Man kann eben nicht alles haben.“

Die Kellnerin kam mit ihren Sandwiches, und sie aßen schweigend. Als Shannon fertig war, lehnte sie sich mit einem Seufzer der Zufriedenheit zurück. „Ich würde gern aus der nassen Jeans herauskommen, aber ich bin schon froh, dass ich nicht mehr meinen Bikini anhabe.“

„In dem Outfit würdest du überall Aufsehen erregen.“

Autor

Annette Broadrick
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