Mach mich verrückt - nach dir!

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Sommer in New York: An der Bar eines Luxushotels begegnet May dem attraktiven Schriftsteller Beck Desmond. Für seinen neuen Roman braucht er dringend Nachhilfe in Sachen Sex - und zwar von ihr persönlich! Ehe sie sich versieht, steckt sie mitten in dem erregendsten Abenteuer ihres Lebens ....


  • Erscheinungstag 24.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777791
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nachricht an alle Mitarbeiter

Von: Janice Foster, Hoteldirektorin

Datum: Sonntag, 6. Juli

Betreff: Trevor Little

Mr. Trevor Little wird diese Woche wieder einen Gast mitbringen. Bei den Geschenken werden wir die übliche Reihenfolge einhalten: montags Blumen, dienstags Einladung zum Wellness-Programm, mittwochs Armband, donnerstags Negligé, freitags die Schokoladenskulptur.

Zur Erinnerung: Bitte behandeln Sie den Gast mit absoluter Höflichkeit, und lassen Sie nicht den Eindruck entstehen, Sie hätten Mr. Little schon früher bei uns gesehen. Wie gewöhnlich sind Anrufe zu seinem Anrufbeantworter weiterzuleiten. Falls jemand nach Mr. Little fragt, antworten Sie, er sei hier nicht registriert.

Zettel am Schwarzen Brett:

Dieses Mal macht jemand anderes sein Zimmer sauber! Das letzte Mal musste ich es machen! Igitt!

May hatte Trevor Little vor einem Monat kennen gelernt. Er hatte in Milwaukee ein Fest der Universität von Wisconsin besucht und einen seiner alten Professoren des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften treffen wollen. May war die Sekretärin des Dekans der Fakultät.

Es hatte sofort zwischen ihnen gefunkt. Sie waren einander kaum vorgestellt worden, als er sie auch schon zum Kaffee eingeladen hatte. Dann zum Essen. Dann in sein Hotelzimmer – was sie abgelehnt hatte, obwohl sie sehr in Versuchung gewesen war. Wann hatte je ein Mann sie so stürmisch umworben? Nachdem er die Stadt verlassen hatte, war sie von ihm mit E-Mails überhäuft worden. Er hatte sie immer wieder angerufen, bis die Gespräche mit ihm einfach zu ihrem Tagesablauf gehörten. Ein paar Monate zuvor erst hatte Dan nach sechs gemeinsamen Jahren mit ihr Schluss gemacht. Trevor war Mays Lichtblick, der Mann, der sie aus ihrer Trauer aufgerüttelt hatte. Dan hatte gesagt, die Beziehung mit ihr sei ihm zu eintönig geworden.

Zu eintönig? Das Leben war keine Kette von Abenteuern! Man arbeitete, man kam nach Hause, bekam Kinder, zog sie groß, ging in Rente und starb. Wenn man das Leben wirklich genießen wollte, musste man Abenteuern aus dem Weg gehen.

Zugegeben, gerade erlebte sie eins. Wahrscheinlich hatte sie sich nur darauf eingelassen, weil sie sich darüber ärgerte, wie Dan sie sah. Langweilig und berechenbar? Diese Woche nicht, Liebling! Dan war der einzige Mann, mit dem sie bisher zusammen gewesen war, und sie war neugierig. Trevor war unglaublich attraktiv, und er musste mindestens Millionär sein. Ganz plötzlich hatte er sie dazu eingeladen, eine Woche mit ihm im Hotel Hush in Manhattan zu verbringen.

May war die Luft weggeblieben, als sie sich die Beschreibungen und die Bilder des Hotels im Internet angesehen hatte. Das luxuriöse Ambiente, die Betonung der Diskretion – das alles imponierte ihr. Als sie die Preise studiert hatte, war ihr fast das Herz stehen geblieben. Eine vierköpfige Familie konnte einen Monat von der Summe leben, die eine Übernachtung kostete.

Und nun war sie auf dem Weg zu ihrem erotischen Abenteuer. Danach würde sie zu ihrem langweiligen alten Leben zurückkehren. Es war ihr zwar vorher gar nicht wirklich langweilig vorgekommen, nur manchmal hatte sie flüchtig gedacht, das könne doch wohl nicht alles gewesen sein. Aber sie hatte das für normal gehalten. Ihre Mutter hatte versucht, ihre Träume zu verwirklichen, und war nach New York gegangen. Sie hatte herausgefunden, wie das Leben einer Tänzerin bei den Rockettes, eine Tanztruppe, war: harte Arbeit, mal lustig, mal anstrengend, ab und zu aufregend, hin und wieder enttäuschend. Genau wie alles andere auch.

Vielleicht war es das, was Dan begreifen musste. Vielleicht würde er dann zu ihr zurückkommen. Vielleicht würde diese Woche alles für immer verändern.

May war erst vor einer Stunde mit dem Flugzeug in New York eingetroffen und noch ganz überwältigt von der Größe dieser Stadt, momentan besonders von den unglaublich vielen Menschen hier im Bahnhof Penn Station. Bis hierher hatte sie es geschafft. Nun auch noch ein Taxi zu finden, das sie zu ihrem Hotel brachte, war eine ziemliche Herausforderung, der sie sich jedoch entschlossen stellen wollte.

May drängte sich durch die Menschenmassen, stieß gegen jemanden, wich zurück, stieß dabei wieder gegen jemanden. „Tut mir Leid, Entschul…“

„Pass auf, wo du hinläufst, Süße!“

Süße? May schnitt dem Anzugträger vor ihr eine Grimasse. Dann fiel ihr ein, dass Großstädterinnen so etwas sicher nicht taten. Wahrscheinlich sollte sie ihm den erhobenen Mittelfinger zeigen, aber das brachte sie nicht über sich.

Sie musste wohl Veronica Lake werden, um hier zurechtzukommen. Ihr Leben lang hatte May gegen ihre Schüchternheit ankämpfen müssen. Ihre Lieblingstaktik bestand darin, Schauspielerinnen aus alten Filmen zu imitieren. Einmal hatte ihre Mutter ihr gesagt, mit ihrem langen blonden Haar sehe sie ein bisschen wie Veronica Lake aus, und so hatte sie ihr Vorbild gefunden.

Also los, Veronica!

May richtete sich auf, marschierte geradeaus und hielt dabei unauffällig Ausschau nach Schildern und Wegweisern. Siebente Avenue, Achte Avenue – welcher Ausgang war der richtige?

Sie entschied sich für den Ausgang zur Siebenten Avenue. Hier sollte es einen Taxistand geben, hatte Trevor gesagt. Richtig, da war der Taxistand. Und jede Menge Leute, die da anstanden.

Veronicas Siegerinnenlächeln bröckelte ein wenig. Wartete etwa halb New York hier auf ein Taxi? Es würde Stunden dauern, bis sie eins bekam!

Hoch aufgerichtet ging sie zum Ende der Warteschlange. Veronica tat das schließlich jeden Tag. Kein Problem. Das war ihre Stadt. Sie kam gerade von einem aufregenden Wochenende in Princeton zurück. Es sollte ihr besser niemand in die Quere kommen.

May bemerkte, wie warm es hier war, jedenfalls im Vergleich zu Oshkosh in Wisconsin, wo sie herkam. Es war erst Anfang Juli, aber die Sonne stand hoch am Himmel und schien erbarmungslos auf sie herunter. Autos hupten, die Trillerpfeife des Mannes, der die Leute zu Taxis dirigierte, schrillte fast ununterbrochen. Zigarettenqualm wehte May ins Gesicht. Schweiß perlte auf ihrem Gesicht, und ihr brach der Schweiß aus. Na wundervoll! Sie hoffte nur, dass sie im Hotel noch duschen könnte, bevor Trevor eintraf.

Ein Adrenalinstoß durchfuhr sie. Dies war kein Film, sondern Realität. Sie würde ihn wirklich hier treffen, wirklich mit ihm ins Bett gehen! Sie würde wirklich den Luxus und die Pracht genießen, von denen andere Menschen nur träumten.

Je näher sie dem Mann mit der Trillerpfeife kam, desto aufgeregter wurde sie.

Endlich war May an der Reihe. Das Taxi fuhr an den Rinnstein. May wuchtete ihren Koffer hinein, glitt auf die Rückbank und registrierte sofort, dass es keine Klimaanlage im Wagen gab.

Sie sah die dunklen, müden Augen des Fahrers im Rückspiegel. „Wohin?“

May schenkte ihm ihren hochmütigsten Filmstar-Gesichtsausdruck. „Ins Hotel Hush.“

Der Fahrer stutzte und drehte sich zu ihr um. Dann zwinkerte er ihr zu, sah wieder nach vorn und fädelte sich mit seinem Fahrzeug in den dichten Verkehr. Eine Viertelstunde lang klickte das Taxameter hastig vor sich hin, während der Fahrer sein Möglichstes tat, um in keinen schweren Unfall verwickelt zu werden.

Große Güte, diese Stadt war gigantisch! Sie war voll gestopft mit Menschen. Wie konnte es irgendjemand ertragen, den ganzen Tag in New York unterwegs zu sein? Kein Wunder, dass es hieß, die New Yorker seien hart im Nehmen. Man brauchte Nerven wie Drahtseile, um auch nur über die Straße zu gehen!

Mit einem letzten haarsträubenden Manöver kam das Taxi schließlich ruckartig vor dem überdachten Eingang des Hotels zum Stehen.

„Da wären wir“, sagte der Fahrer.

May zückte ihre Brieftasche. Wie viel Trinkgeld war zu viel? Wie viel war zu wenig? Besser zu viel als zu wenig, entschied sie. Immerhin hatte der Mann ihr deutlich gemacht, wie sehr sie an ihrem Leben hing.

Nickend nahm er die Geldscheine entgegen.

Die Wagentür öffnete sich, ein attraktiver Mann in einer schwarzen Uniform hielt ihr die weiß behandschuhte Hand hin. Über der Brusttasche war in leuchtendem Pink der Hotelname eingestickt.

Zögernd nahm May seine Hand, stieg aus und kam aus der nach Abgasen riechenden Luft in einen warmen Wind, der ihre Frisur zu zerzausen drohte.

„Guten Tag, Ma’am. Herzlich willkommen im Hotel Hush.“ Der Mann musste brüllen, denn in der Nähe lärmte ein Presslufthammer.

May nickte ihm kühl zu, denn sie wollte nicht ebenfalls schreien. Sie nickte auch dem anderen Uniformierten zu, der ihren Koffer aus dem Taxi holte.

Der Presslufthammer ratterte wieder. Ein Hotelangestellter pfiff nach einem weiteren Taxi. Hinter May brüllte jemand. Auf der Straße kam ein Krankenwagen mit heulenden Sirenen näher, Autos hupten, als ihre Fahrer versuchten, Platz zu machen. Es gelang May, sich zu beherrschen und nicht durch die Glastüren ins Innere des Hotels zu flüchten. Trotzdem ging sie etwas schneller, als Veronica Lake es getan hätte.

Ein Hotelangestellter mit mächtig breiten Schultern hielt die schwere Glastür für sie auf. May trat ins Innere und wünschte sich sofort, eine Berühmtheit zu sein, die ihren Pelzmantel einfach elegant in die Hände des Personals gleiten ließ. Dann würde sie anfangen zu singen, und die uniformierten Männer wären der Chor, ganz wie in einem alten Film.

Was für ein Hotel!

Kühle Luft wehte durch die Lobby, es duftete dezent nach frischen Kräutern. Nur wenige Leute waren zu sehen, einige kamen anscheinend gerade an, andere reisten ab. Die Frau an der Rezeption hatte rosa Haare, die zum pinkfarbenen Schriftzug des Hotels passten.

Es war angenehm still hier, und May war sehr dankbar dafür. Die Anspannung ließ nach. Trotzdem wirkte sie wahrscheinlich völlig verkrampft, als sie über den prächtigen Teppich zum Empfang ging. Hinter der schwarz lackierten Empfangstheke stand das Wort „Hush“ in altmodischen rosa Buchstaben an die Wand geschrieben.

May nannte ihren Namen und bemühte sich, gelangweilt auszusehen. Hallo, ich bin May Hope Ellison. Ich bin hier, um eine Woche lang Sex mit einem Mann zu haben, den ich kaum kenne.

Die Registrierung verlief schnell und problemlos, die Empfangsdame war professionell und herzlich. Sie reichte May lächelnd eine Schlüsselkarte und wies ihr den Weg zum Aufzug. Ein umwerfend gut aussehender Page trug ihren Koffer, während May an weiteren einladend wirkenden Sitzgruppen, großen Spiegeln und einer schönen schwarzen Katze mit pinkfarbenem Halsband vorbeiging.

Im Aufzug versuchte sie, das Zittern ihrer Knie zu ignorieren. Der Page drückte einen Knopf, der die Nummer vierzehn trug, und dieser leuchtete pink auf.

Zehn … elf … zwölf … dreizehn … vierzehn, sie waren angekommen. May trat aus dem Aufzug und starrte blind die Hinweisschilder an der Wand an. Ihr Zimmer hatte die Nummer 1457. Aber in welcher Richtung lag es?

Der gut aussehende Page räusperte sich und zeigte nach links. May lächelte und dankte ihm. Ihre Stimme klang sogar fast normal dabei.

Sie erreichte die Tür mit der Nummer 1457 und steckte ihre Schlüsselkarte in den Schlitz. Ein grünes Licht leuchtete. Die Tür öffnete sich. May ging hinein.

Niemand da.

May sah, dass die Tür des Badezimmers offen stand, und ging hin.

Niemand drinnen.

Dem Himmel sei Dank! dachte May.

Sie schenkte dem Pagen ein strahlendes Lächeln und reichte ihm einen Fünfdollarschein, was in ihren Augen ein verschwenderisches Trinkgeld war. Vermutlich hielt er sie trotzdem für ein geiziges Landei. Er nahm jedoch den Geldschein, verbeugte sich, eilte davon und schloss die Tür leise hinter sich.

So!

Die Panik fiel von ihr ab. Sie machte sich daran, ihr Heim für die nächsten sieben Tage zu erkunden.

Ein großes Bett mit geschnitztem Kopfteil dominierte den Raum. May ließ sich auf die dicke burgunderrote Tagesdecke fallen. Ganz still lag sie und genoss das weiche Kissen unter ihrem Kopf. Dann streckte sie den Arm über die leere Betthälfte aus und stellte sich vor, Trevor wäre da.

In Mays erwartungsvolle Spannung mischte sich überraschenderweise ein wenig Sehnsucht nach Dan. Sie legte die Hand auf ihr Dekolleté, wo sie noch immer den Anhänger einer Halskette vermisste, die Dans Großmutter gehört hatte.

Genug! May richtete sich auf und trat auf den dicken cremefarbenen Teppich mit der burgunderroten Borte. Ein Strauß roter Rosen in einer Kristallvase stand auf einem kleinen Tisch vor dem Fenster. Sie ging hinüber und fand eine Karte.

Kann es nicht erwarten, Dich zu sehen. Trevor

Lächelnd nahm May die Karte und fuhr sich damit übers Kinn. Dan gehörte in ihre Vergangenheit und vielleicht auch in ihre Zukunft. Aber hier und jetzt existierte er nicht. Es würde eine wunderbare Woche werden.

Sie hob die Gardine und blickte auf die Straße hinunter. Menschen hasteten vorbei. Es war so friedlich hier, weit weg von Lärm und Hektik. Sie ließ den Vorhang wieder fallen.

Was gab es noch? May öffnete eine Tür in einer Schrankwand und fand einen Fernseher, der doppelt so groß war wie ihr eigener, komplett mit DVD-Player und einer Kamera, damit man seine eigenen Aufnahmen machen konnte.

Links davon standen auf einem lackierten Tablett importiertes Mineralwasser und Eis. Eine Schale mit Obst, ein kleiner Korb mit frischen Brötchen und Crackern. In der Minibar entdeckte May neben diversen Getränken auch französischen Käse, Pasteten und Austern.

Ginny würde ausrasten! May nahm sich vor, sich alles einzuprägen, damit sie ihrer Freundin davon erzählen konnte. Sie war hier im Paradies, zumindest für eine Weile.

Die große Badewanne im Bad war gleichzeitig ein Whirlpool. Es gab flauschige Bademäntel, einen Korb mit teuren Kosmetikartikeln, Körperlotionen, Shampoos und Seifen – alles Marken, die in Oshkosh unbekannt waren.

Ein Traum! Kurz entschlossen ließ May Wasser in die Badewanne laufen. Das war es, was sie jetzt brauchte. Ein Bad, um den Schweiß loszuwerden, die Stadtgerüche und den Zigarettenrauch. Und wenn Trevor ankam, während sie noch in der Wanne saß, umso besser …

May lächelte und ging zurück ins Zimmer, um sich auszuziehen. Sie bemerkte ein blinkendes Licht an dem altmodisch aussehenden Telefon. Eine Nachricht von Trevor? Sie nahm den Hörer ab und begann, ihre Frisur zu lösen. Ihr langes Haar floss ihr über den Rücken. Sie lächelte sinnlich.

Es klickte in der Leitung, eine Nachricht wurde abgespielt. Trevors Stimme ertönte.

May hörte zu. Sie wählte Wiederholung, als eine Computerstimme ihr diese Möglichkeit anbot. Nur für den Fall, dass sie sich verhört hatte.

Sie hatte sich nicht verhört.

Trevor kam nicht.

2. KAPITEL

Nachricht an alle Mitarbeiter

Von: Janice Foster, Hoteldirektorin

Datum: Montag, 7. Juli

Betreff: Beck Desmond

Die meisten von Ihnen wissen schon, dass wir den Schriftsteller Beck Desmond im Zimmer 1217 beherbergen. Ich erinnere noch einmal daran, dass es untersagt ist, ihn um ein Autogramm zu bitten. Es ist eine Ehre für uns, dass er sich auch für seinen nächsten Thriller von unserem Hotel inspirieren lassen will. Jeder Angestellte, der ihn stört, wird sofort in die Haustierabteilung versetzt und mit der Abfallentsorgung beauftragt.

Notiz für Shandi Fossey, Barfrau in der Erotique Bar: Versuch, mir ein Autogramm von ihm zu beschaffen. Janice

Die Entfernung zwischen dem Fenster und der Tür im Zimmer 1457 betrug zehn Schritte. Nach einigen Minuten hatte May das herausgefunden. Die Entfernung zwischen der Wand mit dem Schreibtisch und der Wand, an der das Bett stand, betrug acht Schritte.

May war zu dem Schluss gekommen, dass Männer, die sie über den halben Kontinent fliegen ließen, um dann mit einer lahmen Ausrede zu kneifen, zur Hölle fahren sollten.

Sie hatte versucht, Trevor anzurufen, aber nur seinen Anrufbeantworter erreicht. Mit gebrochener Stimme hatte sie eine Nachricht hinterlassen: Er solle bitte so bald wie möglich zurückrufen. Das hatte er nicht getan, und zwar seit drei Stunden nicht.

In der Zwischenzeit hatte sie angefangen, sich dafür zu schämen, dass sie sich so kläglich angehört hatte, und war wütend geworden. Was zum Teufel sollte sie denn jetzt tun?

Ja, sicher, seine Nachricht war nett gewesen. Es täte ihm ja so Leid, dass ihm etwas völlig Unvorhergesehenes dazwischengekommen sei. May war aufgefallen, dass er kein Wort darüber gesagt hatte, was eigentlich so völlig unvorhergesehen dazwischengekommen war. Sie solle ruhig die Woche im Hotel auf seine Kosten genießen, hatte er gesagt.

Ach ja? Sie war auf Sex eingestellt. Spaziergänge auf dem Dachgarten und ein paar Runden im Swimmingpool waren bestenfalls ein kläglicher Ersatz. Das galt auch für die Dildos, die sie in einer Schublade entdeckt hatte.

Die Vorstellung, sich kläglich nach Hause zu schleichen, anstatt mit aufregenden Erinnerungen hoch erhobenen Hauptes zurückzukehren, hatte wenig Reiz für May. Das galt aber auch fürs Hierbleiben. Wie sollte sie es aushalten, so ganz allein in dieser monströsen Stadt und umgeben von Hotelgästen, die alle genau den Spaß hatten, den sie auch haben wollte?

Es war ihr allerdings nicht nur um Sex gegangen. May hatte auf mehr gehofft. Vielleicht war das auch die wahre Quelle ihrer Wut. Nichts dergleichen würde geschehen, und ihr blieb nur die Sehnsucht nach Dan. Aber selbst wenn Trevor und sie sich nicht ineinander verliebt hätten – es wäre eine wundervolle Woche geworden, an die sie sich für den Rest ihres Lebens hätte erinnern können.

Und jetzt war alles im Eimer!

May riss den Telefonhörer von der Gabel und rief Midwest Airlines an. Sie schnappte nach Luft, als sie erfuhr, was es sie kosten würde, ihren Flug umzubuchen. Trotzdem ließ sie sich die Abflugzeiten durchgeben und notierte sie auf dem Notizblock des Hotels, unter der Karikatur von Trevor als Teufel, die sie gezeichnet hatte. Gleich morgen konnte sie nach Wisconsin zurückfliegen.

Vielleicht wäre das am besten so.

Ihr Handy klingelte. Sie zerrte es hervor. Trevor?

„Hallo, May!“ sagte Ginny, ihre beste Freundin. „Ich kann’s gar nicht glauben, dass du drangegangen bist! Ich dachte, du stöhnst und keuchst gerade! Eigentlich wollte ich dir nur eine schmutzige Nachricht hinterlassen.“

May ließ sich aufs Bett fallen und schämte sich, weil ihr Tränen übers Gesicht liefen. „Trevor kommt nicht.“

„Hm. Hast du’s mal mit dem Mund versucht? Ich habe in der Cosmopolitan gelesen, dass Männer …“

„Nein, das meine ich nicht! Ich meine, er kommt nicht her!“ May musste grinsen und wischte sich die Tränen ab. „Er kommt nicht ins Hotel, die ganze Woche über nicht!“

Sie hörte, wie Ginny nach Luft schnappte. Das tat gut. Ginny würde ihr sagen, sie solle so schnell wie möglich zurückfliegen, sich mit ihr treffen und einen schönen Frauenabend …

„Wie finden wir denn jetzt einen anderen für dich?“

May hätte beinahe das Handy fallen lassen. „Wie – einen anderen?“

„Na, einen Ersatzmann für Trevor.“

„Vielleicht sollte ich eine Anzeige aufgeben …“

„Nein, geh einfach in eine schicke Bar und lächle jemanden an! Du bist in New York! Vielleicht kriegst du ja Jerry Seinfeld oder einen dieser Kerle aus Friends!“

„Ginny, das ist nicht witzig.“

„Soviel ich weiß, lebt Alec Baldwin noch in New York. Du könntest …“

„Ich wollte eigentlich heimfliegen.“

„Was?“

„Ich wollte eigentlich …“

„Ach – es ist das Geld, oder? Pass auf, zieh einfach sofort in ein billigeres Hotel …“

May unterbrach sie. „Trevor hat gesagt, er bezahlt mir den ganzen Aufenthalt hier, obwohl er selbst nicht kommen …“

„Wie bitte? Und da willst du nach Hause fliegen?“

May seufzte. Sie hatte so gehofft, Ginny würde sie verstehen. „Was soll ich denn tun hier, eine Woche lang, ganz allein?“

Am anderen Ende war ein Poltern zu hören. May vermutete, dass Ginny vor Entsetzen den Hörer fallen gelassen hatte.

Sie hat ja nicht ganz Unrecht, dachte May. Dies hier ist eine fantastische Gelegenheit, und ich bin drauf und dran, sie mir entgehen zu lassen.

Als Ginny schließlich wieder ans Telefon kam, musste May ihr versprechen, sich ihren Entschluss genau zu überlegen.

Hinterher fühlte May sich erbärmlich.

Sie brauchte einen Drink. Es war noch nicht einmal vier Uhr nachmittags, aber egal. Ginny hatte Recht. War sie etwa nach New York geflogen, um das Innere eines Flughafens, eines Bahnhofs, eines Taxis und eines Hotelzimmers zu sehen?

May traute sich nicht, in eine Bar in der Stadt zu gehen. Die Hotelbar musste genügen. Außerdem wohnten hier wahrscheinlich nur Paare, die auf die erotische Atmosphäre und die Diskretion des Hotels Wert legten. May würde von Männern in Ruhe gelassen werden.

Vielleicht würde sich der eine oder andere über eine Frau wundern, die allein unterwegs war. Und wenn schon! May würde in der Rolle von Veronica Lake derart viel Arroganz und Selbstsicherheit ausstrahlen, dass niemand sie behelligen würde.

Sie lächelte schief. Das war zwar nicht das Abenteuer, das sie sich vorgestellt hatte. Aber es war definitiv besser, als zu Hause vor einem Fertiggericht zu sitzen und Dan zu vermissen.

Sie ließ das mittlerweile kalte Badewasser abfließen, zog das Kostüm aus und füllte die Whirlpool-Wanne erneut mit heißem Wasser, um ein ausgedehntes und luxuriöses Bad darin zu genießen. Sie testete sämtliche Lotionen und Cremes und fühlte sich schon erheblich besser.

Leise seufzend holte sie die Kleidungsstücke aus dem Koffer, die Trevor ihr nach ihrem ursprünglichen Plan beim ersten gemeinsamen Sex hätte ausziehen sollen: ein enges schwarzes Top mit Spaghettiträgern, eine durchsichtige Bluse mit rotem Blumenmuster, schwarze, halterlose Strümpfe und ein enger, kurzer schwarzer Rock. Als sie alles anhatte, zog sie noch die schwarzen High Heels mit den spitzen Absätzen an und war jetzt fast einsachtzig groß.

Hoch aufgerichtet, schritt sie zum Spiegel. Sie hatte diese Kleidungsstücke vorher nur einmal gesehen – als sie sie gekauft hatte. Jetzt war sie selbst schockiert. In Oshkosh würde sie so etwas nicht einmal im Traum tragen!

Hier in New York jedoch würde niemand schockiert sein, schon gar nicht in diesem Hotel. Außerdem hatte May gar nichts Konservativeres bei sich – bis auf das Kostüm, das sie auf der Reise getragen hatte. Und das würde sie jetzt auf keinen Fall wieder anziehen.

Wenigstens ein klitzekleines Abenteuer würde sie erleben!

Lippenstift, dezenter Lidschatten, ein dunkleres Rouge als üblicherweise. May hatte sich einmal im Schminken unterrichten lassen und es nie bereut. Allerdings fand sie, dass sie nun nicht mehr wie sie selbst aussah, sondern wie die perfekte Kopie von Veronica Lake.

May machte vor dem Spiegel einen Schmollmund und sah kühl und arrogant drein.

Oh, das war gut! Das war sehr gut! Dieses Mädchen kam nicht aus Oshkosh. Auf keinen Fall. Dies war eine vielschichtige, geheimnisvolle Frau mit verborgenen Abgründen tiefer Leidenschaft, in denen Männer sich verlieren würden. Und diese Frau wusste, welche Männer einen Flirt wert waren und welche nicht. Sie passte absolut perfekt in die Erotique Bar des Hush Hotels in New York.

Und genau dorthin würde diese Frau jetzt gehen.

Vor dem Eingang der Erotique Bar geriet Mays Selbstbewusstsein ins Wanken. Es war eine Sache, sich vorzustellen, kühn hineinzuschreiten, aber eine ganz andere, es tatsächlich zu tun.

Sie trat ein, blieb stehen, musterte das Innere der Bar und versuchte, dabei ganz lässig zu wirken, obwohl sie Herzklopfen hatte. Wo würde sie am wenigsten auffallen? Wahrscheinlich an einem Tisch – aber wenn sich ein einzelner Mann zu ihr setzte, war sie gefangen. Es schien sicherer, an der Bar zu sitzen und mit der hübschen aschblonden Barfrau zu plaudern, die noch größer war als sie selbst.

May ging hinüber, zog einen der Barhocker zurück und setzte sich darauf. Da – sie hatte es geschafft! Nur das Pärchen zu ihrer Rechten hatte kurz zu ihr hingesehen.

„Oh, hallo!“ Die hübsche Barfrau lächelte. „Wie geht es Ihnen heute Abend?“ Sie hatte einen Südstaaten-Akzent.

„Gut, danke.“ May musste das Lächeln einfach erwidern, obwohl Veronica das nie getan hätte. Sie fühlte, wie sie sich entspannte.

„Was darf ich Ihnen bringen?“

Eine gute Frage! Alkoholfreies Bier würde ihrem Image wohl eher schaden. „Einen Martini, bitte.“

Die Barfrau nickte lächelnd und wartete. May bekam Angst. Was sollte sie denn noch sagen? Gerührt, nicht geschüttelt, wie James Bond? Ihr Vater hatte einfach immer Martini bestellt.

Die Barfrau legte May eine große Getränkekarte vor. „Wenn Sie etwas anderes mögen als einfach einen Gin oder Wodka Martini, hier sind unsere Spezialitäten. Der Saure Apfel und der Cosmopolitan werden gern genommen.“

May war dankbar für diese Rettungsaktion und studierte die Karte. Sie versuchte, nicht auf die Preise zu achten. Für das, was ein Martini hier kostete, konnte sie in Oshkosh essen gehen! Aber Trevor bezahlte schließlich. „Einen Cosmopolitan, bitte.“

„Kommt sofort.“ Die Barfrau lächelte wieder und machte sich daran, schwungvoll Mays Drink zu mixen. „Sind Sie zum ersten Mal in unserem Hotel?“

„Zum ersten Mal in New York.“

„Wo kommen Sie denn her?“

May spielte mit einem Streichholzbriefchen, auf dem das Logo des Hotels aufgedruckt war. Wie viel sollte sie verraten? „Aus Wisconsin, ursprünglich.“

„Ich bin aus Oklahoma. Eigentlich wollte ich in New York als Visagistin mein Glück machen.“ Die Barfrau stellte einen rosa Drink vor May ab. „Sagen Sie mir, wie sie ihn finden.“

May nippte und strahlte. Eiskalt, sehr fruchtig, ein bisschen süß. „Sehr gut!“

„Ich dachte mir, dass es Ihnen schmecken würde.“

„Sie wollten also eigentlich in einem Schönheitssalon arbeiten?“

„Nein, nein!“ Die Barfrau lachte. „Beim Film, beim Theater, für Musikvideos, Modenschauen. Solche Sachen.“

May biss sich auf die Zunge. Schönheitssalons! Sie sollte besser den Mund halten, sie blamierte sich nur. „Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?“

Die Blondine zuckte die Achseln. „Mir macht es einfach Spaß, die Menschen zu verwandeln.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

„Guten Abend, Miss.“

„Guten Abend, Sir. Wie geht es Ihnen heute Abend?“ Mays neue Bekanntschaft klang jetzt viel reservierter. Sogar ihr Akzent war weniger deutlich zu hören. May bemerkte, dass die Frau trotz des distanzierten Tonfalls amüsiert war. May musterte verstohlen den Neuankömmling. Der Mann war etwa Mitte dreißig, groß und gut gebaut. Der elegante Abendanzug stand ihm hervorragend. Eine Krawatte trug er nicht.

Autor

Isabel Sharpe
Im Gegensatz zu ihren Autorenkollegen wurde Isabel Sharpe nicht mit einem Stift in der Hand geboren. Lange Zeit vor ihrer Karriere als Schriftstellerin erwarb sie ihren Abschluss in Musik auf der Yale Universität und einen Master in Gesangsdarbietung auf der Universität von Boston. Im Jahre 1994 rettet sie die Mutterschaft...
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