Magische Momente der Lust

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Nur einen Moment vergisst CeeCee, dass sie sich geschworen hat, niemals ihre kostbare Freundschaft mit Jack in Gefahr zu bringen. Doch schnell erinnert sie sich wieder daran, was ihr die alte Zigeunerin vor Jahren prophezeite: Keine Frau in ihrer Familie wird jemals eine glückliche Beziehung haben. Traurig erzählt sie es Jack und macht ihm klar, dass sie niemals seine CeeCee seine Geliebte werden wird, denn die Freundschaft zwischen ihnen bedeutet ihr zuviel. Fast bereut sie ihre harten Worte, als Jack ihr kurz darauf mitteilt, dass er für drei Monate nach Mexiko geht. In dieser Zeit wird sein Zwillingsbruder Zack in seinem Apartment wohnen. Für CeeCee gibt es darum keinen Zweifel, dass es Zack ist, den sie wenige Tage später trifft, und der sofort heiß mit ihr flirtet. Nur eine kleine Affäre? Warum eigentlich nicht?


  • Erscheinungstag 01.11.2012
  • Bandnummer 1240
  • ISBN / Artikelnummer 9783864948534
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

CeeCee Adams war verflucht. Verhext. Zum Untergang verurteilt. Oder zumindest dazu, niemals Glück in der Liebe zu haben. Aufgrund eines Fluchs, der auf den Jessups lastete, war sie dazu verdammt, einsam auf dieser Erde umherzuschweifen – der ewige Single.

Wie anders hätte man die zahllosen fehlgeschlagenen Ehen und Beziehungen der Frauen ihrer Familie erklären sollen? Und was sonst konnte dazu führen, dass CeeCee Männer kennenlernte wie Lars Vandergrin, einen knapp zwei Meter großen Neandertaler, der für die World Wrestling Federation in den Ring stieg?

Lars verfügte über ein Grinsen, das den Schnee von den Berggipfeln schmelzen ließ; er trug sein hellblondes Haar bis zum Gürtel, und er grabschte mit seinen riesigen Händen mindestens so gierig wie ein Dreijähriger an der Supermarktkasse nach Süßigkeiten. Und das Wörtchen “nein” verstand er ebenso wenig wie die bereits erwähnten Kleinkinder. Schon im Kino hatte sie seine Annäherungsversuche abwehren müssen. Langsam verlor sie die Geduld.

Danke, Grandma Addie, dachte sie. Als ob es nicht schon schwer genug wäre, in einem Jahrtausend auf Partnersuche zu gehen, in dem die Männer vom Mars und die Frauen von der Venus kommen.

Vor fünfzig Jahren hatte ihre Großmutter mütterlicherseits, Addie Jessup, einer Zigeunerin den Mann ausgespannt. Die Betrogene bedachte Addie nicht nur mit dem bösen Blick, sondern verfluchte drei Generationen der weiblichen Mitglieder der Familie Jessup. Keine Frau, die direkt von Addie abstammte, wurde in ihrer Ehe glücklich. Scheidungen waren so üblich wie ein Wechsel der Automarke.

CeeCee hatte sich eine Strategie ausgedacht, um dem Familienfluch ein Schnippchen zu schlagen. Sie beendete ihre ohnehin eher flüchtigen Beziehungen immer relativ schnell, weil sie nicht die geringste Lust hatte, in dieselbe Falle zu tappen wie ihre Mutter, ihre Tanten, und ihre ältere Schwester Geena.

Nein, ihr Single-Dasein gefiel ihr überaus gut.

Außer in Momenten wie diesem.

Sie hatte Lars in ihrer krankengymnastischen Praxis kennengelernt. Der Ringer war zu ihr gekommen, um sein verstauchtes Handgelenk zu kurieren. Seit drei Wochen ging er ihr mit Einladungen auf die Nerven. Schließlich hatte sie nachgegeben, weil sie hoffte, dass er bei der Wohltätigkeitsveranstaltung des St. Madeleine’s Hospitals zu Gunsten bedürftiger Kinder als Teilnehmer der Junggesellenauktion mitmachen würde. Und zwar in seiner Ringerkluft.

Im Augenblick standen sie beide vor ihrer Wohnungstür. Lars hielt CeeCee zwischen seinem massiven Körper und der Tür gefangen und fummelte am obersten Knopf ihrer Bluse herum. CeeCee wollte diesen Neandertaler zwar unbedingt für die Wohltätigkeitsveranstaltung gewinnen, aber nicht auf diesem Weg.

“Hör auf.” Sie schlug nach seiner Hand.

“Komm schon, Baby, du schuldest mir was.”

“Wie kommst du denn darauf?”

“Denk an den Shrimpscocktail, die Kinokarte, das Popcorn.”

“Schon gut. Ich geb dir das Geld.”

“Ich will kein Geld. Dein wohltätiger Junggeselle will einen Kuss.”

“Wenn du mich nicht sofort loslässt, dann singst du gleich eine Oktave höher.”

Lars lachte und presste sich an sie. “Du hast Biss. Ich mag das.”

“Du weißt nicht, wie gut ich beißen kann. Hände weg.” Es brauchte einiges, um CeeCee Adams einzuschüchtern, doch gerade eben war so ein Moment. Lars war so verdammt riesig.

Sofort fiel CeeCee ihr bester Freund und Nachbar ein, Dr. Jack Travis. Ob er zu Hause war?

Sie wich aus, als Lars versuchte, sie zu küssen, und spähte in die Dunkelheit der Juninacht. Durch die Ritzen der Jalousien im Erdgeschossapartment gegenüber schimmerte Licht.

CeeCee hätte alles darum gegeben, jetzt mit dem guten, verlässlichen Jack auf dem Sofa zu sitzen, Jazz zu hören und sich zwanglos zu unterhalten. Jack war amüsant. Sie mochte sein tiefes, warmes Lachen. Es gab ihr das Gefühl, sicher und geborgen zu sein. Die platonische Beziehung zu Jack war ihr mehr wert, als er jemals erfahren würde.

Wenn das hier unangenehmer wurde, musste sie wohl oder übel Jack zu Hilfe rufen. Doch nur, wenn ihr wirklich keine andere Wahl blieb. Schließlich war sie stark genug, ihre eigene Schlacht zu schlagen. Dank des Familienfluchs besaß sie überdies genügend Erfahrung mit Kerlen wie Lars. Trotzdem war es gut zu wissen, dass Jack zu Hause war.

“Komm schon, Baby.” Lars legte ihr seine Pranke auf den Nacken. “Lass uns reingehen.”

“Hör zu, Lars Vandergrin.” Sie stemmte eine Hand gegen seinen Brustkorb und winkelte ihr Knie an, um es zu gebrauchen, falls es nötig sein sollte. “Das mit uns geht mir entschieden zu schnell.”

“Du willst, dass ich bei der Auktion mitmache? Ich tue dir einen Gefallen, du tust mir einen.”

Erpresser.

Diesmal war sie nicht schnell genug. Lars küsste sie unvermittelt. CeeCee erkannte, dass sie sich tatsächlich in Schwierigkeiten befand. Freundliche Zurückweisung half hier nichts mehr. Also musste sie halt jemand anderen für die Junggesellenauktion finden.

“Verzieh dich!” CeeCee wandte ruckartig den Kopf, als Lars seine Zunge zum Einsatz bringen wollte.

“Au!”, brüllte er und presste eine Hand auf den Mund. “Deinetwegen habe ich mir auf die Zunge gebissen!”

“Vielen Dank, dass Sie meinen Müll runtertragen.” Miss Abbercrombe lächelte Jack freundlich zu.

Die alte Dame war einst Stripteasetänzerin gewesen und hatte ihr Apartment mit Fotos aus ihrer Glanzzeit tapeziert. Heute trug sie ein fließendes hawaiisches Gewand, dazu eine pinkfarbene Federboa. Miss Abbercrombe bevorzugte Slipper mit acht Zentimeter hohem Absatz, obwohl sie darauf schwankte, und ihre Augen waren hinter dicken Brillengläsern verborgen. Auf dem Arm hielt sie einen schneeweißen Zwergpudel, der Muffin hieß. Die Locken des Pudels waren mit rosa Schleifchen verziert, die Krallen in der passenden Farbe lackiert.

“Kein Problem”, sagte Jack, nahm die Mülltüte und ging zur Tür. Miss Abbercrombe trippelte unsicher hinter ihm her.

Wenn er sonntags keinen Nachtdienst in der Klinik hatte, trug er immer den Müll für die alte Dame hinaus. Und für seine beste Freundin, CeeCee Adams, ebenfalls. Er lächelte, als er an sie dachte. Die freche, rothaarige CeeCee, die so viel Abenteuerlust und Wagemut besaß. Er bewunderte alles an ihr und wünschte, er könnte sein wie sie.

Muffin jaulte.

“Sie möchte so gern mit Ihnen gehen”, sagte Miss Abbercrombe. “Haben Sie was dagegen?” Der schwarzäugige Pudel wand sich aus der Umarmung seiner Herrin, sprang zu Boden und schnüffelte an Jacks Hosenbein. “Es ist kaum zu glauben, wie sehr Muffin Sie mag. Normalerweise kann sie Männer nicht ausstehen. Aber Sie sind ja auch nicht wie die meisten Männer, Jack. Sie sind so nett.”

Das sagten alle Frauen zu ihm. Doch das brachte ihm nichts. Absolut nichts.

“Los, komm, Muffin”, forderte Jack den Pudel auf, obwohl er es vorgezogen hätte, ohne tierische Begleitung zum Müllcontainer zu gehen.

Er und Muffin klaubten auf dem Weg nach unten noch zwei weitere Müllsäcke auf, die Jack vorhin dort abgestellt hatte. Vor Apartment 112 lag Prince, ein Border Collie. Als Jack und Muffin vorbeikamen, sprang er auf und trottete den beiden hinterher. Und als sie um die Ecke bogen, gesellte sich auch noch eine Promenadenmischung aus Beagle und Terrier zu ihnen.

Grandios, dachte Jack. Ich bin nicht nur der Müllmann hier, sondern auch noch der Gassigeher.

Sein Puls beschleunigte sich, als er sich CeeCees Apartment näherte. Er hatte sie seit ein paar Tagen nicht gesehen. Und er vermisste sie ziemlich. Schon das allererste Mal, als er sie sah, war es um ihn geschehen. Sie sauste auf ihren Inlineskates über den Hof, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht, die roten Locken windzerzaust.

Jack wusste genau, dass er nicht ihr Typ war, und so hatte er sich nie getraut, ihr zu sagen, was er für sie empfand. Denn er war solide, verantwortungsbewusst und verlässlich. Mit anderen Worten: langweilig.

Er wusste ja, auf was für Männer CeeCee stand: waghalsige Taucher und Bergsteiger. Bungeespringer und Snowboardfahrer. Typen mit Tätowierungen und gepiercten Körperteilen, langem Haar und Dreitagebart. Männer, die der Gefahr ins Auge sahen und darüber lachten. Männer wie sein Zwillingsbruder Zack.

Obwohl sie eineiige Zwillinge waren, gab es zwischen ihnen große Unterschiede. Jack war vorsichtig, Zack unbekümmert. Jack war ordentlich, Zack liebte Unordnung. Jack widmete seine ganze Energie seinem Beruf. Zack, ein berühmter Crossbiker, widmete sein Leben Wein, Weib und Motorrädern. Die meisten Frauen, die die beiden kannten, fanden, dass Jack ein guter Kumpel war. Zack hingegen hielten sie für einen guten Liebhaber.

Jack war nicht neidisch. Jedenfalls nicht allzu sehr. Manchmal jedoch hätte er alles gegeben, um so zu sein wie Zack. Zum Beispiel wenn CeeCee bei ihm klingelte, es sich auf seinem Sofa bequem machte, ihre langen Beine unter sich zog und ihm von ihrer letzten gescheiterten Beziehung erzählte.

Wenn sie ihn nach seiner Meinung gefragt hätte, dann hätte er ihr schon gesagt, woran es lag, dass sie immer wieder Enttäuschungen erlebte. Die Männer, die sie sich aussuchte, passten einfach nicht zu ihr. Eine spontane Frau wie CeeCee brauchte einen ruhigen, verlässlichen Gegenpol. Jemanden wie ihn selbst zum Beispiel. Doch Jack wollte ihre Freundschaft nicht zerstören, indem er sich ungebetenerweise zu so persönlichen Dingen äußerte.

Er schaute durchs Treppenhaus nach oben. Ein erstickter Schrei, der aus Richtung von CeeCees Apartment kam, schreckte ihn auf. Sofort rannte er die paar Stufen hoch in den zweiten Stock. Er sah, wie CeeCee vor ihrer Haustür mit einem Kerl rang, der Jack wie ein Riese oder wie ein Neandertaler vorkam.

“Lass mich los!” CeeCee versuchte, ihren Arm aus dem Griff des Riesen zu befreien.

Der Riese trug schwarze Motorradklamotten, dazu nietenbesetzte Stiefel. Er war fast zwei Meter groß. Sein Gesicht hatte animalische Züge. Sein platinblondes Haar reichte ihm bis zur Hüfte. Gerade presste er eine Hand auf seinen Mund.

Obwohl Jack mindestens einen halben Kopf kleiner war und dreißig Kilo weniger auf die Waage brachte, zögerte er keine Sekunde. Seine beste Freundin war in Schwierigkeiten. Er ließ die Mülltüten fallen, ging in Angriffsstellung und rammte mit voller Wucht den Kopf in den Bauch des Neandertalers.

Die Bauchmuskeln des Kerls waren bretthart. Der Mann gab nicht einmal ein Grunzen von sich. Jack dagegen hörte die Engel singen und sah Sterne. Er ging in die Knie.

Der Neandertaler packte Jack am Kragen und zog ihn hoch. Sein langes Haar streifte Jacks Gesicht und geriet in seine Augen.

Wehrlos hing Jack im Griff des blonden Riesen und wusste, dass dies hier sein Waterloo war. Nur Dummköpfe eilten jemandem in Not zu Hilfe. Er hätte besser die Polizei geholt. Doch er hatte keine Sekunde nachgedacht, als er sah, dass sich CeeCee in Bedrängnis befand.

“CeeCee”, stieß Jack hervor und ignorierte die Riesenfaust, die ihn gepackt hielt. “Ist alles in Ordnung?”

“Sie ist schuld, dass ich mir auf die Zunge gebissen habe”, beschwerte sich der Riese.

“Sie haben’s bestimmt verdient”, meinte Jack und warf CeeCee einen Blick zu. Sie sah großartig aus in ihrer hautengen Caprihose und der regenbogenfarbenen Bluse.

“Sie ist eine Hexe”, knurrte der Riese.

“Entschuldigen Sie sich sofort bei ihr für diese Beleidigung.” Jack sah den Angreifer streng an.

“Was machst du, wenn ich es nicht tue, Jüngelchen?” Der Neandertaler schubste Jack ein wenig.

Jack fiel rückwärts auf die Müllsäcke. Jetzt geriet er wirklich in Rage. Er mochte schwächer sein als der andere, doch seine Entschlusskraft wog das auf. Der Kerl würde sich bei CeeCee entschuldigen.

Jack nahm eine Mülltüte und schwang sie bedrohlich. “Ich trete dir so lange in den Hintern, bis du es tust”, sagte er ruhig.

“Ach ja?”

“Ja.” Jack gab ihm eins mit der Mülltüte über.

Der Müllsack platzte auf, und sein Inhalt ergoss sich über die Lederkluft des Riesen. Der brüllte wütend und sprang vorwärts, packte Jack und würgte ihn.

“Wehe, du tust ihm was an, Lars!”, rief CeeCee empört. “Lass ihn sofort los!”

Jack wurde es schwarz vor Augen. Ihm war schwindlig, aber plötzlich hörte er Hundegekläff.

Wenn er nicht sofort etwas Entscheidendes unternahm, war es um ihn geschehen. Dann war CeeCee diesem Kerl ausgeliefert. Jack griff in das lange blonde Haar des Neandertalers und zog mit aller Kraft.

“Au! Hör auf, an meinem Haar zu ziehen!”, schrie der Kerl.

Jack riss heftig noch heftiger.

Lars drehte sich nach links, den Arm immer noch um Jacks Hals geschlungen. Doch Jack hatte jetzt beide Hände in die blonde Mähne gekrallt.

CeeCee nutzte die Gelegenheit und sprang auf den Rücken des Riesen.

Einen verrückten Moment lang tanzten sie einen bizarren Tango zu dritt. Lars stolperte und versuchte, seine Balance zu halten. CeeCee saß ihm im Nacken, Jack klammerte sich von vorn an sein Haar.

“Lass ihn los!”, forderte CeeCee den Riesen noch einmal auf.

“Er soll mich loslassen”, jammerte Lars.

Muffin, Prince und die Promenadenmischung bellten und rannten im Kreis um die ineinander verknäulten Männer herum.

“Jeder lässt sofort jeden los”, japste Jack.

In dem Wohnhaus gingen die Lichter an. Türen wurden geöffnet. Leute redeten durcheinander, als sie sich im Hof versammelten. Noch mehr Hunde tauchten auf und machten Lärm.

Lars ließ sich rücklings gegen die Wand fallen, um CeeCee loszuwerden, die sich immer noch von hinten an ihn klammerte. Während er sich auf CeeCee konzentrierte, lockerte er seinen Griff um Jacks Hals.

Jack ließ das Haar des Riesen los und bückte sich, um seine Fußgelenke zu fassen und ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.

“Spring runter, CeeCee!”, befahl er.

“Er ist ein Profi, Jack”, sagte CeeCee.

“Quatsch. Er ist eine Mischung aus King Kong und Frankensteins Geschöpf.”

“Du verstehst mich nicht. Er ist Lars Vandergrin, ein professioneller Ringer.”

“Ach, wirklich?”

Lars knurrte gefährlich.

“Spring. Ich schwöre dir, dass ich ihn zu Fall bringe”, beharrte Jack und ignorierte sämtliche Alarmglocken, die in seinem Kopf läuteten. Mit aller Kraft zerrte er an den Fußgelenken des Mannes.

CeeCee sprang im gleichen Moment ab, in dem Lars wie ein gefällter Baum zu Boden ging. Er landete mitten in den Müllsäcken.

Der Fall musste hart gewesen sein, denn Lars rührte sich nicht.

Jack und CeeCee schauten sich an.

“Atmet er noch?” Sie sah auf den liegenden Hünen hinunter. “Oder haben wir ihn etwa umgebracht?”

Jack bekam ein schlechtes Gewissen. Sofort eilte er dem Mann zu Hilfe.

“Uff”, stöhnte Lars und setzte sich langsam auf.

Jack zog sich vorsichtig zurück. “Jetzt ist Schluss mit dem Spuk”, befahl er.

Lars sah sich um. Er saß inmitten des Hausmülls sämtlicher Bewohner. Erdnussbutter und Kaffeesatz klebte in seinem Haar. Eierschalen zierten seine Hose. Eine Bananenschale hing an einem Ohr. Muffin leckte begeistert seine Schuhsohle ab. Die anderen Hunde schnupperten an seinen Kleidern.

“Mein Haar!”, jammerte Lars.

“Puh”, meinte CeeCee. “Was für ein großes Baby.”

Muffin schaute zu Lars auf und knurrte.

“Ein Pudel!”, rief Lars. “Ich hasse Pudel.” Er kam schwankend auf die Füße und rannte davon, gefolgt von einer Meute kläffender Hunde, die nach seinen Füßen schnappten, als er die Treppen runterlief.

Jack und CeeCee beugten sich übers Geländer und sahen dem Profiringer nach, der endlich in der Dunkelheit der Nacht verschwand. Dann lächelten sie sich an.

Die Nachbarn, die das Spektakel atemlos verfolgt hatten, applaudierten und jubelten CeeCee und Jack zu, ehe sie wieder in ihre Wohnungen gingen.

CeeCee schlang die Arme um Jacks Nacken. Die Anhänger an ihrem goldenen Armband klimperten fröhlich an seinem Ohr. Ihre Wangen waren erhitzt, ihre grünen Augen funkelten, und ihr Haar war wild zerzaust.

Sie duftete herrlich. Er dachte automatisch an Regenbogen und Sonnenschein. Erwartungsvolle Spannung erfasste ihn.

“Mein Held!”, rief sie, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn.

Zum zweiten Mal an diesem Abend sah er Sternchen.

CeeCee hätte nicht sagen können, wer von ihnen beiden überraschter war.

Sie hatte absolut nicht vorgehabt, Jack zu küssen. Eine kluge Frau nimmt Abstand davon, ihren besten Freund auf den Mund zu küssen. Jedenfalls, wenn sie vorhat, ihn als guten Kumpel zu behalten. Und sie schätzte Jacks Freundschaft höher als alles andere.

Doch der Kuss war nicht schlecht. Um die Wahrheit zu sagen: Er schlug alles, was sie in dieser Hinsicht bisher erlebt hatte.

CeeCee vergaß alle guten Vorsätze. Jacks glatt rasiertes Kinn war so angenehm an ihren Wangen. Ganz anders als die Dreitagebärte ihrer sonstigen Auserwählten. Aus einem Impuls heraus vertiefte sie den Kuss und war erstaunt, wie bereitwillig Jack darauf einging. Sie schloss die Augen. Es war ein magischer Moment. Süße Schwäche überkam sie. Oh, wenn dieser Kuss doch nur niemals enden würde!

In den vergangenen fünf Monaten war es immer wieder geschehen, dass sie Jack zufällig berührt hatte. Ihre Finger streiften sich, wenn sie beide in die Popcorntüte langten, während sie ein Monty-Python-Video guckten. Sie hatte ihm gelegentlich tröstend auf die Schulter geklopft, wenn etwas in der Klinik nicht gut lief. Sie hatte ihn sogar an der Hand in sein Apartment geführt, als er nach seiner Augenoperation wegen Kurzsichtigkeit vorübergehend nichts sah.

Während all diese Berührungen zwar angenehm, aber nicht aufregend gewesen waren, empfand sie jetzt, als sie Jack küsste, etwas ganz Neues.

Sie konnte nicht aufhören. Am liebsten hätte sie ihn geküsst, bis die Erde stillstand, die Zugvögel nicht mehr wiederkamen und die Polkappen schmolzen. Sie erschrak. Was war bloß los mit ihr? Eine Affäre mit Jack war das Letzte, was sie wollte. Denn sie war verflucht. Liebe würde unweigerlich im Unglück enden. Und sie durfte Jack um keinen Preis wehtun. Er war viel zu lieb.

CeeCee öffnete die Augen. Jack sah sie an.

Verwirrt lösten sie sich voneinander und vermieden es, sich anzublicken.

“Es tut mir leid. Ich meine, ich wollte nicht … Ich hab mich hinreißen lassen.” Was habe ich bloß getan? dachte sie.

“Du hast mich überrumpelt”, gab Jack zu und lächelte. “Aber es war eine nette Überraschung.”

CeeCee seufzte und starrte auf die geplatzten Müllsäcke. Sie musste einen Weg finden, um Jack klarzumachen, dass dieser Kuss nichts bedeutete.

Jack sah sie fragend an.

“Was für ein Chaos”, sagte sie. “Ich hole neue Mülltüten und helfe dir, aufzuräumen.” Er nahm sachte ihr Handgelenk. “Vergiss den Müll für einen Augenblick. Wir sollten darüber sprechen, was gerade geschehen ist.”

CeeCee lachte nervös und fuhr sich durch die roten Locken. Seine Finger schienen auf ihrer Haut eine heiße Spur zu hinterlassen. “Du willst über Lars reden?”

“Nein”, sagte er. “Ich will über uns reden, CeeCee. Über dich und mich und diesen Kuss.”

Sie schluckte. “Lass es uns nicht überbewerten. Es war nur ein Dankeschön.”

“Es hat sich aber ganz anders angefühlt.”

“Bitte, Jack.”

Sie wollte nicht, dass sich zwischen ihnen etwas änderte. Wenn sie zugab, dass der Kuss auch für sie etwas ganz Besonderes gewesen war, dann würde Jack mehr erwarten. Sie kannte ihn gut genug. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ er nicht locker.

“Um was bittest du mich, CeeCee?”, fragte er sanft.

“Lass uns das Ganze vergessen.”

“Das will ich aber nicht.”

CeeCee sah das Verlangen in seinen Augen und bekam Angst. Sie räusperte sich, um ihre Rede vorzubereiten. Sie durfte Jack nicht in dem Glauben lassen, zwischen ihnen sei eine romantische Beziehung möglich. Lieber jetzt gemein sein, als ihn später nur umso mehr zu verletzen.

Was sie nun sagte, war der größte Schwindel ihres Lebens. “Es tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, Jack. Aber es war, als würde ich meinen Bruder küssen.”

2. KAPITEL

Jack kochte auch zwanzig Minuten nach dem Kuss noch vor Zorn und Enttäuschung. Er hatte den Müll sowie ein Büschel lange blonde Haare entsorgt und Muffin seiner Herrin zurückgebracht. Die Furcht des Ringers vor dem Pudel war offensichtlich wohlbegründet. Jack wusste selbst, dass Muffin manchmal fast so fies sein konnte wie ein Pitbull.

Er ging ins Bad, um sich zu säubern, und fragte sich, woher CeeCee wissen wollte, wie es war, einen Bruder zu küssen. Sie hatte ja noch nicht mal einen. Er musterte sein Spiegelbild kritisch. Na schön, er war nicht Superman, und vielleicht besaß er auch nicht die animalische Anziehungskraft des Profiringers. Doch seine Küsse als brüderlich zu bezeichnen, das ging zu weit.

Außerdem sagte ihm sein männlicher Instinkt, dass CeeCee log. Er hatte genau gespürt, dass sie den Kuss erwiderte. Ihr Atem hatte sich beschleunigt, und sie hatte spontan die Arme um seinen Nacken geschlungen. Außerdem war sie knallrot geworden, als sie beteuerte, der Kuss bedeute ihr überhaupt nichts. Und sie hatte es nicht gewagt, ihm bei dieser Lüge in die Augen zu sehen. Was die Frage aufwarf, warum sie log. Jack war entschlossen, den Grund dafür herauszufinden.

Er verließ sein Apartment, ging über den Hof und stieg die Treppe zu CeeCees Wohnung hoch. Seine Handflächen waren feucht, und eine gemeine kleine Stimme in seinem Kopf hämmerte ihm ein, dass er dabei war, seine Freundschaft mit CeeCee zu zerstören, falls er sich nicht vorsah.

Jack atmete tief durch und verbannte die ungebetenen Ratschläge aus seinem Kopf.

Tu einfach so, als wärst du Zack, sagte er sich. Was würde dein Zwillingsbruder in dieser Situation tun?

Er setzte ein verwegenes Grinsen auf und klopfte an CeeCees Tür.

Nichts tat sich.

War sie schon zu Bett gegangen? Er schaute auf seine Armbanduhr. Elf Uhr. CeeCee fing normalerweise um sieben Uhr morgens an zu arbeiten. Er konnte ihr also keinen Vorwurf machen, wenn sie schon schlief. Also war es wohl das Beste, die Unterredung mit ihr auf morgen zu vertagen. Im Übrigen musste er morgen ziemlich früh in den Operationssaal.

Nein, verflixt. Er würde kein Gras über die Sache wachsen lassen. Nicht einmal bis morgen. Er hatte es satt, im Leben immer den Kürzeren zu ziehen.

Jack wollte erneut klopfen, doch in diesem Moment wurde die Tür geöffnet.

CeeCee spähte hinaus, ein Handtuch wie einen Turban um den Kopf geschlungen. Sie war barfuß und trug einen blaugrünen Kaftan, der sich eng an ihre Kurven schmiegte. Jacks Puls beschleunigte sich unwillkürlich.

“Tut mir leid”, entschuldigte sie sich. “Ich war unter der Dusche. Ich sehe bestimmt schrecklich aus.”

“Du siehst großartig aus.”

Sie schob eine noch feuchte rote Locke zurück unter den Turban. “Wohl kaum. Kein Make-up, das Haar unter einem Handtuch.”

Sie war eine schöne Frau, und ihr Körper war äußerst begehrenswert. Doch Jack mochte noch viele andere Dinge an CeeCee. Er bewunderte ihr inneres Feuer, ihre lebhafte Art. Wenn er mit ihr zusammen war, fühlte er sich männlich und stark.

Heute Abend war eine Entscheidung fällig. Er war es leid, zusehen zu müssen, mit was für widerlichen Kerlen sie sich traf. Er hatte keine Lust mehr zu warten, bis sie ihn vielleicht endlich einmal als Mann wahrnahm.

Auf ihrer Wange glitzerte ein Wassertropfen. Jack sehnte sich danach, CeeCee zu berühren und den Tropfen wegzuwischen. Warum nicht? sagte er sich. Es ist genau das, was Zack tun würde. Also tat er es.

CeeCee verschlug es für eine Sekunde den Atem, und sie trat einen Schritt zurück. Statt darauf zu warten, dass sie ihn hereinbat, betrat Jack unaufgefordert ihr Apartment.

“Komm rein”, sagte sie verspätet und schloss die Tür. “Setz dich. Möchtest du Eistee?”

Er nickte. Nicht weil er durstig war, sondern weil er sich an etwas festhalten wollte. Sonst gerieten seine Hände womöglich in Versuchung.

“Bin gleich wieder da.” Sie verschwand in der Küche, nicht jedoch, ohne vorher den Startknopf des CD-Players zu drücken. Jazz von Duke Ellington erfüllte den Raum. Jack und CeeCee hatten bereits am ersten Tag ihrer Bekanntschaft entdeckt, dass sie beide diese Musik liebten.

Jack machte es sich auf dem Sofa bequem. CeeCee kam gleich darauf zurück und gab ihm ein Glas Eistee. Sie ließ sich neben ihm nieder und zog die Beine unter sich. Jack konnte den Blick nicht von ihr abwenden.

Wie sollte er sein Anliegen am besten zur Sprache bringen?

Er war noch nicht bereit für die Art von Vorgehensweise, die sein Zwillingsbruder Zack bevorzugt hätte. Stattdessen trank er einen Schluck Eistee, ehe er fragte: “Wie kam es dazu, dass Lars sich auf die Zunge gebissen hat?”

“Ich schwöre, dass es ein Versehen war”, sagte CeeCee und kicherte. “Er hätte einfach nicht versuchen sollen, mir das Ding ohne Erlaubnis in den Mund zu schieben.”

“Gut zu wissen, falls ich mal so dreist sein sollte.”

“Als ob du so was tätest.” Sie winkte ab, als sei er nun wirklich keine Bedrohung. “Du bist viel zu anständig, um dich einer Frau aufzudrängen.”

Jack war sauer. Glaubte CeeCee tatsächlich, er sei total harmlos? Hatte sie wirklich keine Ahnung, was er für sie empfand? Sein Verlangen, sie zu besitzen, war stark genug, um in ihm die verrücktesten Ideen zu wecken. Er sah CeeCee eindringlich an und fragte etwas, was er sie schon seit fünf Monaten hatte fragen wollen. “Spaß beiseite, CeeCee. Warum gibst du dich mit Kerlen wie Lars ab?”

“Lars war kein richtiges Date von mir.” Sie zuckte die Achseln. “Er war mein Patient, und ich habe versucht, ihn zur Teilnahme bei der Wohltätigkeitsauktion für das Krankenhaus zu überreden. Jetzt sagt er bestimmt nicht mehr zu.”

“Bestimmt nicht.”

“So ein Mist! Ich habe nämlich versprochen, einen Prominenten für die Auktion zu gewinnen, damit wir mehr Geld hereinbekommen. Irgendwann sollte ich lernen, nicht so voreilig zu sein.” CeeCee trank von ihrem Eistee.

Jack betrachtete ihren schlanken Hals. Allein dieser Anblick erregte ihn.

Autor

Lori Wilde
<p>Lori Wilde hat mehr als neununddreißig erfolgreiche Bücher geschrieben, von denen etliche auf der Bestsellerliste der New York Times landeten. Sie arbeitete 20 Jahre als Krankenschwester, doch ihre große Liebe ist die Schriftstellerei. Lori Wilde liebt das Abenteuer. Unter anderem läuft sie Marathon, nimmt Flugstunden, tritt mit einer professionellen Jazzband...
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