Mann - dringend gesucht!

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Die hübsche Managerin Anne Harris braucht einen Mann - natürlich nur auf dem Papier! Ihr Chef will den Posten der Vizedirektorin ausschließlich einer Frau geben, die gebunden ist - und ihre schärfste Konkurrentin kann nicht nur einen Ehemann, sondern auch noch zwei Kinder vorweisen. In ihrer Not wendet sich Anne an eine Agentur, die ihr prompt einen Verlobten vermittelt. Und was für ein Prachtexemplar: Mitchell Dane sieht aus wie Robert Redford in jungen Jahren - Anne wünscht sich plötzlich alles andere als nur eine Scheinverlobung ...


  • Erscheinungstag 30.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746131
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas einmal sagen würde, aber ich brauche dringend einen Mann.“ Anne Harris zupfte ihren kurzen Rock zurecht, als sie ihre langen Beine übereinanderschlug. „Meine Mutter scheint zu glauben, Sie hätten so etwas wie einen Katalog mit Fotos von zur Verfügung stehenden Kandidaten.“

„Das ist nicht alles, was Bachelor-in-a-Box anbietet“, erklärte Bettina lächelnd. „Das Foto ist nur ein Teil des Service. Wir müssen eine romantische Vergangenheit erschaffen und eine Strategie entwickeln. Soll es ein neuer Mann in Ihrem Leben sein oder ein Liebhaber sein, den Sie schon länger haben?“

„Ich will weder einen neuen Mann noch einen alten Liebhaber“, berichtigte sie Anne. „All das habe ich bereits hinter mir, und ich kann nur sagen, es war mir eine Lehre. Ich brauche nur vorübergehend einen Verlobten.“

„Fein.“ Bettina tat es Anne nach und kam ohne große Umschweife zur Sache. „Sie können unseren Service für eine beliebige Dauer buchen.“ Über den Schreibtisch musterte sie ihre Kundin und dachte an ihren freiheitsliebenden Bruder Mitchell, den die Welt als Dane, den Fotografen, kannte. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, diese Frau sei ideal für ihn. Im Gegensatz zu Mitchell war Anne Harris ein Bild der Kompetenz, der Tatkraft und Entschlossenheit. Ihr dunkles Haar war streng aus dem Gesicht gekämmt, und sie trug ein maßgeschneidertes schwarzes Kostüm. Aber Bettina spürte auch etwas Wildes, Ungebändigtes hinter dieser nüchternen Fassade. Selbst Annes ein wenig heisere Stimme schien besser zu einer von Mitchs Inselschönheiten zu passen als in einen Konferenzsaal. Wie schade, dass Bachelor-in-a-Box seine Kundinnen nicht mit wirklichen Männern zusammenbringen konnte, anstatt nur eine Fantasie zu schaffen.

Bettina hatte nicht gewusst, was sie erwarten sollte, als Faylene Harris ihre Tochter Anne angekündigt hatte, doch die offene, direkte Art der jungen Frau verwunderte sie nicht. Bettina hatte von Faylene erfahren, dass Anne auf dem Weg zum gehobenen Management war. Seit dem Tod ihres Vaters hatte Anne sich ausschließlich ihrer Karriere gewidmet. Sie war sehr dynamisch und schien fest entschlossen, beruflich erfolgreicher zu sein, als es ihr Vater war, und vor allem seine letzte Bitte zu erfüllen, für ihre Mutter zu sorgen. Das verstand Bettina. Ihr ältester Bruder, Mitchell, war auch so gewesen. Als ihr Vater starb, war Mitchell die Verantwortung für seine beiden Brüder und seine Schwester zugefallen. Sobald Bettina auf dem College war, hatte Mitchell, der Dynamische, jedoch zu existieren aufgehört, und Mitchell, der Träumer, hatte sich auf den Weg gemacht, die Welt zu erforschen.

„Vor einem Monat hätte ich nicht geglaubt, dass es einen solchen Service gibt“, bemerkte Anne mit einem kleinen Lachen. „Wie typisch, dass meine Mutter es weiß, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wozu sie ihn in Anspruch nehmen sollte, wenn die Männer gar nicht echt sind. Sie könnte gar nicht Ihre Kundin sein.“ Sie unterbrach sich. „Entschuldigen Sie, das war nicht so gemeint, wie es vielleicht klang.“

Bettina musste lachen. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich kenne Faylene sehr gut. Wir haben uns vor zwei Jahren im Fitnessstudio kennengelernt. Nach dem ersten Abend lernte ich, dort hinzusehen, wo die meisten Männer standen, wenn ich wissen wollte, wo Faylene trainierte. Ich bin überrascht, dass sie nicht mitgekommen ist, um Ihnen zu helfen, Ihren Verlobten auszusuchen.“

„Ihre Hilfe hat mich erst in diese Notlage gebracht. Sie war es, die meinem Chef erzählte, ich sei verlobt. Ich hätte sie sofort berichtigen sollen, als sie es sagte. Aber ich konnte sehen, dass er ihrem Charme bereits erlegen war, und wollte sie nicht bloßstellen. Nun habe ich keine andere Wahl, als mitzuspielen. Es ist nur so …“ Zum ersten Mal wirkte sie verunsichert. „Ich mache Menschen nicht gern etwas vor. Man kann sie damit sehr verletzen.“

Es war etwas in Annes unerwartet leisem Ton, was in Bettina den Gedanken weckte, dass sie aus eigener Erfahrung sprach. Sie war Bettina sehr sympathisch. Es gefiel ihr, wie sie sich um ihre Mutter sorgte. Und sogar noch mehr gefiel ihr, dass Anne nicht viel von Lügen hielt. „Möchten Sie eine Tasse Tee, Anne?“

„Nein, danke.“ Anne blickte auf die Uhr und schüttelte den Kopf. „Verzeihen Sie, ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.“

„Bettina. Das muss Ihnen genügen.“

„Hören Sie, Bettina, ich muss das wirklich schnell erledigen. Bitte zeigen Sie mir, was Sie haben, damit ich ins Büro zurück kann.“

Bettina lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Ganz so einfach ist das nicht. Ihr Antrag verrät mir Ihren Geschmack in Blumen, Musik, Süßigkeiten, Geschenken und so weiter. Als Nächstes denken wir uns eine Vergangenheit für Ihren Verlobten aus, ich stelle Ihnen ein Foto zur Verfügung, und wir beginnen Ihre angebliche Romanze. Ihr Verlobter mag zwar nur erfunden sein, aber wir müssen die Leute in Ihrem Umkreis dazu bringen, ihn für echt zu halten. Haben Sie noch Fragen?“

„Ja. Wer sind die Männer auf Ihren Fotos?“

„Models. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Niemand wird Ihren Verlobten erkennen.“ Bettina hob Annes Antrag auf. „Und nun möchte ich, dass Sie mir mit Ihren eigenen Worten etwas über sich erzählen.“

Anne seufzte ungeduldig. „Ich arbeite für Bundles of Joy, das ist eine Firma, die Produkte für Babys herstellt. Der Eigentümer dieser Firma – der Mann, den meine Mutter ganz oben auf ihre Liste begehrenswerter Junggesellen gesetzt zu haben scheint – glaubt, dass Menschen mit Kindern einen angeborenen Instinkt dafür besitzen, anderen Eltern etwas zu verkaufen. Ich dachte, mir bliebe Zeit, ihm zu beweisen, dass er sich da irrt. Aber nun geht einer der Vizepräsidenten in den Ruhestand, und ich habe die Möglichkeit einer Beförderung.“

„Wunderbar“, sagte Bettina.

„Ja, bis auf die Tatsache, dass meine größte Rivalin einen perfekten Ehemann und zwei perfekte Kinder hat. Und ich nicht.“

„Mögen Sie Kinder?“, fragte Bettina neugierig.

„Ich liebe sie“, erwiderte Anne und zupfte wieder an ihrem Rock. Dann, so leise, dass Bettina sie fast nicht verstehen konnte, fügte sie hinzu: „Ich will nur keine haben. Und der einzige Ehemann, den ich je haben werde, ist der, den Sie mir zur Verfügung stellen.“

Die geradezu neurotische Angst, die für einen Moment in Annes Blick erschien, verriet Bettina mehr als ihre Worte. Sie kannte diesen Blick; sie hatte ihn in den Augen ihres Bruders gesehen. Er sprach nicht darüber, aber als er auf Hawaii gelebt hatte, hatte er sich dort in eine Insulanerin verliebt. Dann war sie gestorben, und aus ihm war ein Weltenbummler geworden, ein Wandervogel, der nie wieder irgendwo Wurzeln schlagen wollte.

Unter dem Namen Dane fotografierte ihr Bruder jeden Regenwald, jede archäologische Ausgrabungsstätte und jedes wichtige Ereignis dieser Welt. Er hatte sich einen Ruf geschaffen, der ihm nicht nur erstklassige Aufträge garantierte, sondern auch das nötige Einkommen für die Verwirklichung seines Schwurs, sich nie wieder irgendwo niederzulassen. Er fotografierte keine Insulanerinnen mehr, aber ein, zwei Kinder mit verzweifelten Gesichtern fanden irgendwie immer einen Weg in seine Aufnahmen. Bis auf zwei Porträts, die eine Galerie verkauft hatte, archivierte er die anderen und bewahrte sie in einer Truhe in Bettinas Keller auf.

Kinder und Familie passten nicht in die sehr unterschiedlichen Lebensstile Mitchells oder Annes. Und da kam Bettina plötzlich ein Gedanke: Sie würde Anne Harris den idealen Verlobten präsentieren. Sie würde ihr Mitchell geben. Und wenn sie sich mit Faylene zusammentat, würden sie mit vereinten Kräften vielleicht sogar einen Weg finden, Annes imaginären Verlobten Wirklichkeit werden zu lassen.

„Ich glaube, ich habe genau den richtigen Mann für Sie. Lassen Sie mich ihnen etwas über Mitchell Dane erzählen.“

1. KAPITEL

„Hier noch einmal Anne Harris“, flüsterte die leise, raue Stimme in den Anrufbeantworter. „Ich muss dringend mit dem Mann Kontakt aufnehmen, der für das Foto von Mitchell Dane Modell gestanden hat. Ich brauche ihn unbedingt.“

Mitchell lauschte mit Bestürzung dieser letzten Nachricht. Er brauchte Bettinas Telefon nicht abzunehmen, es genügte, wenn er den Anrufbeantworter abhörte und sie in Notfällen benachrichtigte. In der Zeit, die er heute Morgen gebraucht hatte, um Pfannkuchen und Rühreier zu backen, hatte Anne Harris drei Nachrichten hinterlassen, eine dringender als die andere. Aber nicht das beunruhigte ihn, sondern die Tatsache, dass die Stimme dieser Frau nach Mitchell fragte.

„Ich weiß, es ist gegen deine Geschäftspolitik, Bettina“, fuhr sie fort und bemühte sich vergeblich, das Zittern ihrer Stimme hinter einem scharfen Tonfall zu verbergen. „Aber ich muss ihn unbedingt erreichen.“

Mitchell nahm sich vor, Bettina zu erwürgen, wenn sie zurückkam. Er hatte eigentlich nur seine Post bei ihr abholen wollen, bevor er zu einem Fotoshooting nach North Carolina weiterfuhr. Doch kaum hatte Bettina erfahren, dass er unterwegs zu ihr war, beschloss sie plötzlich, ihren Bruder in Wyoming zu besuchen.

Zugegeben, ihr Einfrau-Unternehmen ließ ihr praktisch nie Gelegenheit, zu verreisen, und er schuldete ihr etwas dafür, dass sie ihm gewissermaßen als Zentrale diente, da er keinen festen Wohnsitz hatte. Aber ein Abstellraum in ihrem Keller und die gelegentliche Nutzung ihres Gästezimmers entsprachen nicht ganz dem Problem, das sich hier aufzubauen schien. Als er sich bereit erklärt hatte, sich um etwaige Notfälle zu kümmern, hatte er an tropfende Wasserhähne oder einen Stromausfall gedacht. Was für eine Art von Notfall konnte es schon mit einem imaginären Lover geben?

Die bloße Idee, ein derartiges Unternehmen zu gründen, war ihm von Anfang an verrückt erschienen. Vor fünf Jahren, als Bettina erklärt hatte, sie wolle einen Service gründen, der Fotos angeblicher Liebhaber beschaffte, die ihren Kundinnen Geschenke schickten und sie anriefen, waren er und seine Brüder in schallendes Gelächter ausgebrochen.

Sie war damals zu ihm gekommen, weil sie Fotos attraktiver Männer brauchte. Männer, die jede Frau zum Träumen bringen würden. Da sie gerade erst die Firma gründete und kein Geld hatte, um professionelle Models zu bezahlen, machte sie den Vorschlag, ihre Brüder für die Fotos zu benutzen. Sie hatten noch lauter gelacht und sich geweigert. Aber sie meinte es ernst, und irgendwann, weil sie alle nicht in unmittelbarer Umgebung lebten, hatten sie sich schließlich doch dazu bereit erklärt, vorausgesetzt, dass Mitchell die Aufnahmen machte.

Damals hatte sie versprochen, die Fotos nur vorübergehend zu benutzen, bis sie sich echte Models leisten konnte. Laut Bettina waren sie inzwischen längst aus der Kartei entfernt worden.

Aber woher kannte dann Anne Harris seinen Namen?

„Wo bist du, Bettina? Ruf mich an, sobald du heimkommst, oder alles, wofür ich gearbeitet habe, ist verloren“, sagte sie und legte auf.

Urlaub oder nicht, Mitchell blieb nichts anderes übrig, als Bettina anzurufen. Aber unter der Nummer der Ranch seines Bruders in Wyoming meldete sich nur der Anrufbeantworter. „Hör zu, Bettina“, sagte Mitchell gereizt, „ich weiß, ich habe geschworen, dich nicht zu stören, solange es nicht um Leben oder Tod geht. Aber du solltest wissen, dass eine Frau namens Anne Harris angerufen hat, die ziemlich verzweifelt klang. Du solltest sie anrufen, finde ich.“

Eine Stunde verging. Bettina meldete sich nicht. Mitchell wanderte durch das Apartment seiner Schwester und dachte über seine Möglichkeiten nach. Er hätte die Frau selbst anrufen können, wenn sie ihre Nummer hinterlassen hätte. Aber das hatte sie nicht getan, und obwohl er danach suchte, fand er auch Bettinas Adressbuch nicht.

Anne Harris war entweder eine Kundin von Bachelor-in-a-Box oder wollte es werden. Falls sie es war, dann kannte sie die Regeln. Die Verträge auf Bettinas Schreibtisch schlossen klar und deutlich jeden Kontakt zwischen Models und Kundinnen aus.

Mitchell legte die Füße auf den Schreibtisch seiner Schwester und versuchte, sich nicht verantwortlich zu fühlen. Bettina war erwachsen, und dies war ihr Geschäft. Aber die angespannte leise Stimme auf dem Anrufbeantworter ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Zu unruhig, um still zu sitzen, spielte Mitchell das Band noch einmal ab. Verärgert, dass er sich dieser Anne Harris gegenüber verpflichtet fühlte, beschloss er schließlich, dass es nicht ihr Problem war, was seine Neugier weckte, sondern ihre Stimme und die Art, wie sie sprach – kultiviert und gleichzeitig sinnlich und mit dem Anflug eines weichen Südstaatenakzents. Das kehlige Flüstern beschwor Visionen heißer tropischer Nächte in ihm herauf, Bilder von Mondschein und von wilden Orchideen. Er versuchte, sich das Gesicht vorzustellen, das zu der Stimme gehörte.

Dann überlegte er, was für Frauen es sein mochten, die Bettinas Service in Anspruch nahmen. Sie waren vermutlich schüchtern – Frauen, die durch die Filme lebten, die sie sich ansahen, und auf einen imaginären Liebhaber zurückgriffen, um ihren Freundinnen zu beweisen, dass auch sie von jemandem geliebt wurden. Er merkte, dass er versuchte, diesen Frauentyp mit der aufregenden Stimme der verzweifelten Anruferin in Zusammenhang zu bringen. Sie passten nicht zusammen.

Neugierde gehörte zu den Eigenschaften eines jeden Fotografen, obwohl seine eigene Neugierde neuerdings immer geringer wurde. Nach zu vielen langen Nächten, endlosen Flügen und einsamen Aufträgen sah alles ziemlich ähnlich aus. Er erinnerte sich oft nicht einmal an das Land … mit Ausnahme der Kinder. Ihre Gesichter verfolgten ihn. Und er fühlte sich für jedes einzelne verantwortlich.

Aber diese Frau weckte sein Interesse. Mitchell lehnte sich zurück und begann über sie nachzudenken. Seine Analyse begann damit, was für eine Art Frau für einen imaginären Lover zahlen würde, und endete bei der Frage, wieso seine Schwester dieser Miss Harris seinen Namen angegeben hatte.

Momente später schrillte wieder das Telefon. „Bettina, hier ist noch einmal Anne. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich eine lebensbedrohliche Situation hier habe.“ Die Stimme war sogar noch angespannter als zuvor. „Es ist schwer zu erklären, aber mein angeblicher Verlobter muss unbedingt für die Dauer von zwei Tagen Wirklichkeit werden. Es geht nicht nur um meinen Job, sondern auch um die Zukunft meiner Mutter. Du musst mir helfen, Kontakt zu dem Mann aufzunehmen, der für das Foto posiert hat. Ich zahle ihm tausend Dollar für zwei Tage.“ Sie seufzte. „Bitte, Bettina. Du und meine Mutter, ihr habt mich in diese Situation gebracht, also müsst ihr mir jetzt helfen.“

Bettina hatte Miss Harris in eine lebensbedrohliche Situation gebracht, die auch ihre Mutter in Gefahr brachte? Mitchell stöhnte. Falls Bettina haftbar war, traf ein Teil dieser Verantwortung auch ihn. Er hatte mitgeholfen, die idiotische Idee seiner Schwester zu verwirklichen. Und nun hatte sie ihre Firma seiner Obhut überlassen.

Und diese Frau suchte Mitchell. Warum?

Warum war sie bereit, tausend Dollar für zwei Tage Schauspielerei zu bezahlen? Es klang ja fast so, als wollte sie einen Gigolo engagieren – eine aufregende Idee. Er lächelte. Er wusste nicht, was dieser Mitchell kostete, aber Dane, der Fotograf, verlangte für zwei Tage erheblich mehr.

„Ich übernehme die volle Verantwortung für das Wochenende“, versprach sie.

Das würde sie auch müssen. Verantwortung für andere zu übernehmen, war etwas, womit er sich gut auskannte. Nach dem Tod seines Vaters hatte er seinen Teilzeitjob im Studio eines Fotografen zu einem Sieben-Tage-Job erweitert, solange er die Highschool abschloss. Er war Schwimmer mit Hoffnungen auf ein Sportstipendium gewesen. Aber als Ernährer der Familie war es für ihn vorbei mit Schwimmen, Tanzen oder Mädchen. Später, als Ran, Jess und Bettina alt genug waren, um auf eigenen Beinen zu stehen, nahm er eine Assistentenstelle bei einem Fotografen an, der ihn zu einem Shooting nach Hawaii mitnahm. In den nächsten drei Jahren gammelte er dort am Strand herum und arbeitete nur, um Filme oder Vorräte zu kaufen. Nach und nach lernte er dazu und begann seine Fotos schließlich zu verkaufen.

Für Mitch bedeutete Hawaii Freiheit, Leben und Schönheit. Und dort fand er Melia, eine schöne dunkelhaarige Eingeborene, die sein Model und seine Lebensgefährtin wurde. Sie waren jung und unbesonnen, trunken vom Mondlicht und der Liebe. Dann erhielt er den Auftrag, tief im Dschungel einen Wasserfall zu fotografieren, der gewöhnlich von den Einheimischen gemieden wurde, weil sie ihn in ihrem Aberglauben für einen geheiligten Ort hielten.

Ein Dutzend Mal schon waren Mitch und Melia im Regenwald gewesen, über steile Felsen geklettert, die fast senkrecht in die Höhe führten, und hatten sich in Gefahr gebracht, um die Schönheit der Inseln festzuhalten. Aber dieses Mal hatte er Bedenken gehabt, sie mitzunehmen. Sie hatte ihn angefleht. „Bitte“, hatte sie ein ums andere Mal gesagt und ihn geküsst, bis er nicht mehr anders konnte, als nachzugeben. Aber dieser Auftrag war von Anfang an anders gewesen. Es regnete unaufhörlich, und als der Regen die Inselgötter nicht mehr fernhielt, kamen sie herab, um die Eindringlinge daran zu erinnern, dass sie hier unwillkommen waren.

Melia stürzte von oberhalb der Wasserfälle in den Tod. Viel später erst erfuhr er, dass sie ein Kind von ihm erwartet hatte. Danach hatte er keinen Blick mehr für die Schönheit von Hawaii. Er stürzte sich in die Arbeit, schwor, nie wieder für einen anderen Menschen Verantwortung zu übernehmen, und begann das Nomadenleben, das er seither führte. Aber er sah das Gesicht des Kindes, das er verloren hatte, überall, wohin er ging.

Und nun war er verantwortlich für diese Anne Harris mit der einladenden Stimme, ob er wollte oder nicht. Aber es war ja nichts Persönliches, beruhigte er sich. Er half nur seiner Schwester.

Dann merkte er, dass Anne Harris noch nicht aufgelegt hatte. Er konnte ein schwaches, abgehacktes Murmeln hören, als hielte sie den Hörer an die Brust. Zuerst dachte er, sie weinte, merkte dann aber, dass sie leise fluchte, und zwar auf eine Art, wie er keine Frau mehr fluchen gehört hatte, seit ein Bus mit einer Gruppe Models, die zu Fotoshootings unterwegs gewesen waren, mitten in der Wüste von Arizona eine Panne gehabt hatte. Die Worte schienen an Männer generell gerichtet.

Schließlich beendete sie ihr Gemurre. „Bitte“, wisperte sie flehend.

Eine unwillkommene Hitze durchzuckte seine Lenden, und er biss ärgerlich die Zähne zusammen. Die Frau hatte nicht nur die aufregendste Stimme, die er je gehört hatte, sondern sagte auch noch Bitte. Sie brauchte ihn. Bevor er merkte, was er tat, hatte er den Hörer abgenommen. „Ich übernehme den Auftrag. Aber ich sollte Sie vielleicht warnen: Ich reise nur erster Klasse und mache keine halben Sachen.“

Ein langes Schweigen folgte. „Wo habe ich angerufen?“, fragte sie dann misstrauisch.

Er nannte ihr die Nummer. „Sie wollten Bettina sprechen, nicht? Aber sie ist nicht in der Stadt.“

„Natürlich. Zuerst verschwindet meine Mutter, dann Bettina“, sagte die Stimme ärgerlich. „Und wer sind Sie?“

„Mitchell. Den wollten Sie doch sprechen, nicht?“

„Ja, aber Sie verstehen nicht. Sie müssen der richtige Mitchell sein. Meine Kollegen haben ein Foto von ihm gesehen. Sie wissen, wie er aussieht. Wenn ich den falschen Mann mitbringe, ist Schluss mit meiner Karriere.“

„Ich bin der richtige Mitchell. Vertrauen Sie mir.“

„Wem versuche ich was vorzumachen?“, fuhr sie hilflos fort. „Ohne einen zukünftigen Ehemann bin ich wieder dort, wo ich begonnen habe, und kann niemandem außer mir die Schuld daran zuschreiben. Wie konnte ich das nur geschehen lassen? Ich wusste es doch.“

„Zukünftiger Ehemann?“ Das war nicht Teil des Plans, wie imaginär auch immer. „Beschreiben Sie Mitchell“, forderte er sie auf, um Zeit zu gewinnen. „Wie sieht er aus?“

„Auf meinem Foto steht er an einem Strand vor einem großen schwarzen Felsen und schaut in die Kamera. Er ist groß, hat dunkelblondes Haar und …“, sie machte eine kurze Pause, „… er sieht ein bisschen traurig aus.“

Der Strand mit dem schwarzen Felsen – er erinnerte sich nur allzu gut daran. Er und Melia hatten dort wundervolle Momente miteinander verbracht. Nach ihrem Tod war er sehr oft an diesen Strand gegangen. Das Foto hatten Freunde aufgenommen. Die Erinnerung an diesen Strand traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen. Er hatte geglaubt, den Kummer überwunden zu haben, aber es war offensichtlich, dass es nicht so war.

„Mitchell, kennen Sie das Foto, das ich meine?“

„Ja“, sagte er und versuchte in einem jähen Anfall von Bedauern, sein überstürztes Angebot zurückzunehmen. „Ich weiß nicht, was Ihr Problem ist, aber ich denke, Sie sollten besser warten, bis Bettina sich damit befasst.“

„Normalerweise würde ich Ihnen zustimmen. Aber diesmal kann ich nicht abwarten. Wenn ich den echten Mitchell vorzeigen kann, besteht die Chance, dass ich befördert werde. Und nach der Beförderung kann ich für meine Mutter sorgen.“

Ihre Mutter. Sie musste krank sein. Das würde Miss Harris’ Verzweiflung erklären. „Ich bin wirklich Mitchell. Ich versichere Ihnen, dass ich der Mann bin, den Sie suchen.“

„Ich hoffe es.“ Ihr resignierter Tonfall verriet Zweifel. „Ich habe den Schlüssel einer Hütte am See, ganz in der Nähe von Mr. Jacobs Haus, die wir heute Nachmittag benutzen können. Ich dachte, es wäre besser, wenn wir ein ungestörtes Plätzchen hätten, wo wir in aller Ruhe die Geschichte unserer Beziehung proben können, bevor ich Sie meinem Chef vorstelle.“

„Proben?“ Er konnte sie nicht sehen, aber in seinem Kopf spielten sich bereits die aufregendsten erotischen Szenen ab. „Das klingt … interessant.“

„Es ist rein geschäftlich“, betonte sie. „Und seriös. Machen Sie sich keine Sorgen. Seien Sie einfach nur unvoreingenommen. Ich habe alles schon genauestens durchdacht.“

Mitchell versuchte, unvoreingenommen zu sein, aber sein Kopf machte nicht mit, sondern begann sich vorzustellen, was seine „Verlobte“ wohl mit Proben meinte. „Ich bin ein ziemlich unkonventioneller Mann. Vielleicht sollten Sie sich das Ganze doch noch einmal überlegen.“

„Dazu ist es zu spät, Mitchell.“

Es war zu spät. Bettina sagte immer, er lebte sein Leben, als wäre es ein James-Bond-Film, doch diesmal hatte er das Gefühl, als wäre er gerade eben in Alice’ Kaninchenbau getreten – nur dass es in diesem Kaninchenbau nicht um Teepartys und Schachpartien ging wie in „Alice im Wunderland“. Mit dem Eingeständnis, dass er Mitchell war, hatte er sein Schicksal sozusagen schon besiegelt. Wenn er nicht auflegen wollte, musste er weitermachen. Es war eine Frage der Ehre. Wenn er versprach, etwas zu tun, tat er es auch. Außerdem, sagte er sich, war es ja nur für ein Wochenende. Und vermutlich war sie fade wie eine trockene Scheibe Toast.

„Bringen Sie legere Sachen für den See mit und einen dunklen Anzug für die Hochzeit“, fuhr sie fort. „Ich weiß nicht, warum die Leute im Juni heiraten. Es ist viel zu heiß. Und noch etwas. Ich will gar nicht wissen, wer Sie wirklich sind. Bettina nannte Sie Mitchell Dane, und das ist es, was meine Kollegen erwarten. Wenigstens gibt sie ihren Männern Nachnamen, auch wenn sie ihren eigenen geheim hält.“

„Mitchell Dane?“ Bettina nannte Anne Harris seinen Familiennamen, hielt aber ihren eigenen geheim? Was sollte das? Dann dämmerte es ihm – warum sie sein Foto benutzte … ihr plötzliches Bedürfnis, zu verreisen … Dieses Wochenende war eine Art Falle. Bettina war der Ansicht, es sei allmählich an der Zeit für ihn, sich irgendwo niederzulassen. Als er das letzte Mal in der Stadt war und sie eine ihrer Kundinnen zum Dinner einlud, hatte er einen Tag früher als geplant Reißaus genommen. Dieser letzte Zwischenfall bewies jedoch, dass Bettina noch nicht aufgegeben hatte. Sie hatte ihn zu Anne Harris’ zukünftigem Ehemann gemacht. Er fragte sich, ob Anne wirklich eine Kundin sein mochte oder nicht, und ob Jess und Ran von Bettinas Plänen wussten. Wenn nicht, konnten sie sich auf etwas gefasst machen. Denn sie würden die Nächsten sein.

Anne unterbrach seine Gedanken. „Ich habe schon gepackt.“ Sie nannte ihm ihre Adresse und fügte noch hinzu: „Beeilen Sie sich, Mitchell. Wir müssen uns auf den Weg machen“, und legte auf, bevor er einen Rückzieher machen konnte. Und er hatte noch immer keine Telefonnummer von ihr.

Mitchell blieb einen Moment sitzen und überlegte sich den nächsten Schritt.

Er war auf eine heisere, sexy Stimme und eine Frau in Schwierigkeiten hereingefallen. Bettina hatte fest damit gerechnet; sie wusste, seine Vergangenheit hatte ihn zu einem verantwortungsbewussten Mann gemacht. Er kam nicht an gegen seine Schuldgefühle in Bezug auf Melias Tod oder das Bedürfnis, jeder Frau und jedem Kind in Not zu helfen. Er würde es nie zugeben, aber er war ein Romantiker. Er hatte „Casablanca“ fast schon in jeder Sprache dieser Welt gesehen. Er an Bogarts Stelle hätte Ingrid Bergmann niemals wieder fortgelassen.

Aber das war nur ein Film, und hier musste er davon ausgehen, dass Anne Harris tatsächlich eine Kundin seiner Schwester war. Und falls die ganze Sache abgesprochen war, nun, dann würde er den Spieß vielleicht ganz einfach umdrehen und Bettina dumm dastehen lassen. Er hatte bis zu seinem nächsten Auftrag noch zwei Wochen Zeit … Anne Harris wollte mit ihm proben … Er begann sich für die Idee allmählich zu erwärmen. Sie brauchte einen Liebhaber, der überzeugend seine Rolle spielen würde. Und er würde halten, was Bettina ihr versprochen hatte.

Autor

Sandra Chastain
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