Masken der Lust

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Sie trägt eine Maske und ist als Cabaret-Sängerin verkleidet. Wer ist diese Frau, die da gerade seinen Schreibtisch durchsucht? Mason Scott sieht rot. Warum ist sie nicht mehr auf der Kostümparty? Mit ein paar Schritten ist er bei ihr. Und sie in seinen Armen …


  • Erscheinungstag 25.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505222
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Josie bekam Tom einfach nicht mehr aus dem Kopf. Bildete sie sich das ein, oder war er wirklich an ihr interessiert?

Sie blickte sich im Geschäftsraum des Kostümverleihs „Dressed to Thrill“ um. Der Laden war schon wieder fast leer gekauft. Kostümpartys waren zurzeit in Mode, und Tom kam öfter als sonst mit seinem Lastwagen, um neue Ware zu bringen und bestellte Kostüme abzuholen. Jetzt war es wieder so weit, und Josie beobachtete ihn, wie er einen Rollcontainer nach dem anderen auslud und durch die Ladentür rollte. Was für einen tollen Po er hatte …

Als er fertig war, sah er sie an. „Tja, ich schätze, ich muss …“

„Oh! Eine Sache habe ich ganz vergessen“, fiel Josie ihm ins Wort. „Heute Morgen kam noch eine Sonderbestellung. Kannst du einen Moment warten, ich mache sie gleich fertig.“

Sie kehrte kurz darauf mit einem in Folie verpackten Bündel – das mit der Bestellung war keine Lüge gewesen – zurück. Als sie hierfür einen Umschlag aus einer Box auf dem Ladentisch nahm, ertappte sie Tom dabei, wie er auf ihren Po starrte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Ihre Hände zitterten, sie bekam das Päckchen kaum in den Umschlag.

„Tom, ich frage mich schon die ganze Zeit …“, begann sie tapfer.

„Ja, Josie?“

„Ich … ich meine, ich frage mich …“ Wenn sie doch nur den Mut aufbrächte, ihn zu fragen, ob er Lust hätte, einmal mit ihr ausgehen. Tom beugte sich vor, plötzlich war sein Mund sehr nah an ihrem.

„Was fragst du dich?“

Sie spürte seinen Atem. Er roch so gut. Nach Sonne und frischer Wäsche … seine Uniform war frisch gebügelt und sauber. Josies Hände bewegten sich wie von selbst nach oben, um schließlich auf Toms Brust zu landen.

Er würde sie küssen. Jetzt! Sie schloss die Augen und wartete auf diesen Kuss, als hinge ihr Leben davon ab.

„Josie! Was ist los? Tom?“ Es war Carol, Josies Chefin.

Vor Schreck wich Josie zurück und stolperte über eine der Kisten. Tom machte einen schnellen Schritt nach vorne und hielt sie an den Unterarmen fest.

„Oh, äh, Carol … tut mir leid … ich …“ Josie stammelte schon wieder. Tom fuhr sich mit der Hand durch seinen dichten, dunklen Schopf und lächelte entschuldigend.

„Tut mir leid, Ma’am … tja, ich wollte Josie gerade um ein Date bitten.“

Wie bitte? Josie riss die Augen auf. Date? Was für ein Date? Wann?

„Also, könntet ihr bitte das Flirten auf den Feierabend verschieben? Die Arbeit muss schließlich gemacht werden. Was ist, wenn Kunden ins Geschäft kommen und es hier … so aussieht.“

Josie schob die Brauen zusammen. Musste Carol gerade jetzt auftauchen? Sie war hochschwanger und ziemlich gestresst. Sollte sie nicht im Bett sein und sich ausruhen?

„Tut mir leid, Carol“, sagte Josie lahm und lächelte Tom zu. „Rufst du mich an?“

„Auf jeden Fall.“

Josie machte das Päckchen fertig und gab es ihm. Dabei lächelte sie vielsagend, und Tom zwinkerte ihr zu.

Erst als sie ihre Daten am Computer überprüfte, fiel ihr der Fehler auf. Oh nein, es war ihr schon wieder passiert. Carol würde sie umbringen. Sie hatte das falsche Kostüm eingepackt. Josie stürmte zur Tür. Hoffentlich würde sie Tom noch erwischen. Doch er war schon fort.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch einen viel schlimmeren Fehler gemacht hatte.

Tom hatte ja gar nicht ihre Telefonnummer.

1. KAPITEL

„Ich muss den Verstand verloren haben“, brummte Gina, als sie den Gulf Boulevard in St. Petersburg, Florida, hinabfuhr. Sie zitterte, obwohl es doch eine sehr milde Nacht war. Das musste daran liegen, dass sie so nervös war, und das wiederum lag daran, dass ihr Outfit kaum etwas von ihrem Körper bedeckte. Sie fühlte sich nackt.

Der knallrote schimmernde Body, der sowohl am Dekolleté als auch an den Beinausschnitten extrem viel Haut sehen ließ, gab ihr das Gefühl, nur halb angezogen zu sein. Eigentlich hatte sie gar keine Haut zeigen wollen – sie hatte ein ziemlich unspektakuläres Cowgirl-Kostüm beim Kostümverleih bestellt. Damit wäre sie auf der Party überhaupt nicht aufgefallen.

Als sie jedoch das Päckchen geöffnet hatte, kam ihr dieses Nichts aus glänzend rotem Satin entgegen, komplett mit schwarzer Fliege, Melone und Stock. Ein Paar aufreizende High Heels, die sie sich von ihrer Schwester Tracy ausgeliehen hatte, vervollständigten das Outfit und erschwerten das Autofahren. Sie würde jetzt also auf dieser Kostümparty nicht als Cowgirl erscheinen, sondern – extrem sexy – als Cabaret-Sängerin.

Es war zu spät gewesen, um noch ein anderes Kostüm zu besorgen. Und Tracy hatte sich furchtbar aufgeregt, als Gina angedeutet hatte, der gemeinsam ausgeheckte Plan sei vielleicht doch keine gute Idee.

„Du musst das durchziehen.“ Gina hörte immer noch Tracys flehende Stimme, während sie den Wagen vorsichtig durch die überfüllten Straßen von St. John’s Pass zu dem ruhigeren und teureren Viertel Pass-A-Grill Beach lenkte. Dort sollte sie sich unter die Gäste der Kostümparty mischen, die Rechtsanwalt Mason Scott alljährlich für seine Klienten und Kollegen veranstaltete.

Gina hätte das lieber in einem weniger aufreizenden Kostüm gemacht.

Aber es ging um Tracy. Sie steckte in Schwierigkeiten. Wieder einmal.

Um nicht wieder kehrtzumachen, erinnerte Gina sich an den Grund, weshalb sie hier war. Am liebsten würde sie sich in ihr gemütliches Apartment in St. Petersburg zurückziehen. Genug zu tun hätte sie, sie musste Artikel schreiben. Außerdem wollte sie sich jetzt endlich auf ein Stellenangebot bewerben, in dem eine Journalistin gesucht wurde.

Das wäre ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zu ihrer jetzigen Stelle als Restaurantkritikerin. Gina hatte schon immer davon geträumt, einmal als richtige Reporterin zu arbeiten, in der Welt herumzukommen und aufregende Storys zu schreiben. Endlich hatte sie den Entschluss gefasst, sich um eine entsprechende Stelle zu bewerben, da war wieder einmal Tracy, dieser kleine Hurrikan, dazwischengekommen. Sie brauchte ihre Hilfe.

Rein technisch waren sie nur Halbschwestern, aber sie waren zusammen aufgewachsen. Dass sie verschiedene Väter hatten, tat ihrer schwesterlichen Liebe keinen Abbruch, war jedoch der Grund dafür, dass sie von Grund auf unterschiedlich waren. Ihre Eltern genossen ihren Ruhestand in Palm Springs, und Gina bemühte sich, sie so oft wie möglich zu besuchen. Tracy tauchte nur an Feiertagen auf, aber ihre Eltern schienen nichts dagegen zu haben.

Tracy war schön, abenteuerlustig und impulsiv – das genaue Gegenteil von Gina. Tracy war es auch, die sich regelmäßig in Schwierigkeiten brachte und dann jedes Mal zu ihrer großen Schwester rannte, um sich helfen zu lassen.

Solange sie denken konnte, hatte Gina immer wieder für Tracy die Kartoffeln aus dem Feuer geholt. Als sie noch jünger waren, hatte Gina Tracy geholfen, wenn sie mitten in der Nacht sturzbetrunken ins Haus schlich. Später hatte Gina ihrer Schwester geholfen, sich von den falschen Männern zu trennen, immer wieder – bis hin zu ihrer Ehe mit Rio Alvarez, von dem Tracy sich gerade scheiden ließ.

Gina hatte Tracy angefleht, diesen Rio nicht zu heiraten, doch ihre Schwester hörte nie auf sie. Die Sache hatte in einem richtig heftigen Streit geendet, als Tracy gesagt hatte, dass Ginas langweiliges Liebesleben dieser wohl kaum das Recht gebe, anderen in Liebesdingen gute Ratschläge zu erteilen. Danach hatten sie eine Weile nicht miteinander geredet, aber sie waren nun einmal Schwestern, und Gina konnte niemandem auf Dauer böse sein.

Außerdem, Tracy hatte ja recht.

Ginas Liebesleben war nicht langweilig, es war tot. Am College hatte sie einen festen Freund gehabt, der sich aber später nur noch auf seine Karriere konzentriert hatte.

Später hatte sie hier und da mal ein Date gehabt, selten auch einmal einen Lover. Seitdem sie freiberuflich als Journalistin arbeitete, war es noch schwieriger geworden, sich mit interessanten, attraktiven Männern zu treffen. Tracy jedoch traf genug Männer für sie beide und hatte damit offenbar auch nach ihrer Heirat nicht aufgehört – jedenfalls behauptete das Rio.

Angeblich hatte er Fotos, die das bewiesen. Tracy hatte gestanden, dass sie Rio ein einziges Mal betrogen habe und dass es ihr leidtue. Er habe sie jedoch von Anfang an ständig betrogen und sie wegen dem einen Mal gleich zu verstoßen, sei unfair.

Offenbar sollte Tracy für diesen einen Fehler einen sehr hohen Preis zahlen.

Sie hatte ihre gesamten Ersparnisse – auch das Geld, das sie jetzt brauchen würde, um das College zu beenden – in Rios Bootsvermietung investiert. Außerdem hatte Tracy fünf Jahre in Rios Geschäft gearbeitet, aber alles lief auf seinen Namen.

Tracy konnte natürlich versuchen, sich zu wehren, doch der Beweis ihres Seitensprungs würde es schwieriger machen, und der Prozess würde sich höchstwahrscheinlich endlos in die Länge ziehen und immer teurer werden. Ohne diese Fotos wäre es wesentlich leichter – dann stünde sein Wort gegen ihres. Dann hätte Tracy wenigstens eine geringe Chance.

Gina glaubte durchaus, dass Tracy Rio anfangs tatsächlich geliebt hatte, und das machte alles noch komplizierter. Tracy hatte immer wieder falsche Entscheidungen getroffen, besonders, was Männer betraf. So ein Trennungsdrama hatte sie jedoch nicht verdient.

Und deshalb war Gina jetzt auf dem Weg zum Haus von Mason Scott, Rios Scheidungsanwalt. Der Plan, die Fotos zu stehlen, kam ihr von Minute zu Minute verrückter vor, doch es war die einzige Möglichkeit, Tracys Position in dem Scheidungsprozess zu verbessern.

Tracy hatte in dem auffälligen Kostüm überhaupt kein Problem gesehen. Aber wie um Himmels willen sollte Gina sich damit ungesehen in Scotts Büro schleichen?

Zumindest standen die Chancen nicht schlecht, dass die Fotos sich in dessen Haus befanden, denn dort arbeitete er in letzter Zeit hauptsächlich. So war es in einem Zeitungsartikel über die Kanzlei zu lesen gewesen. Viele Firmen sparten Büromiete und andere Kosten, indem sie ihren Mitarbeitern erlaubten, zu Hause zu arbeiten. Sollten die Fotos sich in der Kanzlei im Herzen der Stadt befinden, wo die Sicherheitskontrollen viel genauer waren, dann hätte Gina nicht den Hauch einer Chance.

Das Anwesen war wunderschön und lag direkt am Strand. Gina parkte in einer schmalen Lücke zwischen zwei Autos, atmete tief ein und wieder aus und versuchte, sich zu beruhigen.

Jetzt war es also so weit.

Da die Nacht so mild war, hatten sich einige Gäste im Freien versammelt. Das würde es Gina leichter machen, sich unauffällig unter die Gäste zu mischen. Sie müsste sich einfach nur einer Gruppe von Gästen anschließen und mit ihnen durch die Tür gehen. Sie schob die glitzernde Maske, die die obere Hälfte ihres Gesichts bedeckte, zurecht. Dann holte sie tief Luft und verdrängte alle Zweifel und Ängste. Noch ein kurzer Blick in den Rückspiegel – und Gina erkannte sich selbst kaum wieder.

Sie sah … exotisch aus. So anders als die normale, unauffällige Gina. Sie war Mason Scott nie begegnet, allerdings hatte er als Scheidungsanwalt in der Gegend von Tampa und St. Petersburg einen sehr guten Ruf. Gina hatte auch schon des Öfteren Fotos von ihm in der Presse gesehen, immer wieder mit einer anderen Frau an seiner Seite. Was würde er wohl tun, wenn er feststellte, dass Tracys Fotos verschwunden waren?

Gina ging die Stufen zum Eingang hinauf und wurde schon wieder von Zweifeln und Ängsten geplagt. Sie bemerkte, wie ein dunkelhäutiger Pirat sie von oben bis unten musterte und ihr dann heftig zuzwinkerte. In diesem Moment wäre sie am liebsten weggelaufen.

Was, wenn Mason Sicherheitspersonal hatte? Was, wenn man sie erwischte?

„Sie kommen spät! Wo bleiben Sie denn? Seit einer Stunde rufe ich ständig in der Agentur an!“, zischte ihr eine Frau ins Ohr und packte Gina am Arm.

„Wie bitte?“

„Sie hätten um sieben hier sein sollen! Jetzt ist es kurz nach acht.“

Die Frau war ganz außer sich. Gina öffnete den Mund, um zu protestieren, doch die Frau zerrte sie einfach mit sich. Im nächsten Moment fand sie sich hinter einem Vorhang wieder, der das Foyer vom Eingang trennte.

„Die Band spielt, wir haben also Musik, aber alle warten auf die Sängerin. Wir haben immer eine Sängerin.“ Die Frau ließ Gina keine Chance, auch nur ein Wort zu sagen. „Die Jungs haben Ihre Songs. Alles ist bereit. Hier entlang geht es zur Bühne, alles klar?“

„Warten Sie – nein, ich bin nicht, wofür Sie mich halten“, begann Gina. „Ich bin nicht die Sängerin, die Sie engagiert haben.“

„Was soll das heißen? Haben die bei der Agentur einen Fehler gemacht? Bei dem Preis? Wenn Sie das nicht machen können, müssen Sie direkt mit Mr. Scott verhandeln.“

Die Frau war wesentlich älter als Gina und wirkte in ihrem Hexenkostüm sehr authentisch. Ihr Hut war zerknautscht, ihr Make-up verschmiert. Irgendwie tat sie Gina leid. „Ich schwöre, diese Partys sind noch mein Tod. Irgendetwas geht immer schief. Warten Sie, ich gehe zu Mr. Scott. Sie können so lange …“

„Nein!“, platzte Gina heraus. Auf keinen Fall durfte sie Mason persönlich gegenübertreten. Was, wenn er womöglich doch eine Ähnlichkeit zwischen ihr und Tracy entdeckte? Rio hatte vielleicht einmal Ginas Namen erwähnt. Dieses Risiko konnte sie nicht eingehen.

Was also blieb übrig? Sie könnte einfach verschwinden, sobald ihr die Frau den Rücken zudrehte, aber damit würde sie Tracy im Stich lassen.

Oder sie könnte … singen.

Ihre Stimme war okay. In der Schule hatte sie bei mehreren Musicals mitgemacht, und sie sang zu Hause, unter der Dusche, sogar bei Karaoke-Partys, meistens nach ein, zwei Gläsern Bier.

Würde sie das schaffen?

Hatte sie denn eine Wahl? Die Hexe starrte sie an, als wollte sie sie mit Blicken durchbohren.

„Ich … ich meine, ich bin nicht die Sängerin, die eigentlich hierherkommen sollte. Sie ist … krank. Ich weiß leider nicht, welche Songs sie vorbereitet hat.“

„Oh nein …“, die Frau fasste sich entnervt an die Stirn, „… ach, ich denke, die Band wird sich schon darauf einstellen können. Sagen Sie den Jungs einfach, was Sie wollen.“

Gina nickte. Sie war so nervös, dass sie kaum atmen konnte. „Können Sie ihnen sagen, dass ich praktisch unvorbereitet bin?“

„Natürlich. Ich bin gleich wieder da.“

Gina räusperte sich und versuchte, sich zu beruhigen. Sie würde ein paar Lieder singen und dann verschwinden, um Masons Büro zu suchen. Vielleicht würde sie von der Bühne aus einen besseren Überblick über das Anwesen bekommen. Es würde bestimmt funktionieren, oder?

Oder es würde eine Katastrophe werden. Als die Hexe zurückkehrte und ihr sagte, dass die Band bereit sei, versuchte Gina, einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch es gelang ihr nicht. Unglaublich, die Frau schob sie einfach vorwärts zur Bühne.

Mason Scott hoffte, dass man ihm unter seiner Vampirmaske nicht anmerkte, wie gelangweilt er war. Warum tat er sich diese Partys immer wieder an?

Weil man es von ihm erwartete. Die Kanzlei erwartete von jedem Teilhaber, dass er einmal im Jahr irgendeine Art von Event organisierte, um den Kontakt zu alten und neuen Klienten zu pflegen und der wachsenden Anzahl von Mitarbeitern, die zu Hause arbeiteten, eine Plattform zu bieten. Das war nun mal der Preis, den er dafür zahlen musste, dass er selbst fast nur noch zu Hause arbeitete. Dutzende von Leuten, von denen er höchstens eine Handvoll zu seinen Freunden zählte, nahmen einmal im Jahr für ein paar Stunden sein Haus in Besitz.

Sein Bruder Ryan, der als Barkeeper in einer Strandbar arbeitete, trat auf ihn zu. Er trug einen grellbunten Schwimmanzug und viel nackte, bunt bemalte Haut.

„Ist das dein Kostüm oder kommst du gerade von der Arbeit?“, scherzte Mason.

„He, he. Ich wette, du hast auch keine Lust auf noch einen Witz über diese Blutsauger von Rechtsanwälten, obwohl ich da ein paar in petto hätte“, erwiderte Ryan gut gelaunt und hob sein Bierglas. Die beiden Brüder machten sich immer einen Sport daraus, sich gegenseitig wegen ihrer unterschiedlichen Lebensstile durch den Kakao zu ziehen.

„Eins zu null für dich.“

„Geht klar. Nette Party.“

„Das Gleiche wie immer.“

„Wo ist Cynthia?“

„Zurück zu ihrem Ex.“

„Das Leben ist hart, Mann.“

Mason zuckte mit den Achseln. „Es war nie etwas Ernstes.“ Allerdings war das blöde Kostüm ihre Idee gewesen. Jetzt musste er sich ständig die ewig gleichen dummen Witze anhören über Anwälte, die ihre Klienten aussaugten.

Mason war nicht Cynthias Scheidungsanwalt gewesen, aber er hätte sich denken können, dass sie ihn benutzen würde, um ihren Mann eifersüchtig zu machen.

Nun ja, die Beziehung war ihm wohl nicht wichtig genug gewesen. Er war nicht wirklich verletzt. Bis jetzt war ihm überhaupt nie eine Beziehung mit einer Frau wirklich wichtig gewesen.

„Bist du mit jemandem zusammen hier?“, fragte er Ryan.

Die Augen seines Bruders funkelten. „Nein, aber ich hoffe, dass ich nicht allein nach Hause gehe.“

„Das tust du doch nie.“

„Mann, die Auswahl hier ist so groß. Wie wär’s zum Beispielt mit der Kleinen dort? Sie hat wirklich zwei wunderschöne … Augen.“

Mason musste lachen. Sein kleiner Bruder war ein unverbesserlicher Schürzenjäger mit absolut keinem Ehrgeiz, jemals eine feste Beziehung einzugehen.

„Mich freut es, wenn es Cynthia gut geht“, sagte er und meinte es ernst.

„Ach, hör doch auf“, brummte Ryan. „Nicht wieder diese Leier. Wie kannst du nur so idealistisch sein? Du bist Scheidungsanwalt, Mann.“

„Na, na. Wie lange sind Mom und Dad zusammen? Vierzig Jahre? Viele machen das. Es ist eine wunderbare Sache, wenn es funktioniert, Ryan.“

„Ja, und du siehst ja, wie oft es das nicht tut. Was glaubst du, wem unsere Bar ihre Existenz verdankt? Der großen Gemeinde der Geschiedenen aus Tampa und Umgebung.“

„Stimmt. Aber was wir nicht sehen, ist, wie oft es eben doch funktioniert, richtig? Diese Leute tauchen weder in meinem Büro noch in deiner Strandbar auf“, erwiderte Mason.

„Du immer mit deiner Logik. Ich hätte es wissen müssen, dass du das letzte Wort behältst.“ Ryan schmunzelte.

„Tja.“

„Aber, im Ernst. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mich mit einer Frau zu begnügen, wenn es doch so viele wunderschöne Exemplare gibt.“

„Eines Tages. Eines Tages, Ryan, wirst du vielleicht die Eine finden, die dich alle anderen vergessen lässt.“

Ryan brummte nur und ließ seinen Blick über eine aufregend attraktive Schlangentänzerin gleiten.

„Möge dieser Tag noch in sehr weiter Ferne sein“, sagte er und pfiff durch die Zähne.

„Kein Sorge. Ist diese Farbe eigentlich wischfest?“ Mason deutete auf Ryans bunte Bemalung.

„Die ist essbar. Man kann sie ablecken.“

Mason hob beide Hände in einer abwehrenden Geste. „Okay, das genügt. Mehr muss ich nicht wissen.“

„Tut mir leid.“ Ryan lachte. Er war ziemlich schamlos, und es tat ihm überhaupt nicht leid. Er gab seinem älteren Bruder einen Klaps auf die Schulter. „Mach dich locker, Mason. Du trägst Anzug und Krawatte, sogar wenn du nackt bist. Such dir eine Frau und hab ein bisschen Spaß. Genau das werde ich jetzt tun.“ Er warf der Kleinen mit den wunderschönen „Augen“ begehrliche Blicke zu, die sie mit einem neckischen Lächeln erwiderte.

„Ja, ja, schon gut.“ Mason fühlte sich plötzlich alt. Er blickte seinem Bruder nach und sagte sich, dass der vielleicht nicht unrecht hatte. Mason sollte seine Party einfach genießen – und zwar nicht allein. Er setzte ein verruchtes Vampirlächeln auf und machte sich auf die Suche nach einer Frau, die zu beißen er vielleicht Lust bekommen könnte.

Er musste nicht lange suchen. Das Schicksal präsentierte sie ihm direkt auf der Bühne. Sie war atemberaubend sexy. Ihre Augen waren dunkel und riesengroß, ihr Gesicht herzförmig, eingerahmt von dunklen Locken. So viel glaubte er jedenfalls zu erkennen, trotz der Maske, die die obere Hälfte ihres Gesichts verdeckte.

Ihre Lippen leuchteten genauso rot wie ihr Kostüm. Mason konnte gar nicht den Blick von ihr losreißen.

Er trat näher an die behelfsmäßige Bühne heran. Die Schöne war nicht klein, höchstens zehn Zentimeter kleiner als er, allerdings trug sie hochhackige Schuhe, so hochhackig, dass ihm ganz heiß wurde.

Er ließ den Blick an ihrer wohlgeformten Wade aufwärts gleiten. Sie hatte wundervolle Schenkel, perfekt gerundete Hüften, eine sehr schmale Taille und volle Brüste, die von diesem Nichts aus glänzend rotem Stoff kaum gebändigt wurden. Mason vergaß fast zu atmen. Er leckte sich die Lippen. Ein Biss allein würde ihm nicht genügen.

Sie wirkte überrascht, als ob sie nicht mit so viel Publikum gerechnet hätte. War sie neu im Geschäft? Vielleicht hatte sie Lampenfieber, so wie er, wenn er vor Gericht auftreten musste.

Ihre wunderschönen roten Lippen waren vollkommen, genau wie ihr Lächeln. „Hallo“, sagte sie. Sogar ihre Stimme klang sexy. Plötzlich war Mason froh über sein Kostüm, das seinen Körper völlig verbarg.

Das Publikum bewegte sich auf die Bühne zu. Manche pfiffen wohlwollend. Die Art, wie die Schöne langsam zur Bühnenmitte schritt, würde jeden Mann zum Träumen bringen. Sie blickte zur Band, dann wieder zum Publikum, dem sie mit den Augen zuzwinkerte. Mason nahm nichts mehr um sich herum wahr – es gab nur noch sie.

Sie war magisch.

Wer war diese tolle Frau? Plötzlich wirkte sie wieder nervös, als ob sie es noch nicht ganz verkraftet hätte, auf einer Bühne zu stehen. Es war niedlich und machte sie erst recht sexy. Die Menge liebte sie, noch bevor sie ihren ersten Ton gesungen hatte.

Mason schluckte. Das Licht ging aus. Ein anderes Licht ging an. Mason atmete erleichtert aus. Sie war immer noch da, allerdings stand sie jetzt mit dem Rücken zum Publikum. Ein einzelner Strahler war auf sie gerichtet. Von hinten war sie genauso aufregend sexy wie von vorn. Mason stellte sich vor, diesen absolut perfekten Po zu berühren.

Als die Musik einsetzte, stützte die geheimnisvolle Schöne sich auf dem Stock ab und begann, einen Fuß rhythmisch zu bewegen. Dann drehte sie sich um und begann zu singen. Schon beim ersten Ton – es war mehr ein Hauchen – fühlte Mason sich wie im Himmel. Allerdings wäre er diesem Körper und dieser Stimme auch bis in die Hölle gefolgt.

„Mann, die ist heiß“, sagte eine Stimme neben ihm. Erbost drehte Mason sich um und stellte fest, dass die Stimme zu Ron Deerfield gehörte, einem Mann in den Fünfzigern, verheiratet und sogar schon Großvater.

Ron sah Mason fragend an. „Sie kennen die Dame?“

„Nein, aber das wird sich ändern“, erwiderte Mason entschlossen.

Ron lachte. „Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, würde ich mit Ihnen wetten, wer schneller bei ihr landen kann.“

Auf Masons schockierten Blick hin fügte er hinzu: „Na ja, ich bin fünfundfünfzig, nicht tot. Außerdem halten mich die Kinder jung. Ich frage mich, wer sie ist. Die hat das Zeug zum Star.“

Mason hörte nicht mehr zu. Eigenartig, die Sängerin hatte sich nicht vorgestellt. Sie sang jetzt einen bekannten Hit, und die Menge stimmte mit ein. Das Publikum fraß ihr praktisch aus der Hand. Die Leute tanzten und jubelten ihr zu.

Nach einer kleinen Ewigkeit machte sie endlich eine Pause, verbeugte sich mehrmals und trat von der Bühne ab. Mason pflügte beinah ein paar seiner besten Klienten um, so eilig hatte er es, hinter den Bühnenvorhang zu kommen. Doch als er ihn zur Seite schob und sich suchend umblickte, war niemand zu sehen.

2. KAPITEL

Sobald sich der Vorhang hinter ihr geschlossen hatte, rannte Gina zur Toilette.

Meine Güte, sie zitterte wie Espenlaub. Ihre Adern waren voller Adrenalin, und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

Was für eine unglaubliche Erfahrung war das gerade gewesen! Wenn jetzt ihr Herz aussetzte, sie würde glücklich sterben. Der erste Song war noch ein bisschen holprig gewesen, aber dann hatte es sozusagen klick gemacht. Das Publikum war so begeistert, dass Gina gar nicht anders gekonnt hatte, als alles zu geben. Sie war auf dieser Bühne zu einer vollkommen anderen Frau geworden.

Als sie sich im Spiegel betrachtete, konnte sie es kaum glauben. War diese strahlende Schönheit wirklich sie selbst?

Wow.

Sie sah absolut sexy aus, so als ob sie gerade wilden, heißen Sex gehabt hätte. Doch, um die Wahrheit zu sagen, ihr Auftritt war aufregender und befriedigender gewesen als jedes sexuelle Abenteuer, das sie bis jetzt erlebt hatte.

Autor

Samantha Hunter
<p>Bevor Samantha Hunter sich voll und ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie zehn Jahre als Lehrerin für kreatives Schreiben an der Universität. Ihr erster Liebesroman, Virtually Perfect, den sie 2004 fertigstellte, wurde direkt veröffentlicht. Sieben weitere Liebesromane folgten bis heute. Samantha Hunter ist mit Leib und Seele Autorin. Und wenn...
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