Mehr von deinen Küssen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Klopfenden Herzens fährt Tierärztin Haley mitten in der Nacht zu Jackson. Schon lange schwärmt sie für den reichen Rancher, doch der weist sie immer wieder rau zurück. In dieser Nacht soll alles anders werden - sie will endlich mehr von ihm und seinen Küssen …


  • Erscheinungstag 17.06.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717247
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Umgeben von nächtlicher Stille, stand Jackson Cade vor dem Pferdestall und ließ den Blick über das Land schweifen. Doch er war viel zu aufgewühlt, um sich daran zu erfreuen, wie schön die weitläufigen Weiden im Mondlicht aussahen. Er nahm auch nicht wahr, wie würzig die kühle Nachtluft duftete.

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er voller Stolz um sich geblickt. Denn das hier war River Trace, sein Land, sein Zuhause, und er selbst hatte es zu dem gemacht, was es war. Doch heute Abend war er nicht stolz, nicht zufrieden. Heute war ihm nur bewusst, dass er einen harten Kampf gekämpft und ihn verloren hatte.

Weil er versagt hatte und seinen Stolz nicht überwinden konnte, würde ein prachtvolles Geschöpf sterben. Und mit ihm seine Träume.

Von hinten näherten sich Schritte, und eine Hand legte sich auf seine Schulter. Jesse Lee, ein treuer Freund und Experte im Umgang mit Pferden, fragte schroff: „Was tust du denn hier draußen?“

Jackson zuckte die Achseln. „Mir wünschen, dass es anders gekommen wäre.“

Der alte Cowboy nickte. „Ich schätze, das wünschen wir uns beide. Aber Tatsache ist, dass wir nicht ändern können, was geschehen ist. Es führt nun mal kein Weg zurück, nur vorwärts.“

Jackson lachte bitter. „Wie soll das denn gehen? Und wozu überhaupt?“

„Als Erstes erledigst du jetzt den Anruf, den du bisher abgelehnt hast.“ Jesse umschloss Jacksons Schulter fester. Es tat ihm leid, dass Jackson mehr Stolz besaß als gut für ihn war. „Ich kann nicht sagen, ob es was nützt, aber es ist eine Chance. Und falls dadurch das arme, verrückte Vieh dort hinten im Stall gerettet wird oder auch nur sein Leiden gelindert, was macht es da schon, ein bisschen klein beizugeben?“

„Du nimmst kein Blatt vor den Mund, was?“

„Das hab ich noch nie getan. Und jetzt bin ich zu alt, um damit anzufangen.“

Jackson nickte geistesabwesend. River Trace war sein Traum, sein Lebenswerk, für das er alles gegeben hatte. Nach Jahren voller Mühen brauchte er für einen Erfolg, den er sich selbst in seinen kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen können, nur noch ein oder zwei Fohlen. Doch die würde es vielleicht nie geben. Es sei denn, ein Anruf konnte etwas ändern.

Mit grimmiger Miene ging Jackson zum Haus, einem heruntergekommenen historischen Schmuckstück, das noch restauriert worden war, weil die Stallungen und Pferde Vorrang gehabt hatten.

„Was, zum Henker, hast du vor, Jackson Cade?“, rief Jesse ihm nach.

„Ich rufe an“, gab Jackson zurück, ohne innezuhalten. „Gebe klein bei. Schicke ein Stoßgebet zum Himmel.“

„Was dagegen, wenn ich auch ein Stoßgebet nach oben schicke?“

„Gute Idee.“ An der Steintreppe, die zur Hintertür führte, drehte Jackson sich um. „Danke, dass du hergekommen bist, Jesse. Ich weiß, du hast alles versucht.“

„Das haben wir beide, Jackson. Leider war es nicht genug.“

Jackson nickte nur und ging dann ins Haus.

Jesse stand noch immer an der Stalltür. „Unser Pech ist, dass dein Bruder nicht da ist“, murmelte er vor sich hin. „Unser Glück, dass es noch jemand anderen gibt. Ruf an, Jackson. Riskier es. Für das, was du bekommst, lohnt es sich bestimmt, klein beizugeben.“

1. KAPITEL

Sie hatte das jammervolle Wiehern des Pferdes, das an Schreie erinnerte, immer noch im Ohr.

Während sie das Lenkrad fester umfasste, vergaß Haley Garrett, dass sie in ihrem schicken schwarzen Kleid unpassend angezogen war und ihr silberblondes Haar zu einer eleganten Frisur aufgesteckt hatte. Sie trug hochhackige Schuhe, was sie jedoch nicht davon abhielt, das Gaspedal durchzutreten, damit sie mit ihrem Geländewagen noch schneller vorankam.

Es war spät, am blauschwarzen Himmel strahlte der Vollmond. Doch Haley hatte weder Augen für die Schönheit dieser Herbstnacht, noch dachte sie an das festliche Dinner und den attraktiven Mann, den sie zurückgelassen hatte, um in rasantem Tempo über Land zu fahren.

Den Blick fest auf die ihr unbekannte Straße gerichtet, dachte sie an kaum etwas anderes als ihr Ziel und das Rätsel, das sie dort erwartete.

Durch ein offenes Tor gelangte sie schließlich auf eine von Eichen gesäumte Zufahrtstraße, die durch die vielen, sorgfältig umzäunten Weiden von River Trace führte, dem berühmten Gestüt des Südens. Sie hatte gehört, dass das Land traumhaft schön sei. Sie wusste, dass die Pferde, die hier gezüchtet wurden, außergewöhnlich waren. Aber Haley dachte nur an die Schmerzenslaute des gepeinigten Pferdes.

In Gedanken hörte sie sie immer wieder. Sie waren das gespenstische Hintergrundgeräusch eines verzweifelten Anrufs gewesen. Nein, Jackson Cade musste mehr als verzweifelt sein, wenn er sie, Haley Garrett, die neue Tierärztin im idyllischen Belle Terre, um Hilfe bat.

Nachdem sie die Eichenallee passiert hatte, bot sich Haley eine mitternächtliche Szene von South Carolinas Küstenregion, die aus einem Geschichtsbuch über die Südstaaten hätte stammen können. Wenn man das Herrenhaus mit seinem verblichenen Charme und die weitläufigen Rasenflächen davor sah, hätte man meinen können, die Zeit sei stehen geblieben.

Das einzig Störende waren die Stallungen. Wenngleich im historischen Baustil errichtet, wirkten sie allzu neu. Für Haley stand außer Zweifel, dass sie nach modernsten Gesichtspunkten ausgestattet waren.

Sie brachte ihren Geländewagen zum Stehen und sprang heraus. Schnell tauschte sie ihre eleganten Sandaletten gegen praktische Stiefel und zog Arbeitshandschuhe an.

Auch wenn ihr paradoxes Outfit sie nicht störte, nahm sie sich vor, in Zukunft Jeans und Hemdbluse in den Wagen zu packen. Dann eilte sie mit ihrer Arzttasche in der Hand zum hell erleuchteten Stallgebäude, froh, dass ihr enger Rock einen Schlitz hatte.

Schon in der Tür merkte sie, dass sie recht gehabt hatte. Der Stall war hypermodern und sehr gepflegt.

„Doc.“ Am Ende der blitzsauberen Halle tauchte ein Mann auf.

Haley hatte die Stimme sofort erkannt. „Hallo, Jesse.“

Jesse Lee, ein Cowboy aus Arizona, war Vormann auf der nahe gelegenen Plantage Belle Rêve, wo Gus Cade, der Patriarch der Cades, ein eisernes Regiment führte.

Da er sehr viel von Pferden verstand und da Lincoln Cade, ihr Praxispartner, verreist war, überraschte es Haley nicht, dass man sich in River Trace als Erstes an Jesse gewandt hatte. Doch sie fragte sich, wo die anderen Arbeitskräfte waren.

Wo er war. Jackson Cade, Lincolns Bruder, der dritte von Gus Cades vier Söhnen. Der Mann, der sie nicht mochte und es abgelehnt hatte, dass sie seine Pferde behandelte. Bis jetzt.

Haley zwang sich, ruhig zu bleiben. „Wie geht es ihm?“, fragte sie, ohne genau zu wissen, ob sie den tobenden Hengst meinte oder dessen Besitzer. „Der Anruf klang sehr dringend. Ich bin so schnell ich konnte gekommen.“

„Mir scheint, Sie sind ein bisschen zu schnell gekommen“, erwiderte Jesse gedehnt mit Blick auf ihr schickes schwarzes Kleid.

„Haben Sie Probleme, Doc?“ Die zweite Stimme, direkt hinter ihr, klang kälter und ihr Unterton stand in einem krassen Gegensatz zu Jesses gutmütiger Neckerei.

Jacksons Miene, als Haley sich nun umdrehte, war sogar noch verächtlicher und kälter. Sie hatte sich seine unterschwellige Beleidigung also nicht nur eingebildet. Haley musste sich sehr zusammennehmen, um Jackson keine entsprechende Antwort zu geben.

Da sie sich nicht einschüchtern oder herausfordern lassen wollte, erwiderte sie ruhig: „Ich bin auf Ihren Wunsch hin gekommen, Mr Cade. Ansonsten habe ich keine Probleme.“

„Aha.“ Mit spöttischem Lächeln betrachtete Jackson Cade ihr Dekolleté, das den Ansatz ihrer Brüste freigab. Genauso spöttisch und abschätzend ließ er den Blick über ihr schmal geschnittenes schwarzes Kleid abwärts wandern, um ihn auf ihren abgewetzten Stiefeln verweilen zu lassen und anschließend auf ihren in Lederhandschuhen steckenden Händen.

„Dann sollen wir also annehmen, dass Sie Ihre Besuche bei kranken Tieren immer angetan wie die Königin von Belle Terre machen? Oder anders herum, sollen wir uns geehrt fühlen, dass Sie sich in dieser Aufmachung unter das gemeine Volk mischen?“

Die Bemerkung saß, genau wie er es beabsichtigt hatte. Doch Haley wollte ihm nicht die Genugtuung geben, sie wütend zu erleben. „Wir wissen beide, dass ich noch nie in River Trace war, weil Sie mich nie hier haben wollten. Heute bin ich hergekommen so, wie ich war. Denn es war mir wichtiger, schnell hier zu sein, statt passend angezogen. Lincoln ist verreist, wie Ihnen bekannt gewesen sein dürfte, als Sie sich dazu herabließen, mich anzurufen. Ich bin der Meinung, Sie sollten sich lieber daran erinnern, dass der Teufel in der Not bekanntlich Fliegen frisst.“ Sie holte kurz Luft, ehe sie betont gelassen fortfuhr: „Ob mein Outfit nun Ihrem persönlichen Geschmack entspricht oder nicht, wenn mich nicht alles täuscht, bin ich Ihre letzte Rettung.“

Jesse Lee stieß einen seltsamen Laut aus. Haley hätte schwören können, es war ein unterdrücktes Lachen. Doch sie blickte weiterhin Jackson Cade fest in die Augen, die wunderschön hätten sein können, wenn sie sie nicht so kalt gemustert hätten. Sie straffte die Schultern. Ein Fehler, denn damit lenkte sie seine Aufmerksamkeit wieder auf ihre Brüste.

Gefasst ertrug Haley seine erneute Begutachtung. Nein, sie würde diesem unausstehlichen Mann nicht die Genugtuung verschaffen zu erröten. Er hatte sie um Hilfe gebeten. Die Lage war ohne Frage sehr ernst. Dennoch verschwendete er kostbare Zeit mit dieser untypischen, chauvihaften Vorstellung, die er da gab.

Untypisch für ihn, weil Jackson Cade dafür bekannt war, dass er Frauen mochte. Die meisten vorbehaltlos. Andere – ehrgeizige Frauen wie sie, für die ihre Arbeit obenan stand – behandelte er mit kühler Zurückhaltung. Doch so kühl er sich auch geben mochte, er blieb immer höflich, freundlich und respektvoll. Ihr gegenüber legte er dagegen eine Feindseligkeit an den Tag, die sie nicht verstand.

Selbst jetzt war sein Bedürfnis, sie zu demütigen, offenbar größer als seine Verzweiflung. Was absolut keinen Sinn ergab, denn seine Liebe zu Pferden war ebenfalls bekannt. Jackson Cade war ein Züchter erstklassiger Pferde. Er scheute keine Kosten und Mühen, damit seine Tiere die beste Pflege bekamen.

Auch wenn er ihr als Tierärztin nicht vertraute, begriff Haley nicht, welche Motive er für eine derart feindselige Haltung ihr gegenüber hatte. Doch da sie bezweifelte, dass er ihr je freundlich begegnen würde, hatte sie es schon vor Wochen aufgegeben, den verbohrten, mürrischen Cade durchschauen zu wollen.

Wenn es nur um diesen frustrierenden Mann gegangen wäre, hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht und Jackson Cade in seiner unglaublichen Arroganz sich selbst überlassen.

Doch hier ging es in erster Linie um ein Pferd und dessen seltsame Erkrankung. Mittlerweile drangen aus einer entfernteren Pferdebox Geräusche zunehmender Unruhe. Vermutlich nur aus völliger Erschöpfung wieherte das Pferd nicht mehr.

Weil sie ein krankes Tier grundsätzlich nicht im Stich lassen konnte, schob Haley ihren Ärger beiseite. „Wenn Sie möchten, entschuldige ich mich für meine Aufmachung, Mr Cade. Ich war bei einem Dinner, das im Anschluss an ein Konzert gegeben wurde. Ihren Anruf hielt ich für einen Notfall, und ich würde gern helfen. Dazu müsste ich das Pferd untersuchen, solange es ruhig ist.“

Jackson Cade, der von Kindesbeinen an dazu erzogen worden war, sich wie ein Gentleman zu benehmen, schien sich seines Benehmens tatsächlich zu schämen. Doch schon im nächsten Moment unterstrich er seine Abneigung gegen sie mit einer spöttischen Verbeugung. „Seien Sie mir willkommen, Hoheit. Dancers Problem ist uns allen ein Rätsel.“

„Und deshalb“, entfuhr es Haley, „sehen Sie es als letzten Ausweg, mich eine Diagnose versuchen zu lassen.“

„So ähnlich.“

Jacksons blaue Augen wirkten nun nicht mehr ganz so spöttisch. Als sie seinen Blick auffing, sah Haley hinter seinem Ärger Schmerz und Angst aufblitzen. Seine Pferde waren für Jackson Cade mehr als ein Geschäft. Und ob es ihm gefiel oder nicht, sie, Haley Garrett, war wirklich sein letzter Ausweg.

„Dann“, erwiderte sie, ohne den Blickkontakt zu lösen, „sollte ich wohl besser ins Schwarze treffen, nicht wahr?“ Damit wandte sie sich an den Cowboy, der mit einer seltsam zufriedenen Miene neben ihr stand. „Jesse, wenn Sie mich zu Dancers Box führen würden …“

„Ich führe Sie hin.“ Jackson trat näher. Obwohl er nicht so enorm groß war wie die anderen Cades, überragte er sie immer noch um etwa dreißig Zentimeter.

„Nein.“ Er war so nah und eindrucksvoll, dass sie an sich halten musste, um nicht zurückzuweichen. „Danke, aber lieber nicht. Ich brauche einen kühlen Kopf. Sie sind zu aufgewühlt, um klar denken zu können.“

„Das hier ist mein Stall, Dancer ist mein Pferd, Doktor Garrett.“ Die Augen, die lächeln und Frauenherzen erwärmen konnten, wirkten eisig.

„Ihr Pferd, aber mein Patient, Mr Cade.“ Haley hielt seinem durchdringenden Blick stand. „Sind Sie bereit, Jesse?“

„Aber ja.“ Jesse, der sich an der Wand gelehnt hatte, um die Szene entspannt zu verfolgen, war jetzt ganz bei der Sache. „Die Arbeiter haben die anderen Pferde auf die Weide gebracht, denn Dancers Anfall hat sie vollkommen nervös gemacht. Sie wurden immer wilder, auch wenn sie nicht sahen, was Dancer sich einbildete.“

Geschickt wechselte Jesse das Thema, während er Haley den Mittelgang des großen Stallgebäudes hinunterführte. „Sie waren also im Konzert? Ich nehme an, mit einem Mann. Eine gut aussehende junge Dame wie Sie, in einem hübschen Kleid … Es wäre eine Schande, wenn Sie allein hingegangen wären.“

Ob sie mit oder ohne Begleitung ausgegangen war, ging Jesse nun wirklich nichts an. Aber er war für seine Unverblümtheit, seine Redseligkeit und Neugier fast ebenso berühmt wie für sein Gespür im Umgang mit Pferden. Für Letzteres bewunderte Haley den listigen alten Fuchs.

„Danke für das Kompliment, Jesse. Freut mich, dass Sie mich für eine ‚gut aussehende junge Dame‘ halten.“ Lächelnd merkte sie, dass er auf die Pointe wartete. „Und ja, ich war mit jemandem zum Konzert verabredet. Und zum Dinner auch.“

„Ich nehme an, Daniel Corbett wird es nicht gewesen sein, denn der hat ja wohl dirigiert.“

Diese neugierige Fragerei wurde langsam lächerlich, selbst für Jesse. Doch Haley wollte keine erneute Missstimmung aufkommen lassen. „Es war ein Kammerkonzert, Jesse, keine Orchesteraufführung. Daniel hat nicht dirigiert.“

„Aha.“

Seine Neugier schien keineswegs befriedigt, und Haley wunderte sich, warum ihn das alles interessierte. Sie wollte ihre schwere Tasche gerade in die andere Hand nehmen, als Jackson sie ihr abnahm.

Als sie ihm einen Blick zuwarf, merkte sie, dass er unglaublich müde aussah. In diesem Moment verzieh sie ihm seine Unverschämtheit und hatte Mitleid mit ihm. Doch Mitleid wollte dieser starke, hitzköpfige Mann bestimmt nicht.

Deshalb und auch, um einen sicheren Abstand zu Jackson zu halten, schloss sie zu Jesse auf. „Entschuldigen Sie, Jesse. Ich fürchte, ich habe Ihnen eben nicht ganz zugehört.“

„Unsinn. Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. Ich habe eben nur gesagt, dass Daniel, weil er doch Dirigent ist, ganz schön interessant sein muss.“

„Das stimmt.“

„Ich nehme an, diese knappe Antwort bedeutet, dass Sie nicht verraten werden, mit wem genau Sie aus waren?“

Während sie noch überlegte, warum es ihr etwas ausmachte, dass Jackson diese Unterhaltung mit anhörte, brachte sie sie zu Ende. „Genauso ist es. Ich bin hergekommen, um ein Pferd zu behandeln, nicht, um mein Privatleben zu diskutieren.“

Sie musste schmunzeln, weil Jesse enttäuscht aufseufzte. Doch als er an einer verriegelten Pferdebox stehen blieb, verging ihr das Lächeln.

Dancer war in Züchterkreisen als wertvoller Zuchthengst bekannt. Haley hatte ihn noch nicht leibhaftig zu Gesicht bekommen. Doch sie hatte in Fachzeitschriften für Züchter und Tierärzte über ihn gelesen und ihn bewundert. Daher konnte sie kaum glauben, dass das erschöpfte Tier, das da geduckt in der Box stand, das legendäre Pferd sein sollte.

Sein Fell war schweißnass. Es ließ den Kopf hängen, auch der Schweif hing schlaff herab. Keine Spur mehr von der stolzen Haltung des heiß begehrten Zuchthengstes. Vermutlich litt er wegen der Anfälle, die er seit Kurzem hatte, unter schwerer Austrocknung.

„Jackson“, flüsterte Haley, ohne zu merken, dass sie ihn vor lauter Sorge mit dem Vornamen anredete. „Wie lange ist er denn schon in diesem Zustand?“

„Es fing vor ein paar Stunden an.“ Jackson stand einen Schritt hinter ihr. „Anfangs war er lethargisch, dann führte er sich ein paar Minuten ziemlich sprunghaft auf. Dancer ist sehr temperamentvoll und eigenwillig. Deshalb sah es zunächst nach einem Anflug schlechter Laune aus. Doch auf einmal drehte er förmlich durch. Wir versuchten alles Erdenkliche, um ihn zu beruhigen. Aber schließlich waren wir am Ende unseres Lateins.“

„Erzählen Sie mir genau, was Sie unternommen haben.“ Haley suchte fieberhaft nach einer Erklärung für Dancers Verhalten. „Lassen Sie nicht das kleinste Detail aus.“

Als Jackson ihr jede Behandlungsmaßnahme erläutert hatte, fand sie, dass er umsichtig und vernünftig vorgegangen war. Er hatte einen wachen Verstand und war einfühlsam. Was seine mürrische Reaktion auf sie noch rätselhafter machte.

Haley überlegte angestrengt, während sie das Pferd, das nur noch ein Schatten seiner selbst war, eingehend betrachtete.

Geistesabwesend steckte sie eine sich lösende Haarnadel fest. „Jesse, was haben Sie da vorhin noch gesagt? Es hatte mit den anderen Pferden zu tun.“

„Ich weiß es nicht mehr Wort für Wort, aber ich habe erzählt, wie heftig die anderen Pferde auf Dancer reagiert haben und dass sie deshalb auf die Weide gebracht wurden. Hilft Ihnen das weiter?“

Haley besah sich die Box näher, in der Hoffnung, dass ihr irgendein Detail auf die Sprünge helfen würde. Vergeblich. Sie war genauso ratlos wie Jesse und Jackson.

Jackson? Seit wann nannte sie diesen halsstarrigen Mann in Gedanken Jackson? Es war doch völlig unwahrscheinlich, dass sie sich je mit ihm duzen würde wie mit seinen Brüdern Adams und Jefferson, die ihr nicht so wie er aus dem Weg gingen.

Sie versuchte erneut, sich an den Gesprächsfetzen zu erinnern. „Ich fürchte, nein. Vielleicht war der Gedanke auch zu weit hergeholt.“

„Jesse hat in der Tat noch etwas anderes gesagt.“ Jackson trat neben sie und stützte sich auf die Boxentür. Neben einer Mischung aus Heu und Pferdestall nahm Haley noch einen angenehm herben Duft wahr, der gut zu einem Mann wie Jackson passte. Doch was wusste sie schon, was er für ein Mann war? Oder was zu ihm passte?

In diesem Moment bedauerte sie sehr, dass er eine solche Abneigung gegen sie hatte. Wenn er zugänglicher wäre, wäre er bestimmt ein Mann, mit dem sie gern befreundet wäre. Was für ein Hirngespinst! Zu einer Freundschaft gehörten immer noch zwei. Und freundschaftliche Gefühle würde es zwischen ihnen bestimmt nie geben.

Ohne zu merken, dass sie traurig aufseufzte und Jackson ihr daraufhin einen Blick zuwarf, der sie sehr verwirrt hätte, konzentrierte sich Haley wieder auf das Pferd. „Und was war das?“

Jackson hatte den Faden verloren. Fragend hob er die Brauen, die etwas dunkler waren als sein rotbraunes Haar.

„Ich meine, was hat Jesse sonst noch gesagt.“

„Wahrscheinlich war es die Bemerkung, dass die anderen Pferde nicht sahen, was Dancer sich einbildete, die bei Ihnen hängen geblieben ist.“

Haley blickte Jackson in die Augen und entdeckte keine Spur mehr von Ärger darin. „Jesse dachte, das Pferd habe Halluzinationen? Dachten Sie das auch?“

„Vorhin dachte ich nur daran, wie ich verhindern kann, dass Dancer sich verletzt.“ Unbewusst rieb Jackson mit dem Finger über einen blauen Fleck auf seiner Wange. „Wenn ich mir Jesses Bemerkung jetzt überlege, hat Dancer sich während seines Anfalls tatsächlich so benommen, als habe er Halluzinationen. Aber das ist ja lächerlich.“

Ein Anfall und Halluzinationen. Hervorgerufen durch eine chemische Substanz? So etwas hatte sie schon einmal erlebt. Das Pferd war gestorben, denn die zutreffende Diagnose war erst nach seinem Tod gestellt worden. Wenn sie Glück hatte … „Jesse, geben Sie mir eine Spritze. Jackson, stellen Sie meine Tasche in besseres Licht.“

Sie war so in Gedanken, dass Haley gar nicht merkte, dass sie Anweisungen gegeben hatte. Oder dass Jackson Cade widerspruchslos gehorchte.

Sobald die Spritze vorbereitet war, erklärte Haley: „Ich glaube, ich habe diese Symptome schon mal gesehen. Wenn ich mich nicht irre und schnell genug bin, können wir Dancer retten. Aber es muss Ihnen klar sein, dass das Ganze eine reine Vermutung ist, ein Vabanquespiel sozusagen. Wenn wir Zeit für Tests hätten …“

„Die wir nicht haben“, fiel Jesse ihr ins Wort.

„Wenn ich mich täusche …“

„Könnte es ihn umbringen.“ Ganz so, als wolle er es ihr ersparen, sprach Jackson die bittere Wahrheit für sie aus.

„Ja.“

„Wenn Sie es nicht versuchen, wird er mit Sicherheit sterben“, warf Jesse ein. Doch Haley und Jackson waren so sehr aufeinander konzentriert, dass sie seine Bemerkung nicht hörten.

„Es wäre also der letzte Ausweg“, murmelte Jackson. „Denn einen weiteren Anfall würde Dancer mit Sicherheit nicht überleben.“

„Dann werden Sie mir also vertrauen? Auch auf das Risiko hin, dass ich recht habe?“ Haley war sich im Klaren, dass sie vor der bisher größten Herausforderung ihrer beruflichen Laufbahn stand. Das, was sie wegen Dancer unternehmen wollte, beruhte nur auf Vermutungen. Doch da alle anderen Maßnahmen vergeblich gewesen waren, blieb ihnen nichts weiter übrig, als es zu wagen. Zu mehr blieb keine Zeit, ehe Dancer einen neuen Anfall von Wahnsinn bekam. Von absichtlich verursachtem Wahnsinn.

Haley stockte der Atem. Absichtlich verursacht? Der Gedanke war ihr aus heiterem Himmel gekommen.

Sie wusste wenig über den Betrieb in River Trace und noch weniger über dessen störrischen, spöttischen Besitzer, der eigentlich in dem Ruf stand, ein Gentleman zu sein, der gern lachte und flirtete und großherzig war. Früher einmal, vor langer Zeit, hatte sie seine Freundlichkeit selbst erfahren. Vielleicht hatte sich der junge Mann, der auch zu ihr, Haley Garrett, einmal nett gewesen war – eine Begebenheit, die er offenbar völlig vergessen hatte –, aber auch gründlich verändert. Vielleicht hatte er sich Feinde geschaffen.

Das war durchaus eine Möglichkeit. Schließlich hatte Jackson Cade sein Bestes getan, um sich auch sie zur Feindin zu machen.

Dancer warf den Kopf hin und her, dann schwankte er und wieherte heftig, erste Anzeichen für einen neuen Anfall.

„Halluzinationen“, flüsterte Haley besorgt, sicherer denn je, dass sie recht hatte. Es bestand also Hoffnung für den Hengst, aber sie musste sich beeilen.

Gerade als Haley die Box betreten wollte, hielt eine große, kräftige Hand sie davon ab.

„Gehen Sie nicht hinein“, sagte Jackson. „Was auch immer Dancer hat, es kommt in Schüben, die immer schlimmer werden. Dann ist er zu gefährlich für Sie. Tut mir leid.“

Die Besorgnis, die sich auf seinem kantigen, attraktiven Gesicht widerspiegelte, überraschte Haley. Noch ehe sie protestieren konnte, dass sie sich nicht zum ersten Mal einem gefährlichen Tier gegenübersehe, umfasste er ihre Hand fester.

„Ich hätte Ihren Abend nicht stören sollen, Hoheit.“ Diesmal klang es nicht so spitz wie vorhin. Wenn es nicht Jackson gewesen wäre, der ihr diesen Titel verpasst hatte, hätte er durchaus ein netter Spitzname sein können, wie ihn sich Freunde gaben. Freunde? Was auch immer sie und Jackson nach dieser Nacht sein würden, Freunde bestimmt nicht. Zu dem Ergebnis war sie doch bereits gekommen.

„Aber Sie haben angerufen. Darauf habe ich gewartet …“ Haley brach ab. Aber es stimmte. Sie hatte auf seinen Anruf gewartet, auf den Tag, an dem er sie brauchen würde. Ein völlig überraschendes Eingeständnis, über das sie würde nachdenken müssen … Später, wenn sie nicht mehr den scharfen Blick seiner blauen Augen auf sich spürte und den Griff seiner warmen Hand um ihre.

Haley nahm sich zusammen. „Ich bin aus einem bestimmten Grund hier. Ihr Pferd muss dringend behandelt werden. Jetzt, Jackson, ehe es zu spät ist.“

„Er kann gefährlich werden. Zu gefährlich.“

„Im Moment ist Dancer nur unruhig. Was auch immer ihn quält, es baut sich auf. Wenn ich mich beeile, kann ich Schlimmeres hoffentlich verhindern. Falls ich mit meiner Vermutung richtig liege, könnte mein Gegenmittel helfen.“

Auch wenn seine Berührung und seine weicher werdende Haltung Emotionen in ihr auslösten, für die sie nicht bereit war, war Haley entschlossen, den Job zu tun, für den sie gerufen worden war.

„Sehen Sie sich Dancer an, Jackson.“ Weil sie hinter seine sture Arroganz gesehen hatte, weil sie den Schmerz spürte, den er so sorgsam verbarg, nannte sie ihn wie selbstverständlich beim Vornamen. Dann berührte sie mit ihrer freien Hand voller Mitgefühl seine Schulter, ohne es recht zu merken. „Die Zeit läuft ab für Dancer. Ich muss zu ihm.

Autor

Bj James
Mehr erfahren